Haydn, Die Jahreszeiten

+A -A
Autor
Beitrag
Tommy_Angel
Inventar
#1 erstellt: 26. Apr 2004, 22:31
Ich sehe in der Übersicht, daß es diesen Thread noch nicht gibt.

Ich besitze mehrere Einspielungen dieses Werkes und würde gerne darüber diskutieren.

Haltet Ihr das Nachkomponieren schnüffelnder Hunde und drehender Spinnräder für kindisch? Hat van Swieten Haydn seelisch vergewaltigt?

etc.
Alfred_Schmidt
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 27. Apr 2004, 10:13
Hallo,

Das mit den "fehlenden Threads" hat ja zumeist eine "tiefere Ursache", alle bisherigen Haydn Threads hier im Forum sind bisher nicht allzusehr angekommen, mal euphemistisch ausgedrückt....

Das gilt übrigens auch für Mozart. Ich glaube es liegt daran, daß Mozartianer und Haydn-Verehrer nicht gerade den Prototyp des Internet-Nutzers darstellen.



Zum Thema:
Haydn schrieb seine "Jahreszeiten" anschließend an "Die Schöpfung" 1799/1800. Das Werk wurde lediglich in Wien leidlich gut aufgenommen, setzte sich international aber langsamer durch, als sein älteres Schwesterwerk "die Schöpfung". Dei der Uraufführung waren nur etwa 700 Leute erschienen, etwa halb so viel, wie Platz gehabt hätten.

Haydn selbst hielt sie für das schwächere Werk und hatte dafür auch eine Erklärung: Bei der "Schöpfung" handelt es sich um ein Werk vorwiegend über Engel und Gott, bei den "Jahreszeiten" hingegen, um eines über Bauern (Simon).

Zitat Haydn:

"Da dieser Gegenstand nicht so erhaben ist, wie jener der Schöpfung sein kann, so wird sich auch bei einer Vergleichung zwischen beiden ein merklicher Unterschied finden."


Dazu kommt noch, daß die "Jahreszeiten" nicht über eine Handlung im eigentlichen Sinne verfügen, es ist eher eine "Kollage", wie man heute sagen würde, oder wer will ein "Bilderbogen"

Zur Frage nach der Nachahmung von "Naturlauten" in diesem Werk muß man sagen, daß dies einer allgemeinen Mode der Zeit entsprach, schon Vivaldi und Händel taten dies Leopold Mozart, Beethoven (natürlich überhöht) und esndet vielleicht mit den "Gewittermusiken" in Rossinis "Barbier" respektive "La Generentola"

Ungeachtet dessen wurden solche "Modeerscheinungen" aber schon von Haydns Zeitgenossen scheel angesehen.
So gibt es über die "Nachahmung des Hahnsgeschrei, das Knallen der Flinte bei der Jagd" Anklänge von Mißbilligung in einer Kritik der "Zeitung für die elegante Welt" vom 25. April 1801.
Ich erinne mich übrigens einmal wo gelesen zu haben, daß es an Autograph der Partitur eine hanschriftliche Anmerkung gäbe, und zwar an der Stelle wo die Frösche quakten:
"Das hab ich nicht freiwillig geschrieben, man hat mich dazu genötigt..."
So ähnlich gedenfals. Derjenige der versuchte Einfluß auf Hayn zu nehemen was van Swieten.
Haydn erwies sich jedoch zum Großteil als "Sturschödl" (Starrkopf) und beharrte auf seinen Entwürfen.

Weil wir heutzutage oft vor den "Heroen" und ihrer "Göttlichen Kunst" erschauern, hören wir mal was Haydn über den Abschnitt: "Der Wein" schreibt:


"Mein Kopf war so voll von dem tollen Zeuge: Es lebe der Wein, es lebe das Fass! Dass ich alles darunter und darüber gehen ließ; ich nenne daher die Schlussfuge die besoffenen Fuge."


Ungeachtet dessen wird das Werk heutzutage mehrheitlich als völlig gleichwertig mit der "Schöpfung gesehen, ein Standpunkt, den auch ich teile.

Vielleicht liegt das aber auch daran, daß ich es nicht ungern habe, mein mein Kopf "ganz voll ist von dem tollen Zeuge .

In diesem Sinne

Prosit Haydn.
Tommy_Angel
Inventar
#3 erstellt: 27. Apr 2004, 11:53
Danke für die ausführliche Antwort!

Und welche Aufführung gefällt Dir am besten? Ich preferiere Gardiner, wieder wegen der rel. kleinen Besetzung, die irgendwie der damaligen Zeit näher kommt (ich bin leidenschafltlicher Anhänger der historisierenden Aufführungspraxis, auch wenn Niemand weis, wie es tatsächlich klang).
Susanna
Hat sich gelöscht
#4 erstellt: 28. Apr 2004, 18:22
Hallo,

gut gefällt mir die Aufnahme mit dem Süddeutschen Madrigalchor, dem Orchester der Ludwigsburger Schloßfestspiele unter Wolfgang Gönnenwein und Sängern wie Helen Donath, Adalbert Kraus, Kurt Widmer.

