Ives, Charles E.: 2. Sinfonie

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WolfgangZ
Inventar
#1 erstellt: 26. Aug 2005, 22:10
Liebe Kenner und Liebhaber!

Eine allgemeinere und eine sehr spezielle Frage:
- Wie steht Ihr zu Charles Ives?
- Falls Ihr einmal - oder öfters - dessen 2. Sinfonie bewusst gehört habt: Was fangt Ihr mit dem Schluss an?

Viele Grüße, Wolfgang Zimmermann
s.bummer
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 27. Aug 2005, 16:48
Hallo Wolfgang,
IVES höre ich immer wieder gerne und habe entsprechend etliche Werke.
Dazu gehört auch die 2., die ich mit Bernstein und mit Tilson-Thomas als Dirigenten habe.
Wenn Du berücksichtigst, dass Ives immer sehr lange an den Werken geschrieben hat, nach Feierabend bzw. an Wochenenden, dann kann es passieren, dass im Entstehungsprozess der Komponierstil wechselt.
Die zweite hat er (ich zitiere den Covertext) 1897 begonnen 1909 abgeschlossen und im letzten Satz das Werk immer wieder überarbeitet, zuletzt 1949!!. Die Uraufführung fand dann 1951 statt (Bernstein).
Deshalb klingt der letzte Satz dann auch eher nach spätem Ives und weniger nach dem Brahms/Dvorak Einfluss der ersten drei Sätze, wobei ich den ersten absolut wunderbar finde. So ein Thema muss einem erst mal einfallen.
Der letzte Satz, wo sich Sarkasmus und Chaos Bahn brechen und wo es auf einmal so dissonant endet, klingt schon nach den späten Werken, der "Vierten", aber noch mehr nach "Three Places in New England" und der "Holidays Sinfonie."

Noch ein Tipp: Die Klaviersonaten mit Herbert Henck!

Beste Grüße S.
WolfgangZ
Inventar
#3 erstellt: 27. Aug 2005, 19:41
Hallo, Hans!

Danke für Deinen Beitrag! Wenn ich die Entstehungsdaten zur 2. Sinfonie betrachte, bin ich mir nicht so sicher, ob ich meine Deutung des Schlusses aufrechterhalten kann. Es ist doch so, dass wirklich erst in den letzten Takten des Finalsatzes sich das Chaos allmählich Bahn bricht und wirklich nur der Schlussakkord einen dissonanten Aufschrei verkörpert, von dem man quasi unmittelbar zur vierten Sinfonie gelangt. Ich habe das immer als einen ganz direkten Abgesang auf eine ungebrochene Sicht des Amerika im 19. Jahrhundert empfunden, vielleicht als eine Vorahnung des 1. Weltkriegs.
Natürlich spielen alle (späteren) Werke Ives' auf eine musikalisch radikale - ideologisch vielleicht dennoch naive, das heißt vordergründig realistische und keineswegs philosophisch gebrochene - Weise mit der musikalischen Tradition des alten Amerika, etwa wenn Marschthemen polyrhythmisch parallel laufen.
Vielleicht ist also dieser Schluss der 2. Sinfonie doch nur ein rein musikalisches Experiment?

Gruß, Wolfgang Zimmermann
Martin2
Inventar
#4 erstellt: 27. Aug 2005, 21:46
Hallo Wolfgang, hallo Hans!

Auch ich schätze Charles Ives sehr. Der absolute Höhepunkt meiner Ivesleidenschaft war allerdings in jungen Jahren ( also vor 20, 25 Jahren), wo ich alles von Ives gehört habe, was ich kriegen konnte. Ich bin traurig, daß die Kammermusik mit Klavier mit Frank Glazer, die ich mal auf Platte hatte, nie auf CD erschienen ist. Dieses Klaviertrio war toll, die Violinsonaten nicht schlecht. Und dann gab es noch kürzere avantgardistische Werke, die teilweise sehr eindrucksvoll waren.

Die Streichquartette sind schön, das erste eher in einem konservativen Idiom, daß zweite dann entschieden "moderner". Auch die zweite Klaviersonate war eindrucksvoll, wiewohl ich als junger Mensch von deren Modernität ( obwohl es da, wie in der vierten Sinfonie auch wieder einen Ausflug ins konservative Idiom gibt) ich fasziniert war, ohne sie zu hinterfragen. Sie ist jetzt bei Naxos erschienen, taugt diese Aufnahme etwas? Ich möchte die Klaviersonaten nämlich mal wieder hören.

Das Oratorium "The celestial country" ist sehr schön. In einem sehr konservativen Ton gehalten, der aber durchaus gefangennimmt. Die Orgelzwischenspiele klingen da etwas moderner, was einen schönen Kontrast macht. Ich finde dieses Werk sehr eindrucksvoll. Ich habe eine Aufnahme mit Stephen Cleobury und dem New London Orchestra und den BBC singers ( Collins). Da sind noch einige Psalmen mit drauf.

