Muß ich diese Musik mögen?

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Martin2
Inventar
#51 erstellt: 01. Sep 2011, 10:49
Hallo Joachim, hallo Thomas,

ich sehe das anders als ihr, aber ich fürchte, wir werden uns hier nicht einig. Natürlich muß man das Geschmacksurteil und das Werturteil trennen. Ich finde Werturteile aber wichtig, auch wenig begründete, um überhaupt ins Gespräch zu kommen. Denn über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten, über Werturteile allerdings schon.

Natürlich gibt es das wenig begründete, pauschalisierende und oft auch nur provozierend gemeinte Werturteil, das gelegentlich auch verärgert. Allerdings, wenn jemand nur provozieren will, ist mir das eigentlich auch egal. Wenn es ihm aber ernst damit ist, haben wir zunächst einmal eine Gesprächsgrundlage.

Ich bin kein großer Freund von allzuviel "Geschmacksurteilen". Eine von mir oft erhärtete Erfahrung ist nämlich, daß sich hinter Geschmacksurteilen oft auch Werturteile verbergen, die aber einfach nicht ausgesprochen werden. Jemand sagt: Goethe ist sicher gut, aber ich finde ihn ziemlich langweilig. Das ist ein Geschmacksurteil, kein Werturteil. Was er aber im Grunde wirklich meint, ist: Dieses todlangweilige verstaubte, längst überholte Zeug lockt heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Das ist im Grunde ein Werturteil.

Genau in diesem Dilemma befindet sich auch die Klassik. Sie setzen die Klassik in den Geruch der Unangreifbarkeit. Diese Unangreifbarkeit signalisiert aber dem, der von klassischer Musik nicht viel hält, daß es mit der Klassik vermutlich soviel auf sich hat wie mit des Kaisers neuen Kleidern.

Denn wie schon gesagt: Ich bin davon überzeugt, daß sich hinter den allermeisten Geschmacksurteilen Werturteile verbergen. Wenn jemand wirklich meint, daß die klassische Musik ( nicht pauschal) etwas besseres, ja möglicherweise sogar etwas viel besseres ist als andere Musik, daß nur ihm der "Zugang" dazu fehlt oder daß er keinen "Geschmack" dafür gefunden hat, ja den müßte es doch eigentlich geradezu umtreiben, zu dieser Musik ( oder auch Literatur) Zugang zu finden. Die Wahrheit ist aber, daß doch nichts dergleichen geschieht. Die Leute lesen drei Zeilen Goethe, findens stinklangweilig und rührens nie wieder an. Oder sie hören drei Takte Beethoven, wissen damit nichts anzufangen und wissen einfach, daß Klassik für sie nichts ist.

Man mag das Ignoranz nennen, es sind aber in vielen Fällen nichts weiter als unausgesprochene Werturteile, die auch einfach nur Vorurteile sind. Vorurteile kann man aber nur ausräumen, wenn man ergebnisoffen über sie spricht. Dabei kann das Vorurteil die kleinste Petitesse sein oder der gröbste Unsinn ( "klassische Musik ist überholt") - das ist für mich letzlich nicht relevant, viel relevanter ist für mich die Frage, ob mein Gegenüber provozieren oder diskutieren will. Merke ich, er will nur provozieren, stelle ich die Diskussion ein. Will er dagegen den Dialog, bitteschön, man kann über alles diskutieren, auch darüber, ob des Kaisers neue Kleider möglicherweise nur in seiner Phantasie bestehen.

Muß ich diese Musik mögen? Das sowieso nicht. Allerdings kann: "Ich mag diese Musik nicht." auch bedeuten: "Ich halte nicht viel von ihr." Und genau darüber muß man dann reden. Wobei gerade der sogenannte "Sachverstand" mir nicht sehr imponiert hat. Was mir dagegen immer imponiert hat, war, wenn jemand die Liebe zu einer bestimmten Musik rüberbringen konnte. Und gerade dann, wenn jemand sagt, ich schätze Bach und Händel, Telemann aber auch, dann hat das für mich schon Relevanz. Wenn dagegen jemand sagt: Ich mag Heino und Karel Gott, Freddy Quinn aber auch, dann mag das zwar auch irgendeine Relevanz haben, aber eher nicht für mich.

Also zusammengefaßt gesagt: Ich wehre mich dagegen, für "Werturteile" großartige Hürden aufzubauen. Das ist für mich genau die Form von elitärer Verkapselung, die den absurdesten Vorurteilen erst Nahrung gibt.

Gruß Martin
Szellfan
Hat sich gelöscht
#52 erstellt: 01. Sep 2011, 11:06
Hallo Martin,
sag mal, geht es auch ohne dieses ständige "Urteilen"?
Urteile stehen dem eigenem Blick ständig im Wege.
Eine Diskussion über Beethoven muß nicht per se langweilig sein, das hängt vom Betrachter, dem Urteilenden ab.
Man selbst, mit seiner Hörerfahrung kann nicht Maß aller Dinge sein. Ich will einen Bach oder Beethoven jedenfalls nicht "zurechtstutzen" auf das Maß meiner eigenen Erkenntnis.
Wo bleiben dann Visionen, wo das "Nie Auslernen"?
Grenzen setze ich mir, wenn ich urteile, niemals einem Bach oder einem Beethoven, einem Haydn auch nicht.
Horizonte öffnen, und wenn das nicht geht, sie wenigstens offen halten.

Jeder von uns "kennt" bestimmt Werke der Musikgeschichte allzu gut- und dann kommt ein Erlebnis dazu, das in der Lage ist, Himmel aufzureißen.
Da soll mir mein eigenes Urteil nicht im Wege stehen, nur weil ich so arrogant bin, zu glauben, ich wisse schon alles über dieses Werk-gekauft bei Brilliant für 60, heute gehandelt für 100 Geld.

Das ist für mich der wirkliche Werteverlust, den diese Art Musik, diese Kultur, unser aller Herz und Seele zu nehmen gedenkt, wenn wir sie solcherart reduizieren.

Und auch hier: sollte ich jemanden beleidigt haben, so sei es mir recht.
Mike


[Beitrag von Szellfan am 01. Sep 2011, 11:08 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#53 erstellt: 01. Sep 2011, 12:59
Hallo Mike,

ich möchte einfach mal bestreiten, daß hier irgendjemand Musik in irgendeiner Weise "reduziert". Ich denke, wenn jemand meinetwegen die Musik von Mozart gerne hört, dann wird er dies nur deshalb gerne tun, weil er zu ihr einen Zugang hat.

Und ansonsten - entschuldige - bin ich eher ein rational denkender Mensch, der gewisse Dinge analytisch sieht und weniger emotional. Gerade Dein an sich verständlicher Wunsch, die großen Hausgötter wie die von Dir angesprochenen Bach, Beethoven und Haydn, dem Urteilen gewissermaßen zu "entrücken", setzt erst mal gewaltige Werturteile voraus, die eine solche "Entrückung" erst möglich machen.

Ich halte von solchen Entrückungen allerdings wenig. Es ist ja auch meistens so: Je mehr man bestimmte Personen, seien es Komponisten oder Interpreten, gewissermaßen vergöttert, desto liebloser geht man mit denen um, die nicht so im Mittelpunkt der eigenen Vergötterung stehen.

Der "Warenwert" von Musik - auch da bin ich wieder Analytiker - ist ebenfalls durch nichts aus der Welt zu schaffen, egal ob eine CD 20 oder 2 Euro kostet.

Ansonsten freue ich mich einfach erst einmal, wenn jemand meinetwegen Mozart hört. Auch da verstehe ich Deine Prioritäten nicht. Der ganz große Kulturverlust würde da eintreten, wenn Mozart und Beethoven nicht mehr gehört würden. Wer aber gerne Klassik hört, ist zunächst einmal Teil der großen Familie der Klassikhörer und es würde mir im Traum nicht einfallen, ihn deswegen abzuwerten.


Und auch hier: sollte ich jemanden beleidigt haben, so sei es mir recht.


Ich hoffe, das wird jetzt nicht zu Deinem Mantra.

Gruß Martin
Kings.Singer
Inventar
#54 erstellt: 01. Sep 2011, 13:55
Hallo.

Geht es nicht auch kürzer?
"Muss ich diese Musik mögen?" --> Nein!

Viele Grüße,
Alexander.
Hörbert
Inventar
#55 erstellt: 01. Sep 2011, 16:51
Hallo!

@Martin2

Dir ist schon bewußt das der größte Teil der klassischen Musik immer nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung gehört wurde und auch -zumindesten im Barock und in der "echten" Klassik- (Wagenseil bis Beethover so in etwa) auch umittelbar auf eben den Geschmack dieses Publikums zugeschnitten wurde?

Für den allergrößten Tei dr Menschen gab -und gibt- es immer andere Musik die genau von diesen Kreisen die seinerzeit die heute klassische Musik hörten und sich scghreiben liesen als "wertlos" abqualifiziert wurde.

Wen wundert es da das die klassische Musik heute noch als elitär verschrien ist und in weiten Kreisen unreflektiert abgelehnt wird.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#56 erstellt: 01. Sep 2011, 17:58
Hallo Günther,

viel schlimmer als das elitäre Image der klassischen Musik, ist die Vermittlung der sogenannten Hochkultur durch überforderte Deutsch- oder Musiklehrer.

Die wesentlichste Botschaft von Goethes Faust ist: Verlaß die Studierstuben, schwänze den Deutschunterricht und suche Dir ne Freundin mit guter Oberweite. Die eigentliche Botschaft ist also, den "Deutschunterricht" vielleicht nicht gar so wichtig zu nehmen. Nur wird er natürlich furchtbar wichtig genommen. Und "grau ist alle Theorie" heißt es im Faust, aber deshalb gibt es vermutlich eine ganze Menge Theorien über Faust.

Nicht das "Hohe" der Hochkultur ist unbedingt das Problem, sondern daß der Sache von vorneherein völlig das Leben entzogen wird. Man identifiziert Kultur von vorneherein mit dem Bürger, dem Deutschlehrer oder was auch immer, der sie besitzt. Und dann beginnt man am Ende den Goethe zu hassen. Man begreift gar nicht, daß gerade ein Goethe sich über solche Typen wie diese besserwisserischen Deutschlehrer im Faust ganz furchtbar lustig gemacht hat.

