Chopin unterschätzt?

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Richard3108
Inventar
#1 erstellt: 05. Dez 2007, 14:42
hallo,
ich würde euch gerne um Bestätigung oder Widerspruch zu meiner These bitten:
Mein Eindruck ist, dass Chpin in Deutschland nicht den Rang hat, den er in anderen Ländern hat. Er gehört natürlich zu den beliebtesten Komponisten, aber er ist nicht DER Klavierkomponist wie in anderen Ländern, und ich spreche nicht nur von Polen, sondern z.B. von Südeuropa und Asien. Woran liegt es, dass Chopin in Deutschland nicht den allerhöchsten Rang hat??
GRUSS
Martin2
Inventar
#2 erstellt: 05. Dez 2007, 18:09
Interessante Fragestellung. Kann schon sein, daß Chopin in Deutschland unterschätzt wird. Er schrieb halt wenig Klaviersonaten, dafür allerdings viele Einzelstücke. Schon das setzt ihn in Deutschland natürlich etwas herab, wo die Klaviersonate wohl das Muster ernst zu nehmender Musik setzt. Beethoven beherrscht den Konzertsaal, Chopin den Salon. So könnte man es aus deutscher Sicht zugespitzt formulieren.

Ich habe ein paar Chopin CDs, aber nicht viele. Chopin gehört nicht zu meinen Lieblingskomponisten. Möglich, daß sich das noch einmal ändert. Als aber Rubinsteins Chopin vor einiger Zeit im Angebot war ( gibt's das noch?) habe ich nicht zugeschlagen.

Chopin gilt halt als Komponist schöner Einzelstücke, aber weniger als Komponist "großer Werke". Er kann - wie ich finde - ein "musikalisches Drama" nicht gestalten. Das liegt völlig außerhalb seines Bereichs. Er hat als Komponist ganz sicher nicht die Universalität eines Beethovens. Aber natürlich ist er trotzdem ein großer Komponist.
G-Kiselev
Hat sich gelöscht
#3 erstellt: 05. Dez 2007, 19:11
Ich finde Chopin hat in seinem Stil eine ähnliche Meisterschaft erlangt, wie Bach in seinem. Diesen vergleich finde ich nicht unangebracht. Er steht aber nunmal einfach nicht in der deutschen Tradition, noch weniger als etwa Liszt. So sieht es vielleicht auch mit Komponisten wie Scriabin oder Stravinsky aus.

Gruß,
G.
Richard3108
Inventar
#4 erstellt: 05. Dez 2007, 19:24
möglicherweise sind Chopins Werke zu sehr an polnische Geschichte gebunden, um in DEutschland verstanden zu werden. So wie poln. Literaturklassiker nur mit tiefen Kenntnissen der poln Geschichte für einen Deutschen lesbar sind. Ist das vielleicht auch ein Grund? (Andererseits ist Chopin in Asien extrem beliebt - und dort kennt man die poln. Geschichte wohl auch nicht so gut)....

PS: Ich habe eine Rubinstein-Aufnahme von Chopin in Vinyl, (leider nicht mehr im guten Zustand). Großartig. Horowitz playing Chopin find ich aber noch besser.
GRUSS


[Beitrag von Richard3108 am 05. Dez 2007, 19:32 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#5 erstellt: 05. Dez 2007, 19:38

Richard3108 schrieb:
möglicherweise sind Chopins Werke zu sehr an polnische Geschichte gebunden, um in DEutschland verstanden zu werden.


Ach, das glaube ich nicht. Die Chopin Rubinstein Collection gibt es übrigens noch zum billigen Preis. Ich sollte sie mir mal holen.
pt_concours
Stammgast
#6 erstellt: 06. Dez 2007, 00:42

Richard3108 schrieb:
hallo,
ich würde euch gerne um Bestätigung oder Widerspruch zu meiner These bitten:
Mein Eindruck ist, dass Chpin in Deutschland nicht den Rang hat, den er in anderen Ländern hat.


