"Die oder keine" - unübertreffliche Aufnahmen

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premierenticket
Stammgast
#1 erstellt: 05. Sep 2012, 16:02
Hallo zusammen,

inspiriert von Johannes und Mikes Beitrag über Klemperers "Lied von der Erde"-Aufnahme, es sei dies die "einzig wahre" Aufnahme, die sich käuflich erwerben lasse, möchte ich einen Thread starten genau zu diesem Thema:

- Wo gibt es zu einem Werk eigentlich für einen selbst nur eine einzig gültige Aufnahme (frei nach Wollschlägers Diktum über ein Buch: "Dieses Werk wischt Jahrzehnte von Mitliteratur vom Tisch")?

- Was macht diese Aufnahme so legendär, und warum verweist sie alle anderen auf weitaus hintere Plätze?

- Wie objektiv sind solche Urteile, oder inwiefern sind sie durch eigene, ganz individuelle Vorlieben geprägt?

- Kann das überhaupt sein, dass bei so vielen Aufnahmen eines Werkes, nur einer den richtigen Ton getroffen hat, und alle anderen versagt haben?

- Warum sind dies auffällig oft Aufnahmen aus dem "Mittelalter" der Phonoaufzeichnung, also aus den fünfziger, sechziger Jahren? Braucht es den Nimbus der Zeit oder der noch nicht ganz perfekten Aufnahmetechnik? Verträgt sich Aura nicht mit "HD-Aufnahmen"? Sind wir heute zu nahe dran?

Ich bin gespannt auf eure Legendenbildung!

Und werfe mal ins Rennen diese Aufnahme von Ravels Klavierkonzert:

amazon.de

Gutes Hören

Christian


[Beitrag von premierenticket am 05. Sep 2012, 16:07 bearbeitet]
Szellfan
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 05. Sep 2012, 16:49
Hallo Christian,
nun bin ich der erste, der etwas grinsend, in Deinem Thraed antwortet.
-es gibt für mich zu einem Werk manchmal eine leider alleingültige Aufnahme.
Was mich manchmal quält, ich suche nach Alternativen.
-Legendär macht sie nicht die Legende. Oftmals kennt kaum ein anderer sie. Es ist die Übereinstimmung des eigenen Verständnisses eines Werkes mit der eines Dirigenten/Interpreten.
Was überleitet zu
-objektiv ist das nie, nicht für mich. Eine Referenzeinspielung ergibt sich aus dem Konsens, den zahllose Hörer bilden. Muß aber doch nicht für jeden anderen bindend sein.
-bei manchen Werken scheint es mir, daß nur einer den "richtigen Ton "getroffen hat, alle anderen nicht.
Bei fast allen Werken sonst treffen viele den richtigen Ton: ihren eigenen, ihre Lesart, die dann auch überzeugt wenn sie überzeugend vorgetragen wird. Ist eine Wechselwirkung.
-HD steht dazu nicht im Widerspruch, Deine Frage hätte sich zweigeteilt besser antworten lassen.
Was würde ich geben, den Szell besser klingend zu hören!
Was heute oft fehlt ist ja die Individualität, die persönliche Lesart, unabhängig von der Tonqualität.
Um es zu übertragen: aus meiner Sicht würde ich eine Szell-Aufnahme des Lied von der Erde" weitaus mehr genießen können, läge sie als SACD vor.
Meiner Meinung nach verträgt Aura sich mit HD. Nur macht HD deutlich, wo sie nicht ist. Weil sie häufig nicht von der Technik abhängt, sondern vom Können der Interpreten.
Nicht zuletzt deshalb sitze ich selbst tagelang, historische Aufnahmen zu "renovieren".

Zum Beschluß: aus der selben Reihe ist mir das Ravel-Konzert lieber mit Cluytens und Fancoise.
Weniger eitel aus meiner Sicht, wobei Francoise ganz sicher sein Licht nicht unter den Scheffel stellt.

