Mahler: Realisationen von "Mahlers" 10. Symphonie

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Ist häufiger hier
#1 erstellt: 05. Apr 2006, 16:50
Hallöchen!

Nachdem ich anfänglich sehr dagegen war, mich mit der rekonstruierten Fassung von Mahlers 10. auseinanderzusetzen, hat mich dieses Werk schlicht und ergreifend aufgrund seiner musikalischen Aussagekraft doch überzeugt; zumal scheint die Veröffentlichung indirekt Mahlers Willen widerzuspiegeln, der kurz vor seinem Tod der Ansicht war, seine Frau solle darüber entscheiden, was mit dem Werk geschehe. Und die hat, nach anfänglichem Widerwillen, entschieden, der Veröffentlichung der 10. solle nichts im Wege stehen, als man ihr eine Aufnahme der Symphonie in der Cooke Version vorgespielt hatte.
Und ich persönlich fände es sehr schade, würde man der Welt z.B. gerade das himmliche Flötensolo im letzten Satz vorenthalten.

Nun sind außer Cooke auch Versionen von Carpenter, Mazetti, Wheeler und jüngst Barshai erschienen, die ich alle gehört habe und die davon Zeugnis abgeben, trotz z.T. sehr unterschiedlicher Auslegung, insbesondere in der Orchestrierung, wie sehr sich das musikalische Material ähnelt.

Deswegen wollte ich mal nachfragen, welche Fassung ihr bevorzugt bzw. welche ihr als nicht gelungen empfindet.

Ich persönlich mag z.B. sehr die Fassung von Mazetti, da dieser in seiner Realisierung etwas weiter geht als Cooke, ohne jedoch viel "hinzuzudichten". In seinem Bemühen nur das zu orchestrieren, was Mahler selbst niedergeschrieben hat, finde ich Cooke oder Wheeler oft zu karg, wobei das schöne Flötensolo bei letzterem sehr schön zur Geltung kommt.
Bei Carpenter klingt dieses durch Harfenarpeggios leider sehr verkitscht. Dafür gefällt mir in dieser Fassung wiederum, dass die Trommelschläge im letzten Satz nur gedämpft klingen. Leider, leider finde ich, dass die Carpenterversion sehr unter der Interpretation des Dirigenten Harold Fabermann leidet, der das Werk sehr lieblos und schnell "herunterdirigiert".
Kennt jemand von euch zufällig die Einspielung der Version unter Litton?

Musiccreator
s.bummer
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 05. Apr 2006, 22:50
Hallo,
ich habe zwei Versionen von Deryck Cooke, eine frühe, eine spätere.
In beiden empfinde ich den Bruch nach dem 1. Satz sehr deutlich.
Deshalb reicht mir die 10. als Torso des 1. Satzes + ggf. Purgatorio vollkommen.
Und da gibt es sehr schöne Aufnahmen, z.b. Gielen.

Man sollte nicht Werke zuende schreiben. Das, was Mahler hinterlassen hat, reicht völlig aus.

Gruß S.


[Beitrag von s.bummer am 05. Apr 2006, 22:50 bearbeitet]
SirVival
Hat sich gelöscht
#3 erstellt: 06. Apr 2006, 14:05
Muss mich s.bummr anschliessen, der erste Satz der 10. ist bereits in sich so geschlossen, dass ich persönlich die nachfolgenden Sätze doch eher wie Fremdkörper empfinde (Ich kenne nur die 1. Version von Cooke). Rekonstruktionen sind imho eine fragwürdige Unternehmung, leiden sie doch stets darunter, dass sie den Willen den Komponisten nur ansatzweise widerspiegeln.
Bekannte Beispiele sind das Requiem und das Konzert für Violine, Klavier und Orchester von Mozart. Das letzere ist nur ein Torso, bestehend aus der Exposition durch das Orchester und dem Einsatz der Soloinstrumente, der dann schon nach wenigen Takten abbricht. Dennoch wagen sich Leute daran, Mozarts Musik zu rekonstruieren. Ich frage mich, ist das Hybris oder Idiotie?
Ähnlich dürfte es sich bei Mahlers 10ter verhalten. Nur der erste Satz stammt in seiner kompositorischen Faktur von Mahler selbst. Der rekonstruierte Rest beruht auf mehr oder weniger vollständigen Klavierskizzen. Dieser Torso dürfte durch wie auch immer geartete Bemühungen verloren sein, aber der 1. Satz als Schwanengesang eines großen Komponisten ist bereits Teil der überragenden Kunstwerke der Menschheit geworden. Und dabei sollte man es bewenden lassen.

