Wiener Schule - Die Streichquartette

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Martin2
Inventar
#1 erstellt: 07. Feb 2012, 20:23
Ich bin im Besitz folgender Box:

jpc.de

Außerdem habe ich noch die Lyrische Suite in einer Lifeaufnahme mit dem Juliard String Quartett.

Also Streichquartette der Wiener Schule, was fällt mir dazu ein? Wir hatten mal einen Thread zum Thema Lyrische Suite von Alban Berg, ein "wir hören zusammen" Thread. Damals habe ich mich in die Lyrische Suite reingekniet. Das Werk kam mir näher, ohne doch zu meiner Lieblingsmusik zu werden.

Vieles andere habe ich nur wenig gehört. Auch da hat mir das frühe Streichquartett von Anton Webern am besten gefallen, das ist aber eben allerspäteste Spätromantik. Komischerweise gefielen mir aber auch die radikalen frühen Stücke Opus 5 irgendwie. Die anderen Sachen weniger.

Auch die Schönbergsachen sind schwierig. Auch die wohl noch tonalen Quartette 1 + 2 sind schwierige Kost, auch wenn das zweite ohne Zweifel seine Momente hatte. Vorübergehend schimmerte auch beim 3. etwas auf, aber ich habe diese Musik nicht gründlich gehört. Gar nichts sagen kann ich auch zu Bergs Opus 3.

Also schwere Kost ist diese Musik weitestgehend, aber vielleicht kommen wir über diese Box ja doch mal ins Gespräch.

Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#2 erstellt: 07. Feb 2012, 22:03
Hallo!

Die alte La-Salle Interpretationen habwe ich auch, m.E. sind sie heute noch Maßstabsetzend, allerdings habe ich auch mit Ausnahme von Berga Op.3 auch noch die Juiliard-Aufnahmen sowie einiges davon vom Alban Berg Quartett.

Auch Weberns frühes Streichquartett und Schönbergs Op.10 haben schon atonale Passagen, -ja, der "offizielle" Beginn der Atonalität datiert sogar ab Schönbergs Op. 10.

Die Interpretation des La-Salle Quartettes finde ich gelungen aber nicht unbedingt "Einsteigergerecht" da hier die Schwerpunkte ausdrücklich auf die "Modernität" dieser Musik gelegt werden. Für eine einsteigergerechte Interpretation würde ich mir eher eine Perspektive vorstellen die die Verwandschaft dieser Musik mit der Tradition hervorhebt. Eventuell die alte Mono-Einspielung mit den Juiliards.

MFG Günther
Joachim49
Inventar
#3 erstellt: 08. Feb 2012, 01:16
jpc.de
... die alte mit den Juilliards. Meinst Du diese, die gerade wieder erschienen ist?
Klassikkonsument
Inventar
#4 erstellt: 08. Feb 2012, 03:47
Hallo zusammen,

mir liegen neben den LaSalle-Aufnahmen noch einige weitere vor (Berg mit dem Alban-Berg-Quartett, Schönberg mit dem Arditti & dem Kolisch Quartet, Webern mit den Juilliards der 70'er und noch ein paar einzelne).

Hörbert
Inventar
#5 erstellt: 08. Feb 2012, 12:02
Hallo!

@Joachim49

Ja die Box enthält neben den Bartok-Streichquartetten die frühen Aufnahmen der Schönbergwerke sowie die Lyrische Suite, und dem Op. 3 von Alban Berg die mit Opuszahlen versehenen Werke von Webern aus den Jahren1949 (Bartok) und 1952 (Schönberg, Berg, Webern). Die späteren Aufnahmen der Schönbergquartette aus den 70ger Jahren vermitteln ein völlig anderes Bild, hier sind auch die Juiliards auf das seinerzeit vorherrschende Schönbergbild aus der Sicht der seriellen Schule a´la Boulez/Maderna eingeschwenkt.