Wie subjektiv das alles ist, muß ich kaum betonen, da ich selbst ja schrieb, daß mir "irgendwas" fehlt bei Klemperers Aufnahme des "Lied von der Erde".
Ansonsten sind wie nicht zu nah dran, sondern eher zu weit weg.
Das ist kein Kotau, sondern meine Überzeugung: ein Problem, das Hörbert nicht hat.
Und gerade Wollschläger, Du!
Der einem Karl May zum (Weiter-)Leben verholfen hat mittels Wortgewalt und Ironie!
In Anbetracht dessen ist eine Antwort hier mutig!
Sieh sie mir nach.
Herzliche Grüße,
Mike
Hörbert
Inventar
#3 erstellt: 05. Sep 2012, 17:24
Hallo!

Von einigen Ausnahme abgesehen ist die "Die oder keine" Aufnahme wohl eine rein subjektive Sache. Oftmals ist das bei mir ein Werk das mir "schlagartig" einen bestimmten Zugang zu dem selbigen geschaffen hat, z.B. Leibowitz bei einigen der Beethoven-Symphonien oder Wandt bei einigem von Bruckner u.s.w.

Im Laufe der Jahre haben sich bei einigen von diesen Aufnahmen meine Präferenzen auch geändert, so waren ursprünglich Soltis Mahler Interpretationen für nmich maßgeblich, jetzt sind es die Interpretationen von Sinopoli.

MFG Günther
op111
Moderator
#4 erstellt: 05. Sep 2012, 17:32
Hallo zusammen,

eine schöne Thread-Idee Christian! Danke!

zu Klemperers Aufnahme des "Lied von der Erde"
Für mich ist die Aufnahme legendär,
- weil ich durch die Legendenbildung auf sie aufmerksam wurde
- weil ich sie auf Grund der Legendenbildung gehört habe (und in den 1970ern bei Saturn in Köln -zuvor ungehört- gekauft habe).
- sie damals einfach besser fand als die Alternativaufnahmen jener Jahre (2*Walter (mit Ferrier - grauenvoll aber einzigartig), Bernstein, Jochum , Reiner)
- sie für mich zu einem Referenz- und Orientierungspunkt für spätere Aufführungen wurde
Referenz bedeutet für mich nicht die beste, aber so etwas wie eine konstante Vergleichs-/Messmarke.
Die extreme klare Kälte, die manche Passagen des Abschieds durchzieht, ist einfach beispielhaft.
Kritikpunkte sind für mich
- die Sänger, die immer noch ein wenig zu opernhaft singen (unter Blinden ist aber ...),
- Klemperers Orchester wirkt manchmal etwas desorientiert (das geht deutlich besser, wie man nicht nur bei Boulez hören kann).
---
Ob Szells Aufnahme da mithalten kann (sie liegt noch auf dem Stapel "ungehört")?



[Beitrag von op111 am 05. Sep 2012, 18:27 bearbeitet]
op111
Moderator
#5 erstellt: 05. Sep 2012, 17:42
Und weiter zu Ravels Klavierkonzert G-Dur:

A. B. Michelangelis Aufnahme ist legendär, für mich aber nicht eine seiner besten Leistungen.
Ebenso wie bei den Aufnahmen von Samson Francois kann ich mir ihren Kultstatus nicht erklären.
- Michelangeli (auch S.Francois) spielt maniriert und lädt im langsamen Satz jeden Ton mit Bedeutung auf - der sollte aber so schlicht und einfach klingen wie von Mozart.
- in den schnellen Sätzen meine ich, dass in beiden Fällen das Ensemble nicht so ganz zusammen ist.

- In diesen Aspekten gefällt mir das Team Zimerman/Boulez deutlich besser, das auch noch die viel bessere Aufnahmetechnik für sich verbuchen kann.



