Historisches Klangbild bei 30-40 Jahre alten Aufnahmen.

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Hörbert
Inventar
#1 erstellt: 20. Jan 2015, 12:20
Hallo!

Während Aufnahmen der Mono-Epoche ja ohne weiteres als historische Aufnahmen gelten gilt das bei vielen Hörern für das Gros der Aufnahmen des Sterero-Zeitalters trotz der teilweise recht deutlichen Artefake offenbar nicht.

Mich würde es einmal interessieren wer ausser mir diese älteren Aufnahmen noch als mit einem historischen Klangbild behafter empfindet.

Dabei habe ich nicht nur die frühen Analogaufnahmen aus den 50ger-60ger Jahren im Auge sondern auch die späten Analogaufnahmen und sehr frühen Digitalaufnahmen der 70ger und 80ger Jahre. Hier gibt es m.E. ebenfalls deutlich Artefakte besonders auffällig finde ich hier das typische etwas spitze und schrille Klangbild hoher Holzblasinstrumente und bei Sopranstimmen die etwas verwaschene Artikulation sowie das nach oben aufbrechende Klangbild von Frauenstimmen allgemein, aber auch das zuweilen recht deutliche "röcheln" bei Tenor-/Bariton-Stimmen. (das ist jezt alles etwas überspitzt formuliert aber ich will deutlich machen was ich überhaupt unter den typischen Artefakten verstehe.)

Natürlich sind solche Effekte in der Regel durch die Kunst der damaligen Tonmeister und -techniker in der Regel recht gut kaschiert und ich bin weit davon entfernt diese Aufnahmen deswegen als unanhörbar oder auch nur als schlecht anhörbar zu klassifizieren, aber ich sehe diese Aufnahmen deswegen eben als mit einem deutlich historischen Klangbild behaftet an.

Wie seht ihr das?


MFG Günther
op111
Moderator
#2 erstellt: 20. Jan 2015, 12:51
Hallo Günther,

als konkretes Beispiel möchte ich auch noch den zuweilen harten, z.T. etwas gläsern verfärbten Violinklang und oft etwas drahtig klingende Celli und Kontrabässe nennen.
op111
Moderator
#3 erstellt: 20. Jan 2015, 13:23
Hier noch 2 Links auf verwandte Threads:
- Gravierende Aufnahmefehler bei Klassik-CDs
- CD- Aufnahmequalität
Hörbert
Inventar
#4 erstellt: 20. Jan 2015, 13:34
Hallo!

Mir stellt sich bei diesen Aufnahmen auch oft die Frage inwieweit hier eine Neubewertung der Interpretation vorgenommen werden müßte, denn inwieweit ist z.B. der teilweise recht harsche Klang interpretatorische Absicht und inwieweit ist er der alten Aufnahmetechnik geschuldet?

Natürlich würde ich nie so weit gehwen und die Aufnahmetechnik alleine als das "A" und "O" der Musikreproduktion auf Tonträgern zu bezeichnen aber sie hat trozdem für mich eine ungemein wichtige Rolle innen. Ausser bei einigen wenigen zeitnahen Komponisten wie John Cage ist so z,B, ein verstimmt klingendes Klavier das mit hohem Klirranteil aufgenommen wurde ganz sicher keine interpretatorische oder gar komposititorische Absicht und alleine der Aufnahmetechnik geschulded -wobei man natürlich noch einmal in Schludrigkeit und technischer Begrenzung aufteilen könnte aber das könnten wir auch aussen vor lassen, -hier geht es eigentlich um die durch die technischen Möglichkeiten verursachte Effekte-.

MFG Günther
arnaoutchot
Moderator
#5 erstellt: 20. Jan 2015, 15:41
Könnt ihr mal ein paar konkrete Beispiele anführen, die aus Eurer Sicht in diese Kategorie fallen ?
Hörbert
Inventar
#6 erstellt: 20. Jan 2015, 17:32
Hallo!

Ja klar:

Hier eines meiner Paradebeispiele:

jpc.de

Das ist eine späte Analogaufnahme die auf den ersten Blick ohne auffällige Fehler ist aber im direken Vergleich z.B. damit :

jpc.de

Dann doch einige der von mir gemeinten Artefakte recht deutlich offenbart.

Ich beziehe mich natürlich hier auf die beiden Werke Quadrivium für 4 Percussionisten & 4 Orchestergruppen; sowie auf Aura für Orchester die hier als paraleele Veröffentlichungen vorliegen.

Verglichen wurde natürlich bei der SACD die CD-Spur aber auch ein Vergleich mit der SACD-Spur ist hier m.E. zulässig da es ja um die Aufnahmetechnik an sich geht.

MFG Günther
arnaoutchot
Moderator
#7 erstellt: 20. Jan 2015, 18:04
Hmm ... da hab ich weder die eine noch die andere noch irgendwelche Aufnahmen davon. Hast Du noch etwas mainstreamigeres ?
op111
Moderator
#8 erstellt: 20. Jan 2015, 18:09
1. (nicht gerade eine historisch klingende Aufnahme, aber eine mit per Kopfhörer geringfügig irritierenden Artefakten)
Hier eins, das mich am Wochenende genervt hat.
Zuerst habe ich nach einem Fehler im eigenen HiFi-Geraffel gesucht, bis sich eindeutig der Tonträger als Quelle herausstellte:
Mahler 1. Sinfonie, 3. Satz
Chicago Symphony Orchestra, Solti, Decca 430 805-2 A: 10/1983
Besonders deutlich bei
Track 3 : 8:09-8:15
hier tritt ein hochfrequenter (ca. 4-6kHz), disharmonischer (Intermodulations-?) Störton auf, der seine Tonhöhe gegenläufig zu den melodieführenden Holzbläsern verändert.
Im Spektrum lässt sich keine der üblichen konstanten Störungen, wie die NTSC-Zeilenfrquenz 15,7 kHz oä. nachweisen.


