Wagner, R.: Tannhäuser

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drbobo
Inventar
#1 erstellt: 04. Apr 2004, 15:19
Hallo,


.. Abseits der religiösen Dimensionen hat Wagner sicher ganz besonders das künstlerische Dilemma interessiert, in dem sich Tannhäuser befand, als er von der Liebe singen sollte. Aber natürlich ist Wagner heute selbst zum Publikumsrenner geworden; jeder liebt die großen Momente wie die Ouvertüre, den Einzug der Gäste auf der Wartburg, das Lied an den Abendstern oder den Pilgerchor....


ist ein kurzer Auszug aus einer CD - Kritik zu Wagners Tannhäuser.

Publikumsrenner?
Zumindest hat eine zufällig erworbene Aufnahme (Sawallisch, Windgassen, Silja, Bumbry, Bayreuth 1961) auch bei mir als erklärtem Wagner-Verweigerer zumindestens die Front etwas aufgeweicht.

Ist diese Interpretation jetzt atypisch oder bin ich doch schon so alt geworden?
Tantris
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 04. Apr 2004, 16:21
Hallo,

glaube nicht, daß das atypisch ist, "Tannhäuser" ist mit Sicherheit das Werk, was Wagner-Skeptikern am ehesten nahezubringen ist, nicht nur der eingängigen Melodien wegen, sondern weil W. hier auch viel mit Opern- und Musiktraditionen hantiert hat, wie den Stilanklängen an italienische Musik im Bacchanal, das Einbinden von Liedstrukturen in die Handlung etc., auch das Sujet ist ja tief in den entsprechenden Strömungen der Romantik verwurzelt.

Erstaunlicherweise (oder auch nicht) sind heutzutage die sehr bekannten und viel gespielten Elemente der Partitur diejenigen, die Wagner unmöglich "ernst gemeint" haben kann, ja die sogar einen Anklang von Persiflage und Infragestellung innehaben. Der Einmarsch der Gäste z.B., den ich neulich sogar in einer Bierwerbung gehört habe, leitet sich aus einer Auftragskomposition Wagners für seinen sächsischen Dienstherrn ab, die er lt. eigenem Bekunden eher widerwillig ausführte, und steht mit ihrer strukturellen Einfallslosigkeit mit Sicherheit nicht ohne Grund im direkten Gegensatz zur brillianten "Romerzählung", in der Wagner die kompositorische Brücke zu seinen späteren hochinnovativen Werken wie dem "Tristan" schlägt. Oder das Lied an den Abendstern, das in seiner psychologischen Doppeldeutigkeit letztendlich aber nur den Charakter des Wolfram als einen von Moralgläubigkeit und Selbststrenge erstarrten, mithin unkreativen und sich selbst hemmenden Künstlertyp aufzeigt, der insgeheim die Verlockungen und Segnungen der "Gegenwelt" ahnt, aber aus seinem sprichwörtlichen künstlerischen Zölibat nicht ausbricht, ebensowenig wie aus seinem mit der absteigenden Chromatik doch bieder wirkenden Personalstil.

Als Einstieg in Wagner ist der Tannhäuser perfekt. Ich möchte nicht verhehlen, daß er das einzige Werk Wagners ist, an dem ich mit "satthören" konnte, er ist nicht bis in den letzten Takt mit Genialität erfüllt wie z.B. "Die Walküre". Dafür liegen die kompositorischen wie dramaturgischen und psychologischen Elemente doch so nahe an der Oberfläche, daß man mit ein wenig Vorbildung aus einem guten Opernführer hier recht schnell vom Werk und seiner Kernaussage (die selbst für Wagnersche Verhältnis letztendlich recht diffus daherkommt) gefesselt sein kann. Der Tannhäuser ist eben das, was man den anderen Werken Wagners teilweise zu unrecht nachsagt: Ein Künstlerdrama, wie es im Buche steht.

Dem Zitat aus der CD-Kritik möchte ich explizit widersprechen: Tannhäuser ist nicht als Künstler im Dilemma, weil er von der Liebe singen SOLLTE, sollte weil er es WOLLTE, weil er der nach Wagners Einschätzung wahre Künstler (und "wahre Deutsche") ist, dessen Mitteilungsbedürfnis stürmisch wird, weil und obwohl ihn die Gesellschaft nicht versteht (seinem Schöpfer nicht unähnlich in diesem Punkt).

Als Alternative zu der genannten Einspielung:

Wiener Philharmoniker/Solti mit R. Kollo, H. Dernesch etc. erschienen bei Decca

bei den Videoaufnahmen tue ich mich mit einer direkten Empfehlung etwas schwer, aber von der Inszenierung her sollte man mit Sicherheit die beiden Einspielungen unter Davis/Friedrich (Bayreuth 1979) oder Mehta/Alden (München 1994) in die engere Wahl ziehen.