[Beitrag von op111 am 05. Sep 2012, 17:45 bearbeitet]
Szellfan
Hat sich gelöscht
#6 erstellt: 05. Sep 2012, 18:19
....und mein Ansinnen war, innerhalb der Reihe zu bleiben, der rein technischen Seite wegen.
Mein Favorit bei den Ravel-Konzerten ist Perlemuter und Horenstein.
Aber die Aufnahmen klingen wieder mies, das Zugeständnis wollte ich hier, gleich als erster, nicht eingehen.
Beim Konzert für die linke Hand kommt mir ja noch dazu dazwischen, daß ich Leon Fleisher so sehr schätze, also überhaupt nicht mehr objektiv antworten kann, obgleich sowohl unter Ozawa als auch unter Comissiona eigentlich "nichts stimmt" als vielleicht mein "Hineinhören" in eine Aufnahme, die es gar nicht hergibt.
Eben so subjektiv, daß ich lieber dazu schweige.
....
Kreisler_jun.
Inventar
#7 erstellt: 05. Sep 2012, 18:25

premierenticket schrieb:

- Wo gibt es zu einem Werk eigentlich für einen selbst nur eine einzig gültige Aufnahme (frei nach Wollschlägers Diktum über ein Buch: "Dieses Werk wischt Jahrzehnte von Mitliteratur vom Tisch")?


Kein guter Vergleich, weil ein Buch eine ganz andere schöpferische Leistung ist als eine nachschaffende Interpretation und die dazu noch als Konserve.



- Wie objektiv sind solche Urteile, oder inwiefern sind sie durch eigene, ganz individuelle Vorlieben geprägt?


Wenig objektiv, aber oft sicher mehr durch Sammler-Hype und von den Plattenlabels geförderte Legendenbildung begünstigt ("legends", "legendary recordings", "classics of the gramophone") als durch irreduzibel individuelle Vorlieben.



- Kann das überhaupt sein, dass bei so vielen Aufnahmen eines Werkes, nur einer den richtigen Ton getroffen hat, und alle anderen versagt haben?


Könnte sein, aber nicht sehr wahrscheinlich und deshalb sehr wahrscheinlich falsch.



- Warum sind dies auffällig oft Aufnahmen aus dem "Mittelalter" der Phonoaufzeichnung, also aus den fünfziger, sechziger Jahren? Braucht es den Nimbus der Zeit oder der noch nicht ganz perfekten Aufnahmetechnik? Verträgt sich Aura nicht mit "HD-Aufnahmen"? Sind wir heute zu nahe dran?


Je älter, desto mehr Zeit, Aura zu entwickeln. Nicht wenige legendäre Aufnahmen gehörten zu den ersten (Gesamt-)Aufnahmen überhaupt (Schnabels Beethoven, Edwin Fischers Wohltemperiertes Klavier u.ä.). Aber in den 1950er/60ern gab es dann mehr Alternativen, so dass etwas nicht mehr automatisch legendär wurde, ergo mehr hype von den Plattenfirmen, die jetzt auch zunehmend die Klangqualität als Trumpf herausstellen konnten. Beim LvdE war das Angebot 1966 aber auch noch recht überschaubar.

Ich habe das Stück im Grunde in der Klemperer-Aufnahme kennengelernt, kenne diese mit Abstand am längsten und am besten. Daher bin ich sicher kaum neutral in der Beurteilung, zumal ich auch insgesamt nicht allzuviele Einspielungen des Stücks kenne. Die Sänger finde ich nahezu ideal, ich habe keine Einspielung gehört, die auch nur annähernd die Energie Wunderlichs im ersten Lied (die restlichen Tenorlieder sind für mich zweitrangig) besitzt. Ich wüsste spontan auch keinen anderen Tenor der letzten 50 Jahre, von dem ich ähnliches erwarten würde. (Es gibt einen live-Mitschnitt mit Kmentt und Ludwig unter Kleiber, in mieser Tonqualität. Kmentt in der Form, als er unter Karajan das Tenorsolo in Beethovens 9. singt, könnte vielleicht passen.)
Und Ludwig ist auch hervorragend. Der Klang ist sehr gut, dynamisch und transparent. Zu langsam ist Klemperer nur im Mittelteil von "Von der Schönheit", wenn die Burschen auf Rossen vorübertraben, das klingt eher nach Elefanten oder Nilpferden.

Am ehesten kann ich den Ausnahmerang von solchen Aufnahmen nachvollziehen, bei denen sehr viel zusammenstimmen muss. Also besonders bei Opern und Oratorien etwa eine ganze Reihe von Sängern mit rollendeckenden Stimmen und in guter Form + gutes Dirigat und am Ende kein steriler Studio-Eindruck entstehen soll. Die Tosca mit Callas, de Sabata, Gobbi, di Stefano wäre noch so ein Kandidat.