Aber in diesen älteren Aufnahmen zeigt sich (ähnlich wie z.B. bei der Interpretation von Weberns Klaviervariationen Op. 27 durch Peter Stadlen) ein eher tradionell gefärbtes Schönbergbild das die Verbundenheit dieser Musik mit Brahms und ihre Verwurzelung in der Spätromantik deutlich aufzeigt. Auch sind die Unterschiede im Komponierstil von Schönberg und Webern sind hier deutlicher herausgearbeitet als das bei späteren Interpretationen der Fall ist, hier wurde vor allem in den 60gern und 70gern Schönberg gerne "Verwebernd" interpretiert.

Die Klangqualität dieser alten Aufnahmen ist nicht so toll, aber die Interpretation enschädigt dafür allemal, -ohnehin ist diese ältere Perspektive kaum dokumentiert-.

MFG Günther
Joachim49
Inventar
#6 erstellt: 08. Feb 2012, 23:11
In Diapason, der frz. Klassikzeitschrift, in der die Juilliardaufnahmen sehr lobend besprochen werden, steht übrigens, Schönberg habe die Juilliards bei der Aufnahme beraten. (Schönberg starb 1951, die Aufnahmen erschienen 1952). Sollte dies bedeuten, dass Schönberg für dieses traditionelle (im von Günther angedeutetem Sinn) Schönbergbild mit verantwortlich ist?
mit freundlichen Grüssen
Joachim
Kreisler_jun.
Inventar
#7 erstellt: 09. Feb 2012, 00:22
Dass Schönberg, als er die Werke komponierte, kein "Boulez-Maderna"-Schönbergbild haben konnte, dürfte offensichtlich sein. Und dass er das Ende der 40er Jahre noch gelernt hat, scheint auch unwahrscheinlich...
Joachim49
Inventar
#8 erstellt: 09. Feb 2012, 01:46
.... aber darum muss er ja nicht unbedingt die Verbundenheit mit Brahms als Interpretationsperspektive wählen, oder?
Hörbert
Inventar
#9 erstellt: 09. Feb 2012, 11:19
Hallo!

Schönberg selbst hat nie ein Hel daraus gemacht das er sich als Tradionalist gesehen hat, er selbst betrachtet seine Werke als eine Weiterführung der abendländischen Musik und hatte eigentlich mit einem Bruch (als ein solcher erscheint die neue Musik zuweilen) nichts am Hut. Eine Abgrenzung gegenüber dem konservativen Musikschaffen wie sie vor allem während der 50ger und 60ger Jahre vollzogen wurden lag wahrscheinlich gar nicht in seinem Sinne. Auch Webern und Berg haben sich wohl eher in diesem Licht gesehen.

Die historisch bedingte Situation in der sich die neue Musik in Italien, Österreich, Deutschland und in einer etwas weniger deutlichen Perspektive im Rest der Welt nach den zweiten Weltkrieg wiederfand hat zu dieser deutlichen Polarisierung in den 50gern und 60gern geführt und lässt uns in der Retrospektive auch die Wiener Schule um Schönberg in einem deutlich anderem Licht sehen als sie damals wahrgenommen wurde. Inwieweit Schönbergs Musik heutzutage durch die Interpretationspraxis der 50ger, 60ger und 70ger Jahre aus der Sicht der damaligen Interpreten an Verständlichkeit gerade für Einsteiger erschwert wird läßt sich kaum ermessen. Neuere Interpretationen schalten hier oftmals einen Gang zurück und Interpretieren gerade Schönberg weniger "neu" als das noch vor zwei Jahrzenten üblich war, (so z.B. die Naxos-Aufnahmen mit dem Fred Sherry String Quartett)

Die La-Salle Aufnahme, -so gut sie auch ist-, hingegen zeigt genau dieses Bild, eine kompromisslose Sicht aus der Perspektive der neuen Musik. Diese Interpretationspraxis hat durchaus ihre Reize, zumal sie seinerzeit auch vor Brahms und Beethoven nicht haltgemacht hat, man vergleiche nur die Interpretation der Beethoven-Streichquartette des Juilliard-Quartetts aus dem 70ger Jahren mit einer aktuelleren Einspielung.

