Neue Musik: Was sollte man kennen?

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Alff_Orden
Ist häufiger hier
#1 erstellt: 12. Mrz 2010, 01:08

Martin2 schrieb:
Man kann die Avantgarde auch totzuschweigen versuchen. Ich muß sagen, ich schweige nun schon seit längerem in diesem Forum laut und vernehmlich


Das finde ich sehr begrüssenswert
Martin2
Inventar
#2 erstellt: 12. Mrz 2010, 22:08

Alff_Orden schrieb:

Martin2 schrieb:
Man kann die Avantgarde auch totzuschweigen versuchen. Ich muß sagen, ich schweige nun schon seit längerem in diesem Forum laut und vernehmlich


Das finde ich sehr begrüssenswert :)


Hallo Alff Orden,

herzlich willkommen hier. Nein aber diese ausgeprägt antiavantgardistische Haltung, wie ich sie zu jenem Zeitpunkt noch hatte, habe ich aber inzwischen nicht mehr. Es ist immer noch eine Musik, die mich nicht sehr reizt, aber das mag sich ändern.


Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#3 erstellt: 13. Mrz 2010, 00:49
Hallo!

@Martin2

Das wird schon noch mit der neuen Musik bei dir. Du hast nur noch nicht den richtigen Einstieg.

Ich glaube du brauchst da ganz kleine Schritte, eigentlich solltest du dich mit Rudi Stephan´s " Musik für Geige & Orchester" und Regers Klaviertrio Op.102 sowie seinen Streichquartetten erst mal in die absoluten Grenzbereiche der Tonalen Musik vorwagen. Ich denke dann begreifst du die Notwendigkeit des Bruches der Tonalität. Ab dem Moment kommt das Verständniss dieser Art Musik dann eigentlich von selbst.

MFg Günther
Martin2
Inventar
#4 erstellt: 13. Mrz 2010, 15:01
Hallo Hörbert,

ich lese die Empfehlungen für moderne Musik hier auf jeden Fall auch mit Interesse. Aber wie Du sicher selber weißt, ist die klassische Musik ein Riesenfeld. Vorläufig geplant ist auf jeden Fall, die Streichquartettbox mit Werken der Wiener Schule noch gründlicher zu hören, weitere Werke von Charles Ives teilweise auch wieder zu hören und dann auch mehr Werke von Messiaen kennen zu lernen.

Ich möchte aber auf jeden Fall noch mal die Musikbibliothek der Hamburger Bücherhalle mehr testen; die ist an sich nicht schlecht und hat doch einiges. Vielleicht auch etwas mehr moderne Musik, es würde mich auf jeden Fall sehr interessieren. Es ist ja an sich auch eine Schande, daß ich zum Beispiel nichts von Boulez, Ligeti, Stockhausen oder Lachenmann kenne.

Gut - es kann auch sein, daß mir diese Musik teilweise überhaupt nichts sagt, aber ich habe mal zum Beispiel bei Lachenmann den Test gemacht, daß die Hamburger Bücherhalle doch einiges hat. Letztes mal ausgeliehen hatte ich mir Händeloratorien und Weber/ Mahlers drei Pintos, aber ich werde beim nächsten mal gezielt nach neuer Musik suchen.

Gruß

Martin
Hörbert
Inventar
#5 erstellt: 13. Mrz 2010, 18:54
Hallo!

@Martin2

Es muß natürlich jeder seinen eigenen Weg zur neuen Musik finden, -so er ihn denn findet-, dazu muß man nicht unbedingt den Weg über die Wiener Schule nehmen. Auch wenn man z.B. den Weg über Stravinsky nimmt kommt man schlußendlich an, zumindestens in seiner letzten Phase hat er auch Zwölftonwerke geschrieben. (z.B. Argon)

Auch ist die Zwölftonmusik nicht die einzige Quelle aus der sich die neue Musik speiste, nur eine der bekanntesten.

MFG Günther
Mimi001
Hat sich gelöscht
#6 erstellt: 13. Mrz 2010, 19:49

cvinos schrieb:
Francisco Guerrero Marín - Zayin I
Hans Erich Apostel - 1. Streichquartett
Arnold Schönberg - 4. Streichquartett
Alban Berg - Lyrische Suite
Elisabeth Lutyens - 6. Streichquartett
Wolfgang Rihm - 3. Streichquartett "Im Innersten"
Iannis Xenakis - Ergma
Elliot Carter - 5. Streichquartett
Morton Feldman - Piano and String Quartet
Brian Ferneyhough - Funérailles I
Iwan Wyschnegradsky - 1. Streichquartett
Ruth Crawford Seeger - String Quartet
Dmitri Schostakowitsch - 9. Streichquartett
Frangis Ali-sade - 1. Streichquartett
Elena Firsova - 4. Streichquartett
Sofia Gubaidulina - 3. Streichquartett

Anton Webern - Sinfonie op. 21
Pierre Boulez - Dérive


Ich habe mit solchen Empfehlungen immer meine Schwierigkeiten, da da hier nicht nur sehr viel vorgeschlagen wird, sondern auch Komponisten erwähnt werden von denen ich noch nie was gehört habe.
Die Liste ist schon ziemlich " advanced " obwohl auch Klassiker dabei sind .

Ein bischen kürzer und dafür ruhig einige Anmerkunhgen zu den eher unbekannteren Komponisten hätte sicher nicht geschadet.

Gruss
cvinos
Neuling
#7 erstellt: 14. Mrz 2010, 01:56
Ich kann die Anmerkung verstehen. Es ist jedoch schwer, die Werke mit Worten zu beschreiben. Sie sind auch alle recht unterschiedlich. Alle diese Werke sind jedenfalls genial, und es lohnt sich, sie zu kennen. Ich empfehle, das ein oder andere Werk einfach mal zu hören. Alle auf einmal könnte man ja ohnehin kaum erfassen. Vielleicht ergibt sich dann Interesse für mehr.

Edit: Randbemerkung, es sind keine unbekannten Komponisten dabei. Alle genannten Komponisten sind gewisse Größen.


[Beitrag von cvinos am 14. Mrz 2010, 01:58 bearbeitet]
Mimi001
Hat sich gelöscht
#8 erstellt: 14. Mrz 2010, 14:04

Randbemerkung, es sind keine unbekannten Komponisten dabei. Alle genannten Komponisten sind gewisse Größen.

OK , mag sein dass ich in moderner KLassik auch nicht wirklich bewandert bin, aber z. B. die beiden zuletzt genannten Damen werden vermutllich 95 % der Leuten hier wenig bis nichts sagen.
Zumal auch deren Werke auf Tonträger nicht leichtzu bekommen und überall erhältlich sind.
Aus diesem Grunde wären eben Anmerkungen nett gewesen.


Gruss
Mimi001
Hat sich gelöscht
#9 erstellt: 14. Mrz 2010, 14:07

Alff_Orden schrieb:

cvinos schrieb:
Randbemerkung, es sind keine unbekannten Komponisten dabei. Alle genannten Komponisten sind gewisse Größen.


Stimme zu - mir sind diese Komponisten alle bekannt.

Ich kann ja mal was zu dem ein oder anderen Werk/Komponisten etwas schreiben, falls Bedarf besteht ...?


Kann sein dass ich mich mit den 95 % auch täusche und nur ich diese Lücke habe ,,,

Schreib doch was , wäre nett.

Danke und Gruss
Mellus
Stammgast
#10 erstellt: 14. Mrz 2010, 21:10

Mimi001 schrieb:
Kann sein dass ich mich mit den 95 % auch täusche und nur ich diese Lücke habe ,,,


Ich habe gerade nachgezählt: von den genannten 15 Komponisten kenne ich 5 nicht, also immerhin noch knapp 33%. Und von einer 6. kenne ich auch nur den Namen und weiß in etwa, was sie gemacht hat, habe aber nie ein Werk von ihr gehört. Ganz allein bist Du also nicht. Mögen cvinos und Alff_Orden doch kurze Kommentare abgeben. Bei moderneren Komponisten - und ich nehme an, dass die Liste ausschließlich solche beinhaltet - ist ja beispielsweise in der Regel schon die Kompositionsmethode interessant (ja, ich weiß, ich habe das auch schon mal geleugnet. Man lernt ja dazu).

Viele Grüße,
Mellus
Mimi001
Hat sich gelöscht
#11 erstellt: 14. Mrz 2010, 23:23

von den genannten 15 Komponisten kenne ich 5 nicht, also immerhin noch knapp 33%.

Ich wollte sagen, dass 95 % der User die beiden Damen am Ende der Liste nicht kennen ...
und kennen heisst für mich mehr als den Namen mal gehört zu haben ....

Gruss
Hörbert
Inventar
#12 erstellt: 15. Mrz 2010, 00:46
Hallo!

Obwohl ich mich bezüglich der neuen Musik nicht als ein unbeschriebenes Blatt bezeichnen würde sind mir ebenfalls fünf der Namen praktisch unbekannt. Dazu kommt noch das ich bei den mir bekannten Namen von zwei weiteren das angesprochene Werk noch nie gehört habe, -wohl aber andere Werke-.

