Ist Wissenschaft demokratisch?

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sheckley666
Stammgast
#1 erstellt: 05. Apr 2009, 16:00
Hallo zusammen,

Immer wieder muss ich hier lesen, Wissenschaft sei nicht demokratisch. Begründet wird es damit, dass über wissenschaftliche Fragen nicht abgestimmt würde.

Dem liegt der Fehler zu Grunde, das Ergebnis von wissenschaftlichen Experimenten mit politischen Beschlüssen zu vergleichen. Korrekt wäre jedoch, das Ergebnis der Politik mit dem Ergebnis der Wissenschaft zu vergleichen, und politische Entscheidungen mit den Entscheidungen der Wissenschaft über durchzuführende Forschungen. Man wird leicht erkennen, dass auch in Demokratien nicht über das Ergebnis der Politik abgestimmt wird (Wer anderer Meinung ist: Wer hat für die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise gestimmt? )

Wenn man also Wissensaufbau und Politik korrekt vergleicht, stellt man fest: Wissenschaft entspricht Demokratie, Ideologie bzw. Glaube entspricht Diktatur.

Wie seht ihr das?

Grüße, Frank
eisbärwelpe
Stammgast
#2 erstellt: 06. Apr 2009, 12:34
Moin Frank! So richtig verstehe ich Deine Argumentationskette nicht.

Meiner Meinung nach:

Naturwissenschaft versucht, Gestzmäßigkeiten von Abläufen in der Natur zu erkennen und z. B. in Formeln zu beschreiben. Die Gültigkeit von Vorhersagen aufgrund Anwendung der Formeln lasst sich an Beobachtungen und Experimenten etweder verifizieren oder nicht. Da gibt es letztendlich kein Raum für Abstimmungen. "Schiedsrichter" ist letztlich die Natur selbst.

Bei Wirtschaftswissenschaften ist die Sache viel komplexer, da hier auch psychologische Aspekte der Betroffenen reinspielen, die man nicht in einfache Formeln kleiden kann. Wie diese psychologischen Aspekten zu gewichten sind, könnte man zwar durch Abstimmung entscheiden, ob das Ergebnis der Abstimmung aber letztlich zu dem gewünschten Ziel führt, weiss man erst hinterher.

Die Politik stützt sich bei ihren Entscheidungen auch auf Wirtschaftswissenschaftler. Ist ja auch ihre einzige Möglickeit außer "aus dem Bauch"-Entscheidungen. Dass die Prognosen der "Wirtschaftsweisen" in den letzten Jahren aber meist daneben lagen, zeigt, dass hier weder Wissenschaft noch Demokratie wirklich weiterhelfen.

Beate
sheckley666
Stammgast
#3 erstellt: 06. Apr 2009, 20:13

eisbärwelpe schrieb:
Moin Frank! So richtig verstehe ich Deine Argumentationskette nicht.


Ja, ich habe bisher auch noch gar nicht richtig die Gemeinsamkeiten dargelegt, sondern nur auf die Schwäche eines Gegen-Arguments hingewiesen.



Meiner Meinung nach:

Naturwissenschaft versucht, Gestzmäßigkeiten von Abläufen in der Natur zu erkennen und z. B. in Formeln zu beschreiben. Die Gültigkeit von Vorhersagen aufgrund Anwendung der Formeln lasst sich an Beobachtungen und Experimenten etweder verifizieren oder nicht. Da gibt es letztendlich kein Raum für Abstimmungen. "Schiedsrichter" ist letztlich die Natur selbst.


In den Naturwissenschaften gibt es durchaus Raum für demokratische Prozesse und auch Abstimmungen. Allerdings sollte man Demokratie auch nicht nur an den Wahlen festmachen. Zur (idealen) Demokratie gehören auch:

  • Freier Austausch von Meinungen und Ideen
  • Freiheit des Einzelnen, im kleinen Raum alternative Konzepte auszuprobieren
  • Informationsfluss von unten nach oben
  • Abstimmungen über Führungspersönlichkeiten, teilweise über Entscheidungen

    Aufgrund dieser Mechanismen ist gewährleistet, dass die Auswirkungen politischer Entscheidungen auch unverfälscht zu den Entscheidern gelangt, dass neue politische Ideen ausformuliert werden können, und es zu einem Wettbewerb der Ideen kommt.

    Zum Vergleich die Wissenschaft:

  • Freier Austausch von Theorien und Entwürfen zu Theorien
  • Viele unabhängige Gruppen, die ihre eigenen Ideen und Ansätze verfolgen
  • Freier Austausch der Ergebnisse von Experimenten
  • Abstimmungen über Führungspersönlichkeiten, Konferenz-Orte, Konferenz-Themen. Durch freies Verfügen über Gelder und Resourcen entsteht so etwas wie eine demokratische Wahl der hauptsächlich verfolgten Themen.



