"Berühmtheit von Klassikwerken"

+A -A
Autor
Beitrag
Wilke
Inventar
#1 erstellt: 16. Apr 2012, 06:39
Ich habe mir gestern, als ich klassische Musik gehört habe (Bruckner 9te, Haydn Nr. 94) mir mal die Frage gestellt, warum bestimmte Werke auf Klassiksamplern oder im Konzertbetrieb oder im Fernsehen immer wieder gespielt werden, also populär sind, andere wiederum nicht. Sind die anderen "schlechter"?, oder von der Zuhörerschaft nicht so schlecht erfassbar? Ich persönlich ziehe z.B. Dvoraks 8te Sinfonie der 9ten vor,
mag Bachs Orchestersuiten viel lieber als die Brandenburgischen Konzerte, höre auch sehr gerne Haydns
86te Sinfonie.Warum werden die Klavierkonzerte Mozarts oft erst ab Konzert Nr. 21 gespielt und nicht Nummer 15?Natürlich ist m e i n Geschmack nicht entscheidend. Aber trotzdem: warum sind gerade bestimmte Klassische Werke berühmt? Wie ist Eure Meinung? Habt Ihr Erklärungen?

Gruß Ralf.
Kreisler_jun.
Inventar
#2 erstellt: 16. Apr 2012, 07:16
Manches hat "äußerliche" Gründe: So wurde das Klavierkonzert KV 467 bzw. der Mittelsatz in einem FIlm in den 60ern verwendet und damit weit überdurchschnittlich populär.Vermutlich war es allerdings schon vorher eines der populärsten. Es gibt zu viele Mozart-Konzerte, als dass die meisten Hörer sie alle im Blick haben könnten (besonders vor dem Schallplattenzeitalter). In der ersten Hälfte des 20. Jhds. haben sich daher die als besonders berühmt etabliert, die in irgendeiner Weise auffallen oder einem eher romantisch geprägten Geschmack besonders gefallen. Allen voran die beiden Mollkonzerte und seltsamerweise auch das m.E. ziemlich flache, aber virtuose und eingängige Nr. 26 KV 537. Nr.21 ist vielleicht das glanzvollste der Dur-Konzerte, dazu war der opernhafte Mittelsatz vermutlich schon vor dem Film populär. (Nicht wenige Kenner ziehen Nr. 25 KV 503 vor, aber das ist deutlich weniger eingängig.)

Es gibt dann solche selbstverstärkenden Effekte: Das, was einmal bekannter ist, wird häufiger gespielt/aufgenommen, damit noch bekannter usw.
Insgesamt sind heute natürlich aber das 9./271, 15./450, 17./453 und 19./459 Klavier-Konzert kaum weniger bekannt als 21/467
Schneewitchen
Inventar
#3 erstellt: 16. Apr 2012, 11:26
Werke sind populär,weil sie dem Geschmack des breiten Publikums entgegenkommen.Der eigene Musikgeschmack muß natürlich nicht dem Geschmack der breiten Masse entsprechen.
Der Publikumsgeschmack ist jedoch nicht von Dauer.
So waren die Werke J.S. Bachs lange Zeit untergetaucht,bis Mendelssohn die Matthäus Passion wiederaufführte und sich das Publikum wieder für Bachs Werke begeistete.Raffs Sinfonies waren zu dessen Lebenszeit meistgespielt.
Vivaldi war um 1950 nahezu unbekannt,seine 4 Jahreszeiten wurden erst später zum Verkaufsrenner.Und Mahlers Werke hielt man noch um 1950 für nicht erfolgversprechend,bis Bernstein sie bekannter machte,obwohl er nicht die erste Gesamtaufnahme der Sinfonien Mahlers herausbrachte.
Ich meine,daß man Werke von Komponisten nicht danach beurteilen kann,ob sie gut oder schlecht sind,weil sie gerade populär sind oder nicht.
Der Bekanntheitsgrad des Komponisten dürfte auch eine Rolle spielen,ob seine Werke populär werden.Ob Telemann,Bach,Händel,Haydn,Mozart-alle hatten eine feste Anstellung als Musiker,um mit Musik Geld zu verdienen.Dafür mußten sie Werke für ihren Dienstherrn komponieren.Je höher das Ansehen des Dienstherrn,je bekannter wurden die Werke des Komponisten.Wer das Glück hatte,für den Kaiser von Österreich zu komponieren,hatte eine hohe Chance,daß seine Werke bekannt wurden und bekannt blieben.Und trotzdem spielt man heute Salieri weniger als Mozart.
Als Stravinsky sein Ballet Le Sacre du Printemps erstaufführte,kam es zum Skandal.Das Werk wurde über Nacht berühmt.So kann ein Skandal auch hilfreich für den Komponisten sein.
Vor 20 Jahren wurde Goreckis 3.Sinfonie ein One-Hit-Wonder,heute ist es ruhiger damit geworden.
Kreisler_jun.
Inventar
#4 erstellt: 16. Apr 2012, 11:36
Händel und Mozart lebten nicht hauptsächlich von einer "festen Anstellung", sondern waren "freischaffend" (Mozart ab ca. 1781/82, als er nach Wien gezogen war), Händel zwischendurch sogar Unternehmer mit eigener Operngesellschaft (bis zur Pleite...), nur zur Info, hat mit dem Thema nicht so viel zu tun. Ich glaube auch nicht, dass das politische Gewicht des Dienstherrn entscheidend gewesen ist. Die schon damals sofort populäre "Zauberflöte" Mozarts wurde für ein (klein.)bürgerliches Vorstadttheater komponiert, nicht für die Hofoper. (Allerdings waren viele Opernhäuser halt noch bei Hofe angesiedelt.)
Hörbert
Inventar
#5 erstellt: 16. Apr 2012, 12:31
Hallo!

Nur so eiin Gedanke:

Gerade bei klassischer Musik bis Brahms/Bruckner sollte man den immer noch nachwirkenden Einfluss der "Bildungsbürgermentalität" und der teilweisen Ideologisierung der Musik durch die Nationalstaaten des 20 Jahrunderts nicht vergessen. Es gab seinerzeit einen mehr oder weniger festen "Kanon" der Werke die man kennen sollte um in "gebildeten" Kreisen mitreden zu können,

Bei neueren Werken läßt sich -nicht nur, aber auch-, deswegen ein "Knick" beobachten, -soll heißen mehr Menschen ist Mozarts "kleine Nachtmusik" ein Begriff als z.B. der obenerwähnte Sacre von Stravinsky oder selbst Ravels Bolero die in besagtem "Kanon" kaum Erwähnung gefunden haben.