Hier die mir nicht bekannten Komponisten/Komponistinnen

1) Francisco Guerrero Marín

2) Elisabeth Lutyens

3) Ruth Crawford Seeger

4) Frangis Ali-sade

5) Elena Firsova

Die angesprochenen Werke von Ferneyhough - Funérailles I und von Wyschnegradsky - 1. Streichquartett sind mir unbekannt.

Eine kurze Anmerkung zu den Werken respektive den Komponisten/Komponistinnen wäre durchaus wünschenswert.

MFG Günther


[Beitrag von Hörbert am 15. Mrz 2010, 00:47 bearbeitet]
Alff_Orden
Ist häufiger hier
#13 erstellt: 15. Mrz 2010, 04:41
Ich habe das doch nur gesagt um herauszubekommen, welche denn die Unbekannten sind

Okay! Fange ich mal mit Ruth Crawford-Seeger an

Ruth Crawford Seeger

Sie war eine amerikanische Komponistin, geboren 1901, gestorben 1953. Ihr Stil lässt sich am ehesten mit der 2. Wiener Schule, aber auch Fartein Valen vergleichen. Ihre Kompositionstechnik ist der sog. "dissonant counterpoint", der ihr von ihrem Lehrer und späteren Ehemann Charles Seeger vermittelt wurde.
Leider gibt es von ihr nicht viele Werke, da ihr Ehemann irgendwie auf einen Folk-Trip kam und amerikanische Volkslieder sammelte und bearbeitete, und von da an alle Komponisten, die Crawford-Seeger so viel bedeuteten (wie etwa Schönberg und Skrjabin) verachtete. Sie machte mit ... und irgendwie erinnert mich das an das Schicksal von Clara Schumann.
Trotzdem gilt sie als eine der wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Erst im Jahre 1952 kehrte sie wieder zu ihrem Stil zurück, starb dann aber leider an Krebs

Ich hoffe, das geschriebene ist alles richtig (teilw. aus dem Gedächtnis nach Artikeln), ich habe vor kurzem ein Buch gekauft über sie, aber noch nicht angefangen zu lesen

Wie ich sehe, gibt es fast alle ihre Werke auf youtube zu hören, auch das von cvinos erwähnte Streichquartett:

1. und 2. Satz
link
3. und 4. Satz:
link

Und der 3. Satz bearbeitet für Streichorchester:
link

Grossartige Musik!

An CD-Veröffentlichungen gibt es hauptsächlich drei, erschienen bei CPO, Naxos und American Masters. Ich besitze die ersten beiden und kann sie nur empfehlen:
link
link
link

Viele Grüsse!


[Beitrag von Alff_Orden am 15. Mrz 2010, 16:41 bearbeitet]
Alff_Orden
Ist häufiger hier
#14 erstellt: 15. Mrz 2010, 04:50
Hallo, Mellus!


Mellus schrieb:
Bei moderneren Komponisten - und ich nehme an, dass die Liste ausschließlich solche beinhaltet - ist ja beispielsweise in der Regel schon die Kompositionsmethode interessant (ja, ich weiß, ich habe das auch schon mal geleugnet. Man lernt ja dazu).


Ich habe zwar oben bei Crawford-Seeger einen Hinweis zur Technik gegeben, allerdings finde ich nicht, das man als Hörer wirklich was zur Technik wissen muss. Die meisten wissen ja auch nichts über die Techniken aus der Zeit vor 1900! Und genau dieser Umstand führt dann oft zu grauenvollen Fehleinschätzungen und ist mit ein Grund für die Ablehunng, die immer wieder beispielsweise gegen die Zwölftonmethode geäussert wird. Aber das nur so nebenbei - Viele Grüsse!


[Beitrag von Alff_Orden am 15. Mrz 2010, 09:36 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#15 erstellt: 15. Mrz 2010, 10:27
Hallo!

@Alff_Orden

Natürlich können Ausdruck und verwendete Technik nicht unbedingt in Bezug gesetzt werden. Ein gutes Beispiel ist hier einerseits Johann Nepomuk David der Zwölftontechniken verwand hat um Werke zu schreiben die -zumindestens für ungeübte Hörer eher wie Kompositionen aus der Hochzeit der Romantik klangen und andererseits z.B. Shotakovich dessen durchaus tonale Werke mit ihren teilweise heftigen Dissonanzen einen sehr "modernen" Ausdruckcharakter haben.

Aber Herkunft, Werdegang und Kompositionsweise eines Komponisten/einer Komponistin geben in der Regel schon einen gewissen Aufschluß uber sein Werk/ihr Werk.

MFG Günther


[Beitrag von Hörbert am 15. Mrz 2010, 23:04 bearbeitet]
Alff_Orden
Ist häufiger hier
#16 erstellt: 15. Mrz 2010, 18:15

Mellus schrieb:
Nicht zuletzt geben sie Hinweis daraus, wie ein Stück zu hören ist. Wenn ich beispielsweise Beethovens 3. Streichquartett als Fraktalmusik höre, werde ich nicht weit kommen.


Ich weiss ja, das hier im Forum nur aufgeschlossene Geister sitzen Aber ich gehe immer vom Durchschnittshörer aus, der damit nichts anfangen kann (aber denkt, er könne) und dann "falsch" hört. Eben gerade bei der Zwölftontechnik (immer wieder das Beste Beispeil)

Bei dieser Musik: link denken ja viele, es könne keine "strenge" [was auch immer das heisst!] Zwölftontechnik sein.

Und dieses Stück: link ist fraktale Musik, Zwölftontechnik, Atonale Musik, und wer weiss was noch alles

Ich bin für das "einfach hören", und Schönberg hat ebenfalls immer dafür gekämpft. Wenn der Funke wirklich übergesprungen ist, dann kann man sich ja vertiefen
Alff_Orden
Ist häufiger hier
#17 erstellt: 15. Mrz 2010, 22:15
Francisco Guerrero

Francisco Guerrero

Nicht zu verwechseln mit dem Renaissance-Komponisten. Über ihn etwas herauszukriegen ist schwer, ich habe vergeblich schon versucht Bücher über ihn zu finden. Lt. Wikipedia basiert sein Werk auf Fraktalen. Er verfolgte also ähnliche Ansätze wie Xenakis, mathematische Prinzipien zur Grundlage seiner Musik zu machen. Auch vom Klang her kann man parallelen finden. Doch Guerrero ist reiner, unerbittlicher. Er erinnert mich harmonisch mehr an "Atmosphéres" von Ligeti oder "Threnos" von Penderecki, denn an Xenakis. Genauso wie Zayin eher an das 2. Streichquartett von Ligeti erinnert. (Das Ligeti sich ebenso wie Guerrero für Fraktale interessierte mag hierbei kein Zusammenhang haben). Das sind aber nur Hinweise, Guerrero ist ein eigenständiger Komponist. Leider starb er schon 1997.

Zayin besteht aus 8 Stücken für Streicher, einige Stücke sind Soli, andere Trios, andere Quartette. Sie wurden für das Arditti-Quartett geschrieben (wenn meine Information richtig ist).

CD-Aufnahmen gibt es auch hier nicht viele:
link (Orchesterwerke)

link (Zayin)

Auf youtube nur folgendes (aber nicht auf CD): link

Viele Grüsse!


[Beitrag von Alff_Orden am 15. Mrz 2010, 22:21 bearbeitet]
Mellus
Stammgast
#18 erstellt: 15. Mrz 2010, 23:09

Alff_Orden schrieb:
Und dieses Stück: [Ligetis Klavierkonzert] ist fraktale Musik, Zwölftontechnik, Atonale Musik, und wer weiss was noch alles


"Atonal" und "wer weiss was noch alles" ist Ligetis Klavierkonzert sicherlich. Aber bestimmt kein 12-Töner. Und dass Ligeti, möglicherweise bei aller Bewunderung für Fraktale, Fraktalmusik komponiert hätte, wäre mir neu. Ligeti steht doch für polyphone und polyrhythmische Musik. Sein Einfluss ist, neben der europäsischen Avantgarde, vielmehr afrikanische und südamerikanische Musik, mit einem Schuss Nancarrow.



Alff_Orden schrieb:

Ich bin für das "einfach hören", und Schönberg hat ebenfalls immer dafür gekämpft. Wenn der Funke wirklich übergesprungen ist, dann kann man sich ja vertiefen


So einfach hat es sich Schönberg meines Wissens nicht gemacht. Zwar ist sein Wunsch bekannt, dass man eines Tages seine "Melodien" auf der Straße pfeifen werde, aber er macht auch klar, dass Musik aufhört eine gesellschaftlich relevante Kunstform zu sein, wenn das Publikum die zur Rezeption angemessene Bildung verliert.


Alff_Orden schrieb:
Lt. Wikipedia basiert sein [Francico Guerrero] Werk auf Fraktalen. Er verfolgte also ähnliche Ansätze wie Xenakis, mathematische Prinzipien zur Grundlage seiner Musik zu machen.