Grundsätzlich halte ich das aber für Fetischismus; ein Werk hat normalerweise immer mehr Aspekte, als eine Interpretation einfangen kann und das verewigen einer Aufführung auf Konserve wäre ein den Komponisten des 18. und 19. Jhds. völlig fremder Gedanke gewesen.
Martin2
Inventar
#8 erstellt: 05. Sep 2012, 19:18
Ich kann mich so nicht an der Diskussion beteiligen, ich habe zwar ungefähr 2000 Klassik CDs, aber man müßte noch tiefer graben, noch mehr kennen, um hier wirklich mitreden zu können. Das Beispiel Lied von der Erde mit Klemperer, dieses Aufnahme kenne ich sehr lange und sie wurde mir sicher empfohlen und Wunderlich und Ludwig waren mir vermutlich damals schon ein Begriff. Alternativ kenne ich nur die von Naxos, ein völliger Reinfall damals.

"Die oder keine" kommt mir ein bißchen zu radikal vor. Es gibt im Standardrepertoire immer auch anderes, was auch gut ist. Gesang ist immer etwas sehr spezielles, Wunderlich und Ludwig sind im Lied eben nicht zu ersetzen.

Ich selber würde mich mal selbst als das genaue Gegenteil eines "Interpretationsfetischisten" bezeichnen. Interpretationen sind mir häufig nahezu egal, außer bei unerträglichen interpretorischen Verzerrungen, die auch mich nicht kalt lassen. Meine Gleichgültigkeit gegenüber der Interpretation geht soweit, daß ich teilweise sehr gerne CDs höre, wo ich den Interpretennamen nicht mal kenne, weil mir das schlicht gleichgültig ist.

Ich gebe Klassikeinsteigern gerne mal einen Tip, aber im allgemeinen sage ich: Mach Dir um die Interpretation keinen allzu großen Kopf. Es gibt Ausnahmen, gewiß, Beethovens 9. mit Zinman war im Finale neulich eine Riesenenttäuschung, Metronomangaben hin oder her.

Es ist aber eben auch vieles sehr gut. Mahlers 6. etwa, ich mag Bernstein, Szell und Abravanel, Karajan dann weniger, aber selbst der ist nicht so schlecht. Mit all diesen Interpretationen läßt sich ein Zugang zu Mahler finden. Man sollte aus der Interpretation wiegesagt keinen Fetisch machen, zumal die persönlichen Geschmäcker sowieso unterschiedlich sind. Und manche Interpretationen werden auch immer überall als unnachahmlich rumgereicht, wie insbesondere die von dem Kleiber, gut, ich habe seine Brahms 4. im Radio gehört, wirklich gut, aber es gibt mit Sicherheit noch eine ganze Menge auch hörenswerte, Furtwängler, Van Zweden, Schmidt Isserstedt, eventuell sogar Karajan, gefallen mir auch sehr gut. Ich höre unterschiedliche Interpretationen häufig auch nur wegen der Abwechslung und mache mir selten einen Kopf, welche nun wirklich die beste ist.

Gruß Martin
op111
Moderator
#9 erstellt: 05. Sep 2012, 19:36
Hallo zusammen,

premierenticket schrieb:
Braucht es den Nimbus der Zeit oder der noch nicht ganz perfekten Aufnahmetechnik?

ich kann mir vorstellen, daß eine mangelhafte Tontechnik tatsächlich zu Legendenbildungen / Präferenzen führen kann.
- An Mängel muss man sich gewöhnen, lernen, Störungen selektiv auszublenden, mehrfach hören, sich intentensiv beschäftigen. Das verändert das Verhältnis zur Aufnahme erheblich.
- Die Phantasie, die dazu aufgewendet wird, führt ggf. auch zu einer Überhöhung/Überschätzung der musikalischen Qualitäten einer Aufnahme.
op111
Moderator
#10 erstellt: 05. Sep 2012, 19:43
Hallo Martin,