MFG Günther
Kreisler_jun.
Inventar
#6 erstellt: 16. Apr 2012, 15:45
Dass verstehe ich nicht so recht. Die Idee eines Kanons ist damit verträglich, dass neue Werke darin aufgenommen werden. Vor der Mitte des 19. Jhds. gab es keinen richtigen musikalischen "Kanon", da fast nur neuere Musik gespielt wurde, d.h. ab etwa Beethoven (+ ein paar Werke von Händel, Gluck, Haydn, Mozart und später auch Bach). Aber es wurden natürlich neue Werke aufgenommen. Um 1900 dürften Werke von Brahms und Wagner ziemlich unbestritten "kanonisch" geworden sein, zusätzlich zu den schon vorhandenen "Klassikern". Und so weiter. Es dauert natürlich immer ein wenig, aber ungefähr seit den 1960er Jahren sind wohl auch Le Sacre und Bolero im Kanon. Dafür verschwanden bis zum Beginn des 20. Jhds. häufig gespielte Opern von Spohr und Meyerbeer fast völlig vom Spielplan.
Ich glaube aber, dass seit dem Radio- und Schallplattenzeitalter nochmal andere Einflüsse wirksam sind, wie etwa die Verwendung von Musik in populären Filmen usw.
Hörbert
Inventar
#7 erstellt: 16. Apr 2012, 21:55
Hallo!

Ja, kann hinkommen, der Einfluß des Bildungsbürgertums verschwand nach dem ersten Weltkrieg allmählich der "Kanon" wurde also m.E. nicht mehr in der gleichen Art gepflegt wie vorher und die neueren Werke wurden eher auf andere Art und Weise bekannt, natürlich wirke er in abgeschwächter Form weiter ohne allerdings jemal seinen ursprünglichen Stellenwert wieder zu erlangen.

Während z.B. Stravinski noch in gewisser Weise in besagten Kanon Aufnahme fand da hier immer noch erhebliche Reste der alten Gesellschaft vorhanden waren war nach der Zeit um 1960-1970 diese gesellschaftliche Form nicht mehr wirklich aktuell und neuere Themen als Geprächsstoffe etabliert. Hier kann dann das Radio und mehr noch der Film seinen Teil zur etablierung neuerer Werke ihren Teil beigetragen haben. Das obenerwähnte Beispiel von Goreckis 3. Symphonie mag da als Fallbeispiel hinkommen. Allerdings ist diese Art "Ruhm" leichter vergänglich, -heute kenn kaum noch jemand das Werk oder auch nur den Namen.

Auch Ravels Bolero hatte durch einen Film ein kurzzeitiges Verkaufshoch das allerdings ebenso rasch wieder beendet war. Werke von Komponisten die deutlich nach den 20ger Jahren geschrieben wurden sind kaum im Bewußtsein der breiten Masse präsent, selbst Carl Orff´s Carmina Burana hat keinen nennenwerten Bekanntheitsgrad obwohl das Werg durch das Radio und durch relativ viele Aufführungen eigentlich einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht haben müsste.

MFG Günther
Thomas133
Hat sich gelöscht
#8 erstellt: 17. Apr 2012, 07:03
Hallo,
glaube da spielen mehrere Faktoren eine Rolle (wie hier auch schon erwähnt wurde) aber die Grundlage wird sicher sein das es
in gewisser Weise eingängig, sogar schon ein Ohrwurm sein muß damit es bei der breiten Masse ankommt und zu einem "Gassenhauer" wird.
Das ist zB auch der Grund warum Dvoraks 9. so viel populärer als die 8. ist, das Hauptthema im Finale ist einfach markant, eingängig, cantabil und hebt sich darin klar von allen bisherigen sinfonischen Themen Dvoraks ab (mir ist zum. nicht ein Ohrwurm in dieser
Intensität jetzt im Kopf und ich habe die Sinfonien bis auf 1-3 alle öfters schon gehört) Ob man das persönlich gut findet ist ja wieder eine andere Sache.
Ich verehre auch Mozart und finde die Kleine Nachtmusik viel zu sehr überstrapaziert bzw. überhaupt nicht repräsentativ für Mozart aber da sie eingängig ist auch für die breite Masse kein schwer verdaulicher Brocken. Die Liste könnte man so fortführen (Wagners Walkürenritt, Ravels Bolero, Orffs Carmina Burana, Beethobens Für Elise...Bei Beethovens 5. kennen sogar Viele nur das Anfangsmotiv und wissen garnicht wie es genau weitergeht, das Gleiche mit "Freude..."...die restliche Musik der 9.? Fehlanzeige!)
grüße
Thomas
Klassikkonsument
Inventar
#9 erstellt: 17. Apr 2012, 09:21

Hörbert schrieb:

Während z.B. Stravinski noch in gewisser Weise in besagten Kanon Aufnahme fand da hier immer noch erhebliche Reste der alten Gesellschaft vorhanden waren war nach der Zeit um 1960-1970 diese gesellschaftliche Form nicht mehr wirklich aktuell und neuere Themen als Geprächsstoffe etabliert. Hier kann dann das Radio und mehr noch der Film seinen Teil zur etablierung neuerer Werke ihren Teil beigetragen haben. Das obenerwähnte Beispiel von Goreckis 3. Symphonie mag da als Fallbeispiel hinkommen. Allerdings ist diese Art "Ruhm" leichter vergänglich, -heute kenn kaum noch jemand das Werk oder auch nur den Namen.


Ich glaube, Du verwechselst z.T. Ruhm / Popularität einerseits und Kanonisierung andererseits. Ruhm und Popularität sind wahrscheinlich auch nicht dasselbe, denn ich vermute, dass Populäres wirklich gehört wird, während der Ruhm sich auf Hörensagen beschränken kann.