Der Vergleich mit Xenakis ist dennoch etwas schief. Xenakis steht für den Einsatz stochastischer Methoden, die etwas völlig anderes sind als Fraktale. Xenakis lässt sich besser in mathematischen Teildisziplinen verorten, die sich mit Verteilungen und (Dichte-)Funktionen befassen.

Korrekturen und Ergänzungen sind wie immer willkommen.

Das Thema Fraktalmusik hatten wir schon einmal an dieser Stelle im Thread über Neue Musik. Der könnte Dich auch interessieren und ich würde mich freuen, wenn Du dort auch einige Einträge hinterlässt. Die hiesigen wären dort auch nicht fehl am Platze.

Beste Grüße,
Mellus
cvinos
Neuling
#19 erstellt: 15. Mrz 2010, 23:21
Also meine Liste ist nach persönlichem Geschmack erstellt, und ich denke damit und mit meinem vorherigen Post erübrigt sich alles weitere. Ich finde eben, dass es sich lohnt, diese Werke zu kennen. Gut ich bin mit meiner puristischen Ansicht, dass man die Werke lieber hören sollte, ohne vorher etwas darüber zu lesen, vielleicht nicht ganz im Sinne dieses Forums unterwegs, aber ich denke doch, dass meine Meinung durchaus vertretbar ist. Wenn es darum geht, Tonträger zu kaufen, um die Stücke anzuhören, möchte man natürlich für sich persönlich Fehlkäufe vermeiden. Von daher verstehe ich natürlich die Nachfragen. Aber ich bleibe dabei, einfach mal anhören und geniessen. Ich freue mich auch auf weiteren Input an Werken, die man kennen sollte.


[Beitrag von cvinos am 15. Mrz 2010, 23:22 bearbeitet]
Mellus
Stammgast
#20 erstellt: 15. Mrz 2010, 23:32

Alff_Orden schrieb:
CD-Aufnahmen gibt es auch hier nicht viele:
link (Orchesterwerke)

link (Zayin)

Auf youtube nur folgendes (aber nicht auf CD): link


Danke übrigens für die Links! Die Hörbeispiele klingen wirklich spannend!

Zayin und die Orchesterwerke sind übrigens auch bei JPS gelistet. Dort gibt es auch Hörschnipsel. Tipp: Die collegno-CD gibt es beim Label für 16 €.

Viele Grüße,
Mellus
Mellus
Stammgast
#21 erstellt: 15. Mrz 2010, 23:35

cvinos schrieb:
Also meine Liste ist nach persönlichem Geschmack erstellt


Ja, das ist doch mal ein unbescheidenes Kriterium: Das, was mir gefällt ist das, was man kennen sollte!


Mellus
cvinos
Neuling
#22 erstellt: 16. Mrz 2010, 00:52
Wie gesagt, das ist meine Meinung, und die ist durchaus vertretbar. Eine allgemeine Aussage zu treffen, was man kennen sollte, wäre doch heutzutage bei der Vielfalt ohnehin kaum möglich. Und an soetwas wie Charts oder Populärwissen habe ich mich noch nie orientiert, und das ist auch nicht gerade empfehlenswert glaube ich.


[Beitrag von cvinos am 16. Mrz 2010, 00:54 bearbeitet]
Alff_Orden
Ist häufiger hier
#23 erstellt: 16. Mrz 2010, 01:08

Mellus schrieb:
"Atonal" und "wer weiss was noch alles" ist Ligetis Klavierkonzert sicherlich. Aber bestimmt kein 12-Töner.


Doch, Ligeti verwendet, wie ich sagte, in diesem 4. Satz die "strenge Zwölftontechnik", das hat er unter anderem in einer Dokumentation selbst zu Protokoll gegeben.


Und dass Ligeti, möglicherweise bei aller Bewunderung für Fraktale, Fraktalmusik komponiert hätte, wäre mir neu.


Ja, so ist das Leben, man lernt immer wieder etwas neues. Deshalb sollte man sich auch nicht derart festlegen
Ligeti hat sich von Fraktalen anregen lassen, auch in diesem 4. Satz. Auch das beschrieb er in der Dokumentation, erläuterte, auf welches Fraktal er sich bezog usw. usf. Daniel Fritzen hat eine Arbeit zu diesem Thema in Vorbereitung: http://www.danielfritzen.net/musicology.html



So einfach hat es sich Schönberg meines Wissens nicht gemacht. [...] er macht auch klar, dass Musik aufhört eine gesellschaftlich relevante Kunstform zu sein, wenn das Publikum die zur Rezeption angemessene Bildung verliert.


Beides ist richtig. Ich bezog mich u.a. auf seinen Ausspruch, das es wichtiger ist, zu erkennen was es ist, anstatt wie es gemacht ist. Das also Ausdruck und das was erklingt wichtiger ist, als die Technik. Und ich kenne eine Menge Neue Musik-Fans, die von Musiktheorie überhaupt keine Ahnung haben. Vielleicht mögen sie diese gerade deshalb so gerne, weil sie von dem ganzen gezänk darum nichts wissen und Vorurteilsfrei geniessen können. Nur eine Vermutung



Der Vergleich mit Xenakis ist dennoch etwas schief. Xenakis steht für den Einsatz stochastischer Methoden, die etwas völlig anderes sind als Fraktale.


Habe ich das behauptet? Grob verallgemeinernd hat Xenakis Stochastik benutzt, und Guerrero Fraktale. Ich bezog mich auf die Gemeinsamkeit: Das Mathematische Prinzipien in der Musik verwendet werden. Und nebst dem bezog ich mich auf den Klang der Musik. Nichts anderes schrieb ich oben, lies ruhig nochmal nach.

Die Threads schaue ich mir an ...


[Beitrag von Alff_Orden am 16. Mrz 2010, 01:15 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#24 erstellt: 16. Mrz 2010, 01:32
Hallo!

Natürlich muß man weder Noten lesen können noch etwas von Musiktheorie verstehen um Spaß an der Neuen Musik zu haben. Aber für gewöhnlich fragt man sich doch früher oder später wie sie gemacht wird. So führt das Eine zum Anderen.

Allerding um es mal salopp auszudrücken, jemanden der Jahrelang neue Musik hört und sich freut daß es da rummst und den die ganze Musiktheorie einen feuchten Kehrricht schert kenne ich eigentlich nicht. Aber seine Sicht der Dinge wäre ganz bestimmt mal interessant.

MFG Günther
Klassikkonsument
Inventar
#25 erstellt: 16. Mrz 2010, 02:49
Ob ein Stück 12-tönig ist, höre ich nicht heraus. Und die banalen Basics zu dieser Technik (wie man von einer Reihe auf 48 Varianten kommt) haben mich auch nicht besonders weit gebracht in meinem Musikverständnis. Das kann es ja eigentlich noch nicht gewesen sein. Aber bislang konnte ich mich noch nicht dazu aufraffen, mich eingehender damit zu beschäftigen, wie z.B. Schönberg, dann Webern Reihen konkret einsetzen.
Ein bisschen mehr kann ich mir zur Atonalität denken. Wobei meine Vorstellung da vor allem negativ ist: keine funktionsharmonische Hierarchisierung mehr. Ungefähr habe ich den Eindruck, dass dadurch eine noch stärkere "Individualisierung" des einzelnen Werks möglich wird. Eine Tendenz, die mir bereits bei Beethoven zu beginnen scheint.
So erscheint mir die 12-Ton-Technik zunächst einmal als eine konsequente Weiterentwicklung der Atonalität und leuchtet mir auch einigermaßen ein. Aber es soll ja auch tonale 12-Ton-Musik geben.
Neben der harmonischen Komponente beeinflusste die 12-Ton-Technik aber auch die Form und die Zusammenhänge eines Werks. Aber das weiß ich auch mehr vom Hörensagen.

Viele Grüße
Alff_Orden
Ist häufiger hier
#26 erstellt: 16. Mrz 2010, 04:26

Klassikkonsument schrieb:
Ein bisschen mehr kann ich mir zur Atonalität denken. Wobei meine Vorstellung da vor allem negativ ist: keine funktionsharmonische Hierarchisierung mehr.


Ich sehe das eher postiv die vorher geltenden, aber immer wieder angepassten und mit immer mehr Ausnahmen versehenen Regeln fallen zu lassen und sich auf seine Intuition (und Musikalität) wieder zu verlassen ist doch ein positiver Schritt (auch Skrjabin sprach ja immer davon, das er der Intuition den Vorrang gibt). In der Zwölftontechnik sind zwar wieder Regeln dazu gekommen, aber die Harmonik blieb weiterhin frei.

Vielleicht liegt auch darin ein Verständnisproblem, da nämlich die Zwölftontechnik keine Regeln für die Harmonik enthält, denkt viele, sie wäre zufällig oder nicht geregelt. Aber natürlich ist sie das, schlicht durch den Komponisten (und dessen Musikalität) und wie die Reihen dann verwendet werden hängt nicht zu letzt davon ab, welche Harmonik erzielt werden soll.

