Der Qualtinger

Hallo Torquato,

Qualtingers "Mein Kampf"-Lesung in Hamburg habe ich mir vor ca. 2 Jahren bei 2001 gekauft, zusammen mit seinem klassischen "Herr Karl", dem Prototyp des österreichischen Mitläufers mit dem notorisch guten Gewissen (den gibt es auch als Fernsehspiel (ca. 1960)). Und dann natürlich Ausschnitte aus "Die letzten Tage der Menschheit" von Karl Krauss!

Was mich an seiner Darstellungskunst so fasziniert, ist der hinter aller scheinbaren Bonhommie blitzartig aufleuchtende Fanatismus und Sadismus und die große Verstellungskunst. Vor ein paar Wochen lief auf 3sat am Sonntagmorgen die Lesung eines Nestroy-Theaterstückes durch Qualtinger. Wie er in Sekundenbruchteil zwischen Dumpfheit, Ironie, Bosheit, Komik, Erhabenheit, Verschlagenheit und Gelassenheit wechselte, das war schon wirklich großartig. Schade, da er so früh gestorben ist (na ja, bei dem Lebenswandel kein Wunder!).

Grüße

GiselherHH

Zufall oder nicht?
Heute morgen kam in Österreich 1 - einem Radiosender aus Österreich (wer hätt a des dengt) - ein Portrait über Ernst Kölz. Und ein Blick in die Aufnahmen zeigt (med ana schwoazzn dindn):

+ Kinderverzahrer und andere Wiener. Helmut Qualtinger singt Lieder nach Texten von H.C. Artmann. Musik: Ernst Kölz. 1964

+ Villon übersetzt von H.C. Artmann, gesprochen von Helmut Qualtinger Vorspiele: Ernst Kölz. 1964

+ Helmut Qualtinger singt Schwarze Lieder. Texte von H.C. Artmann und Gerhard Rühm. Musik: Ernst Kölz.

Ich wollte gleich los in den Laden - habe aber noch eine Tonne ungehörtes Zeugs rumliegen, so dass das Qualtinger/Artmann/Kölz-Trio warten muss. Ja ja, so ist das.

Welch Frage: Qualtinger nicht kennen? Aber natürlich!

Wie sonst hört man "Die letzten Tage der Menschheit", wer kennt nicht den "Herrn Karl"?

Meine Hörspiele/Wortdolkumente benote ich von - über o bis +. Qualtinger läuft außerhalb der Reihe, er bekommt als einer der ganz, ganz Wenigen ein ++.

Oliver

Hallo alle!

Oliver67 schrieb:

Wie sonst hört man "Die letzten Tage der Menschheit

Ja, wie? So viele verschiedene passende Sprecher wie es in diesem Werk Typen gibt für eine Wortproduktion zu vereinigen wäre ein ganz unmögliches Unterfangen. Noch unmöglicher scheint es allerdings dieses vielstimmige Werk durch einen Sprecher vortragen zu lassen, es sei denn eben von Qualtinger.

Der Vielstimmigkeit von "Die letzten Tage der Menschheit" trägt Qualtinger trotz seiner One-Man-Show mehr als Rechnung, es sind keine Lesungen im klassischen Sinn, es ist ein wirklich wunderbares Sprechtheater, quasi wie von einem anderen Stern (so ungefähr war das von Kraus ja auch gedacht). Qualtinger karikiert nicht, wie Rufus Beck es heute manchmal zu tun scheint, wenn er die zigste Stimme für eine seiner Lesungen aus dem Hut zaubern muss. Bei Qualtinger ist auch die kleinste Rolle - auch die hundertste - echt gesprochen, ohne falsche Töne richtig aus dem Leben. Gerade das macht die Lesungen m.E. zu Sternstunden des satirischen Vortrags. Fast glaubt man einer O-Ton-Collage zu lauschen - nicht nur wenn man das ganze von einigermaßen zerkratzten alten Platten abhört.