Und nicht jedem werden Beethovens späte Klaviersonaten gefallen. Darum geht es auch gar nicht. Viel wichtiger ist: Mozart ist nicht deshalb so wichtig, weil er tot ist. Tot sein kann jeder. Nein er ist deshalb wichtig, weil er, so lange er lebte, so furchtbar lebendig war.

95 % der Kulturvermittlung hat eben jene Aufgabe, den Leuten die absolute Lebendigkeit der Kultur vorzuführen. Der "Club der toten Dichter" ist ja so ein wunderbarer Film, der anhand eines engegierten Literaturlehrers zeigt, was möglich ist, wenn dies gelingt. Dazu brauche ich keinen Hamlet mit Handy - das sind Sachen, über denen wahrscheinlich schon in 20 Jahren der dickste Staub liegt.

Also ich würde mir einfach mehr wünschen, wenn Menschen mehr empfinden würden: Der Mozart, der Goethe, der Schumann - das ist eigentlich "unser Mann". Der hat die Schule vielleicht auch gehaßt. Dem war die Musik oder Literatur vielleicht das wichtigste, aber mindestens das zweitwichtigste wäre es ihm bestimmt gewesen, sich im Park die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Und ganz bestimmt hätte er sich nicht dafür interessiert, welche Theorien es über Faust gibt.

Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#57 erstellt: 01. Sep 2011, 19:18
Hallo!

@Martin2

Schon zu meiner Schulzeit (die viele Jahre zurückliegt) wurde im Prinzip alles dafür getan das viele meiner Mitschüler "Kultur" später nur noch mit der Feuerzange angefasst haben. Ein Hauptteil der "Kulturvermittlung" seint es zu sein möglichst viele von ihr fernzhalten da sie ja sonst ihren elitären Status verliern könnte. Das ist wohl noch ein Rudiment aus der Zeit des Bikdungsbürgertums.

Goeth, Schiller oder Novalis gb es nur in "schulgerechter" sprich "gereinigter" Form aus dr alles Leben herauseditiert war. Ebenso ging es bei dr Musik zu, hier wurde mit Tonika, Subtonika, Dominante, u.s.f. Musik zu Tode zerpflückt ohne sie jemals wirklich zu Gehör zu bringen.

Ich fürchte das es heute nicht anders ist.

MFG Günther
Schnuckiputz
Stammgast
#58 erstellt: 01. Sep 2011, 20:49
Natürlich ist die Einengung des Begriffs Kultur auf alles "Klassische" unzulässig und bei näherer Betrachtung auch blödsinnig. Punk, Rock, Soul, Blues, Jazz und Volksmusik gehören nicht weniger zur Kultur als Beethoven, Mozart usw. Das sind alles nur verschiedene Manifestationen dessen, was wir wolkig mit "Kultur" umschreiben. Kultur ist halt nicht genormt und darf selbstverständlich auch nicht irgendwelchen Gralshütern der schönen Künste überlassen werden, die dann bestimmte Künstler zu Säulenheiligen machen wollen.

Letztlich geht es um Toleranz. Dazu gehört eben auch, daß ich anerkenne, daß dieser oder jene Komponist mit seiner Musik einem anderen weitaus mehr bedeutet als mir. Deshalb trat und trete ich dafür ein, einigermaßen sorgsam miteinander umzugehen und besser zu sagen: "Die Musik des Komponisten XY spricht mich absolut nicht an" als zu sagen "Die Musik des Komponisten XY ist total mies, er war halt ein Stümper."
Martin2
Inventar
#59 erstellt: 01. Sep 2011, 23:05
Hallo Schnuckiputz,

gut, wo Kultur anfängt und wo sie endet, ist nicht so genau zu sagen. Das hat mit Normiertheit nichts zu tun. Ich kenne Sachen der sogenannten Klassik, die mich einfach nur gelangweilt haben und die ich auch nicht gut finde. Umgekehrt Sachen der sogenannten Popkultur, die mir wirklich was gegeben haben. Mich interessiert in erster Linie gute Musik oder gute Literatur. Im übrigen höre ich und lese ich, was ich will.

Du sprichst selbst von den Säulenheiligen, die es nicht geben soll. Das sehe ich ganz genauso. Ansonsten magst Du mit dem "sorgsamen" Umgang miteinander recht haben. Mag auch sein, daß ich diesen gelegentlich mal verletzt habe.


besser zu sagen: "Die Musik des Komponisten XY spricht mich absolut nicht an" als zu sagen "Die Musik des Komponisten XY ist total mies, er war halt ein Stümper."


Das mag auch sein nur ist die erste Aussage eine andere als die andere. Es sind zwei Sätze, die etwas verschiedenes bedeuten und wo nicht der eine eine höfliche Umschreibung des anderen ist.

Wir haben alle unsere Empfindlichkeiten. Wenn jemand ein besonderer Liebhaber des Dirigenten Böhm ist, wäre es schlicht unsensibel, ihm andauernd unter die Nase zu halten, daß man Böhm für einen nichtssagenden Langeweiler hält. Man kann auch höflicher sein - bestimmt.

Nur sagen muß ich es können.

Sensibler Umgang miteinander ist völlig in Ordnung und auch erwünscht. Aber Meinungen müssen ausgesprochen werden können. Ein mich auch persönlich menschlich weiter bringendes Beispiel war der Thread "Warum ich gegenüber moderner Musik skeptisch bin". In diesem Thread zeigte ich meine ablehnende Haltung insbesondere auch der Zwölftonmusik gegenüber. Im Laufe dieses Threads änderte ich meine Meinung allerdings. Hätte sich der Thread aber im üblichen "höflichen" "die Musik sagt mir nicht so viel" bewegt oder "Dazu habe ich keinen Zugang", wäre die Änderung meiner Meinung ( und möglicherweise auch anderer) sicher nicht möglich gewesen. Natürlich spreche ich nicht immer meine Meinungen aus, um sie dann flugs zu ändern. In einer Atmosphöre des beständigen "Dazu habe ich keinen Zugang" oder "Die Musik hat mir nicht viel gesagt" ändern sich für mein Gefühl Vorurteile allerdings nie.

Viele Sachen haben sich für mich dadurch auch geändert. Daß Telemann ein langweiliger Komponist ist, hat mir Kreisler Jr ausgeredet. Jedenfalls ist er nicht immer langweilig, manchmal ist er saugut. Bei vielen Sachen war das so, bei gewissen Streichquartetten Beethovens.

Das Schöne ist, daß ich oft eine Meinung habe, aber immer bereit bin, diese zu ändern. In einer solchen Gesprächsatmosphäre fühle ich mich auch wohl. Ich empfinde es auch nicht als "Gesichtsverlust" seine Meinung zu ändern. Der Gesichtsverlust könnte darin bestehen, daß man meinetwegen sagt: Die Klaviersonaten von Mozart sind furchtbar langweilig und dann muß man sich schämen, weil man fest stellt, das stimmt nicht. Man hat Unsinn geschrieben. Ich halte dies aber für einen Fehler, denn es führt dazu, sich zu seinen Meinungen nicht offen zu bekennen, dabei aber heimliche Vorurteile zu hegen, wenn man sich aber doch mal eine Meinung gestattet, erbittert und unbelehrbar an ihr fest zu halten.

Daß im übrigen moderne Musik bei mir eine Baustelle ist, auf der sich im moment nicht allzuviel tut, mag auch sein, neulich hörte ich mal wieder was von Berio und es sagte mir nichts und so bleiben es dann eher doch Stippvisiten. Wiener Schule war bisher die intensivste Beschäftigung. Macht auch nichts, vielleicht geht es auf dieser Baustelle auch irgendwann zügiger voran.

Gruß Martin
Schnuckiputz
Stammgast
#60 erstellt: 02. Sep 2011, 05:03

Martin2 schrieb:

Wenn jemand ein besonderer Liebhaber des Dirigenten Böhm ist, wäre es schlicht unsensibel, ihm andauernd unter die Nase zu halten, daß man Böhm für einen nichtssagenden Langeweiler hält. Man kann auch höflicher sein - bestimmt.


Schön, daß sich nun doch noch etwas wie ein Grundkonsens abzeichnet. Was Böhm angeht, so muß m.E. auch jeder Böhm-Fan aushalten können, wenn ihm jemand sagt: "Den Böhm halte ich für einen nichtssagenden Langweiler." Nur sollte man möglichst eben nicht sagen: "Ach der Böhm war doch nur ein nichtssagender Langweiler." Denn das geht über eine bloße Meinungsäußerung hinaus und wäre (jedenfalls für mein Empfinden!) eine Abqualifizierung auf Grund einer Tatsachenbehauptung. So einen "Verriß" solle es allenfalls bezogen auf ein ganz konkretes Dirigat geben. Denn andernfalls müßte der Kritiker ja tatsächlich sämtliche von Böhm dirigierten Werke gehört haben.