[Beitrag von op111 am 20. Jan 2015, 18:39 bearbeitet]
op111
Moderator
#9 erstellt: 20. Jan 2015, 18:24
2.
D.Schostakowitsch, Sinfonie Nr. 15
Sinfonie Orch. des UdSSr-Kultusministeriums, G. RoshdestwenskiJ
Melodia 258 493
Aufnahme Moskau 1983 DDD
Track 3 Adagio
Gleich am Anfang:
Auf jeden der leisen Paukenschläge folgt eine Rauschfahne.
Wer mal einen HighCom Recorder hatte, kennt das noch deutlicher.

Später im ff laufen dann vor allem die hohen Schlaginstrumente Xylophon, Celesta deutlich in die Übersteuerung.

op111
Moderator
#10 erstellt: 20. Jan 2015, 18:31
3.
Mahler, 1. Sinfonie
Berliner Philharmoniker, B. Haitink
Philips 1987 DDD

3. Satz am Anfang:
Die Klappengeräusche der Holzbläser sind so dezent und verfärbt, daß sie wie Fremdgeräusche wirken. Das scheint mir aber kein Artefakt zu sein, sondern klingt nur täuschend ähnlich.
Bei einer Analogaufnahme wäre das Geräusch unterm Rauschteppich verschwunden.



[Beitrag von op111 am 20. Jan 2015, 18:40 bearbeitet]
op111
Moderator
#11 erstellt: 20. Jan 2015, 18:46
4. (betrifft einige analoge Aufnahmen der 1970er)
Kurze, leise, einzelne Knistergeräusche, fein wie Nadelimpulse in ungleichmässigen Abständen.
Ursache unbekannt, Montage-Schnitte, statische Entladungen?
Sind mir v.a. auf EMI-Remasters aufgefallen.
Genaue Stellen müsste ich mal nachhören.
op111
Moderator
#12 erstellt: 20. Jan 2015, 19:32
5.
Ein Beispiel einer fast 40 Jahre alten, seiner Zeit für ihren Klang gelobten Aufnahme:
Mahlers 9. mit dem Chicago Symphony Orchestra, C.M. Giulini, DGG, ADD
Es existieren unterschiedliche Ausgaben, die von neuen technischen Möglichkeiten und/oder besserer Sorgfalt profitieren.
Die Aufnahme litt bei der ersten CD-Ausgabe in der DG-Galleria-Serie v.a. unter
- dem leicht zur Schärfe und zu zuviel Präsenz verfärbten Klang.
- störenden Band-Tonkopf-Kontaktproblemen (verwelltes Band?). Besonders im rechten Kanal traten ein unangenehmes Flattern und seltsame Interferenzen auf.
- den üblichen Analogproblemen: Klirr im oberen Pegelbereich, Gleichlaufschwankungen, geringe Dynamik

In der späteren Original-Masters-Serie war nicht nur der Bandkontakt-Fehler weitgehend behoben oder gut kaschiert. auch der Klang viel voller und "räumlicher".

2000 Deutsche Grammophon CD 289 463 609 2
Die spätere Ausgabe in der Box "Giulini The Chicago Years" entspricht dieser klanglich.
jpc.de
s.a.
jpc.de

Unnötig scheint mir darzustellen, daß diese im Grunde (seinerzeit 1978 ) vorbildliche Aufnahme gegen aktuelle Produktionen (z.B. Chailly, Decca) klanglich deutlich abfällt.

Weitere evtl. noch deutlichere Beispiele müssten sich praktisch in jeder zeitlich breiter gestreuten Sammlung finden lassen.



[Beitrag von op111 am 20. Jan 2015, 20:13 bearbeitet]
Thomas133
Hat sich gelöscht
#13 erstellt: 20. Jan 2015, 20:06
Ich hab mich ja schon öfters hier zu dem Thema geäußert und mit Franz Diskussionen darüber geführt. Mich wundert ja generell dass viele Klassikhörer zwar sehr viel wert auf eine gute HiFi-Anlage legen aber durchwegs schlechte Klangqualität von älteren Aufnahmen tolerieren. Natürlich kann man bei gewissen besonderen Referenzaufnahmen Ausnahmen machen, aber viele Klassikhörer beschränken sich ja nicht nur darauf und es gibt mittlerweile genug Alternativen neueren Aufnahmedatums die vielen der besten Interpretationen zum. sehr nahe kommen. Ich nehme an da gibt es einfach auch verschiedene Ansprüche und Toleranzgrenzen. Ich habe nicht sehr viele Aufnahmen aus den 50er-70er Jahren (wobei es da mitunter auch erstaunlich gute Aufnahmen gibt...vor allem bei Decca gibt es von dem was ich besitzte in den 70ern erstaunlich gute Qualität, außerdem finde ich auch viele 80er Aufnahmen als etwas mangelhaft) da ich, im Falle es gibt eine ähnlich gute Interpretation mit einer besseren Klangqualität, immer Diese bevorzuge und zudem auch prinzipiell keiner bin der gerne in die Tiefe sammelt.
Deswegen kann ich auch nicht allzu viele Beispiele nennen, aber mir fallen spontan die hier schon im anderen Thread erwähnten Gulda Beethoven-Sonaten ein die einen zu hohen Klirrfaktor aufweisen, das Klavier viel zu dünn und bassarm rüberkommt, bei einer kurzen Stelle sogar mal ein Kanal ausfällt (hat Franz auch mal nachgeprüft und bestätigt) oder teilweise die Tschaikowsky-Sinfonien unter Bernstein und NYP wo u.a. die Streicher stellenweise merkwürdig "kratzen" wie ich es sonst von keiner anderen Aufnahme kenne, außerdem ist dort teils (die Aufnahmen weichen vom Aufnahmedatum teils weit voneinander ab) sowieso der Rauschabstand nicht wirklich ideal. Gulda ist sowieso generell ein guter Kandidat denn mir kommt gerade auch die Einspielung des WTK II in den Sinn, ebenso mangelhaft wie die Beethoven-Sonaten und etwas lauter darf man da bei leiseren Stellen nicht aufdrehen sonst hat man das Gefühl im Raum wäre während der Aufnahme noch eine Klimaanlage oder Luftent- oder befeuchter auf Vollbetrieb gelaufen. Ich versuche schon seit längerem soweit es möglich ist Aufnahmen ungefähr ab den 90ern und nach vorherigem gründlichen Reinhören (über Spotify oder Youtube) aber natürlich auch nach Vergleichshören zu selektieren, also jetzt auch nicht zu pauschalieren sondern schon vorher einen Eindruck davon zu machen, wobei wenig erstaunlich meist die ähnlich gleichwertigen Interpretationen mit neueren Aufnahmedaten "gewinnen".
op111
Moderator
#14 erstellt: 20. Jan 2015, 20:20
Nur kurz zur Ergänzung:
AH. hat in seinem Thread auf nützliches Hör-Testmaterial (flac-Files, (SA)CDs) verwiesen, die helfen können, nicht nur die Qualität von Lautsprechern, sondern auch von Aufnahmen einzuschätzen:
Stereo » Lautsprecher » Der subjektive Hörtest - nur wie?
Hörbert
Inventar
#15 erstellt: 20. Jan 2015, 20:53
Hallo!

