Mahler, Gustav: Sinfonie Nr. 1 "Interpretation?"

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Phaidros
Ist häufiger hier
#1 erstellt: 16. Sep 2004, 22:23
Hallo Alle,

Nachdem ich lange Zeit (in meinen immer noch jungen Jahren) der Klassik nicht abgeneigt war, mich aber nur auf ein kleines seit Kinderjahren gehörtes Repetoir berufen konnte, erlebe ich seit einer Weile die wundervollen Freuden der musikalischen Entdeckungsreise in den Kreisen der Klassik.

Da ich prinzipiell dazu neige mit dem Gehörten mehr als nur Musik zu verbinden und der DTV-Atlas für Musik eben solche Erwartungen in mir an die Symphonien von Mahler erweckt hat, habe ich mir die ersten Beiden bei Amazon bestellt. (Walter Columbia '61, Klemperer live Bayerischer Rundfunk)

Nun da ich die Erste gehört und genossen habe, würde ich gerne mit Euch darüber reden was ihr dabei empfindet. Im Vorfeld habe ich gelesen, dass die Erste wunderbar geeignet ist Zugang zu Mahlers Werk zu finden und um sich ein Bild vom jungen Mahler selbst zu machen. So habe ich mir die ganze Symphonie beim Hören als Charakterbeschreibung eines jungen Menschens "erhört". Dabei hat der erste Satz für mich zunächst nur die reine Lebensfreude ausgedrückt, wie sie junge Menschen so häufig empfinden, während der 2.Satz dann die gesellschaftlichen Freuden (und Gefahren?) enthielt. "Bruder Jakob" war dann die anschließende Besinnung auf sich selbst mit einer romantischen melanchonischen Stimmung die letztendlich in die "titanenhafte" Stimmung des Schaffens mündet (für mich wies der letzte Satz so ein "faust'sches Bild" auf).
Dies sind so ganz subjektive, erste (oberflächliche) Eindrücke (gewöhnlich ändert sich das bei mir bei jedem neuen Hören).

Ich wüsste gerne ob ihr Mahlers Musik überhaupt gewisse Motive entnehmt und was ihr nun selbst in der Ersten seht.

Ich bin sehr gespannt.

Gruss Phaidros

P.S. es hilft uns wenn ihr dazu schreibt ob die Interpretationen Eure persönlichen oder auf Literatur beruhende sind
palisanderwolf
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 17. Sep 2004, 09:49
@Phaidros,
Was genau meinst Du mit Interpretationen? Aktives Musizieren oder Besprechungen/Kritiken des gehörten?

Meine Besprechungen sind „eigene“, sehr subjektiv und finden naturgemäß nicht immer Zustimmung. Fördert aber den Austausch von Meinungen.
Ansonsten schau auch mal nach unter: http://www.hifi-forum.de/viewthread-68-254.html
MfG Bernd
Phaidros
Ist häufiger hier
#3 erstellt: 17. Sep 2004, 10:26
@Palisanderwolf:
Was genau meinst Du mit Interpretationen? Aktives Musizieren oder Besprechungen/Kritiken des gehörten?


Ich glaube weder noch. Oder vielleicht Besprechung des gehörten - kommt darauf an was Du damit meinst?!

Worauf ich hinaus wollte ist eine wirkliche Interpretation (so wie man es aus dem Deutschunterricht oder beim Lesen anspruchsvoller Lektüre kennt). Also was will uns der Komponist mit der Musik sagen? Ich finde dies ist mal eine neue spannende Diskussionsgrundlage (anscheinend neu in diesem Forum?). Sicherlich kann man die Frage nicht bei allen Werken stellen. Wie ich mittlerweile im Booklet von Mahlers 2. gelesen habe erzählt Mahlers Erste von einem "Helden" (dessen Tod und die Fragen der Hinterbliebenen an seinem Grab den Ausschlag für Mahlers 2. Symphonie gaben).

Welche Phasen, Gedanken und Ereignisse im Leben des Helden (oder auch Stimmungen, Gefühle, etc) verbindet ihr mit den einzelnen Sätzten? Oder was fühlt ihr denn, wenn ihr diese Symphonie hört?