Gruß, T.
Alfred_Schmidt
Hat sich gelöscht
#3 erstellt: 05. Apr 2004, 12:13
Hallo

Auch ich besitze eine Einspielung dieses Werkes.Das wäre ans ich nichts erwähnenswertes, aber vor knapp 20 Jahren, als ich die Aufnahme anschaffte,hat mich so ziemlich alles andere interessiert als gerade Wagner.Profunde Wagnerkenntnisse wie heute, wo ich ja sogar schon bis zu Sigurd Wagner vorgedrungen bin, hatte ich damals noch nicht. Trotzdem habe ich mich damals für dieses Werk entschieden. Es ist IMO nicht so "sperrig" wie manch anderes von Wagner und hat eine "normale" Spieldauer Fast schon "Deutscher Verdi" gewissermaßen

Wagner: TANNHÄUSER

König/Popp/Weikl/Meier/Moll/Jerusalem etc
Chor und Sinfonieorchester des Bayrischen Rundfunks
Bernard HAITINK
EMI (1985 DDD)

amazon.de

Grüße aus Wien
Alfred


[Beitrag von Alfred_Schmidt am 05. Apr 2004, 12:19 bearbeitet]
mefisto
Ist häufiger hier
#4 erstellt: 27. Jun 2004, 16:47
Fischer-Dieskau´s Debut als Wolfram (Berlin 1949)war einer der Gründe,mir diese spannungsvoll von Leopold Ludwig dirigierte Aufnahme zu kaufen;Suthaus lässt leider gegen Ende der Vorstellung Ermüdungserscheinungen hören, ist aber akzeptabel;die Damen Musial und Buchner geben grossartige Rollenportrait´s,Herr Greindl....Gruss Guido
vanrolf
Inventar
#5 erstellt: 14. Jul 2006, 22:23
Hallo zusamen,

für Wolf352 habe ich diesen thread noch mal nach vorne geholt.

Gruß Rolf
Thomas228
Stammgast
#6 erstellt: 15. Jul 2006, 13:21
Ich besitze vier Gesamtaufnahmen von Tannhäuser:

- Konwitschny mit Hopf, Grümmer, Fischer-Dieskau, Frick, Wunderlich, aufgenommen 1960
- Leinsdorfmit Melchior, Flagstadt, Thorborg, Janssen, aufgenommen 1941
- Solti mit Kollo, Ludwig, Sotin, Dernesch, aufgenommen 1970
- Szell mit Melchior, Traubel, Kipnis, Thorborg, Janssen, aufgenommen 1942

Als Erstaufnahme in Betracht kommen Konwitschny und Solti. Solti hat die bessere Klangqualität. Das Orchester hat mehr Glanz und Glut. Ob man Kollo als Tannhäuser goutiert oder zu leicht findet, ist eine Geschmacksfrage. Ich finde ihn wunderbar. Hopf unter Konwitschny gefällt mir hingegen nicht. Dafür singt Fischer-Dieskau ein wunderschönes Lied an den Abendstern.

Wer wissen will, wie gewaltig der Tannhäuser gesungen werden kann, kommt um die Aufnahmen von Melchior nicht herum. Aber Achtung! Der Klang ist historisch, außerdem gibt es Kürzungen.

Meine Empfehlung für den Tannhäuser-Neuling lautet: Die Solti-Aufnahme kaufen. Sie ist den Preis in jeder Hinsicht wert. Als nächstes dann ein Arien-Recital von Melchior, das die Rom-Erzählung enthält. Mehr braucht man (erst mal) nicht.



Thomas
Wolf352
Inventar
#7 erstellt: 15. Jul 2006, 22:28

vanrolf schrieb:
Hallo zusamen,

für Wolf352 habe ich diesen thread noch mal nach vorne geholt.

Gruß Rolf



Hab' vielen Dank!

und es hat sich sehr gelohnt, dank Thomas228.
Noch mal ein
Der Melchior Tip ist ebenfalls hervorragend!

Ich werde mir die Solti Aufnahme zulegen.
Genauer gesagt, werde ich mir vermutlich alle Wagner-Soltis als BoxSet zulegen, in der Hoffnung das die enthaltenen Aufnahmen auch gut sind. Was bei Solti aber fast immer der Fall sein sollte.

Diese Box gibt es derzeit bei 2001 recht günstig, zumindest 20 Euro günstiger, wie bei den anderen Händlern. Zudem habe ich noch einen 10 Euro Gutschein (durch den heutigen Erwerb des Solti Rings, auch 20 Euro günstiger wie woanders).

CU
Wolf
op111
Moderator
#8 erstellt: 16. Jul 2006, 23:42
Hallo zusammen,

Thomas228 schrieb:
Wer wissen will, wie gewaltig der Tannhäuser gesungen werden kann, kommt um die Aufnahmen von Melchior nicht herum. Aber Achtung! Der Klang ist historisch, außerdem gibt es Kürzungen.


angesichts der Krise des Wagnergesangs kann man nicht oft genug auf Melchior hinweisen:

wikipedia.org: Lauritz_Melchior

The Lauritz Melchior Homepage

Gewaltig war Melchior nicht nur in Hinblick auf sein Stimmvolumen und die pure Strahlkraft. Viel wichtiger waren noch seine perfekte Beherrschung der deutschen Sprache und seine Deklamationkunst. Von den Sängern der Stereoepoche muß man noch Jon Vickers nennen, der Aufnahmen auf ähnlichem Niveau hinterlassen hat, und daß obwohl er sich gegen immer lauter werdende Orchester durchsetzen mußte.
Viele moderne Aufführungen und Aufnahmen leiden unter diesem "loudness race". (Vielleicht sollte man mal den Tannhäuser mit Originalinstrumenten aufnehmen, nicht nur den Holländer.)

Ein Aspekt wurde m.E. noch nicht erwähnt, vom Tannhäuser existieren 2 Fassungen.
Georg Solti [einer derjenigen, die das Orchester-Lautstärke-Rennen vorangetrieben haben] ist m.W. einer der wenigen, die konsequent die 1865er Fassung (Paris) aufgenommen hat. Üblicherweise bekommt man die 20 Jahre ältere Dresdener-Fassung zu hören, Barenboim hat eine Mischfassung aufgenommen.

Gruß
Franz


[Beitrag von op111 am 16. Jul 2006, 23:50 bearbeitet]
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