Arbeitspunkt-Einstellung mittels Gitterwiderstand

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Adrian_Immler
Ist häufiger hier
#1 erstellt: 07. Feb 2021, 19:10
Hallo in die Runde,

ich habe eine Verständnisfrage, für die ich die "Aufschlauung" durch profunde Kenner des alten Röhrenschule benötige (und ich bilde mir ein, dass es in diesem Forum gleich mehrere Veteranen mit tiefen Kenntnissen der Röhrengeschichte gibt )

Ab und zu bin ich im Web über Schaltungen mit "Grid Bias" gestossen. Siehe beigefügte Schemas. Für batteriebetriebene Röhren leuchtet mir diese Art der Arbeitspunkt-Einstellung auch ein - man will eine Batterie für alle Röhrenheizungen, so dass alle diese zwangsweise auf gleichem Potential (naheliegenderweise GND) sitzen.

Aber Grid Bias für Röhren mit elektrisch isolierter Heizung?
Welche Gründe hierfür mögen denn da die dazumaligen Entwickler gehabt haben?

Danke im Voraus für alle Erläuterung!

Lieber Gruss, Adrian
RCA phono stageFender_5C3SixShooterPhono_preamp
pragmatiker
Administrator
#2 erstellt: 07. Feb 2021, 20:15

Adrian_Immler (Beitrag #1) schrieb:
Aber Grid Bias für Röhren mit elektrisch isolierter Heizung?

Servus Adrian,

das war u.a. überall da erforderlich, wo mehrere Röhrensystem in einem Glaskolben vorhanden waren und wegen der damit einhergehenden "Multi-Funktionalität" die Pinanzahl der Röhren nicht gereicht hat - weswegen ein (an Masse liegender) einzelner Kathodenanschluß gleich die (miteinander verbundenen) Kathoden mehrerer Röhrensysteme "bedienen mußte". Ein schönes (aber beileibe nicht das einzige) Beispiel hierfür war die EABC80 / UABC80 - hier mal ein Schaltbildausriß aus dem Demodulator eine Allstrom-Philetta:

Schaltbildausriß Philetta BD293U

Über die Gründe in Deinen Beispielen kann man nur spekulieren. Sicher ist jedoch, daß diese Art der Arbeitspunkteinstellung ordentlich funktioniert, so lange die Pegel am (Steuer)Gitter nicht zu groß werden. Und dann hat man den (unschlagbaren) Vorteil des mit nahezu null Ohm an Masse liegenden Kathodenröhrchens, das dadurch zwischen (einem sehr niederohmig mit 6,3[V] oder mehr mit Wechselspannung geheizten) Heizfaden und der restlichen Röhre vom Gitter an aufwärts sozusagen als Abschirmblech steht - da brummt von der Heizung her sicher nix mehr in den Rest der Röhre rein - was bei Stufen, die nur kleine Pegel verarbeiten, sicher ein Plus ist. U(fk) oder R(fk)? Ist in dieser Schaltungsart nicht mehr unbedingt von majorer Bedeutung, selbst wenn die Heizung potentialmäßig bis auf den U(fk)-Grenzwert hin ganz woanders als in der Nähe von Masse steht - wichtig ist nur, daß die Kathode höchst niederohmig an die Schaltungsmasse angeleimt ist.

Und: Hörbarer Brumm (gerade an Geräten mit Eingangsstufen im [mV]-Bereich (Tonabnehmer, Mikro, Pickup)) stört sehr - eventuell leicht höhere Verzerrungen, weil der Arbeitspunkt (wegen der Gitteranlaufstromschaltung) nicht genau getroffen wurde, stören dagegen sehr viel weniger. Da dürften sich viele Entwickler für die möglicherweise leicht höheren Verzerrungen entschieden haben - zumal diese Schaltungstechnik auch noch einen Widerstand weniger braucht, was bei Großserienprodukten den BWLer gefreut hat (und freut).

Grüße

Herbert


[Beitrag von pragmatiker am 07. Feb 2021, 20:34 bearbeitet]
DB
Inventar
#3 erstellt: 07. Feb 2021, 22:06
Ich pflichte Herbert bei: die Gittervorspannungserzeugung per Gitteranlaufstrom hat man bisweilen auch in Geräten der Studiotechnik gehabt, wo man mit Wechselstromheizung auf diese Art dennoch sehr gute Brummspannungsabstände hinbekam. Ich glaube, der Entzerrer hieß WV61 oder so. Da waren mehrere EF806 drin, die erste Stufe lief mit Gitteranlaufstrom.


MfG
DB
Adrian_Immler
Ist häufiger hier
#4 erstellt: 07. Feb 2021, 22:24
Hallo Herbert, hallo DB

Danke für eure Antworten - wieder was gelernt!

Was mich noch ein wenig irritiert sind die beiden Schaltungsbeispiele der Phono-Vorverstärker (1. und 4. Bild im Anhang).
Da ist jeweils in der 2. Stufe die Gittervorspannung per Anlaufstrom erzeugt worden. Zwecks Brummbekämpfung wohl eher ineffizient ?!