Und die Sinfonien und orchestralen Sachen sind natürlich schön. Allerdings habe ich vor längerer Zeit mal die Universe Sinfonie im Radio gehört ( Charles Ives unvollendetes Werk) und das war mir zu modern, ich konnte damit nichts anfangen, wiewohl ich mich nun auch nicht sehr in diese Musik hineingekniet habe. Alles andere mag ich aber sehr gerne. Die zweite Sinfonie, die Wolfgang anspricht, habe ich aber sehr lange nicht mehr gehört. Wie ich überhaupt Ives sehr lange nicht gehört habe.

Kennt ihr noch andere schöne Sachen von Ives, die ich noch nicht kenne? Wie sind die Lieder? ( die kenne ich nämlich nicht) Ansonsten wüßte ich nichts, daß mir von Ives nicht bekannt wäre ( wiewohl teilweise jahrzehnte nicht gehört).

Zu Ives gekommen bin ich als Schüler vor über 25 Jahren, als im Radio des NDR alle Sinfonien von Ives ( einschließlich der Holidays Sinfonie, teilweise wohl in Eigenproduktionen) dem Hörer vorgestellt wurden, und auch mit entsprechenden Kommentaren versehen wurden. Das waren noch die goldenen Zeiten des Radios. Die Holidays Sinfonie habe ich nie schöner gehört ( ich habe jetzt eine CD, aber irgendwie wollte sich die alte Magie nicht wieder einstellen). An das dissonante Ende der 2. erinnere ich mich auch. Aber insgesamt regt mich dieser Thread an, mal wieder Ives zu hören ( selbst wenn die Sachen längst bekannt sind).

Gruß Martin
WolfgangZ
Inventar
#5 erstellt: 28. Aug 2005, 00:51
Hallo, Martin und Hans!

Die Martin unbekannten Werke, etwa die Lieder, sind mir jetzt auch nicht in dem Maße vertraut, dass ich mich dazu äußern könnte. Neben einigen älteren Rundfunkmitschnitten bin ich vor einiger Zeit neu auf den Geschmack gekommen durch eine bei 2001 günstig erworbene Dreier-CD, auf der die 5 Sinfonien, "Central Park" und "The Unanswered Question" in 2 Fassungen enthalten sind, außerdem Hymnen, die in der 4. Sinfonie zitiert werden: Sony Essential Classics, mit Chicago Symphony bzw. Concertgebouw unter Tilson Thomas.
Öfter gehört (vor allem in der klassischen Aufnahme mit Stokowski) habe ich und besonders fasziniert bin ich von der Vierten. Mehr noch als die grellen Effekte vor allem des zweiten Satzes hat es mir der verschleierte, atmosphärisch geniale Anfang der Sinfonie angetan, aus dem sich das - je nach Aufnahme vom Chor oder der Trompete vorgetragene - Choralthema nur kurz erhebt, um gegen Ende des Werks erneut zu erklingen und ins Nichts zu entschwinden.
Hübsch von den kleineren Sachen erscheinen mir die "Variations on America", ironische Paraphrasen über die englische Nationalhymne. Man hört die Nummer nicht selten und offensichtlich regt sie auch zu Bearbeitungen an (Orgel im Original, aber auch Gitarre(n) oder Bläserbesetzungen).
Weiß übrigens jemand von einer oder mehreren Aufnahmen dieser vierten Sinfonie, bei denen auch ein Co-Dirigent eingesetzt wird? Warum macht dies Sinn, wenn es ganz offensichtlich auch mit einem geht?

Viele Grüße! Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 28. Aug 2005, 00:55 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#6 erstellt: 28. Aug 2005, 11:10
Lieber Wolfgang,

also Sinn machen wird die Sache mit den verschiedenen Dirigenten wohl schon, weil verschiedene musikalische Verläufe in der vierten Sinfonie parallel laufen ( was beim ersten Hören den Eindruck des Chaos hinterläßt). Nur kann ich keine Partituren lesen und weiß daher gar nicht, wie diese nebeneinander laufenden musikalischen Ereignisse eigentlich organisiert sind. Ich habe die vierte Sinfonie allerdings immer im Sinne einer "radikalisierten Polyphonie" gehört, nie im Sinne eines tatsächlich angestrebten musikalischen Chaos.

Danke für Deine Interpretationstips in Bezug auf die vierte. Ich habe da eine CD, erinnere mich jedoch auch, daß mich die vierte Sinfonie in meiner Jugend mehr fasziniert hat, was auch an der Interpretation gelegen haben mag.

