Neue Musik für historische Instrumente

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FabianJ
Inventar
#1 erstellt: 11. Okt 2014, 20:41
Im Verlaufe des letzten Jahrhunderts wurden nicht nur große Fortschritte in der historischen Aufführungspraxis gemacht, also versucht die Musik vergangener Jahrhunderte so aufzuführen wie sie zu ihrer Entstehungszeit geklungen haben könnte. Dazu gehörte natürlich auch historische Instrumente wieder spielbar zu machen oder zumindest detailgetreu nachzubauen und ihre klanglichen Möglichkeiten neu zu entdecken. Das betraf dann neben Instrumenten, deren Weiterentwicklungen heute noch in Gebrauch sind, auch Instrumente, welche schon lange Zeit nicht mehr in Gebrauch waren wie z. B. das Cembalo, die Gambe oder die Laute.

Mir ist aufgefallen, dass insbesondere das Cembalo seit der ersten Hälfte des letzten Jahrhundert so manchen Komponisten zu Werken inspiriert hat. So schrieb etwa Francis Poulenc mit seinem Concert champêtre ein Cembalokonzert, auch Alfred Schnittke und Mieczysław Weinberg haben dieses Instrument in der einen oder anderen Komposition verwendet. Auch von Jean Françaix gibt es ein Cembalokonzert. Unter den jüngeren Werken kommt mir insbesondere Philip Glass' Cembalokonzert in den Sinn.

Von der Viola da Gamba weiß ich, dass der Gambenspieler Paolo Pandolfo ein paar kurze Stücke für sein Instrument geschrieben hat. Ferner hat die estnische Komponistin Helena Tulve das Instrument in ihrem Werk „L’ombre derrière toi für 3 Gamben und Streichorchester“ verwendet. Sowohl auf dieses Werk als auch auf dessen Schöpferin wäre ich aber wohl nicht so schnell aufmerksam geworden, wenn ich mich nicht für Gambenmusik interessieren würde.

Für andere historische Instrumente kenne ich nun gar keine neueren Kompositionen, wobei ich mich in der Neuen Musik auch nicht auskenne.

Welche neueren Werke, in denen historische Instrumente verwendet wurde, kennt und schätzt ihr?
Cogan_bc
Inventar
#2 erstellt: 11. Okt 2014, 20:44
alles von "In Exstremo"
EKBT
Stammgast
#3 erstellt: 11. Okt 2014, 22:16

FabianJ (Beitrag #1) schrieb:
Mir ist aufgefallen, dass insbesondere das Cembalo seit der ersten Hälfte des letzten Jahrhundert so manchen Komponisten zu Werken inspiriert hat. So schrieb etwa Francis Poulenc mit seinem Concert champêtre ein Cembalokonzert, auch Alfred Schnittke und Mieczysław Weinberg haben dieses Instrument in der einen oder anderen Komposition verwendet. Auch von Jean Françaix gibt es ein Cembalokonzert. Unter den jüngeren Werken kommt mir insbesondere Philip Glass' Cembalokonzert in den Sinn.

Wobei man allerdings bedenken muß, daß die Cembali, für die diese Komponisten (Hugo Distler wäre noch ein weiterer) geschrieben haben, nicht eigentlich historische Cembali waren, sondern solche, bei denen man "Errungenschaften" des Klavierbaus des späten 19. Jh. wie z.B. Eisenrahmen integriert hat (mit nicht unbedingt vorteilhaften Folgen für den Klang). Für die Cembalokonzerte des 20. Jh. sind daher Instrumente authentisch, die für alte Cembalomusik streng genommen unpassend sind.
Solocembalomusik gibt es auch noch von Xenakis.
Kreisler_jun.
Inventar
#4 erstellt: 12. Okt 2014, 10:26
Es gibt eine Doppel-CD mit Auftragskompositionen? jüngerer zeitgenössischer Komponisten für das Freiburger Barockorchester

Es gibt definitiv auch zeitgenössische Musik für Blockflöte(n), vermutlich auch für Gamben, aber ich kenne nichts davon.

