Messkompositionen - Querschnitt durch die Musikgeschichte

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Kings.Singer
Inventar
#1 erstellt: 18. Nov 2007, 18:49
Hallo Klassik-Fans!

In diesem, recht offen und breitbandig gehaltenen Thema möchte ich einen Anstoß geben, über alle möglichen Arten von Messvertonungen zu reden.

Was ist eine Messvertonung?
Messvertonungen sind selbstverständlich geistlichen Ursprungs. Grundvoraussetzung um eine Messe aufzuführen ist ein Chor. Alle weiteren Faktoren sind variabel; es gibt alles, von der a capella Messe bis zur Messe für Chor, Soli, Orchester, Orgel,....
Grundsätzlich sollten Messvertonungen in die Liturgie eingebunden werden, doch entwickelte sich schnell auch die Tradition eine Messe für rein konzertante Aufführungen zu schreiben.

Eine "Messe" besteht üblicherweise aus:
- Kyrie,
- Gloria,
- Credo,
- Sanctus (+ Osanna),
- Benedictus (+ Osanna) und
- Agnus Dei
jeweils in ihrer liturgischen Reihenfolge.

Ein Sonderstatus kommt in der Regel dem Gloria und Credo zu, da diese beiden Teile die wortreichsten Teile der Messe bilden (und oftmals auch das Allegro als Grundtempo haben). Hier lebt sich der Komponist in der Regel so richtig aus. Kyrie und Benedictus stechen oft durch besonders schöne und melodiöse Phrasen heraus (und zählen normalerweise folgerichtig auch zu den langsamsten Teilen der Messe).


Wenn man die Messvertonungen über die Jahrhunderte hinweg betrachtet und vergleicht, bekommt schnell auch einen Überblick über die grundsätzliche musikalische Entwicklung. Man kann sie also durchaus auch als Spiegel der Zeiten (bzgl. Musik) betrachten. Von Palästrina bis Pärt - das Spektrum ist weit gefächert.
Als herausragend gelten u.A. die Messe in h von Bach und die Missa Solemnis in D von Beethoven.


Was sind eure Meilensteine? Ist die h-moll-Messe von Bach wirklich die Synthese schlechthin? Oder wird hier jemand eine Lanze für die Herren Palästrina, Monteverdi, Mozart, Schubert, Bruckner, Widor, Pärt, Rutter, ... (um nur ein paar Namen zu nennen) brechen wollen und BWV 232 vom imaginären Thron stürzen?


In diesem Zusammenhang möchte ich auch gerne nach einer Meinung zur folgenden Missa-Box von harmonia mundi fragen:




Viele Grüße und einen schönen Rest-Sonntag wünscht
Alex.



P.S. Ich habe in meiner obigen Beschreibung der Messvertonungen bewusst Lücken gelassen und keine näheren Studien betrieben, um Platz für Ergänzungen und Richtigstellungen zu lassen, aus denen sich (hoffentlich) Grundlagen für Diskussionen bilden.
Joachim49
Inventar
#2 erstellt: 18. Nov 2007, 20:56
Die beiden oft als Gipfel der Messkomposition erwähnten Werke - Bachs h-moll Messe und Beethovens feierliche Messe - weichen wohl auch insofern von den üblichen Messvertonungen ab, als sie wohl kaum geeignet sind wirklich im (katholischen) Gottesdienst aufgeführt zu werden. Sie sind offensichtlich eher als Konzertmessen gedacht und nicht für liturgische Zwecke. Bachs h-moll Messe ist, soviel ich weiss, zusammengestückelt aus frûheren Werken Bachs. Was Bach motiviert hat dieses für die liturgische Praxis viel zu lange Werk zu 'montieren' - noch dazu 'katholisch' - ist mir, und vielleicht auch Fachleuten, nicht so deutlich. (In der Praxis kämen ja noch eine Predigt, Lesungen etc. dazu). Auch bei Beethovens feierlicher Messe kann ich mir kaum vorstellen, dass sie je im liturgischen Rahmen aufgeführt wurde (vielleicht weiss ein Forumleser genaueres). Von manchen Kühnheiten in diesem Werk bin ich immer wieder überrascht; das kriegerische Intermezzo im Agnus Dei mit der Bitte um Frieden gehört für mich mit zum Bewegendsten in der Musikgeschichte.

Jedenfalls sind die beiden 'herausragenden' Messen ein Sonderfall durch ihre Praxisferne. Werden übrigens Orchestermessen ab und zu noch im Rahmen eines Gottesdienstes aufgeführt? (Vor sehr vielen Jahren habe ich mal in Wien Beethovens c-moll Messe im liturgischen Rahmen gehört und in Antwerpen werden jährlich in Sint-Paulus ca 10 Orchestermessen im (kath.) Gottesdienst aufgeführt. Eine Seltenheit, nehme ich an).
Freundliche Grüsse
Joachim
Kreisler_jun.
Inventar
#3 erstellt: 18. Nov 2007, 22:07
Allerdings war Beethovens Missa ja ursprünglich für die Inthronisationsfeier von Rudolph als Erzbischof(?) in Olmütz gedacht, wofür sie freilich nicht rechtzeitig fertig wurde...