Ich glaube, den Gesang der Jünglinge im Feuerofen von Stockhausen kann man getrost zum Kanon zählen. Auch Ligetis Athmosphères, auch wenn dessen Bekanntheit sich nicht zuletzt wieder einem Film verdankt.


Auch Ravels Bolero hatte durch einen Film ein kurzzeitiges Verkaufshoch das allerdings ebenso rasch wieder beendet war. Werke von Komponisten die deutlich nach den 20ger Jahren geschrieben wurden sind kaum im Bewußtsein der breiten Masse präsent, selbst Carl Orff´s Carmina Burana hat keinen nennenwerten Bekanntheitsgrad obwohl das Werg durch das Radio und durch relativ viele Aufführungen eigentlich einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht haben müsste.


Diese Einschätzung wundert mich etwas. Klar sind sowohl der Bolero wie auch die Carmina Burana populär. Im zweiten Fall haben bestimmt relativ viele Leute aus der Gothic-Szene eine Aufnahme zur Verfügung. Als es mal vor vielen Jahren ein Open-Air-Konzert mit den Carmina gab, waren ich und ein Gruftie neben vielen anderen als Zaungäste dabei.
Popularität habe ich eben so definiert, dass da wirklich etwas gehört wird. Wahrscheinlich muss man das soweit einschränken, dass auf jeden Fall markante Ausschnitte, oft die Anfänge, vielen Leuten mehr oder weniger deutlich im Gehör sind. Für die Carmina beschränkt sich das im Wesentlichen auf's O Fortuna, bei Beethovens 5. auf das Tatatataaa. Ein weiteres Beispiel ist wohl der Anfang von Straussens Also sprach Zarathustra.

Ich will damit gar nichts gegen die Popularität sagen. Denn diese oberflächliche Bekanntheit sorgt ja dafür, dass Leute, die sonst keine Klassik hören, sich eine Aufnahme davon besorgen und vielleicht mal länger und öfter zuhören.
Kreisler_jun.
Inventar
#10 erstellt: 17. Apr 2012, 10:47
Ich würde auch Popularität, zumal von einzelnen Melodien oder Sätzen, im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von "Kanon" unterscheiden.

Die Idee eines Kanon kommt aus der Theologie und der Bildung. Den Kern der "bildungsbürgerlichen" Bildung bildete über mehrere hundert Jahre (etwa vom 17. bis zum ersten Drittel des 20. Jhds.) ein Kanon lateinischer und griechischer Autoren, um den die Gymnasial- und ein gut Teil der universitären Ausbildung zentriert waren. Da hat sich wohl auch mal was verschoben, aber im Kern nicht viel. Und seit Beginn des 19. Jhds. kamen dann noch einige deutsche "Klassiker" wie Goethe und Schiller hinzu (oder auch Shakespeare).
Auf dem Gebiet der Musik wurden dagegen bis weit ins 19. Jhd. fast nur zeitgenössische Künstler gespielt. Zu dieser Zeit werden dann Beethoven, Haydn, Mozart, Gluck, Bach, Händel "kanonisiert"; sie gelten als "Klassiker" und es werden zumindest einige (teils nur sehr wenige) Werke regelmäßig gespielt bzw. sind sie auch in entsprechenden Arrangements der Hausmusik verfügbar. Gleichzeitig wird ab Beethoven die aktuelle Musik oft allein technisch zu anspruchsvoll für die Hausmusik, dafür stabilisiert sich der Konzertbetrieb, wie wir ihn heute noch kennen.
Ab wann sich die Komponisten der Hoch- und Spätromantik ähnlich etablierten, weiß ich nicht genau. Wagner war einerseits ein umstrittener und skandalöser Fall, dennoch hat sich seine Musik meines Wissens ziemlich schnell durchgesetzt.

Im 20. Jhd. würde ich das auch statistisch betrachten: Wie oft wird etwas gespielt? Gilt es als "Spezialrepertoire"? In Rezensionen und Artikeln aus den 1950ern und 60ern kann man teils noch sehen, dass Musik von Debussy oder Stravinsky als Spezialistenrepertoire galt, während in den letzten 30 Jahren vermutlich kein Pianist oder Dirigent mehr Debussys Werke ignorieren kann.
Die Popularität bei denjenigen, die sonst gar keine Klassik hören, ist klarerweise ein anderer Fall. Das hat mit Kanon m.E. gar nichts zu tun, sondern es gibt sehr oft einen Zusammenhang mit der Verwendung in Filmen u.ä. Andererseits war der "Bolero" schon ziemlich populär, bevor er in den 1980ern von diesen Eistänzern und in dem Softsexfilm verwendet wurde. Man nimmt für so was kein komplett obskures Stück. Dito "O Fortuna". Ich bin mir ziemlich sicher, dass "O Fortuna" heute bei "Nichtklassikhörern" bekannter ist als Haydns "Paukenschlag" oder Dvoraks Neue Welt (bei der ich immer den langsamen Satz für den populärsten gehalten hatte, nicht das Finale).

Aber wie gesagt, ich würde etwa vier Grade unterscheiden:

- populär außerhalb der Klassik: zB Für Elise, O Fortuna
- sehr berühmt innerhalb der Klassik: zB Jupitersinfonie
- "Standardrepertoire" (d.h. häufig aufgenommen und gespielt oder anderweitig als wichtig anerkannt), dazu zählen sicher Haydns Nr. 86 oder Mozarts 15. KK, vielleicht auch schon "Gesang der Jünglinge", sicher aber Le Sacre und Petrouchka
- "Nischenrepertoire" (obwohl inzwischen auch oft in mehrfachen Aufnahmen vorliegend): viel Musik vor 1700 oder erst recht 1600 oder nach 1950. "Kleinmeister", vielleicht auch weniger bekannte Stücke sehr bekannter Komponisten. Eine Kantate von Buxtehude ist wohl kein Standardrep. Ob die Kantate BWV 30 Standard oder Nische ist, bin ich nicht sicher. Man könnte hier nochmal unterscheiden zwischen Werken/Komponisten, die zwar wenig bekannt sind, aber musikhistorisch (im Lexikon) als sehr bedeutend eingestuft werden (zB Buxtehude) und solchen, bei denen das eher nicht der Fall ist (wie zB Dittersdorf oder Czerny)
Thomas133
Hat sich gelöscht
#11 erstellt: 19. Apr 2012, 15:26