Cembalo-Werke, insbes. Konzerte gibt es sehr viele, allerdings wurden die, wie schon gesagt, nicht unbedingt für historisch exakte Rekonstruktionen komponiert wurden (wobei man damals freilich jegliches Cembalo als historisierend verstanden hat).

Von Elliott Carter gibt es ein Doppelkonzert mit Klavier und Cembalo, Kammermusik mit Cembalo und soweit ich weiß auch einige Solostücke; von Ligeti eine Reihe von Solowerken. Die kenne ich aber kaum oder gar nicht.

Auf jeden Fall erwähnenswert noch:
De Falla: Cembalokonzert
Frank Martin: Petite Symphonie Concertante (Harfe, Cembalo, Streicher)

amazon.de amazon.de
WolfgangZ
Inventar
#5 erstellt: 12. Okt 2014, 12:30
amazon.de

Das renommierte HIP-Ensemble hat auch Poulencs Cembalokonzert eingespielt. Meinerseits kenne ich als Poulenc-Liebhaber diese CD nicht - ob noch nicht, weiß ich nicht so recht.

EKBT und Fabian haben wohl auf die Problematik bereits hingewiesen und in einer Rundfunksendung wurde die Aufnahme der Anima Eterna unter Immerseel genau aus diesem Grund problematisiert. Es dürfte problematisch sein, das Poulenc-Konzert auf einem alten Instrument zu spielen. Selbiges kann sich nicht durchsetzen, Poulenc hat seinerseits an ein besonders schlagkräftiges modernes Gerät gedacht und Wanda Landowska hat die Komposition darauf 1928 uraufgeführt.

Wolfgang
WolfgangZ
Inventar
#6 erstellt: 12. Okt 2014, 12:39
Ich kenne mittlerweile auch die meisten (1) anderen modernen Cembalokonzerte, die bislang genannt wurden. Wenn ich mir Francaix anhöre, könnte ich mir zwar vorstellen, dass auch ein altes Instrument sich klanglich einigermaßen durchsetzen kann. Dennoch werde ich den Eindruck nicht los, dass hier tontechnisch kräftig nachgeholfen wird.

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Der Komponist spielt hier zusammen mit dem RSO Saarbrücken unter dem Dirigat von Emile Naoumoff.

PS: (1) Wer möchte mir Carter und Weinberg schmackhaft machen (ist nicht schwer ...)?

Schönen Sonntag allerseits!

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 12. Okt 2014, 12:42 bearbeitet]
FabianJ
Inventar
#7 erstellt: 12. Okt 2014, 13:43
Mir war schon klar, dass man für das Spielen von neueren Werken für historische Instrumente nicht unbedingt originalgetreu nachgebaute Geräte von vor mehreren hundert Jahren verwendet, sondern diese durchaus ein wenig an die heutigen Anforderungen angepasst hat. Ich habe nur deshalb den Begriff „historische Instrumente" verwendet, weil mir kein besserer Oberbegriff für Cembalo, Gambe & Co. einfiel. Es sind halt solche Instrumente gemeint, welche zwischenzeitlich lange Zeit nicht mehr gespielt wurden, so wie eben das Cembalo oder die Gambe.

Frank Martins „Petite Symphonie Concertante" habe ich mir vor einiger Zeit schon einmal anhören können. Es ist ein durchaus schönes Stück, aber keines das sich mir eingeprägt hätte. De Fallas Cembalokonzert hörte ich mir soeben an. Es gefällt mir ebenfalls recht gut.

jpc.de
Von Jean Françaix' Cembalokonzert habe ich eine Aufnahme von Christopher D. Lewis und dem West Side Chamber Orchestra. Dabei wurde ein sehr angenehm klingendes Gerät verwendet (, also nicht so ein Eierschneider! ). Eine schöne Aufnahme. Ebenfalls enthalten ist Glass' Cembalokonzert sowie John Rutters „Suite Antique" für Cembalo, Flöte und Orchester. Letztere ist stärker auf Barock gebürstet, aber dennoch recht kurzweilig.

