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Berg: Lyrische Suite - Wir hören ein Werk

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Mellus
Stammgast
#51 erstellt: 29. Okt 2009, 12:11

op111 schrieb:
Im Moment liegt mir kein Notenmaterial des Werks vor, so daß ich nicht feststellen kann, welcher Takt nach 20s erreicht wird.


Ähm, es ist auch erst nach ca. 30 Sek....


op111 schrieb:
I. Exposition T 1-35 [Hauptsatzidee 1-12 Überleitung 12-22 Seitensatz 23-32 Schlußsatz 33-35]
und II. Reprise T 36-69


Ah, das habe ich bis auf die Exposition überhaupt nicht rausgehört. Berg muss sich irren.
op111
Moderator
#52 erstellt: 29. Okt 2009, 13:04

Mellus schrieb:
Ah, das habe ich bis auf die Exposition überhaupt nicht rausgehört. Berg muss sich irren. :D

Davon bin ich überzeugt!
Das Werk ist wahrscheinlich seit 1995 public domain (P.D.) und damit tantiemenfrei, gilt das auch für die Noten?
Die amerikanische Wikip. bietet die pdf-Datei zurzeit über den Link nicht mehr an.
Kaddel64
Hat sich gelöscht
#53 erstellt: 29. Okt 2009, 13:59

op111 schrieb:
Das Werk ist wahrscheinlich seit 1995 public domain (P.D.) und damit tantiemenfrei.

Genau genommen seit 2005.

op111 schrieb:
Gilt das auch für die Noten?

Hängt von der Vorlage und dem Einsatzzweck ab.

Auszug aus einem Merkblatt der Stadtbücherei Stuttgart:

Inwieweit ist es erlaubt, Musiknoten zum eigenen Gebrauch zu vervielfältigen und die hergestellten Kopien zu öffentlicher Wiedergabe zu benutzen?

(...)

Erlaubt, aber für öffentliche Wiedergabe nicht freigegeben sind (gemäß § 53 Abs. 4 und 6 UrhG)
a) einzelne Kopien aus geschützten Werken, die länger als zwei Jahre vergriffen sind,
b) einzelne Kopien mittels Abschrift (hand- oder maschinenschriftlich),
c) ...

Erlaubt und auch für öffentliche Wiedergabe frei verwendbar sind Kopien aus Werken, deren Komponisten bzw. Bearbeiter vor mehr als 70 Jahren starben, sofern die Vorlage nicht innerhalb der letzten 25 Jahre als wissenschaftliche Neuausgabe oder als Erstausgabe eines nachgelassenen Werkes erschien.

op111
Moderator
#54 erstellt: 29. Okt 2009, 14:24
Hallo zusammen,

Kaddel64 schrieb:
Genau genommen seit 2005.

natürlich, ist ja kein Tonträger also gilt die (Todesjahr+70)-Regelung.
Martin2
Inventar
#55 erstellt: 30. Okt 2009, 17:53
Ich habe das Werk mittlerweile noch drei mal gehört, womit ich beim sechsten Durchlauf bin. Ich habe nicht den Anspruch, es analytisch zu verstehen. Was ich allerdings sagen kann, ist, daß ich das Werk inzwischen doch mag, ohne es sonderlich zu verstehen. Ich verstehe es also immer noch nicht, wie mir ein Werk spätromantischer Musik vielleicht verständlich ist. Auch Spätromantik verstehe ich sicher nicht analytisch, aber doch von den musikalischen Abläufen her. Das ist bei diesem Werk nicht mehr so der Fall.

Am deutlichsten wird das für mich an den Satzschlüssen. Der Verzicht auf Modulation in atonaler oder meinetwegen auch atonikaler Musik läßt ja diese in klassisch - romantischer immer wieder varierte Schlußwirkung nicht mehr zu, also dieses, nachdem durch die verschiedensten Tonarten moduliert worden ist, das gewissermaßen triumphierende in den Hafen gelangen in die Tonika. Bei klassisch romantischen Stücken habe ich also oft ein sehr deutliches Gefühl davon, wie ein Satz zum Schluß kommt.