@Thomas133



........ Mich wundert ja generell dass viele Klassikhörer zwar sehr viel wert auf eine gute HiFi-Anlage legen aber durchwegs schlechte Klangqualität von älteren Aufnahmen tolerieren. ..........


M.E. liegt das vor allem daran das man als Klassikhörer einfach "vieles gewöhnt" ist und sich gerade aus Gründen der Interpretation so Aufnahmen anhört von denen man oft sagen könnte "Soll das ein Witz sein?"

So habe ich mir z,B, -wohlwissend was ich damit tue-. Diese Aufnahmen zugelegt:

jpc.de

Hier liegen zweifelsohne von der Klangqualität her gesehen Aufnahmen vor die nach heutigem Maßstab schlicht und ergreifend nur als "Grottenschlecht" betzeichnet werden können.

Das Räsel für mich liegt eigentlich eher darin warum es so wenig Bewußtsein dafür gibt das im Grunde das Klangbild dieser Aufnahmen:

jpc.de

von vielen eben nicht als ebenso historisch empfunden wird.

Auch hier z.B.

jpc.de

Liegt eine deutlich hörbare historische Aufnahme mit den -für mich- typischen Artefakten vor die im direkten Vergleich mit einer zeitgemäßeren Aufnahme wie z.B. diesen hier:

jpc.de

jpc.de

Ungeachtet der Interpretationqualität des La Salle-Quartetts hgat man es hier -für mich-, mit deutlich historisch klingendem Material zu tun.

MFG Günther
Thomas133
Hat sich gelöscht
#16 erstellt: 21. Jan 2015, 01:08

Hörbert (Beitrag #15) schrieb:


........ Mich wundert ja generell dass viele Klassikhörer zwar sehr viel wert auf eine gute HiFi-Anlage legen aber durchwegs schlechte Klangqualität von älteren Aufnahmen tolerieren. ..........


M.E. liegt das vor allem daran das man als Klassikhörer einfach "vieles gewöhnt" ist und sich gerade aus Gründen der Interpretation so Aufnahmen anhört von denen man oft sagen könnte "Soll das ein Witz sein?"


Hallo,
da bin ich dann anders gestrickt, an gewisse Dinge kann und will ich mich nicht gewöhnen und so gut kann die Interpretation garnicht sein dass ich eine auffällig schlechte Klangqualität akzeptieren würde. Ja, höchstens wenn vielleicht zB der Komponist selber (Strauss, Rachmaninoff, Brahms auf der Wachswalze usw.) etwas eingespielt hat und sowas einfach aus historischem Interesse höre...aber gewöhnliche Dirigenten, Orchester egal ob jetzt die Namen Furtwängler, Klemperer, WPO, BPO usw. vorkommen...aber da schwingt meiner Meinung halt auch viel Mystifizierung, teils Dogmatik mit. Meiner Meinung nach ist fast (!) jede schlecht klingende historische Aufnahme durch eine ebenso gute Interpretation neueren Aufnahmedatums ersetzbar wenn man nicht eben gerade genannten Verhaltensmuster verfallen ist.
Und was deine Verwunderung anbelangt...das war auch der Punkt den ich in meinem letzten Beitrag erwähnt habe, nämlich scheinbar verschiedene Ansprüche und Toleranzgrenzen bzgl. Klangqualität. Aber gut, solange es Diejenigen nicht stört...leben und leben lassen.
Kreisler_jun.
Inventar
#17 erstellt: 21. Jan 2015, 11:40
Ich fürchte, dass man viele von den genannten Dingen nur hört, wenn man genau weiß, worauf man achten muss. Die meisten Hörer wissen eh (ggf. unbewusst), dass eine Aufnahme nie klingt wie ein Konzert und achten überhaupt nicht auf "Artefakte", solange die nicht sehr deutlich sind.
Man kann sich freilich ebenso umgekehrt darauf konditionieren, offensichtliche Schwächen historischer (sagen wir vor 1955) Aufnahmen auszublenden. M.E. führt das zu mehr Musikgenuss als der umgekehrte Fall, in dem man anscheinend kaum mehr eine Aufnahme ertragen kann, weil man irgendwelche Flöhe husten hört...

Wie auch immer habe ich jedenfalls sehr große Schwierigkeiten zu verstehen, dass jemand "normal gute" Studio-Aufnahmen der 1970er als "genauso historisch" wie Mono-Aufnahmen der 1940er wahrnimmt. Diese Unterschiede sind für mich sehr viel größer als zwischen einer 1970er Studio-Aufnahme und einer von heute.
Kreisler_jun.
Inventar
#18 erstellt: 21. Jan 2015, 11:44

Thomas133 (Beitrag #16) schrieb:
usw.) etwas eingespielt hat und sowas einfach aus historischem Interesse höre...aber gewöhnliche Dirigenten, Orchester egal ob jetzt die Namen Furtwängler, Klemperer, WPO, BPO usw. vorkommen...aber da schwingt meiner Meinung halt auch viel Mystifizierung, teils Dogmatik mit. Meiner Meinung nach ist fast (!) jede schlecht klingende historische Aufnahme durch eine ebenso gute Interpretation neueren Aufnahmedatums ersetzbar wenn man nicht eben gerade genannten Verhaltensmuster verfallen ist.