Martin2 schrieb:
... aber es gibt mit Sicherheit noch eine ganze Menge auch hörenswerte, Furtwängler, Van Zweden, Schmidt Isserstedt, eventuell sogar Karajan, gefallen mir auch sehr gut. Ich höre unterschiedliche Interpretationen häufig auch nur wegen der Abwechslung und mache mir selten einen Kopf, welche nun wirklich die beste ist.

ich kann dir darin nur zustimmen.
Mir ist auch die Abwechslung wichtig, im Konzert erwarte ich schließlich auch, nicht das immergleiche geboten zu bekommen.
premierenticket
Stammgast
#11 erstellt: 05. Sep 2012, 19:53

op111 schrieb:
Hallo zusammen,

premierenticket schrieb:
Braucht es den Nimbus der Zeit oder der noch nicht ganz perfekten Aufnahmetechnik?

(...)
- Die Phantasie, die dazu aufgewendet wird, führt ggf. auch zu einer Überhöhung/Überschätzung der musikalischen Qualitäten einer Aufnahme.
:prost


Um mal wieder eine Analogie zu bemühen (Kings Singer scheint sowas nicht zu mögen, ich aber liebe es, Verbindungslinien zu anderen Bereichen zu ziehen):

Das ist ein wenig wie "Alien" auf verrauschter VHS-Kassette (der gruseligste Film überhaupt, reines Kopfkino) vs. "Alien" auf Blu Ray (mehr Information als man eigentlich braucht)....

Viele Grüße

Christian
op111
Moderator
#12 erstellt: 05. Sep 2012, 20:00
Exakt, Christian.
Fritz Langs entrauschte und entstörte Nibelungen sind auch ernüchternder (die Perücken und Kostüme - wie aus der Augsburger Puppenkiste ) als die Flimmerversionen.
Man konzentriert sich auf andere Details.


(Nichts gegen Jim Knopf!)


[Beitrag von op111 am 05. Sep 2012, 20:11 bearbeitet]
op111
Moderator
#13 erstellt: 05. Sep 2012, 20:10
Um mal zur Musik zu kommen:
Wenn in einer alten Aufnahme die fortissimi gnadenlos in die Tonbandsättigung laufen und erbärmlich geclippt werden, klingt das schon dramatischer (und geradezu brutal) als eine peinlich genau mit Übersteuerungsreserve aufgenommene Digitalaufnahme.
Man vergleiche Furtwänglers 1940er Bruckner 9 / Beethoven 9 mit aktuellen Aufnahmen, z.B. denen Soltis, deren (original) Dynamik sicher nicht geringer ausfiel.
premierenticket
Stammgast
#14 erstellt: 05. Sep 2012, 20:26
Habe ich bei der Großen C-Dur Symphonie mit Krips auch gedacht: kommt das Majestätisch-Imperiale eigentlich durch den großen Wurf der Interpretation oder durch überforderte Aufnahmetechnik - letzteres wäre, na ja, desillusionierend...

Vielleicht ist auch Hitlers berühmt-berüchtigte Wirkung auf die Volksmassen im Radio dann zum Teil übersteuerten Mikrofonen und zum "Brüllwürfel" umfunktionierten Radioempfängern geschuldet... Auch seine Hetzreden kann man sich in HD und Dolby Surround nicht mehr wirklich vorstellen. Womit ich keineswegs einen Vergleich zwischen klassischer Musik und Hitler ziehen will. Zwischen "Alien" und Hitler, na, das würde schon eher passen...

Back on topic.

Christian
Kreisler_jun.
Inventar
#15 erstellt: 05. Sep 2012, 21:29
Klemperers Das Lied von der Erde ist allerdings sicher kein Beispiel, bei dem eine mangelhafte Technik magischerweise zur Legendenbildung führt. Das ist sehr gute Stereo-Qualität (m.E. besser als viele Aufnahmen der 1970er und viele frühe Digitalaufnahmen) Wem die nicht gut genug klingt, ist in meinen Augen ein audiophiler Spinner und nicht so recht ernst zu nehmen, sorry.