Oder wollte man da bewusst das Schaltplattesignal mit etwas mehr Oberwellen anreichern?

Lg Adrian
pragmatiker
Administrator
#5 erstellt: 08. Feb 2021, 08:35
Servus Adrian,

Adrian_Immler (Beitrag #4) schrieb:
Was mich noch ein wenig irritiert sind die beiden Schaltungsbeispiele der Phono-Vorverstärker (1. und 4. Bild im Anhang).

Bei Schaltung #3 ist es klar: Die 6J6 ist eine (durchaus interessante, jedoch in unseren Tagen wenig beachtete) 7-polige Miniaturröhre (B7G), die mangels Pins nur einen gemeinsamen Kathodenanschluß für beide Röhrensysteme hat. Das ist nicht einer übertriebenen Sparsamkeit der Röhrenentwickler anzulasten: Die 6J6 (auch ECC91 oder 6N15P) ist für mögliche Anwendungen im Bereich UHF-Mischer / Oszillatoren bis 600[MHz] etc. gemacht worden (dazu braucht es kleine Kapazitäten und damit eine möglichst kleine Röhrenbauform) - aber nicht für Audio. Die 6J6 wird schon mit geringen Anodenspannungen in der Gegend von 100[V] gut wach - was Verstärkerkonzepte mit niedrigeren Betriebsspannungen möglich macht. Auch als UKW-Senderendstufe ist sie gut brauchbar: Bei 150[V] Anodenspannung kommen da im Gegentaktbetrieb immerhin ca. 3,5[W] raus (da fließt aber dann deutlich Gitterstrom) - eine ganze Menge Leistung für die kleine Baugröße. Der maximal zulässige Kathodenstrom pro System ist 25[mA] - damit läßt die 6J6 Typen wie ECC81 / 82 / 83 hinter sich und spielt in derselben Liga wie wie ECC88. Diese Stromergiebigkeit hat allerdings ihren Preis: 450[mA] Heizstrom sind bei dem kleinen Glaskolben schon eine Ansage. Die 6J6 ist relativ steil, was Schwingschutzmaßnahmen unbedingt erforderlich macht.

Wenn man die 6J6 in Audioschaltungen betreiben will, läuft das halt auf Parallelschaltungen (zwecks Rauschreduktion), Long-Tailed-Pairs oder Differenzverstärker (ggf. mit Gegentakt-Anodendrossel) hinaus. Interessant ist die 6J6 wegen ihrer Niederohmigkeit, die niederohmige Verstärkerschaltungen erlaubt. Ich persönlich würde mit der 6J6 nur Audio-Schaltungen aufziehen, in denen beide Systeme auf etwa demselben Pegelniveau "spielen", weil diese Röhre keinen Schirm zwischen den Systemen hat - zwei Verstärkerstufen hintereinander würde ich selbst mit dieser Röhre eher nicht machen. Die 6N15P geht (weil die "Audiophilen" sie (noch?) nicht auf dem Radar haben) derzeit noch für sinnvolle Preise her: https://www.ebay.de/..._CLK%7Cclp%3A2334524

Die erste und vierte Schaltung sehen nach "modernen" Entwicklungen aus, die nicht aus der Röhrenära stammen - vielleicht sagen da die Schaltungsbeschreibungen (wenn es die denn geben sollte) mehr dazu, was sich der Entwickler dabei gedacht hat.

Oder wollte man da bewusst das Schaltplattesignal mit etwas mehr Oberwellen anreichern?

Glaube ich eher nicht - da kommt vermutlich auch so schon genug Obertonfülle raus....

[EDIT]: Noch was, was ich zur 6J6 gefunden habe. Die wurde ja auch in Digitalschaltungen als Flipflop in Computern eingesetzt - da störte auch die gemeinsame Kathode überhaupt nicht. Unter anderem war die wohl im IBM-604 im Einsatz - aber wohl nicht lange, weil es Zuverlässigkeitsprobleme gab:

In the case of vacuum tube flip-flops and switching circuits, on the other hand, the tubes had to be driven beyond their linear response range-driven, that is, by signals so large as to force the tubes into either the fully conducting or the cutoff condition-in order to produce unmistakable output voltages representing either 0 or 1. Early digital circuit designers and tube manufacturers alike were surprised to find that tubes often exhibited a degradation in their ability to conduct current after being held in a cutoff condition for long periods of time with their cathodes heated as for normal conduction. This problem, which was alluded to in the description of the SSEC operation, was known as "cathode interface resistance. Its solution required careful analysis and improvement in cathode material, and it provides an example of setbacks engineers encountered in their attempts to turn radio tubes into computing elements. It was neither the first nor the most urgent problem that arose during the 604 project; indeed, until certain less subtle effects had been discovered and corrected, the one involving interface resistance went unnoticed.

