Boxenflugsystem - rechtliches und Abnahme?

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vt-reichert
Neuling
#1 erstellt: 15. Dez 2009, 23:48
Hallo zusammen,
momentan bin ich dabei ein Stack - Linearraysystem zu planen. Dieses würde ich gerne in Masse (also keine Einzelstücke) bauen und auch verkaufen. Die Technik, Bauweise etc. ist schon geplant. Im Moment hänge ich an der Sicherheit fest. Die Boxen sollen mit Lochplatten (ähnlich d&b Q-Serie) verbunden werden. Die Platten werden mit Schraubenpaaren (2 metallschrauben mit Plastikkopf und mit Stahldraht verbunden) an den Boxen verbunden. Somit wäre auch das Stack gesichert. Nun ist meine Frage, was ich bei dem Flugsystem beachten muss und vorallem, wo ich das abnehmen lassen kann und mit welchen Bestimmungen das Flugsystem abgenommen wird?
Eine Sicherheitsanleitung werde ich dazu auch erstellen (z.B. max. 4 Boxen aneinander beim Fliegen etc.)
Wäre schön, wenn jemand Erfahrungen damit hat und mir behilflich sein könnte.
Dankeschön.
the_flix
Inventar
#2 erstellt: 16. Dez 2009, 17:09
Aus meinem Praktikum habe ich den Richtwert "um Faktor 10 überdimensionieren" noch im Hinterkopf. Ob das allerdings aus Bestimmungen folgt oder ob da noch eine freiwillige Reserve drin ist, weiß ich nicht.
Klausi745
Stammgast
#3 erstellt: 16. Dez 2009, 20:37
Festigkeitsberechnungen in der Technikerschule:

Schwebende Lasten über Menschen immer mindestens Sicherheitsfaktor 10!
Am einfachsten mal mit den zuständigen Leuten reden die das dann auch abnehmen müssen
Farad
Stammgast
#4 erstellt: 16. Dez 2009, 21:20
Hallo.

Im Internet und vor allem den Internetforen steht sehr viel Unsinn zu diesem Thema. Nur wenige kennen sich wirklich aus, es wird aber alles nachgeplappert.

Das Thema ist ziemlich komplex, ich will aber versuchen es kurz zu beantworten.
Jeder, der Lautsprecher (oder irgendwas anderes) in Verkehr bringt, ist für die Sicherheit verantwortlich. Der Hersteller garantiert also beim Verkauf, dass sein Produkt sicher ist, wenn es gemäß dem Bestimmungszweck eingesetzt wird.
Solange nichts passiert, bedarf es grundsätzlich keinerlei Nachweis, wie er zu der Annahme kommt, dass sein System sicher ist.
Wie kann er im Schadensfall nachweisen, dass sein System nach den anerkannten Regeln der Technik aufgebaut ist?
Es bedarf einer Statik. Diese Statik muss eine Sachkundige Person erstellt haben, also jemand der Theater- und Veranstaltungstechnik studiert hat, ein Prüfstatiker, ein Bauingenieur, ein Maschinenbauer oder etwas in dieser Richtung.
Grundsätzlich gehört ebenfalls zum Stand der Technik, dass nach dem Vier-Augen-Prinzip verfahren wird. Es muss also jemand nachrechnen oder zumindest auf Plausibilität prüfen und ebenfalls unterschreiben, dass er nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat.
Wie wird eine solche Statik erstellt? Mit Faktor 10 hat das erstmal nichts zu tun, auch wenn immer und immer wieder davon erzählt wird. Die Statik wird erstellt nach Maschinenbaurichtlinien oder nach Stahlbaunorm, je nach Anforderungen, Lastfällen usw usf ist mal das eine günstiger, mal das andere. Es wird mit den allgemein üblichen Sicherheitsfaktoren gerechnet, die in den DIN-Normen festgelegt sind. Auf der Werkstoffseite ist dies 1,1 weil Gefahr für Leib und Leben besteht. Auf der Lastseite nimmer man für solch "gefährlichen" Fälle meist 1,5 wegen ungünstiger, veränderlicher Einwirkungen.
Die vielzitierte BGV-C1 sagt nun, dass alle handlösbaren Teile (nur dafür gilt sie nämlich, sonst sind die Elemente nicht mehr ortsveränderlich und fallen daher raus) nur mit der Hälfte der maximalen Last (gegen Bruch, nicht Verformung) belastet werden dürfen. Schäkel werden in aller Regel vom Hersteller mit Faktor 5 gegen Bruch dimensioniert, das angegebene WorkingLoadLimit muss also halbiert werden. In der Summe gibt das dann den wohlbekannten Faktor 10. Mit der Auslegung der Flugmechanik hat das nichts zu tun. Wenn die schwächste Stelle 10 Einheiten tragen würde, dann dürfen eben letztlich nur 5 Einheit aufgehangen werden, wenn die Auslegung nach BGV-C1 erfolgt.