Ich halte die These auch sonst für sehr fragwürdig. Niemand liebt das Schellack-Knistern oder Übersteuerungen, aber manche haben eben gelernt, das mental auszublenden bzw. sich davon nicht stören zu lassen. Dass man deswegen einer Interpretation einen besonderen Nimbus andichtet, leuchtet mir nun gar nicht ein.
arnaoutchot
Moderator
#16 erstellt: 05. Sep 2012, 21:51
Ich habe sieben Aufnahmen des LvdE, wenn ich keine vergessen habe. Ich liste sie der guten Ordnung halber mal auf.

Walter - VPO - Ferrier - Patzak - 1952
Reiner - CSO - Forrester - Lewis - 1959 SACD
Walter - NYPO - Miller - Haefliger - 1960
Klemperer - PO - Ludwig - Wunderlich - 1964-66
Inbal - RSO Frankfurt - van Nes - Schreier - 1988
Bertini - RSO Köln - Lipovsek - Heppner - 1991
Oue - Minnesota O - De Young - Villars - 1999

Meine Favorites sind erstaunlicherweise die älteste (Walter 1952) und die neueste (Oue 1999). Ferrier hat mich mehr fasziniert als Ludwig/Wunderlich, auch wenn sie nur in mono ist. Oue hat eine - der Textgrundlage entsprechende - fernöstliche Mildheit und den Vorteil der hervorragenden-Reference Recordings-Aufnahme. Ich bin manchmal aber auch ein "audiophiler Spinner"
flutedevoix
Stammgast
#17 erstellt: 05. Sep 2012, 23:44
Gründe für Legenden gibt es viele:
die letzte Aufnahme eines Künstlers, Jahre lang verschollen, unglaublich schwierig zu ergattern, ...
Das alles reicht aber nicht aus, um die eine persönliche heußgeliebte und durch nichts zu erstezende Interpretation des Werkes zu werden!

Aber ganz entschieden, es gibt normalerweise nicht diese eine nicht zu leugnende ideale Einspielung des Werkes. Im Falle des "Liedes von der Erde" sind das für mich zum einen eben Ludwig, Wuderlich, Klemperer und zum anderen Baker, Lewis, Szell. Und obwohl ich beide kongenial dem Werk entsprechenend halte und beide Aufnahme sehr hochschätze, ist es doch die Klempere-Einspielung die für mich persönlich alles andere in den Schatten stellt. Das liet sicher an den Sängern, besonders an Wunderlich aber auch an Ludwig. Dagegen empfinde ich das Dirigat Szells als ideal
Daß das höchst subjektiv ist, steht außer Frage. Und dennoch wage ich den Hinweis darauf, daß es für das alles so etwas wie einen "objektiven Unterbau", rationale Argumente gibt.

Für mich ist es immer nur die künstlerische Umsetzung die eine Aufnahme in den Legenden-Status erheben kann (gilt übrigens auch für "the glory of human voice" mit Florence Foster-Jenkins, nur unter anderen Vorausetzungen )

Und was die Frage nach dem "so und nicht anders" angeht: Witzigerweise hatte ich Privat mit Mike dieses Frage in Zusammenhang mit Mahler aufgeworfen und mich dahingehend geoutet, daß sowohl Klemperer als auch Walter dieses Gefühl bei mir hervorrufen. Beide eng mit Mahler, also nah dran und doch so unterschiedlich!
premierenticket
Stammgast
#18 erstellt: 06. Sep 2012, 22:42
Eine unersetzliche Aufnahme, die meine Wahrnehmung des Werkes nachhaltig definiert, ist Karajans Aufnahme für die EMI von Sibelius Zweiter Symphonie.

amazon.de

Hier ist nichts von der Unverbindlichkeit, mit der Sibelius Musik manchmal dargeboten wird. Das Werk ist durchströmt von einer unglaublichen Energie und strukturellen Folgerichtigkeit, dass sie statt rhapsodienhaft zu zerfasern zu einer echten Finalsymphonie wird - und das obwohl man meint, nach dem ersten Satz könne eigentlich schon nichts mehr gesagt werden. Und der Moment am Ende des Finales, wo in den tiefen Streichern das Finalmotiv erdig erklingt, während die Violinen im Glissando erklingen - das ist Gänsehaut pur.