    Bei Wirtschaftswissenschaften ist die Sache viel komplexer, da hier auch psychologische Aspekte der Betroffenen reinspielen, die man nicht in einfache Formeln kleiden kann. Wie diese psychologischen Aspekten zu gewichten sind, könnte man zwar durch Abstimmung entscheiden, ob das Ergebnis der Abstimmung aber letztlich zu dem gewünschten Ziel führt, weiss man erst hinterher.


    Wie schon gesagt: Weder in der Wissenschaft, noch in der Politik kann man über Ergebnisse abstimmen. Wahl-Ergebnisse sind nicht die Ergebnisse der Politik, die Ergebnisse der Politik sind solche Dinge wie die gesellschaftliche Entwicklung eines Landes.



    Die Politik stützt sich bei ihren Entscheidungen auch auf Wirtschaftswissenschaftler. Ist ja auch ihre einzige Möglickeit außer "aus dem Bauch"-Entscheidungen. Dass die Prognosen der "Wirtschaftsweisen" in den letzten Jahren aber meist daneben lagen, zeigt, dass hier weder Wissenschaft noch Demokratie wirklich weiterhelfen.

    Beate

    Der Vergleich der Lebensbedingungen in Demokratien mit denen in Diktatuten scheint mir nahezulegen, dass Demokratie schon ein bisschen hilft, genauso, wie auch unvollkommene Wissenschaft etwas besser hilft, als Zufallsentscheidungen oder aus Glaubenssystemen hergeleitete Entscheidungen.

    Die Politik hat gegenüber der Wissenschaft den großen Nachteil, kein Labor zu haben, in dem sie gefahrlos herumspielen könnte. Sie muss ihre Entscheidungen an der lebenden Gesellschaft treffen, und wir müssen sie live ausbaden. Dennoch ist jede Politik auch ein Experiment, mit dem die Annahmen, auf denen diese Politik fußt, bestätigt oder widerlegt werden.

    Die Gemeinsamkeit zwischen Demokratie und Wissenschaft beruht auf den Verfahren, mit denen festgelegt wird, welche Experimente als nächstes durchgeführt werden, und wie die Ergebnisse vergangener Experimente zu werten sind. Demokratie und Wissenschaft haben hier gemeinsam, dass vor der Durchführung von vielen Leuten mitgeredet und mitgestritten wird, und nachher die Ergebnisse recht schonungslos offengelegt werden.

    Demgegenüber haben Ideologie und Diktatur gemeinsam, dass die Entscheidungen über künftige Experimente von einer abgeschotteten Gruppe hinter verschlossenen Türen getroffen werden, und die Ergebnisse oft nicht frei diskutiert werden dürfen.

    Grüße, Frank
  • RoA
    Inventar
    #4 erstellt: 06. Apr 2009, 20:56

    eisbärwelpe schrieb:
    Die Politik stützt sich bei ihren Entscheidungen auch auf Wirtschaftswissenschaftler. Ist ja auch ihre einzige Möglickeit außer "aus dem Bauch"-Entscheidungen.


    Hier steht das anders: "Sachlich gebotene Entscheidungen wurden nicht gefällt, weil sie als nicht vermittelbar angesehen wurden"

    Soweit dazu.
    sheckley666
    Stammgast
    #5 erstellt: 07. Apr 2009, 07:48

    RoA schrieb:

    eisbärwelpe schrieb:
    Die Politik stützt sich bei ihren Entscheidungen auch auf Wirtschaftswissenschaftler. Ist ja auch ihre einzige Möglickeit außer "aus dem Bauch"-Entscheidungen.


    Hier steht das anders: "Sachlich gebotene Entscheidungen wurden nicht gefällt, weil sie als nicht vermittelbar angesehen wurden"

    Soweit dazu. :{

    Derartige Abweichungen vom Ideal gibt es in Politik und Wissenschaft. Betrachtet man die Mechanismen, mit denen auf Abweichungen reagiert wird, sehe ich da ebenfalls Gemeinsamkeiten zwischen Demokratie und Wissenschaft.

    Güß, Frank
    RoA
    Inventar
    #6 erstellt: 07. Apr 2009, 13:33
    Dann lies mal dies.
    sheckley666
    Stammgast
    #7 erstellt: 07. Apr 2009, 13:50

    RoA schrieb:
    Dann lies mal dies.


    Mir ist nicht ganz klar, worauf du hinauswillst.


    • Dass wir in Wahrheit gar keine Demokratie haben? Schön, aber wo ist der Zusammenhang mit meinem Thema?
    • Dass wir ein Demokratie-Defizit haben? In der Wissenschaft gibt es oft "Wissenschafts-Defizite"
    • Dass es trotz Demokratie zu zweifelhaften Entscheidungen kommt? Sicher, aber glaubst du, dass in der Wissenschaft nur optimale Entscheidungen getroffen werden?

    Der Witz ist doch, dass solche Artikel geschrieben werden können, und dadurch Fehlentwicklungen ein klein wenig früher korrigiert werden können, als in Diktaturen, wo Fehler von niemandem ausgesprochen werden dürfen, solange, bis die Konsequenzen wirklich absolut unerträglich geworden sind.

    Grüße, Frank
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