Natürlich gibt es "gute" oder sogar "bessere" neuere Aufnahmen. Das ist aber gar nicht der Punkt. zB Furtwänglers Interpretationen sind völlig anders als irgendeine Beethoven-Aufnahme der letzten 30 Jahre. Wenn man diesen Stil interessant findet, kann man diese Dokumente nicht einfach durch irgendetwas neueres ersetzen. Und dasselben Argument gilt für sehr viele historische Aufnahmen. Diese Interpretationsunterschiede sind m.E. sehr viel deutlicher hörbar als niederfrequentes Brummen, Rauschfahnen oder was weiß ich was.
Hüb'
Moderator
#19 erstellt: 21. Jan 2015, 12:18
Hallo,

interessantes Thema, danke Dir für die Eröffnung, Günther!

Für mich gibt es da eigentlich nur eine wesentliche Trennungslinie und die verläuft zwischen mono und stereo. Angesichts der Marktfülle verspüre ich wenig Lust, mich mit Mono-Aufnahmen anzufreunden, seien die Einspielungen auch noch so herausragend oder bedeutsam interpretiert.

Insofern war die Etablierung von Stereo-Aufnahmen ein echter Quantensprung, den ich mit der Einordnung "grundsätzlich genießbar" gleichsetze. Wenn man sich die Entwicklung der Qualität von Klassikaufnahmen mal plakativ als gemittelte (!) Kurve vorstellt, dann würde diese IMHO
  • in den Jahren 1957 bis 1965 sehr steil ansteigen
  • sich zwischen 1966 und 1975 bereits abflachen
  • zwischen 1976 und vielleicht 1985 weiter an Steilheit verlieren
  • In den Folgejahren bis Anfang der 90er nur noch geringfügig steigen
  • um dann ab ca. 1995 eine nahezu konstante Gerade zu werden (denn ab hier wird meiner Ansicht nach durchgängig ein Niveau erreicht, dass die Erwartungen der allermeisten Hörer übererfüllen dürfte)

Nach meinen Maßstäben würde ich daher wirklich nur die in den Anfangsjahren der Stereophonie entstandenen Produktionen als "historische Aufnahmen" bezeichnen.

Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 21. Jan 2015, 12:46 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#20 erstellt: 21. Jan 2015, 13:48
Ich mache grob folgende Einteilungen:

1. akustische Aufnahmen (Trichter) bis ca. 1925. Die mögen auf originalen Grammophonen beeindruckend sein, was ich an CD-Überspielungen gehört habe, war für mich "schwierig", so etwas höre ich mir auch höchstens aus historischem Interesse an

2. elektrische Aufnahmen, ca. 1925-1950, normalerweise mit "Schellackknistern", da direkt von Schellackplatten überspielt.

3. "Mono Hifi" ist nicht so leicht abzugrenzen, ca. Ende der 1940er bis Ende der 1950er, teils bei Mitschnitten oder Funkaufnahmen auch noch bis weit in die 1960er. Ich kenne mich in der Technikgeschichte nicht aus, aber hiermit meine ich die durch Neuerungen wie "full frequency response" (?) u.ä. meist deutlich besser klingenden Einspielungen vor der Etablierung der Stereotechnik.

4. "Analog-Stereo" ab Mitte der 1950er

5. Digitaltechnik (ab Mitte/Ende der 1970er, verbreitet ab Anfang der 1980er)

Da ich an Mehrkanal kein Interesse habe, endet bei mir hier die Geschichte. Ungeachtet der Tatsache, dass viele frühe Digitalaufnahmen nicht besonders toll klingen, sehe ich keinen systematischen Schnitt in den letzten 35 Jahren, so dass man zB sagen könnte, ab 2000 seien Aufnahmen grundsätzlich denen der 1980er/90er überlegen.

Für mich sind normalerweise die Unterschiede zwischen den genannten Phasen (außer vermutlich 4 und 5) gut hörbar und beträchtlich. Die typische/durchschnittliche Qualität ist von 1 bis 5 gestiegen, wobei für mich jeder Schritt (oft deutlich) "kleiner" ist als der vorherige. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht einzelne Aufnahmen finden kann, die für ihre Zeit ungewöhnlich gut oder ungewöhnlich schlecht klingen.
Mit einem meiner Lieblingsbeispiele, die Mono-Aufnahme des Verdi-Requiems unter Fricsay ist besser balanciert und klingt "natürlicher" als die einige Jahre später entstandenen frühen Stereo-Aufnahme des Fidelio mit diesem Dirigenten.

Natürlich nerven mich in Einzelfällen Einschränkungen, aber normalerweise kann ich ab "3" Musik problemlos genießen, ohne mich am Klang zu stören. Mit gewissen Einschränkungen (Eingewöhnungszeit und Art der Musik) gilt das auch für vieles aus 2 (besonders Klavieraufnahmen), wobei die Qualitätsschwankungen bzw. Genussfähigkeit für mich in den Bereichen 2 und 3 sicher deutlich stärker zwischen einzelnen Aufnahmen variieren als in den späteren Epochen.

Für die weiter oben im thread angeführten angeblich gigantischen Qualitätsunterschiede und -gewinne in den den letzten 50 oder sogar 25 Jahren (also alles innerhalb 4 und 5), fehlt mir anscheinend weitgehend die Sensibilität.