Erfahrungsgemäß schwankt aber die Leistung eines Dirigenten, ist auch vom Orchester abhängig und von der Tagesform und mitunter auch vom Alter des Dirigenten. Selbst innerhalb eines bestimmten Werkzyklus kann es erhebliche Unterschiede geben, manches gelingt halt gut, manches weniger gut. Selbst die besten Dirigenten hatten auch schwache Leistungen, während mitunter eher mittelmäßig erscheinende Dirigenten hin und wieder auch mal eine echte Sternstunde haben können.
Joachim49
Inventar
#61 erstellt: 02. Sep 2011, 07:21
Ich habe so meine Zweifel, ob die "Ich halte ... für ..." Formel etwas bringt. Wenn Reich-Ranicki in seinen Verrissen immer hinzugefügt hätte "Ich halte ihr Buch für langweilig", "Ich halte ihr Buch für stümperhaft", wäre das denn ein Trost für die Autoren gewesen? Wenn ich ein Buch für langweilig halte, dann bin ich der Meinung, dass es langweilig ist, und weil ich glaube, dass es eine Tatsache ist, dass es langweilig ist, darum halte ich es für langweilig. Wenn es die von Schnuckiputz behauptete Kluft zwischen Meinungsäusserung und Tatsachenbehauptung so gäbe, wie er sie dartsellt, dann müssten wir sagen können: "Ich halte dieses Buch für langweilig, aber es ist nicht langweilig"; Aber wenn ich etwas für x halte, dann glaube ich, dass es wirklich x ist, dass es eine Tatsache ist, dass es x ist. Wenn mich jemand für einen Lügner oder Betrüger hält, dann glaubt er dass ich ein Lügner oder betrüger bin. Er kann sich nicht damit herausreden, er habe ja nur seine Meinung geäussert, aber nichts behauptet. Eine Meinungsäusserung ist die Meinung, dass etwas (wirklich) so oder so beschaffen ist und eine Tatsachenbehauptung ist dasselbe.
Schnuckiputz
Stammgast
#62 erstellt: 02. Sep 2011, 07:59
Noch mal: Eine Meinungsäußerung ist eine subjektive persönliche Bewertung, sie kann und darf auch emotional geprägt sein. Eine Tatsachenbehauptung hingegen stützt sich auf vermeintliche oder tatsächliche Tatsachen, die ggf. auch zu nennen oder gar zu beweisen sind. Wie wichtig diese Unterscheidung ist, mögen zwei Beispiele zeigen.

Es gehört zum kleinen Einmaleins des seriösen Journalismus, Tatsachenberichte und Meinungsäußerung (Kommentare, Glossen) strikt zu trennen. Wo dies nicht geschieht, ist die entsprechende Berichterstattung tendenziös und manipulativ. Für diese Tatsachen ist die Zeitung oder ein anderes Medium Zweifelsfall "beweispflichtig." Andernfalls gibt es den Anspruch auf einen Gegendarstellung.

Nicht anders läuft das bei Gericht. Ein Urteil besteht dort immer aus dem objektiven Sachverhalt (=Tatsachen) und der anschließenden rechtlichen Würdigung durch das Gericht. Das muß klar getrennt werden. So kann das Gericht zwar in den Gründen zu der Wertung kommen, daß jemand, der einen Menschen erschlagen hat, aus niederen Beweggründen handelte und daher wegen Mordes zu verurteilen ist. Doch es darf nicht etwa schon im Sachverhalt stehen: "Der aus niederen Beweggründen handelnde Angeklagte ermordete alsdann kaltblütig seine Ehefrau."

Letztere Praxis war z.B beim Volksgerichtshof zur Nazi Zeit üblich, da war meist schon der Sachverhalt (ab)wertend. Es ist also übel, wenn das vermischt wird.

Ich kann also selbst bei den "großen" Komponisten sagen, daß sie mir total nicht gefallen. Doch wenn ich sage: "Haydns Musik ist Scheiße, denn er war ein absoluter Stümper" sollte ich das auch fachlich begründen können, wenn ich ernst genommen werden will. Denn ein Stümper ist jemand, dem grobe handwerkliche Schnitzer unterlaufen.

Oder bei Sängern kann ich die Meinung äußern: "Ich mag seine Art zu singen nicht" oder behaupten: "Seine Gesangstechnik ist lausig." Letzteres sollte ich dann auch fachlich begründen können.

Dabei sind gerade im Bereich der Kunst die Grenzen mitunter fließend. Besonders bei der Bewertung des künstlerischen Ausdrucks kommt meist auch Subjektives ins Spiel. Denoch ist man m.E. gut beraten, so sauber wie es halt geht zu unterscheiden zwischen Tatsachen und Meinungen. Das vermeidet Mißverständnisse und auch Mißstimmungen bei denen, deren Idole "verissen" werden.
Hörbert
Inventar
#63 erstellt: 02. Sep 2011, 13:13
Hallo!

Es ist keine Kunst eine Meinung so in einer Tatsachenbehauptung zu verstecken daß das Ergebniss in der von mir gewünschten Form vorliegt.

So kann ich z.B ohne weiteres mit der Behauptung das Bach en arger Vielschreiber war der sich nicht lange mit einem Werk aufgehalten haben kann und mit der Tatsache das ein Großteil seiner Werke aus Versatzstücken besteht die er imme und immer wieder verwendet hat und die nicht einmal von im selbst stammten ein indirektes Urteil fällen ohne mich vom Boden der Tatsachnbehauptung enfernt zu haben.

Der Nachweis beider Tatsachen ist recht einfach:

1) Bachs Werksvrzeichniss umfaßt 85 Bände.

2) In seinen Kantaten und Passionen griff er häufig auf populäre Choräle des evangelischen Kirchengesangbuches zurück.

Da ist natürlich etwas polemisch aber durchaus eine gängige Methode eine Meinung so zu verkleiden das sie als Tatsache durchgehen kann.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#64 erstellt: 02. Sep 2011, 15:38
Ich würde schon diese Unterscheidung zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung so nicht teilen. Wenn ich sage: "Herr X hat seine Frau ermordet" ist das eine Tatsachenbehauptung und wenn ich sage "Herr X hat seine Frau kaltblütig ermordet." ist das auch eine Tatsachenbehauptung.

Gerade an den berühmt berüchtigen Prozessen des Volksgerichtshofes, die Schnuckiputz anführt, ist das doch zu belegen. Diese Form von Prozessen werden auch mit dem berühmt berüchtigen Wort des "Schauprozesses" belegt, den es teilweise ja auch anderswo gegeben hat.

Weniger die Trennung von "Meinung" und "Tatsachenbehauptung" ist dabei das entscheidende, sondern daß ein Urteil von vorneherein fest steht und daß der Gerichtsprozeß von vorneherein sowieso eine Farce ist. Denn es wird nicht zu Gericht gesessen, das Urteil steht von vorneherein fest.

Gerichte haben die Sachverhalte, die die Polizei liefert, festzustellen und zu bewerten. Dabei kann die Polizei gewisse Sachverhalte liefern. Sie kann aber gewisse andere Sachverhalte nicht liefern. Stünde etwa in einem Polizeibericht: "Herr X hat seine Frau kaltblütig ermordet.", dann würde ich nicht sagen, das ist eine Bewertung, sondern dann würde ich eher sagen, das ist auch eine Tatsachenbehauptung, die aber einem Polizisten nicht zusteht. Ist ein Polizist ein Psychologe? Ist er ein Richter? Nein, das ist er nicht. Die Feststellung der Tatsache, daß jemand seine Frau kaltblütig oder aus "niederen Beweggründen" umgebracht hat, steht nur einem Richter zu.

Also stelle ich fest, daß das Reich der "Tatsachenbehauptungen" viel weiter reicht, als Schnuckiputz glaubt. Es reicht in Wirklichkeit sehr weit. Auch wenn ich sage, Schmidt Isserstedt interpretiert den Brahms sehr kühl, aber mit Ernst, so sieht das nach einer Bewertung aus, ist aber immer noch eine Tatsachenbehauptung. Denn ich kann immer noch sagen: Schmidt Isserstedts Interpretation ist sehr kühl und ernst und deshalb ist sie die beste, die auf dem Markt ist. Und ich kann genauso sagen: Schmidt Isserstedt ist kühl und ernst und deshalb ist sie völlig indiskutabel. Und selbst das mag noch eine Tatsachenbehauptung sein, die allerdings an einem bestimmten notgedrungen eine Bewertung sein muß, denn irgendwann kommt man zu dem Punkt der Bewertung, so wie ein Richter ein Urteil spricht und sagt "5 Jahre ohne Bewährung und das ist dann letzlich nicht mehr hinterfragbar, weil völlig eine Sache der Bewertung.


Ich kann also selbst bei den "großen" Komponisten sagen, daß sie mir total nicht gefallen. Doch wenn ich sage: "Haydns Musik ist Scheiße, denn er war ein absoluter Stümper" sollte ich das auch fachlich begründen können, wenn ich ernst genommen werden will. Denn ein Stümper ist jemand, dem grobe handwerkliche Schnitzer unterlaufen.


Dazu sage ich mal, daß das die Bezeichnung von jemand als "Stümper" wirklich nur 0,5 % des täglichen Geschäftes ausmachen. So schlechte Komponisten höre ich nicht und so schlechte Interpreten auch nicht. Die Wahrheit ist doch die, daß es in der weit überwiegenden Zahl der Fälle darum überhaupt nicht geht. Gerade bei Interpreten setze ich einen gewissen technischen Standard voraus und den erfüllen sie auch. Nur selten ist das nicht der Fall.

Ich glaube auch überhaupt nicht, daß man etwas "fachlich begründen" muß, um ernst genommen zu werden. Wenn ich etwa sage, die Philharmonia Hungarika spielt das Henseltkonzert wirklich technisch sehr schlecht, ist das eine Aussage, für die mir die "technische Kompetenz" fehlt, nur wenn etwas technisch schlecht gespielt wird, kann man das auch hören.

Aber bei großen Komponisten - wie auch bei großen Interpreten - gehe ich davon aus, daß sie ihr Handwerk völlig beherrschen, weil das die Basis von allem ist. Deshalb gibt es darüber auch in den seltensten Fällen ernsthafte Diskussionen.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 02. Sep 2011, 15:43 bearbeitet]
Szellfan
Hat sich gelöscht
#65 erstellt: 04. Sep 2011, 19:45
Na endlich: die "Großen Komponisten" und die "Großen Interpreten"!
Da gibt es wieder eine Basis, nachdem eine Diskussion um Beethoven manchem langweilig ist.
Endlich Gliere!
Schade nur, daß sein "The Red Poppy" fehlt, "Der rote Mohn".
Ein Meisterwerk der Musikgeschichte, in welchem der Kulturbolschewismus angemessen gewürdigt wird.
Dagegen ist der "Ilya Morumetz" harmlos.
Immerhin hat sich ein Stoki dem Werke angenommen und eine Klangpracht entfaltet, die der so günstig erhältlichen und schon darum wertvollen Naxos- Aufnahme abgeht.
Erstaunlicherweise nimmt Stokowski beinah die gleichen Kürzungen vor im letzten Satz wie Hermann Scherchen, der aber dafür, als überzeugter Kommunist, den "Roten Mohn" mit eingespielt hat.
Nur unter Scherchens Leitung gewinnt die Partitur ohrenfällig an Struktur und Sinn, was ja bei dieser genialen Musik ohnehin überflüssig ist und dem analytischen Kopfe an sich von selbst zufällt, noch dazu dem glücklichen, der Epikur so vollständig verinnerlicht hat.