Kreisler_jun. schrieb:
- populär außerhalb der Klassik: zB Für Elise, O Fortuna
- sehr berühmt innerhalb der Klassik: zB Jupitersinfonie


Ich meine in meinem Beitrag ausschließlich ersten Bekanntheitsgrad. Wobei ich es aber interessant finde das sehr häufig Klassik aus diesem Bekanntheitsgrad bei eingefleischten Klassikhörern eher nicht so populär, manchmal sogar verpönt zu sein scheint.
Woran mag das liegen? Vielleicht das Klassikhörer Ohrwurmthemen nicht viel abgewinnen können oder das man bei diesen Stücken durch die relativ viele Verwendung in den Medien davon übersättigt ist oder das sich viele Klassikhörer einfach nur generell bewußt von jeglichem Geschmack der breiten Masse distanzieren wollen? Oder von Allem etwas? Was meint ihr?
lg
Thomas
flutedevoix
Stammgast
#12 erstellt: 19. Apr 2012, 22:05
Außerhalb einer wie auch immer gearteten Klassikszene dürfte die "Vermarktung" einer Melodie eine entscheidende Rolle spielen. Wobei von vielen Stücken ,die z.B. inder Werbung verwendet werden, dem Durschnittsbürger weder Titel noch Komponist bekant sein dürften.

innerhalb der Klassikszene kann ich jetzt nicht feststellen, daß die großen "knaller" gemieden werden. Da ich auch relativ viel mugge, ist es schon interessant, wie groß die Diskrepanz an Zuhörern zwschen der Aufführung des MozarRequiems undes Dvorak-Requiems ist, oder des Weihnachtsoratoriums von Bach oder des WO von Saint-Saens oder 9. Sinfonie und der 7. Sinfonie von Dvorak. Während man in den ersten fällen sich um die Besucherzahl, ganz unabhängig von der Aufführngsqualität keine Sorge machen muß, bleiben bei den zweitgenannten Stücken etiche Plätze leer. Das geht soweit, daß Konzertveranstalter darauf bestehen, daß mindestens ein "großer" Name im Programm ist. Damit sind in erster Linie Beethoven oder Mozart gemeint, Bach auch, aber Händel, Mendelssohn, Schumann, etc. schon nicht mehr.

Es gibt aber sehr wohl auch die "anderen" Konzerte, bei denen ausgefallene Musik, meist aus dem Bereich der sog. "Alten Musik" und der "Neuen Musik" regen Publikumszuspruch finden. Das ist aber in der Regel ein spezialisiertes Publikum, ein Publikum, das den Künstlern in irgendeiner Weise verbuden ist (Freunde, Verwandte, Geburtsort ...) oder das aufgrund außermusikalischer Anreize (geschichtliches Ereignis, Literatur, Film, etc.) den Weg findet. Hier gibt es z.T. regelrechte Aha-Erlebnisse, die zu einem "Einstieg" in die klassische Musik führen.

Daher würde ich sagen ein klares sowohl als auch: gängistes Repertorie und absolutes Spezialrepertoire!

Das hat nun mit der Ausgangsfrage nicht soviel zu tun.
Grundsätzlich hege ich aber folgende Verdachtsmomente:

  1. freundliche, helle, optimistische Stücke haben es tendenziell einfacher als traurige
  2. "einfacher" gestrickte Werke habe es einfacher als komplexe Gebilde
  3. Festliche oder gar bombastische Stücke haben es einfacher als intimere Strukturen
  4. Programm-Musik oder Musik mit Text hat es einfacher als Musik ohne vordergründige "Höranleitung"
  5. Rhythmisch klar und mit sich wiederholenden Elementen strukturierte Musik hat es einfacher


Das sind natrülich nur Tendenzen: Natrülich gibt es da auch das melancholische Chopin-Nocturne, das "Ohrwurm-Qualität" hat.

Und ganz gewiß spielt auch der Kanon-Gedanke (von wem auch immer dieser Kanon empfohlen wird) eine entscheidende Rolle. Es ist ja schon interessant, daß der Name "Karajan" immer noch als Synonym für die best mögliche Wiedergabe klassischer Musik gilt. Ich würde meinen, daß hier jemand die perfekte Werbung für sich über seinen eigenen Tod hinaus gefunden hat
Thomas133
Hat sich gelöscht
#13 erstellt: 19. Apr 2012, 22:45
Hallo,
ich kann deinen Ausführungen zustimmen aber ich glaube das bei Klassikkonzerten mit wirklichen "Gassenhauern" auch einige Menschen im Konzertpublikum sind die kaum bzw. selten in einem Klassikkonzert vorzufinden sind, wahrscheinlich keine Klassik CD´s im 3 oder 4stelligen Bereich sammeln und somit nicht zu den eingefleischten Klassikhörern zählen würde.

Die Beobachtungen konnte ich bei Klassikforen in div. Diskussionen um bestimmte Werke oder auch bei Lieblingsaufzählungen machen.
Wie oft hab ich schon von Beethoven-Fans gelesen die 9. wäre bis auf das "Freude schöner Götterfunken" eine wunderbare Sinfonie, wie oft hab ich schon von Mozart-Fans lesen müssen die nichts gutes über die kleine Nachtmusik sagen (obwohl sie eigentlich garnicht so schlecht wäre aber da würde man wieder zu meiner Ausgangsfrage zurückkehren) Die Schostakowitsch-Anhänger können dem berühmten Walzer aus den Jazz-Suiten nicht viel abgewinnen, die von Prokofiev haben eher noch abfällige Kommentare über die 1. "Klassische" über...alles Beobachtungen die ich schon machen konnte.
In manchen Fällen läßt sich das auch logisch erklären, so ist zB "Für Elise" eigentlich nur ein kleines Gelegenheitswerk so das jetzt die richtigen Beethoven-Fans große Begeisterung dafür aufbringen könnten, die berühmte Toccata von Bach soll angeblich nicht von Bach sein was Bach-Fans zum. im Unterbewußtsein beeinflußt usw. Aber bei größeren Werken versteh ich es nicht ganz.

