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Muß ich diese Musik mögen?

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Martin2
Inventar
#1 erstellt: 27. Aug 2011, 02:41
Dies ist ein kleines sympathisches Forum von Klassikliebhabern. Aber gelegentlich hat man auch das Gefühl, daß irgendwie alle aneinander vorbei reden. Das heißt jeder hat seine Lieblingsmusik und jeder stellt sie heraus, aber manchmal hat man das Gefühl: Jeder ist der Missionar seiner eigenen Lieblingsmusik und darauf läuft es ein bißchen hinaus. Und das finde ich verkehrt. Zu oft hört man: Das ist eine ganz tolle Musik, die mußt Du unbedingt kennen lernen. Zu selten hört man: Diese Musik könnte unbedingt war für Dich sein.

Zwar bin ich nicht undankbar: Ich habe in den letzten Jahren meinen Horizont nicht unerheblich erweitern können. Nur habe ich gelegentlich dieses ganz merkwürdige Gefühl einer immer wieder eintretenden Entwicklung. Es gibt eine gewisse Musik, die ich nicht sonderlich mag. Dann kommt eine andere Person und sagt: Das kann doch überhaupt nicht sein, daß Du diese Musik nicht magst. Ja und dann ist es häufig so die Entwicklung, daß man sagt: Du hast ja recht, diese Musik ist wirklich toll. Dann wird man vom Saulus zum Paulus. Und das ist der erste Schritt. Aber dann kommt irgendwann der zweite und man entwickelt sich doch so ganz langsam vom Paulus zum Saulus wieder zurück. Oder sagen wir mal so: Man entwickelt sich vielleicht nicht geradezu zum Saulus zurück, sondern zu so einer Art Psaulus.

Das betrifft sehr viele Komponisten und Stile, auch Musikgattungen. Einige Beispiele meinerseits. Zum Beispiel Haydn. Den mochte ich früher nicht sonderlich. Dann überzeugte man mich von seiner Bedeutung. Und ich erkannte: Das ist ganz tolle Musik.

Nur geht es darum immer? Ich bin doch verdammt noch mal kein Banause, ich kann doch die Größe der Haydnschen Musik erkennen. Nur besteht die Liebe zur Musik wirklich nur daraus? Nein, das große Geheimnis ist doch, daß die Liebe zur Musik eben daraus eben gerade nicht nur besteht. Es ist durchaus möglich, daß man eine schlechtere Musik mehr liebt als eine bessere, nicht weil man einen schlechten Geschmack hat ( das kann allerdings auch mal sein), sondern weil eine bestimmte Musik viel mehr die Schwingungen des eigenen Temperaments trifft.

Haydn ist für mich so ein Beispiel. Haydn ist für mich eine Musik, die sehr wohl meine Musikalität anspricht - und deshalb höre ich ihn zu manchen Zeiten gerne - aber weit weniger mein Temperament. Ich höre das und sage: Das ist alles tolle Musik, aber mein Temperament und meine Leidenschaft wird dadurch nicht angesprochen - oder doch möglicherweise weniger als die anderer Musik. Das mag bei anderen völlig anders sein, aber mir ist das so.

Also: Musik verstehen ist die eine Seite, und meinem grundsätzlichen Verständnis als Musikhörer ist viele Musik nicht verschlossen, aber Musik lieben ist eine vollkommen andere Sache.

Und das sind doch nun zwei wirklich vollkommen verschiedene Dinge. Wer meinetwegen sagt: Kalkbrenner ist besser als Bach, leidet an Geschmacksverirrung, wobei eine solche Meinung zweifellos legitim, nur nicht sonderlich intelligent ist. Dagegen ist es mehr als bloß "legitim", sondern völlig normal, sich lieber ein Klavierkonzert von Kalkbrenner anzuhören als ein Cembalokonzert von Bach. Bach gehört auch zu den Komponisten, die ich nie sonderlich gemocht habe, für die ich immer einen ungeheuren Respekt - einen verstehenden Respekt, nicht einen angelesenen - aber nie eine sonderliche Liebe hatte.

Wobei Liebe bekanntlich auch blind machen kann und man dann auf das seltsame Phänomen trifft, daß irgendjemand einen vielleicht nicht mal zweitklassigen Komponisten auch schon mal über den größten Titanen der Musikgeschichte stellt.

Liebe ist in der Musik aber das grundsätzlichere Phänomen. Metaphorisch gesagt: Was nützt es mir, die tollste Frau der Welt kennen zu lernen, wenn ich sie nun mal nicht sonderlich mag und selbst wenn ich weiß, daß meine Antipathie einfach völlig bescheuert ist. Wobei es natürlich auch schon tragisch sein kann, wenn man stattdessen in eine dumme Schnepfe verschossen ist.

Liebe ist aber trotzdem ein für mich wichtigerer Faktor als "Einsicht" oder "Respekt". Wirklich schön aber ist es, wenn die beiden Aspekte zusammenkommen, wenn man eine unheimlich tolle Musik für sich entdeckt, die man außerdem noch unheimlich mag. Das sind für mich aber eher die Sternstunden. Das passiert aber im Leben nicht so häufig, zumindestens ich erlebe selten solche Sternstunden.

Aber ich bin inzwischen eigentlich wieder soweit, den persönlichen Sympathiegefühlen in Bezug auf Musik mehr nachzugehen, als dem Gefühl "werthafte Musik" zu erleben. "Werthafte Musik" ist eine tolle Sache. Den eigenen "Sympathien" nachzugehen ist aber eine fast noch wichtiger Sache und wenn man entdeckt, daß eine Sache, die man eigentlich sehr mag, sogar durchaus ihren Wert haben mag, dann ist das vielleicht nicht immer die ganz große Sternstunde, aber doch eine nicht zu verachtende kleine.

So hat mir die Box "The golden Age of the Romantic Piano Concerto" schon viel Freude gemacht, weil ich romantische Klavierkonzerte sehr mag und ich habe da die eine oder andere Perle auch für mich entdeckt. Man muß ja nicht gleich so übertreiben wie dieser eine Amazonrezensent, der diese Klavierkonzerte für besser hält als die bekannten, es kann aber sehr wohl so sein, daß er sie einfach sehr gerne hört.

Denn was man hier in diesem Forum ganz unbedingt entdeckt, ist die Tatsache, daß es DEN Klassikliebhaber überhaupt nicht gibt. Das ist nicht unbedingt neu, aber man sollte sich diese Tatsache immer wieder in Erinnerung rufen. Ich denke wir müssen uns hier nicht gegenseitig missionieren, sondern sollten gelassen mit der Tatsache umgehen, daß wir selbst unter Klassikliebhabern gelegentlich mit den Fischen reden, wenn wir ihm unsere Lieblingsmusik nahebringen wollen.

Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#2 erstellt: 27. Aug 2011, 08:18
Hallo!

Du hast natürlich vollkommen recht, man muß nicht die Musik eines bestimmten Komponisten nur deshalb schätzen und lieben nur weil dieserMensch ode sein Werk zu einer bestimmten Zeit ein Meilenstein der Musikgeschichte war.

Musik muß einem liegen und ich habe vollstes Veständniss dafür da jemand Bach, Hayden, Mozart oder wen auch immer für sich selbst nichtsssagend, gähnend Langweilig oder einfach schräg findet.

Nur, -man sollte diese Musik zumindestens kennen bevor man sie beiseiteschiebt-. Hier trennt sich dann m.E. das pauschale Vorurteil von der Geschmacksntscheidung.

Nun kann aber niemand alle bslang geschriebene oder veröffentlichte Musik zwischen Palestrina und meinentwegen Helmuth Lachenmann wirklich so gut kennen das er wirkich einen Überblick hat, deswegen muß man sich irgndwann für eine Epoche oder gar einen Zweig einer bestimmten Epoche entscheiden. Aus diesem Grund heraus ist mir z.B. ausser gelegentlichen Schnuppervisiten die Musik vor Brahms mit Ausnahme der Werke Beethovens, Schuberts und Schuhmanns die ich als Brahms Wurzeln ansehe weniger wichtig als z.B. die Musik der Zeit nach Brahms. Das ist natürlich eine rein persönliche -geschmackliche- Entscheidung, klar gibt es auch davor ebenso gute und großartige Musik aber die liegt mir weniger.

Ach ja, Musik die etwas für dich sein könnt: Höre doch mal bei Paul von Klenau rein, das könnte dir z.B. gefallen.

MFG Günther


[Beitrag von Hörbert am 27. Aug 2011, 11:21 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#3 erstellt: 27. Aug 2011, 10:48
Ich verstehe nicht ganz, was die Alternative sein sollte. Man kann kaum sicherere Empfehlungen geben als für das, wovon man selbst begeistert ist.
Geschmack ist nur bis zu einem gewissen Grade systematisch. Ich persönlich mag z.B. zwei der berühmtesten und beliebtesten Werke Beethovens, die Pastorale und das Violinkonzert nicht besonders (ich mag sie natürlich immer noch lieber als vieles andere, sagen wir das Violinkonzert von Tschaikowsky...).
Vor einiger Zeit war mal jemand ziemlich überrascht, dass ich Francks Sinfonie nicht besonders mag, weil er meinte, dass die mir, als Brahms-Freund, eigentlich auch liegen müsste.

Ich persönlich kann z.B. nur schwer nachvollziehen, dass nicht wenige Hörer Beethoven sehr schätzen und Haydn und Mozart für Rokoko-Gedudel halten und weitgehend ignorieren, weil sie für mich bei allen Unterschieden stilistisch sehr ähnlich und bezüglich der Aspekte, die ich an Musik schätze, ähnlich großartig sind. Ich bin übrigens auch sicher, dass diese Gemeinsamkeiten objektiv vorhanden sind; es haben hier, etwa beim Hörrätsel schon erfahrene Hörer einen Ausschnitt aus einem Haydn-Quartett (op,76,4) dem späten Beethoven zugetraut. Daher ist es für mich nicht nur aufgrund meiner eigenen Neigung logisch, zB Haydn den Beethovenfreunden nahezulegen. Freilich ist mir andererseits völlig klar, dass die Monumentalität und Dramatik, die Beethoven auszeichnet, bei Haydn oft fehlt.

Etwas leichter fällt es mir, wenn jemand mit Chopin oder einigem von Bach oder Händel nicht viel anfangen kann, weil das bei mir teils auch etwas gedauert hat und ich das anfangs eher langweilig fand.

Allerdings habe ich eigentlich nie eine "Re-Konversion" vom Paulus zurück zum Saulus erlebt. Klar, eine Begeisterung kann ein wenig abflauen. Das ist mir mit Händel so gegangen, was aber oft schlicht daran liegt, dass mir die Geduld für diese umfangreichen Opern und Oratorien fehlt und diese Werke eben auch nicht durchweg aus Highlights bestehen, sondern einiges an Routine enthalten.

Und die starken Abneigungen, die ich immer wieder in Foren sowohl gegenüber Werken als auch gegenüber Interpretationen lese, kann ich selten nachvollziehen. Klar, manches kann man, auch stimmungsabhängig, mitunter nicht ertragen, aber meistens ist es eher Indifferenz oder Langeweile gegenüber Musik, keine Abscheu.
Schnuckiputz
Stammgast
#4 erstellt: 27. Aug 2011, 11:17
Ich denke, jeder entwickelt sich im Laufe des Lebens weiter und erweitert damit auch seinen Erfahrungshorizont. Und damit entwickelt sich auch der Musikgeschmack weiter. Es wird nur selten vorkommen, daß man in späteren Lebensjahren immer noch nur die gleiche Musik wie in der Sturm- und Drangzeit hört. Man wird zwar immer noch gerne die Musik hören, die man in seiner Jugendzeit zu schätzen wußte, doch man wird im Laufe de Zeit darüber hinauswachsen.

Ich bin z.B. mit den Beatles und den Stones aufgewachsen, entdeckte aber irgendwann auch Blues und Soul für mich. In der Schule hatten wir einen sehr aufgeschlossenen Musiklehrer, dem ich heute noch für manche Anstöße dankbar bin. Er wies uns z.B. darauf hin, daß die Musik der Beatles eigentlich recht "klassisch" komponiert und gar nicht übel war. Ebenso demonstrierte er uns, wie simpel manch Anderes gestrickt war, z.B. einige Titel der Bee Gees. Er spielte uns einfach mal die Melodien auf dem Klavier vor ... das war ernüchternd. Wie wohl jeder Musiklehrer zeigte er uns am Beispiel von Smetanas "Moldau", was man mit Musik alles ausdrücken kann, eben das Plätschern des Wassers, ein Volksfest am Rande des Flusses, Stromschnellen/Gewitter usw.

Davon blieb so einiges hängen ... und nachdem ich meinen Horizont zu erweitern begann, war meine erste Klassikplatte "Die Moldau" - eine Billigaufnahme für 5 Euro von dem Label EUROPA. Gute Klassikaufnahmen waren damals sauteuer. Ohne der U-Musik ganz zu entsagen, wuchs ich langsam in die Welt der Klassik hinein. Es dauerte nicht lange, da kam die Oper hinzu.

Doch vieles ließ ich außen vor, weil es mir zu schwer verdaulich erschien, z.B. Bruckner, Mahler, Wagner. Erst mit über 40 wagte ich mich auch an solche Werke, was ja auch eine Zeitfrage ist. Nach und nach erschlossen sich mir auch einige dieser Werke, aber "fertig" wird man damit eh nie. Denn mit 50 oder 60 sieht und hört man manche Werke anders als mit 30 oder 40.

Wenn man sich das alles vor Augen führt, ist es ganz normal, daß jeder "seine" Musik hat. Denn die hat meist zumindest indirekt auch mit seinem Leben zu tun und mit der Persönlichkeitsentwicklung. Es ist aber sinnlos, in Sachen Musik zu missionieren, weil da jeder seine eigenen Erfahrungen machen muß. Gewiß kann man Musik auch wissenschaftlich analysieren und die Interpretationen kritisieren. Dennoch muß die Musik, die ich höre, eigentlich nur mir gefallen, zu mir passen, meine Stimmung ausdrücken oder mich für eine Weile auf eine andere Ebene des Daseins erheben.

Von daher kann man in Sachen Musik allgemein und im Bereich der Klassik eigentlich nur Anregungen geben und von eigenen Erfahrungen berichten. Andere machen andere Erfahrungen, und die sollte man nicht bewerten oder gar abwerten, sondern respektieren.
Schneewitchen
Inventar
#5 erstellt: 27. Aug 2011, 13:09
Man muß nicht jede Musik mögen.
Ich mag Klassik(75%),Pop/Rock(20%) und Jazz(5%).
Im Laufe der letzten 60 Jahre wurde der Klassik-Sektor für mich immer bedeutender,Pop/Rock und Jazz stammt aus meiner ersten Lebenshälfte.
Einen gewissen Gruppenzwang war ich während meiner Schulzeit unterworfen,wo man die Musik hörte,die Gesprächsgegenstand war,nämlich Beatles,RollingStones usw.
Klassische Musik bietet viele Möglichkeiten,aber man muß weder alle lieben noch sich für alle interessieren.