In tonaler Musik kann man ja auch nicht jede Melodie mit jeder Akkordfolge kombinieren, also muss man eins von beidem anpassenn - solche Dinge sind ganz normal und gehören zum komponieren dazu.



Ungefähr habe ich den Eindruck, dass dadurch eine noch stärkere "Individualisierung" des einzelnen Werks möglich wird. Eine Tendenz, die mir bereits bei Beethoven zu beginnen scheint.





So erscheint mir die 12-Ton-Technik zunächst einmal als eine konsequente Weiterentwicklung der Atonalität und leuchtet mir auch einigermaßen ein.


Ja, wenn man mal die Werke bis dahin betrachtet, stellt sich die Zwölftonmethode nicht als etwas vom Himmel gefallen neues dar, sondern einfach wie eine Systematisierung von Dingen, die damals aufkamen, nicht nur bei der 2. Wiener Schule. Nicht anders wie in den Jahrhunderten zuvor auch, wo man Dinge, die einem sinnvoll erschienen, systematisiert hat.

Es sind dabei verschiedene Dinge zusammen gekommen, z.B. der Wunsch, alles (alle Stimmen) aus einem einzigen Kern zu entwickeln. Zu diesem Kern wurden dann die Intervalle der Reihe.

Das Resultat einer "Reihenkomposition" aber ist, so banal das auch mittlerweile klingen mag, keine Reihenkomposition, sondern einfach eine Komposition, mit den Zusammenhängen, die der Komponist ausgearbeitet hat.



Aber es soll ja auch tonale 12-Ton-Musik geben.


Ja, das stimmt Die Harmonik ist ja frei, und kann somit auch tonal sein. Dieses Stück hört sich auch tonal an: http://www.youtube.com/watch?v=I5p9pPNJ7fM

Es werden zu oft Dinge in einen Topf geworfen, weil sie vielleicht oft auftreten. Aber Zwölftontechnik, Atonalität, Dissonanz, trauriger Ausdruck usw. sind Dinge, die sich keinesfalls gegenseitig bedingen, wie das Musikbeispiel vielleicht etwas belegen kann.

Viele Grüsse!


[Beitrag von Alff_Orden am 16. Mrz 2010, 06:38 bearbeitet]
Alff_Orden
Ist häufiger hier
#27 erstellt: 16. Mrz 2010, 10:17
@Mellus, danke für die Links zu den beiden Threads ... ich lese da etwas umher und bin wieder mal begeitert. Hier sind echte Liebhaber unterwegs

Und der Lehrer des von Dir dort vorgestellten Alberto Posadas war ... Francisco Guerrero! Ich bin sehr gespannt auf die Musik von Posadas ...


[Beitrag von Alff_Orden am 16. Mrz 2010, 10:25 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#28 erstellt: 16. Mrz 2010, 11:25
Hallo!

@Klassikkonsument

Das ist im Prinzip recht einfach, spätestens Max Reger hat mit einigen seiner Werke klar aufgezeigt das Durchführung und Ausdruck unvereinbare Gegensätze darstellen. Allerdings hatte die etablierte Form der Musik schon seit Wagner hatte die tonale Musik im immer stärkeren Maße mit diesem Problem zu kämpfen.

Der Schritt die Tonalen Bidungen vollends aufzugeben wurde seinerzeit nicht nur von der Wiener Schule vollzogen, nur ist eben der Kreis um Schönberg das bekannteste Beispiel.

Der spätere Versuch Schönbergs und anderer (Z.B. Matthias Hauer) hier wieder ein allgemeingültiges Regelwerg zu etablieren kann man heutzutage als gescheitert bezeichen. Die Reihentechnik und die von ihr abgeleitete Serielle Musik dere 50ger-60ger Jahre spielt heute nur noch eine untergeordnete Rolle.

Gegenwärtig ist der Komponist nur noch den Ausdruck verpflichtet, in der Wahl der Mittel ist er frei. Tonale und Atonale Strukturen existieren im gleichen Werk nebeneinander. Dissonanzen und Konsonanzen werden gleichberechtigt genutzt eine Plicht zur Auflösung oder Durchführung gibt es ebensowenig wie die von Schönberg geforderten Wiederholverbote oder ähnliches.

MFG Günther


[Beitrag von Hörbert am 16. Mrz 2010, 15:40 bearbeitet]
Mellus
Stammgast
#29 erstellt: 16. Mrz 2010, 12:42

cvinos schrieb:
Wie gesagt, das ist meine Meinung, und die ist durchaus vertretbar.


Mag sein, aber vertreten willst Du sie wohl nicht.

Ich habe in einem Beitrag weiter oben doch allerausdrücklichst gemacht, dass ich kein Fass aufmachen möchte. Es hat mich einfach interessiert, was Dich zu Deiner Liste geführt hat. Aber das willst Du uns anscheinend nicht mitteilen. Außer dass Dir das pauschal alles gefällt.

Geschmack ist leider ein flüchtiges Ding. Heute gefällt einem blond, morgen brünett. Das halte ich für "was man kennen sollte" auch in der (postmodernen? anything goes?) Angebotsvielfalt für zu wenig. Ein überindividuelles Kriterium wäre hilfreicher. Wenn man sich nicht auf Experten (das meinst Du wohl mit "Populärwissen") verlassen möchte - vorausgesetzt man ist selbst keiner - dann ist es natürlich schwierig, hierzu eine Meinung zu haben.

Aber dann bleibt doch immer noch zu beschreiben, was einem an einem bestimmten Musikstück gefällt. Auch wenn es nur nur eine Floskel ist wie "das rockt" oder "das ist so schön". Gerade wenn es kein Klassiker ist, dessen Bekanntheit vorausgesetzt werden kann, ist es für Andere interessant und hilfreich zu erfahren, was sie vom betreffendem Musikstück erwartet.

Weißt Du, ich bin es wirklich leid auf höfliche Anfragen die bockige Antwort zu bekommen: "Das ist mein Geschmack, das ist meine Meinung, ich bin ein autonomes Individuum, ich kann und darf das - basta!" zu hören. Zumal ich tatsächlich eine höhere Meinung von Meinung habe als sich hinter dieser Haltung versteckt.

Ich bin nun wirklich ein friedfertiger Mensch, aber ich bin nicht hier um mich in Geschmacksfühligkeiten zu kuscheln. Ich will was kennenlernen und wissen.

Ich hoffe, dass Du mir diese meine bockige Antwort nicht krumm nimmst, es war mir ein Bedürfnis, das mal loszuwerden.

Viele Grüße,
Mellus
Mellus
Stammgast
#30 erstellt: 16. Mrz 2010, 12:44

Alff_Orden schrieb:
Ja, so ist das Leben, man lernt immer wieder etwas neues.


Und das ist nicht die schlechteste Eigenschaft des Lebens! Danke für Deine Kommentare.

Viele Grüße,
Mellus


Alff_Orden schrieb:

Mellus schrieb:
"Atonal" und "wer weiss was noch alles" ist Ligetis Klavierkonzert sicherlich. Aber bestimmt kein 12-Töner.


Doch, Ligeti verwendet, wie ich sagte, in diesem 4. Satz die "strenge Zwölftontechnik", das hat er unter anderem in einer Dokumentation selbst zu Protokoll gegeben.


Und dass Ligeti, möglicherweise bei aller Bewunderung für Fraktale, Fraktalmusik komponiert hätte, wäre mir neu.


Ja, so ist das Leben, man lernt immer wieder etwas neues. Deshalb sollte man sich auch nicht derart festlegen
Ligeti hat sich von Fraktalen anregen lassen, auch in diesem 4. Satz. Auch das beschrieb er in der Dokumentation, erläuterte, auf welches Fraktal er sich bezog usw. usf. Daniel Fritzen hat eine Arbeit zu diesem Thema in Vorbereitung: http://www.danielfritzen.net/musicology.html



So einfach hat es sich Schönberg meines Wissens nicht gemacht. [...] er macht auch klar, dass Musik aufhört eine gesellschaftlich relevante Kunstform zu sein, wenn das Publikum die zur Rezeption angemessene Bildung verliert.


Beides ist richtig. Ich bezog mich u.a. auf seinen Ausspruch, das es wichtiger ist, zu erkennen was es ist, anstatt wie es gemacht ist. Das also Ausdruck und das was erklingt wichtiger ist, als die Technik. Und ich kenne eine Menge Neue Musik-Fans, die von Musiktheorie überhaupt keine Ahnung haben. Vielleicht mögen sie diese gerade deshalb so gerne, weil sie von dem ganzen gezänk darum nichts wissen und Vorurteilsfrei geniessen können. Nur eine Vermutung



Der Vergleich mit Xenakis ist dennoch etwas schief. Xenakis steht für den Einsatz stochastischer Methoden, die etwas völlig anderes sind als Fraktale.


Habe ich das behauptet? Grob verallgemeinernd hat Xenakis Stochastik benutzt, und Guerrero Fraktale. Ich bezog mich auf die Gemeinsamkeit: Das Mathematische Prinzipien in der Musik verwendet werden. Und nebst dem bezog ich mich auf den Klang der Musik. Nichts anderes schrieb ich oben, lies ruhig nochmal nach.