Sicherlich gibt es auch Aussagen von Mahler selbst oder aus sicheren Quellen ...?
palisanderwolf
Hat sich gelöscht
#4 erstellt: 17. Sep 2004, 12:12
Hallo Phaidros,

Phaidros schrieb:
Also was will uns der Komponist mit der Musik sagen?


tut mir leid, aber da muß ich leider passen..weiß ich nichts Eigenes dazu. Da mußt Du IMHO historische Quellen bemühen.


MfG Bernd
Reinhard_H
Ist häufiger hier
#5 erstellt: 17. Sep 2004, 13:17
Hallo Phaidros,
ich weiß schon was Du meinst. Mahlers Erste ist aber nun mal keine Programmusik im Sinne einer sinfonischen Dichtung. Diesbezügliche Deutungen von Mahler hat es wohl gegeben, aber er hat sie meines Wissens selbst zurück gezogen.
Nichts desto trotz stellen sich beim Hören schon gewisse Stimmungen und Assoziationen - auch bildlicher Art - ein, das ist aber nichts Allgemeingültiges und wird wohl bei jedem anders sein, glaube nicht, daß man sich darüber austauschen kann (sollte).

Viele Grüße
Reinhard
plume
Hat sich gelöscht
#6 erstellt: 17. Sep 2004, 17:07
Hallo Phaidros,

hier einige Informationen zu Mahlers erster Sinfonie. Vor vielen Jahren, als ich noch zur Schule ging, kaufte ich mir eine schmales Taschenbuch (Gerth Wolfgang Baruch - Konzertführer, 99 Orchesterweke von Beethoven bis Richard Strauss, Fischer Bücherei 299, 1960). Dieses hat mir jahrelang große Dienste erwiesen. (Dort sind auch sehr detaillierte statistische Angaben zu den jeweiligen Werken vermerkt, u. a. auch die Aufführungsdaten und die Besetzung usw.). Also, ich zitiere:

"Mahler komponierte seine I. Sinfonie als Kapellmeister (sic! - nur nochmal in Hinblick auf meine kritisierte Verwendung dieses Begriffs in einem anderen Zusammenhang hier) in Kassel, Prag und Leipzig. Es war die Zeit, in der er eine ausgesprochene Vorliebe für die deutsche Romantik hatte und Webers Fragment "Die drei Pintos" zu einer abendfüllenden Oper ausbaute. Als die Sinfonie beendet war, fühlte er, daß eine neue Phase für ihn als Komponisten begonnen hatte. "So! Mein Werk ist fertig!" schrieb er damals seinem Freunde Dr. Friedrich Löhr. "Jetzt möchte ich Dich neben meinem Klavier haben und es Dir vorspielen! Wahrscheinlich bist Du der einzige, dem darin an mir nichts neu sein wird; die anderen werden sich wohl über manches wundern! Es ist so übermächtig geworden - wie es aus mir wie ein Bergstrom hinausfuhr!"
Mahlers I. Sinfonie ist die künstlerische Gestaltung eines tiefen Naturgefühls. In diese Empfindung mischt sich die Erinnerung an ein Erlebnis, das schon in den "Liedern eines fahrenden Gesellen" mitschwingt. Ein Jugenderlebnis von Liebe und Leid. Im Liederzyklus war die Episode mit einer Sängerin des Kasseler Theaters die tragende Idee. Für die Sinfonie war sie eine treibende Kraft: "Ich möchte es betont wisssen", schrieb Mahler dem Musikkritiker Max Marschalk, "daß die Symphonie über die Liebesaffäre hinaus ansetzt; diese liegt ihr zugrunde - respektive sie ging im Empfindungsleben des Schaffenden voraus. Aber das äußere Erlebnis wurde zum Anlaß und nicht zum Inhalt des Werkes."
Für die ersten Aufführungen in Deutschland hat Mahler ein Programm unter dem Titel "Titan" veröffentlicht.
I. Teil: Aus den Tagen der Jugend, Jugend-, Frucht- und Dornenstücke (meine Anm.: diese eigentümlichen Begriffe sind Jean Pauls Werk "Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs" entlehnt. E.L.).
1. Satz: Frühling und kein Ende. Die Einleitung schildert das Erwachen der Natur am frühesten Morgen.
2. Satz: Mit vollen Segeln (Scherzo)
II. Teil: Commedia umana
3. Satz: Gestrandet. Ein Totenmarsch in Callots Manier (meine Anm. Jacques Callot war ein bedeutender Künstler (Kupferstiche) im Frankreich des 17. Jhdts., er stellte u. a. fantastische Szene und Kriegsgreuel dar. E.L.). Zur Erklärung diene, wenn notwendig, folgendes: Die äußere Anregung zu diesem Musikstück erhielt der Autor durch das in Süddeutschland allen Kindern wohlbekannte parodistische Bild "Des Jägers Leichenbegängnis" (Anm.: von Moritz von Schwind. E.L.) aus einem alten Kindermärchenbuch: die Tiere des Waldes geleiten den Sarg des verstorbenen Försters zu Grabe; Hasen tragen das Fähnlein, voran eine Kaplle böhmischer Musikanten, begleitet von musizierenden Katzen, Unken, Krähen usw., und Hirsche, Rehe, Füchse und andere vierbeinige und gefiederte Tiere des Waldes geleiten in possierlichen Stellungen den Zug. An dieser Stelle ist dieses Stück als Ausdruck einer bald ironisch lustigen, bald unheimlich brütenden Stimmung gedacht, auf welche dann sogleich
4. Satz: Dall Inferno al Paradiso (Allegro furioso) folgt, als der plötzliche Ausdruck eines im Tiefsten verwundeten Herzens."