Was hat es mit der Abnahme auf sich? Grundsätzlich braucht kein Flugsystem - ob nach C1 ausgelegt oder nicht - "TÜV". Der Hersteller kann - wenn er auf Nummer sicher gehen, oder damit werben will - eine Baumusterprüfung durchführen lassen. Ist die erfolgreich, kann er nämlich das GS-Zeichen auf sein Produkt drucken.
Die Baumusterprüfung besteht aus zwei Teilen. Erstmal wird die vorhandene Statik geprüft. Das heißt, es muss eine geben, der Tüv rechnet einem das nicht! Ist diese Prüfung erfolgreich, kommt es zu einem Belastungstest der kritischen Bauteile. Es wird also eine Versuchsanordnung aufgebaut (vom Hersteller!), entweder an einem Prüfstand oder "in echt", bei der nachgewiesen wird, dass die angegebene Maximallast ohne Bruch erfolgreich ertragen wird.
Soll nun das begehrte Oktaeder vom TÜV drauf, muss ein Rahmenvertrag geschlossen werden, die Pickerl werden in etwa wie Steuermarken eingekauft. Dieser "Stempel" verfällt jedoch auch. Der Hersteller versichert, dass sein Produkt dem Baumuster entspricht. Nach einer gewissen Frist (ich hab sie nicht im Kopf) muss das Teil einer "erneuten" Prüfung unterzogen werden, wenn das Pickerl gültig bleiben soll, und die wird von einem Sachverständigen ausgeführt. Dies machen in aller Regel die Herren, die auch Fahrgeschäfte abnehmen oder dgl. Vom TÜV-Süd ist der Herr Mührel aus Dresden der richtige Ansprechpartner. Er ist einer der wenigen Sachverständigen beim TÜV-Süd, die eine Baumusterprüfung durchführen bzw. ihr beiwohnen. Selbstverständlich kann eine Baumusterprüfung auch bei der DEKRA oder den anderen üblichen Verdächtigen durchgeführt werden.

Im Schadensfall ist diese Baumusterprüfung jedoch lediglich eine Untermauerung, dass der Hersteller alles Menschenmögliche getan hat, um den Stand der Technik zu erfüllen. Hat er eine Aussagekräftige Aufbauanleitung, eine Statik etc, hat er weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt und ist (höchstwahrscheinlich) nicht schuldig.

Kurzum: Es braucht gar keine Abnahme. Das System muss aber ausreichend tragfähig dimensioniert sein und es sollte - wie immer - nichts passieren. Bei größeren Produktionen kann es aber vorkommen, dass eine Abnahme der ganzen Bühnenkonstruktion bzw. der ganzen Veranstaltung stattfindet, meist durch das Ordnungsamt vor Ort. Oft möchten die dann die Statik sehen. Mit oder ohne TÜV ist zweitrangig. Im Zweifelsfall haben die Herren und Damen wie immer das Recht die Veranstaltung zu blockieren, wenn sie Gefahr für Leib und Leben wittern.

Hoffentlich ist das Thema hiermit mal erschöpfend behandelt.

Grüße!
vt-reichert
Neuling
#5 erstellt: 16. Dez 2009, 23:51
Danke für deine Antwort. Sie hat mir seh weitergeholfen. Ich denke ich gehe wie folgt vor:
Ich entwickle ein Flugsystem, das meiner Meinung nach tragfähig genug ist und erstelle einen Prototypen. Mit dem renne ich zum Architekten / Statiker und lasse mir das prüfen/berechnen.
Wenn die Auflagen größer werden renne ich zum TÜV und hole mir so ein GS Zeichen.
Ist das so ok? Habe ich deine Antwort damit richtig verstanden?
Tallica
Ist häufiger hier
#6 erstellt: 17. Dez 2009, 02:16
*beeindruckt von Farad's Ausführungen*

.. vielleicht noch ein kurzer Eindruck eines Veranstaltungstechnikers: wir verwenden die Kühe auch (Q1, Q7, Q10, Q-Sub), wobei durchaus 8 oder mehr untereinander hängen + 2 Subs obendran. Die Frames müssen halt die Last tragen können (wir rechnen IN DER PRAXIS pixDaumen mit 12facher Sicherheit bei geflogenem Material, also bei 300 Kg Last kommen mindestens 6.75 to. Schäkel zum Einsatz).

Intern wird das Material jedes Jahr "unter Beaufsichtigung von geschultem Fachpersonal" kontrolliert und ggf. getauscht bzw. instandgesetzt. Konkret heißt das: Sobald du über den (sicher aufwändigen) Start hinweg bist, ist es nur noch halb so schwer. Die tatsächliche Prüfung erfolgt teils von Aushilfen, bei denen "geschultes Fachpersonal" alle Stunde mal vorbeischaut. Jedoch sind hier auch Techniker im Einsatz, die bei Feststellung von Mängeln vor Ort das Material direkt in die Werkstatt schicken.