MFG Günther


[Beitrag von Hörbert am 10. Feb 2012, 15:46 bearbeitet]
Klassikkonsument
Inventar
#10 erstellt: 10. Feb 2012, 03:16

Hörbert schrieb:
Schönberg selbs hat nie ein Hel daraus gemacht das er sich alt Tradionalist gesehen hat, er selbst betrachtet seine Werke als eine Weiterführung der abendländischen Musik und hatte eigentlich mit einem Bruch (als ein solcher erscheint die neue Musik zuweilen) nichts am Hut. Eine Abgrenzung gegenüber dem konservativen Musikschaffen wie sie vor allem während der 50ger und 60ger Jahre vollzogen wurden lag wahrscheinlich gar nicht in seinem Sinne. Auch Webern und Berg haben sich wohl eher in diesem Licht gesehen.


Das stimmt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es da einen hörbaren Unterschied gibt. Mit der LaSalle-Aufnahme habe ich das 2. Streichquartett von Schönberg kennengelernt. Und mich hat die Musik gepackt, so dass ein dezidiert unromantischer Ansatz für mich jedenfalls nicht die Leidenschaft ausschließt, die in mir auch von z.B. Beethoven ausgelöst wird. Immerhin hat dieses Werk einen veritablen Uraufführungsskandal erlebt. Und der Reiz dieses Werkes liegt doch nicht zuletzt
Klassikkonsument
Inventar
#11 erstellt: 10. Feb 2012, 03:34
in dem eingelösten Anspruch neue Welten zu erschließen ("Ich fühle luft von anderem planeten"). Dieses Neue wollte Schönberg durchaus.
Aber ich hab ja die Einspielung mit dem Kolisch-Quartett von Ende der 30'er. Da müsste eine größere Nähe zur Romantik ja erst recht hörbar sein.

Hörbert
Inventar
#12 erstellt: 10. Feb 2012, 16:06
Hallo!

Die Kolisch-Aufnahme kenne ich nicht, kann sein das sie in einer ähnlichen Art und Weise ist wie die frühen Juiliard-Aufnahmen.

Hm, was heißt hörbarer Unterschied? Es sind gewiss die gleichen Noten. Interpretationsunterschiede spielen sich immer "zwischen" den Noten ab. Inwieweit man darauf Wert legt ist natürlich jedem selbst überlassen.

Wie ich schon geschrieben habe ist die La-Salle Interpretation ausgezeichnet, -aber m.E. eben nichts für Einsteiger aus der Perspektive der romantischen respektive spätromantischen Musik-. Die strukturorientierte Sicht des La-Salle Quartetts die eben der Perspektive der seriellen Komponistengerneration der 50ger und 60ger recht nahesteht verkürzt etwas die Art-Deco Wurzeln des ersten und zweiten Quartetts Schönbergs und rückt die beiden späteren Quartette sehr dicht an die Werke ebendieser Zeit heran. Diese Sicht ist natürlich durchaus ebenso legitim wie jede andere. Allerdings würde ich einem Einsteiger nicht gerade zu diesen Interpretationen raten, hier gerät für einen Hörer romatischer Musik wohl schon Schönbergs erstes Quartett leicht zu einem recht harten Brocken.

Für einen Kenner der neuen Musik ab Schönberg kann natürlich gerade die La-Salle Interpretation erhellend sein, -aber das steht dann wohl auf einem anderen Blatt.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#13 erstellt: 10. Feb 2012, 23:19
Interpretationsunterschiede sind gewiß wichtig und eine Interpretation, es braucht nicht einmal eine erwiesenermaßen falsche zu sein, kann einem den Weg zu einer Musik verstellen.

Trotzdem hätte mich noch mehr interessiert, wie es den Forianern denn überhaupt mit dieser Musik gegangen ist, sofern sie sie denn kennen.

Meine wenigen sicher nicht sehr intensiven Eindrücke habe ich ja geschildert.

Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#14 erstellt: 11. Feb 2012, 01:46
Hallo!