Grüsse
musiccreator
Ist häufiger hier
#4 erstellt: 06. Apr 2006, 18:13
Hallo! Ich wollte hier eigentlich keine Diskussion darüber entfachen, ob man ein Werk rekunstruieren darf oder nicht, sondern nur die verschiedenen Versionen besprechen und miteinander vergleichen.
Nur soviel: Ich habe mir die Noten von Mahlers Particell angeschafft und es handelt sich dabei nicht um lediglich Klavierskizzen, sondern um ein 4-systemiges Particell mit stellenweise Instrumentenangaben. Aber ich bin überzeugt, dass Mahlers endgültige Fassung, hätte er sie noch bewerkstelligen können, sich sehr von seinem Particell unterscheiden würde, wir es also mit seiner Niederschrift nur mit der Spitze eines Eisberges zu tun haben.

Dennoch, und dabei kann ich nur von mir alleine sprechen, hat mich die Musik sehr bewegt und ich finde es durchaus legitim, dass man versucht Mahlers Particell musikalisch darzustellen. Allerdings sollte man sehr deutlich machen, dass es sich lediglich um eine Realisation von Mahlers Particell handelt, und da müssten einige CD-Cover meiner Meinung nach vieeel bescheidener sein, bei denen man fälschlicherweise wirklich den Eindruck erhält, es handele sich um Mahlers 10. Symphonie.

Musiccreator
embe
Stammgast
#5 erstellt: 06. Apr 2006, 23:22
Hallo,
ich kenne nur die Barshai und Cooke Versionen (2x mit Rattle).
Wobei Rattle sich auch einige Änderungen erlaubt hat.
Wenn ich mich nicht irre hauptsächlich beim Schlagwerk.
In der älteren Version Rattles hat mir das Orchester nicht so gefallen...
Mit den Berlinern klingt das wunderbar.
Barshai habe ich noch nicht so verinnerlicht...müsste ich mir mal wieder zu Gemüte führen.
Schade, dass ich die alte Wyn Morris Philips noch nicht auf CD habe, war zu LPzeiten meine Lieblingsaufnahme.
Den Rattle 1 hatte ich da auch aber nur ein/zwei mal angehört.
Mir ist es wurscht, dass es nicht reinster Mahler ist,
Hauptsache die Musik reisst mich mit.
Das Adagio alleine höre ich gerne mit Szell...wobei ich sagen muss in diesem Adagio dringt Mahler sehr weit in die Zukunft vor...ein eigenständiger Kosmos sozusagen...
kann man echt auch als Einzelwerk gelten lassen.
Zumal ich nach dem Adagio meisst so geplättet bin, dass ich keine andere Musik mehr hören kann.
So ähnlich gehts mir auch beim Adagio aus Bruckners 9. danach bin ich fertig...
Gruß
embe
zoe
Ist häufiger hier
#6 erstellt: 07. Apr 2006, 17:13

embe schrieb:
Hallo,
...
ich kenne nur die Barshai und Cooke Versionen (2x mit Rattle).
Barshai habe ich noch nicht so verinnerlicht...müsste ich mir mal wieder zu Gemüte führen.
...
Gruß
embe


