Schubert - Fragmente

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hiver05
Ist häufiger hier
#1 erstellt: 24. Feb 2005, 17:59
Hallo!

Momentan beschaeftige ich mich mit einem Buch ueber Schubert (Peter Guelke: Schubert und seine Zeit) bzw nur mit einem Kapitel - ich kenne demnach nicht den kompletten Zusammenhang.

Oft ist die Rede von Fragmenten (oder von der Aesthetik des Fragmentarischen etc.). Was hat es damit auf sich? Hat Schubert sog. Fragmente komponiert und diese in seinen Werken sozusagen "einkomponiert"? Ich habe das dumme Gefuehl, mir fehlt eine wichtige Hitergrundinformation, was Fragmente in Bezug auf Schubert zu bedeuten haben.
Martin2
Inventar
#2 erstellt: 24. Feb 2005, 18:21
Hallo!

Ich werde Dir da vermutlich wenig weiterhelfen können. Aber wenn ich mich richtig erinnere ( die Sache liegt einfach schon sehr lange, Jahrzehnte vermutlich, zurück) habe ich eben jenen Gülke ( oder war es doch jemand anderes) im Radio mit einer Aufführung von Fragmenten Schubertscher Sinfonien gehört, die vermutlich er sogar ausgegraben hat. Es gab da so einige. Mich hat dieses Konzert mit Fragmenten aus unvollendeten Schubertsinfonien sehr beeindruckt, ich fand, da waren großartige Sachen, ein sehr eindrucksvolles, irgendwie Mahlersches Scherzo, auch Sachen, die dann mitten im Satz abrachen ( weil Schubert sie einfach nicht fertig komponiert hat und einfach in der Schublade liegen ließ), eine 10. Sinfonie, die sehr eindrucksvoll war. Im übrigen war dieses Konzert mal das Beispiel eines kommentierten Konzertes, weil Gülke dann zu jedem Stück einen Kommentar gesprochen hatte, um die Hörer auf diese Stücke, die ihnen unbekannt waren, einzustimmen.

Leider hatte ich dieses Konzert auf einer Kassette und die läuft glaube ich nicht mehr.

Mit der "Ästhetik des Fragments" hat das glaube ich wenig zu tun, vielmehr mit der Tatsache, daß Schubert einfach gewisse Dinge liegen gelassen hat, um sich nicht weiter mit ihnen zu beschäftigen. Und diese Sachen waren durchaus nicht schlecht! Und im übrigen ist ja die berühmte Unvollendete auch ein Fragment, denn der Schubert hat sie sicher nicht auf die Zweisätzigkeit hin entworfen, und was für eins!

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 24. Feb 2005, 18:23 bearbeitet]
hiver05
Ist häufiger hier
#3 erstellt: 24. Feb 2005, 19:07
Danke schon einmal fuer die Antwort. Dieses Konzert klingt durchaus interessant. Ich glaube, diese Fragmente wurden sogar durchnummeriert (also wie die Opus-Zahlen).

Bestimmt bezeichnet "Fragment" in diesem Zusammenhang zum einen Entwuerfe, die von Schubert nicht zuende komponiert hat. Aber ich glaube, da ist noch mehr dran. Das muesste noch allgemeiner im Kontext der Romantik oder der Kunst der Romantik zu verstehen sein.

Wenn ich es richtig vestanden habe (???), werden sogar autonome Werke als Fragmente bezeichnet, wenn es zwischen bestimmten Werken einen inhaltlichen und/oder musikalischen Zusammenhang gibt, der unverzichtbar ist, um dieses Werk zu verstehen. Und so scheint Schubert, zumindest ab einer bestimmten Zeit, oefter komponiert zu haben.

Bitte korrigiert mich, wenn ich etwas missverstanden oder -interpretiert habe.
Martin2
Inventar
#4 erstellt: 24. Feb 2005, 20:23
Liebe Hiver,

also was nun ganz genau als Fragment bezeichnet wird, weiß ich auch nicht. Ein Stück, daß an irgend einer Stelle einfach abbricht, ist natürlich ganz eindeutig ein Fragment. Aber die Unvollendete ist natürlich kein Fragment in diesem Sinne. Aber ich glaube, es soll sogar noch irgendwelche Skizzen zu weitern Sätzen zur Unvollendeten geben ( ich glaube ein Scherzo oder so), die aber glaube ich nicht so besonders gut sein sollen und Schubert hat dann das Vorhaben, aus der Unvollendeten eine Vollendete zu machen wohl aufgegeben. Aber darf man die Unvollendete deshalb als Fragment bezeichnen?

Ich bin im übrigen absolut kein Experte für Fragmente und dergleichen, finde das Thema aber ganz interessant. Also wenn Du zum Thema weitere Ergebnisse finden solltest, wäre ich interessiert sie zu erfahren.

Daß man autonome Werke als Fragmente bezeichnet, wenn sie mit einem anderen in Beziehung stehen, wäre mir neu. Ich denke, wenn ein Komponist etwas als Werk herausbringt, ist das doch nun sozusagen die Bekräftigung der Tatsache, daß der Komponist dieses Stück als für sich abgeschlossen betrachtet. Wenn es zu dem Verständnis dieses Werkes der Zusammenhang mir anderen Werken notwendig wäre, dann würde sich doch die Frage stellen, warum er diese Werke nicht in einem Werk zusammengefaßt hat. Würde das nicht bedeuten, den Komponisten in seinem Werkverständnis korrigieren zu wollen?