Bedauerlicherweise muß ich mich aber aus dieser Diskussion selbst ausschließen, da weder Beethoven, Bach noch Haydn diese grandiose Musik komponiert haben und auch Szell das Werk nie dirigiert hat.

Stattdessen, um auch da mitreden zu können, habe ich mir die zwei Minuten Fußweg gespart zum Kölner Saturn und habe den Umweg über Hamburg gemacht. Dabei noch ein wenig über Beethovens "Geistliche Musik" nachgedacht. Ach, diese geistliche Musik, immer der selbe Text, immer die selbe Musik, wie öde. Und dann muß ich beim Partiturstudium auch noch auf Beethovens Handschrift stoßen, da er so oft nach Kant ruft!
Schon wieder so ein Philosoph- was hat der denn zu suchen beim "Kyrie eleison"?
Und dann stehen darin auch noch mathematische Gleichungen!
Die sollen wohl Temporelationen verdeutlichen, mir als gefühlsmäßigem Hörer ja völlig fremd.
Hab das dann durchgerechnet, das Ergebnis war überraschend:
als ideale Zahl für 79 Minuten Musik ergab einen Preis von 7,99 Euro!
Ist vielleicht Beethoven doch ein Visionär gewesen und damit gar nicht so langweilig wie ich immer dachte?
Martin, hilf!


[Beitrag von Szellfan am 04. Sep 2011, 20:37 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#66 erstellt: 05. Sep 2011, 05:30

Szellfan schrieb:

Ein Meisterwerk der Musikgeschichte, in welchem der Kulturbolschewismus angemessen gewürdigt wird.


Ich finde es ja schön, daß der Gliere den Kulturbolschewismus angemessen gewürdigt hat, aber Du mußt Dich wohl damit abfinden, daß ich weder Kulturbolschewist bin noch einer sein will.

Ansonsten haben auch Kulturprodukte ihren Preis und der kann mal verführerisch, mal angemessen und mal auch völlig überzogen sein. Und wenn er völlig überzogen ist, werde ich die entsprechende CD wohl kaum kaufen. Als etwa damals die Beethoveneinspielung mit Krips auf CD raus kam, geschah das zum Hochpreis und mir kam das für Aufnahmen mit historischem Klang und angesichts der Tatsache, daß an Einspielungen von Beethovensinfonien kein Mangel herrscht, völlig überzogen vor. Also habe ich mir die CDs nicht gekauft, obwohl ich da ich die Aufnahmen von der LP kannte, durchaus interessiert daran gewesen wäre.

Wir kommen aber hiermit völlig in den Offtopic Bereich des Themas. Und die Sache mit den 7,99. Ja, man könnte auch 8 Euro sagen. Was Du unterstellt ist, daß mir der Unterschied zwischen 7,99 und 8 Euro irgendetwas bedeutet, als ob mir der eine Cent irgendetwas bedeutet und damit kannst Du mich ja wunderbar als Pfennigfuchser darstellen. Das ist aber dummes Zeug, es geht dabei nur um eine sachliche Feststellung und eine sachliche Feststellung sagt nun mal: Die CD kostet 7,99. Und gegen sachliche Feststellungen ist für mein Gefühl nichts zu sagen. Wobei ich auch schon gelegentlich "aufgerundet" habe.

Gruß Martin
Schnuckiputz
Stammgast
#67 erstellt: 05. Sep 2011, 06:20

Szellfan schrieb:

Endlich Gliere!
Schade nur, daß sein "The Red Poppy" fehlt, "Der rote Mohn".
Ein Meisterwerk der Musikgeschichte, in welchem der Kulturbolschewismus angemessen gewürdigt wird.


Ohne den musikalischen Rang der Werke von Gliere antasten zu wollen, frage ich mich, ob die Würdigung staatstragender kultureller Entwicklungen oder gar "Staatskonformität" Aufgabe der Kunst sein sollte. Immerhin wurde die "Nazi-Kunst" allgemein in den Staub getreten, egal ob Bildhauerisches, Filmisches oder sonstwas. Selbst Dirigenten, die in dieser Zeit tätig waren, hatten sich später gegen den Vorworf, braun angehaucht zu sein, zu verteidigen (Böhm, Karajan). Ebenso Schauspieler (z.B. Heinrich George) und Filmemacher (Leni Riefenstahl). Insofern sollte man dem sowjetischen Kulturbolschewismus doch besser mit der gleichen Distanz begegnen wie der "Nazi-Kultur." Immerhin blühten beide in einer Zeit der Verbrecherregimes, denen unzählige Menschen zum Opfer fielen. Dies zu würdigen oder gar zu verherrlichen läuft aus meiner Sicht auf eine Pervertierung der Kunst und des Freiheitsgedankens hinaus.
Hüb'
Moderator
#68 erstellt: 05. Sep 2011, 06:32

ob die Würdigung staatstragender kultureller Entwicklungen oder gar "Staatskonformität" Aufgabe der Kunst sein sollte.

Meiner Ansicht nach eher nicht.
Aber in meiner Wahrnehmung ist die Instrumentalisierung der Kultur eher eine Erscheinung in totalitären Regimen, als in Demokratien.

Grüße
Frank
Martin2
Inventar
#69 erstellt: 05. Sep 2011, 07:38
Wobei über den Warencharakter von Kunst in kapitalistischen System durchaus nachgedacht werden darf. Der Kommunismus war eben nicht nur Dikatur, er war auch Sozialismus und damit ein völlig anderes Gesellschaftssystem. Über die Vorzüge dieses Gesellschaftssystems darf nachgedacht werden ohne gleich mit der Dikaturkeule zu kommen.

Anderseits wiegen für mich diese Vorzüge nicht sonderlich schwer, auch gerade im kulturellen Bereich. Daß Kultur im kapitalistischen System Warencharakter hat, muß doch nun nicht bedeuten, daß ich in einer Einspielung von Brahms 4. etwa in erster Linie eine "Ware" sehe.

Mikes besonderen Zugang zur Kultur habe ich hier eigentlich immer verteidigt. Daran ändert auch nichts, daß er von meinem Zugang zur Kultur offensichtlich eine verzerrte Wahrnehmung hat. Das muß er aber selber wissen, da mich das nicht sonderlich kratzt. Wenn er meint, aus seiner Perspektive den ganz besonderen, den "eigentlichen" Zugang zur Musik zu haben, soll er das von mir aus gerne tun.

Gruß Martin
Hüb'
Moderator
#70 erstellt: 05. Sep 2011, 07:44
Den Warencharakter von alles und jedem im Kapitalismus/der sozialen Marktwirtschaft kann man sicherlich bemängeln.
Ich sehe aber keinen direkten Zusammenhang dieser Frage zu einer politischen Instrumentalisierung.

Grüße
Frank
Schnuckiputz
Stammgast
#71 erstellt: 05. Sep 2011, 08:11

Martin2 schrieb:
Wobei über den Warencharakter von Kunst in kapitalistischen System durchaus nachgedacht werden darf. Der Kommunismus war eben nicht nur Dikatur, er war auch Sozialismus und damit ein völlig anderes Gesellschaftssystem. Über die Vorzüge dieses Gesellschaftssystems darf nachgedacht werden ohne gleich mit der Dikaturkeule zu kommen.


Darüber darf man geteilter Meinung sein. Allerdings sollte man dann auch nicht übersehen, daß es einen Kommunismus nach der "reinen Lehre" in der Realität noch nie gegeben hat, sondern man ist nur bis zur "Diktatur des Proletariats" gekommen. Insofern ist die "Diktaturkeule" nicht ganz abwegig. In dieser Diktatur des Proletariats vermag ich keine Fortschritte für die Menschheit zu erkennen, denn letztlich lief die Entwicklung immer auf einen Staatskapitalismus mit Staatsmonopolen (auch im Bereich der Kunst!) hinaus.

Ungachtet des Warencharakters der Kunst bei uns ermöglicht unser System immerhin eine Vielfalt an Kunst, von der die Menschen in kommunistischen Systemen meist nur träumen konnten, vor allem auch, was nicht systemkonforme "kritische" Kunst angeht. Dazu gehört neben der "großen" Kunst wie Musik auch die Kleinkunst, z.B. das politische Kabarett.
Martin2
Inventar
#72 erstellt: 05. Sep 2011, 08:54
Hallo Frank,

Glieres Werk mag eine tief empfundene Ode an den Sozialismus sein. Genauso gut kann es aber auch das Werk einer Hofschranze sein, die den neuen sozialistischen Herren schmeicheln wollte. Das läßt sich vermutlich überhaupt nicht klären. Im übrigen mag dieses Werk sehr gut oder sehr schlecht sein - ich habe es nicht gehört. Das ist für mich aber sowieso der entscheidende Punkt.

Auch in einer Demokratie lassen sich Künstler "politisch instrumentalisieren", sei es daß ein Schriftsteller für die SPD in den Wahlkampf zieht, oder ein Schauspieler für die FDP. So gesehen mag ein Gliere auch nur seiner Freude über den Sozialismus kund gegeben haben - ich zweifle sehr daran. Lassen wirs dabei.

Politische Diskussionen passen für mein Gefühl nicht in ein Klassikforum. Wenn Mike den Gliere so sieht und dieses Werk auf diese Weise eine positive Bedeutung für ihn erhält, so habe ich das zunächst einmal zu respektieren. Das ist dann eben Mike.