Mein anekdotischer Eindruck ist außerdem, dass nachdem Stereo einmal "im Griff" war, die Steigerungen minimal sind bzw. viele Aufnahmen 1970-80 frappierenderweise eher schlechter klingen als ca. 1958-65, insofern bin ich bei Franks Steigerungsphasen skeptisch. Aber das ist wirklich nur ein anekdotischer Eindruck (und ich bin sicher kein Anhänger des Living Stereo oder Mercury Mythos, obwohl einige davon fantastisch klingen).
arnaoutchot
Moderator
#21 erstellt: 21. Jan 2015, 14:35

Kreisler_jun. (Beitrag #20) schrieb:
Mein anekdotischer Eindruck ist außerdem, dass nachdem Stereo einmal "im Griff" war, die Steigerungen minimal sind bzw. viele Aufnahmen 1970-80 frappierenderweise eher schlechter klingen als ca. 1958-65, insofern bin ich bei Franks Steigerungsphasen skeptisch. Aber das ist wirklich nur ein anekdotischer Eindruck (und ich bin sicher kein Anhänger des Living Stereo oder Mercury Mythos, obwohl einige davon fantastisch klingen).


Diesen Eindruck habe ich aber auch. Ohne es begründen zu können, glaube ich, dass einfach mehr Sorgfalt auf Orchester- und Mikrophonaufstellung verwendet wurde. Die Mehrkanaltechnologie war zumindest für mich dann aber doch nochmals ein Quantensprung, Orchesteraufnahmen gewinnen dadurch deutlich !
Kreisler_jun.
Inventar
#22 erstellt: 21. Jan 2015, 14:50
Ich habe in absehbarer Zeit keinen Hörraum für Mehrkanal, selbst wenn ich mir die Hardware leisten könnte/wollte (Hybrid-SACDs habe ich ja nolens volens einige im Regal).

Bzgl. frühes vs. spätes Analog-Stereo dachte ich, dass das auch an ungeschicktem Multimiking gelegen hätte. Besonders abschreckendes Beispiel ist C. Kleibers Beethoven Nr.7 (DG Mitte 70er), von der mal jemand sagte, die klänge, wie auseinandergeschnitten und leicht schief wieder zusammengesetzt. Dass irgendwie künstlich klingt, höre jedenfalls selbst ich

Wo würden denn die, die "historisches Klangbild" bei Aufnahmen 1975-85 vernehmen, den Übergang zu "nichthistorischem" Klang sehen? Ab der digitalen Mehrkanaltechnik? Die meisten Aufnahmen der letzten 20 Jahre sind aber Normal-Stereo, klingen die auch "historisch"?
Hörbert
Inventar
#23 erstellt: 21. Jan 2015, 18:50
Hallo!

Mag sein das hier einige mehr auf die Artefakte hören als andere, mag aber auch sein das einige den relativ große Klirranteil der alten Analogaufnahmen gar nicht als solchen wahrnehmen,

So sind z.B. bei den von Eschenbach zwischen 1967-1971 eingespielten Mozart-Klaviersonaten der Klirranteil das Pianos ein extrem störender Faktor der zwar für mich durch die Interpretation entschädigt wird aber mir durchgehend das -wiederum für mich- historische Klangbild stets präsent vor Augen hält:

jpc.de

Ein kurzer Quercheck mit einer guten zeitgemäßen Klavieraufnahme sollte hier eigentlich jedem vor Augen Führen was mit einem historischen Klangbild solcher Aufnahmen gemeint ist auch ohne das man hier mit der Lupe nach passenden Artefakten suchen muß, sie springen einen im Gegenteil fäörmlich an.

MFG Günther
op111
Moderator
#24 erstellt: 21. Jan 2015, 20:51

Kreisler_jun. (Beitrag #22) schrieb:
Wo würden denn die, die "historisches Klangbild" bei Aufnahmen 1975-85 vernehmen, den Übergang zu "nichthistorischem" Klang sehen?

Der Ausdruck "historisches Klangbild" bei Stereoaufnahmen stammt zwar nicht von mir, dennoch antworte ich mal.
An einem Formatwechsel (2 -> multicannel) mache ich den Übergang zu einem wahrnehmbar besseren Klang nicht fest. Das ist ein wenig wie Äpfel mit Birnen vergleichen.
Deutliche Fortschritte - wenn auch vielleicht nicht so drastisch wie beim Übergang analog zu 16Bit-44kHz digital - nehme ich seit ganz grob ca. 1990 wahr,
als man (die Tontechniker u.a.) sich komplett auf das neue Medium CD zu konzentrieren begann und nicht mehr auf die Einschränkungen analoger Speicher Rücksicht nahm und die Technik so ziemlich alle Kinderkrankheiten überwunden hatte.
Die Nutzsignalbandbreite hat sich durch den besseren Störabstand deutlich erhöht:
zu LP-Zeiten lagen zwischen pp und ff selten mehr als 46db - mittlerwile trifft man auf Aufnahmen mit mehr als 60 dB, was manchmal das Abhören durchaus erschweren kann, da die übliche heimische Hörsituation dies nicht ohne Nachstellen des Pegels erlaubt.


[Beitrag von op111 am 21. Jan 2015, 21:04 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#25 erstellt: 21. Jan 2015, 21:19
Hallo!

Ja, so zwischen 1988-1992 würde ich auch einen Punkt setzen an dem die Aufnahmen eher anfingen den heutigen Standards zu gleichen als in der Zeit davor, allerdings verschwinden die typischen analoge Artefakte schon vorher so z.B. der typische Klirr der bei Bandsättigungen immer wieder auftrat die Rauschfahnen der Kompandersyteme und das mehr oder minder vernehmliche "pumpen" der Rauschunterdückung .

Allerdings verschwanden in genannten Zeitraum um 1990 herum mehr und mehr die "Kinderkrankheiten" der digitalen Aufnahmesysteme wie z.B. vernehmliches "gruseln" an leisen Stellen überpräsenter Hochtonbereich und das teilweise zu trockene Klangbild.