Für mich heute eines der schönsten Musikerlebnisse seit langem.

Christian
Hüb'
Moderator
#19 erstellt: 07. Sep 2012, 07:32
Hallo Christian,

danke Dir für den Hinweis.
Dann muss ich die Aufnahme unbedingt mal aus der großen EMI-HvK-Box herausfischen.

Ich finde es ja etwas gewagt, im Falle der populären und so häufig eingespielte "Sibelius 2" von einer "die oder keine"-Aufnahme zu sprechen, lasse mich aber gerne bekehren.

Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 07. Sep 2012, 07:33 bearbeitet]
arnaoutchot
Moderator
#20 erstellt: 07. Sep 2012, 09:50

Hüb' schrieb:
Ich finde es ja etwas gewagt, im Falle der populären und so häufig eingespielte "Sibelius 2" von einer "die oder keine"-Aufnahme zu sprechen, lasse mich aber gerne bekehren.


Also wenn dieser Thread hier Sinn machen soll, dann sollte man hier unumwunden die "eine oder keine" nennen, begründen und verteidigen. Dass es jedem einzelne "seine oder keine" ist, versteht sich von selbst. Wenn man hier anfängt mit "nur meiner Meinung nach vielleicht eine der besten" wird das verwässert und geht am Ziel vorbei.

Ich hatte Karajan mit Sibelius 2 zwar mal, aber die habe ich glaube ich irgendwann mal aussortiert, weil etliche technisch neuere Aufnahmen des Werks bei mir reinkamen. Ich habe sie aber gut in Erinnerung.
Szellfan
Hat sich gelöscht
#21 erstellt: 24. Okt 2012, 19:48
...in diesem sanft entschlafenden Thread nun eigentlich nichts wirklich Neues von mir.
Abgesehen davon, daß ich vorhin eine weitaus besser klingende Quelle erstehen konnte des "Lied von der Erde" unter Szell mit Lewis/Baker.
Immer noch live-klingend, aber wesentlich ausgewogener in ihrer Klangbalance und vor allem mit größerer Dynamik, vor allem Feindynamik.
Und das "Zurechthören" kann also nun eher in den Hintergrund treten, dieses "Schön- Hören" der Aufnahme.
Stattdessen noch mehr Bewunderung für Szells Dirigat, diese Detailgenauigkeit, die doch dem Ganzen gehorcht. Der große Bogen, die Sensibilität für feinste Zwischentöne, die noch deutlicher hervortreten lassen, daß Szell auch immer "hinter den Noten" suchte und fand.
Besonders aber fällt mir jetzt die ungeheure musikalische Intelleigenz der Janet Baker ins Ohr, die doch aber nie intellektuell wird. Sie schlägt für mich Christa Ludwig bei Klemperer um Längen, Szells Genie tritt noch deutlicher zu Tage, auch darin, Richard Lewis derart zu begleiten, daß dessen stimmliche und sprachliche Schwächen nicht ins Gewicht fallen.
Also jetzt noch mehr:
Herzliche Grüße,
Mike
h-hannah
Stammgast
#22 erstellt: 19. Nov 2012, 20:32
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Keine Eroica, weder hip noch klassisch klingt revolutionärer und ungestümer. Liegt vielleicht daran, dass es sich um eine Einzelaufnahme Savalls und nicht um eine Aufnahme aus einem Zyklus handelt.
Moritz_H.
Stammgast
#23 erstellt: 19. Nov 2012, 21:22

h-hannah schrieb:
Keine Eroica, weder hip noch klassisch klingt revolutionärer und ungestümer.

Einspruch:
Leibowitz und Gielen klingen genauso gut, wenn nicht noch ein Tick besser …
Hörbert
Inventar
#24 erstellt: 20. Nov 2012, 21:45
Hallo!

Oder auch die alte Szell/Cleveland Orch. von 1957, -HIÜP hin oder her.
Neben der schon genannten Leibowitz und der Abbado aus den späten 80gern eine der packensten Interpretationen für mich.

MFG Günther
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