Hallo,
Die Barshai Version (bei Brilliant) hat sich schon Benjamin-Gunnar Cohrs tiefgründig zu Gemüte geführt und seine Ausführungen können bei
http://www.klassik-heute.de/texte/mahler_438.shtml
in Deutsch nachgelesen werden. Er liefert dazu noch einen fundierten Vergleich der verschiedenen Rekonstruktions- Versionen und ich kann mich nur ihm anschliessen: " All das Gebimmel und Gedonnere geht einem in der Mahler/Barshai-Zehnten früher oder später auf die Nerven, und Barshai deckt damit zugleich einige seiner überzeugendsten Renovierarbeiten zu."
Vielleicht liegt es ja an der Aufnahme- und Mastertechnik, aber Brilliant macht da seinem Nahmen zu viel Ehre. Bei Cohrs habe ich übrigens auch entdecken können, dass es von der berühmten Barshai Fünften (die von Brilliant mit der Zehnten zusammen verkauft wird) eine besser gemasterte Version bei Laurel Records gibt. Die Brilliant Version ging mir da auch wegen der zu direkten zu hellen Wiedergabe ziemlich auf den Geist und ich konnte die Hype um diese Version nicht verstehen. Hab also vielleicht aus Geiz nur die falsche Version gekauft. Ich dachte auch, dass bei digital eine Kopie so klingt wie das Original. Ist aber nicht so, Brilliant hat neu und schlecht gemastert!
Also mein Favorit der Zehnten: die Rattle Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern. Sir Simon hat ja anders als Sir Vival eine Affinität zur ganzen Zehnten (er soll sie schon über 80x dirigiert haben) und mich haben besonders die feinen kammermusikalischen Töne beeindruckt, die er mit seinem Grossorchester produziert. Irgendwie schien mir ja die Flöte (wer hat sie gespielt?) nicht ganz sauber zu spielen, aber das trübt den Gesamteindruck nicht.
Grüsse

zoe
SirVival
Hat sich gelöscht
#7 erstellt: 07. Apr 2006, 19:02
Ich möchte hier auf eine ganz überzeugende Aufnahme der 10. aufmerksam machen mit Eugene Ormandy und dem Philadelphia Orchestra vom November 1965 auf LP CBS 61447 (2. Fassung von Cooke).
Ich will mal von meiner puristischen Auffassung Abstand nehmen, denn schon 1924 hat Ernst Krenek auch am 1. Satz rumgefummelt und instrumentierte wohl auch das Purgatorio. Wie sich Mahler das Schicksal der 10. gedacht haben soll, darüber werden verschiedene Versionen berichtet. Seinem New Yorker Arzt soll er gesagt haben, dass nach seinem Tode das Manuskript zu vernichten sei, angeblich aber sollte dann Alma Mahler nach Gutdünken damit verfahren. Mit der Wahrheit nahm es Alma Mahler leider nicht immer genau. Aber nil nisi bene.
sirene
Hat sich gelöscht
#8 erstellt: 21. Apr 2006, 14:03
Guten Tag,
kennt ihr die? Symphony Nr. 10 Realization by Clinton A. Carpenter World Premiere! Philharmonia Hungarica. Harold Faberman
1996 DSB Deutsche Schallplatten Berlin
Ich besitze nur diese Version der 10.


[Beitrag von sirene am 21. Apr 2006, 14:05 bearbeitet]
musiccreator
Ist häufiger hier
#9 erstellt: 21. Apr 2006, 19:27
Die Carpenter / Fabermann - Version habe ich auch auf CD.
Sie gefällt mir ehrlich gesagt weniger, was aber an dem unsensiblen Dirigat von Herrn Fabermann liegt, welcher der Ansicht zu sein scheint, man müsse schnellere Tempi nehmen, da Mahler gewöhnlich auch schneller dirigiert habe, als das heute gemeinhin der Fall sei.
Carpenters-Version an sich hat schöne Momente, wobei er mir persönlich zu viel eigenes in die Sinfonie einbaut, was eher affektiert und wie ein Fremdkörper wirkt.
Kennt denn jemand schon die neuere Einspielung der Carpenter-Version mit Andrew Litton?
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