Warum werden Solostreicher in der Sinfonik so selten eingesetzt?

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Martin2
Inventar
#1 erstellt: 26. Jan 2009, 12:19
Ich habe heute mal wieder Joseph Haydns Sinfonien 6 - 8 gehört. Was dort unbedingt auffällt, ist, daß die Solovioline und das Solocello dort gut zu tun bekommen. Teilweise klingt es ganz nach Violinkonzert.

Was dann für mich unheimlich auffällig wird, ist die Tatsache, daß im weiteren historischen Verlauf der Einsatz des Solostreichers in der Orchesterliteratur ungeheuer zurücktritt. Bei Mozart und Beethoven scheint er geradezu tabu zu sein. Aber auch sonst erinnere ich mich kaum an solche Einsätze des Solostreichers. Gut, in einem von Strauss letzten Liedern hat die Solovioline einen großen Einsatz. Auch sonst scheint es gerade bei der Spätromantik für den solistischen Einsatz der Streicher gelegentliche Beispiele zu geben.

Woran liegt das nun eigentlich? In gewisser Hinsicht ist mir diese Tatsache rätselhaft. Bläser treten ja in der Sinfonik in der Regel sehr solistisch auf, aber warum tritt der Einsatz von Solostreichern in der Sinfonik historisch gesehen so zurück? Eigentlich ist mir dies ganz rätselhaft, denn ich finde einen gewissen Einsatz der Solovioline in einem sinfonischen Werk ungemein belebend ( wobei ich im moment außer dem Strauss komischerweise dafür kein Beispiel habe - aber es gibt sie)

Gruß Martin
Kreisler_jun.
Inventar
#2 erstellt: 26. Jan 2009, 13:24

Martin2 schrieb:
Ich habe heute mal wieder Joseph Haydns Sinfonien 6 - 8 gehört. Was dort unbedingt auffällt, ist, daß die Solovioline und das Solocello dort gut zu tun bekommen. Teilweise klingt es ganz nach Violinkonzert.


Das sind mehr oder weniger konzertante Sinfonien. Bei Haydn gibt es das vereinzelt noch ziemlich lange (z.B. Trio in Nr. 95, langsamer Satz in Nr.96, Finale Nr.98), bei Mozart gar nicht, dafür dort umso mehr Bläsersoli in Klavierkonzerten.
Ich vermute, daß das insgesamt zurückgegangen ist, weil man es als etwas aufgesetzt empfunden hat, als dem sinfonischen Geist fremd oder so. Oder, daß die Gattungsdifferenzierung und Abgrenzung zum Konzert deutlicher geworden ist. Wirklich konzertante Bläsersoli wären ebenfalls ein Fremdkörper, die halte ich für ähnlich selten.
Es gibt aber deutlich mehr Streichersoli im 19. Jhd. als man glauben mag:

Beethoven: Missa solemnis, Benedictus
Schumann: 4. Sinfonie, Romanze
Brahms: 1. Sinfonie, 2. Satz, 2. Klavierkonzert, 3. Satz (Cello)
Strauss: Heldenleben (Gefährtin) und sicher noch häufiger.
Mahler: 4. Sinfonie, Scherzo

es gibt sicher noch wesentlich mehr...

viele Grüße

JK jr.
Martin2
Inventar
#3 erstellt: 26. Jan 2009, 13:41
Hallo Kreisler Junior,

schön, daß Du das so präsent hast, kenne das ja alles, aber ich bin kein so analytischer Hörer, achte nur auf die Musik, wenn ich sie höre ist es mir klar, aber dann vergesse ich auch wieder schnell. Gut bei Richard Strauss Heldenleben ist das völlig klar, Mahlers 4. habe ich jetzt auch wieder präsent.

Daß die Bläser so "keine Soli" hätten, würde ich so nicht sagen. Das "ausgeprägte Solo" ist allerdings selten, aber im übrigen werden Bläser ja fast nur solistisch eingesetzt ( da es keinen "Bläserchor" gibt). Und sehr häufig in der Sinfonik, findest Du manchmal auch nur einen ganz kurzen Abschnitt, wo ein Horn, eine Flöte solistisch eingesetzt wird. All das ist völlig normal, wie etwa das Trompetenthema in Bruckners 3. oder das Hornthema in Bruckners 4.

Daß man das Streichersolo dem "sinfonischen Geist" irgendwie fremd empfunden hat, ist schon klar, aber es bleibt doch irgendwie rätselhaft, da der quasisolistische Einsatz von Bläsern immer völlig normal war. Mir ist diese Sache irgendwie schon rätselhaft, muß ich sagen. Es kann auch sein, daß gerade die Solovioline in einem sinfonischen Werk gelegentlich etwas "kitschig" wirkt, was der "sinfonischen Strenge" dann entgegenwirkt, aber an der Schönheit dieser orchestralen Farbe kann es doch keinen Zweifel geben und es wundert mich dann schon, daß sie vor allem bei Mozart, Beethoven und Schubert in der Sinfonik völlig zurücktritt.