Ein Forum kann nur Anregungen geben,sich mit Musik zu beschäftigen,die man nicht kennt,aber ein Zwang zum Hören gibt es nicht.Man muß auch nicht dem Geschmack der Mehrheit teilen.
So ist der Thread mit "berührender Musik" natürlich ganz individuell zu betrachten,weil es um persönlichen Geschmack geht.Was den einen berührt,muß den anderen nicht berühren,denn jeder reagiert anders auf Musik.
Anregungen aus dem Forum nehme ich gerne auf,um sie zu testen,wie die Musik auf mich wirkt.Wenn sie bei mir keine Resonanz erzeugt,habe ich eine Erfahrung gemacht,die nicht von Dauer ist.Ich bin jedoch an neuen Erfahrungen in der Musik interessiert.
Zur Zeit beschäftigt mich die Musik von Alfred Schnittke.Das muß nicht für immer sein.Seine Musik ist auf Youtube greifbar,sämtliche Sinfonien,Concerto Grossi usw.

Ich schätze Bach sehr,aber ihn muß nicht jeder mögen.Mein Interesse für Bach wuchs mit meinem Lebensalter.In jungen Jahren hätte ich eine Matthäus Passion nicht überstanden.Die Musik von Bach ist für mich ein Ruhepunkt in meinem Leben geworden,fern jeder Hektik des Alltagslebens.

Klaviermusik schätze ich mehr als Violinmusik,andererseits mag ich Cellomusik sehr.Manchmal interessieren mich Sinfonien manchmal Kammermusik,das ändert sich gelegentlich.
Abgesehen von neuen Erkundigungen in der klassischen Musik,höre ich Klassik zur Unterhaltung.Deshalb mache ich auch keinen Unterschied zu Pop/Roch und Jazz.Für mich ist alles Unterhaltungsmusik.E=Entertainment.
Was mich langweilt,wird nicht gehört.
Martin2
Inventar
#6 erstellt: 27. Aug 2011, 23:45
Ich denke man reagiert beim Hören von Musik auch immer auf Individuen, sei es in der Komposition wie auch in der Interpretation. Genau da beginnt für mich aber die eigentlich Sensiblität des Hörens. Und da wirkt für mich keine "Logik" der Argumentation.

Also man kann die romantische Musik hassen, aber Bruckner trotzdem lieben. Man kann Mozart und Beethoven lieben und Haydn geringschätzen. Man kann Bach lieben und Händel trotzdem nicht. Man kann auch in der Vokalmusik Opern lieben, aber Messen und Lieder nicht mögen. Man kann Berg lieben und Schönberg verabscheuen. Man kann Violinkonzerte lieben und Violinsonaten langweilig finden. Man kann den einen Dirgenten verehren und dem "anscheinend ähnlichen" gleichgültig gegenüber stehen.

Sehr wichtig ist dabei die "Individualität" von Komponist und Interpret. Gerade weil ein Komponist wie Haydn ein ganz besonderes Individuum war, ist nie voraussagbar, ob man ihn mag oder nicht.

Kreisler Jr.:

Ich persönlich kann z.B. nur schwer nachvollziehen, dass nicht wenige Hörer Beethoven sehr schätzen und Haydn und Mozart für Rokoko-Gedudel halten und weitgehend ignorieren, weil sie für mich bei allen Unterschieden stilistisch sehr ähnlich und bezüglich der Aspekte, die ich an Musik schätze, ähnlich großartig sind.


Das mag Deine Meinung sein, aber ich persönlich reagiere weit weniger auf "Aspekte, die ich an der Musik schätze", als auf die Individualität und den Individualstil von Komponisten. Das je nach Betrachtungsweise böse oder liebevollen Wort von Beethoven über Haydn als "Papa Haydn" ist doch nun nicht völlig aus der Luft gegriffen. Es macht noch keine Aussage über die Qualität der Musik, aber es macht unbedingt eine Aussage über das Haydnsche Temperament in der Musik, daß von dem teilweise sogar revolutionären Gestus der Beethovenschen Musik für mein Gefühl völlig unterschieden ist. Der Grundcharakter von Haydns Musik ist die Ruhe und ihre Schönheit habe ich immer als eine sehr "irdische" Schönheit empfunden, während ich bei Mozart das Paradies spüre.

Ich sage deshalb noch mal, daß "stilistische Ähnlichkeiten" nicht sehr gut als Richtschnur taugen, welchen Komponisten man liebt oder weniger liebt oder auch gar nicht mag.

Gruß Martin
Schnuckiputz
Stammgast
#7 erstellt: 28. Aug 2011, 08:07

Martin2 schrieb:
Man kann auch in der Vokalmusik Opern lieben, aber Messen und Lieder nicht mögen.


Das liegt aber oft nur an Vorurteilen oder zu undifferenzierter Betrachtung. Denn "die Messen" gibt es doch gar nicht, sondern eine Vielzahl von Messen verschiedener Komponisten. Für Opernliebhaber bietet sich als Einstieg eine Messe an, die einst bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat: Die Cäcilienmesse von Gounod. Hier eine kleine Kostprobe - das Sanctus, eigentlich für Tenor, hier aber wirklich himmlisch gesungen von der ungleichlichen Jessye Norman, einfach mal lauschen und für einem Moment die Zeit anhalten:

http://www.youtube.com/watch?v=YYmaznpLMz8

Zu ergänzen wäre noch, daß in so mancher Oper auch Kirchenszenen oder Messen eine Rolle spielen, so in Mascagnis Cavalleria Rusticana das "Regina Coele Laetare", hier in einer filmischen Umsetzung:

http://www.youtube.com/watch?v=0FLbTIzHD9A

All dies mag zeigen, wie sinnlos voreilige Festlegungen sind und wie vielseitig und überraschend Musik immer wieder ist!
Szellfan
Hat sich gelöscht
#8 erstellt: 28. Aug 2011, 12:17
Hallo Martin,
ohne "missionarisch" sein zu wollen:
meines Wissens stammt die Formulierung "Papa Haydn" von Mozart und bezog sich keineswegs auf dessen Musik, sondern auf Haydn als Mensch, als väterlicher Freund.
Der Satz wird heute einfach nur fast stets mißbraucht, um Haydns Musik zu "verzopfen"- was sie nicht ist!- und man verkennt dabei seinen ursprünglich sehr liebevollen Charakter.

Herzliche Grüße, Mike

P.S.:DDanke, Schnuckiputz!


[Beitrag von Szellfan am 28. Aug 2011, 12:28 bearbeitet]
Kreisler_jun.
Inventar
#9 erstellt: 28. Aug 2011, 14:55

Martin2 schrieb:
Ich denke man reagiert beim Hören von Musik auch immer auf Individuen, sei es in der Komposition wie auch in der Interpretation. Genau da beginnt für mich aber die eigentlich Sensiblität des Hörens. Und da wirkt für mich keine "Logik" der Argumentation.


Ich habe ja oben etwas Ähnliches eingeräumt. Der Punkt ist nur, dass man dann *überhaupt nie* etwas empfehlen kann, weil es immer möglich ist, dass jemand einen extrem erratischen Geschmack hat. Es wird aber empfohlen, oft auch mit Erfolg. Also gibt es anscheinend auch ziemlich viele Fälle, in denen es "logisch" funktioniert.



Sehr wichtig ist dabei die "Individualität" von Komponist und Interpret. Gerade weil ein Komponist wie Haydn ein ganz besonderes Individuum war, ist nie voraussagbar, ob man ihn mag oder nicht.


Eher doch wohl die Individualität des Hörers, oder? Jemand, der sehr wenig Haydn kennt, wird sicher nicht mit hoher Trefferquote ein bislang unbekanntest Stück Haydn von einem von Mozart oder dem jungen Beethoven (oder sogar noch einem Satz wie dem Finale von Schuberts 5.) stilistisch unterscheiden können.



Kreisler Jr.:

Ich persönlich kann z.B. nur schwer nachvollziehen, dass nicht wenige Hörer Beethoven sehr schätzen und Haydn und Mozart für Rokoko-Gedudel halten und weitgehend ignorieren, weil sie für mich bei allen Unterschieden stilistisch sehr ähnlich und bezüglich der Aspekte, die ich an Musik schätze, ähnlich großartig sind.


Das mag Deine Meinung sein, aber ich persönlich reagiere weit weniger auf "Aspekte, die ich an der Musik schätze", als auf die Individualität und den Individualstil von Komponisten.


Was ist das denn anderes als "Aspekte, die Du an der Musik schätzt"? Wie genau ein Individualstil oder Individualität festzustellen ist, ist noch eine ganz andere Sache.




Das je nach Betrachtungsweise böse oder liebevollen Wort von Beethoven über Haydn als "Papa Haydn" ist doch nun nicht völlig aus der Luft gegriffen. Es macht noch keine Aussage über die Qualität der Musik, aber es macht unbedingt eine Aussage über das Haydnsche Temperament in der Musik, daß von dem teilweise sogar revolutionären Gestus der Beethovenschen Musik für mein Gefühl völlig unterschieden ist. Der Grundcharakter von Haydns Musik ist die Ruhe und ihre Schönheit habe ich immer als eine sehr


Der Grundcharakter die Ruhe? Ich kenne keinen Komponisten mit mehr "drive" als Haydn, mit einer Vielzahl von überraschenden Wendungen usw. Haydn ist kein tragischer und eher selten pathetisch, manchmal melancholisch, oft humorvoll und witzig.
Ich kenne gar keine Musik, deren "Grundcharakter" die Ruhe ist. Und Beethoven ist halt nicht nur der "revolutionäre Gestus", wo ist der denn in der Pastorale oder im 4. Klavierkonzert oder vielen Klaviersonaten usw.

Es bringt freilich nichts, hier eine Einzeldiskussion zu führen. Du hast erstmal recht, dass "Liebe" sich nicht erzwingen lässt. Andererseits haben wir alle Musik "lieben gelernt", der wir anfangs indifferent oder gar ablehnend gegenüberstanden. Es gibt hier "Vernunftehen", bei denen die Liebe sich erst nach einiger Zeit einstellt.
Und natürlich gibt es keine Garantie. Wie sollte das auch gehen? Aber sich sehe keine Alternative als das weiterzuempfehlen, was man a) selbst schätzt und b) für ausreichend ähnlich der Musik hält, die der, dem etwas empfohlen wird, selber mag.

Ich verstehe die Nuance im ersten Absatz Deines Eingangspostings "musst Du kennenleren" vs. "könnte etwas für dich sein" im Grunde nicht. In der Praxis läuft das doch aufs Gleiche hinaus. Wie seit je bekannt, kann man das Pferd nur zum Fluss führen, saufen muss es dann selber.
Martin2
Inventar
#10 erstellt: 29. Aug 2011, 04:03
Und ich gebe noch mal zu bedenken, daß ganz verschiedene Faktoren ausschlaggebend sein können, eine Musik zu mögen oder nicht zu mögen.

So mag die "stilistische Ähnlichkeit" von Musik für den einen sehr wichtig sein, während für einen anderen das "musikalische Temperament" ein viel ausschlaggebender Faktor ist. Für mich zum Beispiel ist dies ein sehr wichtiger Faktor. Deshalb kann ich mit Messen im allgemeinen weniger anfangen ( Beethovens Missa Solemnis mit dem ultraschnellen Zinman ist da momentan eine Ausnahme).

Ich bin übrigens, was das Threadthema betrifft, weniger für eine polarisierenden Diskussion ( was mir Mike ja neulich vorgeworfen hat) sondern eher für eine dialogisierende, also ergänzende.

Also das musikalische Temperament ist für mich wichtig. Schon dies schließt Messen für mich weitgehend aus. Ich kann mit "spiritueller Versenkung" im allgemeinen wenig anfangen. Es gibt Ausnahmen. So finde ich das Kyrie aus der Missa Papae Marcelli von Palestrina sehr schön, aber schon mit den weiteren Abschnitten der Musik kann ich weniger anfangen. Auch die Messen von Schubert und Mozart ( bis auf die c moll von Mozart) sagen mir wenig und die Messen von Bruckner haben mich ( bis auf den Anfang der 2.) weitgehend nur gelangweilt ( auch als ich mir dann mal auf eine Empfehlung hin eine andere Version als Jochum holte, änderte sich dies nicht). Nur das Te Deum hat mich etwas angesprochen, auch Faures Requiem.

Kirchliche Musik ist also weitgehend langweilig für mich, von gewissen Ausnahmen abgesehen. Und es ist dabei ziemlich gleichgültig, ob es sich um Palestrina, Bach, Mozart oder Bruckner handelt.

Ich finde es dabei völlig in Ordnung, wenn Kreisler Jr. etwa stilistische Ähnlichkeiten für wichtiger hält. Das kann er aus seiner Position tun. Ich sage nur: Ich habe eine andere. Ich mag eine Musik die überirdisch schön ist ( und das kann Palestrina, Purcell und Händel, Mozart oder auch Bruckner sein), ich mag Musik, die Leidenschaften ausdrückt ( vielleicht nicht unbedingt sexuelle, aber durchaus erotische) - deshalb mag ich sowohl Tschaikovski als auch Mahler, ich mag traurige, melancholische Musik ( wie Dowland, vor allem aber auch Schubert).

Gerade das, was manchen hier so wichtig ist, die "stilistischen Ähnlichkeiten", sind mir weit weniger wichtig. Man kann "Leidenschaft" etwa in der Sprache des Barocks ausdrücken, oder in der Sprache der Wiener Klassik, oder in der der Romantik usw., viel wichtiger als die "Sprache", die für mich nur eine Frage des "Einhörens" ist, ist die Frage des "Gehalts" von Musik.

Gerade in diesem Punkt sind etwa die Komponisten der Wiener Klassik Haydn, Mozart und Beethoven sehr weit voneinander entfernt. Für mich sind das völlig voneinander entfernte Persönlichkeiten, die nur durch diesen einen Zufall chronologischer und lokaler Nähe zueinander geführt wurden.

Vielleicht sollte man dann auch mal den Mut zu "ausgefalleneren Tips" haben. Also nicht: Du magst Mozart, also höre Dir mal den Haydn an. Du magst Brahms, also hör Dir mal den Schumann an. Sondern auch mal Tips derart: Du magst Schubert? Hör Dir mal den Dowland an. Diese Tips können genauso in die Hose gehen wie andere, aber sie wären wenigstens phantasievoller.

Und Kreisler Jr. hat ja selber die Erfahrung gemacht, daß ihm Francks Sinfonie nicht gefallen hat, obwohl ihm der Brahms sehr gefällt. Aber der Franck war nun wieder mal ein "naheliegender" Tip, da Franck nicht nur Zeitgenosse Brahms war, sondern auch noch die dumme Bezeichnung von Franck als dem "französichen Brahms" durch entsprechende musikalische Fachbücher geistert.