Some of the earliest problems-and some that demanded the most urgent attention-revealed themselves through intermittent failures. A component in which an undesired open or short circuit occurs occasionally, for perhaps a fraction of a millionth of a second each time, might easily pass the tests required for use in radio or television circuits. The human eye, ear, and brain are insensitive to interruptions of such short duration. In a digital circuit, however, a single such mishap could cause a miscount of voltage pulses somewhere and an erroneous result. Again, the vacuum tube, a complex component to make, provides a good example. For years tubes had been manufactured under conditions of cleanliness and quality control adequate for radio or television components but quite unacceptable for the production of digital devices. As the quantities of vacuum tubes used in digital circuits increased, tube manufacturers came to recognize the need to revise their production methods, installing "clean rooms" for assembly and establishing a clean room mentality among employees.

Miniature tubes had been chosen in order to minimize size, power consumption, and heat dissipation in the 604, which was to be used in an ordinary office environment. But the new tubes introduced some problems of their own. For example, the spacing between cathode and grid of one of the miniature types-the 6J6 twin triode-was so small that particles of conducting dust or other loose material too small to be visible could bridge it, causing intermittent operation or outright failure. It became obvious to Palmer that the available tubes were neither satisfactory for digital calculator use nor likely to be improved by the manufacturers for a market as small as that for calculators. After a number of 6J6 tube failures, Palmer asked Haddad to explore the problem. Haddad built an elaborate tester in which the vacuum tubes were rotated on a wheel and turned on their own axes in such a way as to test them in every possible spatial orientation, while being tapped regularly by metal studs on rubber mountings outside the circumference of the wheel. The tubes were connected to test circuits during this grueling process, and as Haddad recalled many years later, "every single tube we put on that machine failed." Palmer asked him to design a tube that would not fail.

Tube design was a specialty not included among the academic experiences of the typical electrical engineer, even one trained in electronic circuits. Haddad recalls that he went out and bought a copy of a new book on the design and construction of vacuum tubes and with the help of that textbook designed a 6J6 replacement. A good deal of the solution lay in reshaping the grid and plate structures and providing separate cathodes for the two triodes in each tube. (The 6J6 used a single cathode shared by both triodes.) The new tube was sufficiently better than the old one that General Electric was eventually persuaded to build it.

Quelle: http://ed-thelen.org/comp-hist/IBM-604.html#new

So, lange genug monologisiert......

Grüße

Herbert


[Beitrag von pragmatiker am 08. Feb 2021, 09:51 bearbeitet]
Adrian_Immler
Ist häufiger hier
#6 erstellt: 08. Feb 2021, 14:52

pragmatiker (Beitrag #5) schrieb:
(...)
Die 6J6 ist eine (durchaus interessante, jedoch in unseren Tagen wenig beachtete) 7-polige Miniaturröhre (...)
[EDIT]: Noch was, was ich zur 6J6 gefunden habe. Die wurde ja auch in Digitalschaltungen als Flipflop in Computern eingesetzt - da störte auch die gemeinsame Kathode überhaupt nicht. Unter anderem war die wohl im IBM-604 im Einsatz (...)


Ja, die russische Variante der 6J6, die 6N15P, ist meine Lieblingsröhre
- Glüht wunderschön (siehe Bild im Anhang)
- kräftig, wie du beschreibst
- smarte Grösse
- preiswert, auch die passenden Sockel
Habe auch 3 NOS Exemplare genannt 5964, die computertauglich sind dank zwischenschichtfreier Langlebensdauer-Spezialkathode.
Dazu gesellen sich noch 300 5963er (computertaugliche ECC82), nicht mehr NOS, aber "OK" getestet.

Habe eben Lust mal was anderes als Analog-Verstärker zu machen:
- vielleicht eine Digitaluhr mit netten Nixies dazu (naja, ein Standard-Projekt wenn es um digitale Röhren geht...)
- oder ein elektronischer Würfel, die Würfelaugen als Glimmlampen (hätte da ein paar INS-1 hierfür)
- oder einen Tischrechner für Addition/Subtraktion ganzer Zahlen, Nixie-Ausgabe (das wär aber schon ein grösseres Projekt, sicher mehr als 1 Jahr)
- der ultimative Knüller wär ein 1kHz 1-Bit-Röhrenrechner mit 1kBit Kernpeicher und Datenausgabe-Zeile per Glimmlampenmatrix (Zahlen und Buchstaben lassen sich ja darstellen in einer 3x5 Punktmatrix).
Damit wär ich aber wohl bis zu meiner Pensionierung (voraussichtlich 2042) beschäftigt...
Ich konnte es nicht lassen und habe schon mal ein wenig recherchiert: Allein die 1-Bit-ALU wie man sie auf Wiki findet als Beispiel, würde rund 30 5963er Röhren fressen... Und dann noch 2 Input- und ein Output-Register für 24 bit, wären 3x 24 Röhren... Plus ein Befehlsregister.. plus Umschalt-Stellen für den 1-Bit-Bus... Plus Schreibe-/Lese-Schaltungen für die Kernspeicher... plus I/O-Datenaufbereitungen (z.B. binär nach 3x5-Dot-Dezimal)... Ob da meine 300 Stück 5963er überhaupt reichen?

Naja, vielleicht fangen wir mal mit dem elektronischen Würfel an...

Gruss Adrian
6N15P


[Beitrag von Adrian_Immler am 08. Feb 2021, 15:09 bearbeitet]
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