Mich persönlich beeinflußt es zugegebenermaßen schon wenn ich öfters in der Öffentlichkeit so schreckliche Klassik-Klingeltöne höre oder zu unpassenden Werbungen (im schlimmsten Fall die Klassik dazu dient um Klischeevorurteile wie bieder, konservativ, altmodisch,... zu vermitteln) höre...meine absoluten Lieblingsstücke nehmen zwar kaum schaden davon (obwohl ich es teilweise beim Requiem Mozarts schon merke das mir zB das Dies Irae schon mal viel besser gefallen hat aber dann hört man das ständig als Hintergrundmusik für Thriller/Horror-Film-Vorschauen, als merkwürdigste Untermalung bei Dokus) Aber vor allem bei Stücken die ich ganz gut finde aber jetzt keine absolute Begeisterung dafür habe, merke das sie mir ob ich will oder nicht zunehmend weniger gefallen je kommerzieller diese Musik noch in den Medien ausgeschlachtet wird. Ich kann es auch nicht mal genau erklären, irgendwas im Unterbewußtsein dürfte das auslösen, das ich evtl. beim Hören automatisch mit dieser und jenen Werbung usw. verknüpfe,...keine Ahnung. Geht das nur mir so? Kennt das sonst Keiner? Ich dachte das würde Mehreren so gehen was ich schon so an o.a. Beispielen von Klassikforen gelesen habe.

lg
Thomas
flutedevoix
Stammgast
#14 erstellt: 20. Apr 2012, 08:27
Hallo Thomas,

ich muß sagen, daß ich relativ immun bin gegen Verknüpfungen zwischen Werbung und bestimmten Stücken. Ich bilde mir auch ein, daß ich relativ immun gegen Werbung bin, eben weil ich sie relativ schlecht gemacht finde und die Übertreibung oft genug schon im Ansatz zu erkennen ist. Es ist mir aber klar, daß andere da anders reagieren (also in Bezug auf Verbindung Werbung-Musik). Wenn ich Musik höre, dann entscheidet bei mir ihre Güte, wie auch immer man die definieren will, darüber, ob mir das Stück gefällt.

Ichj habe manchmal den Verdacht, daß es zum guten Ton gehört, die Nase über bestimmte Stücke zu rümpfen, eben weil sie so bekannt sind. Bezüglich deiner Beispiele: Das Urteil über Beethovens 9. ist ja schon uralt, die kleine Nachtmusik wird in meinem Umfeld (mit einigen "Mozatfans") nicht deraret abqualifiziert, im Falle Schostakowitschs gibt es nun wirklich einige "bessere" Werke ...
Ich habe oft den Verdacht, daß selbst bei einigen "eingefleischten" Klassikhörern ihre Meinung nicht auf eigenen Hörerfahrungen beruht, sondern z.T. völlig unreflektiert Statements von sog. "Experten" wiedergegeben werden. Wennman sich auf eine anerkannte Meinung beruft, kann man ja schließlich nicht falsch liegen ... Vermutlich unnötig zu betonen, daß mir diese Haltung ein Gräuel ist. Ganz offensichtlich fällte es vielen Menschen schwer zu ihren Erfahrungen zu stehen, ohne sich abgesichert zu haben. Man könnte sich ja sonst blamieren ...

P.S. Die Diskussionen über die brümt d-moll Toccata & Fuge BWV 565 sind zumindest "unentschieden" es gibt namhafte Bachforscher mit guten Argumenten auf beiden Seiten. Für mich eine entscheidende Frage in diesem Zusammenhang: Wer von den uns bekannten Orgelkomponisten des nmord-/ mitteldeutschen Barock könnte dieses Werk geschrieben haben?
Thomas133
Hat sich gelöscht
#15 erstellt: 20. Apr 2012, 11:38
Hallo,
jetzt übernehme ich mal die Rolle die üblicherweise Martin hier hat (bzgl. Art und Weise der Diskussion) ...halt ohne Hamburgische Mentalität
Man hat ja was die Bach-Toccata&Fuge in d-moll anbelangt einen gewissen Johann Peter Kellner vermutet. Ich habe noch nie von dem gehört und kann mir das auch nicht richtig vorstellen, das ein relativ unbekannter Komponist so ein herausragendes, kunstvolles Werk (wäre ja sozusagen sein Lebenswerk ) inmitten seines sonstigen (scheinbar nicht so aufregendem) Schaffens hat - sonst hätte man wohl schon mehr von dem gehört/gelesen vermute ich mal (zum. als herausragender Komponist für Orgel).
Stimmt, der Walzer von Schostakowitsch würde ungefähr auch unter dem Kriterium wie zB "Für Elise" fallen - somit schon eher verständlicher.
Glaube aber nicht das es so viele in der Klassikszene gibt die nur Meinungen Anderer wiedergeben - ich hoffe ja doch das jeder seinen eigenen Geschmack hat und dazu steht. Das ich zB Sibelius nicht viel abgewinnen kann ist auch nicht in einer anderen Meinung begründet, mir wäre lieber seine Musik würde mir mehr vermitteln und das jemand eine Meinung kontrovers zu seinem Musikgeschmack/Höreindruck ins Forum schreibt wäre ja schon sehr kurios finde ich. Vielleicht mag das ja in Fällen zutreffen wo jemand das Werk garnicht kennt und irgendein anderes Geschreibsel bzw. Klischees und Vorurteile kopiert um sich interessant zu machen. Aber die Gassenhauer dürften (hoffentlich) alle Klassikliebhaber kennen, an dem könnte es dann auch nicht liegen.
Vielleicht bin ich auch naiv und in der Klassikszene kommt der sogenannte "Mitläufereffekt" wie man das in der Wirtschaftssprache nennt mehr zu tragen als ich jetzt glauben könnte.
Jendenfalls kommt es bei mir persönlich auch immer darauf an inwieweit ich das Werk substantiell mag, der 1.Satz von KV 550 kann mir garnichts verderben (obwohl gerade das Anfangsthema sowas von medial ausgeschlachtet wird) aber ich muss gestehn das ich zB den Beginn von "Freude schöner Götterfunken" auch nicht so viel abgewinnen kann, nach diesem Hauptthema wird dieser Satz für mich aber wesentlich besser. Ja hätte nicht ein paar Jahrzehnte zuvor Mozart in seinem Misericordias Domini die Melodie schon zuvor medial vermarktet
lg
Thomas
flutedevoix
Stammgast
#16 erstellt: 20. Apr 2012, 12:15
Ja, ich weiß daß man den Namen Kellner ins Spiel gebracht hat. Zumal über ihn ja auch etliche Choralvorspiele vor ca. 15 (?) Jahren wieder entdeckt wurden, bei denen man zumindest in allen Fällen nicht ganz sicher ist, ob es Bach ist. Kellner ist ja Bach-Schüler und in seinem engeren Umkreis anzusiedeln, von daher könnte es sein. Allerdings kenne ich von ihm kein einziges freies (also nicht choralgebundenes) Orgelwerk, das nur annähernd die Qualität von BWV 565 hätte. Das macht es in meinen Augen unwarscheinlich, daß Kelnner der Schöpfer ist.