Komponisten sind überhaupt, so wie wir alle Individuen. Interpreten übrigens auch. Schon da wo es um meine Individualität geht, stelle ich allerdings fest, daß mich der sehr gelegentlich gehörte Satz "Der X ist Dir sehr ähnlich" nie sonderlich leiden konnte. Denn schon, weil ich ein Individuum bin, eine Persönlichkeit, habe ich den Anspruch, eigentlich niemandem ähnlich zu sein. Und wenn ein X meint, ein Y sei einem Z ähnlich, so sagt das m.E. nach eine Menge über X aus, aber eigentlich gar nichts über Y und Z.

Vielleicht sollte man eigentlich überhaupt keine Tips geben. Dir gefallen Bachs Brandenburgische Konzerte, also hör Dir mal die Violinkonzerte an - das geht vielleicht gerade noch. Aber viele andere Tips haben doch ihren einzigen Wert darin, daß sie auf eine andere, auch sehr bedeutende Komponistenpersönlichkeit verweisen und das mag noch in Ordnung sein, aber eine besondere Treffsicherheit haben solche Tips selten und sie sind in vielen Fällen einfach nur phantasielos. Im Grunde könnte man auch sagen: "Dir gefällt Schostakowitschs Leningrader Sinfonie? Hör Dir mal das Lamento de la Ninfa von Monteverdi an. Das wird Dir bestimmt gefallen." Und es kann durchaus sein, daß das ein wunderbarer Tip gewesen ist.

Gruß Martin
Schnuckiputz
Stammgast
#11 erstellt: 29. Aug 2011, 06:54

Martin2 schrieb:

Vielleicht sollte man eigentlich überhaupt keine Tips geben.


Naja, es wird wohl darauf ankommen, in welchem Sinne man diese Tips gibt. Solange sie von beiden Seiten mehr als Anregungen und nicht als Missionierungsversuch verstanden werden, können Tips durchaus wertvoll und hilfreich sein. Vor allem können sie dazu führen, einen Musiker anders wahrzunehmen als zuvor, quasi ganzheitlicher. So ist ja hinlänglich bekannt, daß die meisten Komponisten von Kirchenmusik sich keineswegs auf diese beschränkten, sondern auch andere Musik komponierten. Denn ausgerechnet die Kirchenmusik brachte manchen die unerläßliche "materielle Erdung" in Form eines regelmäßigen Einkommens. Manchen merkt man außerhalb des Genres Kirchenmusik kaum an, daß sie auch Kirchenmusik komponierten, bei anderen, z.B. Bruckner, hört man es oft sehr deutlich heraus.

Ein anderer Aspekt, der aber eigentlich OT ist, wäre die sexuelle oder erotische Dimension der Musik. Ohne diese Dimension wären manche Werke wohl gar nicht entstanden. Da muß man nur mal an Wagners "Tristan und Isolde" denken. Aber das ist ein Riesenthema, für das man eigentlich einen gesonderten Thread aufmachen müßte. Denn das ist ja nicht nur auf die Musik zu begrenzen, sondern spielt wohl in der gesamten Kunst eine Rolle.
Martin2
Inventar
#12 erstellt: 29. Aug 2011, 08:43
Hallo Schnuckiputz,

gegen Anregungen ist ja auch nichts zu sagen. Und ganz plump missioniert wird ja auch nicht. Allerdings gibt es schon gewisse Phänomene.

Eines dieser Phänomene ist etwa: Da kauft jemand eine günstige CD, um einen Komponisten kennen zu lernen. Ihm gefällt die Musik nicht sonderlich. Er sagt es. Und ich wette 100 pro, daß dann jemand kommt: Ja wenn Du das mit dem Müller hörst, kann das ja nichts werden, Du mußt Dir unbedingt den ( meist hochpreisigen) Meier kaufen.

Das ist jetzt nicht unbedingt Mission, aber ich finde dieses Verhalten sehr zweifelhaft. Ein bißchen Mission ist es nämlich doch. Weil es nämlich aus der Haltung eines Enthusiasten geschrieben ist, der nichts unversucht läßt, den anderen sozusagen "mit allen Mitteln" für seine Musik zu begeistern.

Ich bin auch solchen Tips meistens nicht nachgegangen. Weil es nämlich eigentlich keinen großen Sinn macht. Auch eine schlechtere Interpretation kann doch meistens sehr gut die Musik zeigen.

Nehmen wir nun noch die Beispiele Bach und Haydn. Das sind Komponisten, die ich durchaus schätze, aber die nicht meine Lieblingskomponisten sind.

Bei Haydn habe ich mir ja teilweise durchaus besseres geholt, wie Brüggen und teilweise Kuijken für die Sinfonien. Daß das besser war, habe ich auch gehört. Und deshalb habe ich es auch gerne gehört. Nur zu einem meiner Lieblingskomponisten wird Haydn trotzdem nicht und das haben mir im Grunde auch schon die billigen CDs gezeigt.

Und dann gibt es auch immer so eine Art Bildungsbürgerterror. So nach dem Motto: Wenn Dir der Puccini nichts sagt, ist das nicht so schlimm, aber Bach, ja den Bach muß man unbedingt gehört haben, das ist der größte Komponist aller Zeiten. Das mag ja alles so sein, aber deshalb schafft er es für mich trotzdem nicht in die Top Ten. Vielleicht nicht mal unter die ersten 20.

Ich weiß nicht, ich möchte die Musik hören, die mir wirklich Freude macht, das können auch mal Bach und Haydn sein, aber in erster Linie möchte ich eben Musik hören, die mir persönlich die größte Freude macht. Deshalb sage ich ja: Das Schreiben in Internetforen hat meinen Horizont unbedingt erweitert, aber als ich damit anfing, hatte ich schon 30 Jahre klassischer Hörerfahrung hinter mir. Ich weiß letzlich, was mir gefällt und ich muß dieses Gefallen nicht permanent in Frage stellen - warum sollte ich dies tun?

Gruß Martin
Szellfan
Hat sich gelöscht
#13 erstellt: 29. Aug 2011, 09:03
Hallo Martin,
woher rührt denn bloß Deine Abneigung gegen Geistliche Musik?!
Völlig undifferenziert könnte und müßte ich hier schreiben,
daß die überhaupt großartigste Musik doch so häufig gerade einen religiösen Hintergrund besitzt.
Im Detail, wenn auch bei Vielem für Dich nicht zutreffend, entsteht der Eindruck, Du magst
"Herkules auf dem Scheidewege",
aber nicht das "Weihnachtsoratorium".
Magst "Davidde Penitente",
aber nicht die c-moll-Messe.
Magst die Concerti Grossi opus 3,
aber nicht die "Brockes-Passion".
Die Liste ließe sich ja ewig fortsetzen, ich nahm nur mal die bekanntesten Beispiele.

Einen Unterschied zu machen zwischen "Geistlicher" und "Weltlicher" Musik ist doch beinah unzulässig, da es so häufig in dieser Musik gar keinen Unterschied gibt, sondern nur der Text ein anderer ist.
(Und häufig wird behauptet, "Der Einzug der Königin von Saba" aus Händels "Saul" sei eine musikalische Darstellung des Koitus, also mitten im "geistlichen Oratorium".)

Mir drängt sich die Vermutung auf, Deine Unterscheidung und Dein Mögen oder Nicht-Mögen hätte eher außermusikalische Hintergründe?


Was deinen Thread selbst angeht, frage ich mich, worauf Du hinaus willst. Es wirkt, also stelltest Du das ganze Forum in Frage.
Für meinen Teil bin ich geneigt, die Leute hier, bezugnehmend auf Dein Thema, in zwei Gruppen einzuteilen: solche, die Fragen stellen und solche, die mehr oder weniger begeistert einfach nur ihre Hörerlebnisse beschreiben.

Den Fragenden darf und sollte man Empfehlungen aussprechen.
Und dabei geht es nicht um die Phantasie des Empfehlenden, sondern um den, der fragt, wie er fragt und darum, was er mit seiner Frage für sich selbst erreichen möchte. Da kann es schon sein, daß, was ich schon tat, mittels einer Szene aus "Fluch der Karibik" einen Satz Mahler-Sinfonie zu umschreiben, genauso aber einer Frage nach Bach mit Telemann zu beantworten. Hängt doch von der Frage ab.

Die Leute, die nicht fragen, ziehen sich wohl eher ihre Empfehlungen daraus, wovon andere begeistert sind, so sind ja wohl solche Threads wie der "Audiophile" oder der unlängst sanft entschlafene mit den "großen und berührenden Interpretationen" entstanden. Und obwohl Johannes (flutedevoix) als ich zu den Nicht-Fragenden gehören, haben wir dort doch jeweils Anregungen gefunden, die uns bereichert haben.
Dabei waren dann auch Tips, die beim anderen nicht auf volle Gegenliebe stießen. Aber mangels ausreichender Selbstgefälligkeit diskutiert man dann Für und Wider und schon das bereichert wieder.

Aus meiner Sicht habe ich den Eindruck, immer gelernt zu haben, immer einen Gewinn erlangt zu haben. Auch dann, wenn eine Empfehlung nicht meinen Geschmack traf, denn auch das ist eine Erfahrung. Denn anhand dessen, was ich nicht mag, kann ich besser erfahren, was ich mag.

Herzliche Grüße, Mike
Martin2
Inventar
#14 erstellt: 29. Aug 2011, 16:19
Hallo Mike,

ich verstehe nicht, warum Du auf so bestimmten Dingen - auch in diesem Thread wieder - insistierst. Warum zum Beispiel stellst Du gewisse Abneigungen von mir grundsätzlich in Frage? Etwa in dem Du schreibst:


Mir drängt sich die Vermutung auf, Deine Unterscheidung und Dein Mögen oder Nicht-Mögen hätte eher außermusikalische Hintergründe?


Dann stelle ich etwa fest, daß ich Deine oder die Abneigungen anderer hier nicht nur mit Toleranz aufnehme, sondern daß ich sie auch einfach akzeptiere.

Von Dir weiß ich etwa, daß Du "englische Musik" nicht magst. Das hast Du einmal gesagt und ich habe Dich nie wieder darauf angesprochen. Englische Musik, auch gerade die ab Elgar, mag ich aber sehr gerne.

Es gibt andere Musik, die ich sehr schätze, wie etwa Bellini oder Puccini, wo meine Liebe aber durchaus nicht immer auf Gegenliebe stößt, Bellini findest Du ja auch "vernachlässigbar".

Ich stelle einfach fest, daß die Anhänger eines gewissen klassischen "angeblichen Kernrepertoires" einfach immer wieder nachbohren müssen, auch wenn man ihnen immer wieder sagt: "Diese Musik gefällt mir nicht" oder "Diese Musik hat für mich nicht den Stellenwert wie für Dich".

Und manchmal verärgert mich das auch. Und geistliche Musik mag ich in der Tat nicht sonderlich und diese Abneigung im allgemeinen ist durch viele spezielle Hörerfahrungen durchaus erhärtet. Händels Oratorien sind wieder eine ganz andere Sache, die empfinde ich nicht als sonderlich "geistlich" und ich wäre mir ziemlich sicher, daß sich manches Händelsche Oratarium in einem Opernhaus durchaus gut schlüge. Der Hintergrund des Wechsels von Händel von der Oper zum Oratorium ist ja gut bekannt.

Und ich stelle einfach fest, daß Anhänger bestimmter Musik sehr beharrlich und insestierend auftreten. Während Anhänger anderer Musik hier viel zurückhaltender sind. An Bach etwa muß man unbedingt "herangeführt" werden ( was Quatsch ist, ich kenne nun wirklich einiges von Bach). Wagnerianer sind wirklich die unausstehlichsten, mir lief nach einem Opernbesuch mal einer über den Weg.

Dahinter steht für mein Gefühl aber auch eine ziemliche Arroganz. Ein Wagnerianer wird gegenüber einem Puccinianhänger immer das Gefühl haben, die ungleich bessere Musik zu hören. Wer Bach hört, hat oft auch dieses Überlegenheitsgefühl.

Hintergrund dieses Threads ist übrigens die Mitteilung eines Mitglieds dieses Forums für eine gewisse Zeit hier nicht schreiben zu wollen, weil er "den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe". So geht es mir aber teilweise auch. Deshalb finde ich ist dies ein wichtiges Thema. Den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen - das ist allerdings die Gefahr einer zu großen "Aufgeschlossenheit" gegenüber Musik. Mit dieser Aufgeschlossenheit ist es bei mir allerdings auch ein bißchen vorbei. Das heißt gewisse Musik hat für mich einen gewissen Stellenwert, andere hat einen geringeren Stellenwert und andere Musik hat für mich möglicherweise auch gar keinen Stellenwert.

Und daß ich Musik wegen "außermusikalischen Gründen" ablehne, wie Du sagst, ist dabei wirklich ein Mißverständnis. Geistliche Musik etwa habe ich einiges gehört und das allermeiste gefiel mir eben nicht. Das ist "erhärtete Erfahrung", nicht "außermusikalische Gründe". Das mögen andere aber auch ganz anders sehen.


Was deinen Thread selbst angeht, frage ich mich, worauf Du hinaus willst. Es wirkt, also stelltest Du das ganze Forum in Frage.


Nein, ich stelle das Forum nicht in Frage, es ist mir sogar ausgesprochen ans Herz gewachsen. Ich denke nur es hat aufgrund seiner Kleinheit seine Stärken in dem fast privaten Austausch eines überblickbaren Stamms von regelmäßigen Schreibern. Das schätze ich. Dagegen ist es leider wirklich zu klein, um sich in Interessen aufzusplittern. Man kann in größeren Foren möglicherweise über alles mögliche diskutieren: Über Bliss oder Mjaskovski oder sogar Kalkbrenner. Das kann so ein kleines Forum wie dieses hier schlichtweg nicht mehr leisten.

Gruß Martin
Szellfan
Hat sich gelöscht
#15 erstellt: 29. Aug 2011, 17:20
Hallo Martin,
gerade darum habe ich ja gefragt. Und nicht einfach festgestellt. Dabei stelle ich ja nicht Deine Abneigungen in Frage, sondern frage nach Hintergründen. Möchte also wissen, WARUM etwas so ist.
Und diese meine Frage rührte eben daher, daß die von mir angeführten Beispiele tatsächlich die selbe Musik nutzen, nur der Text einmal geistlicher, einmal weltlicher Natur ist.

Davon abgesehen: wäre es Dir lieber, ich würde nicht fragen?
Gar nicht mehr hier schreiben?
Nein, ich bin nicht beleidigt, auch nicht durch den verschleierten Vorwurf der Arroganz.