Es ist ganz im Sinne des Dichters, der einmal sagte: "Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden. Die grellsten Erfindungen sind Zitate"

GiselherHH schrieb eine schöne Charakterisierung von Qualtingers Vortrag in Bezug auf eine Nestroy-Lesung in 3sat,

wie er (Qualtinger) in Sekundenbruchteil zwischen Dumpfheit, Ironie, Bosheit, Komik, Erhabenheit, Verschlagenheit und Gelassenheit

wechselt; die trifft auch für die Kraus-Lesungen zu, ich kann es nicht besser ausdrücken. Das verdiente die größte Bewunderung - nur taucht man beim Hören der detailbesessenen Lesungen dermaßen in Werk und Zeit in und um den ersten Weltkrieg ein, dass man den Vortragenden bald völlig vergisst und nur noch das schwätzende Volk zu hören meint.

Welche Sensibilität, welch großes Verständnis, vielleicht auch Weisheit, sich so in jede einzelne kleine Seele hineindenken zu können - und welch Sprech- und Schauspielkunst, welch Stimm/Sprachgewalt diese Seelen für ein Publikum hörbar zu machen.

icknam schrieb über

Kinderverzahrer und andere Wiener. Helmut Qualtinger singt Lieder nach Texten von H.C. Artmann. Musik: Ernst Kölz. 1964

die sich auch auf dem Album "Schwarze Lieder" befinden

Einige dieser schwarzen Lieder machen mir aufgrund des Mundartlichen etwas Schwierigkeiten. Da wäre es für mich schön, wenn ich die Texte zum Mitlesen hätte.

Dennoch sind Lieder wie "an briafdroga sei gschbenzt" oder "drei gaunze Schülleng" nach mehrmaligem Abhören auch ein uneingeschränkter Genuss für mich.

Liebe Grüße,
Torquato

Es gibt da übrigens auch eine sehr schöne Kabarett-Platte:

Brettl vor'm Kopf,
von Helmut Qualtinger, Gerhard Bronner, Carl Merz

Österreich in den 50er Jahren

Allerdings gesungen nicht gesprochen

Oliver

Hallo,

habe ich etwas überlesen/übersehen oder kann es sein, daß tatsächlich Travnicek noch nicht erwähnt wurde? Denkbarerweise der Mittelpunkt des populären Schaffens von H.Q.. Als KundK-Produkt bin ich mit den Geschichten Travniceks aufgewachsen und habe vor einigen Jahren die gesammelten Weke auf CD entdeckt und erworben. Das Duo Qualtinger und Bronner findet sich seit dem immer wieder in meinem CD-Spieler. Um mit dem Worten Qualtingers zu sprechen....dös nenn i Brutalität.

Viele Grüße

Analog-Mann

Torquato schrieb:

Dem breiten Kinopublikum ist er vielleicht in Erinnerung geblieben als fetter Mönch in dem Bernd-Eichinger-Blockbuster "Der Name der Rose".

Das also ist "der Qualtinger"! Ja, an diesen fetten Mönch erinnere ich mich als breites Kinopublikum! (Diesmal laß' ich's stehen, Torquato!)

Ich möchte fast behaupten, daß ich von ihm auch sonst schon was gehört habe, der Name ist mir sehr bekannt, nur nennen kann ich momentan absolut nichts!

Gruß,
Susanna

Helmut Qualtinger spricht Bohumil Hrabal.

Eine grossartige Leistung, wie fast alles von Qualtinger.

Der Qualtinger:

Der Herr Karl, der Travnicek, der fette Mönch im Namen der Rose, der Eichmeister im gleichnamigen Film (falls mich mein Gedächtnis nicht täuscht): eine beklemmende Figur in einem beklemmenden Film, der irgendwo am Rand der KuK-Monarchie in Galizien, zwischen Ostpolen und Westukraine, als korrupter Beamter weit weg von Wien sein Unwesen treibt.