Die Gründe an einer Autoschaft Bachs zu zweifeln sind z.T. schon gewichtig: das fängt mit den tempobezeichnungen an und endet bei satztechnischen "Mängeln" in der Fuge. Andereseits ist gerade die Toccata ein kühner Wurf mit viel improvisatorischem Geist, das nur einem großen Improvisator zugetraut werden darf. Auch die Coda der Fuge zeugt von einer größeren Schöpfungskraft, als sie bei Bachs Schülern in ihrem Werk sonst anzutreffen ist (vielleicht mit Ausnahme seiner Söhne und Goldberg). Das alles macht in meinen Augen eine Zuschreibung als Jugendwerk Bachs am sinnvollsten (und ich weiß mich da mit Christoph Wolff, einem der reniommiertesten Bachforscher auf einer Wellenlänge). Der andere herausragende Orgelkomponist dieser Zeit, Buxtehude, hat ja durchaus mit demselben Motiv gespielt und kam zu einer ganz anderen, wesentlich konventionelleren Lösung ...

Wenn also nicht ein unbekannter Meister sein Opus maxissimum mit diesem Werk geschaffen hat und dann sehr schnell danach verstarb, ohne weitere Kostproben seines Könnens hinterlassen zu haben, wer außer Bach hätte ein derartig inspiriertes Werk notieren können?
Vermutlich werden wir es nie erfahren ...

Ein anderes Feld:
Bezüglich der Klassikhörer mit eigenem Geschmack bin ich durchaus eher pessimistisch (und das, obweohl icvh eigentlich Optimist bin). Ich habe schon so oft in Diskussionen Bemerkungen gehört, die mich das Gegenteil glauben lassen. Solche Außerungen wie "FonoForum lobt die Aufnahme also ist sie sehr gut" oder "Kaiser sagt, das ist die beste Einspielung". Diese Aufnahmen wurden dann auch blind gekauft (obwohl man hineinhören hätte können) und gegen alle Argumente verteidigt. Wohlgemerkt nicht Argumente, die die Aufnahmen schlecht machten, sondern die einen andere Sichtweise auf das zugrunde liegen Werk ins Spiel brachten (nein nicht HIP vs. "traditionell" ;-) ) Es wurde aber nicht argumentiert, mir gefällt es so besser sondern, "die haben aber gesagt". Das vielleicht als Hintergrund für meinen Pessimismus. Daher glaube ich schon an einen nicht zu kleinen "Mitläufereffekt", unbeschadet der Tatsache, daß es natürlich auch die Gegenbeispiele gibt. Ich glaube auch nicht, daß jemand eine kontroverse Aussage zu seiner eigenen Meinung in ein Forum schreibt, ich glaube viel eher daran, daß man glaubt, daß diese Musik oder diese Aufnahme nicht besonders gut seien, weilo bestimmte Menschen sie nicht dafür halten.
Klassikkonsument
Inventar
#17 erstellt: 21. Apr 2012, 09:39

flutedevoix schrieb:
Bezüglich der Klassikhörer mit eigenem Geschmack bin ich durchaus eher pessimistisch (und das, obweohl icvh eigentlich Optimist bin). Ich habe schon so oft in Diskussionen Bemerkungen gehört, die mich das Gegenteil glauben lassen. Solche Außerungen wie "FonoForum lobt die Aufnahme also ist sie sehr gut" oder "Kaiser sagt, das ist die beste Einspielung". Diese Aufnahmen wurden dann auch blind gekauft (obwohl man hineinhören hätte können) und gegen alle Argumente verteidigt. Wohlgemerkt nicht Argumente, die die Aufnahmen schlecht machten, sondern die einen andere Sichtweise auf das zugrunde liegen Werk ins Spiel brachten (nein nicht HIP vs. "traditionell" ;-) )


Der Gerechtigkeit halber muss man jedoch sagen, dass man als "Klassikkonsument" um Autoritätsargumente zumindest als erste Orientierung im Dschungel der Klassik kaum herumkommt. Zumal es ja nicht ein Genre neben anderen ist: 1000 Jahre Musikgeschichte mit zahlreichen Richtungen, die zwischenzeitlich vergessen waren oder sich bekämpft haben, sind nicht so einfach zu überblicken. Und selbst wenn man sich auf die klassisch-romantische Epoche beschränkt - es kostet viel Zeit und Geld sich durch die vielen Interpretationen zu hören.

Meine erste CD war Karajans digitale Aufnahme von Beethovens 9. Dann war ich allerdings neugierig auf eine andere Interpretationsrichtung und kaufte die 7. und 8. Sinfonie unter Hogwoods Leitung. Aber man kann es doch niemandem verdenken, sich erstmal einen kompletten Karajan-Zyklus zu holen. Für's Kennenlernen von Werken sind die Unterschiede zwischen Interpretationen m.E. oft gar nicht so wichtig. Und Karajan war ja nun auch nicht einfach schlecht. Bei mir lief zuhause viel klassisches Radio, so dass ich halt schon mitbekommen habe, dass es da so etwas wie HIP gibt.
Was mein Interesse für mir unbekanntes Repertoire angeht, habe ich mich vor allen Dingen an zwei Autoritäten gehalten: Was Adorno so sagt (und z.T. überhaupt das Umfeld der Schönberg-Schule) und den dtv-Atlas zur Musik. Deshalb habe ich bisher nur je 2 Sinfonien von Sibelius und Schostakowitsch in meiner Sammlung. Gut, weil ich diese Komponisten kaum kenne, enthalte ich mich auch eines Urteils über sie und wiederhole nicht etwa Adornos Diktum, der Löcher in Sibelius' Sinfonien seien so viele wie Seen in Finnland. Aber mein Interesse ging dann erst mal in Richtung Mahler.