Im Moment habe ich ein kleines Problem mit dem Forum. Denn es dreht sich vieles um quasi-philosophische Fragen, erschöpft sich in "Was hört Ihr gerade jetzt", was beides für mich an sich völlig in Ordnung ist, aber eine tatsächliche Diskussion zu einem bestimmten Thema erstirbt sehr früh wieder.
Das finde ich sehr bedauerlich!

Weiter unten sträubst Du Dich gegen jede Art von Mission.
Mit Sicherheit, ich stimme Dir vollkommen zu, wird bei einer Aufnahme immer jemand kommen und Dir Meier empfehlen statt des "billigen" Müller.
Hatten wir doch schon: es ist nicht Sache des Preises.

Viel eher doch so wie Harnoncourt es sagt: Es gibt keine schlechte Musik, es gibt nur schlechte Interpretationen.
Und damit ist einfach die Neugier auf Entdeckungen gefragt.

Ich zieh mich dann mal zurück. Zuviel Unterholz.
Herzliche Grüße, Mike
Thomas133
Hat sich gelöscht
#16 erstellt: 29. Aug 2011, 17:41
Hallo Martin,

Ich für mich habe eigentlich schon seit längerem aufgegeben jemanden mit meinen Vorlieben missionieren zu wollen. Das geht auch nur unter bestimmten Voraussetzungen und man darf nicht vergessen das vieles auch aus individuellen Hörgewohnheiten abhängt die man nicht so schnell wie Kleider wechseln kann sondern oft mit der Zeit in eine gewisse Richtung gewachsen sind wie halt so viele Gewohnheiten die man länger pflegt, also der bekannte Spruch "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier".
Wenn ich so zurückblicke war manches das ich heute schätze auch nicht gerade immer "Liebe auf den ersten Blick", ganz abstossend hab ich natürlich nichts davon empfunden aber für manches hat sich erst mit der Zeit der richtige Draht dazu gefunden, indem man plötzlich zB den individuellen Stil des Komponisten erkennt, seine Tonsprache und Stilmittel besser versteht um zu verstehn was er Gefühlsmässig ausdrücken wollte usw.

Ich muss nicht alles teilen und schätzen was Andere schätzen und lieben. Es mag vielleicht manchmal Aufschlussreich sein wenn Diejenigen näher darlegen warum sie diese Musik so sehr schätzen - manchmal Dinge die man aufgrund mangelnder Befassung womöglich bislang übersehn hatte, vielleicht einen anderen Blickwinkel zu bekommen.
Aber es würde zu weit gehen sich noch dafür genieren zu müssen wenn man trotz näherer Befassung mit bestimmten Komponisten oder Gattungen keinen Draht zu ihnen findet.
Ich denke es wäre eher kurios wenn man überhaupt keine Präferenzen und Vorlieben mehr hätte und alles in der Klassik als hervorragend einstufen würde (Das würde meiner Meinung nach nicht für einen "guten" insofern man sowas überhaupt benennen kann, selektiven Geschmack sprechen weil auch bei der Klassik nicht alles auf einem Level ist)

Dazu sind die Stilistiken so unterschiedlich bei der breiten Palette von Renaissance bis zur Moderne, ich kann mir schwer vorstellen das es überhaupt Jemanden gibt der hier jeden halbwegs größeren, bekannten Komponisten aller Epochen auch allumfassend schätzt und liebt. Soweit ich hier schon seit einigen Jahren in den Klassikforen herumgelesen hab kam mir so ein Forenschreiber noch nicht unter.

Das Einzige was ich verurteile ist, wenn man einen grossen Komponisten oder kunstvolle Werke verunglimpft und mangels Befassung und Verständnisses voreilige Schlüsse zieht(die oft als Ursache sich selbst ausschliessen und eher die Musik/Komponisten degradieren). Ich kann mit einigen Komponisten nichts anfangen aber da ich merke das es Andere gibt die da anders als ich denken/empfinden kann die Musik objektiv auch wieder nicht so schlecht sein, nur spricht es mich persönlich einfach überhaupt nicht an weil ich mir wie du es hier ja schon öfters erwähnt hast wieder andere bestimmte Sachen von einer guten Musik erwarte wie manch Andere. Ich finde zB gut gemachte Polyphonie und Fugen sehr kunstvoll und deswegen auch faszinierend von der Strukur und dem Schwierigkeitsgrad den selbst nicht jeder grosser Komponist gut beherrscht hat, versteh es aber auch wenn es manche einfach kalt lässt und zuviel Rationalität darin sehn. Zuviel pathetische Schwelgerei hingegen löst meinen Kitschalarm aus wo sich einfach meine eigene Gefühlswelt nicht mehr angesprochen fühlt, manch Andere mögen das aber weil das genau ihren Nerv anspricht.

Finde aber nicht das es meine Aufgabe und Sinn des Ganzen ist mich an alle Anderen anzupassen, erwarte ich auch nicht von Anderen umgekehrt.
Sinn macht es diverse Vorurteile und Klischees von Komponisten zu berichtigen wenn solche vorgebracht werden wie zB Mozart als seichtfröhlichen Unterhaltungskomponisten zu sehn, oder Komponisten der 2.Reihe aus div. Vorurteilen heraus komplett zu ignorieren. Da kann man ja schon Empfehlungen geben vielleicht auch erklären warum man anders denkt, aber so aufgedrängtes missionieren mag ich nicht. Vor allem wenn es dazu noch von solchen kommt die sich einen oder paar wenige Lieblingskomponisten für alle Ewigkeit erkoren haben und selbst kaum über den Tellerrand schaun und voller Vorurteile strotzen.
Nehme deswegen manche Empfehlungen umso ernster je Vielseitiger Derjenige auch hört oder zum. kennt.(auch wenn das auch noch lange nicht heissen mag das es mich auch anspricht)

Finde es auch garnicht jetzt verwunderlich wenn man in der Klassik den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, schon allein die vielen Komponisten und zahlreichen Werke dazu noch die Diskussionen um die besten Interpretationen...da kommt schon eine enorme Bandbreite zusammen. Die ersten Jahre des Klassikkennenlernens hab ich ja noch wie verrückt gesammelt bin für mich aber letztendlich mittlerweile zum Entschluss gekommen das es nicht Sinn macht in dem Ausmass weiter zu sammeln. In meinem Bestand ist im Großen und Ganzen das Wichtigste abgedeckt und da ich auch nur eine beschränkte Zeit zum hören in meinem Leben zur Verfügung habe möchte ich nicht wie ein gehetztes Tier von einer neuen Aufnahme zur Anderen springen sondern habe genug zu tun wenn ich das was ich habe so höre das die meisten CD´s zum. alle paar Jahre mal gehört werden und mich mit vielen Werken intensiver auseinandersetze um sie besser kennenzulernen (und bei Vielen kann man das nur mit wiederholtem hören)

gruß
Thomas
Martin2
Inventar
#17 erstellt: 29. Aug 2011, 17:47

Szellfan schrieb:

Im Moment habe ich ein kleines Problem mit dem Forum. Denn es dreht sich vieles um quasi-philosophische Fragen, erschöpft sich in "Was hört Ihr gerade jetzt", was beides für mich an sich völlig in Ordnung ist, aber eine tatsächliche Diskussion zu einem bestimmten Thema erstirbt sehr früh wieder.
Das finde ich sehr bedauerlich!



Hallo Mike,

das ist doch nun aber wirklich nicht der böse Wille einzelner, sondern bei einem kleinen Forum wie diesem hier nur zu natürlich. Dabei stelle ich dann fest, daß das einzige Feld "tatsächlicher Diskussionen" dann oft so etwas wie der "kleinste gemeinsame Nenner" ist. Also über Beethovens Sinfonien können wir diskutieren. Da kann jeder mitreden. Interessiert mich allerdings nicht sonderlich. Beethovens Sinfonien zu loben, hieße Eulen nach Athen tragen, ansonsten gehören Beethovens Sinfonien zu den Werken, von denen ich mit die meisten Interpretationen in meiner Sammlung habe.

Wie ich schon sagte: Es ist überhaupt nicht der böse Wille einzelner, das Diskussionen hier immer leicht wegsterben. Hörbert mit seiner Liebe zur modernen Musik steht hier fast alleine. Maastricht ist ein großer Opernliebhaber, aber das Opernforum ist seit langem fast tot. Kreisler Jr. Liebe zur Wiener Klassik wird in dem Ausmaß auch nicht von allen geteilt. Frank ( Hübs) Leidenschaft für manche entelgene spätromantische Kammermusik wird auch von den wenigsten geteilt. Wolfgang ( Teleton) hat auch seinen spezifischen Musikgeschmack mit einer besonderen Vorliebe für fetzige Musik speziell auch der frühen Moderne. Und so weiter.

Und mir geht es halt ganz genauso. Eine Diskussion über Beethovens Sinfonien finde ich halt ziemlich unspannend, dagegen eine Diskussion über Mjaskovski fände ich spannend, vielleicht würde sie mich anregen, das eine oder andere mal wieder zu hören. Das ist also der entscheidende Punkt: Gerade da, wo es wirklich interessant wird, ist dieses Forum schlicht überfordert. Gerade da beginnen die "spezifischen Leidenschaften", wo man in einem großen Forum vielleicht noch jemanden findet, mit dem man über sagen wir mal Schütz, Telemann, Boccherini oder Bax diskutieren könnte, wo in einem so kleinen Forum aber schnell Schicht im Schacht ist. Nur "böse" meint es hier niemand.

Den "verschleierten Vorwurf der Arroganz" solltest Du nicht auf Dich beziehen. Ich habe ihn auf niemand spezifisch gezielt, er könnte von daher denke ich auch mich selber treffen ( und trifft in dieser Allgemeinheit vermutlich alle und keinen).

Gruß Martin
Szellfan
Hat sich gelöscht
#18 erstellt: 29. Aug 2011, 18:11
Hallo Martin,
sollte der Eindruck entstanden sein, ich hätte irgendjemandem "Böses" unterstellt, dann bitte ich hiermit um Entschuldigung.
Geschrieben habe ich's nicht und auch nicht gemeint.

Du umschreibst dann die "Grenzen" dieses "kleinen" Forums. Hm. Es wurde hier auch schon anders geschrieben, Urlaubszeit hin oder her. Ich sehe dabei einfach nur Möglichkeiten, auch innerhalb so quasi-persönlichem Rahmen auch Themenkreise wie Schütz, Telemann abzudecken. Und auch Bax. Selbst wenn dann dort von meiner Seite tatsächlich Schweigen herrschen würde.

Jedem das Seine. Und Missionarsstellung allein ist wirklich langweilig.
Herzliche Grüße, Mike
Tommy_Angel
Inventar
#19 erstellt: 29. Aug 2011, 19:50
Das mit der Missionarsstellung find ich gut...mal sehen, wer sich jetzt wieder auf den Schlips getreten fuehlt...
Schnuckiputz
Stammgast
#20 erstellt: 29. Aug 2011, 20:21

Martin2 schrieb:
Bellini findest Du ja auch "vernachlässigbar".
...
Wagnerianer sind wirklich die unausstehlichsten, mir lief nach einem Opernbesuch mal einer über den Weg.


Sollte jemand Bellini tatsächlich für "vernachlässigbar" halten, wäre das eine etwas unqualifizierte oder zumindest unpräzise Aussage. Aber das ist ein Thema für sich. Doch was wären einige Primadonnen ohne Bellinis Norma? Was man aus dieser Rolle machen kann, hat nicht nur die Callas gezeigt, sondern auch die Caballe, noch zu ihrer besten Zeit in jener legendären Aufführung aus dem Thèatre Antique d'Orange vom 20.07.1974 ... bitte mal reinschauen, erst die große Arie "Casta Diva", dann die grandiose Schlußszene ... sensationell gut gesungen, excellente Atemtechnik und Stimmführung:

http://www.youtube.com/watch?v=FIQQv39dcNE

http://www.youtube.com/watch?v=ueaScfRlbHw

Ist so etwas denn tatsächlich "vernachlässigbar?"

Was die Wagnerianer angeht, so erscheinen sie mir nicht unausstehlicher zu sein als alle fanatischen Anhänger einer Musikrichtung, egal welcher. Fanatismus hat in der Welt und in den Religionen schon mehr als genug Spielwiesen. Vielleicht schafft man es, wenigstens die Kunst weitgehend davor zu bewahren.
Szellfan
Hat sich gelöscht
#21 erstellt: 29. Aug 2011, 20:29
Hallo Schnuckiputz,
ja doch!
Aber sind fanatische Anhänger nicht genauso übel dran wie fanatische Ablehner?
Herzliche Grüße, Mike
Thomas133
Hat sich gelöscht
#22 erstellt: 29. Aug 2011, 22:03

Szellfan schrieb:
Hallo Schnuckiputz,
ja doch!
Aber sind fanatische Anhänger nicht genauso übel dran wie fanatische Ablehner?
Herzliche Grüße, Mike


Wenn die Fanatik des Ablehners darauf begründet das er Vorurteile hat oder die Musik für sich abqualifiziert und der Anhänger in dogmatischer Intoleranz (teils aufdringlich missionarisch) schwelgt dann ja.
Sorry ich bin ja nicht Schnuckiputz aber hoffe man möge es mir verzeihn das ich trotzdem darauf kurz eingegangen bin.
gruß
Thomas
flutedevoix
Stammgast
#23 erstellt: 30. Aug 2011, 00:56
Hm, irgendwie verstehe ich den Sinn dieser Diskussion nicht! Wohlgemerkt den Sinn!

So ein Forum dient doch der Inspiration, dachte ich zumindest und so halte ich es auch. Obwohl ich nun wirklich keine kleine Sammlung habe und mich von Berufes wegen nun wirklich auch in der Breite der klassischen mUsik (und nicht nur da) auskennen muß, erhalte ich hier immer wieder interessante Anregungen (und nicht nur von Mike, der in vielem meinen Musikgeschmack teilt!)

Es ist daoch schön, wenn Hörer von der Musik, die sie begeistert, schwärmen und sie anden ans Herz zu legen versuchen. Das zeigt doch, wie sehr sie die Musik berührt hat, für wie wichtig sie sie halten. Da kann ich quasi missionarischen Eifer verstehen und tolerieren, denn der wird sehr schnell wieder zurecht gestutzt! Wenn dann beide Seiten über ihr Erlebnis mit dieser Musik nachdenken, ist viel Gutes getan und erreicht!
Jedenfalls ist mir dieser missionarische Eifer wesentlich lieber als das Wiederkauen von irgendwelchen Werbetexten, vorgefaßten Meinungen, Kritikermeinungen oder Schallplattenpreisen. Und auch den durchaus öfters vorhandenen Tendenzen, Musik als schlecht zu bezeichnen, weil man sie nicht mag, oder "zweitklassige" Komponisten als solche abzustempeln, ohne ihnen eine Chance zu geben.