Gruß Martin

@Schnuckiputz

Ich kann dem Gedanken mit dem "Staatskapitalismus" nicht so recht folgen. Kapitalismus bedeutet für mich einfach: Waren bestimmen ihren Preis nach dem Marktwert. Sozialismus bedeutet: Ein Staat setzt den Preis fest nach politischen Zielvorstellungen. Dann kann eben Brot oder Bücher oder Kultur plötzlich ganz billig sein und meinetwegen Kaffee plötzlich furchtbar teuer. Dann kann ein Betrieb 20 Mitarbeiter einstellen, obwohl nur 10 gebraucht werden und was dergleichen mehr ist.

Und selbstverständlich darf man überhaupt über alles geteilter Meinung sein. Nur wenn Du schreibst:


In dieser Diktatur des Proletariats vermag ich keine Fortschritte für die Menschheit zu erkennen, denn letztlich lief die Entwicklung immer auf einen Staatskapitalismus mit Staatsmonopolen (auch im Bereich der Kunst!) hinaus.


dann ist das für mich eben auch nur eine völlige Abbügelung der Diskussion. Selbstverständlich hatte der Sozialismus seine Vorteile. Es gab keine Arbeitslosen, Grundnahrungsmittel und Kultur waren billig, manche Dinge wurden am Leben gelassen, die einem erbarmungslosen Kapitalimus schon längst zum Opfer gefallen sein würden und vielleicht wurde der Einzelne überhaupt nicht so schrecklich alleine gelassen, wie das im Kapitalismus der Fall ist. Daß das ganze ökonomisch nicht funktioniert hat, ist auch klar.

Jedenfalls kann ich es sehr gut verstehen, wenn jemand dem Sozialismus hinterherträumt, nur daß ich keine diktatorischen Regime mag, dürfte ich auch klar genug gemacht haben.
Hüb'
Moderator
#73 erstellt: 05. Sep 2011, 09:06

Martin2 schrieb:
Auch in einer Demokratie lassen sich Künstler "politisch instrumentalisieren", sei es daß ein Schriftsteller für die SPD in den Wahlkampf zieht, oder ein Schauspieler für die FDP. So gesehen mag ein Gliere auch nur seiner Freude über den Sozialismus kund gegeben haben - ich zweifle sehr daran. Lassen wirs dabei.

Nur besteht der Unterschied eben darin, dass in freien Gesellschaften der "Staatsapparat" Künstler eben nicht mit Repressalien begegnet, wenn sich diese nicht instrumentalisieren lassen. In Diktaturen sah und sieht das ganz anders aus.

Grüße
Frank
premierenticket
Stammgast
#74 erstellt: 07. Sep 2011, 05:05
Hallo zusammen,

ich sehe, ihr habt in meiner Urlaubsabwesenheit das Sommerloch angemessen gefüllt...

Die Diskussion hat sich deswegen so kontrovers entwickelt, weil hier auf zwei völlig unterschiedlichen Ebenen diskutiert wird; und zwar über Klassische Musik als Kultur einerseits, und über Klassische Musik als Konsumgut andererseits.

Für Martin ist halt klassische Musik letzteres: Die gesamt klassische Literatur ist für ihn offenbar eine Bibliothek, die für ihn als Heutigen da ist, in gigantischen Boxen auf den Mark geworfen wird, und bei der er Wertungen nur danach vornimmt, ob ihn die Musik zu einem bestimmten Moment langweilt oder nicht, und ob sie günstig zu haben ist oder nicht. Das ist extrem reduktionistisch/hedonistisch/kapitalistisch, aber hier ist die klassische Musik halt die deutsche Eiche, die es nicht kratzt. Und letztendlich ist es auch ein Standpunkt, der keine Diskussion lohnt, deswegen ist schon die Threaderöffnung letztendlich Unsinn - denn niemand hier im Forum kann beurteilen, ob dem lieben Martin ein bestimmtes Stück Musik zu einer bestimmten Stunde gerade neigt zu gefallen oder aber nicht.

Insofern, Martin: Probiers halt aus - du hast es ja billig genug.

Wer dagegen klassische Musik als eine (wenn nicht die) der wertvollsten kulturellen Äußerungen der Menschheit betrachtet, begegnet Musik auf einer ganz anderen Ebene: Spürt Entwicklungen nach, beschäftigt sich mit den musikalischen Grundlagen, sucht nach einer Balance zwischen subjektivem und objektivem Urteil, entwickelt seine Leidenschaft und letztendlich das "Gefühl für Rang" (Nietzsche), welches Großes zu würdigen weiß, und sich bewußt ist, dass es nicht lohnt, über Dummheiten wie "Beethovens Symphonien, die schlechteste Musik der Welt" zu diskutieren lohnt, weil solche Äußerungen den Äußernden selbst desavouieren.

Letzteres ist dann eine Haltung, die Martin offenbar unverständlich bleibt. Bis hin zur Meinung, dass es keinen Unterschied macht, ein Werk in einer schlechten oder einer mitreißenden Interpretation kennenzulernen. Was ich schon amüsant finde. Aber jedem das seine...

Gutes Hören,

Christian


[Beitrag von premierenticket am 07. Sep 2011, 05:12 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#75 erstellt: 07. Sep 2011, 15:08
Quatsch

Gruß Martin
Hüb'
Moderator
#76 erstellt: 07. Sep 2011, 15:10
Knapp

Gruß Frank








flutedevoix
Stammgast
#77 erstellt: 07. Sep 2011, 15:24
Martin (fast) sprachlos?
Ob Christian den Nagel auf den Kopf getroffen hat?!

Erscheint mir jedenfalls plausibel und es gibt nichts aus meiner Sicht Christians Worten hinzuzufügen. Für solche Beiträge liebe ich das Forum!
Hörbert
Inventar
#78 erstellt: 07. Sep 2011, 16:11
Hallo!

@premierenticket

Nun sicher ist Musik ein wertvolles kulturelles Erbe, allerdings, -sind das Musikkonserven auch-?

Wir redn hier doch in der Regel über Musikkonserven, die aber sind in erster Linie eine Ware die an den "Mann" gebracht werden muß. So gesehen sind sie doch (wie z.B. Fertiggerichte) eineseits auf geschmacksnuancen für bestimmte Zielgruppen usgelegt andererseits gib es hier wie bei allen Konserven und Feriggerichten die Devise viel für wenig Geld.

Wenn also z.B. jemand den Standpunkt vertritt: "Hauptsache viel, -es sind ja doch bloß Konserven." Sehe ich darin nichts verwerflicheres als in dem Standpunkt: Ja, Konserve, -aber Gänseleberpastete."

MFG Günther
Martin2
Inventar
#79 erstellt: 07. Sep 2011, 16:36
Hallo Günther,

nur den Standpunkt "Hauptsache viel" habe ich hier nie vertreten. Ich bin auch durchaus nicht "sprachlos", wie Flutedevoix vermutet, mir ist meine Zeit nur einfach zu schade, auf solche elitaristischen Dummdreistigkeiten, wie sie hier geäußert werden, überhaupt einzugehen. Da rede ich dann lieber über klassische Musik. Vielleicht findet die Diskussion hier ja irgendwann noch mal zurück. Und "gute Interpretationen" sind mir auch wichtig, gerade weil ich ein etwas dümmlicher Konsument bin und mir der Zugang zu den höheren Weihen der Klassik als Kulturgut offensichtlich fehlt.

Man möge es mir nicht übel nehmen, vor 5 Jahren wäre ich auf eine solche Diskussion wahrscheinlich noch mit Begeisterung oder doch zumindestens mir Verve eingestiegen, heute ödet sie mich einfach nur an. Wie ich schon weiter oben schrieb, wenn jemand meint, den ganz besonders erlesenen Zugang zur Klassik zu haben, soll er dies meinetwegen tun, nur es interessiert mich wirklich nicht die Bohne.

Gruß Martin
Hörbert
Inventar
#80 erstellt: 07. Sep 2011, 17:07
Hallo!

@Martin2

Ich wollte auch gar nicht behaupten das du einfach die Musik möglichst günstig nach Metern einkaufst.

Ich hatte dich gar nicht im Sinn als ich meinen Beitrag geschrieben habe, es ging mir nur um die Gegenüberstellung der beiden möglichen Extreme.

Ich z.B. mache einen gewissen Unterchied zwischen der Musik als Kuturgut und der gleichen Musik auf Tonträgern.

Eine Aufführung einer Oper z.B. ist nben der bloßn Musikrezeption auch ein gesellschaftliches Ereigniss bei dem es zwar primär um die Musik geht aber eben nicht nur. Hier spielt u.a. der Faktor das sich (mehr oder weniger natürlich) Gleichgesinnte zusammentreffen um ein kulturelles Ritual zu zelebrieren ebenfalls eine gewichtige Rolle. auch die dabei getragene "Tracht" ist auch hute noch meh oder weniger vorgeschriebn und allzu unpassender Aufzug erntet immer noch scheele Blicke.

Das gesamte Ereigniss ist so wie es stattfindet "Kulturgut" und das kann keine Konserve vermitteln oder ersetzen.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#81 erstellt: 07. Sep 2011, 17:32
Hallo Günther,

ich weiß nicht wo Du her kommst, aber ich lebe wie Du weißt, in Hamburg und da kann man auch in den abgerissensten Jeans ins Konzert gehen, das stört niemanden. Und daß es Leute gibt, die in voller Kriegsbemalung ins Konzert gehen, macht aus der Sache auch noch kein "gesellschaftliches Ereignis".


Das gesamte Ereigniss ist so wie es stattfindet "Kulturgut" und das kann keine Konserve vermitteln oder ersetzen.


Ich weiß nicht, ich interessiere mich für Musik und nicht für "Ereignisse". Die Qualität heutiger "Musikkonserven" ( schreckliches Wort) und der Klang einer guten Anlage kaum noch von dem des "realen Ereignisses" zu unterscheiden. Also frage ich Dich einfach mal, worin genau denn nun das "nicht zu vermittelnde" und "nicht zu ersetzende" der Lifeaufführung besteht. Es ist doch letzlich nur der "Ereignischarakter". Daß das Wesentliche der Musik aber nun gerade in diesem "Ereignischarakter" besteht, möchte ich doch wesentlich bestreiten. "Ereignischarakter" hat auch der Boxkampf um die Weltmeisterschaft im Weltergewicht.

