Schaltungsdetail unklar!

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Waldi2.0
Ist häufiger hier
#1 erstellt: 17. Sep 2014, 13:28
Hallo Röhrenfreunde!

Mir ist in meinem Verstärker Position und Wirkung des 0,47µF Kondensators unklar. Grund: ich habe identische Schaltungen mit 1M Lastwiderstand gesehen, in der er deutlich größer ( bis 2,2µF oder auch kleiner als 0,47µF ) war. Wie kommen die großen Unterschiede zustande, was gibt es an dieser Stelle der Schaltung zu beachten, auch bezogen auf die Grenzfrequenz ?

Vielleicht habt etwas Zeit für mich und könnt mich aufklären.Waldi2.0
pragmatiker
Administrator
#2 erstellt: 17. Sep 2014, 15:16
Servus Waldi,

dieser Kondensator C102 (0.47[µF]) macht das Gitter von V104 (6J1) wechselspannungsmäßig "kalt", d.h. stellt das Gitter wechselspannungsmäßig auf null Volt (also auf das Massepotential). Wichtig ist, das das Gitter nur wechselspannungsmäßig auf Masse liegt - gleichspannungsmäßig geht das nicht, da durch die Gleichspannungsankopplung an die davorliegende SRPP-Stufe das Gitter zwecks Arbeitspunkthaltung auf ca. +96[V] stehen muß - deswegen ist das Gitter von V104 gleichspannungsmäßig über den Widerstand R105 (1[MOhm]) angekoppelt. R105 (1[MOhm]) bildet zusammen mit C102 (0.47[µF]) einen Tiefpaß mit einer -3[dB] Grenzfrequenz von ca. 0.34[Hz] - diese Frequenz liegt hinreichend weit weg von einer sinnvollen untersten Grenzfrequenz des Audiofrequenzgebiets von ca. 20.....30[Hz], so daß hier keine wahrnehmbare gegenkoppelnde Wirkung dieses Tiefpasses im Tiefbassbereich zu erwarten ist (diese tiefpaßgekoppelte Differenzverstärkerstufe würde bei nicht richtiger Dimensionierung - durch die Gegenkopplungswirkung auf den Differenzverstärker V103 / V104 nämlich verstärkungsmindernd bei tiefen Frequenzen wirken - also ein inverses Betriebsverhalten als Hochpaß an den Tag legen).

Das Amplituden-Übertragungsmaß der Tiefpaßübertragungsfunktion für einen unbelasteten, passiven RC-Tiefpaß erster Ordnung, welcher aus einer idealen Spannungsquelle gespeist wird, kann man nach folgender Formel für jede beliebige Frequenz berechnen:



Der Differenzverstärker V103 / V104 ist darauf angewiesen, daß die Gleichspannung an seinen beiden Eingängen (zwecks Arbeitspunkteinstellung und -haltung) immer identisch ist, was durch R105 erreicht wird - er darf nur die Wechselspannungsdifferenz zwischen seinen beiden Eingängen (= Gittern) verstärken. Und das tut er, weil ja eines seiner beiden Gitter (durch C102) wechselspannungsmäßig auf 0[V] steht. Das verstärkte Differenzsignal erscheint dann an den beiden Anoden von V103 und V104 um 180[°] in der Phase gedreht - d.h. der Differenzverstärker wirkt als Phasenumkehrstufe für eine Gegentaktendstufe.

Eine Vergrößerung des Kondensatorwertes macht hier keinen Sinn. Bei Bedarf kann man das Hochpaßverhalten dieser Anordnung auf den Gesamtverstärker natürlich auch rechnen, in dem man bei obiger Formel im Frequenzbruch Zähler und Nenner vertauscht (also f² und f(g)²) und dadurch zur Hochpaßformel kommt. Damit hätte die Differenzverstärkerstufe ein Hochpaßübertragungsverhalten wie folgt:

  • 0.34[Hz]: -3[dB] (Grenzfrequenz f(g) dieser R/C-Kombination).
  • 1[Hz]: -0.48[dB].
  • 5[Hz]: -0.02[dB].
  • 8[Hz]: - 0.008[dB] (längste bekannte Orgelpfeife).
  • 10[Hz]: -0.005[dB].
  • 16[Hz]: -0.002[dB] (tiefster üblicher Orgelton).
  • 20[Hz]: -0.001[dB].