Dieses Gefühl eines "Spannungsbogens" habe ich bei Berg so nicht mehr und es entsteht dabei zunächst einmal das Gefühl bei Satzschlüssen - vielleicht auch anderswo, aber bei Satzschlüssen ist es am offensichtlichsten - das Gefühl des "plötzlichen Abbruchs" eines Satzes. Dieses Gefühl habe ich so nicht mehr - das heißt ich finde es grundsätzlich schon einmal sehr spannend, wie Berg seine Sätze zum Abschluß bringt. Auf dieses habe ich also schon einmal eine gewisse Aufmerksamkeit gelenkt, also wie versickert die Musik meinetwegen in den Sätzen 3 und 5, was ist das für ein Satzschluß in 1 und was ist das für eine pendelnde ins unendliche schwingende Bewegung in 6.

Ansonsten sage ich noch einmal höre die lyrische Suite inzwischen gerne, wobei dieses gerne hören vielleicht doch eine Art Vorform des musikalischen Verständnisses ausdrückt. Nachwievor erscheint mir nicht alles plausibel. Beim ersten Satz gefällt mir der Anfang, der für mich eine geradezu Ravelsche Heiterkeit hat, im Verlauf ist mir der Satz aber noch nicht wirklich verständlich, trotzdem höre ich ihn gern. Auch der zweite Satz bereitet mir immer noch Schwierigkeiten. Er hat diesen Ländler, oder auch diese absteigende Bewegung, mit der der Satz auch schließt. In dieser Hinsicht hat er für einen Hörer der Spätromantik vielleicht Attraktivitäten - aber als ganzen finde ich ihn doch sehr schwer. Der dritte Satz ist ein Hammer, ich mochte ihn schon beim ersten Hören, auch hier achte ich allerdings besonders auf den Satzschluß. Der vierte Satz bereitet mir ehrlich gesagt die meisten Schwierigkeiten. Eigentlich hat es wirklich bis zum 6. Hören gedauert, bis ich ihm etwas abgewinnen konnte. Der 5. Satz bereitet mir keine Probleme. Der 6. Satz hat eine expressive Kraft, so daß er sich mir schneller erschlossen hat als meinetwegen der 4.

Ich will nicht weitschweifig werden, aber ich sage es noch einmal, daß ich trotz sechsfachem Hörens immer noch bei einem Stadium eines an einer Sache Gefallen gefunden, aber sie noch nicht recht verstanden haben bin. Ich höre denke ich immer noch nicht so recht wirkliche Themen heraus, bis auf den 2. Satz und mir sind die musikalischen Abläufe noch nicht so recht klar. Aber ich höre die Musik weiter, denn ich denke, sie gefällt mir.

Gruß Martin
op111
Moderator
#56 erstellt: 30. Okt 2009, 18:24
Vielen Dank für diesen Beitrag, Martin.

Martin2 schrieb:
I Nachwievor erscheint mir nicht alles plausibel. Beim ersten Satz gefällt mir der Anfang, der für mich eine geradezu Ravelsche Heiterkeit hat, im Verlauf ist mir der Satz aber noch nicht wirklich verständlich, trotzdem höre ich ihn gern.

Das Gefühl, dass ich ein Werk, z.B. einen Roman, nicht ganz verstehe, habe ich nahezu immer.
Vielleicht verliert es seinen Reiz, wenn ich alles verstehe, es also jederzeit selbst notieren könnte und kein Raum für Interpretation oder Phantasie mehr da ist.
An die Abwesenheit von formalen Schlusswendungen, Finali, habe ich mich gewöhnt, da ich häufiger Neue Musik gehört habe.
Was mich beim ersten (Wieder-)Hören verstört hat, war der Eindruck, dass sich im Ablauf zunächst kein gewohntes bekanntes Muster finden liess.
Vielleicht war die Lyrische Suite seit dem ersten Kennenlernen (vor ca. 20 Jahren) in weite Distanz gerückt.
Kreisler_jun.
Inventar
#57 erstellt: 30. Okt 2009, 20:55
Der Kopfsatz gefiel mir eben wieder sehr gut. Ravel ist ein gutes Stichwort; ich hatte ja Assoziationen zu Haydn, jedenfalls ein "helles", durchsichtiges, spielerisches Stück. Man erkennt auch recht gut wiederkehrende Motive, für die o.g. Struktur müßte ich, da keine Noten noch mal genauer hinhören.
Beim Rest des Werks habe ich schon länger eine "Nachtmusik"-Assoziation. Der 2. Satz ist m.E. so eine Mixtur aus Ballszene und Serenade, nur eben expressionistisch. Fin-de-Siecle-Gartenparty, das Liebespaar trifft sich, muß aber aufpassen, wg. Nebenbuhler oder was weiß ich. Zwischendurch dringen die Klänge der Tanzkapelle aus den geöffneten Terassentüren usw.
Auch hier kann man recht gut prägnante Motive wiederfinden.