Gruß Martin
premierenticket
Stammgast
#82 erstellt: 07. Sep 2011, 17:32

Martin2 schrieb:
Hallo Günther,

mir ist meine Zeit nur einfach zu schade, auf solche elitaristischen Dummdreistigkeiten, wie sie hier geäußert werden, überhaupt einzugehen. Da rede ich dann lieber über klassische Musik.


Aha. Aber DU hattest doch eine Diskussion darüber begonnen, wie man klassische Musik bewertet.

Was das Thema "elitaristisch" betrifft (die "Dummdreistigkeit" sehe ich jetzt mal als Temperamentsausbruch): Genau darum geht es nicht. Es geht eher im Gegenteil darum, sich dem Thema Musik mit einer gewissen Demut zu nähern, statt mit der Haltung des konsumierenden Zappens. Wir alle, die wir rezipieren, sind eben keine Schaffenden - weder Erstschaffende wie Komponisten, noch Nach- und Neuschaffende, wie Musiker - Flutedevoix mal ausgenommen, von dem ich weiß, dass er Musiker ist.



Martin2 schrieb:
Vielleicht findet die Diskussion hier ja irgendwann noch mal zurück. Und "gute Interpretationen" sind mir auch wichtig, gerade weil ich ein etwas dümmlicher Konsument bin und mir der Zugang zu den höheren Weihen der Klassik als Kulturgut offensichtlich fehlt.


Wozu soll denn die Diskussion bitte zurückfinden?

Und: Das Problem ist aus meiner Sicht nicht, dass du einen bestimmten Zugang nicht HAST, sondern nicht SUCHST.


Martin2 schrieb:
Man möge es mir nicht übel nehmen, vor 5 Jahren wäre ich auf eine solche Diskussion wahrscheinlich noch mit Begeisterung oder doch zumindestens mir Verve eingestiegen, heute ödet sie mich einfach nur an. Wie ich schon weiter oben schrieb, wenn jemand meint, den ganz besonders erlesenen Zugang zur Klassik zu haben, soll er dies meinetwegen tun, nur es interessiert mich wirklich nicht die Bohne.


Ich nehme es dir nicht übel - ich sehe nur, dass in dem Moment, wo es um Substanzielles geht, du schlicht nicht (Verzeihung) den A**sch in der Hose hast, dich mal Argumenten und Thesen zu stellen. Damit ist für mich jede weitere Diskussion mit dir für mich schlicht überflüssig, da nicht weiterführend.

Gruß Christian
Hörbert
Inventar
#84 erstellt: 07. Sep 2011, 19:12
Hallo!

@Martin2

Nun, ich komme aus Ulm, mehr oder weniger regelmäßig besuche ich Operaufführungen , Konzerte und Kammermusikabende sowohl in meiner Heimatstadt wie auch im relativ nahen Stuttgart und im fast gleichweit entfernten München.

Musik, unmittelbar dargebracht, in einer Athmosphäre die eben nicht das Merkmal der beliebigen Wiederholbarkeit hat wie das bei einem Tonträger der Fall ist inmitten eines Publikums das auf die Rezeption dieser Werke eingestimmt ist hat m.E. mehr als bloßen "Ereignischarakter" -das hat meinentwegen ein Hagelschauer-. Hier wird ein kulturelles Ritual zelebriert das im Grunde nur der dieser Kultur auch angehörende vrstehen kann. Ein "Ereigniss" hingegen versteht man auch ohne diesen Hintergrund.

MFG Günther
Joachim49
Inventar
#85 erstellt: 07. Sep 2011, 20:28
Also liebe Forumianer,
wir sollten vielleicht die Selbstbeherrschung nicht verlieren und ab und zu ein paar Minuten warten, ehe wir auf "Antwort erstellen" drücken. Natürlich provoziert Martin gerne und er verteidigt oft einen hemmungslosen Subjektivismus, der jede rationale Diskussion überflüssig macht. Aber in einem Punkt neige ich dazu ihn zu verteidigen, nämlich hinsichtlich der Frage, ob er einen Zugang zu etwas sucht. Aus Martin wurde, ganz gewiss durch Anregungen in diesem Forum, aus einem Haydnverächter ein Haydnfreund,und, zu meiner grössten Verblüffung, konvertierte er zu einem Schönbergfreund. Es scheint also nicht ganz nutzlos zu sein, den Dialog mit ihm aufrecht zu erhalten.
mit freundlichen Grüssen
Joachim
arnaoutchot
Moderator
#86 erstellt: 07. Sep 2011, 20:51

Joachim49 schrieb:
Aus Martin wurde, ganz gewiss durch Anregungen in diesem Forum, aus einem Haydnverächter ein Haydnfreund,und, zu meiner grössten Verblüffung, konvertierte er zu einem Schönbergfreund. Es scheint also nicht ganz nutzlos zu sein, den Dialog mit ihm aufrecht zu erhalten.
mit freundlichen Grüssen
Joachim


Ich schalte mich erstmals hier ein. Ich lese diesen vergnüglichen Thread aber schon länger mit.

Ich stelle auch fest, dass Martin eine Wandlung hinsichtlich qualitativ höherwertiger Aufnahmen durchmacht. Während ich am Anfang über seine 10CD Membran-Boxen für EUR 4,99 blank entsetzt war, waren die letzten Käufe nun durchaus inhaltsgesteuert und zeigten Bereitschaft, dafür auch mal einen Taler mehr zu investieren.

Zum Threadtitel (der ja in seiner präzisen Formulierung längst verlorengegangen ist: Nein, man muss nichts mögen, aber man sollte nichts vorschnell ablehnen.
Kings.Singer
Inventar
#87 erstellt: 07. Sep 2011, 21:15
Hallo.

Auch ich plädiere dafür wieder zu einer gewissen Diskussionskultur zurückzukehren. Kann mich auch niveaulos hier einschalten, aber dazu sind mir meine Zeit zu schade und das Thema zu wichtig.


Martin2 schrieb:
Ich weiß nicht, ich interessiere mich für Musik und nicht für "Ereignisse". Die Qualität heutiger "Musikkonserven" (schreckliches Wort) und der Klang einer guten Anlage kaum noch von dem des "realen Ereignisses" zu unterscheiden.


Hier wird den Argumenten anderer ja mittlerweile selten zurückhaltend begegnet, also: Das ist völliger Blödsinn!
Wer meint die Hifi-Surround-Anlage inklusive entsprechendem HD-Bild könne einen Konzertbesuch ersetzen, der irrt. Allein phsyikalisch (also akustisch wie visuell) kann das eigene Wohnzimmer den Konzertsaal nicht ersetzen. Selbst mit einer Anlage für ein paar Millionen Euro. (Es sei denn man baut den Konzertsaal nach - aber mal ehrlich.......)

Zu der weniger empirischen Ebene: Wenn ich im Konzert sitze sind mir die anderen Leute schlichtweg egal (es sei denn sie produzieren Lärm oder riechen all zu streng). Ich will den Solisten spielen sehen. Ein Sänger, der das Publikum fixiert - ein Geiger, der im Ansatz kurz vor seinem Einsatz hoch konzentriert ist - ein Dirigent, der (so es das Publikum zulässt) die Spannung auch nach dem Schlusston noch aufrecht erhält. Das sind alles Momente in denen mir der Atem stockt! Im Konzert als Gesamtes sind dies viele Nuancen, die eine Spannung IM Konzertsaal erzeugen. Wenn die Sitznachbarn mitgerissen sind, überträgt sich das auf einen selbst. Unglaublich wie Solisten hunderte Konzertbesucher vereinnahmen können, allein schon wenn sie auf der Bühne stehen. Ich empfinde die Musik intensiver! Wenn man in einem Konzertsaal mit Hunderten (bei großen Bühnen evtl. auch Tausenden) Besuchern am Ende - oder während - eines Konzertes eine Stecknadel fallen hören kann, dann ist das ein Resultat verschiedenster Faktoren die an diesem Abend an diesem Ort zusammen kommen. Eine jedes mal einmalige Kombination verschiedern Faktoren.
Wer behauptet dies angemessen reproduzieren zu wollen oder zu können, macht es allein schon durch die Tatsache als solcher zu einer Banalität. Die Einmaligkeit ist nicht mehr gegeben - und so kommt es schließlich auch zu einem nach hause (inkl. des getunten Tones - jaaa, bei fast jeder Profi-Aufnahme wandert zumindest ein EQ drüber - und des getunten Bildes, das mich darüber hinaus dem Willen des Bildregisseurs unterwirft) - und da bin ich wieder am Anfang meiner Argumentation.

Darüber hinaus bin ich aktiver Musiker, nicht nur Konsument. Und dass sich hier life wesentlich von der Konserve unterscheidet ist ja wohl augenfällig! Wenn es für die Ausführenden so evident ist, warum nicht auch für die Zuhörenden?

Der "Ereignischarakter" (der in Martins Argumentation hoffentlich kein negativ konnotierter Begriff war!!!) der Musik trägt also wesentlich dazu bei, dass sie Menschen intensiv erreicht. So intensiv wie auf keine andere Art und Weise. Zu behaupten, dass die Konzertgänger auch einfach zu einem Boxkampf gehen könnten um etwas ähnlich Ereignishaftes geboten zu bekommen... Hmm, da fühle ich mir (als regelmäßiger Konzertbesucher) etwas auf den Schlips getreten!
Wir sollten auch nicht vergessen, dass der Konzertbesuch (oder das Musizieren zuhause) über viele Jahrhunderte die einzige Möglichkeit war, um überhaupt Musik zu hören. Geht es beim Konzert also mehr um Ereignis oder mehr um Musik?

Musik ist ein Ereignis, das sich auf der Intensitätsskala graduell je nach Darbietungsart verändert. Meine These daher: Musik und Ereignischarakter sind untrennbar miteinander verbunden. Warum sollte man Letzteres dann unbedingt ausschalten?
Wer Musik ohne Ereignis genießen möchte, sollte sich dem Studium der Partituren hingeben.

Viele Grüße,
Alexander.