Mein Einstieg in Schönbergs Streichquartette erfolgte seinerzeit mit dem 2. Quartett in der Interpretation des "Neuen Wiener Streichquartettes" (Phillips) noch auf alter schwarzer Schallplatte. Obwohl mich die Komplexität des Werkes ansprach war das Quartett nicht gerade eines meiner bevorzugten Stücke da mich der zusätzliche Sopran eher störte. Etwa ein Jahr später habe ich mir dann die alte CBS-Box mit dem gesamten Zyklus, -ebenfalls Schallplatten, CD´s gabs noch gar nichtn das müßte so ca. 1979-1980 gewesen sein-, zugelegt daraus habe ich vor allem das dritte und vierte Quartett gehört, mit den zweiten und dem ersten Quartett habe ich mich erst etwas später angefreundet (ca. 1982). Dann bin ich auf die La-Salle Interpretation gestossen die mir damals bedeutend besser gefiel, dann sind die Quartette für eine ganze Weile in meinem Schrank verschwunden und erst Anfang der 90ger habe ich mich wieder damit beschäftigt da ich da endlich wieder Zeit und Muße zum entspannten Musikhören gefunden habe.

Heute haben diese Quartette, -wie auch die von Berg und Webern-, in unterschiedlichen Interpretationen einen festen Platz in meinen Hörgewohnheiten, zumindestens einmal im Monat liegt eines der Schönbergquartette im Player, Berg eher seltener und Webern etwas öfter da eines seiner doch recht kurzen Werke von mir gerne als Einleitung zu einer Serie von Seriellen und Postseriellen Kammermusikwerken genutzt wird.

Allgemein sind diese Quartette bei mir nicht mehr wegzudenken sie sind seit langer Zeit ein wichtiger Bestandteil meiner Hörsitzungen.

MFG Günther


[Beitrag von Hörbert am 11. Feb 2012, 01:53 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#15 erstellt: 15. Feb 2012, 12:50
Hallo Günther,

vielen Dank für Deine Hinweise. Na ja, vielleicht sollte ich in diese Sachen einfach mal wieder rein hören. Die Gefahr besteht bei ( zumindestens für mich) schwieriger Musik, daß man mehr über die Musik redet und sie dabei möglicherweise auch zerredet, als sie überhaupt zu hören. Zeit zum - wie Du es nennst - "entspanntem Musikhören" habe ich ja grundsätzlich.

Ich werde Euch über meine Fortschritte auf dem laufenden halten.


Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#16 erstellt: 15. Feb 2012, 17:17
Hallo!

@ Martin2

Solange du nicht dem ehemals weitverbreiteten Vorurteil daß man neue Musik vorwiegend mit dem Intellekt angehen soll auf den Leim gehst habe ich eigentlich keine Bedenken das du früher oder später neue Musik mit dem gleichen Maß an Genuß hören wirst wie jezt z.B. Bruckner.

Ich kenne -glaube ich mal-, einen guten Teil deines Weges zur neuen Musik. Wenn ich deinen Standpunkt vor einigen Jahren mit deinem jetzigen vergleiche muß ich sagen das du mittlerweile eine gewaltige Strecke zurückgelegt hast.

Ich denke mal den Rest schaffst du schneller als du selbst denkst.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#17 erstellt: 15. Feb 2012, 20:06
Hallo Günther,

ich habe mir heute mal das 1. Streichquartett von Schönberg zweimal angehört. Es beginnt wie ich finde total toll und es könnte sein, daß mir genau dieser Anfang auch schon mal gut gefallen hat. Dann stieg ich aber beim ersten Hören ziemlich aus.

Beim zweiten Hören gefiel es mir schon wesentlich besser. Nur wie mir scheint, enttäuscht es, obwohl eigentlich noch recht tonal, die Hörgewohnheiten spätromantischen oder auch klassischen Hörens. Der 1. Satz scheint mir nicht in Sonatensatzform geschrieben. Das 1. Thema wird ungefähr 3 - 4 Minuten verarbeitet, dann kommt etwas anderes, später im Satz eine wunderschöne lyrische Passage. Das Anfangsthema blitzt zwischendurch auch in späteren Passagen noch mal auf, aber wirklich prägend wird es nirgendwo mehr. Zudem gehen die Sätze wohl ineinander über. Der schnellere 2. Satz ist auch nicht ein Scherzo mit Trio, sondern eher schnell mit langsameren lyrischen Passagen. Der 3. Satz ist wunderbar lyrisch mit lebhafteren Zwischenspielen. Thematisch aber ähnlich unfaßbar wie mancher Regersatz. Ein ABABA wie bei Bruckner höre ich aber nicht heraus. Und dann der letzte Satz, der mir etwas faßbarer erscheint, lebhafter, aber teilweise auch sehr lyrisch, aber doch ganz anders als das typische Schlußrondo, wie man es aus der klassischen Musik kennt.