Die Threads schaue ich mir an ...
Mellus
Stammgast
#31 erstellt: 16. Mrz 2010, 12:47

Alff_Orden schrieb:
Und der Lehrer des von Dir dort vorgestellten Alberto Posadas war ... Francisco Guerrero!


Sieh mal an! Hätte ich das Booklet ordentlich gelesen, hätte ich darauf auch selbst kommen können.

Viele Grüße,
Mellus
Alff_Orden
Ist häufiger hier
#32 erstellt: 16. Mrz 2010, 14:48

Mellus schrieb:
Sieh mal an! Hätte ich das Booklet ordentlich gelesen, hätte ich darauf auch selbst kommen können.


Das klingt irgendwie sarkastisch, dabei kannte ich den von Dir vorgestellten Komponisten doch gar nicht und habe die Info in einem deiner Links in dem Thread mit Überraschung zur Kenntnis genommen. Und diese Überraschung ausgedrückt ...
Mellus
Stammgast
#33 erstellt: 18. Mrz 2010, 13:02

Hörbert schrieb:
Das ist im Prinzip recht einfach, spätestens Max Reger hat mit einigen seiner Werke klar aufgezeigt das Durchführung und Ausdruck unvereinbare Gegensätze darstellen. Allerdings hatte die etablierte Form der Musik schon seit Wagner hatte die tonale Musik im immer stärkeren Maße mit diesem Problem zu kämpfen.

Der Schritt die Tonalen Bidungen vollends aufzugeben wurde seinerzeit nicht nur von der Wiener Schule vollzogen, nur ist eben der Kreis um Schönberg das bekannteste Beispiel.


Neben Reger kann man vielleicht noch Franz Schreker als jemanden anführen, der versucht hat, einen eigenen Weg zu gehen. Das wenige, das ich von ihm kenne, klingt wie eine Mischung aus Strauss und Debussy. Man darf also vermuten, dass Tonalität bei ihm wenn schon nicht abgeschafft, so doch originell eingesetzt wurde.

Aber überhaupt scheint etwa die erste Hälfte des letzten Jahrhunderts musikalisch nur schlecht erschlossen. Das liegt meiner Einschätzung nach an dreierlei:

1. Weltkriege, 3. Reich und die damit verbunden Unterdrückung vielen Künstlerischen.

2. Irgendwie trennen sich so langsam Publikum und Musikschaffende.

3. Die vielleicht übermächtige Schönberg-Schule.

Wenn man nur auf den Weg Wagner - Schönberg - Serialismus schaut, entgehen einem vielleicht viele fruchtbare Blüten am Wegesrand. Oder komme ich da vom rechten Weg ab?

Viele Grüße,
Mellus
Hörbert
Inventar
#34 erstellt: 18. Mrz 2010, 16:02
Hallo!

@Mellus

Also ich sehe das so:

In der Hauptsache kommt m.E. neben dem ersten Weltkrieg und dem damit verbundenen Wegsterben einer ganzen Gereration der durch das gleiche Ereigniss verursachte Zusammenbruch der damaligen Gesellschaftsordnung und des Wirtschaftssystem als Faktor in Frage. Hier brach einfach ein guter Teil des Bürgerlichen Vorkriegsmilieus weg das seit jeher der Hauptträger des Musikinteresses war.

Dazu kommt noch die allmähliche Verbreitung moderner Massen-Kommunikationsmittel und der Film der zumindesten dem Theater und der Oper/Operette anfing den Garaus zu machen.

Dann sollte man sich auch nicht darüber hinwegtäuschen das die Rezeption von Komplexerer Musik immer die Sache einer Minderheit war. Solange diese Minderheit vor allem im wohklsituierem Bürgertum zu finden war. Solange diese Interessegruppe Gesellschaftlich und Politisch im Fokus des allgemeinen Interesses stand waren auch ihre "Hobbys" schick. Später als sich mit der zunehmenden Wahrnehmung der Gesellschaftlichen Gegensätze das Interesse mehr auf den einfachen lohnabhängigen "Mann von der Strasse" verlagerte wurden dessen vorgebliche "Hobbys" wesenlich interessanter und die Interessen der vorhergehenden Gruppierung wurde in den Hintergrund geschoben.

MFG Günther
Joachim49
Inventar
#35 erstellt: 18. Mrz 2010, 17:01

Hörbert schrieb:


Das ist im Prinzip recht einfach, spätestens Max Reger hat mit einigen seiner Werke klar aufgezeigt das Durchführung und Ausdruck unvereinbare Gegensätze darstellen.

MFG Günther


Ich werde nie mehr Musik von Brahms hören und überhaupt alle CD's die ich von der Frühklassik bis Reger (exklusive) besitze auf die Müllkippe bringen.
Joachim
Klassikkonsument
Inventar
#36 erstellt: 18. Mrz 2010, 17:23
Hallo Joachim,


Joachim49 schrieb:

Hörbert schrieb:


Das ist im Prinzip recht einfach, spätestens Max Reger hat mit einigen seiner Werke klar aufgezeigt das Durchführung und Ausdruck unvereinbare Gegensätze darstellen.

MFG Günther


Ich werde nie mehr Musik von Brahms hören und überhaupt alle CD's die ich von der Frühklassik bis Reger (exklusive) besitze auf die Müllkippe bringen.
Joachim


ich glaube, Günthers Satz bezieht sich nicht auf den Musik-Konsum, sondern auf die Frage wie man heute noch komponieren kann. Bei Beethoven z.B. waren Durchführung und Ausdruck nicht unvereinbare Gegensätze. Vielmehr hat Beethoven durch die Ausdehnung der Durchführung (na ja, ob Günther da diesen Teil des Sonatensatzes gemeint, weiß ich eigentlich gar nicht) dem Ausdruck neue Dimensionen verschafft.
Ich habe solche Statements immer so verstanden, dass man noch hinzusetzen muss: jedenfalls, wenn man nicht einfach so ein Zeug wie früher komponieren will. Und konnten das nicht Mozart, Brahms etc. besser als Leute von heute?

Viele Grüße


[Beitrag von Klassikkonsument am 18. Mrz 2010, 17:24 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#37 erstellt: 18. Mrz 2010, 17:46
Hallo!

@Klassikkonsument

Danke, das trifft dem Nagel so ziemlich auf den Kopf.

@Joachim49

Versuche es doch einmal so zu sehen, zur Wende zum 20 Jahrhundert war für einen Komponisten die Ausdrucksmöglichkeit des diatonischen Systems nahezu erschöpft. Eine förmliche "Überladung" mit nicht leitereigenen chromatischen Tönen war an der Tagesordnung. Salopp ausgedrückt könnte man sagen daß das tonale Korsett geplatzt war und niemand wollte es sehen.

Daraus zogen einige Komponisten die Konsequenz, neben dem offenen Bruch der Tonalität ist die Hinwendung zum Neoklassizismus, -also der Versuch der Vereinfachung und Rückbesinnung-, auch nichts anderes als der Versuch aus dieser Klemme zu kommen.

MFG Günther
Joachim49
Inventar
#38 erstellt: 18. Mrz 2010, 18:05

Hörbert schrieb:
@Joachim49

Versuche es doch einmal so zu sehen, zur Wende zum 20 Jahrhundert war für einen Komponisten die Ausdrucksmöglichkeit des diatonischen Systems nahezu erschöpft. Eine förmliche "Überladung" mit nicht leitereigenen chromatischen Tönen war an der Tagesordnung. Salopp ausgedrückt könnte man sagen daß das tonale Korsett geplatzt war und niemand wollte es sehen.

MFG Günther


Diesen Satz verstehe ich, auch dass dies ein Grund ist um musikalisches Neuland zu betreten. Aber den Satz 'Durchführung und Ausdruck seien unvereinbare Gegensätze', den habe ich nicht verstanden. Denn das hiesse ja, dass wenn etwas eine Durchführung ist, es ausdruckslos muss sein, bzw. wenn es Ausdruck hat, dann kann es keine Durchführung sein. Da ich aber so manche Durchführungen als recht ausdrucksstark empfinde, hat sich Protest geregt. Zugegeben: diese Interpretation hat ein bisschen gegen das 'principle of charity' eines wohlwollenden Lesers verstossen.
Andererseits glaube ich auch, dass tonale Musik nicht erschöpft ist. Die Forderung man müsse sie hinter sich lassen, wenn man sich nicht wiederholen will, entspräche in etwa der Idee, man müsse die Syntax der deutschen Sprache verlassen, da alles was im Deutschen sagbar ist, schon gesagt wurde. Oder ist es ein apriori dass jegliche tonale Musik nach Reger ein nostalgischer Eklektizismus ist?
Freundliche Grüsse
Joachim
Hörbert
Inventar
#39 erstellt: 18. Mrz 2010, 18:34
Hallo!

@Joachim49



Oder ist es ein apriori dass jegliche tonale Musik nach Reger ein nostalgischer Eklektizismus ist?