Wie ist denn das, was Du sagst messbar, bzw. wie äußert sich das?
Ich persönlich schätze Chopin sehr, und ich habe (fast)jedes Stück von ihm in mindestens 3 Einspielung (bis auf ein paar ganz kleine Stücke), von den meisten ca. 5-6 Aufnamhen und von den beiden Klaviersonaten besitze ich 10 (Nr.3) oder gar 12 Interpretationen (Nr.2), obwohl diese beiden gar nicht meine Lieblingsstücke von Chopin sind, (eher die Études, Nocturnes, Balladen, vorallem aber die Fantasie f-moll).
Chopin ist, geprägt durch seine Biographie, der slawischen und romanischen Welt näher! So wie Bach, Beethoven, Schubert, Schumann und Brahms der germanischen Welt näher sind. Obwohl ich nicht glaube, dass man im Rahmen solcher Begabungen die nationale Herkunft eine solch wichtige Rolle spielt (Soll heissen, die wirklich großen Künstler werden meiner Meinung überall auf den Welt gleichermaßen geschätzt).
Vielleicht muss man auch nach dem Stellenwert der Klaviermusik bei uns hinterfragen (da Chopin ja fast aussschließlich dieses Genre bedient hat), die liegt wohl in den slawischen Ländern höher als bei uns (oder?), und in Frankreich möglicherweise auch?

Also meine bevorzugten Chopin-Interpreten sind: Cortot, Neuhaus, S.Richter, Rubinstein, Pletnev, vielleicht noch Lipatti, Zimerman - alles keine beonders durch den deutschen Kulturkreis geprägten Interpreten. Diese Beobachtung kann aber auch Zufall sein, denn zu anderen Komponisten fallen mir einige besonders hervoragende Interpreten aus gänzlich anderen Kulturkreisen ein, z.B. bei Debussy Gieseking oder Gulda.
"Die Klaviersonate wird in Deutschland höher geschätzt"- an dieser These ist vielleicht schon ertwas dran.
Und immerhin hat ja Chopin auch die italienische Oper sehr geschätzt (Bellini, Donizetti,..) die bei uns auch nie sehr beliebt war, (oder?)

dies ein paar freie (=unsortierte) Gedanken von mir zum Thema

ob Chopin aber wirklich DER Klavierkomponist ist?
Bach, Haydn, Beethoven, Schubert, Schumann, Liszt, Brahms, Debussy und Bartók hätten für mich diesen Titel genauso verdient!
pt_concours
Stammgast
#7 erstellt: 06. Dez 2007, 00:50

Martin2 schrieb:

Chopin gilt halt als Komponist schöner Einzelstücke, aber weniger als Komponist "großer Werke". Er kann - wie ich finde - ein "musikalisches Drama" nicht gestalten. Das liegt völlig außerhalb seines Bereichs.


Was sind denn "große Werke"? Also die Balladen vorallem aber die Fantasie f-moll sind Gestaltung musikalischer Dramen in höchster Meisterschaft!


Martin2 schrieb:

Er hat als Komponist ganz sicher nicht die Universalität eines Beethovens.