@Thomas133

Natürlich wirst du ohne Probleme für fast alle Werke, -zumindestens jedenfalls für alle Mainstreamwerke-, zeitgemäße Interpretationen finden die den älteren in keiner Weise nachstehen, das ist gar keine Frage. Es ist ganz sicher kein Problem eine umfassende Sammlung aufzubauen die keine dieser alten Aufnahmen enthält und bei du nichts zu vermissen brauchst.

Aber die alten Interpretationen vermitteln dir eben die damaligen Perspektiven. So spielten Leibowitz, Klemperer oder Furtwängler "ihren" Beethoven so wie heute Giehlen, Abbado oder Rattle "ihren" Beethoven heute spielen-/spielten. Für mich tut sich da eine zusätzliche Perspektive auf die ich ohne diese historischen Aufnahmen gar nicht wahrnemen könnte. Natürlich kann ich deinen Standpunkt gut nachvollziehen, -ich war nicht immer auf dem Punkt auf dem ich heute bin-, es gab auch bei mir eine Zeit in der ich diese älteren Aufnahmen schier unerträglich schlecht fand und erst mit der Zeit habe ich meinen Frieden damit gemacht.

MFG Günther
Thomas133
Hat sich gelöscht
#26 erstellt: 21. Jan 2015, 22:50
@ Kreisler und Hörbert

Mir ist klar dass diese Dirigenten ihren Verdienst haben und teils eine andere Sichtweise auf Beethoven & Co bieten, ich will damit sicher nicht die Größe von ihnen schmälern. Bei mir ist mehr die Frage ob ich diese Interpretationen unbedingt brauche um diverse Komponisten besser zu verstehen und ihnen näher zu kommen und für mich lautet die Antwort nein. Ich kenne genug Interpretationen der neueren Zeit die ich sehr gut finde und wo ich nicht das Gefühl habe hier große Steigerungen erwarten zu dürfen wenn ich weiter suchen würde (zumal ich ja auch schon aus Interesse stellenweise bei Youtube in Dirigate von Mitte letzten Jahrhunderts hineingehört habe)...Alternativen mit einem anderen Blickwinkel schon, aber dieses Argument wiegt leider nicht so sehr wie der unangenehme Nebeneffekt der lausigen Klangqualität. Mag sein ich bin da etwas analytischer wie Andere (soll jetzt nicht hierhergehören aber evtl. zum besseren Verständnis habe ich nebenbei erwähnt auch eine Ausbildung in diesem Bereich, selbst aktiv Musiker) - es gibt ja auch solche die zB bei der Komposition während des Hörens alles zerpflücken, hier Dominante, hier Umkehr, hier Änderung der ...-taktiken Periode usw. statt sich emotional komplett darauf einzulassen. Für mich ist halt die Klangqualität ein wichtiger Punkt, ich achte halt auch zB wie die Orchesteraufstellung ist, wie nah oder entfernt die Instrumente aufgenommen wurden, die Akustik des Aufnahmeraumes usw. Ich kann natürlich schon mal ausblenden wenn mich Werke und die Interpretation für sich fesseln, aber es wird dann bei gröberen Klangmängeln nie so weit gehen das ich diese Aufnahme lieben und oft hören werde. Und wenn mich die Interpretation nicht so sehr fesselt (und zB Furtwänglers Beethoven trifft halt auch leider nicht so ganz meinen Geschmacksnerv...nicht das ichs jetzt sehr schlecht finden würde aber auch nicht so dass ich mich dafür begeistern könnte) dann bleibt halt nicht viel übrig für mich das mich jetzt an so einer alten Aufnahme reizen würde.


[Beitrag von Thomas133 am 21. Jan 2015, 22:50 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#27 erstellt: 22. Jan 2015, 00:21
Hallo!

Ja natürlich, wie ich schon geschrieben habe gibt es für dich keinen Grund dich auf die alten Aufnahmen einzulassen, -du wirst praktisch für (fast) alle Werke auch eine rundum zufriedenstellende aktuelle Interpretation finden können-.

Gerade im klassischenn Bereich wird wohl die Debatte Interpretation versus Aufnahmequalität nie verstummen aber darum geht es mir eigentlich gar nicht sondern mehr darum das ich hier bei vielen gar kein Bewußtsein sehe daß das Gros der angebotenen Aufnahmen mit einem deutlich historischem Klangbild behaftet sind.

Irgendwie finde ich das recht verwunderlich.

MFG Günther
op111
Moderator
#28 erstellt: 22. Jan 2015, 12:24
Hallo zusammen,

...bei vielen gar kein Bewußtsein sehe daß das Gros der angebotenen Aufnahmen mit einem deutlich historischem Klangbild behaftet sind...

diese Frage habe ich mir gerade hier in einem "HiFi-Forum" gestellt. Soweit mir bekannt, verfügt ein nicht unbeträchtlicher Teil der Klassikhörer hier über Anlagen, deren Qualität mühelos die Defizite offenbaren sollte.
Hörbert
Inventar
#29 erstellt: 22. Jan 2015, 17:28
Hallo!



........diese Frage habe ich mir gerade hier in einem "HiFi-Forum" gestellt..........
.

Genau das mach ja einen Teil meiner Verwunderung aus, es ist klar das ich z.B. in einem reinen Forum für klassische Musik in dem wohlmöglich Wilhelm Furtwänglert 9.Beethoven vom 19.4.1942 als "Jahrundertaufnahme" gehandelt wird diese Frage gar nicht erst zu aufzuwerfen bräuchte.

