* Das Melodram

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WolfgangZ
Inventar
#1 erstellt: 15. Mai 2008, 22:21
Hallo, miteinander!

Melodramen - die Verbindung von gesprochenem Wort und Musik, dramatischer, epischer oder auch lyrischer Natur.

Ich habe mir überlegt, dieses Thema unter Vokalmusik einzuordnen. Aber es wird ja nicht gesungen.

Mit zwei interessanten Beispielen gänzlich unterschiedlicher Natur möchte ich beginnen.

Vielleicht habt Ihr auch Werke im Hinterkopf, die Ihr hier vorstellen wollt.



http://www.amazon.de...id=1210882345&sr=1-3


Der italienische Komponist Mario Castelnuovo-Tedesco (1895 - 1968 ), am ehesten bekannt durch einige folkloristisch angehauchte, neoklassizistische Gitarrenkonzerte, schrieb "Platero und ich", im spanischen Original "Platero y yo", für Sprecher und Gitarre, op. 190, im Jahre 1960.

Zugrunde liegt eine Folge lyrischer Skizzen voller Jugendstilmelancholie, ein stilistisch erlesenes, höchst anspruchsvolles Quasi-Kinderbuch des spanischen Autors und Nobelpreisträgers von 1956 Juan Ramon Jimenez (1881 - 1958 ), das zwischen 1907 und 1916 entstand.

Die meist nur eine halbe oder eine ganze Seite umfassenden rund 130 Szenen aus dem Leben des Ich-Erzähles, eines Außenseiters, der erfüllt von der Liebe zu seinem Esel, quasi eins wird mit ihm, werden auszugsweise vertont, das heißt von der Gitarre untermalt. Surreale Szenen, etwa die Erfahrung eines riesigen Rosenmeeres, Alltagsapercus aus einer bäuerlichen Welt in Andalusien, an der der intellektuell angehauchte, Bücher lesende Held nicht wirklich partizipiert, ihren Riten, Bräuchen und Festen stehen neben Gedankensplittern, wenigen kurzen Liedpassagen, die in die Welt der maurischen Folklore entführen, kleinen Dialogen, vor allem aber Monologen, schließlich dem Tod des Esels und seinem Eingehen in den Himmel.

Die Gitarrenmusik ist charmant, eher ruhig, nicht monoton, bisweilen aber doch zu beiläufig und harmlos, um gleichberechtigt neben der Originalität der Texte bestehen zu können.

Ich habe das Werk bei einem Konzert in unserer Region kennengelernt, für das ich eine Zeitungsbesprechung schrieb, und mir dann die obige CD zugelegt, die durchaus überzeugen kann.

Im Gegensatz zu nicht wenigen Melodramen ist dieses Werk bewusst episch-lyrisch und nicht etwa dramatisch konzipiert.



http://www.amazon.de/Genesis-Suite-Rso-Berlin-Schwarz/dp/B0002TNI80/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=music&qid=1210882566&sr=1-1


Die 1945 entstandene Gemeinschaftsproduktion "Genesis Suite" erschien 2004 bei Naxos im Rahmen der Serie: American Classics - The Milken Archive of American Jewish Music. Neben amerikanischen Sprechern beiderlei Geschlechts singt der Ernst-Senff-Chor. Es spielt das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Leitung von Gerard Schwarz.

Die 55 Minuten lange Komposition mit den relevanten Bibeltexten (außer dem rein instrumentalen Präludium), die von effektvoller Orchestermusik untermalt werden, hat folgende Teile:

1. Arnold Schönberg: Prelude (05:53)
2. Nathaniel Shilkret: Creation (11:07)
3. Alexandre Tansman: Adam and Eve (11:32)
4. Darius Milhaud: Cain and Abel (04:46)
5. Mario Castelnuovo-Tedesco: The Flood (11:03)
6. Ernst Toch: The Covenant (The Rainbow) (05:36)
7. Igor Strawinsky: Babel (05:37)

Die Teile 2, 3 und 6 wurden bezüglich der Orchestration anhand von erhaltenen Manuskripten rekonstruiert. Das Gesamtwerk der jüdischen Beiträger, die zumeist als Emigranten während des Krieges in Hollywood lebten, wurde nur einmal - 1945 - aufgeführt. Kurze Zeit später verbrannten dann Großteile des Manuskripts.

Der Schönberg ist eine zwölftönige Fantasie. Der von dem eher als Unterhaltungs- und Filmkomponisten geläufigen Shilkret verfasste zweite Satz setzt erstmals den Chor ein, der dann vor allem in dem am ehesten separat bekannt gewordenen Strawinsky-Finale Verwendung findet. Shilkrets Musik ist denn auch betont illustrativ. Aber auch der sonst eher folkloristisch und neoklassizistisch komponierende Italiener hat die Sintflut sehr pathosgeladen vertont. Tansman und Toch bleiben meines Erachtens weniger im Ohr. Milhauds Personalstil wiederum kann man unmissverständlich nachvollziehen.