Dann folgt das spukhafte Scherzo; der Klangeffekt dürfte durch die Kombination von Spielen mit Dämpfer und nahe am Steg (das kommt ein paarmal auch in den anderen Sätzen vor, Gruselfilmeffekt). Wenn man bei meiner Seifenoper bleiben will, eilt der Liebhaber durch die neblige Nacht. Das Trio ecstatico evoziert freilich wieder die leidenschaftliche Musik der Sätze 2+4. Die dreiteilige Großform ist hier gut zu erkennen, innerhalb der Abschnitte lasse ich mich eher treiben als irgendwelche Strukturen erkennen zu wollen.

4 ist dann offenbar die große, tragische(?) Liebesszene, mit dem Du-bist-mein-eigen-Zitat.
Irgendwie endet der Stummfilm aber schlecht. Die Frau entscheidet sich, doch bei ihrem Gatten zu bleiben (demnächst Botschafter in Amerika).

Wieder ein wildes, ziellosen Eilen durch die nächtlichen Gassen von Prag/Wien/Krakau/Budapest o.ä.
Der letzte Satz führt über mehrere Stufen der Verzweiflung zum Sprung von der Brücke
Etwas ernsthafter: hier wird doch zu Beginn im pizzicato vermutlich die "Reihe" oder doch das den Satz prägende Material vorgestellt und noch einmal ebenfalls pizz. wiederholt. Das verklingende Ende hat sehr deutlichen Schlußcharakter. Auch sonst finde ich hauptsächlich beim 5. Satz den Schluß plötzlich. Auch ohne tonale Bindungen ergeben sich entspannte und weniger entspannte Abschnitte (freilich sind auch die entspannteren oft noch ziemlich expressiv aufgeladen.)

Eben fand ich, das mag aber auch an nachlassender Konzentration gelegen haben, den 5. Satz am schwierigsten zu hören.

viele Grüße

JK jr.
Martin2
Inventar
#58 erstellt: 30. Okt 2009, 21:44
Hallo Kreisler Junior,

danke für Deine farbigen Illustrationen, auf die ich von selber nicht gekommen wäre. Beim jetzt nochmaligen Wiederhören des Werkes gefiel mir der erste Satz auch wieder sehr gut. Die heitere Stimmung gerät so in der Mitte des Satzes wohl in eine leichte Krise, ohne daß diese tragisch zu nehmen wäre, so daß das Gefühl des Heiteren doch erhalten bleibt. Beim zweiten erstaunte mich beim Wiederhören der Wechsel der Ausdruckscharaktere im ersten Teil, während sich die zweite Hälfte zu einer Art expressiven Gesang steigert, den ich noch nicht ganz verstehe. Deshalb gefällt mir bisher die ersten 2, 3 Minuten und der zweite Teil ist mir noch fremd. Die schnellen Sätze 3 und 5 finde ich letzlich einfacher, weil für mein Gefühl eine einzige expressive Stimmung durchgehalten wird. Die Sätze 2 und 4 bereiten mir wiegesagt die größten Schwierigkeiten, wobei es beim 2. Satz der zweite Teil ist und beim 4. Satz der 1. Teil.