Insgesamt finde ich jedoch, daß man Charles Ives nicht auf den Avantgardisten festlegen sollte. Die ersten 3 Sinfonien sind einfach schöne Musik ( und durchaus nicht nur nachgemachter Brahms), wie auch das Oratorium "The celestial country", daß ja auf einen breiteren Publikumsgeschmack zielte und eine größer Popularität durchaus verdient gehabt hätte. Ich weiß bis heute nicht, warum es Charles Ives damit nicht gelang, einen Durchbruch zu erzielen. Die Musikwelt der USA muß zu Ives Zeiten einfach extrem kunstfeindlich gewesen sein, anders ist dies nicht zu erklären. Und wenn ich mich recht erinnere, wollte Gustav Mahler die 3. Sinfonie von Ives auf das Konzertprogramm setzen. Aber Mahler wurde krank und aus der Sache wurde nichts. Und über Ives ist jedenfalls schon eine Menge dummes Zeug geredet worden, zum Beispiel, daß er ein Dilletant gewesen wäre oder auch, daß er ein musikalischer Einzelgänger gewesen wäre ( als ob er das von Anfang an erstrebt hätte!).

Gestern habe ich übrigens, angeregt durch Dich, mal wieder die 2. Sinfonie gehört. Tolle Musik!

Gruß Martin
teleton
Inventar
#7 erstellt: 13. Sep 2005, 08:29
Hallo Ives-Freunde,

Die Ives: Sinfonie Nr.2 ist in der abgebildeten
6CD-DG-Box mit Bernstein und verschiedenen Orchestern enthalten:

Leonard Bernstein - The Americans (Complete DG-Recordings)
Gershwin:Rhapsody in Blue;Prelude Nr. 2
+Barber:Adagio for Strings
+Bloch:Schelomo
+Copland:Symphonie Nr. 3;Quiet City;
Appalachian Spring;El Salon Mexico;Klarinettenkonzert;Music for the Theatre;Connotations
+Harris:Symphonie Nr. 3
+Schuman:Symphonie Nr. 3;American Festival
Overture
+Ives:Synphonie Nr. 2;The Gong on the Hook
and Ladder or Firemen's Parade on Main Street;
Tone Roads Nr. 1;Largo cantabile "Hymn";
Halloween;Central Park in the Dark;The
unanswered Question
+Rorem:Violinkonzert
Maisky, Drucker, Los Angeles PO, New York PO,
Bernstein (6CD)


Was Bernstein hier im Zeitraum 1982-1989 aufgenommen hat ist vielfach besser und noch eindrucksvoller gelungen, als die gleichen Werke in seinen alten auch sehr guten CBS-Aufnahmen aus den 60ern. Die 6DG-CD´s liegen alle als Hochpreis-Einzel-CD´s vor – die Box ist natürlich ein Schnäppchen (39,-€).
Die Klangqualität dieser Live-Aufnahmen von DG ist sensationell gut, man weis nur aus dem Textheft, das es Konzertmitschnitte sind (kein Klatschen, keine Störungen), doch diese Live-Atmosphäre überträgt sich beim Hören auf den Hörer ! Man meint durch den direkten Klang dabei zu sein. Der Frequenzumfang von den tiefsten Tiefen angefangen wirkt gigantisch direkt und „livehaft“. (Copland´s Connotations sind absolut mitreißend und nie hat man die großen Trommeln in Coplands El Salaon Mexico so erschütternd direkt über die Lautsprecher tönen hören.)

Die Ives-CD in der DG-Box war bisher von mir noch ungehört, da mich die Werke von Copland, Bloch, Harris, Schuman bisher einfach von größerem Interesse waren.
Mein Eindruck von der Bernstein-DG-Aufnahme von 1987 der Ives: Sinfonie Nr.2 ist äußerst positiv; auch im Vergleich zu meiner alte CBS/Sony-Aufnahme von 1958, die etwas zügiger, auch TOP, aber im Vergleich die neuere DG-Aufnahme einfach nicht erreicht.
Bernstein hat sich Zeit seines Lebens für die Werke Ives eingesetzt – ohne ihn hätten diese nicht die Popularität. Die Sinfonie Nr.2 soll er besonders geliebt haben – das merkt man den Aufnahmen an. Bernstein ist ein ganz großer Wurf gelungen und ich muß nun feststellen, das Bernstein bei DG nicht nur klanglich gegenüber der CBS-Aufnahme mit gleichem Orchester haushoch punktet. Die positive Sicht und das einfühlsame Dirigat sind gelungen. Die Kurzstücke The unanswered Question und Central Park in the Dark begeistern durch diese Bernstein-Spitzenaufnahme einmal mehr.
Die CBS-Aufnahme im Falle der Sinfonie Nr.2 von 1958 ist zwar fast rauschfrei, doch ist der Klang im Vergleich zur DG-Aufnahme etwas mulmig.
Die DG-CD hingegen ist perfekt und man fragt sich wirklich ob es noch besser geht. Die hochgelobte MTT-Aufnahme mag TOP sein, aber im Falle dieser bei DG enthaltenen IVES-Werke fragt man sich warum und wo MTT da noch besser sein könnte.
Miles
Inventar
#8 erstellt: 13. Sep 2005, 11:48
Ein Hinweis: Die DG-Aufnahme von Bernstein gibt es zur Zeit für 10 Euro bei JPC (vorher Vollpreis-CD)



http://www.jpc.de/jp.../classic/rsk/hitlist
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