Und was geistliche und weltliche Musik angeht ist, ist ja schon oft interessant, daß geistliche Musik oft auf weltlicher Musik beruht, ja z.T. die gleiche Melodie und den gleichen Satz, nur eben einen differierenden Text aufweisen. Ich muß da oft schmunzeln, wenn dann Hörer meinen, sie können mit geistlicher Musik nichts anfangen.

In einem Punkt muß ich Martin aber entschieden widersprechen: die Güte der Interpretation ist schon auch zu einem Groden Teil entscheidend, ob wir Musik als gut oder schlecht, als ergreifend oder kalt empfinden. Es gehört sehr viel Hörerfahrung und noch mehr musikalische Ausbildung (Formlehre, Harmonielehre, Instrumentation, etc. um nur das wichtigste herauszugreifen) dazu, um ein gutes Werk auch in einer schlechten Interpretation alsq gutes Werk zu erkennen und eventuell zu mögen. Jedenfalls haben mir viele Haydninterpretationen seine Werke fast vermiest, eben weil sie schlecht waren, nicht das wiedergaben, was in den Kompositionen steckt!
Eine günstige Aufnahme oder Box mag ausreichen, um ein Werk kennenzulernen, sie kann aber ganz schnell (und leider auch häufig) zum Reinfall werden, zur billigen Aufnahme. Ebenso kann eine Hochpreis-CD nun auch kein Freifahrtsschein zum Glück sein, ganz sicher nicht! Aber bitte, unterstellt niemals einem Komponisten oder einem Werk, daß es schlecht oder langweilig ist, in mind. 80% aller Fälle (Schätzwert) ist es die Interpretation!
Kein Mensch muß empfohlenen Aufnahmen nachgehen, obwohl es nicht schaden kann, die meisten kann man ja zumindest in kleinen Ausschnitten ja mal anschnuppern. Allerdings sollte man sich dann unter Umständen auch nicht wundern, wenn sich der Zugang zu manchem Komponisten nicht einstellen will.
Und ja, es liegt nicht immer an der Interpretation! Mir will sich zum Beispiel ein Großteil des Werkes von Wagner und Liszt nicht erschließen, trotz einer nicht kleinen Bandbreite an Aufnahmen, trotz Partiturstudium, trotz mehrmaligen Anläufen. Ich erkenne zwar eine Größe der Musik in den Noten, ich höre sie aber nicht, sie bewegt mich nicht. Dennoch werde ich nie aufgeben, mich immer wieder dem Werk dieser Komponisten nähern. Auch wenn ich schon weiß, was mich daran stört!

Nun noch eine gute Nacht, im tiefen Bewusstsein, sich mitten ins Unterholz begeben zu haben!


[Beitrag von flutedevoix am 30. Aug 2011, 01:03 bearbeitet]
Schnuckiputz
Stammgast
#24 erstellt: 30. Aug 2011, 07:18

flutedevoix schrieb:
Da kann ich quasi missionarischen Eifer verstehen und tolerieren, denn der wird sehr schnell wieder zurecht gestutzt! Wenn dann beide Seiten über ihr Erlebnis mit dieser Musik nachdenken, ist viel Gutes getan und erreicht!
Jedenfalls ist mir dieser missionarische Eifer wesentlich lieber als das Wiederkauen von irgendwelchen Werbetexten, vorgefaßten Meinungen, Kritikermeinungen oder Schallplattenpreisen.


Wenn wir mal versuchen, den Begriff "missionarischer Eifer" zu definieren, sind wir hier wahrschinlich alle gar nicht weit auseinander. Denn mir scheint, hier wird der missionarische Eifer mit Begeisterung verwechselt. Daß man von einer Musik, die einen tief berührt hat, in einer Diskussion schwärmt, weil man von ihr begeistert ist, sehe ich als ganz normale Reaktion an. Diese ist sogar wünschenswert, weil sie so manchen anregen wird, sich auch einmal näher mit einem bestimmten Werk zu befassen. Und wenn ich "nur" begeistert bin, muß ich ja andere Musik oder deren Komponisten oder Interpreten auch nicht als zweitrangig oder sonstwas abqualifizieren, sondern kann gut damit leben, daß andere Menschen andere Musik bevorzugen als ich.

Was hingegen missionarischer Eifer bedeutet, zeigt am besten ein Blick in die Kirchengeschichte. Da geht es weniger um Begeisterung als um Bekehrung, notfalls sogar mehr oder weniger gewaltsam ("Willst du nicht mein Bruder sein, schlag ich dir den Schädel ein"). Das hat für mich also den Ruch den Fanatismus, und den sollte man nicht nur im Bereich von Politik und Religion verabscheuen, sondern auch und gerade im Bereich der Kunst.

Ansonsten ist die enorme Vielfalt der Musik doch eine ungeheure Bereicherung für uns. Denn wie in der Natur bedeutet auch im schöngeistigen Bereich Vielfalt die Chance zur Entwicklung. Einförmigkeit und Gleichschaltung hingegen sind entwicklungsfeindlich. Was wären wir doch für arme Wichte, wenn wir z.B. Musik nur in Form süßromantischen Gesäusels hätten, In der Musik finden sich Abbilder der menschlichen Seele, somit auch alle Höhen und Tiefen, von höllisch bis himmlisch/paradiesisch, da finden sich Wut und Verzweiflung, aber auch Liebe. Letztere ist ja quasi der rote Faden in den Werken von Wagner, z.T sogar in einem spirituellen Sinne: Erlösung durch Liebe.

Ich denke also, aus der Beisterung geborene Anregungen zur Musik brauchen wir alle mal. Daraus können im Einzelfall auch durchaus mal kontroverse Diskussionen entstehen, aus denen beide Seiten etwas lernen können. Doch von missionarischem Eifer geprägte Bekehrungsversuche halte ich für entbehrlich.

Man muß aber konstatieren, daß Menschen mitunter arg dazu neigen, Partei zu ergreifen. Am besten läßt sich das zeigen an der von der Musikindustrie aus Marketiggründen geförderten Hysterie um "Startenöre" und "Primadonnen." So wurden auch medienwirksam die Rivalitäten bis hin zu angeblichen "Feindschaften" konstruiert, z.B. einst zwischen der Callas und der Tebaldi oder Pavarotti als "König des hohen C" und Domingo. Da gab es dann in der Tat "missionarischen Eifer." So etwas kann sich doch keiner wünschen. Erst recht nicht die Sänger. Denn auch die sind nur Menschen und haben oft gegen irgendwelche Widrigkeiten anzukämpfen, die weit über die unterschiedliche jeweilige Tagesform hinausgehen. Manche würden vor lauter Lampenfieber vor den Vorstellungen am liebsten im Erdboden versinken. Andere haben gegen gesundheitliche Probleme zu kämpfen, welche die Stimme in Mitleidenschaft ziehen (die Callas soll z.B. an einer chronischen Sinusitis gelitten haben, Jessye Norman hat eine schwere Stauballergie im Zaum zu halten usw.).

Also genießen wir doch die Vielfalt der Musik und deren verschiedene Interpretationen und diskutieren wir darüber ... mit Begeisterung, aber möglichst ohne missionarischen Eifer.
Martin2
Inventar
#25 erstellt: 30. Aug 2011, 14:18
Hallo Flutedevoix,

ich finde es gut, daß Du Deine Schwierigkeiten mit der Musik von Wagner und Liszt auch mal angesprochen hast - mir geht es nämlich ganz genau so. Natürlich mag ich einiges von Wagner und Liszt, aber einige Klaviermusik von Liszt finde ich nur langweilig ( natürlich nicht die h moll Sonate) und bei vielen Opern von Wagner mag ich die "Höhepunkte" und vieles andere will mir seltsam aussagelos erscheinen ( wie neulich wieder mit dem Tristan unter Böhm).

Was den "Sinn" eines solchen Threads anbetrifft. Nun - man kommt wieder mal ins Gespräch. Über viele an sich sinnvolle "Themen" kommen wir anscheinend immer seltener ins Gespräch. Mein letztes Posting zur Missa Solemnis wurde nicht beantwortet, den Golden Age of the Piano Concerto Thread mache ich auch zu einem Großteil alleine. Könnte jetzt mal wieder was zur faszinierenden "Villa Lobos dirigiert Villa Lobos Box" ( gegen diese Box hast du hoffentlich nichts) sagen, aber da stehe ich vermutlich auch alleine.

In dieser Hinsicht ist es vielleicht auch mal sinnvoll, den ganz direkten Weg zu wählen, wenn Threads regelmäßig versanden, kann man auch gleich mal über seine musikalischen Vorlieben reden.

Und sicher ist die Interpretation wichtig. Meine Bachsammlung könnte mit Sicherheit Verstärkung vertragen. Nun höre ich aber lieber wieder Villa Lobos. Der aber war ein ganz gewaltiger Bachfreund und eines seiner wichtigsten Werkzyklen, den er auch vollständig einspielt, sind die Bachianas Brasilieras ( was man wohl holprig mit "Brasilianische Bachdinge" übersetzen könnte) und so mag es denn also sein, daß mich Villa Lobos mit seiner Bachbegeisterung irgendwann wieder ansteckt.

Gruß Martin
Thomas133
Hat sich gelöscht
#26 erstellt: 30. Aug 2011, 14:49

flutedevoix schrieb:
Und auch den durchaus öfters vorhandenen Tendenzen, Musik als schlecht zu bezeichnen, weil man sie nicht mag,


Finde gerade das sollte legitim sein, das "weil man sie nicht mag" ebenso sagen zu dürfen ohne Angst zu haben hier Jemanden gleich auf den Schlips zu treten weil man scheinbar den Lieblingskomponisten nicht so akzeptiert wie gewünscht... aber man sollte natürlich nicht der Musik selber die Schuld dafür geben. Wenn du das meinst geh ich konform, aber ich finde es prinzipiell auch wichtig das man sagen darf wenn einem etwas nicht anspricht.

Was den "missionarischen Eifer" anbelangt so kann man den so oder so rüberbringen. Habe nichts gegen offene Menschen die nur mal die Vorzüge ihrer Lieblingsmusik ganz ungezwungen vermitteln wollen. Aber so dogmatisch auf die Art vom hohen Ross herab man hätte ja schon sowieso den besseren Geschmack und müsse die blinden Hühner zwangsbeglücken weil sies sonst besser nicht wissen, das kann wohl Niemand gebrauchen.
Und diese Grundeinstellung konnte ich leider auch schon in der Klassikforenwelt erleben.

gruß
Thomas
Martin2
Inventar
#27 erstellt: 30. Aug 2011, 17:52
Hallo Thomas, hallo Flutedevoix,


Und auch den durchaus öfters vorhandenen Tendenzen, Musik als schlecht zu bezeichnen, weil man sie nicht mag,


also auch mich stimmt diese Aussage nachdenklich, auch etwa in Bezug auf Interpretationen. Ich finde es gerade das Erfrischende an einem Forum, wenn man es auch mal wagt, an Denkmälern zu rütteln.

Dieses Forum war in dieser Hinsicht nie besonders zimperlich und das finde ich auch gut so. Ich habe nie besondere Hemmungen gehabt, selbst die Wiener Klassiker anzugreifen, wenn mir ein bestimmtes Stück nicht gefiel. Sehr oft änderte sich das allerdings dann auch wieder.

Was genau ist mit dem "nicht mögen" denn gemeint? Manche Musik erscheint mir gut und ich mag sie. Manche Musik erscheint mir auch gut und ich mag sie trotzdem nicht sonderlich. Es gibt auch Musik, die empfinde ich als nicht so gut und ich mag sie trotzdem.

Grundsätzlich ist es aber so: Wenn einem Musik nicht als so gut erscheint, dann sollte man das auch sagen dürfen. Dafür gibt es hier sehr viele Beispiele. Das einzige, was mich gelegentlich ärgert, sind Aussagen von Leuten, die eine bestimmte Musik nicht mal kennen und sie trotzdem abwerten.

Umgekehrt übrigens ist es für ein Forum besonders langweilig, wenn jemand eine Musik als gut oder schlecht bewertet, nur weil er in einem Musiklexika es so oder so gelesen hat. Beispiel Kalkbrenner, dem mein Propyläen Lexikon den Hang zu seichter oder sogar seichtester Salonmusik unterstellt und wo ich das ganz anders sehe. Nun bewertet das Propyläen Lexikon "Welt der Musik", eine große 5 Bändige Enzyklopädie ungefähr 1 Million Werke von 10 Tausend Komponisten. Genau da finde ich die eigene Bewertung wieder spannend, weil die wirklich eigene Bewertung von Musik in solchen riesigen Lexika doch nichts weiter ist ein Bluff - die werden das im Leben nicht alles selbst gehört haben - und manchmal nichts weiter ist als eine Tradierung uralter Vorurteile.

Umgekehrt wenn jemand sagt: Beethovens 9. ist der letzte Mist, mag das zwar den einen oder anderen in seinen heiligsten Gefühlen kränken, es hat nur praktisch überhaupt keine Auswirkungen. Also sollte man da auch nicht so empfindlich sein.

Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#28 erstellt: 30. Aug 2011, 18:13
Hall!

@flutedevoix

Na, ich weiß nicht, Musik die mich nicht anspricht kann ich auch in einer besseren Interpretation nichts abgewinnen, während Musik die ohnehin meinem Geschmack entprich zwar durch eine -für mich-, schlechte Interpretation leiden kann aber nie ganz uninteressant wird.

Im Grunde haben wir doch alle eine ganz bestimmte, -inviduell verschiedene-, Erwartungshaltung der Musik gegenüber. We z.B. Händel gar nicht mag wird auch nicht durch eine großartige Interpretation zum Händel-Liebhaber, ganz im Gegenteil kann es da eher passieren das sich seine Abneigung noch verstärkt da es für ihn jetz erst recht "Händelt".

MFG Günther
Martin2
Inventar
#29 erstellt: 30. Aug 2011, 20:20
Hallo Günther,

im allgemeinen gebe ich Dir bezüglich der Interpretation durchaus recht. Ich habe meinetwegen einige Interpretationen von Beethovens 5.: Krips, Walter, Blomstedt, Karajan, Zinman, Maazel. Alle diese Interpretationen sind unterschiedlich, aber alle taugen sicherlich, um den Beethoven kennen zu lernen.

Manchmal sind die Unterschiede trotzdem extrem. An Beethovens Missa Solemnis etwa werde ich erst durch den Zinman herangeführt. Da sind aber die Tempounterschiede für mein Gefühl extrem: So ungefähr 85 Minuten bei Giulini und Davis, aber knapp 66 Minuten bei Zinman. Das macht schlicht einen gewaltigen Unterschied.

Gruß Martin
Kreisler_jun.
Inventar
#30 erstellt: 30. Aug 2011, 21:46

Hörbert schrieb:


@flutedevoix
Na, ich weiß nicht, Musik die mich nicht anspricht kann ich auch in einer besseren Interpretation nichts abgewinnen, während Musik die ohnehin meinem Geschmack entprich zwar durch eine -für mich-, schlechte Interpretation leiden kann aber nie ganz uninteressant wird.