@Wolfgang: Weinberg hat in seiner siebten Sinfonie auch ein Cembalo verwendet. Die Sinfonie kenne ich bislang noch nicht, aber es gibt mindestens zwei Aufnahmen davon, eine älterere erschienen bei Melodiya und eine bei Chandos.

Mit freundlichem Gruß
Fabian
WolfgangZ
Inventar
#8 erstellt: 12. Okt 2014, 14:14
Dank an Fabian! Weinberg begegnet man neuerdings erstaunlich häufig. Ich kenne ihn praktisch nicht. Schaumermal ...

Den Rutter finde ich ein wenig zu modisch, zu seicht ... und höre mir Seichtes doch immer wieder auch gern an (wenn es nicht Mainstream-Glass ist ... aber auch das Cembalokonzert von Glass ist gar nicht so schlecht).

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 12. Okt 2014, 14:16 bearbeitet]
Klassikkonsument
Inventar
#9 erstellt: 12. Okt 2014, 14:21

Kreisler_jun. (Beitrag #4) schrieb:
Es gibt definitiv auch zeitgenössische Musik für Blockflöte(n), vermutlich auch für Gamben, aber ich kenne nichts davon.

Was Blockflöte angeht, so gibt es z.B. Außer Atem für eine_n Spieler_in mit Sopran- & Alt-Blockflöte sowie Renaissance-Altflöte (1995).

jpc.de
jpc.de
Dieses Stück habe ich sogar schon mal live gehört.

Das (Blockflöten-) Quartet New Generation (QNG) hat bereits mehrere CDs vorgelegt, auf denen eine Mischung aus Alter Musik, klassischem Repertoire in Arrangements (z.B. Schostakowitschs Fuge Nr. 1 aus op. 87 oder Anton Bruckners Vexilla regis (1892)) und Neuer Musik zu finden ist.

jpc.de
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Ich habe bislang nur diese:

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Cembalo-Werke, insbes. Konzerte gibt es sehr viele, allerdings wurden die, wie schon gesagt, nicht unbedingt für historisch exakte Rekonstruktionen komponiert wurden (wobei man damals freilich jegliches Cembalo als historisierend verstanden hat).

Von Elliott Carter gibt es ein Doppelkonzert mit Klavier und Cembalo, Kammermusik mit Cembalo und soweit ich weiß auch einige Solostücke; von Ligeti eine Reihe von Solowerken. Die kenne ich aber kaum oder gar nicht.

Am bekanntesten von Ligeti dürfte wohl Continuum ( 1968 ) sein. Dann gibt es noch Hungarian Rock & die Passacaglia ungherese von 1978.

jpc.de
jpc.de

In beiden Aufnahmen klimpert Elisabeth Chojnacka. Ich habe die Sony-Ausgabe, aber wenn ich das richtig sehe, ist die von Wergo eine ältere Einspielung.
Ansonsten gibt es noch diese neuere Aufnahme:

jpc.de


WolfgangZ (Beitrag #5) schrieb:
EKBT und Fabian haben wohl auf die Problematik bereits hingewiesen und in einer Rundfunksendung wurde die Aufnahme der Anima Eterna unter Immerseel genau aus diesem Grund problematisiert. Es dürfte problematisch sein, das Poulenc-Konzert auf einem alten Instrument zu spielen. Selbiges kann sich nicht durchsetzen, Poulenc hat seinerseits an ein besonders schlagkräftiges modernes Gerät gedacht und Wanda Landowska hat die Komposition darauf 1928 uraufgeführt.



[Beitrag von Klassikkonsument am 12. Okt 2014, 14:27 bearbeitet]
WolfgangZ
Inventar
#10 erstellt: 12. Okt 2014, 15:30
Wie, werter Klassikkonsument, darf ich jetzt den Smiley verstehen? Die Frage ist echt gemeint! (Der Smiley war mir nie klar - selber habe ich ihn schon verwendet und das eher negativ gemeint.)