Eine durchaus originelle Entdeckung. Gute Klangqualität und ein exzellentes Booklet zum Naxos-Preis!

Besten Gruß, Wolfgang
Klassikkonsument
Inventar
#2 erstellt: 17. Mai 2008, 03:51
Hallo Wolfgang und alle Melodram-Interessenten,

ein Werk, das weder in diesem noch im Neue Musik-Thread fehlen darf, ist Schönbergs Pierrot lunaire von 1912. Der sprechgesungene Text (der spezielle Sprechgesang, der nicht bloß den Rhythmus, sondern durchaus auch Tonhöhen für den Text vorschreibt, dennoch nicht gesungen werden soll, bietet so einige Probleme) stammt vom Belgier (?) Albert Gireaud in der Übersetzung von Otto Erich Hartleben.

Aber zu so später Stunde kann ich da nicht mehr viel zu schreiben.

Kürzlich gekauft, aber noch nicht gehört habe ich das etwa 1stündige Melodram Enoch Arden von Richard Strauss nach Tennysson.

Zahlreiche Werke haben auch melodramatische Momente (im Sinne des Threads ):

Etwa Strawinskys Geschichte vom Soldaten oder sein Renard.

Schönberg lässt Moses in Moses & Aron seinen Text weitgehend sprachgesanglich vortragen, und auch in Bergs Opern kommt, glaub' ich, der Sprachgesang vor.

Gerade was den Pierrot angeht, ergibt sich die vielleicht spannende Frage, ob eine zu rigide Festschreibung in den Noten nicht zu sehr das schauspielerische Element beschränkt, das die Gattung 'Melodram' traditionell hat.

Viele Grüße


[Beitrag von Klassikkonsument am 17. Mai 2008, 03:53 bearbeitet]
Mellus
Stammgast
#3 erstellt: 17. Mai 2008, 11:25
Hallo Melodramatiker,


klassikkonsument schrieb:
ein Werk, das weder in diesem noch im Neue Musik-Thread fehlen darf, ist Schönbergs Pierrot lunaire


Das stimmt. Schönberg hat aber noch weitere Melodramen (Monodramen) geschrieben, die hier auch erwähnt werden sollten: Erwartung, Die glückliche Hand und Ein Überlebender aus Warschau.

Der Text zu Erwartung wurde auf Schönbergs Wunsch -- "Schreiben Sie mir doch einen Operntext, Fräulein!" -- von Marie Pappenheim verfasst. Schönberg komponierte 1909 eine freitonale, fließende, hochexpressive Musik zu ihrem Libretto. Eine Frau, verwirrt?, nachts allein im Wald. Sie wartet auf ihren Geliebten. Und findet seinen blutbefleckten Körper unter einer Parkbank. Aber eigentlich geht es um Seelenzustände in Wort und Ton, musikalische Psyschoanalyse (frei nach Adorno).

Die glückliche Hand (1910-13) ist ein etwa 20-minütiges Drama in vier Bildern. Die Handlung verläuft traumartig, symbolisch. Protagonist ist ein Mann. Im ersten Bild wird er von einem "katzenartigen Fabeltier" niedergehalten. Gesichter von sechs Frauen und sechs Männern erscheinen und wollen den Mann von seinem Wunsch, die Wirklichkeit zu erfahren abbringen. Das gelingt natürlich nicht. Er folgt einer Frau und über Becher, Schluchten und Ambosse führt die Szenerie wieder zurück in das erste Bild. [Das ist eine kurze, krude Darstellung, sorry. Ohne Interpretation kommt man hier nicht weit und die würde hier zu weit führen -- selbst wenn ich sie leisten könnte.]

Um einiges später, nämlich 1947, ist Ein Überlebender aus Warschau erschienen, ein Stück für Sprecher, Männerchor und Orchester. (Da Schönberg sich zu diesem Zeitpunkt bereits im amerikanischen Exil befand -- als "entarteter Musiker" und Jude war ihm das Leben in NS-Deutschland unmöglich geworden -- ist der Originaltitel eingentlich "A Survivor from Warsaw".) Die äußerliche Kürze des Zwölftöners von etwa sieben Minuten kondensiert die Handlung, eine Apellselektion im Warschauer Ghetto, zu einem dichten Minidrama. Erzählt wird aus der Perspektive eines Überlebenden, der sich daran erinnert, wie Juden zur Hinrichtung ausgewählt werden. Die Sprache der Erinnerung ist Englisch, Befehle, die deutsche Soldaten brüllen, werden jedoch in Deutsch wiedergegeben. Das Stück mündet in das Sema' Yisroel, das jüdische Glaubensbekenntnis.

Über klassifikatorische Feinheiten -- sind Schönbergs Monodramen echte Melodramen? -- lässt sich sicher streiten. Der klassikkonsument hat zum Ende seines Beitrages ja eine Richtung des Zweifels aufgemacht.

Viele Grüße,
Mellus
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