Bereits bei 8[Hz] ist also der Einfluß dieses Tiefpasses R105 / C102 praktisch nicht mehr gegeben - und deswegen hat eine Vergrößerung von C102 auch keinen praktischen Sinn (schon allein deswegen, weil so tiefe Frequenzen mit Leistung über keinen mir bekannten Ausgangsübertrager der Welt sinnvoll rüberzubringen sind - dieser Ausgangsübertrager müßte bereits für relativ moderate Leistungen sehr schwer und ziemlich groß sein --> Schätzung: Für 8[Hz] und verzerrungsarme 10[W] > 5[kg]).

Was allerdings für einen Differenzverstärker interessant (und unüblich) ist: Die Anodenwiderstände R106 und R107 sind unterschiedlich groß.......um da jedoch näheres sagen zu können, müßte man den Rest der Schaltung sehen.......

Ein interessantes Schaltungsdetail ist übrigens die SRPP-Stufe ganz vorne in Verbindung mit der Gleichspannungskopplung: Unabhängig davon, ob die erforderliche Verstärkung nicht auch mit anderen Konzepten (Widerstandsstufe, drosselgekoppelte Stufe) erreichbar gewesen wäre (immerhin scheint in diese Stufe die Über-alles-Gegenkopplung einzugreifen --> aber auch hier Vermutung, da Komplettschaltbild fehlt), hat die SRPP-Stufe hier den Riesenvorteil, daß alle Röhren der SRPP-Stufe und des Differenzverstärkers vom selben Typ sind und deswegen auch alle gleich schnell anheizen dürften. Und das heißt, daß nach dem Einschalten via V101 (die obere Röhre der SRPP-Stufe) erst dann langsam eine positive Spannung auf das Gitter von V103 und V104 gelangt, wenn diese beiden (genauso wie V101) auch langsam anheizen und deswegen durch den gemeinsamen Kathodenstrom der Spannungsabfall an R108 langsam ansteigt, wodurch das Gitter-Kathodengefälle von V103 und V104 von unmittelbar nach dem Einschalten (also dem Kaltzustand) bis zum komplett angeheizten Zustand immer relativ klein bleibt und V103 und V104 deswegen keinem unzulässigen / unnötigen Streß ausgesetzt sind. Gäbe es anstelle von V101 nur einen Anodenwiderstand oder eine Anodendrossel, dann wäre dem nicht so.......

Eine andere Sache gibt allerdings Rätsel auf: Sämtliche vier Röhren (V101, V102, V103 und V104) sind Pentoden (6J1), die als Trioden betrieben werden. Wenn ich Seite 2 des Datenblattes der 6J1 http://www.mif.pg.gda.pl/homepages/frank/sheets/095/6/6J1.pdf richtig interpretiere (das dürften die Triodenkennlinien sein), dann hätte man in diese Schaltung statt vier Stück 6J1 mit nur moderater Schaltungsänderung genausogut auch zwei ECC88 http://www.mif.pg.gda.pl/homepages/frank/sheets/030/e/ECC88.pdf einsetzen können (und dann hätte man zwei Röhren pro Kanal gespart). Aber auch hier gibt vielleicht das vollständige Schaltbild Auskunft.....

Grüße

Herbert


[Beitrag von pragmatiker am 17. Sep 2014, 17:01 bearbeitet]
Waldi2.0
Ist häufiger hier
#3 erstellt: 18. Sep 2014, 02:55
Hallo Herbert,

ich bin happy über deine tolle Beschreibung der Schaltung, einfach top, vielen Dank!

Dann sind die 2,2µF die ich gesehen habe einfach übertrieben.
Also die Gegenkopplungswirkung und Hochpassfunktion ist dann auch recht ähnlich der des Kathodenelkos von V102.
Mein Ziel ist es, so wenig Kapazität wie nötig einzusetzen, um die Zeitkonstanten tau zu verbessern.
Ich frage mich ob sowas klanglich einen Unterschied macht.

Am Eingang meines Verstärkers sitzt ein Hochpass mit einer -3dB Grenzfrequenz von ~8Hz und die Koppelc´s vorm Gitter der 6ca7 liegen ebenfalls bei ~8Hz. Wenn ich nun im Tiefton stärker gegenkoppel, dadurch daß ich den 0,47µF Kondensator nun auf 0,020µF verkleinere, wäre ich wieder bei 8Hz. Das selbe könnte ich auch mit dem Kathodenelko der V102 machen. Was sagst du dazu?

Warum das Ding, übrigens ein Chinese von Yaqin acht 6J1 verbaut hat und keine Doppeltrioden, liegt bestimmt einfach nur daran, daß acht Glimmstengel schöner aussehen wie nur vier
Die unterschiedlichen Anodenwiderstände finde ich auch interessant und sieht man nicht so häufig.
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