On Topic - und recht hübsch - am Anfang leicht kitschige Filmmusik, am Ende aparter, lakonischer englischer Neoklassizismus, dazwischen auch recht pfiffig Modernes:

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Leider findet sich unter den beiden Rezensenten wieder ein Dummschwätzer - und schon sagt die Durchschnittsbewertung nichts mehr aus.

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 12. Okt 2014, 15:31 bearbeitet]
Klassikkonsument
Inventar
#11 erstellt: 12. Okt 2014, 15:55

WolfgangZ (Beitrag #10) schrieb:
Wie, werter Klassikkonsument, darf ich jetzt den Smiley verstehen? Die Frage ist echt gemeint! (Der Smiley war mir nie klar - selber habe ich ihn schon verwendet und das eher negativ gemeint.)

Da verdrehe ich gerade die Augen über HIP. Wenn es ihn gegeben hätte, hätte ich den Kopfschüttel-Smiley verwendet.
Passt ja vielleicht auch ein bisschen zum Thread-Thema: Nachdem die HIP-Protagonisten einiges an Alter Musik eingespielt hatten, arbeiteten sie sich zu modernerem Repertoire vor. Überhaupt kann diese Strömung ja schon gewisse Verdienste verbuchen. Zum einen haben sie Sachen herausgefunden, mit denen man Altbekanntes plausibler spielen kann. Zum anderen haben sie alte Hör- bzw. Interpretationsgewohnheiten aufgebrochen.
Aber Immerseels Poulenc-Scheibe scheint ein Beispiel dafür zu sein, dass auch HIP-Spezialisten zum Schaden für die Musik in Gewohnheiten steckenbleiben können.

Dazu nerven mich dann die rechthaberischen Statements, die man immer mal wieder aus der HIP-Szene hört. Zwar muss man einräumen, dass sich HIP eine gewisse Zeit erstmal durchsetzen musste und die Gegenseite auch nicht unbedingt zimperlich war. Aber mir scheint da oft ein Authentizitätsfetisch als Motiv dahinter zu stecken, den ich als kunstfeindlich und reaktionär empfinde.

Kurz: Das Augenrollen galt keineswegs dir.
Kreisler_jun.
Inventar
#12 erstellt: 12. Okt 2014, 16:50
Nein, die Reihenfolge bei den Cembali im 20. Jhd. ist eher umgekehrt: Das Cembalo wurde zuerst durch "Neubauten" und besonders den Einsatz von Wanda Landowska und ihrer Schüler wieder salonfähig gemacht. Diese Instrumente sind nicht unbedingt klangmächtiger als historische (wobei ich das nie live überprüfen konnte, auf Aufnahmen klingen sie oft eher schwächer, obgleich Riesenkisten). Aber die Komponisten der 1920er-40er mit neobarockem Interesse (oder eben an diesem Instrument) komponierten wohl für diese Art Instrumente. Sie hatten normalerweise gar keinen Vergleich zu echten alten Instrumenten und von denen hätten auch nicht genügend zur Verfügung gestanden.
Erst in den 1950ern/60ern setzten sich dann zunehmend restaurierte Meisterinstrumente oder entsprechende Kopien des 17./18. Jhds. durch.

Ich habe jetzt nur im Beiheft nachgesehen, aber auf der DG-CD des Concert champetre spielt Pinnock eine Kopie eines dreimanualigen Instruments von 1740. Also schon eine ziemliche Kiste, aber eben keines mit Stahlrahmen aus dem 20. jhd.
WolfgangZ
Inventar
#13 erstellt: 12. Okt 2014, 17:58

Aber mir scheint da oft ein Authentizitätsfetisch als Motiv dahinter zu stecken, den ich als kunstfeindlich und reaktionär empfinde.


Das sehe ich - im vorliegenden Fall zumindest - ganz genauso.

Wolfgang
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