Gruß Martin
Pilotcutter
Administrator
#59 erstellt: 31. Okt 2009, 03:21

Martin2 schrieb:
Dieses Gefühl eines "Spannungsbogens"



Kreisler_jun. schrieb:

Der letzte Satz führt über mehrere Stufen der Verzweiflung zum Sprung von der Brücke


Ich greif mal den "Spannungsbogen" und die von Kreisler jr. ausgemalten szenischen Bilder der 6 Sätze auf.
Die Wahrscheinlichkeit halte ich für äußerst hoch, dass Alban Berg hier wieder Außermusikalisches im Sinn hatte. Die Zusätze der Satzbezeichnungen sind mir ehrlich gesagt, etwas fremd, als das man ihnen sonst schon bei Vortragsbezeichnungen begegnet wäre - und beschreiben vielleicht auch (oder eher mehr) die Gefühlszustände des Komponisten, als da in einer augenscheinlichen (wie von Kreisler jr "plakativierten") Abwärtspirale wären:

gioviale - der Fröhlichkeit
amoroso - der Liebe, der Zärtlichkeit
misterioso - des Geheimnisvollen, estatico - der Ekstase
appasstionato - der Leidenschaft
delirando - des Irrsinns, Tenebroso - der Finsternis
desolato - der Trostlosigkeit, der Verzweiflung

Was noch einen weiteren entscheidenen Teil dieses "Spannungsbogens" ausmacht, ist eine Art "Stimmungssteigerung", die sich zwischen zwei immer mehr auseinanderstrebenden Ebenen abspielt.
Berg hat die 6 Sätze gewissermaßen in zwei Ebenen geteilt die - man könnte sagen - "miteinander auseinanderstreben" oder "sich beschleunigend verlangsamen".

Die reinen Satzbezeichnungen lauten ja wie folgt:

Allegretto (mäßig lebhaft)
Andante (ein wenig bewegt, gehend)
Allegro (lebhaft)
Adagio (sanft, langsam)
Presto (schnell)
Largo (breit, langsam)

D.h. das Tempo der lebhaften Sätze wird zunehmend schneller: Allegretto, Allegro, Presto
In einer gewissen Korrespondenz dazu wird das Tempo der getragenen Sätze immer langsamer: Andante, Adagio, Largo. Von diesen zwei Ebenen kann man also sagen, dass sie ein komponiertes Ritardando (langsamer werden, verzögern) und ein Accelerando (schneller werden, beschleunigen) darstellen und im Largo und Presto unerreichbar auseinanderklaffen - weit mehr als zu Beginn das Allegretto und Andante

Dieser ständige Wechsel zwischen den Ebenen beschert dem Hörer eine gehörige Portion Kurzweil, weil die Suite nicht entweder dem einem oder dem anderen Ziel entgegenstrebt, sondern sich immer wieder dem einen oder dem anderen zu beugen scheint und somit den Eindruck einer "schicksalhaften Dramatik" hinterlässt.


Kreisler_jun. schrieb:
4 ist dann offenbar die große, tragische(?) Liebesszene, mit dem Du-bist-mein-eigen-Zitat.


Nochmal zu den Zitaten der Lyrischen Symphonie.
Ich habe mittlerweile 2 CD's der Lyrischen Suite vorliegen, eine jedoch, beinhaltet nur 3 Sätze daraus, ohne es auch nur zu erwähnen das es eig. 6 sind (Ich hatte mich schon geärgert. Da es aber eine große Orchesterfassung mit dem Cincinnati Symphony Orchestra ist, klingt sie allerdings auch sehr schön). Einige Label schreiben dann "3 Sätze aus der Lyrischen Suite" einige schreiben nichts von "Extract" oder "3 Stücke aus", sondern betrachten die 3 Sätze

2 Andante amoroso
3 (Allegro misterioso -) Trio estatico
4 Adagio appassionato

als die Lyrische Suite. Das, so habe ich mittlerweile herausgefunden, liegt daran, dass Berg in diesen 3 Sätzen (nicht in dem Allegro) drei Themen aus der Lyrischen Symphonie Zemlinskys zitiert, abwandelt und verarbeitet. Genau auch aus diesem Grunde hat Berg diese 3 Stücke auch frei komponiert und nicht 12tönig.

Der Knackpunkt jedoch ist, dass Zemlinksy widerum sich eines Gedichts aus einer Gedichtreihe "Der Gärtner (1914)" von Tagore bedient, das Alban Berg in seiner Liaison derart fasziniert - als wär's für ihn allein geschrieben. Hier ist es:

Du bist die Abendwolke,
Die am Himmel meiner Träume hinzieht.
Ich schmücke dich und kleide dich
Immer mit den Wünschen meiner Seele;
Du bist mein Eigen,
Du, die in meinen endlosen Träumen wohnt.