MFG Günther
op111
Moderator
#30 erstellt: 22. Jan 2015, 19:58
Um die Unterschiede in der Kangqualität der frühen Stereo-Epoche, also vor dem betrachteten Zeitraum einmal grob abzuschätzen, habe ich einzelne charakteristische Tracks dieser bekannten Aufnahme
Fritz Reiner - The Reiner Sound
Ravel: Rapsodie espangole;
Rachmaninoff: Die Toteninsel op. 29
Chicago Symphony Orchestra,
Fritz Reiner

RCA Victor, ADD, 1956/1957 (stereo Layer)
derzeit u.a. in
jpc.de

gegen diese beiden neueren Produktionen im Vergleich gehört

Maurice Ravel (1875-1937)
Rapsodie espagnole
Berliner Philharmoniker,
Pierre Boulez
DGG, DDD, 1993
jpc.de

Sergej Rachmaninoff (1873-1943)
Die Toteninsel op. 29
Concertgebouw Orchestra, Vladimir Ashkenazy
Decca, DDD, 1983
jpc.de

Die vielfach als audiophile Referenzaufnahme angepriesene Reiner-Aufnahme charakterisieren:
lautes Rumpeln (Saalgeräusche?) und Rauschen, im Bereich oberhalb von 8kHz nur ca. 46db unter dem max. möglichen Nutzsignalpegel.
Die Stereobalance ist instabil, vor allem kaum kaschierte Dropouts im linken Kanal, störend die instabilen hohen Streicher
(lauter Schnitt im 1. Teil der Rapsodie espagnole).
Stereopanorama auf 3 Fraktionen links-rechts-mitte konzentriert.
Im f und erst recht im ff unüberhörbare Übersteuerungen (drastisch auffällig v.a. wenn man nur mit reduziertem Pegel abhört).
Verfärbungen: Streicher glasig und scharf, Becken klingen nach billigem Dünnblech und keinsfalls wie die von Zildjian o.ä., Holzbläser hohl nasal verfärbt

Dieser Vergleich hat mir noch einmal deutlich vor Ohren geführt, wie unüberhörbar die Defizite der ersten Stereojahre ausfallen und auch wie (Gehör- und ) kritiklos die Jubelpresse diese historischen Relikte in den Himmel hebt.

Gemessen daran (1956/7) war um 1980 schon eine ausgesprochen gute Klangqualität möglich, die es erlaubt, andere und subtilere Defizite und Störungen aufzudecken.
Kreisler_jun.
Inventar
#31 erstellt: 22. Jan 2015, 19:59
Mich wundert eben eher, dass jemand, der in der Lage ist 1940er Aufnahmen zu tolerieren, die vergleichsweise minimalen Unterschiede zwischen 1960 und 2010 derartig bedeutsam findet.

Ich finde auch "Klangbild" für die zB in dem anderen Thread aufgezählten Fehler nicht den angemessenen Ausdruck. Es mag auf dieser oder jener Aufnahme eben ein paar hörbar übersteuerte Stellen (das ist zB etwas, das ich, obwohl prinzipiell Schellack-tolerant, bei neueren Aufnahmen sehr störend finde, kommt leider bei Chor/Orchesteraufnahmen der 60er/70er gar nicht so selten vor) oder auf einer anderen ein niederfrequenter Brummton sein. Das bestimmt aber doch nicht das Klangbild. Der Brummton ist meistens über Lautsprecher nicht hörbar, oder er ist ein "Störsignal", aber das Klangbild der Einspielung kann sonst vorzüglich sein (manchmal ist solch ein Brummen evtl. die Klimaanlage gewesen ;))
op111
Moderator
#32 erstellt: 22. Jan 2015, 20:17

Kreisler_jun. (Beitrag #31) schrieb:
Mich wundert eben eher, dass jemand, der in der Lage ist 1940er Aufnahmen zu tolerieren, die vergleichsweise minimalen Unterschiede zwischen 1960 und 2010 derartig bedeutsam findet.

Diese Formulierung halte ich für das Thema verfehlend und (auf mich jedenfalls) unzutreffend.
Daß man zwischen verschiedenen Qualitätsstufen und Epochen differenziert (und differenzieren kann) heißt ja nicht, daß man sich einigen davon völlig verschließt.
Die akustischen Zeitdokumente transportieren und dokumentieren ja nicht nicht nur den technischen Stand der Klangqualität allein, oder?
Schuberts 9. mit Furtwängler aus den 1940ern kann ich mir z.B. sehr gut anhören, dennoch würde ich diesen Sound nicht als wünschenswerte Klanggestalt ansehen.



[Beitrag von op111 am 22. Jan 2015, 20:24 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#33 erstellt: 22. Jan 2015, 20:49
Naja, Hörbert schreibt irgendwo sinngemäß, viele Aufnahmen der 1960er/70er würden im Grunde "genauso historisch" klingen wie die der 1940er. Das finde ich sehr schwer nachvollziehbar, es sei denn man meint mit historisch nur, dass es heute besser klingende Aufnahmen gibt.

Gerade in "Hai-End" und Sammlerkreisen sind doch zig LPs (oder Aufnahmen) der 1950er/60er wie Living Stereo, Living Presence, Everest, Decca, was weiß ich noch "Kult", angeblich auch wg. der besonderen Klangqualität. Aber eher wenige Schellack-Aufnahmen der 1930er.
D.h. die Meinungen scheinen hier einfach geteilt zu sein. Für viele Hörer ist der Unterschied zwischen guten Stereoaufnahmen um 1960 und heutigen Aufnahmen möglicherweise unstrittig, aber anscheinend von nicht allzu großer Bedeutung.
Hörbert
Inventar
#34 erstellt: 22. Jan 2015, 21:18
Hallo!

Natürlich klingen die 60-70ger Jahre Aufnahmen genau so historisch wie die der 40-50ger Jahre, -nur nicht auf die gleiche Art und mit den gleichen Artefakten behaftet-, aber gleichwohl historisch.

Das sagt doch gar nicht über die tolerabilität aus sondern nur etwas darüber das diese klangbilder genau so unverkennbar Artefaktbehaftet sind wie die früheren aber von vielen im Bewußtsein nicht so wahrgenommen werden.


.......
Gerade in "Hai-End" und Sammlerkreisen sind doch zig LPs (oder Aufnahmen) der 1950er/60er wie Living Stereo, Living Presence, Everest, Decca, was weiß ich noch "Kult",.......


Da schlägst du doch genau in die selbe Kerbe, hier werden bei licht besehen doch uralte artefaktbehaftete Aufnahmen zum Kult erhoben und nicht selten gerade die Artefakte zum Qualitätsmerkmal umgedeutet. Genau ein solches Verhalten berührt doch den Kern meines Beitrages.