Na ja, zweimal gehört. Wiegesagt, Reger hat mich ein bißchen auf diese Musik vorbereitet, furchtbar atonal klingt sie nicht, nur strukturell bleibt mir die Musik noch ziemlich unklar. Sie scheint mir fast der Vorstellung einer Unwiederholbarkeit zu folgen, ein anderer Komponist hätte seine guten Ideen viel mehr ausgewalzt. Aber so wie die erste Themengruppe nur einmal erscheint, so findet sich der lyrische Gegenpol nur einmal ziemlich am Ende des Satzes. All das ist ziemlich verwirrend. Ich bin zwar absolut kein analytischer Hörer, nur hat man gewisse Hörgewohnheiten, etwa die der Wiederholung, und diese werden von dieser Musik allerdings enttäuscht.

Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#18 erstellt: 15. Feb 2012, 23:51
Hallo Martin

Schönberg selbst schrieb dazu einen Beitrag in dem er erklärte daß das gesamte erste Quartett ungeachtet seiner Aufteilung als ein gleichsam einsätziges Werk zu Betrachten sei. Alle vier Sätze sind in einer übergeordneten Sonatenform verklammert mit einer das gesamte Werk durchziehenden Durchführung. So übernimmt laut Schönberg der zweite Satz die Aufgabe des zweiten Themas

Mit Regers Op. 74 verwand ist die hier wie dort auftretende kontrapunktische Finesse die alles bis dato dargewesene in den Schatten stellt, beide Werke waren nicht zuletzt wegen ihrer ungewöhnlichen Komplexität seinerzeit das Ziel heftigster Kritik.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#19 erstellt: 16. Feb 2012, 00:31
Hallo Günther,

na ja, wenn's nicht der Schönberg selber gesagt hätte, würde ich sagen: Das ist weit her geholt. Aber der Schönberg muß ja selber wissen, wie er sich sein Werk gedacht hat.

Es ist auch letzlich gleichgültig. Wichtig ist, wie man für sich selbst Struktur in so ein Werk bringt. Auch Schönbergs Hinweis hilft da wenig. Wie ist es denn zu verstehen, daß der zweite Satz das 2. Thema darstellt? Wäre dann der 3. die Durchführung und der letzte Reprise und Coda?. Aus meinem eigenen Hören will mir das nicht plausibel scheinen. Eine Reprise der 1. Themengruppe, die im 1. Satz ungefähr 3,5 Minuten dauert höre ich während des ganzen Werkes nicht, erstaunlicherweise taucht das Thema dann in den übrigen Sätzen wie mir scheint wieder auf, ohne aber noch einmal ausgeführt zu werden.

Mir scheint, dies Werk ist in ziemlich freier Form gehalten; wichtig ist nur, daß man für sich selbst ein paar Landmarken findet und sich die Art der Musik irgendwie klar macht, die Struktur wirklich "verstehen" muß man vielleicht nicht.

Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#20 erstellt: 16. Feb 2012, 09:58
Hallo Martin.

Das ist der einzig richtige Weg, Schönbergs Musiksprache ist oft äusserst eigenwillig, was wohl nicht zulezt auf seine Laufbahn als fast vollkommener Autodidakt -dessen einziger Lehrer Alexander Zemlinsky war- zurückzuführen ist..

Auch Zemlinskys Streichquartette sind hochkomplexe Werke die ebenfalls nicht ganz ohne sind,. Die zunehmende Komplexierung der Musiksprache gerade in der Kammermusik der Spätromantik beziehungsweise der Art-Deco-Musik war wohl auch einer der Gründe die wenig später zum Bruch der Tonalität führten.