Für mich sind die "Jahreszeiten" naiv im positiven Sinn. Sicher, das Landleben ist darin idealisiert, wie es sich Städter damals vorstellten. Mensch und Natur völlig im Einklang, von harter bäuerlicher Arbeit keine Spur.
Die Musik ist schlicht, mich berührt sie trotzdem oder deswegen, einige Stellen liebe ich besonders. Z. B. im Sommer, wenn der Sonnenaufgang beschrieben wird: "Sie steigt herauf die Sonne, sie steigt, sie naht, die kommt, sie strahlt, sie scheint!" Das ist ein wunderbarer Chor. Oder auch der Eingangschor "Komm, holder Lenz,..." Da störe ich mich auch nicht mehr an dem veralteten, heute teilweise komisch wirkenden Text und ich sehe auch über "Naturlaute" hinweg.

Gruß,
Susanna
Alfred_Schmidt
Hat sich gelöscht
#5 erstellt: 28. Apr 2004, 19:53
Hallo,
Ich muß gestehen, daß ich keine HIP Einspielung dieses Werkes habe, ja nicht einmal die Aufnahme mit Karl Böhm (was ich fest geglaubt habe)
Ich erinnere mich aber nun: Am Anfang der CD Gabe es lediglich eine Aufnahme unter Marriner, die habe ich dann auch gekauft, aber sie hat mich nicht übermäßig begeistert.
Die Protagonisten waren damals Edith Mathis, Dietrich Fischer Dieskau, der seinen Zenit schon überschritten hatte, und Siegfried Jerusalem der IMO einen solchen nie erlebt hat.....
Daher habe ich mir dann die Aufnahme unter Karajan besorgt, Hier sangen Werner Hollweg, Gundula Janowitz und Walter Berry.

amazon.de

Die Aufnahme ist IMO ein guter Beleg für meine Behauptung, daß es ich beim sogenannten "Karajanschen Breitwandsound" eher um den "DGG-Breitwandsound" handelt, bei den EMI-Aufnahmen von Wolfgang Gülich klingts eher rabiat

Aber jetzt stehe ich wirklich vor der Frage, ob ich die Böhmsche Version (auch hier singt Janowitz, die beiden männlichen Rollen verkörpern Peter Schreier und Martti Talvela )nachkaufen soll.
Mal sehen.

Ansonst haben Gardiner oder aber auch Bruno Weill (SONY) gute Karten

Gruß aus Wien

Alfred


[Beitrag von Alfred_Schmidt am 28. Apr 2004, 19:57 bearbeitet]
Alfred_Schmidt
Hat sich gelöscht
#6 erstellt: 08. Mai 2004, 01:12
Hallo,

aus gegebenem Anlass melde ich mich gleich wieder hier.
Ich hab mir jetzt die Böhm Eispielung gekauft.
Eigentlich hatte ich Angst, daß sie jener von Karajan
(auf beiden singt Gundula Janowitz) zu ähnlich sein könnte. Dies entbehrte, wie sich herausstellte , jedoch jeder Grundlage.





Man sieht daß alles relativ ist.Als ich zu diesem Thema schrieb, die Karajan-Aufnahme wäre "rabiat", da kannte ich jene mit Böhm noch nicht......

Die digitale Philips Aufnahme (1980) unter Marriner (Jerusalem,Mathis, Fischer-Dieskau) kommt relativ dynamikarm daher, sie vergibt relativ viel von der Spannung dieses Werkes. Das war der erste Eindruck vor ca 21 Jahren, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Allerdings weist sie einige "sehr schöne Stellen" auf vor allem in den leiseren Passagen des Werkes, das hörte ich seinerzeit nicht so bewusst.

Wesentlich dynamischer, zugleich aber auch langsamer geht Karajan auf EMI ans Werk. Walter Berry singt den Simon, Hanne ist Gundola Janowitz, Werner Hollweg verkörpert den Lukas. Der Klang ist räumlich, manchmal leicht hallig.

Böhms Einspielung (ich hatte sie seit Urzeiten nicht mehr gehört) bildete aber die Überraschung schlechthin. Der Klang ist äusserst präsent, man ist nah am Geschehen. Böhm dirigiert nicht, nein an gewissen Stellen schlägt er geradezu eine Schlacht. Noch dazu mit den Wiener Symphonikern, einem meiner Erinnerung nach,ansonsten eher behäbigen Klangkörper, der sich allerdings, unter guten Dirigenten zur Höchstform steigern kann. Die Stelle über den Wein, da hat man wirklich den Eindruck einer Sauforgie (Trinkgelage trifft es in diesem Falle nicht, sorry )
Die Besetung dieser DGG Einspielung ist Janowitz, Schreier , Talvela, wobei Talvela einen für meinen Geschmac k zumindest, gewöhnungsbedürftige Stimme hat.
Andererseits hat sie einen ausgeprägten Charakter.

Ich möchte darauf hinweisen, daß jeder der Aufnahmen in sich vollkommen schlüssig ist. Ich bin froh daß ich alle 3 habe..