Das trifft zumindest wenn man nur die Solowerke für Klavier beider Komponisten betrachtet imho NICHT zu!
Und das ganze Werke? Kann man einen Literaten geringer schätzen, weil er nur Gedicht und Balladen schrieb (in höchster, nicht zu übertreffender Vollendung), nicht aber Romane und Dramen?
Gut, universeller ist schon der, der alles auf allerhöchsten Niveau kann...
Thomas133
Hat sich gelöscht
#8 erstellt: 06. Dez 2007, 10:46
Inweiweit sollte Chopin unpopulär sein? Bei Klassikkennern oder in der allgemeinen Wahrnehmung einer breiteren Masse?
Ich habe den Eindruck das er zum. hier in Österreich gerade bei Menschen die sich sonst nicht tiefergehend mit Klassik beschäftigen zu den Bekanntesten gehört, einige Sampler von ihm zu Hause haben und auch des öfteren in der Werbung zum Einsatz kommt, außerdem öfters als allemögliche Berieselungsmusik in Aufzügen,Restaurants usw. herhalten muß. Außerdem gilt er hier als DAS Synomnym für spätromantische Klaviermusik, einige seiner Etuden und Preluden einen sehr hohen Bekanntheitsgrad besitzen wie sonst bei keinem anderen Komponisten was allein das Klavier anbelangt.
Das er eventuell bei den Klassikkennern nicht zu den ganz Vorderen gehört liegt wohl ganz schlicht daran das es genug andere Komponisten gibt die Vielseitiger waren und für allgemölichen Gattungen innerhalb der Klassik geschrieben haben und wie schon von Martin so ähnlich angedeutet hat, ist zwar Chopins Musik hochvirtuos aber meist auch etwas unverbindlich, nicht so tiefschürfend mit ausgeklügelten komplexen Zusammenhängen und Strukturen wie zB Beethoven oder Schubert in ihren besseren Klavierwerken - es gibt aber auch ein paar Ausnahmen wie zB seine Klaviersonate in h-moll die sich von seinen meisten Einzel-Klavierstücken hervorheben.
gruß
Thomas
enkidu2
Inventar
#9 erstellt: 09. Dez 2007, 18:06

Richard3108 schrieb:
Mein Eindruck ist, dass Chpin in Deutschland nicht den Rang hat, den er in anderen Ländern hat. Er gehört natürlich zu den beliebtesten Komponisten, aber er ist nicht DER Klavierkomponist wie in anderen Ländern, ... Woran liegt es, dass Chopin in Deutschland nicht den allerhöchsten Rang hat?


Wieso sollte denn Chopin DER Klavierkomponist sein? Hat er Mozart, Beethoven oder Liszt soviel voraus? Sicherlich ist Chopin einer der namhaften Klavierkomponisten, aber ist er wirklich bedeutender in seinem Schaffen als die vorgenannten drei oder auch Bach oder Schumann?

Chopin hat ausschließlich für das Klavier komponiert, schon das mag ein Manko in Deutschland sein. Und dann nur wenige "große" Werke wie Sonaten und Klavierkonzerte. Immer nur "Kleinkram" wie Mazurken, Etüden, Nocturnes, Walzer, Préludes, etc. Und was bleibt hängen: eine Revolutionsetüde, ein Regentropfen-Prélude, eine Militärpolonaise, ein Minutenwalzer, ein "Adieu tristesse" - und ein Trauermarsch aus op. 35. Alles klingt leicht, unkompliziert, unverfänglich. Salonmusik eben (vom Trauermarsch jetzt mal abgesehen). Fast schon wie Richard Clayderman (Ballade pour Adeline).

Also wo ich das gerade so rekapituliere, wieso sollte man Chopin überhaupt zu den großen Klavierkomponisten zählen?
WolfgangZ
Inventar
#10 erstellt: 09. Dez 2007, 18:47

Alles klingt leicht, unkompliziert, unverfänglich. Salonmusik eben (vom Trauermarsch jetzt mal abgesehen). Fast schon wie Richard Clayderman (Ballade pour Adeline).

Also wo ich das gerade so rekapituliere, wieso sollte man Chopin überhaupt zu den großen Klavierkomponisten zählen?


Hallo, Enkidu!

Nachdem ich dich soeben im Zusammenhang mit der Zählung der Dvorak-Sinfonien gelobt habe, muss das hier leider wieder ausgeglichen werden, gelle!

Chopins Klaviersprache ist unverwechselbar und bemerkenswert differenziert, überdies verweist sie auf den Impressionismus. Ein Vergleich mit den Salonkomponisten seiner Zeit verbietet sich, das mit Clayderman soll ein Scherz sein, oder?