Zusammen mit Zemlinskys zweiten Streichquartett, Regers Op. 74 stellt Schönbergs erstes Quartett ein veritabeles Abendfüllendes Programm dar das für mich die mit tonaler Musik erreichbaren Grenzen aufzeigt. Oft läuft gerade diese Mischung bei mir und kann mich noch heute an die Grenze meines Konzentrationsvermögens bringen obwohl ich die drei Werke eigentlich recht gut kenne. Immer aber läßt es mich mit der Überzeugung zurück das danach im tonalen Raum nicht mehr viwele Möglichkeiten offen waren. -es war damals damit quasi alles gesagt was mit tonaler Musaiksprache zu sagen war-.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#21 erstellt: 16. Feb 2012, 13:38
Hallo Günther,

diese Aussage, daß in der tonalen Musik "alles gesagt" sei, will mir allerdings sehr zweifelhaft erscheinen. Gibt es nicht sogar von Schönberg selber den berühmten Satz "Man kann noch eine Menge gute Musik schreiben in C Dur":

Also ich sehe das nicht so, das einzige was ich sehe, ist, daß das Immer -weiter-ausreizen der Tonalität tatsächlich wohl in der Spätestromantik irgendwann an Grenzen stößt. Daraus haben aber verschiedene Komponisten ganz verschiedene Schlüsse gezogen.

Ein Schluß ist: Man kehrt an diesem Punkt wieder um. Das betrifft sehr viele Komponisten. Richard Strauss ist das klassische Beispiel; mit Salome an der Front der damaligen Avantgarde, schreibt er dann später Sachen wie den Rosenkavalier. Regers "altersmilden" Stil hast Du selber erwähnt. Vaughan Williams modernste Sinfonie ist die 4., deren Weg der Modernität er auch nicht fortsetzt, im Fall von Sibelius ist es ebenfalls die 4. und Mjaskovskis frühe Sinfonien wie die 6. und 7. klingen auch moderner als manches späte Werk ( und das hat vermutlich auch nicht nur mit Stalin zu tun).

Also man erlebt bei sehr vielen Komponisten diese "Umkehr", der ganze Neoklassizismus beruht darauf. Man muß das ganze nicht im Sinne eines "Rückwärtsgewandten" sehen, die Neoklassizisten haben schon versucht, sich stilistisch weiterzuentwickeln, sie steigen nur aus der Vorstellung eines immer weiter entwickelten Fortschritts aus.

Ich höre jedenfalls tonale Musik nach Schönbergs Bruch mit der Tonalität sehr gerne, ob das nun Strauss, Reger, Sibelius, Vaughan Williams, Bax, Arnold, die Russen usw. ist und kann dieses "alles ist gesagt" überhaupt nicht nachvollziehen. Man wird vielleicht die absolut sensationelle Orchestration nicht mehr erfinden sowenig wie die nie dagewesene Harmonik, aber Komponieren im Sinne einer "Komposition", im Sinne eines Zusammenstellens verschiedener musikalischer Mittel, ist endlos. Ich kann zum Beispiel ein Stück von Chopin hören und fest stellen, daß ein Klavier als solches wenig sensationell ist, daß die Akkordbegleitung etwas hausbacken wirkt, aber die "Gesamtwirkung" kann trotzdem magisch sein. Und hat ein Stück diese Frische, wie zum Beispiel Howard Hansons 2. Sinfonie, dann ist es mir völlig egal, ob das "rückschrittlich" ist oder "fortschrittlich".

Also dies ein bißchen als Playdoyer für tonale Musik nach Schönberg.

Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#22 erstellt: 16. Feb 2012, 14:19
Hallo Martin.

Schon richtig, aber im Bezug auf eine noch höhere Komplexität der tonalen Struktur war diese ausgereizt. Seit Beethoven tendierte die tonale Musik -die damals als das einzig mögliche System Musik zu schreiben verstanden wurde-, zu immer höherer Komplexität und zu einer immer höheren Verdichtung die zu einer steigenden Belastung für die Form wurde die sie irgendwann sprengen mußte.