Im Grunde haben wir doch alle eine ganz bestimmte, -inviduell verschiedene-, Erwartungshaltung der Musik gegenüber. We z.B. Händel gar nicht mag wird auch nicht durch eine großartige Interpretation zum Händel-Liebhaber, ganz im Gegenteil kann es da eher passieren das sich seine Abneigung noch verstärkt da es für ihn jetz erst recht "Händelt".


Händel ist ein Musterbeispiel für das, was FlutedeVoix meint. Es geht zum einen weniger um eine "absolut" bessere Interpretation als um unterschiedliche Zugänge. Wem eine Messiah-Aufnahme mit 500 Chorsängern zu bombastisch ist, der kann an einer schlankeren HIPpen durchaus Gefallen finden und umgekehrt. Aber selbst im Rahmen der heutigen meist historischen Praxis reicht die Spannweite von exaltiert-dramatischen zu geradlinig-nüchternen Lesarten usw. Dazu kommt, gerade bei den Opern, das Besetzungsproblem, dass die männlichen Altisten oft nicht gut genug sind, es aber auch nicht allzuviele Frauenstimmen gibt, die guten Kastratenersatz bieten. Dazu kommt das Problem der Verzierungen usw.
Und dass Händels Opern noch bis vor 20 Jahren verbreitet als langweilige Abfolgen von standardisierten Dacapo-Arien galten, heute aber zumindest einige davon Publikumslieblinge geworden sind, dürfte auch mit den Interpretationen zusammenhängen. Es geht also nicht darum, dass eine "bessere" Interpretation dasselbe stärker herausbringt, was auch schon in der schwächeren da war. Sondern dass Dramatik und Emotionalität überhaupt erst deutlich werden, während es vorher als langweiliges Gedudel oder hohler Bombast erschienen ist.

Andererseits gibt es fraglos Musik die weniger interpretationsabhängig ist und es ist außerdem heute keineswegs ausgemacht, dass preiswerte Aufnahmen schlechter sein müssen. Für das meiste von Bach, Beethoven, Brahms usw. gibt es m.E. sehr viele sowohl sehr gute als auch preiswerte Einspielungen. Ich selbst habe nicht wenige Werke in Einspielungen kennengelernt, die ich heute als eher durchschnittlich, jedenfalls nicht besonders großartig bezeichnen würde und sie haben mir trotzdem gefallen. Ich kenne aber auch einige Fälle, bei denen eine bestimmte Interpretation den Zugang eher erschwerte.

Ich glaube nicht, dass ich hier jemals wen zu überteuerten Anschaffungen überredet habe, weil ich normalerweise die Aufnahme nicht so wichtig finde.

Allerdings habe ich bei Haydns Quartetten tatsächlich von den billigsten Reihen mit dem Kodaly bzw. Buchbinder-Quartett eher abgeraten. U.a. weil mich eine Kodaly-CD hier auch mal ziemlich gelangweilt hat. Kammer- oder Klaviermusik von Haydn, Mozart u.a. hat eben nicht die "Oberflächenreize" wie großbesetzte Orchester- oder romantische Klavierwerke. Da ist ziemlich naheliegend, dass sich manche Hörer, besonders wenn sie letzteres gewöhnt sind, hier erstmal schwer tun. Das ist zwar nicht direkt interpretationsabhängig, aber während eine solide, biedere Interpretation einer Bruckner-Sinfonie dennoch oft schlicht klanglich überwältigen kann, geht das bei einem Haydn-Quartett eben nicht so einfach.
Kaddel64
Hat sich gelöscht
#31 erstellt: 30. Aug 2011, 22:07

Martin2 schrieb:

Und auch den durchaus öfters vorhandenen Tendenzen, Musik als schlecht zu bezeichnen, weil man sie nicht mag,

also auch mich stimmt diese Aussage nachdenklich, auch etwa in Bezug auf Interpretationen. Ich finde es gerade das Erfrischende an einem Forum, wenn man es auch mal wagt, an Denkmälern zu rütteln.

Dieses Forum war in dieser Hinsicht nie besonders zimperlich und das finde ich auch gut so. Ich habe nie besondere Hemmungen gehabt, selbst die Wiener Klassiker anzugreifen, wenn mir ein bestimmtes Stück nicht gefiel. Sehr oft änderte sich das allerdings dann auch wieder.

Was genau ist mit dem "nicht mögen" denn gemeint? Manche Musik erscheint mir gut und ich mag sie. Manche Musik erscheint mir auch gut und ich mag sie trotzdem nicht sonderlich. Es gibt auch Musik, die empfinde ich als nicht so gut und ich mag sie trotzdem.

Grundsätzlich ist es aber so: Wenn einem Musik nicht als so gut erscheint, dann sollte man das auch sagen dürfen. Dafür gibt es hier sehr viele Beispiele. Das einzige, was mich gelegentlich ärgert, sind Aussagen von Leuten, die eine bestimmte Musik nicht mal kennen und sie trotzdem abwerten.

Selbstverständlich soll und muss es möglich sein, seine Abneigung gegen bestimmte Musik kund tun zu dürfen, gerne auch in provozierender Form. Was mir aber zunehmend den Umgang in diesem Forum erschwert, ist die aus meiner Sicht unerträgliche Schlussfolgerung, die manch einer aus seiner Abneigung zieht, etwa: "Ich habe in die CD mal reingehört, kann mit der Musik absolut nichts anfangen -- also kann sie nichts taugen, also ist der Komponist vernachlässigbar, ein 'Kleinmeister', den ich nicht näher kennen lernen muss...!" Ich vermute, auf derartige Äußerungen, die hier so oder ähnlich immer wieder fallen, bezog sich flutedevoix, und das würde ich unterstützen. Mit welchem Recht maßt man sich ein solch polemisches, vernichtendes Urteil über die Kunst eines Anderen an? Das eine sind persönliche Geschmacksäußerungen, das andere Werturteile, derer man sich auch mit 30 Jahren Hörerfahrung besser enthalten sollte, weil sie einfach nicht wahr sind. Statt dessen werde ich damit leben müssen, dass es geniale Künstler gibt, deren Werk ich momentan nicht verstehe und, wer weiß, zu dem ich vielleicht nie einen Zugang finden werde. Na und? Es gibt soviel Musik, die mich begeistern kann, das soll wohl für ein Menschenleben reichen.

Hörbert schrieb:
Na, ich weiß nicht, Musik die mich nicht anspricht, kann ich auch in einer besseren Interpretation nichts abgewinnen, während Musik die ohnehin meinem Geschmack entpricht zwar durch eine -für mich-, schlechte Interpretation leiden kann aber nie ganz uninteressant wird.

Eine Garantie gibt es sicher nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass mir eine bisher unbekannte Musik beim ersten Hören gefällt, nimmt mit dem Grad der Professionalität der Aufführung (Spieltechnik, Inspiration, Interpretation, musikwissenschaftlicher Hintergrund des Musikers...) zu. Umgekehrt kann es sein, dass durch eine nicht optimale Aufführung die Musik eines Komponisten quasi verschleiert wird, sich ihre wahre Schönheit nicht zeigen kann. Wenn ich den Zusammenhang nicht erkenne und mich nicht bemühe unter besseren Bedingungen diese Musik nochmals zu erleben, werde ich unter Umständen nie einen Zugang finden. Nicht zuletzt deswegen sind einige hier stets auf der Jagd nach der vermeintlich "besten Interpretation", das macht einen Teil des Reizes unserer Leidenschaft aus.

Just my 2 cents.
Martin2
Inventar
#32 erstellt: 30. Aug 2011, 22:21
Hallo Kaddel,

nun gut, ich weiß es nicht.


Mit welchem Recht maßt man sich ein solch polemisches, vernichtendes Urteil über die Kunst eines Anderen an?


Ich denke, man darf sich Urteile anmaßen, sogar vernichtende, das ist das gute Recht eines jeden hier. Mich ärgern offen gesagt ganz andere Dinge. Mich ärgert zum Beispiel, daß über Jean Sibelius nur innerhalb der Überschrift "Jean Sibelius - ein fünftklassiger Komponist? ( Leibowitz)" diskutiert werden darf. Ich hatte die Moderation gebeten, den Threadtitel zu ändern. Ohne Erfolg. Dann sagte ich: Dann mache ich einen neuen Thread über Sibelius auf. Das wurde mir nicht gestattet.

Man kann also davon ausgehen, daß die Diskussion über Sibelius bis auf unabsehbare Zeit über die Frage gehen wird, ob Sibelius ein fünftklassiger Komponist ist. Und das ärgert mich weit mehr, als die Polemik eines einzelnen, die ist mir egal. Es hat auch dazu geführt, daß ich mit dem Capriccioforum inzwischen mehr als nur liebäugele.

Gruß Martin
flutedevoix
Stammgast
#33 erstellt: 30. Aug 2011, 23:49
Hallo Kadell,


: "Ich habe in die CD mal reingehört, kann mit der Musik absolut nichts anfangen -- also kann sie nichts taugen, also ist der Komponist vernachlässigbar, ein 'Kleinmeister', den ich nicht näher kennen lernen muss...!" Ich vermute, auf derartige Äußerungen, die hier so oder ähnlich immer wieder fallen, bezog sich flutedevoix, und das würde ich unterstützen.


Genau das ist es, was ich meine. Nur daß dieser "Kleinmeister" auch mal Haydn oder so heißt. Überhaupt gehört das Wort "Kleinmeister" zu den Top 10 auf meiner persönlichen Liste der Unwörter im Musikbereich.


Hörbert schrieb:

Na, ich weiß nicht, Musik die mich nicht anspricht kann ich auch in einer besseren Interpretation nichts abgewinnen, während Musik die ohnehin meinem Geschmack entprich zwar durch eine -für mich-, schlechte Interpretation leiden kann aber nie ganz uninteressant wird.


Das mag ich für Dich so sein. Ich kenne hunderte Gegenbeispiele, mir selber ging es auch schon so.
Bestes Beispiel war die h-Moll-Messe von Bach, die ich in einer Aufnahme mit Karajan kennenlernte. Ich fand die Musik völlig langweilig, uninteressant. Ich kannte andere Werke von Bach, ich kannte die Meinung geschätzter Musiker über Bachs h-Moll-Messe, daher wollte ich meine Meinung über dieses Werk noch einmal überprüfen. Ich kaufte mir die Partitur, Studierte sie mit meinen damals noch nicht besonders ausgeprägten Musikkenntnisse. Ich lieh mir Sekundärliteratur, las mich ein. Dann lieh ich mir fünf verschiedene Aufnahmen und hörte die Musik, und siehe da, ich fand Bachs h-Moll-Messe in diesen Aufnahmen sehr unterschiedlich interessant. Ich stellte mir die Frage, woran das liegt. Da sich die Noten nicht änderten (oder nicht so wesentlich) konnte es schlicht und ergreifend nur an der Interpretation liegen!
Diese Erfahrung machte ich so oder so ähnlich noch häufiger, das letzte Mal letztes Jahr, als ich im Radio Haydns Tageszeiten-Sinfonien hörte. Natürlich kannte ich die Werke, sogar die ziemlich gut, aber die Aufnahme war schlicht und ergreifend langweilig, wurde der Musik nicht gerecht. Auch hier lag es an der Interpretation


Lieber Martin,


Mit welchem Recht maßt man sich ein solch polemisches, vernichtendes Urteil über die Kunst eines Anderen an?


Ich denke, man darf sich Urteile anmaßen, sogar vernichtende, das ist das gute Recht eines jeden hier.


Nein, man darf sich ein Urteil niemals anmaßen. Man darf ein kritisches Urteil äußern, auch ein vernichtendes, wenn man es begründen kann. Es hat einfach eine andere Qualität, ob man sagt, mir gefällt die Musik eines Komponisten nicht oder ob man sagt, der Komponist sei schlecht. Wenn man der Meinung ist, der Komponist oder ein Werk sei schlecht, dann muß man das begründen und dies halte ich gelinde gesagt für sehr schwierig! Bei Interpretationen ist das schon einfacher, aber auch hier gilt: anmaßen ist falsch, begründen ist richtig!


[Beitrag von flutedevoix am 31. Aug 2011, 00:17 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#34 erstellt: 31. Aug 2011, 00:09

flutedevoix schrieb:
Überhaupt gehört das Wort "Kleinmeister" zu den Top 10 auf meiner persönlichen Liste der Unwörter im Musikbereich.


Wieso? Das arme kleine Wörtchen "Kleinmeister" kann doch gar nichts dafür. Das Problem ist nur: Die Leutchen kennen Beethoven Schumann Brahms. Und alles, was da herum scharwenzelt ist dann eben ein "Kleinmeister". Und genau da gehen eben die Maßstäbe verloren.

Also zum Beispiel in der Golden Age of the Romantic Piano Concerto Box. Meine Güte, der große Chopin hat sein 1. Klavierkonzert eben diesem Kalkbrenner gewidmet. Der Liszt dem Litolff. Der Schumann dem Hiller.

Dies drückt aber eine unbedingte Wertschätzung für bestimmte Komponisten aus. Die ich auch nur zu berechtigt finde, besonders im Falle Kalkbrenner und Litolff.

Der Begriff "Kleinmeister" im unscharfen Sinne ebnet aber wirklich alles ein. Und dann ist das so ein Weltbild, wo oben im Olymp die Götter wandeln. Und da wo die Götter nicht wandeln, da kriechen eben die Sterblichen. Und das sind dann eben die "Kleinmeister". Dabei sage ich mal: Die echten wirklichen Kleinmeister vergangener Zeiten, die sind vergessen und das ist auch berechtigt. Dagegen die Komponisten, die irgendwie in Vergessenheit gerieten, wo sich bestimmte Menschen doch immer wieder enthusiastisch dafür einsetzen - das sind oft sehr interessante Leute und beileibe keine Kleinmeister.

Gruß Martin
flutedevoix
Stammgast
#35 erstellt: 31. Aug 2011, 00:21

Der Begriff "Kleinmeister" im unscharfen Sinne ebnet aber wirklich alles ein. Und dann ist das so ein Weltbild, wo oben im Olymp die Götter wandeln. Und da wo die Götter nicht wandeln, da kriechen eben die Sterblichen. Und das sind dann eben die "Kleinmeister". Dabei sage ich mal: Die echten wirklichen Kleinmeister vergangener Zeiten, die sind vergessen und das ist auch berechtigt. Dagegen die Komponisten, die irgendwie in Vergessenheit gerieten, wo sich bestimmte Menschen doch immer wieder enthusiastisch dafür einsetzen - das sind oft sehr interessante Leute und beileibe keine Kleinmeister.