Und von meiner Erfahrung her muss ich sagen, dass mir bloßes Hineinhören nicht reicht. Ich brauche meistens einige Male, um einen gewissen Eindruck von Musik bzw. ihrer Interpretation zu bekommen. Erst mit Youtube (das hoffentlich nicht bald dichtgemacht bzw. im Angebot massiv eingeschränkt wird wegen der GEMA-Klage) habe ich eine gute Möglichkeit mich an Neues heranzutasten.

Wenn man professionell mit Musik zu tun hat, ist es sicher leichter, zumal, wenn man Partitur lesen kann.


Es wurde aber nicht argumentiert, mir gefällt es so besser sondern, "die haben aber gesagt". Das vielleicht als Hintergrund für meinen Pessimismus. Daher glaube ich schon an einen nicht zu kleinen "Mitläufereffekt", unbeschadet der Tatsache, daß es natürlich auch die Gegenbeispiele gibt. Ich glaube auch nicht, daß jemand eine kontroverse Aussage zu seiner eigenen Meinung in ein Forum schreibt, ich glaube viel eher daran, daß man glaubt, daß diese Musik oder diese Aufnahme nicht besonders gut seien, weilo bestimmte Menschen sie nicht dafür halten.


Das liegt aber auch daran, dass Geschmacksbildung Zeit & Geld voraussetzt und leider auch keine Aufgabe der Schule ist. Dort wird einem auch nicht vermittelt, was die Grenzen und Möglichkeiten von Wissenschaft sind. Stattdessen wird den Kindern beigebracht, dass (außer vielleicht in den Naturwissenschaften) jede Meinung, gleich welchen Inhalts, gleich viel wert sei. Das wird dann noch forciert durch Debattierwettbewerbe, in der einem die Aufgabe gestellt wird, eine beliebige Meinung argumentativ zu verteidigen. So als sei Wahrheit nur der Schein, den rhetorische Geschicklichkeit herzustellen vermag.
Schnappt man dann noch Adornos Gefasel vom "totalen Verblendungszusammenhang" oder anderen relativistischen Mist auf, kann sich die emotionale Besetzung der eigenen Meinung noch verfestigen.
Die hat Adorno zu Recht in seinem lesenswerten Essay Meinung, Wahn, Gesellschaft kritisiert.


[Beitrag von Klassikkonsument am 21. Apr 2012, 09:43 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#18 erstellt: 21. Apr 2012, 11:22
Der "normale" Klassikhörer ist bei der Beurteilung von *Werken* m.E. eher vorsichtig bzw. geht mit dem traditionellen Urteil konform. Ich weiß eigentlich von niemanden, der Mozarts große g-moll- oder die Jupitersinfonie ablehnt, *weil* sie die populärsten sind.
Natürlich kann es bei manchen selbstbewussten (egal ob aufgrund von Erfahrung und Kenntnis oder nur so) Hörern den Effekt geben, besonderen Geschmack durch die Bevorzugung weniger bekannter Stücke und Komponisten und eben auch die Ablehnung herauszustellen. Bach oder Chopin, das hört ja jeder! Aber Faurès Klaviermusik oder englische Virginalisten, da zeigt sich der Connoisseur...

Was die Beurteilungen von Interpretationen angeht, stimme ich dem Klassikkonsumenten zu. Ich finde es verständlich, wenn sich hier viele erst einmal an bekannte Zeitschriften oder Kritilker halten. Dennoch sollte man natürlich ein kritisches Bewusstsein bewahren. Allerdings macht sich ein professioneller Musiker wohl nicht klar, wie schwierig es für einen Laien ist, so etwas wie ein fundiertes Urteil zu einer Interpretation abzugeben. Selbst um ein vages, subjektives Urteil zu finden, benötigt man viel Hörerfahrung, Zeit und Kenntnis einer Anzahl von Alternativen, weil man ja nicht durch eigenes Spielen oder Partiturlesen ein Bild des Werks erhalten kann, sondern nur durch Hören von entsprechend geprägten Interpretationen. Allein die Fähigkeit mehr als grobe Unterschiede überhaupt zuverlässig wahrzunehmen, erfordert viel Erfahrung.

Zusätzlich ist es sehr schwierig, die Beurteilung zu verbalisieren, das merkt man ja sogar an professionellen Kritiken. Bei Kaiser zB finden sich in den älteren Büchern (wie dem zu Beethovenssonaten) mitunter innerhalb weniger Seiten durchaus nachvollziehbare, kluge Beobachtungen neben stilblütenträchtigem Geschwafel, das aber anscheinend sogar von manchen Musikern als adäquate Beschreibung einer Spielweise oder eines Musikstücks akzeptiert wird.
WolfgangZ
Inventar
#19 erstellt: 21. Apr 2012, 12:10

Zumal es ja nicht ein Genre neben anderen ist: 1000 Jahre Musikgeschichte mit zahlreichen Richtungen, die zwischenzeitlich vergessen waren oder sich bekämpft haben, sind nicht so einfach zu überblicken.




Das kann man nicht oft und nicht laut genug sagen!

Was dahinter steckt, verleitet mir auch den "Klassik"-Begriff seit langem.

Und eigentlich sollte man auch gar nicht von einem "Genre" sprechen.

Aber das ist natürlich ein so weites Feld, dass ich keine Diskussion diesbezüglich eröffnen möchte. Erstens gehört sie wohl nicht hierher. Zweitens führt sie selten zu etwas Erquicklichem ...

Es war mir dennoch ein Bedürfnis, hier ein zu setzen.

Wolfgang
flutedevoix
Stammgast
#20 erstellt: 23. Apr 2012, 15:53
Vielleicht sollten wir ganz klar zwischen dem "Einsteiger" oder eher unerfahrtenen Hörer und dem erfahrenen Sammler unterscheiden.