[Beitrag von Kings.Singer am 08. Sep 2011, 07:31 bearbeitet]
Szellfan
Hat sich gelöscht
#88 erstellt: 08. Sep 2011, 06:43
Hallo Alexander,
aus meiner Sicht hast Du diesem Thread nun endlich tatsächlich ein Thema gegeben, auf dessen Basis man sich unterhalten kann. Danke.

Dabei würde ich, so wie Du auch, den Begriff "Ereignis" auch lieber ersetzen wollen, vielleicht in "Erlebnis", denn im Konzert kommt ja mehr dazu als das rein akustische Wahrnehmen. Und ganz sicher, dieses "kollektive Bewußtsein" des gesamten Publikums und natürlich der Ausführenden ist nicht zu unterschätzen.

Dabei habe ich doch nachgesonnen über Hörberts Aussage, daß für ihn es einen Unterschied macht, ob er sich von einer "Konserve" nährt oder lieber selbst jagen geht.

Für mich ist das letztlich nicht so, ich höre schlicht Musik, egal, ob im Konzert oder vom Tonträger.
Mich "sättigt" beides.
Dieses allumfassende Erlebnis, das manchmal, nicht immer, dann im Konzert entsteht, kann auch zu Hause bei mir entstehen. Was nicht zuletzt wohl auch daran liegt, daß ich kein besonders visuell wahrnehmender Mensch bin.
Allerdings höre ich auch zu Hause weitaus lieber Mitschnitte von Konzerten als eben Studioproduktionen.

Gestern erst wieder die "Zauberflöte" mit René Jacobs. Und da überrascht mich dann doch immer das Paradoxon, daß ich die Studio-CD nicht besonders mag, weil die Improvisationen des Continuo-Fortepianos einfach Spontaneität vermissen läßt, die es life hat, aber dann letztlich bei jedem Hören immer das Gleiche improvisiert wird, was mich nun wiederum nicht stört.
Scheinbar fängt selbst ein "gebanntes" Konzert auf CD mehr ein an Spannung, Wachheit etc., daß es für mich zum umfassenderen Erlebnis wird als das "im Baukastenprinzip gewonnene Fertigprodukt".

Darüberhinaus glaube ich, daß jeder von uns seine ganz eigene, nur ihm persönlich eigene Art hat, Musik zu hören, zu erschließen, in sich lebendig werden zu lassen, daß es ein "Besser" oder "Schlechter" schlicht nicht geben kann. Vorwürfe jedweder Art schlicht unangebracht sind.

Herzliche Grüße, Mike
kastenbier
Stammgast
#89 erstellt: 08. Sep 2011, 08:40
Hallo

Ich gehöre auch zu jenen die lieber zuhause an der Stereoanlage als im Konzertsaal Musik hören. Das letzte mal war ich vor ca. 8 jahren im Konzert, es wurden aufgeführt Streichquartette von Mozart, Haydn u. Beethoven, ausführende waren das Buchbinderquartett. Dieses Konzert war für mich eine einzige Enttäuschung.
Vor mir saß einer und schnarchte, ob es an der langweiligen Interpredation lag vermag ich nicht zu sagen, jedenfalls habe ich auf Tonträger weitaus besseres wie das was diese Quartettvereinigung von sich gab.
Ich kann zuhause an der Stereoanlage Musik von Interpreten hören die schon lange nicht mehr leben, in interpredationen die mMg.nach Referenzstatus haben, und das so optimal aufgenommen wie man es im Konzertsaal nie zu hören bekommt.

Gruß Rainer
Kreisler_jun.
Inventar
#90 erstellt: 08. Sep 2011, 09:17
Konzert vs. Konserve ist nun aber ein völlig anderes Thema...
Schnuckiputz
Stammgast
#91 erstellt: 08. Sep 2011, 14:36

Szellfan schrieb:

Darüberhinaus glaube ich, daß jeder von uns seine ganz eigene, nur ihm persönlich eigene Art hat, Musik zu hören, zu erschließen, in sich lebendig werden zu lassen, daß es ein "Besser" oder "Schlechter" schlicht nicht geben kann. Vorwürfe jedweder Art schlicht unangebracht sind.


Da hast Du sehr treffend die Sache auf den Punkt gebracht, womit man da Thema eigentlich abschließen und die Ausgangsfrage des TE beantworten könnte. Nein, es muß keiner irgendeine Musik mögen. Es gibt statt des "Besser" oder "Schlechter" eigentlich eher das jeweils "Andere." Und selbst die nach Kritikermeinung beste Interpretation oder angebliche Referenzaufnahme bringt mir nichts, wenn sie mir einfach nicht gefällt. Also mag doch wirklich jeder nach sein Facon mit seiner Musik selig werden. Zum Glück ist Kunst so vielfältig, daß jeder das Seine darin entdecken kann.
Hörbert
Inventar
#92 erstellt: 08. Sep 2011, 16:42
Hallo!

@Schnuckiputz

Dito, damit kann auch ich leben.

MFG Günther
premierenticket
Stammgast
#93 erstellt: 08. Sep 2011, 16:59
...wobei ja das Diskutieren und (konstruktive) Streiten über unterschiedliche Haltungen und Ansätze auch Spaß macht, und das Aneinander-Reiben ein Momentum von Foren wie diesen ist.

Man darf es halt nicht zu persönlich nehmen. Was bei den Gegenständen, die einem am Herzen liegen, nicht immer leicht ist.

Ich fände es schade, wenn man dazu übergehen würde, seine eigene Meinung nur noch privat vorzuhalten und hier alles in Konsens zerfliessen würde.

Wie steht es heute in der ZEIT: zu friedlich und zu höflich - das gibt friedhöflich...

In diesem Sinne: Gutes Hören, und leidenschaftliches Vertreten...

Christian
Schnuckiputz
Stammgast
#94 erstellt: 08. Sep 2011, 17:48

premierenticket schrieb:

In diesem Sinne: Gutes Hören, und leidenschaftliches Vertreten...


Ja klar, es will doch keiner langweilige, leidenschaftslose Diskussionen. Nur sollte eben gerade in Sachen Kunst und Musik Toleranz geübt werden. Und dazu gehört eben auch, jedem seine Musik zu lassen, egal ob er mehr den "Eventcharakter" öffentlicher Aufführungen mag oder lieber zu Hause hört und egal, welche Komponisten oder Interpreten er bevorzugt.
Martin2
Inventar
#95 erstellt: 08. Sep 2011, 17:50
Hallo Christian,

dieses Forum war nie sonderlich "friedhöflich" und durchaus diskussionsfreudig. Hättest Du Deine Thesen in allgemeiner Form vertreten, wäre ich auch möglicherweise darauf eingestiegen. Nur Du beginnst die Diskussion um "reduktionistischen Hedonismus" gleich mit einem Angriff auf meine Person indem Du mir im Grunde jedes Kulturverständnis absprichst, da ich ja nur "hedonistischer Konsument" sei, der sich Schuberts Winterreise rein zieht wie eine Tüte Kartoffelchips. Das empfinde ich als beleidigend.

Und auf der Basis solcher Beleidigungen mußt Du halt mit anderen diskutieren nicht mit mir. Das hat mit "Arsch in der Hose" gar nichts zu tun; wer mich kennt, weiß, daß ich Auseinandersetzungen nie ausgewichen bin. Diese aber mußt Du mit anderen führen.

Gruß Martin
Schnuckiputz
Stammgast
#96 erstellt: 08. Sep 2011, 21:54

Martin2 schrieb:
Das hat mit "Arsch in der Hose" gar nichts zu tun; wer mich kennt, weiß, daß ich Auseinandersetzungen nie ausgewichen bin. Diese aber mußt Du mit anderen führen.


Auch wenn das Posting nicht an mich addressiert war, stimmt es, daß Du Auseinandersetzungen nicht aus dem Wege gehst. Das durfte ich ja selbst schon erleben. Gerade deshalb hoffe ich, daß Du Dich aus der Diskussion nicht verabschiedest. Denn ob es uns im Einzelfall nun gefällt oder nicht - erhellende Erkenntnisse gewinnt man meist aus der Betrachtung gegensätzlicher Standpunkte. Das nennt man auch Dialektik. Wer damit nicht (mehr) viel anfangen kann, kann das hier mal nachlesen/auffrischen:

http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Dialektik.html

These und Antithese - Argument und Gegenargument. Das ist es wohl, was wir hier, mal mehr mal weniger, versuchen.
Martin2
Inventar
#97 erstellt: 08. Sep 2011, 22:45
Hallo Schnuckiputz,

braucht die Musik unbedingt solcherlei "erhellende Erkenntnisse"? Das besondere an der Musik ist, daß sie eine ganz unsprachliche Kunst ist. Daß sie demgemäß auch unsprachlich erfahren wird. Und daß ich konsequenterweise über das "Innere der Erfahrung von Musik" auch gar nichts sagen kann. Den ganzen "Überbau" den ich darüber stülpe, kann ich mir im Grunde sparen, denn es kann ein vollkommen "oberflächlicher Hedonist" sein, der meinetwegen Schuberts Winterreise hört und dem diese Musik unheimlich viel sagt und der davon ergriffen ist, und es kann genausogut ein "tiefernster Kulturmensch sein", der zwar alles über Schuberts Winterreise weiß, mit dieser Musik aber trotzdem nichts anzufangen weiß.

Schon deshalb kann ich diese Diskussion nicht sonderlich ernst nehmen. Das einzige, was man wirklich sagen kann ist: Schenke dieser Musik Deine ganze Aufmerksamkeit und höre sie nicht beim Kartoffelschälen. Höre sie öfter, intensiver.

Was aber "hedonistischer Reduktionismus" bei der Musik sein soll, bleibt mit unklar. Mich erinnert das an meine Schulzeit und die langweiligen Deutsch- und Musiklehrer, die wir hatten. Mich erinnert das an den ganzen "Interpretationswahn", der einem in einem mittelmäßigen Schulunterricht vermittelt wurde. Dagegen sage ich immer: Laß Dich doch erst einmal auf eine Sache wirklich ein. Das wird Dein Verständnis dieser Sache auch fördern.