Na ja, aber wo zieht man die Grenze und wer zieht die Grenze?
Ist jemand der zu seiner Zeit eine große Berühmtheit war, der mit seinen Werken Viel Menschen erreichte ein Kleinmeister, nur weil er heute vergessen ist?
Warum wurde er vergessen?
Martin2
Inventar
#36 erstellt: 31. Aug 2011, 01:09
Hallo Flutedevoix,

bezüglich der von Dir angesprochenen Ignoranz finde ich halt Anekdoten so phantastisch:

1. Anekdote

Der Zöllner zu Joseph Haydn:

"Was sind sie von Beruf?"

"Ich bin Tonsetzer."

"Sie arbeiten mit Ton?"

"Ja, ich bin Töpfer."

2. Anekdote

Musikliebhaber, angesichts des offensichtlich phantastischen Klavierspiels von Clara Schumann gerichtet an ihren Ehemann Robert Schumann:

"Sind sie auch musikalisch?"

Eine dritte Anekdote habe ich nicht, aber ich denke, wir müssen uns nun mal damit abfinden, daß Joseph Haydn Töpfer und Robert Schumann "auch musikalisch" ist.

Und ansonsten müssen wir uns damit abfinden, daß die Leute eine unangenehm irgendwie herausragende Person erst dann leben lassen, wenn sie tot ist und dann auch nur eventuell. Diese Neidkomplexe müssen wir immer berücksichtigen und ich glaube, es sind genau diese Neidkomplexe, daß man eine Person, die es in den Olymp der Ewigen geschafft hat, grenzenlos bewundert, um dann eine andere Person, die es in diesen Olymp nicht ganz geschafft hat, ebenso sinnlos gering zu schätzen.

Mit dem Threadthema hat das zwar nicht ganz so mehr etwas zu tun - aber Scheiß drauf.

Gruß Martin
Schnuckiputz
Stammgast
#37 erstellt: 31. Aug 2011, 07:22

flutedevoix schrieb:

... man darf sich ein Urteil niemals anmaßen. Man darf ein kritisches Urteil äußern, auch ein vernichtendes, wenn man es begründen kann. Es hat einfach eine andere Qualität, ob man sagt, mir gefällt die Musik eines Komponisten nicht oder ob man sagt, der Komponist sei schlecht. Wenn man der Meinung ist, der Komponist oder ein Werk sei schlecht, dann muß man das begründen und dies halte ich gelinde gesagt für sehr schwierig! Bei Interpretationen ist das schon einfacher, aber auch hier gilt: anmaßen ist falsch, begründen ist richtig!


Genau das ist der Punkt, und der ist nicht nur im Bereich der Musikritik maßgebend, sondern allgemein in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Es ist halt ein Unterschied, ob ich zu jemandem sage: "Du bist ein Charakterschwein" oder ob ich sage: "Mir gefällt Deine Art nicht, wie Du mit Menschen umgehst."

Oder eben: "Der XY war/ist ein lausiger Komponist" oder: "Die Musik von XY spricht mich nicht an" oder: "Die Musik von XY ist völlig nichtsagend" oder" Diese Musik ist mir im künstlerischen Ausdruck zu schwach, mich langweilt sie irgendwie nur."

Der Unterschied ist, daß ich in der jeweils ersten Aussage eine Tatsache behaupte und in der jeweils zweiten nur meine persönliche Meinung äußere. Bei Tatsachenbehauptungen bin ich meinem Gegenüber bzw. der kritisierten Person eine Begründung schuldig. Meine Meinung hingegen muß ich nicht unbedingt begründen, da es ja um persönliche Gefühle geht, die eine bestimmte Musik in mir erzeugt. Das ist eben so und muß nicht unbedingt argumentativ untermauert werden.

Tatsachen sollten in der Musik nur jene vorbringen, die auch etwas davon verstehen und entsprechende Argumente zu bieten haben. Seine Meinung über eine bestimmte Musik kann und soll hingegen jeder äußern, der sie hört. Denn was einem persönlich gefällt oder nicht, ist immer eine sehr subjektive Seite. Da mag z.B. jemandem ein schwungvoller Wiener Walzer besser gefallen als eine kunstvolle Fuge von Bach. Oder eine kurze italienische Oper mit einfacher Handlung und Menschen aus Fleisch und Blut besser als ein mystisches deutsches Mammutwerk von Wagner mitsamt Göttern und Halbgöttern, Zwergen, Rheintöchtern oder Schwanenrittern.

D.h., solange ich mit meiner Meinungsäußerung den Gegenstand der Betrachtung nicht abqualifiziere oder umgekehrt in den Himmel lobe, verletze ich auch niemanden und kann problemlos kontrovers diskutieren. Problematisch wird es erst, wenn ich behaupte, diese oder jene Interpretation taugt nichts oder dieser oder jener Komponist ist allenfalls zweitrangig. Das sollte ich dann auch objektiv begründen können.
Martin2
Inventar
#38 erstellt: 31. Aug 2011, 15:50
Erstaunlich, wohin sich diese Diskussion entwickelt. Daß man ein negatives oder positives Werturteil "objektiv begründen" muß, sehe ich ganz anders. Außerdem sehe ich nicht so ganz, wie eine solche "objektive Begründung" aussehen soll.

Ich habe dies in diesem Forum sicher mehr als einmal gesagt: Die größten musikalischen Genies und die größten ausgewiesensten Experten sind in der Musikgeschichte zu den größten Fehlurteilen gekommen. All das wieder aufzuführen - Hanslick Bruckner Tschaikovski Brahms und so weiter, fände ich langweilig. Die Tatsache bleibt bestehen, daß selbst das unbedarfteste Gemüt sich einer Musik öffnen kann und diese verstehen, und selbst das größte Genie sich dieser verschließen, oder möglicherweise auch mißverstehen.

Was der "musikalische Sachverstand" an einer Musik erkennen kann, ist bestenfalls, daß sie "gut gemacht" ist oder "schlecht gemacht" ist - aber was sagt das schon.

Sicher bin ich mit "musikalischen Werturteilen" auch eher vorsichtig, allerdings nicht immer. Und ob das jemanden "verletzt" ist mir wurscht. Ein Forum ist nicht bloß zum Austausch von Höflichkeiten da. Die Unbefangenheit des Urteils war immer eines der großen Stärken dieses Forums und diese Unbefangenheit lasse ich mir auch nicht nehmen.

Und ich schreibe in diesem Forum seit 7 Jahren oder so und ich bin schon der Meinung, daß ich es überhaupt nicht einsehe, warum ich mich als altes Forumsmitglied neuen Mitgliedern anpassen soll, auch wenn sie die Berliner Philharmoniker dirigieren oder möglicherweise streng wissenschaftlich erwiesen die Wiedergeburt von Ludwig van Beethoven darstellen.

Übrigens: Das merkwürdige an Werturteilen ist ja sowieso, daß sie umso fürchterlicher erscheinen, je belangloser sie eigentlich sind. Also ich denke an einer großen deutschen Eiche oder meinetwegen auch einer finnischen Birke darf ein Hund für mein Gefühl gerne mal seine Durftmarke hinterlassen. Also wenn jemand die Sinfonien Beethovens als die schlechteste Musik aller Zeiten bezeichnet, sind das Dinge, die einfach mal gesagt werden müssen, wo, wenn nicht hier? Gerade da verletzt zu sein, ist über die Maßen albern. Beethoven kann sich bitteschön auch posthum noch kräftig wehren. Kalkbrenner dagegen kann sich vermutlich kaum noch wehren, weder posthum noch sonstwie. Wenn ich zum Beispiel vermutlich der einzige in diesem Forum bin, der sich diese CD mit Soloklaviermusik von Kalkbrenner gekauft hat, dann kann ich vermutlich ohne alle Hemmungen Kalkbrenner hoch loben oder niedermachen. Und das ist mit Verlaub eigentlich schlimmer als die Herabsetzung von Beethovens Sinfonien als die schlechteste Musik aller Zeiten. Und da werde ich dann irgendwie auch ironisch und sage: Wie kann man dieses göttliche Genie Kalkbrenner in irgendeiner Weise nur tangieren, das berührt meine heiligsten Gefühle, aber wenn man denn mal über solche fünftklassigen Komponisten wie Bach, Mozart oder Beethoven was negatives sagt, also das tangiert mich nur periphär.

Außerdem wollte ich es immer schon mal loswerden, daß ich den Pianisten Martin Galling für den größten Pianisten aller Zeiten halte, während es mir stets rätselhaft bleiben wird, was irgendwelche Leute an diesem Klavierstümper Sviatoslav Richter finden. Hat sich Sviatoslav Richter hochgeschlafen?

Gruß Martin
flutedevoix
Stammgast
#39 erstellt: 31. Aug 2011, 16:56
Lieber Martin,

Soll deinen letzten Beitrag irgendjemand ernst nehmen?

Oder darf ich jetzt daraus schließen, daß ich Dir an den Kopf werfen darf, was ich will, es ist erlaubt, weil es ja dich als eine deutsche Eiche nicht stört?

Oder dürfte ich dich fragen, ob du dich hochg... hast, damit du als alter Hase solches schreiben darfst und allen und jeden wahllos beleidigen darfst?

Aber der Tatbestand der üblen Nachrede, der Verleumdung und der Beleidigung ist ja sicher ein Versehen im deutschen Gesetzbuch.
Ah, und zudem ist das Forum ja keine Öffentlichkeit.

Angesichts Deines Beitrages bleibt mir nur noch kopfschüttelnde Resignation!


[Beitrag von flutedevoix am 31. Aug 2011, 17:02 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#40 erstellt: 31. Aug 2011, 17:13
Hallo,

Aber der Tatbestand der üblen Nachrede, der Verleumdung und der beleidigung ist ja sicher ein Versehen im deutschen Gesetzbuch.
Ah, und zudem ist das Forum ja keine Öffentlichkeit.

Na, jetzt kommt mal wieder runter.
Ein bißchen Provokation darf schon sein (und nichts anderes macht der Martin ;)).
Wie ich es überblicke, wurde hier aber niemand persönlich beleidigt.

Grüße
Frank
Schnuckiputz
Stammgast
#41 erstellt: 31. Aug 2011, 17:55

Hüb' schrieb:

Wie ich es überblicke, wurde hier aber niemand persönlich beleidigt.


Na, wenn folgendes keine Beleidigung ist, weiß ich nicht, was denn eine Beleidigung sonst sein soll:

"...während es mir stets rätselhaft bleiben wird, was irgendwelche Leute an diesem Klavierstümper Sviatoslav Richter finden. Hat sich Sviatoslav Richter hochgeschlafen?"

Allerdings muß in der Regel nur derjenige zu solchen "Stilmitteln" greifen, dem in der Sache schlicht die Argumente fehlen. Dann schießt man eben mal eben eine verbale Breitseite ab, um davon abzulenken und einen "Nebenkriegsschauplatz" zu eröffnen. Aus meiner Sicht weder zielführend noch beeindruckend, jedenfalls nicht im positiven Sinne.
Hüb'
Moderator
#42 erstellt: 31. Aug 2011, 18:01

"...während es mir stets rätselhaft bleiben wird, was irgendwelche Leute an diesem Klavierstümper Sviatoslav Richter finden. Hat sich Sviatoslav Richter hochgeschlafen?"

Allenfalls an SR adressiert, aber schwerlich an einen Nutzer dieses Forums gerichtet (und vorwiegend das ist mit Blick auf ein moderatives Eingreifen relevant!).

Es ist eine reine Provokation, die ob ihrer klaren und maßlosen Übertreibung doch sehr einfach als solche zu erkennen sein sollte.

Zumindest würde ich euch das mal unverblümt zutrauen.
Sach ich ma so...

Allerdings muß in der Regel nur derjenige zu solchen "Stilmitteln" greifen, dem in der Sache schlicht die Argumente fehlen. Dann schießt man eben mal eben eine verbale Breitseite ab, um davon abzulenken und einen "Nebenkriegsschauplatz" zu eröffnen. Aus meiner Sicht weder zielführend noch beeindruckend, jedenfalls nicht im positiven Sinne.

Womit wir (IHR !) wieder beim Sachthema seid.

Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 01. Sep 2011, 07:31 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#43 erstellt: 31. Aug 2011, 18:12
Hallo!

@Schnuckiputz

Na komm, lass die Kirche mal im Dorf, das was Martin2 da geschieben hat sollte man im Zusammenhang des Treads sehen, es ist bloß eine Persiflage dessen was einige Verfechter der "besseren" Interpretationen in umgedrehter und natürlich weniger drastischer Form zuweilen in den Raum stellen.

MFG Günther


[Beitrag von Hörbert am 31. Aug 2011, 18:13 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#44 erstellt: 31. Aug 2011, 18:42
Hallo Flutedevoix,

was für eine komische Frage. Ich spreche selbst in meinem letzten Beitrag von der Ironie der Äußerungen. Jetzt erwarte ich nur noch die Frage, was genau ist und wie definierst Du Ironie?

Wie auch immer, Unbefangenheit in diesem Forum ist mir sehr wichtig. Ich weiß ja nicht, was Dich hier her treibt, aber vielleicht wirst Du diese "Unbefangenheit des Urteils" in diesem Forum mal sehr zu schätzen wissen. Ich möchte einfach, daß dies in diesem Forum nicht verloren geht. Weil es mir kostbar ist. Wenn etwa Ralph ( Wilke) das Kalkbrenner Konzert über die von Beethoven stellt, dann verblüfft mich das schon, aber ich sage: Toll, das ist ein Urteil. Ob es gerechtfertigt ist, weiß ich ja nicht, aber es ist ein Urteil als Begeisterungsbekundung, das erst mal als solches seinen Wert hat.

Gerade wenn dann die "Objektivität" des Urteils angemahnt wird, so stellt sich mir wieder die Frage, ist nicht gerade diese sogenannte Objektivität immer auch wieder eine angelesene? Genau diese "Angelesenheit" interessiert mich nun am allerwenigsten. Die Leute gucken in ihren Reklam Konzertführer und sehen da, daß das 5. Klavierkonzert von Beethoven in der Besprechung einige Seiten einnimmt und durchaus positiv besprochen wird und dann sagen sie: Das 5. klavierkonzert von Beethoven ist toll. Ja - gut - aber wenn ich die Geltung von bestimmten Werken wissen will, dann kann ich meine Konzertführer oder dergleichen selber lesen. Dazu brauche ich beim besten Willen kein Forum.

Gerade dies verwunderte mich ehrlich gesagt. Ehrlich und durchaus unironisch gesagt, gerade das "objektivste" Urteil ist gerade das am wenigsten objektive. Objektivität für mich beinhaltet eben gerade auch das "Unbeeinflußte". Gerade wenn jemand gar nichts kennt, gar nichts weiß, wenn man ihn nahezu als "Wilden" ansprechen kann, ist sein Urteil gerade darum in gewisser Hinsicht das objektivste, weil eben unbeeinflußteste.

Das ist genau das, was ich an diesem Forum so liebe. Es geht in diesem Forum - ich erinnere Dich daran noch mal - um Verstärker, Boxen, CD Player und Lautsprecherkabel und diesen Fokus dieses Forums finde ich prima.