Wenn du selber sagtst das es heute besser klingende Aufnahmen gibt dann dürftest du doch eigentlich zumindestens einen Teil der typischen Artefake zuverlässig erkennen, aber wieso erkennst du dann diese Aufnahmen nicht gleich als historisch? Hier liegt für mich doch der Kern meiner Frage.

MFG Günther
op111
Moderator
#35 erstellt: 22. Jan 2015, 22:56
Hallo zusammen,

Hörbert (Beitrag #34) schrieb:
Natürlich klingen die 60-70ger Jahre Aufnahmen genau so historisch wie die der 40-50ger Jahre, -nur nicht auf die gleiche Art und mit den gleichen Artefakten behaftet-, aber gleichwohl historisch.

die aus den 70ern klingen aber unserer heutigen Vorstellung von gutem Klang näher als die aus den 50ern - da höre ich schon eine Qualitätssteigerung.
Vermutlich haben sich viele Sammler, vor allem die, die keine Konzerte besuchen, an den Sound dieser Epoche gewöhnt, nehmen daher die Mängel nicht so sehr wahr.
Wo sich viel getan hat, ist m.E. auch die Mikrofonierung und Klanggestaltung. Bis in die späten 70er gab es ja noch die nach dem Popmusikschema funktionierende Multimikrofonie, bei der möglichst jede Schallquelle (Sänger, Instrument) mit einem eigenen Mikrofon aufgenommen und dann willkürlich zusammengemixt wurde. Einige werden sich an besondere Auswüchse erinnern wie die Decca Phase 4 Aufnahmen oder auch entlegeneres wie die Ur-Carmina-Burana auf Teldec "das alte Werk" u.a.
Heute arbeitet man mit einem Stereo-Hauptsystem und dezent eingesetzten, möglichst unauffällig integrierten Stützmikrofonen.
Hörbert
Inventar
#36 erstellt: 22. Jan 2015, 23:26
Hallo!

Klar gibt es eine kontinuierliche Qualitätssteigerung, -allerdings gibt es die ja auch bei alten Mono-Aufnahmen-, es mag einigen übertieben erscheinen Aufnahmen mit den typischen Artefakten der Analogära wie Bandrauschen, Bandsättigungseffekte u.s.w. als historisch zu werten aber m.E. ist es das nicht, so wäre z.B. eine Bezeichnung wie: "Historischer Klang der späten Analog-Ära" Für diese Aufnahmen eine eindeutige Qualitätsberschreibung die man natürlich noch feiner unterteilen könnte und die zumindestens für mich eine echte Aussage treffen würden.

MFG Günther
Kreisler_jun.
Inventar
#37 erstellt: 23. Jan 2015, 11:29
Dass Sammler historischer Aufnahmen keine Konzerte besuchen, halte ich für eine extrem fragwürdige Behauptung. Ich bin mir relativ sicher, dass typische Hifi-Freaks (Orgelaufnahme für Mega-Bass gesucht) weitaus seltener Konzerte besuchen als Klassiksammler, die sich nicht groß um die absolute Klangqualität scheren.
op111
Moderator
#38 erstellt: 23. Jan 2015, 12:05

Kreisler_jun. (Beitrag #37) schrieb:
Dass Sammler historischer Aufnahmen keine Konzerte besuchen, halte ich für eine extrem fragwürdige Behauptung.

Die zumindestens ich hier nie aufgestellt habe.
Ich zitiere mich:

op111 (Beitrag #35) schrieb:
Vermutlich haben sich viele Sammler, vor allem die, die keine Konzerte besuchen, an den Sound dieser Epoche gewöhnt ...

Hervorhebung von mir.
Hörbert
Inventar
#39 erstellt: 23. Jan 2015, 12:26
Hallo!

Nun, ich weiß das ich regelmäßig Konzerte besuche und das mich gerade deswegen die Aufnahmeartefakte schon immer stören, ich bilde mir zwar nicht ein das man zu Hause im stillen (zuweilen auch im lauten) Kämmerlein die Wiedergabequalität soweit steigern kann daß es einem Konzertsaal gleichkommt aber zumindestens die Hauptfehler die die HiFi-Anlage selbst produziert habe ich wegbekommen.

Gerade dadurch sind die Fehler alter Aufnahmen mehr und mehr in den Mittelpunkt gerückt, vor allem da ich ja auch neuere Aufnahmen habe die eben diese Artefakte und Fehler nicht oder zumindestens auf andere Art und im verminderten Maße aufweisen.

Das heißt natürlich nicht das ich diese Fehler nicht tolerieren kann oder das ich sie als unerträglich empfinde aber es heißt daß ich diese Aufnahmen als deutlich historisch einordne und mich eben wundere das hier so wenig Bewußtsein dafür existiert.


.......Orgelaufnahme für Mega-Bass gesucht.........


Na ja, das ist doch wohl kaum ein repräsentatives Beispiel?

Im übrigen kann man doch die von dir angesprochenen High-Ender die Living Stereo, Living Presence, Everest, und Deccapressungen -wohlmöglich noch auf Schallplatten in Erstpressungsqualität-, doch ohne weiteres als Sammler historischer Aufnahmen einordnen die eher selten Konzerte besuchen, darauf deuten meine eigenen Erfahrungen mit solchen Sammlern zumindesten hin, hier bekommt man sehr oft Sätze zu hören wie: "Heute wird doch ohnehin keine richtige Musik mehr gemacht." oder: "Bei mir zu Hause klingt es ohnehin besser als im Konzert mit einem drittklassigen Orchester." oder auch: "Es gibt keine Dirigenten oder Interpreten mehr die mich Interessieren."

Hier ist es für mich noch eher einsichtig das diesen Sammlern teilweise das Bewußtsein für das deutlich historische Klangbild ihrer Sammelobjekte fehlt als bei Sammlern mit breiterem Spektrum.

MFG Günther
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