Nein, natürlich nicht. So hat Schonberg schon gesagt das noch viele Musik in C schreibbar ist.

Aber es war schlechterdings nicht möglich auf dem Weg den die Tonale Musik um die Wende zum 20 Jahrhundert eingeschlagen hatte weiterzugehen. Die Tonalen Strokturen waren bis zum äussersten gespannt und zum Teil förmlich zerissen oder wie ich es oben nannte geplatzt.

Genau genommen tritt dieser Effekt schon bei Wagner und Bruckner zu Tage, hier gibt es an einigen Stellen Momente der inneren Zerissenheit und einer schwankenden Tonalität die das kommende vorrausahnen lassen.

Die Nachfolgende Generation der Komponisten hat diese Probleme zusammen mit den übersteigerten Ausdruckswillen dieser Musik geerbt.

MFG Günther
Klassikkonsument
Inventar
#40 erstellt: 18. Mrz 2010, 18:39

Joachim49 schrieb:
Oder ist es ein apriori dass jegliche tonale Musik nach Reger ein nostalgischer Eklektizismus ist?


Das ist so formuliert ein Strohmann. Ich kenne niemanden, der das vertritt. Vielleicht Boulez in den 1950'ern? Nein, der hat auch nicht nur den dodekaphonen Strawinsky dirigiert.

Es ist nicht dekretierbar, dass die Ausdrucksmöglichkeiten der Tonalität erschöpft seien. Es ist ja nicht auszuschließen, dass doch noch mal etwas Neuartiges tonal gelingt. Wobei ich zugeben muss, dass ich mich z.B. mit Schostakowitsch und Britten noch nicht besonders beschäftigt habe, über die das gesagt wird.

Aber selbst wenn Musik nostalgischer Eklektizismus ist, ist das kein Argument sie nicht zu mögen.

Viele Grüße
Kreisler_jun.
Inventar
#41 erstellt: 18. Mrz 2010, 19:07
Mit dem üblichen Verständnis von "Durchführung" und "Ausdruck" ist die Behauptung, dass hier ein Gegensatz bestünde, geschweige denn ein unvereinbarer, schlicht falsch.

Ganz im Gegenteil hat man wohl nicht zufällig derselben Musikrichtung, die die "Durchführung", also Motiventwicklung, -transformation, -kombination und -variation nicht mehr nur auf einigermaßen fest umrissene Abschnitte beschränkt, sondern auf den gesamten Satz bzw. komplette Werke, ausdehnt, auch die Bezeichnung "Expressionismus" beigelegt.

Nun könnte das immer noch Zufall sein, dass z.B. Berg und Schönberg sowohl die entsprechenen motivischen Techniken von Bach und Beethoven bis Wagner, Brahms und Reger auf die Spitze getrieben haben, als auch Musik komponiert haben, die als besonders "expressiv"/ausdrucksstark empfunden wird.
Besonders wahrscheinlich scheint mir das aber nicht.

Mit Tonalität hat das überdies nur bedingt zu tun. Aber auch hier ist die Verbindung von der Emanzipation der Dissonanz und der Ausdrucksstärke vermutlich kein Zufall. Man nehme "Tristan" oder "Erwartung" als besonders einschlägige Beispiele.

Also entweder verstehe ich die Behauptung nicht, oder ich verstehe sie und halte sie für grundfalsch.

JK jr.
Klassikkonsument
Inventar
#42 erstellt: 18. Mrz 2010, 19:56

Kreisler_jun. schrieb:
Mit dem üblichen Verständnis von "Durchführung" und "Ausdruck" ist die Behauptung, dass hier ein Gegensatz bestünde, geschweige denn ein unvereinbarer, schlicht falsch.

Ganz im Gegenteil hat man wohl nicht zufällig derselben Musikrichtung, die die "Durchführung", also Motiventwicklung, -transformation, -kombination und -variation nicht mehr nur auf einigermaßen fest umrissene Abschnitte beschränkt, sondern auf den gesamten Satz bzw. komplette Werke, ausdehnt, auch die Bezeichnung "Expressionismus" beigelegt.


Ich glaube, das ist ein gutes Beispiel dafür wie man die selbe Entwicklung als Bruch, als Kritik des Vorhergehenden oder als Kontinuität durch Weiterentwicklung betrachten kann. Reger kenne ich praktisch nicht. Aber Sprengung der klassischen Form des Sonatensatzes bei sich auflösender Tonalität führt Schönbergs 1. Streichquartett op. 7 vor (offiziell in d-moll, aber was bedeutet das noch angesichts dessen, was zwischen Anfang und Schlussakkord passiert?).
In der Schönberg-Schule wird eben tendenziell ein ganzes Werk zu einer einzigen Durchführung. Dadurch wird sie etwas anderes: die klassischer Weise besonders bei ihr gepflegte Entwicklung etc. der Motive wird omnipräsent.

Viele Grüße
Hörbert
Inventar
#43 erstellt: 19. Mrz 2010, 00:08
Halo!

@Kreisler_jun.

Wagners Musik zu Tristan ist in diesem Zusammenhang ein gutes Beispiel, der bekannte Tristanakkord, -eine Doppeldominante mit tief alteriertem Quintton im Bass und großem Sextvorhalt-, kann ja quasi als Beispielgebend für die gesamte Richtung die die Musik der Romantik einschlug angesehen werden. Hier zeigt sich doch recht gut die Anfänge der spätromantischer Harmonik, die Halt an-/Bindekraft zur- Tonika mehr und mehr verliert. Schwankende tonikale Bezugspunke sind in der Spätromantik eher die Regel als die Ausnahme.
Wagners Leitmotivtechnik eröffte zudem die in der Spätromantik weidlich genutzte Möglichkeit Manierismen über die Struktur zu stellen womit sich melodische Elemente nicht mehr aus der Harmonik ergeben sondern dieser aufgesetzt werden.

Diese Art der Motivbehandlung hat m.E. mit der tradionellen Durchführung nicht mehr viel gemein.

MFG Günther
AladdinWunderlampe
Stammgast
#44 erstellt: 19. Mrz 2010, 03:30
Hallo Hörbert,

ganz wie Kreisler jr. ist auch mir bislang noch nicht klar geworden, worauf denn der unüberbrückbare Gegensatz von "Ausdruck" und "Durchführung" beruhen soll. Ebenso wenig durchschaue ich wirklich, in welchem Zusammenhang Deine letzten Ausführungen über den Wagnerschen Tristan-Akkord zu dieser Behauptung stehen. Unabhängig davon scheint mir aber Deine These, bei Wagner würden "Manierismen über die Struktur" gestellt, weshalb sich "melodische Elemente nicht mehr aus der Harmonik ergeben, sondern dieser aufgesetzt werden", soweit ich Deine Ausführungen verstehe (oder zu verstehen glaube), auf unzulässigen Vereinfachungen zu beruhen.

Zum Tristan-Akkord habe ich an dieser Stelle von Joachims Zwöftonmusik-Thread schon ein paar Dinge geschrieben, so das ich hier der Einfachheit halber nur darauf verweise. Aus meinen dortigen Beobachtungen ergeben sich aber die folgenden Konsequenzen:

1. Der Tristan-Akkord "ist" nicht - wie Du behauptest - ohne weiteres "eine Doppeldominante mit tief alteriertem Grundton und großem Sextvorhalt", sondern er wird von Wagner an einigen Stellen so interpretiert, während er an anderen Stellen (zum Beispiel in T. 81-83 des Vorspiels) als subdominantischer Akkord auf der zweiten Stufe erscheint und in extremen Fällen (zum Beispiel beim "Sehnen hin zur heil'gen Nacht" des zweiten Aufzugs und den dazu analogen späteren Stellen) als funktionsloser Klang von immerhin vier "nur aufeinander bezogenen Tönen" behandelt wird.

2. Wie der Akkord im konkreten Fall zu verstehen ist, wird also erst durch seine Fortführung kenntlich, und diese Fortführung ist gerade im Tristan-Vorspiel melodisch vermittelt. Die ersten Takte beispielsweise beruhen auf der kontrapunktischen Verknüpfung des Sehnsuchts- und des Leidensmotives; die Melodik ist hier also gerade nicht - wie Du behauptest - der Harmonik "aufgesetzt". sondern sie bringt die Harmonik (im Sinne eines harmonischen Zusammenhangs) gerade umgekehrt erst hervor.

3. Die gleichsam "funktionslose" Behandlung des Tristan-Akkordes an den von mir genannten Stellen des zweiten Aufzugs zeigt zwar, dass Wagner im Extremfall auf eine bestimmte Art der Zusammenhangbildung - nämlich die Anordnung der Akkorde gemäß den Gepflogenheiten der funktionalen Tonalität - verzichtet; keineswegs aber stellt er dabei irgendwelche "Manierismen" (welche?) über strukturellen Zusammenhang, sondern er findet vielmehr zu einer neuen Art, Zusammenhang zu stiften, und zwar auf der Basis der substantiellen Beziehungen zwischen den Intervallstrukturen der aufeinanderfolgenden Klänge. In Entlehnung der bekannten Schönbergschen Formulierung sind die Töne dieser Klänge also nicht mehr (oder bestenfalls schwach) auf einen gemeinsamen Grundton, sondern nur noch aufeinander bezogen.