Natürlich wird der "Neuling" sich zunächst an Urteilen entlang hangeln. Aber auch da hoffe ich doch sehr auf den mündigen Hörer, der nicht zwangsläufig etwas gut findet, nur weil es common sense einer bestimmten Richtung, an die er gerade geraten ist, daß diese Aufnahme sehr gut oder gar "Referenz" (ein meiner Meinung nach völlig untauglicher Begriff) sei. Ich finde man muß kein Profi sein, um sagen zu können, ob einem das gefällt oder nicht. Auch sollte man sich nicht vor einfachen, auf dene rsten Blick untauglich erscheinenden Verbalisierungen scheuen. Ein einfaches" das gefällt mir, weil es so fröhlich ist", ist doch schon einmal ein Einstieg, weil persönlich. Darüer kann man dann diskutieren. Aus den zwangsläufig unterschiedlichen
Meinungen schält sich dann im besten Fall ein Blick für die Qualität des Werkes und die Qualität der interpretation heraus. Daß dies ein (jahre) langer Weg ist, ist mir durchaus bewußt. Auch ist es in heutiger Zeit kein (oder vielleicht bislang noch kein) Problem, ohne großen finanziellen Aufwand, mehrere interpretatorische Eindrücke eines Werkes zu sammeln etwa via YouTube.

Das, was ich hier selbst für einen "Einsteiger" als wünschenswert beschreibe,erwarte und setze ich für einen "Sammelprofi" voraus. Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn jemand etwa Beethovens Sinfonien z.B. in der digitalen Einspielung Karajans gut findet. Ich fände es aber schon gut, wenn er mir sagen kann, warum bzw. was er daran so gut findet. Dann kann die Diskussion beginnen, in dem jeder aus seiner Sicht Vor- und Nachteile einer Interpretation benennt. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob man Fachkentnisse besitzt oder nicht. In der Diskussion läßt sich das ja meist einfach klären. Letztendlich ist der Ausgang der Diskussion völlig nebensächlich, etwa, ob ich meinen Gegenüber davon überzeugen konnte, daß und warum ich diese Einspieliungen Karajans nicht für optimal halte. Warum nebensächlich: Weil sich durch die Diskussion über die Interpretationen schon ein neueres differenziertes Bild eingestellt hat.

Abschließend will ich es vielleicht so formulieren: ein "das gefällt mir" finde ich unbefriedigend, ein "das gefällt mir, weil ..." finde ich einen guten Einstieg in die Diskussion!
Klassikkonsument
Inventar
#21 erstellt: 24. Apr 2012, 13:06
Entschuldigung, Johannes, aber da bastelst Du Dir ein Ideal aus der Perspektive desjenigen, der weiß, was man der Musik schuldig ist. Dieses Ideal ist ja nicht verkehrt, und es ist auch meins. Ich höre mir immer mal wieder Musik an, die mir erstmal nichts sagt - aktuell Brittens War Requiem.

Auch wenn ich hier wohl allein damit stehe: Ich meine, da muss man auch mal auf die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Kunstrezeption zu sprechen kommen. Es ist kein Wunder, wenn Leute dieses Ideal nicht haben bzw. pflegen. Nach 8 Stunden Arbeit konsumiert man lieber etwas anderes. Jedenfalls, wenn man weiter unten in der Jobhierarchie steht.

Die Schule legt beim Durchschnittsbürger auch keine ernstzunehmenden Grundlagen. Und zwar völlig zu Recht, wenn man mal von dem Ideal ausgeht, dem sie sich verpflichtet weiß: die Produktion funktionierenden Menschenmaterials für den Standort Deutschland, der gerade reihenweise seine europäischen Nachbarn niederkonkurriert und ihnen eine Wirtschaftspolitik aufoktroyiert, die mit Sicherheit nicht die Verbesserung des ästhetischen Geschmacks der jeweiligen Bevölkerungen auf der Agenda hat.

Sicher gibt es Ausnahmen, aber im Großen & Ganzen ist Kunst ein Thema für die höheren Stände (in meinem Fall: studierter Vater, der nichts anderes als Klassik gehört hat).
Suche:
Das könnte Dich auch interessieren:
Allgemeine Frage zur Berühmtheit von Interpreten wie Horowitz, Rubinstein
Wilke am 08.03.2013  –  Letzte Antwort am 12.03.2013  –  16 Beiträge
Bedeutende Werke der Klassik
Adventure1170 am 02.06.2009  –  Letzte Antwort am 13.06.2009  –  7 Beiträge
Was sind die Essenzen von Johann Sebastian Bachs Werken?
Classic84 am 23.11.2019  –  Letzte Antwort am 25.11.2019  –  3 Beiträge
Warum klingen Aufnahme von Sinfonien so schlecht?
eleganzza am 01.08.2008  –  Letzte Antwort am 23.11.2010  –  51 Beiträge
Wie heißen die Komponisten/Werke?
sven30 am 07.04.2008  –  Letzte Antwort am 07.04.2008  –  8 Beiträge
Wer hört klassische Musik?
Jeremias am 01.07.2005  –  Letzte Antwort am 07.07.2005  –  84 Beiträge
klassische Musik für Anfänger(innen)?
zeiti am 14.10.2013  –  Letzte Antwort am 12.11.2013  –  14 Beiträge
Beiträge zu Bruckner gesucht
Klassik_Fan am 06.10.2021  –  Letzte Antwort am 07.10.2021  –  2 Beiträge
Einstieg Klassische Musik
crixxx am 16.01.2005  –  Letzte Antwort am 17.01.2005  –  6 Beiträge
Klassische Musik beim Autofahren
ph.s. am 15.08.2010  –  Letzte Antwort am 03.09.2010  –  16 Beiträge
Foren Archiv
2012

Anzeige

Produkte in diesem Thread Widget schließen

Aktuelle Aktion

Partner Widget schließen

  • beyerdynamic Logo
  • DALI Logo
  • SAMSUNG Logo
  • TCL Logo

Forumsstatistik Widget schließen

  • Registrierte Mitglieder925.509 ( Heute: 8 )
  • Neuestes MitgliedNicontma
  • Gesamtzahl an Themen1.550.287
  • Gesamtzahl an Beiträgen21.521.057

Hersteller in diesem Thread Widget schließen