Was aber die "Hedonisten" anbetrifft, so sage ich: Das ist ein Menschenschlag, den ich sehr zu schätzen weiß. Sie hören halt Musik, weil sie "Spaß" daran haben. Und daran finde ich nichts verkehrt. Natürlich ist "Spaß" nicht exakt das, was man in Schuberts Winterreise vielleicht findet. Nur darum geht es doch überhaupt nicht. Es geht gar nicht um "hedonistische Theorie". Es geht vielmehr um eine grundsätzlich entspannte Lebenshaltung, die ihre Entspannung vielleicht auch gerade daraus zieht, daß einem Werturteile anderer über die Musik, die man hört, oder wie man Musik hört, ziemlich egal ist. Weil es eben um einen nebulösen "Spaß" geht und ganz bestimmt nicht um Geltung. Ob ich selber diese Lebenshaltung vollkommen verkörpere, weiß ich ja nicht, aber ich halte sie unbedingt für erstrebenswert.

Gruß Martin
Schnuckiputz
Stammgast
#98 erstellt: 09. Sep 2011, 05:06

Martin2 schrieb:
Hallo Schnuckiputz,

braucht die Musik unbedingt solcherlei "erhellende Erkenntnisse"? ...

... Schon deshalb kann ich diese Diskussion nicht sonderlich ernst nehmen. Das einzige, was man wirklich sagen kann ist: Schenke dieser Musik Deine ganze Aufmerksamkeit und höre sie nicht beim Kartoffelschälen. Höre sie öfter, intensiver.


Dem kann ich nur zustimmen, mag mir aber die Bemerkung nicht verkneifen, daß allein schon der Rat, diese Musik nicht wie irgendein Hintergrundgedudel "nebenbei" zu hören, eine "erhellende Erkenntnis" Deinerseits voraussetzt. Und es sind ja so manche Musikstücke, bei denen man diese Erkenntnis gewinnen kann. So wird man mit Bruckner, Mahler oder Wagner auch nicht viel anfangen können, wenn man sie nur "nebenbei" hört, sondern das sind Werke, auf die man sich einlassen sollte.

Soche Erkenntnisse kann man entweder durch eigene Erfahrung gewinnen (die ja den Versuch, diese Musik mal "nebenbei" zu hören, umfassen wird!). Oder man gewinnt sie im Rahmen einer Diskussion. So oder so haben wir es jedenfalls aus meiner Sicht bei dem Weg hin zu solcher Erkenntnis mit einem Pendeln zwischen Gegensätzen zu tun.

Das wollte ich zum Ausdruck bringen. Damit aber relativiert sich doch auch der subjektive Eindruck, mitunter seien manche Diskussionsbeiträge blödsinnig, entbehrlich oder sonstwas. Das würde ich allenfalls für Forentrolle gelten lassen, aber so lange jemand ernsthaft mitdiskutiert und seine ehrliche Sicht der Dinge einbringt, so scheinbar abwegig sie aus rein fachlicher/professioneller Sicht oder vom eigenen Standpunkt her auch sein mag, so lange können selbst solche Beiträge Erkenntnisse fördern.

Wenn da z.B. jemand käme, der behauptet, Schuberts Winterreise sei ja derart langweilig, daß man sie allenfalls nebenbei beim Putzen oder so ertragen könne, wirst Du Dich evtl. zu einer Stellungnahme gedrängt fühlen. Aus diesen gegensätzlichen Standpunkten mögen sich dann einige andere Forenmitglieder angeregt fühlen, sich mit der Winterreise erstmals oder noch einmal genauer zu befassen. Angestoßen hätte das aber ausgerechnet der "blödsinnige" Beitrag!
flutedevoix
Stammgast
#99 erstellt: 09. Sep 2011, 22:08
Interessant, was dieser Thread alles an Wendungen provoziert. Zunächst fühle ih mich zu einer Stellungnahme bezüglich dieses Beitrages animiert:

Martin schreibt:

Nur Du beginnst die Diskussion um "reduktionistischen Hedonismus" gleich mit einem Angriff auf meine Person indem Du mir im Grunde jedes Kulturverständnis absprichst, da ich ja nur "hedonistischer Konsument" sei, der sich Schuberts Winterreise rein zieht wie eine Tüte Kartoffelchips. Das empfinde ich als beleidigend.


Ich bin doch immer sehr erstaunt, daß diejenigen, die gerne und viel austeilen, nicht in der Lage sind, auch einzustecken. Sogar dann nicht, wenn Erklärungsansätze mitgegeben werden. Ich fürchte, wenn alle so reagieren würden, die Martin schon persönlich angegriffen hat, dann wäre das Forum recht leer und Martin müßte keine Widerworte mehr ertragen.

Vielleicht noch einige Zitate aus der bisherigen Diskussion, Statements von Martin, ergänzt um Statements von mir:

Ich finde es gerade das Erfrischende an einem Forum, wenn man es auch mal wagt, an Denkmälern zu rütteln.


Umgekehrt wenn jemand sagt: Beethovens 9. ist der letzte Mist, mag das zwar den einen oder anderen in seinen heiligsten Gefühlen kränken, es hat nur praktisch überhaupt keine Auswirkungen. Also sollte man da auch nicht so empfindlich sein.

Angesichts dieser Statements, lieber Martin, frage ich mich dann doch, warum du so empfindlich reagierst. Gelten für Beethoven andere Maßstäbe als für Dich? Oder liegt es daran, daß du kein Dankmal bist und man deswegen nicht an Dir rütteln darf?
Also ich finde: "Also sollte man da auch nicht so empfindlich sein"!


Ich denke, man darf sich Urteile anmaßen, sogar vernichtende, das ist das gute Recht eines jeden hier.

Dann müßte Martin doch eigentlich der Beitrag von Premierenticket sehr gut gefallen haben, geht er doch auf Martins Diskussionshaltung ein und übernimmt sie sogar für einen eigenen Beitrag!


[Beitrag von flutedevoix am 09. Sep 2011, 22:31 bearbeitet]
flutedevoix
Stammgast
#100 erstellt: 09. Sep 2011, 22:39

Das besondere an der Musik ist, daß sie eine ganz unsprachliche Kunst ist.


Das ist so nicht richtig, ganz im Gegenteil Musik von etwa 1600 bis 1800 ist extrem sürachlich orientiert. Für ihren Aufbau gelten die gleichen Grundsätze und Regeln wie für den Aufbau einer Rede: die Kunst der Rhetorik spielt eine entscheidende Rolle in dieser Musik!



Und daß ich konsequenterweise über das "Innere der Erfahrung von Musik" auch gar nichts sagen kann.


Aber natürlich kann ich darüber etwas sagen, ganz unbenommen der Tatsache, daß es dabei zu unterschiedlichen, ja soga völlig konträren Aussagen kommen kann. Wir beweisen ja täglich hier das Gegenteil
Wenn dies nicht so wäre, wie könnte das Forum hier existieren! Ich fände es jedenfall völlig uninteressant, von jedem Teilnehmer nur zu hören, welches Stück ihm gefällt und welches nicht. Schreibt er allerdings dazu aus welchen Gründen, dann sieht es schon wieder ganz anders aus.
Martin2
Inventar
#101 erstellt: 09. Sep 2011, 23:47

flutedevoix schrieb:
Gelten für Beethoven andere Maßstäbe als für Dich? Oder liegt es daran, daß du kein Dankmal bist und man deswegen nicht an Dir rütteln darf?


Ob ich Beethoven angreife oder eine Person, die hier im Forum schreibt, sind zwei völlig verschiedene Dinge. Ich mag auch durchaus mal austeilen und überschätze auch nicht meine "Empfindlichkeit", nur diese beiden Dinge habe ich eigentlich immer noch ganz gut auseinanderhalten können.

Gruß Martin
Szellfan
Hat sich gelöscht
#102 erstellt: 10. Sep 2011, 00:13
Lieber Johannes,
Du verzeihst mir hoffentlich, wenn ich mich bemüßigt sehe und Deine beiden Beiträge zu ergänzen suche.
Das grundsätzliche Problem aus meiner Sicht an diesem Thread ist der, daß es doch um Musik gar nicht geht.
Immer wieder, allen andersgearteten Ansätzen zum Trotz, geht es dem Themenersteller immer wieder um die für ihn wichtigste Sache der Welt, die ebenfalls mit "M" beginnt.

Über diesen "Überbau" könnte man hier gern reden, diese "erhellenden Erkenntnisse" durchaus auch. Ich ginge ja sogar so weit, zu sagen, daß die Regeln der Rhetorik in der Musik sogar bis 1900 gelten, also das Sprachliche als Basis.
Aber das ist eigentlich "Unterbau" eines Musikverständnisses.
Dazu gehören dann auch solche Fragen wie die andernorts aufgeworfene, ob Haydn nun ein Cembalo im Orchester wünscht oder nicht. Um nur ein Beispiel heranzuziehen, das Martin selbst nannte.
Da gibt es Bücher darüber, eins von Hogwood, der zu beweisen sucht, daß Haydn kein Cembalo nutzte, da gibt es zeitgenössische Zeitungsberichte, in denen zu lesen ist, daß Salomon die Sinfonie von der Violine leitete, Haydn vom Clavier.
Da gibt es eine Aussage eines Zeitgenossen, daß es der größte Verdienst Liszts(!) sei, endlich das Cembalo aus dem Orchester verbannt zu haben.
Das, wie gesagt nur ein Beispiel, ist für mich der Unterbau, von dem aus es ein Weg ist, Musik zu erschließen, in dem ich mich mit Quellen befasse, dem Umfeld, der Kultur allgemein der Zeit. Womit dann eben nicht mehr "erlaubt ist was gefällt".

Und das "Innere der Erfahrung von Musik": daher rührte schon einmal meine Frage, ob Martin das Forum in Frage stellen möchte. Denn genau darüber reden wir doch hier.
Aber ich wollte Dich, lieber Johannes, ergänzen, nicht Dich wiederholen.

Und vor allem wünschte ich, man könnte hier-oder woanders-wieder über eine Sache diskutieren, nicht immer wieder über Personen.
Herzliche Grüße, Mike
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