Das Wagnersche Verfahren ist also nicht nur destruktiv (im Sinne einer Auflösung traditioneller Verfahren der Zusammenhangsbildung), sondern auch konstruktiv, indem keimhaft neue Arten struktureller Verknüpfung aufgezeigt werden, die dann von Komponisten wie Schönberg, aber in gewisser Weise auch Skrjabin (und auch an manchen Stellen - z. B. in Opus 135b - von Reger) fortgeführt, intensiviert und systematisiert worden sind.

Im übrigen ist es natürlich problematisch, bezüglich eines musikdramatischen Werks wie Tristan und Isolde in jenem engeren Sinne von "Durchführung" zu sprechen, den man aus der Begrifflichkeit der Sonatensatzform kennt. Die Unterschiede zwischen der Eroica und Tristan beruhen zum Teil einfach auf Gattungsdifferenzen. Daher dürfte Schönberg in Werken wie seinem 4. Streichquartett dem von Beethoven vertrauten Durchführungskonzept trotz Zwölftontechnik um einiges näher sein als Wagner.

Nebenbei bemerkt finde ich den Titel "Neue Musik: Was sollte man kennen?" für den vorliegenden Thread nicht besonders passend. Meiner Meinung nach gehören die hier versammelten hochinteressanten Beiträge in Joachims Zwölftonmusik-Thread, wo ich auch noch mancherlei Unerledigtes abzuarbeiten habe...

Herzliche Grüße
Aladdin



Herzliche Grüße


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 19. Mrz 2010, 16:33 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#45 erstellt: 19. Mrz 2010, 10:29
Hallo!

@AladdinWunderlampe

Hm, hier äussert sich m.E. in der Tat ein fundamentaler Unterchiedin der Betrachtungsweise. Ich würde aus meine Sicht der Dinge deine Analyse des Tristan-Akkords gerade als Nachweis sehen das hier der Ausdruck nur auf Kosten der Tonalen Struktur und der Möglichkeit einer Durchführung erzielt wird.

Es ist natürlich kein Streitpunkt das Wagners Methode zugleich Konstruktiv war, -allerdings nicht im Sinne tonaler Bindungselemente-.

Deinen Beitrag habe ich mittlerweile gelesen. Erstaunlicherweise gibst du dir darin zu dem Gegensatz zwischen Ausdruck und Durchführumg -aus meiner Perspektive gesehen- selbst eine Antwort wie ich sie dir besser gar nicht geben könnte. Du erlaubst das ich Zitiere:



Die Sonatenhauptsatzform beispielsweise, die als Paradigma der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts gelten kann, ist ja ursprünglich nicht durch die Anzahl und den Charakter ihrer Themen, sondern durch tonale Verhältnisse geprägt: Der Themendualismus, der in manchen Formenlehren so stark betont wird, ist für die Sonatenhauptsatzform der Klassik nicht ausschlaggebend: Bei Haydn etwa finden sich oftmals monothematische Sonatenhauptsätze, während Mozart in seinen Expositionen vielfach mehr als zwei Themen präsentiert. Ebensowenig beruhen die klassischen Durchführungspartien notwendig auf der Verarbeitung der exponierten Themen; nicht selten führen sie vielmehr neue Themen ein oder ergehen sich in Modulationspartien, die mehr oder weniger anonyme melodische Floskeln sequenzieren. Entscheidend für die klassische Sonatenhauptsatzform ist vielmehr die tonale Disposition: Die Exposition etabliert primär die Spannung zwischen zwei tonalen Polen (Tonika und Dominante), die Durchführung ist durch reiche Modulationen und die Vermeidung der Grundtonart charakterisiert, während die Reprise durch die Rückkehr der Grundtonart die vorangegangenen tonalen Spannungen löst.

Eine solche Form funktioniert freilich nur solange, wie die tonalen Zentren klar genug ausgeprägt sind, um auch in weitläufigen Zusammenhängen als Bezugspunkte erkennbar zu bleiben. Dies ist in der Wiener Klassik weitgehend der Fall, denn die Organisation im Kleinen - also die lokale Gestaltung der Harmonik und Melodik - beruht, da sie auf das Modell der Kadenz zurückgreift, grundsätzlich auf den gleichen Quintbeziehungen, die auch die übergeordnete Großform bestimmen. Diese Äquivalenz zwischen Detailstruktur und großformaler Organisation beginnt sich allerdings im 19. Jahrhundert zunehmend aufzulösen.


Sorry daß das Zitat so lange ausfällt aber ich wollte deine Ausführungen nich allzu sehr aus dem Zusammenhang reissen.

Was bitte sagst du hier wenn nicht das die Durchführung und der Ausdruck unvereinbar sind?

Entweder habe ich gerade ein ziemlich dickes Brett vor dem Kopf und übersehe wichtige Zusammenhänge oder du sagst hier das gleiche aus wie ich in meinen vorhergehenden Postings.

MFG Günther
Kreisler_jun.
Inventar
#46 erstellt: 19. Mrz 2010, 14:19
Meiner Ansicht nach sagt Aladdin in dem Zitat nur, dass "eigentlich" die Struktur des klassischen Sonatenhauptsatzes an einen bestimmte harmonischen Ablauf gekoppelt ist. Es geht also um zwei strukturelle Aspekte, gar nicht um "Ausdruck".
Und das "eigentlich" gehört in Klammern, weil es ja schon in der Romantik und Spätromantik so nicht mehr stimmt, auch ohne Auflösung der Tonalität. Bei Brahms kann wohl kaum von einer solchen Auflösung die Rede sein, dennoch wird der Sonatensatz nicht mehr wesentlich von einer harmonischen Spannung getrieben wie bei Haydn.

Andererheits hat Durchführung eben spätestens seit Beethoven auch sehr viel mit "thematisch-motivischer Arbeit" zu tun, nicht mehr nur mit dem Harmonieverlauf.

Und die Ausdehnung dieser motivischen Arbeit auf den gesamten Satz (oder das gesamte Werk), die sich eben auch schon bei Beethoven findet, ist bei Brahms ziemlich stark ausgeprägt. Dieser Strang, der dann bei Reger und Schönberg noch weiter zugespitzt wird, ist m.E. weitgehend unabhängig von der harmonischen Struktur. Ich wage aber nicht zu beurteilen, inwiefern das quer zu einanderliegt oder doch vielleicht enger zusammenhängt.

Ein von wenigen Grundmotiven bestimmtes, durchkomponiertes Werk wie Schönbergs 1. Quartett (oder die Kammersinfonien) stellt sich in diese Tradition, die von einigen Sätzen Beethovens (wie dem Quartett op.131 oder der Fuge op.133 oder dem Finale der 9.) über Schuberts Wandererfantasie und Liszts h-moll-Sonate läuft.


JK jr.
AladdinWunderlampe
Stammgast
#47 erstellt: 19. Mrz 2010, 14:46
Hallo Hörbert,

möglicherweise beruht unser gegenseitiges Missverstehen - so es denn eins ist - eher auf den Worten, mit denen wir über die musikalischen Sachverhalte sprechen als auf diesen Sachverhalten selbst. Allerdings sehe ich nicht, wo ich in dem langen Zitat irgendetwas über musikalischen "Ausdruck" und dessen vermeintlichen oder realen Gegensatz zur "Durchführung" aussage.

Ich habe allerdings den Verdacht, dass in diesem Thread verschiedene Begriffe von "Durchführung" kursieren, was dann einen Teil der Missverständnisse erklären könnte. Ich versuche daher einmal, ein bißchen zu sondieren:

Erstens kann man mit "Durchführung" einen klar abgegrenzten Formteil der Sonatenhauptsatz meinen. Dieser Formteil ist, wie aus der von Dir zitierten Textpassage hervorgeht, in der Klassik zunächst wesentlich durch tonal - durch das Vermeiden der Grundtonart und durch ein gegenüber Exposition und Reprise intensiviertes Modulieren - charakterisiert. Melodisch oder motivisch kann dieser Formteil zunächst unterschiedlich gefüllt werden - zum Beispiel durch mehr oder weniger floskelhafte Sequenzen, Akkordbrechungen oder durch Laufwerk, durch Einführung neuer Themen (so beispielsweise in manchen Klavierkonzerten Mozarts) oder durch verdichtete, angespannte motivisch-thematische Arbeit. Letzteres wird - anknüpfend an Haydn - vor allem von Beethoven weitergetrieben; Ausnahmen wie das neue, elegische e-Moll-Thema, was inmitten der riesigen Durchführung der Eroica nach dem großen Zusammenbruch auftaucht, sind bei ihm die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Dabei wird bei Beethoven die Durchführung - gerade wegen der motivischen Zergliederung, der Kombinatorik zunächst getrennter musikalischer Gestalten und des gesteigerten harmonischen Aktionstempos - zugleich der Ort verdichteten dramatischen Ausdrucks, so dass hier schwerlich von einem Gegensatz zwischen Durchführung und Ausdruck die Rede sein kann. (Dass es bei Beethoven auch andere Durchführungen gibt, will ich nicht bezweifeln - man denke nur an den entspannt-flächigen ersten Satz der 6. Sinfonie; für die kompositorische Rezeption des 19. Jahrhunderts sind aber eher Werke wie die 3., 5. und 9. Sinfonie oder die mittleren Klaviersonaten ausschlaggebend geworden.)