Deine Füsse sind rosigrot
Von der Glut meines sehnsüchtigen Herzens,
Du, die meine Abendlieder erntet,
Deine Lippen sind bittersüss
Vom Geschmack des Weins aus meinen Leiden.
Du bist mein Eigen, mein Eigen.
Du, die in meinen einsamen Träumen wohnt,

Mit dem Schatten meiner Leidenschaft
Hab’ ich deine Augen geschwärzt,
Gewohnter Gast in meines Blickes Tiefe.
Ich hab’ dich gefangen und dich eingesponnen,
Geliebte, in das Netz meiner Musik.
Du bist mein Eigen, mein Eigen.
Du, die in meinen unsterblichen Träumen wohnt.


Wie passend doch für Alban Berg!


[Beitrag von Pilotcutter am 31. Okt 2009, 03:25 bearbeitet]
Klassikkonsument
Inventar
#60 erstellt: 31. Okt 2009, 13:29
Vielleicht werde ich mir mal die Partitur ausleihen. Aber auch so hatte ich jetzt den Eindruck, dass die Reprise die ja auch den Taktzahlen nach etwa auf der Mitte (also ungefähr nach eineinhalb Minuten) liegen dürfte, doch relativ deutlich rauszuhören ist.
Die Symphonie von Zemlinsky habe ich jetzt auch noch mal gehört. Neben der Stelle "Du bist mein eigen" meine ich noch einen bestimmten Klang, der bei der Suite von Berg im 2. Satz vorkommt, wiedererkannt zu haben. Aber welcher Satz das bei Zemlinsky war ... Vielleicht der vorletzte (Nr. 6)?

Viele Grüße

edit: Gerade der Anfang vom 2. Satz der Lyrischen Suite erinnert mich an die Melodik von Liedern der Schönberg-Schule. Jedenfalls so aus dem Kopf: "Du machst mich allein"(Webern / George) und die Lieder aus Schönbergs 2. Streichquartett (Text mal wieder George).


[Beitrag von Klassikkonsument am 31. Okt 2009, 13:34 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#61 erstellt: 01. Nov 2009, 08:43
Ich habe mir die lyrische Suite jetzt noch zweimal angehört und ich habe den Eindruck, daß die grundsätzlichen Verständnisprobleme jetzt ausgeräumt sind. Meine Schwierigkeiten mit den Sätzen 2 und 4 liegen denke ich darin begründet, daß diese Sätze gewissermaßen "episch" sind, sie erzählen gewissermaßen eine Geschichte und diesen Wechsel der Ausdruckscharaktere habe ich noch nicht so recht verarbeitet. Möglicherweise werde ich auch doch noch einmal daran gehen, mir zur Musik Notizen zu machen, bisher habe ich sie bloß gehört. Allerdings kann man sich auch dieser Musik denke ich durchaus "hingeben" - von ihrer Ausdrucksstärke spricht nichts dagegen. Bergs Violinkonzert allerdings müßte ich auch unbedingt noch einmal öfter hören.

Allerdings: Obwohl ich die Musik nun doch sehr oft gehört habe, könnte ich vermutlich rein gar nichts daraus "nachpfeifen", also diese Verinnerlichung der Musik habe ich noch nicht erreicht und werde ich möglicherweise auch nicht erreichen. Entscheidend aber ist, daß diese Musik eine sehr große Expressivität hat, die sich mir auch vermittelt, eine "good tune" im herkömmlichen Sinne kann man von der Musik allerdings nicht erwarten. Im moment habe ich nach 8 oder 9 Durchläufen allerdings auch so ein bißchen das Bedürfnis, diese Musik mal wieder ein bißchen zur Seite zu legen, aber immer wieder darauf zurück zu kommen.

Ich habe aber ganz unbedingt das Gefühl, daß dies große Musik ist, welche Rolle dabei die Zwölftonmethode spielt, weiß ich nicht und muß ich auch nicht wissen - entscheidend ist nur, ob einem die Musik gefällt und mir gefällt sie. Mit den Satzschlüssen habe ich etwa eigentlich kein Problem mehr, mir erscheinen sie schlüssig.