Gruß Martin
Gantz_Graf
Hat sich gelöscht
#4 erstellt: 29. Jan 2009, 14:15
Antwort: Damit es genau nach meinem Geschmack ist, alles andere zählt nicht

Ich durfte mir vor etwa zwei Monaten ein Violinenkonzert von Tschaikowsky antun. Bisher hatte ich mir immer großorchestrale Werke angetan, in denen Soli, wenn sie vorkommen, besser integriert sind. Was ich aber beim Tschaikowsky sah, ließ mich erschrecken. Lange Soli für den Violinisten, immer mal wieder schnelle Passagen, leise verklingende höchste Töne (Effekthascherei!), der Solist schleimt immer mal wieder um den Dirigenten herum, wie Gollum, immer so von unten herangepirscht, Bah! Als wolle er dem Dirigenten Rosen verkaufen - nein, das war nicht mein Geschmack. Expressives Herumfideln ohne Sinn und Verstand. Die Orchestermitglieder immer wieder arbeitslos. Dass sie nicht in der Nase bohrten oder ähnliches, ist wohl der Professionalität geschuldet.

Das Volk liebt das. Warum eigentlich, aus Höflichkeit? Schließlich verausgabt sich da ja einer, also muß man auch Zugaben fordern (NEIN, bitte nicht, dachte ich).

Musikalisch empfand ich den Solisten also als so eine Art Furunkel an einem orchestralen Werk. Es sollte sich doch in ein Werk einfügen, und nicht irgendwo drüberschweben!

Ein anderes Beispiel sind Cellokonzerte von Elgar oder bspw. Kabalewsy. Die Celli treten auch heraus, fügen sich aber viel besser ein, finde ich. Ebenso wenn in Sibelius' "En Saga" die Klarinette (oder war es eine Oboe?) das Werk ausklingen lässt, da kann man nur dahinfließen- aber es passt eben ins Werk. Behaupte ich.
Kreisler_jun.
Inventar
#5 erstellt: 29. Jan 2009, 15:02

Gantz_Graf schrieb:

Ich durfte mir vor etwa zwei Monaten ein Violinenkonzert von Tschaikowsky antun. Bisher hatte ich mir immer großorchestrale Werke angetan, in denen Soli, wenn sie vorkommen, besser integriert sind. Was ich aber beim Tschaikowsky sah, ließ mich erschrecken. Lange Soli für den Violinisten, immer mal wieder schnelle Passagen, leise verklingende höchste Töne (Effekthascherei!), der Solist schleimt immer mal wieder um den Dirigenten herum, wie Gollum, immer so von unten herangepirscht, Bah! Als wolle er dem Dirigenten Rosen verkaufen - nein, das war nicht mein Geschmack.


Sehr schön!
Das Tschaikowsky-Konzert ist tatsächlich ein extremer Fall (meiner ebenfalls ganz und gar nicht.. )
In einem Konzert ist es freilich, anders als bei Sinfonien u.ä., erwünscht, daß der Solist hervortritt. Allerdings ist er bei den Konzerten von z.B. Brahms oder Beethoven wesentlich stärker ins Ganze eingebunden als bei Tschaikowsky.



Das Volk liebt das. Warum eigentlich, aus Höflichkeit?


Nein, die Leute lieben das schon ehrlich und heiß und innig! Eher wird bei der Mahler-Sinfonie aus Höflichkeit geklatscht als beim Violinkonzert.

@Martin: Du hast natürlich völlig recht, da es keinen Bläserchor gibt, sind dort Soli ziemlich häufig. Aber sie sind meist kurz und wirken daher normalerweise auch nicht so konzertant wie es bei Streichersoli der Fall sein mag (ist bei Brahms' 1. oder 2. Klavkonzert aber auch nicht so.)
Ausnahmen wie z.B. die Bläsersoli in der "Pastorale" oder in Berlioz' Fantastique haben dann oft einen Hintergrund im außermusikalischen poetischen Programm.

Eine wirklich gute Erklärung für das von Dir genannte Phänomen, über die Andeutungen, die ich oben gemacht habe, hinaus, kann ich auch nicht liefern.
Es entspräche aber dem Eindruck von Gantz_Graf, wenn vielleicht auch schon damals das "frivole Konzertieren" eben in der "ernsten" Sinfonik nicht gewünscht worden wäre...

viele Grüße

JK jr.
Martin2
Inventar
#6 erstellt: 29. Jan 2009, 16:39
Hallo Kreisler Junior,

ich habe heute mal wieder Beethovensinfonien gehört. Die 1., 3. und 8. Und irgendwo, ich glaube im Finale der 3. gibt es da tatsächlich wohl eine Passage für Violine und Streichquartett oder so. Also wars auch bei Beethoven nicht schlichtweg tabu. Aber es ist halt sehr selten.

Gruß Martin
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