Allerdings findet sich bereits bei Schubert eine Alternative zur Beethovenschen Durchführungstechnik: Die Themen werden hier weniger zergliedert denn als ganze variiert und in verschiedene harmonische Regionen geführt. Diese Art der Variantentechnik hat vor allem bei Bruckner und Mahler weitergewirkt.

Zweitens kann man unter Durchführung ein satztechnisches Prinzip verstehen, dass nicht an einen bestimmten formalen Ort gebunden ist. Dieses satztechnische Prinzip ist durch die bereits genannten Merkmale "typischer" Beethovenscher Durchführungen gekennzeichnet: motivische Arbeit und Kombinatorik in Verbindung mit intensiviertem harmonischen Aktionstempo. Schon bei Beethoven verselbständigt sich dieses Durchführungsprinzip von dem klar definierten Ort innerhalb der Sonatenhauptsatzform und dringt vor allem in Überleitungs- und Coda-Abschnitte ein. Diese Tendenz wird im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmend radikalisiert, indem als Gegenstand dieser Art von "Durchführung" nicht mehr die greifbaren Themen und Motive, sondern abstrakte Intervallkonstellationen im Hintergrund fungieren - so in Brahms' 4. Sinfonie eine Terzkette und in Liszts Les Préludes eine Dreitonkonstellation.

Wenn in diesem Thread gelegentlich davon gesprochen wird, dass sich im 19. Jahrhundert und erst recht in der Dodekaphonie die Durchführung über den gesamten Satz ausbreite, so ist damit in diesem Sinne Durchführung als satztechnisches Prinzip gemeint, was aber nicht ausschließt, dass auf formaler Ebene weiterhin exponierende, durchführende und rekapitulierende Formteile zu unterscheiden sind, deren Divergenz dann allerdings eher quantitativ als qualitativ zu bestimmen ist. Ich will dies an einem zwölftönigen Werk, nämlich dem ersten, sonatenartig disponierten Satz aus Schönbergs 4. Streichquartett verdeutlichen:

Natürlich kann man sagen, ein solches Stück stelle eine permanente Durchführung der zugrundeliegenden Zwölftonreihe dar, insofern sämtliche musikalischen Gestalten eben aus dieser Reihe abgeleitet werden. Allerdings ist die Reihe nicht das "Thema" dieses Satzes, das irgendwo exponiert würde, sondern ein Abstraktum (ein Inbegriff von Relationen - daher "zwölf nur aufeinander bezogene Töne"), das sich auf verschiedene Weise in Themen, Akkordfolgen und so weiter manifestieren kann und muss (weil es als Abstraktum nicht hörbar werden kann).

Obwohl also die Zwölftonreihe auf einer subkutanen, strukturellen Ebene permanent "durchgeführt" wird, kann man im Hinblick auf die Form durchaus exponierende von durchführenden Partien unterscheiden: So gibt es beispielsweise ein überaus markantes Hauptthema sowie ein etwas vager formuliertes zweites Thema; später werden diese Themen erkennbar im engeren Sinne durchgeführt, indem sie motivisch aufgespalten und verarbeitet werden, bevor sie in der Reprise wieder als - variierte - Ganzheiten erscheinen. "Durchführung" als Formteil spielt sich also auf der motivisch-thematischen Ebene ab, "permanente Durchführung" dagegen auf der strukturellen Ebene des musikalischen Materials. Ich persönlich würde übrigens in Anknüpfung an eine Formulierung Schönbergs, statt von "permanenter Durchführung" lieber von "entwickelnder Variation" sprechen, um die Verquickung und Verwechslung der strukturellen und der motivisch-thematischen Ebene zu vermeiden.

Zweifellos finden sich bei Schönberg - insbesondere in der Phase der sogenannten freien Atonalität - Stücke, die auf Durchführungen im Sinne deutlich abgegrenter Formteile weitgehend verzichten und ihr musikalisches Material eher subkutan durchführen: so etwa im Falle der grandiosen Fünf Orchesterstücke op. 16, die freilich - wie unter anderem Michael Mäckelmann gezeigt hat - auch auf der Ebene des Oberflächenzusammenhangs immer wieder unterscheidbare Phasen der Exposition, der Überleitung und der Motiventwicklung aufweisen, obwohl diese nicht unbedingt tradierten Anordnungsschemata (etwa der Sonatenhauptsatzform) folgen.

In dieser Hinsicht sind übrigens Regersche Sonatensätze insofern problematischer, als die Formulierung prägnanter Themen nicht unbedingt zu den größten Stärken dieses großartigen Komponisten gehört. Dass die Regerschen Sonatensätze oftmals etwas amorph Wucherndes haben, liegt unter anderem daran, dass die exponierten Themen mit ihren atomisierten chromatischen Motiven vielfach wenig greibar sind und daher auf formaler Ebene die Unterschiede zwischen exponierenden, durchführenden und rekapitulierenden Partien stärker verschwimmen als selbst beim zwölftönigen Schönberg.

Was das Ganze mit der Ebene des "Ausdrucks" zu tun haben soll, ist mir gleichwohl immer noch nicht klar geworden.



Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 21. Mrz 2010, 02:54 bearbeitet]
AladdinWunderlampe
Stammgast
#48 erstellt: 19. Mrz 2010, 14:49
Hallo Kreisler jr.,

da hast Du ja in wenigen Worten (und auch noch viel schneller als ich) prägnant Wesentliches von dem vorweggenommen, was ich hier gerade weitschweifig darzulegen versuchte...

Danke und



herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 19. Mrz 2010, 14:49 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#49 erstellt: 19. Mrz 2010, 15:18

AladdinWunderlampe schrieb:
Hallo Kreisler jr.,

da hast Du ja in wenigen Worten (und auch noch viel schneller als ich) prägnant Wesentliches von dem vorweggenommen, was ich hier gerade weitschweifig darzulegen versuchte...


Dafür von mir viel gröber und ungenauer. Denn es stimmt natürlich nicht, dass es zB bei Brahms die "Auflösung" des klassischen Sonatensatzes nicht mehr gibt, sondern das zweite Thema erscheint durchaus zunächst in der Dominante (meistens) und in der Reprise in der Tonika. Was ich aber meinte, ist, dass aufgrund der erweiterten Harmonik dieser Bogen von Spannung - Auflösung nicht mehr strukturbestimmend ist.

Vielleicht interessanter scheint mir mittelfristig aber zu sein, den Gegensatz von "Ausdruck" und was auch immer, der angeklungen ist, genauer zu fassen. Nach den Beiträgen Hörberts hatte ich eigentlich nicht den Eindruck, dass er dem Klischee von moderner Musik als "seelenloser Ton-Algebra" anhängt. Aber mir ist tatsächlich überhaupt nicht klar, welcher Gegensatz hier getroffen werden soll.

Man hat ja im Gegenteil auch die These vertreten, dass der besondere emotionale Ausdruck, etwa im Tristan, dort den Grenzgang rechtfertige, was dann später ungerechtfertigterweise als generelle "Erlaubnis" zur Aufgabe der Funktionsharmonik gedeutet worden sei.

JK jr.
Hörbert
Inventar
#50 erstellt: 22. Mrz 2010, 11:25
Hallo!

@Kreisler_jun., @AladdinWunderlampe

Langsamer bitte, ich bin schließlich kein Musiktheoretiker sondern meine Ausbildung ist eine technische, da heißt der "Kammerton A" einfach 440 Hz.

Zum Ausdruck, seit etwa 1830-1840 hatte in der Musik eine Entwicklung eingesetzt die durch die Verwendung neuer Klangfarben und einer Erweiterung des Orchesters den Hörern ein plastischeres Kusterlebniss bieten wollte. Weitere Mittel dazu boten die Dissonanzen als farbige Reizklänge die nicht mehr alleine als Mittel gesehen wurden die durch ihre Auflösung in der Konsonanz den Satz motorisch vorwärts zu tragen. Die dadurch entsandene erweiterte Harmonik und Modulatorik schuf zwar durch die dadurch entstehenden ungewohnten neuen Klangverbindungen neue Ausdruckswerte stand aber der klassichen Durchführung entgegen.

Was ist das wenn nicht ein unlösbarer Gegensatz zwischen Ausdruck und Durchführung im klassischen Sinne? (Diese Frage ist nicht rhetorisch gemeint.) Ich kann das nur als ein unlösbarer Gegensatz sehen der schlußendlich zur Auflösung der althergebrachten Strukturen führte.

MFG Günther
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