Ich finde die Musik oft sehr originell, etwa in der Wahl der Klangmittel und Harmonien. Dies ist etwas, was ich besonders erstaunlich an diesem Streichquartett finde; es ist überhaupt nicht "kammermusikalisch" im herkömmlichen Sinne, so daß teilweise gar nicht der Eindruck eines gewöhnlichen Streichquartetts, wie man es gewöhnt ist, entsteht, sondern der Eindruck neuer Klanglichkeiten. Trotzdem finde ich die Musik anderseits auch wieder erstaunlich human, sie vermittelt mir überhaupt nicht den Eindruck eines das Humane hinter sich lassenden nach neuem Streben; es ist vielleicht nicht die Humanität eines Beethovens, es ist eben die Humanität von Berg.

Ich sage noch einmal, daß ich die Musik für außergewöhnlich gut gewählt halte; sie ist schwierig, aber lohnt unbedingt die Beschäftigung. Threads dieser Art sollten wir fortsetzen und nicht zu sparsam mit ihnen sein. Ich möchte mich mit der von mir erworbenen Brilliantbox mit den Streichquartetten der Wiener Schule auch weiterhin beschäftigen und würde auch gerne weiteres daraus hören. Es spräche für mein Gefühl auch gar nichts dagegen, sich auch einmal etwas anderes aus dieser Box heraus zu greifen, was das Hören lohnt. Allerdings sollen die Schönberg Quartette schwierig sein; mein Reklam Kammermusikführer etwa lobt durchaus die 12 Tönigen Quartette Schönbergs, verliert aber im Grunde kein Wort über sie. Ich frage dann mal ganz dumm: Was sollte man sich denn nach Bergs Lyrischer Suite aus dieser Box anhören?

Gruß Martin
Pilotcutter
Administrator
#62 erstellt: 02. Nov 2009, 11:44

Martin2 schrieb:
daß diese Sätze gewissermaßen "episch" sind, sie erzählen gewissermaßen eine Geschichte und diesen Wechsel der Ausdruckscharaktere habe ich noch nicht so recht verarbeitet.


Der zweite Satz erzählt anfänglich sehr zart und später mehr tänzelnd und ballszenenartig. Alles in allem wie ein Rondo, dessen Typ ich aber so schnell auch nicht herausbekomme.

Der vierte Satz wirkt auch sehr emotionell und poetisch. Violine und Viola spielen wie in einem leidenschaftlichen Dialog.

Es ist übrigens wirklich eine große Hilfe wenn man diese "Erzählform" auf sich wirken lässt. Ich persönlich habe immer leichte Schwierigkeiten mich der Musik auszuliefern und mich von ihr forttragen zu lassen. Ich verlange immer zuerst einen Input á la Was will uns der Komponist sagen?.

Eure Veranschaulichungen sind da schon eine Hilfe - und ich würde sagen, selbst einfache Auffälligkeiten oder Eindrücke hier kurz geschildert, sind mitunter schon hilfreich und bilden am Ende ein rundes Gesamtbild
Martin2
Inventar
#63 erstellt: 06. Nov 2009, 23:04
Ich habe das Werk noch drei vier mal gehört, so daß ich wohl inzwischen bei zwölf Umläufen bin. Merkwürdigerweise mache ich allerdings die Erfahrung, daß ich dem Werk auf diese Weise zwar näher komme, daß die Wirkung aber für mich nachläßt. Die Expressivität des Werkes läßt mich dabei immer mehr kalt, gerade die Bevorzugung weiter Intervalle ist für mich ein Stilmittel, daß sich im übermäßigen Gebrauch auch abnutzt. Aus diesen weiten Intervallen resultiert die Expressivität der Musik, aber was beim Nonenintervall etwa des Finales von Bruckners 9. noch frisch wirkt, wirkt für mich bei Berg nicht mehr frisch. Ich höre das Werk trotzdem noch gern, aber die Faszination durch diese Musik ist eigentlich weg, für mich hat sie mehr interessante Momente, als wirklich schöpferischen Schwung und meine Zweifel an der Musik der Wiener Schule kehren wieder.

Ich werde trotzdem noch einiges aus der DG Box hören und mich mit verschiedenen anderen Dingen vertraut machen, allerdings zweifle ich trotzdem sehr, daß mein Engegemant in Sachen avantgardistischer Musik sehr große Ausmaße annehmen wird.
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