Der Neoklassizismus und die verwanden Formen beruhen nicht mehr ausschließlichauf dem herkömmlichen tonalen System sondern stellen eine Abwandlung desselben dar, -zwar ist damit auch eine klassische diatonische Kompositrionsweise möglich aber eben nicht mehr zwingend vorgeschrieben-, insofern sind sie wie Schönbergs Zwölftontechnik, die serielle Reihentechniken und die vielen anderen Abkömmlinge die im Gebrauch sind Systeme die erst nach dem Bruch der Tonalen Kompositionsweise überhaupt erst möglich wurden.

Der Bruch der Tonalität beendete einen Zustand von dem man mit Fug und Recht behaupten kann daß das von dem alten System bereitgestellte Tonmaterial quasi "verbraucht" war. Wie so oft wenn es auf die alte Art und Weise nicht mehr weitergeht fand dieser Bruch fast zeitgleich an unterschiedlichen Orten statt, Schönberg war beileibe nicht der einzige Komponist der mit atonaler Musik experimentierte, (Alexander Skriabin und Charles Ives zum Beispiel sind bekannte Namen von Komponisten die ebenfalls im ersten Jahrzehnt des 20. Jarhunderts mit solchen Strukturen experimentierten). Der Bruch deer Tonalität lag also gewissermaßen in der Luft.

In diesem Sinne möchte ich einmal dein Augenmerk auf ein Werk aus der La-Salle Box richten das für gewöhnlich wenig beachtet wird, ich meine Webern Streichquartett von 1905,In diesem 12 Minuten langen Werk findet -wenig beachtet-, der Bruch der Tonalität ebenfalls statt und zwar lange vor Schönbergs Op. 10 von 1908.

MFG Günther


[Beitrag von Hörbert am 16. Feb 2012, 14:24 bearbeitet]
Joachim49
Inventar
#23 erstellt: 16. Feb 2012, 22:18
... darf ich mich mit einer sehr delikaten Frage mit einmischen? Ist mit dem Bruch mit der Tonalität auch 'hörpsychologisch' eine Schwelle überschritten? Oder wurde die für viele Hörer schon früher, mit der 'Komplexität' und 'Verdichtung' überschritten? Warum ist atonale Musik so wenig beliebt? Liegt's am Schwierigkeitsgrad (also der Komplexität und Verdichtung) oder an der Atonalität? Warum erscheint die tonale Musik so natürlich (was sie vermutlich nicht ist) und wird die atonale oft als 'unnatürlich' erfahren? Hat das nur etwas mit kultureller Prägung zu tun?
freundliche grüsse
Joachim
Kreisler_jun.
Inventar
#24 erstellt: 16. Feb 2012, 22:55
Ich bezweifle, dass tonale und "atonale" Musik einheitlich erfahren wird. Ich finde zB außereuropäische Musik, obwohl sich dort vermutlich Skalensysteme usw. identifizieren lassen, wenn auch keine Dur-Moll-Tonalität, idR viel "fremder" als expressionistische freitonale oder zwölftönige Musik von Schönberg u.a.
(Ebenso einige Musik des MA)

Das 1. Quartett ist meines Wissens überdies "tonal", selbst für das 2. ist noch eine Tonart angegeben. Komplexität hat ja erstmal nichts mit Verlassen der Tonalität zu tun, außer dass beides tendenziell zu Erfassungsschwierigkeiten führen kann.

Wenn man mal technisches beiseite lässt (obwohl da sicher Zusammenhänge bestehen), dann knüpft Schönberg m.E. sehr deutlich an zwei zentrale Aspekte an, die in der Spätromantik zu einem Höhepunkt gelangt waren, bzw. treibt er sie eben noch weiter: Einmal die starke Vereinheitlichung der Entwicklung eines Werks durch Beschränkung auf wenige Keimzellen, die dann organisch entwickelt werden sollen und wo Konvention i.S.v. von Floskeln und Wiederholung ausgemerzt werden sollen. Hier sieht er sich in einer Tradition Bach - Beethoven - Brahms
Und dann die Übersteigerung des Ausdrucks mittels einer entsprechenden Harmonik, was zur Emanzipation der Dissonanz führte. Hier dürfte Wagners Tristan u.a. der Bezugspunkt sein.