Freue mich auf Neuigkeiten hierzu, das interessiert mich auch - vor Allem, wie du das Winkeln der Array-Elemente vornimmst.
Viel Erfolg wünsche ich!
Farad
Stammgast
#7 erstellt: 19. Dez 2009, 03:57
Hallo.


wir rechnen IN DER PRAXIS pixDaumen mit 12facher Sicherheit bei geflogenem Material, also bei 300 Kg Last kommen mindestens 6.75 to. Schäkel zum Einsatz).


Das ist genau, was ich oben meinte. Irgendjemand hat mal gehört, dass man mit Faktor 10, oder gar mit Faktor 12(!) dimensionieren soll und gibt das auch so an die Azubis weiter. Einen Schäkel so derart überzudimensionieren ist völlig unsinnig.

Der Wortlaut der BGV-C1 lautet in der Durchführungsanweisung ganz klar:



— Tragmittel, wie Seile und Bänder, höchstens mit einem Zehntel der rechnerischen Bruchkraft unter Mitbewertung der betriebsmäßig auftretenden dynamischen Vorgänge

und

— Anschlagmittel, wie Seile und Bänder, höchstens mit einem Zwölftel der rechnerischen Bruchkraft beansprucht werden. Sonstige Anschlagmittel dürfen maximal mit dem 0,5fachen Wert der vom Hersteller angegebenen Tragfähigkeit belastet werden.



Ein Zwölftel der rechnerischen Bruchkraft ist selbstverständlich NICHT ein Zwölftel des angegebenen WorkingLoadLimits.
Die vom Hersteller angegebene Tragfähigkeit ist bereits das WorkingLoadLimit. Steht auf einem Schäkel WLL1t, so können damit bedenkenlos 500kg geflogen werden. Das ist absolut C1-konform.

Würden alle Teile auf ein Zwölftel des WLL ausgelegt, wären die Bolzen der Schäkel ganz schnell so schwer, dass man sie schon wieder sichern muss. Das ist absurd. Irgendwann hat man einen Panzer an der Decke hängen, aus dem zufällig auch noch Musik kommt und die maximale Hängepunktlast des Daches wird überschritten. Grundsätzlich wird so wenig wie möglich und so viel wie nötig geflogen und dazu gehört eben auch eine sinnvolle Dimensionierung der Anschlag- und Tragmittel, ebenso wie die der Fittings.


vt-reichert, das ist ein gangbarer Weg. Bedenke, dass für die ganze Prozedur etwa eine hoher vierstelliger bis niedriger fünfstelliger Betrag zu veranschlagen ist. Von den akustischen Qualitäten deiner Entwicklung noch völlig abgesehen. Bei der Line-Array-Entwicklung wird meist noch recht viel Aufmerksamkeit auf das vertikale Abstrahlverhalten und die Kopplung der Elemente gelegt, das horizontale Abstrahlverhalten aber vernachlässigt. In der Praxis ist dies jedoch sehr wichtig, da - im Gegensatz zum Hifi-Bereich - die wenigsten Zuhörer auf Achse stehen. Die Entwicklung eines Line-Arrays mit hohem Maximalschalldruckpegel (10% THD vs. Frequenz), gleichmäßigem Abstrahlverhalten in der Horizontalen und echte Line-Array Eigenschaften unter allen Curvingwinkeln und bis über 12kHz ist nicht trivial.
D.Achenbach
Inventar
#8 erstellt: 19. Dez 2009, 12:45

vt-reichert schrieb:
Danke für deine Antwort. Sie hat mir seh weitergeholfen. Ich denke ich gehe wie folgt vor:
Ich entwickle ein Flugsystem, das meiner Meinung nach tragfähig genug ist und erstelle einen Prototypen. Mit dem renne ich zum Architekten / Statiker und lasse mir das prüfen/berechnen.
Wenn die Auflagen größer werden renne ich zum TÜV und hole mir so ein GS Zeichen.
Ist das so ok? Habe ich deine Antwort damit richtig verstanden?


Ich würde das ein klein wenig abwandeln.
Entwickle ein Flugsystem, gehe mit dem Plan zum Statiker und lasse es durchrechnen, baue dann deinen Prototypen.
Es erspart die viel Arbeit, Zeit und Geld, falls der Statiker was daran auszusetzen hat.

Ansonsten möchte ich mich den Worten von Farad anschleißen: Ein Line Array ist keine triviale Entwicklung! Selbst renomierte Hersteller brauchen normalerweise Jahre dafür.

Trotzdem viel Spaß beim Entwickeln.

Gruß
Dieter
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