Soweit der kleine Text bei Baruch. Es ist noch anzumerken, daß Mahler ursprünglich einen fünften Satz komponiert hatte, "Blumine" (Titel ebenfalls wieder bei Jean Paul entlehnt) den er aber dann fallenließ. Natürlich wurde viel später in einer RCA-Aufnahme mit Ormandy diese "ursprüngliche Fassung" eingespielt - wäre übrigens auch mal ein intessantes Thema: sollten die "musikalischen Nachkommen" Entscheidungen dieser Art von Komponisten respektieren oder nicht??



Gruß,

P.S. Sehe soeben, daß unter folgender Adresse noch viel mehr steht:

http://www.haenchen.net/mahlerer.html


[Beitrag von plume am 17. Sep 2004, 17:17 bearbeitet]
Phaidros
Ist häufiger hier
#7 erstellt: 18. Sep 2004, 00:48
Es ist schon spät deshalb nur in aller Kürze:


Reinhard_H schrieb:
Hallo Phaidros,
ich weiß schon was Du meinst. Mahlers Erste ist aber nun mal keine Programmusik im Sinne einer sinfonischen Dichtung. Diesbezügliche Deutungen von Mahler hat es wohl gegeben, aber er hat sie meines Wissens selbst zurück gezogen.
Nichts desto trotz stellen sich beim Hören schon gewisse Stimmungen und Assoziationen - auch bildlicher Art - ein, das ist aber nichts Allgemeingültiges und wird wohl bei jedem anders sein, glaube nicht, daß man sich darüber austauschen kann (sollte).

Viele Grüße
Reinhard



Vielleicht klappt es ja doch noch , denn die von plume eingebrachten Zitate, insbesondere aber die Seite sind eine wahre Schatztruhe für meine Neugierde.

Inhaltlich will ich später noch darauf eingehen, für jetzt nur soviel, wir sind nicht auf dem Holzweg (Danke Plume).


Gustav Mahler schrieb:
Gewiß halte ich es für notwendig, daß das motivische Gewebe jedem Hörer klar wird. Aber glaubst Du wirklich, daß bei einem modernen Werke die Angabe einiger Themen dazu hinreicht? - Die Kenntnis und Erkenntnis eines Musikwerks muß man sich durch eingehendes Studium desselben verschaffen, und je tiefgründiger ein Werk ist, desto schwieriger ist dieses und desto länger dauert es.
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