Gruß
aus Wien
Alfred
Antracis
Stammgast
#7 erstellt: 21. Jun 2004, 13:24
Habe mir vor einer Woche die von Alfred oben abgebildete und beschriebene Aufnahme unter Böhm zugelegt.

Dies geschah auf bemerkenswertem aber doch wiederum bezeichnendem Umwege:

Eigentlich wollte ich aktuell keine Haydn-CD erwerben. Grund ist ein Schuber der Londoner Sinfonien unter Jochum, an dem ich mich immer noch (durchaus gern) satt höre. Es sollte also komponistenmäßige Abwechslung her. Ich kaufte die Aufnahme eigentlich für einen Freund, der einerseits Geburtstag, andererseits eine Schwäche für die Sängergeneration Schreier/Janowitz im allgemeinen und Haydns Oratorien im Besonderen hat. Ich wiederum habe eine für Talvela und hörte glücklicherweise vorher im Laden kurz rein.
Böhm dirigiert derart packend, dass ich ca. 40 Minuten an der CD-Theke hängen blieb und die Aufnahme sodann gleich doppelt erwarb.

Die Aufnahme ist wirklich beeindruckend. Es wird ein ungemein packender musikalischer Fluss erzeugt. Man ist durch das aufwühlend gestaltete Vorspiel sofort mitten drin. Das setzt sich fort, man beachte z.B. wie rhythmisch zwingend eine ziemlich unbedeutende Stelle gestaltet ist, wenn in der bekannten "Ackermann"-Arie das Thema nach Moll wechselt. Oder der Anfang von "So lohnet die Natur den Fleiß", schon das kurze Orchestervorspiel "grooved" herrlich.

Von den Sängern bin ich ebenfalls durchweg begeistert. Talvela ist sowieso einer meiner Favoriten und umso lyrischer eine Partie angelegt ist, desto besser für Ihn. Leider liegt die Partie für einen richtigen schwarzen Bass ziemlich hoch, was er zwar vom Stimmumfang meistert, aber in den hohen Grenzbereichen kommt die Schönheit seines Timbres nicht voll zum Tragen. Andererseits ist es bei einigen Arien wie z.B. "Erblicke hier, betörter Mensch" gut, einen vollwertige Bass zu haben, auch wenn nur wenige aber dafür gewichtige Stellen wirklich tief liegen.
Janowitz gefällt mir ebenfalls ausnehmend gut. Von einer mir aus einigen Bachkantatenaufnahmen in Erinnerung gebliebener "Spröde" der Stimme in manchen Lagen ist nix zu hören. Schreier ist bekanntlich oft Geschmackssache, mir gefällt er in solchen Rollen.

Da die Aufnahme derzeit für 2DCs um 15€ oder auch für weniger zu haben ist, durchaus ein Tipp.
Zumal die Klangqualität erstaunlich gut ist für eine Aufnahme von 1967!

Was die Qualität des Werks angeht,kann ich mich nur Susanna voll anschließen:


Für mich sind die "Jahreszeiten" naiv im positiven Sinn.


Gruß
Anti


[Beitrag von Antracis am 21. Jun 2004, 13:27 bearbeitet]
Suche:
Das könnte Dich auch interessieren:
Haydn, Joseph: Die Schöpfung
Hüb' am 04.07.2008  –  Letzte Antwort am 02.03.2012  –  13 Beiträge
Haydn - geistliche Musik
Martin2 am 23.04.2015  –  Letzte Antwort am 26.04.2015  –  9 Beiträge
Graun, Carl Heinrich: keine Opern-Aufnahmen?
prometeo am 09.11.2004  –  Letzte Antwort am 09.11.2004  –  3 Beiträge
Wann kommt die günstige Verdibox?
Martin2 am 17.10.2008  –  Letzte Antwort am 17.10.2008  –  3 Beiträge
Martin: Messe für Doppelchor
Winnipeg am 26.02.2006  –  Letzte Antwort am 21.03.2006  –  2 Beiträge
Fauré - Requiem
Oolong am 31.01.2005  –  Letzte Antwort am 01.03.2005  –  32 Beiträge
Rossini - Stabat Mater
algodon1 am 19.05.2004  –  Letzte Antwort am 19.05.2004  –  2 Beiträge
Beethoven: Missa solemnis
dude1708 am 28.12.2004  –  Letzte Antwort am 29.12.2004  –  5 Beiträge
Einakter Opern mit nur einem Akt, die auf nur eine CD passen
ursus65 am 29.09.2011  –  Letzte Antwort am 31.08.2012  –  14 Beiträge
Schönberg, Arnold: Gurrelieder
Kratopluk am 04.06.2004  –  Letzte Antwort am 21.09.2010  –  16 Beiträge
Foren Archiv

Anzeige

Aktuelle Aktion

Partner Widget schließen

  • beyerdynamic Logo
  • DALI Logo
  • SAMSUNG Logo
  • TCL Logo

Forumsstatistik Widget schließen

  • Registrierte Mitglieder925.698 ( Heute: 1 )
  • Neuestes MitgliedRaymondMot
  • Gesamtzahl an Themen1.551.018
  • Gesamtzahl an Beiträgen21.536.078