Dass dabei keine populäre Musik rauskommt, ist wenig verwunderlich. Beethovens Späte Quartette und Wagners Tristan haben sich ja auch erst sehr allmählich durchgesetzt und werden von nicht wenigen Musikfreunden noch heute eher gemieden...
Martin2
Inventar
#25 erstellt: 17. Feb 2012, 00:22
Also mir ist atonale Musik immer noch sehr fremd. Auf der anderen Seite muß ich sagen, daß ich auch Regers Streichquartette oder jetzt das 1. Streichquartett von Schönberg sehr anspruchsvoll finde. Meine Hoffnung ist dann, daß ich, wenn ich hier Verständnisprobleme ausräume, für die spätere Musik auch besser gewappnet bin. Denn das Problem der "melodischen Prosa" ( Reger) wird sich möglicherweise auch in der atonalen Musik stellen.

Man sollte sich das alles nicht zu schwer machen. Bergs Wozzeck als DVD habe ich etwa lange nicht gehört, aber ich wäre zum Beispiel an einer guten Empfehlung für die Wozzeck und Lulusuite von Berg interessiert. Das war Musik, die mich in jungen Jahren irgendwie faszinierte. Kann mir da jemand etwas empfehlen?

Ich will mich mal langsam rantasten, wobei atonale Musik nicht unbedingt zu meiner Lieblingsmusik avancieren muß - das wird man irgendwie sehen.
Hörbert
Inventar
#26 erstellt: 17. Feb 2012, 10:22
Hallo!

Hier muß man unterscheiden zweischen der Kopositionsmethode und dem Ausdruck der damit erzielt wird.

Sehr viele Atonale- oder auch Zwölftonwerke, ja selbst etliche Werke der späteren seriellen Musik klingen auf´s erste anhören gar nicht so sehr nach neuer Musik. Als Beispiel möchte ich einmal die beiden Symphonien von Henry Dutilleux oder das Chorwerk "Lamento Jeremiae Prophetae" von Ernst Krenek nennen.
Andere Kompositionen sind demgegenüber bewußt auf "neu" getrimmt obwohl hier nur wenige Elemente der neuen Musik eingeflossen sind, hier wäre z.B. Igor Sraviskys "Konzert für Piano, Bläser, Pauken und Kontrabass" von 1930 oder auch Wilhelm Killmayers 3. Symphonie zu nennen.

Die Frage ist also oft eher die was mit welcher Kompositionsmethode erreicht werden soll, respektive von der Interpretationsseite her gesehen welcher Aspekt hervorgehoben werden soll. Weiter oben hatte ich schon das Beispiel mit Beethovens Streichquartette in diversen Interpretationen, -z.B. von den Juiliards aus den 70gern-, entsprechend interpretiert kann wohl auch Wagners Tristan-Overtüre "neu" klingen oder eben Schönbergs 3. und 4. Streichquartett recht Traditionsverwurzelt.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#27 erstellt: 17. Feb 2012, 17:19
Also ob der Dutelliex so unbedingt konservativen Hörgewohnheiten entspricht, weiß ich ja nicht. Ich habe mir heute, angeregt durch Günther, noch einmal die 2. Sinfonie angehört. Es stimmt, als Franzose hat er ein Gefühl für Klang und teilweise klingt es nach Berg und Strawinski. Trotzdem keine Musik, die ich mir öfters anhören möchte.

Ansonsten, bezugnehmend auf diesen Thread, gestern noch mal das 1. Streichquartett von Schönberg und heute das 2. Dem 1. gewinne ich mehr und mehr ab, das 2. ist doch sehr schwere Kost, woran ein strahlender Sopran auch nicht viel ändert.

Also wenn ich solche Musik höre, bekomme ich doch eine Sehnsucht nach Chopin, dessen Klavierkonzerte ich mir mit dem Rubinstein heute noch mal anhörte. Das ist die Musik, die ich liebe und ich werde mir, auch wenn das nicht so toll wie der Chopin sein dürfte, mal wieder die "Golden Age" Box vorknöpfen ( der entsprechende Thread bedarf der Vervollständigung)

Gruß Martin
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