Zweifellos war er kein Orchesterkomponist. Die Tutti zu den Klavierkonzerten tun nicht weh, aber sie bringen auch nichts.

Meines Wissens assoziieren diverse Zeitgenossen Beethoven auch ausschließlich mit einem "Song of Joy" oder einer "Elise".

So geht das nicht!

Besten Gruß, Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 09. Dez 2007, 18:49 bearbeitet]
enkidu2
Inventar
#11 erstellt: 09. Dez 2007, 19:32
Meine Frage ist durchaus provokoativ gemeint. Denn was die Popularität von Chopin bei der breiten Masse ausmacht, sind halt mehr diese Clayderman-schen Anklänge. Eignet sich hervorragend für die Meditation oder zum Chill-Out. Wie auch "Für Elise" oder Mondschein-Sonate. So sehe ich jedenfalls Chopin in der öffentlichen Wahrnehmung. Für das schlechte Marketing kann er ja nichts. Nur mit dieser Etiketierung kann er halt im Wettbewerb mit den "seriösen" Komponisten nicht mithalten.

Das Andere scheint mir die Rolle von Chopins Schaffen für die Weiterentwicklung der Klaviermusik zu sein. Auch hier könnte man vermuten, dass der Schatten, den Beethoven auf die nachfolgenden Generationen wirft, eher unheilvoll war, ja vielleicht auch heute noch stark nachwirkt - insofern, als den Massstab definierend. Jedenfalls scheint mir, dass Chopin mit seinen Werken mehr das kommende Neue in der Klaviermusik vorbereitet hat, als selber nun "große" Werke hinterlassen zu haben.

In diesem Sinne war denn auch meine Frage gemeint: wer erklärt hier mal, was Chopin zu einem Klavierkompoonisten von Rang macht? Und an der Antwort darf man dann mal prüfen, ob sich dies auf den öffentlichen Stellenwert auswirkt, oder doch nur eine Sicht für verständige Eingeweihte (Liebhaber der Klaviermusik) bleibt.
Kreisler_jun.
Inventar
#12 erstellt: 09. Dez 2007, 19:40
Ich glaube, dass der Ursprungsposter genau das meinte, was in Enkidus Beitrag wiedergegeben wird: "Salonkomponist", kleine Stücke, keine "großen Werke".
Das ist tatsächlich Quatsch. Es stimmt auch nicht, dass das in Deutschland verbreitet so gesehen wird. (Ohne das mit Zahlen belegen zu können, bin ich mir ziemlich sicher, dass Chopin in D und A beliebter und angesehener ist als Schubert in den romanischen Ländern). International keine Frage, da wohl der Chopin-Wettbewerb immer noch der wichtigste Klavierwettbewerb ist (ein zugegeben recht äußerliches Kriterium).

Was die Einschränkung auf das Klavier betrifft: Es ist wohl kein Zufall, dass Chopin praktisch der einzige Komponist ist, der *trotz* dieser Konzentration weitgehend unbestritten als "Großer" gilt (Dass er bedeutender als Beethoven sei, ist damit natürlich nicht gemeint, aber vielleicht doch eher wichtiger als "Universalisten" wie Mendelssohn oder Dvorak, ohne diese herabwürdigen zu wollen).
Sind die Werke denn wirklich so "klein"? Etüden und Preludes sind naturgemäß eher kurz, das wird aber auch nicht gegen die von Bach (dem großen Vorbild Chopins) ins Feld geführt. Die Balladen, Scherzi, Polonaisen usw. sind nicht kürzer als die meisten Sonatensätze von Mozart oder Beethoven.

Kürze ist ja nicht gleichbedeutend mit Einfachheit oder Belanglosigkeit. Ist ein Gedicht von 20 Versen automatisch weniger großartig als ein Epos von Zehntausend oder ein Roman? Gewiß nicht.

viele Grüße

JK jr.
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