Schließlich ein Qualtinger mit höchstem Seltenheitswert: der Qualtinger als Ochs im Rosenkavalier, nicht der Oper, sondern dem Theaterstück im Theater in der Josefstadt in Wien, kurze Zeit vor seinem Tod.

Das sind so meine persönlichen Erinnerungen an den Qualtinger.

Klassik-Fan

Susanna schrieb:

Ich möchte fast behaupten, daß ich von ihm auch sonst schon was gehört habe, der Name ist mir sehr bekannt, nur nennen kann ich momentan absolut nichts!

Hallo Susanna und alle!

Also doch: je südlicher, desto Qualtinger :prost! Bei uns relativ weit oben im Norden Deutschlands gehörst du mit Deinem Statement aber schon zu den wenigen Experten, die ich kenne, denen zumindest der Name nicht ganz unbekannt ist ;).

Lange nicht erhältlich, jetzt aber bei amazon.de und für die Hälfte auch zum Download bei dem Online-Shop mit dem Wasserzeichen (Name fällt mir gerade nicht ein, audible auf jeden Fall nicht) ist das gesprochene Libretto des "Rosenkavaliers" (für die Klassikfreundin interessant?). Am Rand - ein Opernlibretto, dass auf der Bühne ohne die Musik bestehen kann ist doch schon etwas recht seltenes, oder? Die Aufnahme ist allerdings eine richtige Ensemble-Arbeit (mit Käthe Goldt u.v.a) - die One-Man-Show's Qualtingers sind noch um einiges beeindruckender.

Ich selbst habe den Qualtinger über eine Best-of eines Freundes bei einem Besuch in München kennen gelernt. Zuvor hörte ich schon einmal den "Herrn Karl", der mich aber aufgrund der mir fremden Mundart zunächst recht kalt ließ. Durch die Best-of-LP (von Hörzu ) lernte ich dann "Der Menscheit würde ist in unsere Hand gegeben" aus "live in Linz", den "Bundesbahnblues" und einiges aus "Den letzten Tagen der Menschheit"-Lesungen kennen und war Qualtingers Kunst von nun an quasi verfallen. Erst danach habe ich mich auch in das sehr Mundartlichere einhören können.

Vielleicht wäre auch für Dich eine Best-of ein guter Einstieg. Bei amazon gibt's



Ich vermute, dass sich auf der CD der ganze Qualtinger in Kostproben ausbreitet, so dass Du danach entscheiden kannst, was du genauer kennenlernen möchtest, vielleicht auch ob du dann eher den Rezitator, den Kabarettisten oder den Sänger Qualtinger mehr verfolgen möchtest.

Möglicherweise hat ja jemand mit Rücksicht auf evtl. vorhandene Sprachbarrieren noch bessere Tipps für den Norden (a Best-of is ja imma o a bissel problematisch)?

Grüße, Torquato

Hallo,

vielleicht ist das "Wiener Bezirksgericht" für Preußen geeignet. Da kommen selbige zu Wort. Müßte größtenteils gut verständlich sein. Aber: M.E. nicht unbedingt ein Werk, in dem H.Q. im Mittelpunkt steht.

Viele Grüße

Analog-Mann

Klassik-Fan schrieb:

der Eichmeister im gleichnamigen Film (falls mich mein Gedächtnis nicht täuscht)

Dein Gedächtnis täuscht

Es ist "Das falsche Gewicht" nach einem Roman von Josef Roth.
Dein Gedächtnis täuscht nicht über die trostlose Stimmung der KuK Provinz.

@ Tom Sawyer:
du kennst di aus, gratuliere und danke für die Gedächtnisauffrischung.
Klassik-Fan

Danke, Klassik-Fan
Da ich sowohl Joseph Roth wie auch Qultinger sehr mag...

Leider zu spät gesehen, aber jetzt läuft gerade der gesprochene Rosenkavalier mit Qualtinger im DLF... vielleicht will ja noch jemand einsteigen.

Wem die Handlung bekannt ist, mag vielleicht noch Lust haben

Ich fürchte, dass dies keinem mehr etwas gebracht hat. Schade...