Bachs h-moll-Messe wurde so vermutlich zu Lebzeiten nie gegeben, vielleicht aber die ersten beiden Teile als "Lutherische Messe", was immerhin eine knappe Stunde dauern würde.
Und die Johannespassion, die fast so lang wie die komplette h-moll-Messe is, sowie die ca. anderthalb mal so lange Matthäuspassion wurden soviel ich weiß mehrfach bei Gottesdiensten aufgeführt, die Länge wäre also nicht das Problem gewesen.

Mozarts c-moll-Fragment ist unvollendet ebenfalls eine knappe Stunde lang; da mehr als das halbe Credo und das komplette Agnus Dei fehlen, wäre eine fertiggestellte Fassung vermutlich mindestens so lange wie Beethovens D-Dur geworden, eher länger.
Zumindest bei großen Festgottesdiensten waren 60-90 min Musik offenbar kein Problem...

viele Grüße

JK jr.
enkidu2
Inventar
#4 erstellt: 18. Nov 2007, 23:16
Mal von Haydns Paukenmesse abgesehen und Verdis Messa da Requiem und Brahms Deutschem Requiem, sind Messvertonungen leider nicht mein Fall. Aber vielleicht lern ich hier ja noch was.
AladdinWunderlampe
Stammgast
#5 erstellt: 19. Nov 2007, 01:29
Hallo Alexander,

natürlich halte auch ich Werke wie Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe und Ludwig van Beethovens Missa solemnis für Höhepunkte der betreffenden Gattung. Insgesamt betrachtet aber empfinde ich eher die Renaissance als die eigentliche Hoch-Zeit der Messkomposition - wobei mir als Komponist als erstes nicht unbedingt der von Dir genannte "Herr Palestrina" einfallen würde, da ich oersönlich oftmals die Werke von Musikern wie Johannes Ockeghem, Guillaume Dufay, Pierre de la Rue, Josquin Desprez oder William Byrd um einiges spannender finde als diejenigen des kanonisierten Großmeisters. (Zu Messen von Ockeghem habe ich übrigens vor längerer Zeit hier einige Empfehlungen gegeben.)

Doch reicht die mehrstimmige Messkomposition auch in die Musik des Mittelalters zurück; einen der frühsten (wenn nicht den frühsten) vollständigen Messzyklen - und einen grandiosen noch dazu - hat Guillaume de Machaut in der Messe de Nostre Dame vorgelegt. Daneben sind gerade aus dieser Zeit aber auch zahlreiche einzelne Messsätze überliefert. Besonders spannend finde ich persönlich übrigens die experimentelle Musik aus der Spätzeit des Mittelalters, die heutzutage als Ars subtilior bezeichnet wird. Unter dem Titel Missa Cantilena hat das Ensemble Mala Punica vor einigen Jahren aus diesem Repertoire eine Zusammenstellung von Messsätzen von Zaccara de Teramo und Matteo da Perugia vorgelegt, auf die ich hier schon einmal kurz hingewiesen habe.

Leider habe ich gerade nicht genug Zeit, auch auf rein instrumentale Messvertonungen - die gibts nämlich auch - hinzuweisen, aber kommt Zeit, kommt Rat...

Für heute erst einmal Gute Nacht und

herzliche Grüße,
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 19. Nov 2007, 16:44 bearbeitet]
Thomas133
Hat sich gelöscht
#6 erstellt: 19. Nov 2007, 12:48
Beethoven schrieb die Missa Solemnis anlässlich Inthronisationsfeierlichkeiten von Erzherzog Rudolph zum Bischof von Olmütz.
Anscheinend war die Messe primär zum Gebrauch im katholischen Gottesdienst vorgesehen wurde aber in der Praxis nicht umgesetzt da die Ausmasse weit über damals konventionelle Messen hinausging so das es den üblichen Zeitrahmen einer Messe gesprengt hätte.

Beethoven selbst schrieb an Goethe "die Meße ist auch als oratorium gleichfalls aufzuführen". Ihre Uraufführung erlebte die Missa solemnis im April 1824 ebenfalls nicht im liturgischen Rahmen, sondern als "Oratorium" in einem Konzert der St. Petersburger Philharmonischen Gesellschaft auf Veranlassung Fürst Galitzins (laut Beethoven-Archiv)


Vor sehr vielen Jahren habe ich mal in Wien Beethovens c-moll Messe


Du meinst wohl seine C-Dur Messe? Oder Mozarts c-moll? Beethoven hat nur 2 Messen in C-Dur und D-Dur.

Wer übrigens meiner Meinung nach auch sehr schöne Messen geschrieben hatte und hier bislang nicht erwähnt wurde (vielleicht ein Geheimtipp?) wäre J.J.Fux der die Polyphonie und vor allem den Kontrapunkt (sein berühmtes Werk "gradus ad parnassum" war ein Lehrwerk für viele nachfolgende große Komponisten)zweifelsohne sehr gut beherrscht hat.

gruß
Thomas
Mellus
Stammgast
#7 erstellt: 08. Feb 2008, 01:57
Hallo,

zwischen Dufay und Beethoven gab es noch Heinrich Ignaz Franz von Biber. Der hat u.a. folgende Barock-Bombast-Messe komponiert: Missa Salisburgensis.



Viele Grüße,
Mellus
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