Hier frage ich Dich mal ganz gezielt: Was willst Du eigentlich? Dieses Forum ist ja eher was für die Wilden und Halbwilden wie mich. Genau das ist aber gerade das Problem. Gehe in eine "kultivierteres" Forum und spreche sie auf Kalkbrenner an. Dann sagen die: Heinrich Heine sagte schon Achzehnhundertschießmichtot und abgesehen davon sagt schon Robert Schumann Achzehnhundertweißnichtmehrwann folgendes. Genau das willst Du doch eigentlich nicht. Gerade diese Unbefangenheit, schätze ich mal, bei Kalkbrenner nicht gleich mit angelesenen Zitaten von Schumann und Heine zu kommen, müßte Dir doch eigentlich gut gefallen. Gerade weil ich Dich als Liebhaber auch entlegenen Repertoires kenne, kann es für Dich doch nichts schöneres geben, als Leute, die sich Gedanken über ihre Lautsprecherkabel machen, aber sich ansonsten einfach mal völlig unbefangen irgendwelche Sachen anzuhören ohne dabei an Heine oder Schumann zu denken.

In dieser Hinsicht versuche ich nochmal, Dich wirklich für dieses Forum zu gewinnen, in dem Sinne jener Hifiverrückten Unbefangenheit, die einfach offen ist für alles und jenes, die vielleicht auch mal sagt: "Beethovens Pastorale - so einen Schrott höre ich mir nie wieder an.", die aber dann auch vielleicht auch mal einfach auch offen ist für bestimmte Sachen, die Dir vielleicht am Herzen liegen, wo ach so Gebildtete dann möglicherweise schon die Rollläden runter lassen.

Gruß Martin

P.S. Inwiefern ich hier wie wen beleidigt habe, überlasse bitteschön der Moderation. Die Sache mit Sviatoslav Richter, den ich an sich sehr schätze, ist doch nun der reinste Ulk. Nur, was ich eben gerade nicht schätze, sind heilige Kühe. Warum kann man denn bitteschön nicht einfach mal jemand einfach nur schätzen, ohne ihn im geringsten zur heiligen Kuh zu machen.

Ich stelle nur immer wieder fest, daß dieses Forum zur ordinären Kultiviertheit verkommt, in welcher Hinsicht es dann auch wirklich von keinem anderen unterscheidet. Der Grund, warum ich hier aber immer noch schreibe, ist dieser Unterschied. Unterscheidet es sich allerdings nicht mehr, dann allerdings gibt es interessantere, vielschichtigere und vor allem auch größere Foren, in denen ich auf solche Empfindlichkeiten dann auch Rücksicht nehme, weil ich sie eh kenne.

Das ist doch nun wirklich zu albern, manche der Argumentationen erinnern mich an Feridun Zeymoglu und seine Haltung zum Koran. Ja, wenn es um Allah geht, da hört der Spaß auf, wie Zeymoglu sagt. Musik dagegen empfinde ich als etwas so albernes und kindisches, daß da der Spaß zum Glück niemals aufhört. Gott oder Allah sei Dank.
BeastyBoy
Inventar
#45 erstellt: 31. Aug 2011, 18:57
gut geschrieben, Martin !
flutedevoix
Stammgast
#46 erstellt: 31. Aug 2011, 19:34
Lieber Hörbert

Hallo!

@Schnuckiputz

Na komm, lass die Kirche mal im Dorf, das was Martin2 da geschieben hat sollte man im Zusammenhang des Treads sehen, es ist bloß eine Persiflage dessen was einige Verfechter der "besseren" Interpretationen in umgedrehter und natürlich weniger drastischer Form zuweilen in den Raum stellen.

MFG Günther Hallo!

@Schnuckiputz

Na komm, lass die Kirche mal im Dorf, das was Martin2 da geschieben hat sollte man im Zusammenhang des Treads sehen, es ist bloß eine Persiflage dessen was einige Verfechter der "besseren" Interpretationen in umgedrehter und natürlich weniger drastischer Form zuweilen in den Raum stellen.

MFG Günther


Ich bin nun einer derjenigen, die offen dafür eintreten, daß es eine bessere und schlechtere Interpretation gibt, daß es kein "erlaubt ist, was gefâllt" gibt. In den annähernd zwei Jahren, in denen ich hier aktiv bin, habe ich hier noch immer argumentiert, warum ich eine Interpretation für besser oder schlechter halte. Zudem kann ich mich hier auch keine entsprechenden Postings anderer in dieser Zeit erinnern.
Vielleicht sollten wir ja mal die stecken gebliebenen Threads zur Auffürungspraxis oder Interpretation weiterführen, sie sind jedenfalls nicht stecken geblieben, weil ich provokativen Unsinn gepostet habe.
flutedevoix
Stammgast
#47 erstellt: 31. Aug 2011, 19:47
Lieber Martin,
Auf deinen Beitrag werde ich auch noch antworten. Allerdings in Ruhe und nicht hier auf der Autobahn im Stau
Hörbert
Inventar
#48 erstellt: 31. Aug 2011, 20:33
Hallo!

@flutedevoix

Wieso fühlst du dich denn eigentlich angesprochen.

Soll ich mich jetzt dadurch auch angesprochen fühlen?


Vielleicht sollten wir ja mal die stecken gebliebenen Threads zur Auffürungspraxis oder Interpretation weiterführen, sie sind jedenfalls nicht stecken geblieben, weil ich provokativen Unsinn gepostet habe.


Wenn ja kannst du gern eine entsprechende Antwort erhalten.

MFG Günther
Joachim49
Inventar
#49 erstellt: 31. Aug 2011, 22:30
Subjektiv/objektiv: es gibt Beiträge, da erfahre ich etwas über den Komponisten oder die Komposition und ihre Interpretation, und es gibt Beiträge, da erfahre ich vor allem etwas über den Autor des Beitrags. Meinetwegen soll für beides hier Raum sein. Selbst würde ich dafür plädieren, die Frage ob eine Komposition bedeutend ist oder ob sie mir gefällt auseinanderzuhalten. Mir gefällt z.B. Liszts Faustsinfonie im Sinne eines subjektiven Wohlgefallens bis heute nicht. Trotzdem habe ich hier gelernt, ihre Bedeutung, oder ihren kompositorischen Stellenwert höher einzuschätzen als früher. Gewiss ist es richtig, dass die Wertschätzung von Komponisten durch die Zeiten hindurch schwankt (Händels Opern sind vielleicht ein geeignetes Beispiel). Wer Alfred Einsteins Büchlein "Grösse in der Musik" gelesen hat, wird sich über das 'Haltbarkeitsdatum' von Wertschätzung wundern (die Gipsköpfe in den Opernhäusern geben davon Auskunft). Insofern mag es keine zeitlose Objektivität geben. Daraus folgt aber nicht, dass die Urteile völlig subjektiv sind, und dass jemand, der Carl Friedrich Abel (so hiess er glaube ich) über Bach stellt, genau so im Recht ist, wie der, der das umgekehrte tut. Der Umstand, das einem etwas gefällt, sagt über das, was gefällt, recht wenig. Sonst kämen wir noch zu dem Schluss, dass die vom deutschen Fernsehen so geliebte Volksmusik ein ebenso wichtiger Beitrag zur europäischen Kultur ist, wie die Musik Monteverdis, Bachs, Haydns oder Schönbergs. Das Plädoyer für den rein subjektiven Geschmack und die Behauptung der Unmöglichkeit etwas in Sachen des musikalischen Urteils begründen zu können, läuft letzten Endes auf einen radikalen Relativismus hinaus, der nichts anderes zulässt als zwei mögliche Urteile: x gefällt mir (nicht), wobei das eine ebenso legitim ist wie das andere. Unser Forum beweist, dass es nicht ganz so schlimm ist.
Thomas133
Hat sich gelöscht
#50 erstellt: 01. Sep 2011, 00:11
Hallo Joachim,
stimme dir zu und so wollte ich auch meine Beiträge verstanden wissen - denke sie wurden auch von den Meisten (?) so verstanden unglücklicherweise hat sich ja dann Martin aufgrund meines Beitrages ähm, sagen wir mal "inspiriert" gefühlt. Denke auch da sollte man Eins vom Anderen trennen, was das subjektive Geschmacksurteil anbelangt würde ich Martins Meinungsfreiheit voll zustimmen, da wärs sicher auch nicht von Nachteil wenn man es zum. gefühlsmässig umschreiben könnte warum man mit der Musik nichts anfangen kann (macht es interessanter und evtl. nachvollziehbarer)
Aber an der Komposition selber Kritik zu üben macht es schon schwieriger da ich auch finde das hier ein gewisses Fachwissen vonnöten wäre weil man ja schliesslich hier nicht mehr auf der emotionalen Ebene bleibt sondern schon die kompositorische Struktur/Aufbau/Satztechnik/Instrumentation oder was auch immer darin kritisiert und man das dann schon zum. benennen sollte was einem hier konkret missfällt weil man ja dann auch vorgibt in diesem Bereich scheinbar konkrete Kritikpunkte zu haben.(auch wenn man es zu erahnen meint aber nicht genau bennen könnte hilft das leider auch nicht weiter als das noch tiefergehender auszuloten aber anzudeuten wäre zum. auf jeden Fall schon besser als nur mal schnell einen Kraftausdruck in den Raum zu werfen)
Und gebe dir da auch recht, ich kenne auch einige Werke die mich emotional ansprechen können aber sie nicht so sehr für kompositorisch kunstvoll halte wie einige andere Werke und genauso gut umgekehrt. Ich glaube zB das die 12-Ton-Musik eine unglaublich ausgeklügelte, kunstvolle Musik ist aber emotional finde ich einfach überhaupt keinen Draht zu ihr, würde mir aber dann natürlich nicht von Anderen vorschreiben lassen das nicht auch offen zu sagen, weil es eben meine Gefühlsempfindung ist und nicht mein Werturteil über die Komposition für sich.
Und sehe hier übrigens auch nichts, wo Martin jemanden persönlich beleidigt hätte und was ich hier so schon im Forum gelesen habe sehe ich hier auch nicht die vielen störenden unsachlichen Kritiken (eher ziemlich selten und die Geschmacksurteile finde ich ja wie gesagt legitim und das sollten sie auch bleiben wenn wir uns hier nicht nur Alles und Jeden letztendlich scheinheilig beweihräuchern wollen denn wie geschr. glaube ich nicht daran das es hier im Forum nur Einen gibt dem Alles im Klassikbereich gefällt)
gruß
Thomas
Martin2
Inventar
#51 erstellt: 01. Sep 2011, 12:49
Hallo Joachim, hallo Thomas,

ich sehe das anders als ihr, aber ich fürchte, wir werden uns hier nicht einig. Natürlich muß man das Geschmacksurteil und das Werturteil trennen. Ich finde Werturteile aber wichtig, auch wenig begründete, um überhaupt ins Gespräch zu kommen. Denn über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten, über Werturteile allerdings schon.

Natürlich gibt es das wenig begründete, pauschalisierende und oft auch nur provozierend gemeinte Werturteil, das gelegentlich auch verärgert. Allerdings, wenn jemand nur provozieren will, ist mir das eigentlich auch egal. Wenn es ihm aber ernst damit ist, haben wir zunächst einmal eine Gesprächsgrundlage.

Ich bin kein großer Freund von allzuviel "Geschmacksurteilen". Eine von mir oft erhärtete Erfahrung ist nämlich, daß sich hinter Geschmacksurteilen oft auch Werturteile verbergen, die aber einfach nicht ausgesprochen werden. Jemand sagt: Goethe ist sicher gut, aber ich finde ihn ziemlich langweilig. Das ist ein Geschmacksurteil, kein Werturteil. Was er aber im Grunde wirklich meint, ist: Dieses todlangweilige verstaubte, längst überholte Zeug lockt heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Das ist im Grunde ein Werturteil.

Genau in diesem Dilemma befindet sich auch die Klassik. Sie setzen die Klassik in den Geruch der Unangreifbarkeit. Diese Unangreifbarkeit signalisiert aber dem, der von klassischer Musik nicht viel hält, daß es mit der Klassik vermutlich soviel auf sich hat wie mit des Kaisers neuen Kleidern.

Denn wie schon gesagt: Ich bin davon überzeugt, daß sich hinter den allermeisten Geschmacksurteilen Werturteile verbergen. Wenn jemand wirklich meint, daß die klassische Musik ( nicht pauschal) etwas besseres, ja möglicherweise sogar etwas viel besseres ist als andere Musik, daß nur ihm der "Zugang" dazu fehlt oder daß er keinen "Geschmack" dafür gefunden hat, ja den müßte es doch eigentlich geradezu umtreiben, zu dieser Musik ( oder auch Literatur) Zugang zu finden. Die Wahrheit ist aber, daß doch nichts dergleichen geschieht. Die Leute lesen drei Zeilen Goethe, findens stinklangweilig und rührens nie wieder an. Oder sie hören drei Takte Beethoven, wissen damit nichts anzufangen und wissen einfach, daß Klassik für sie nichts ist.

Man mag das Ignoranz nennen, es sind aber in vielen Fällen nichts weiter als unausgesprochene Werturteile, die auch einfach nur Vorurteile sind. Vorurteile kann man aber nur ausräumen, wenn man ergebnisoffen über sie spricht. Dabei kann das Vorurteil die kleinste Petitesse sein oder der gröbste Unsinn ( "klassische Musik ist überholt") - das ist für mich letzlich nicht relevant, viel relevanter ist für mich die Frage, ob mein Gegenüber provozieren oder diskutieren will. Merke ich, er will nur provozieren, stelle ich die Diskussion ein. Will er dagegen den Dialog, bitteschön, man kann über alles diskutieren, auch darüber, ob des Kaisers neue Kleider möglicherweise nur in seiner Phantasie bestehen.

Muß ich diese Musik mögen? Das sowieso nicht. Allerdings kann: "Ich mag diese Musik nicht." auch bedeuten: "Ich halte nicht viel von ihr." Und genau darüber muß man dann reden. Wobei gerade der sogenannte "Sachverstand" mir nicht sehr imponiert hat. Was mir dagegen immer imponiert hat, war, wenn jemand die Liebe zu einer bestimmten Musik rüberbringen konnte. Und gerade dann, wenn jemand sagt, ich schätze Bach und Händel, Telemann aber auch, dann hat das für mich schon Relevanz. Wenn dagegen jemand sagt: Ich mag Heino und Karel Gott, Freddy Quinn aber auch, dann mag das zwar auch irgendeine Relevanz haben, aber eher nicht für mich.

Also zusammengefaßt gesagt: Ich wehre mich dagegen, für "Werturteile" großartige Hürden aufzubauen. Das ist für mich genau die Form von elitärer Verkapselung, die den absurdesten Vorurteilen erst Nahrung gibt.

Gruß Martin
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