Ob es nun Werke gibt, die der "Ästhetik des Fragments" folgen, weiß ich nicht. Es kann aber wohl durchaus einmal sein, daß ein Satz unvermittelt abbricht, oder daß gewisse Musikteile etwas unvermittelt und ohne Übergang aufeinanderfolgen. Wenn man das dann als Ästhetik des Fragments bezeichnen will, meinetwegen. Und vermutlich gibt es im 20. Jahrhundert, das mit allem experimentiert hat, auch gewisse Experimente mit dem Fragmentarischen ( obwohl ich solche Experimente nicht kenne), aber bei Schubert? Kann ich mir nicht vorstellen.

Im übrigen enthält für mich schon der Begriff "Ästhetik des Fragments" eine gewisse Absurdität, auch wenn solche Absurditäten natürlich einen gewissen Charme haben. Also selbst wenn ein Komponist etwas schafft, was einen fragmentarischen Charakter hat, so ist, insofern dieser fragmentarische Charakter gewollt und beabsichtigt ist, das ganze doch durchaus nicht als Fragment anzusprechen. Sondern dieser Fragmentcharakter hat dann eine eigene ästetische Dimension und kann in diesem Sinne auch kein Fragment mehr sein. Es sei denn, Du unterstellst einem Komponisten, er habe nun nur deshalb etwas Fragmentarisches herausgebracht, weil er über das Fragment herauszukommen nicht in der Lage war.

Gruß Martin
peet_g
Stammgast
#5 erstellt: 24. Feb 2005, 20:41

Martin2 schrieb:
Und im übrigen ist ja die berühmte Unvollendete auch ein Fragment, denn der Schubert hat sie sicher nicht auf die Zweisätzigkeit hin entworfen, und was für eins!


Hallo Martin2,

das ist selbstverstädnlich korrekturbedürftig: die Unvollendete ist ein abgeschlossenes Werk. Man kann sie auf verschiedenste Weise interpretieren, von Schubert wurde sie als ein fertiges Stück angesehen.

Gruß
Martin2
Inventar
#6 erstellt: 24. Feb 2005, 21:02
Lieber Peet,

ich habe persönlich die Unvollendete auch nie als ein unvollendetes, gar unvollkommenes Stück angesehen. Ich hatte allerdings mal gehört, daß es Pläne zu weiteren Sätzen gegeben haben soll. Immerhin ist es doch wohl nun so, daß dieses Werk nicht die klassische Viersätzigkeit der Sinfonie hat, wie wir sie von Haydn, Mozart, Beethoven kennen. Und die Verletzung diesese Schemas war von Schubert von Anfang an intendiert? Zumal ja auch die folgenden Komponisten, Schumann, Mendelson, Brahms, Bruckner u.a. sich diesem viersätzige Schema durchaus verpflichtet fühlten. Und zumal Schubert ansonsten durchaus diesem Schema gefolgt ist.

Es mag natürlich trotzdem so sein, daß die Unvollendete von Schubert als ein vollständiges Stück angesehen wurde. Gibt es denn dazu von Schubert irgendwelche erläuternden und erklärenden Kommentare? Wenn, sind sie mir zumindestens nicht bekannt.

Immerhin ist ja nun auch schon der Name "Unvollendete" eine Bezeichnung, die auf einen "fragmentarischen" Charakter des Werkes verweist. Diese Bezeichnung unvollendet mag natürlich deshalb trotzdem völlig irreführend sein.

Wie schon gesagt, ich persönlich empfinde die Unvollendete, wie die meisten Musikliebhaber, durchaus nicht als unvollendet, habe aber trotzdem meine Zweifel, daß diese Zweisätzigkeit von Anfang an intendiert war. Aber möglicherweise hast Du da ja bessere und genauere Informationen als ich.

Gruß Martin
hiver05
Ist häufiger hier
#7 erstellt: 24. Feb 2005, 21:24
Lieber Martin (woher weisst du eigentlich, dass ich eine (!) hiver bin? )!

Gerne wuerde ich jetzt auf deine recht ausfuehrlichen Anmerkungen eingehen, nur leider habe ich gerade nicht besonders viel Zeit, weil ich dieses Kapitel, das fuer mich nicht auf Anhieb zu verstehen ist, gerade wenn hier und da das Hintergrundwissen fehlt, noch heute Abend durchabeiten und morgen frueh eine Zusammenfassung (die meinen Anspruechen moeglichst entsprechen sollte) abliefern muss... Also vielleicht morgen oder demnaechst mehr.

Dass die Unvollendete von Schubert bewusst mit zwei Saetzen "beendet" wurde, habe ich auch gelesen. Jedenfalls ist er doch wohl nicht waehrend der Arbeit an der Sinfonie gestorben. Ob nun Fragment oder nicht, kann man ja diskutieren. Wie du schon gesagt hast, haftet dem Wort "Fragment" in diesem Kontext in unterschiedlicher Weise ein gewisser Widerspruch an.

Hier noch ein Zitat aus dem Buch, weil du die "Ästhetik des Fragments" so oft aufgegriffen hast:
"(...) [Die Abgrenzungen der üblichen Kategorien] gelten offenbar kaum noch - zwischen Gatteungen (z.B. Oper und Oratorium), zwischen Sätzen (z.B. den ersten und zweiten Satz eines Sonaten-Zyklus), zwischen vokal und instrumental (...), nicht einmal zwischen Werken, wenn ein andersartig konzipiertes Werk die Arbeit fortsetzen kann, die in einem zuvor komponierten zuendezuführen unmöglich geworden war -, was nicht weniger heißt, als daß die Ästhetik des Fragments schon in den schöpferischen Prozess hineingreift."

Gruß

- weitere Anmerkungen zum Fragment (oder auch nicht) sind natuerlich immer noch erwuenscht - :-)
hemmi
Ist häufiger hier
#8 erstellt: 25. Feb 2005, 00:22
Liebe Mitforianer,
zunächst einmal zur "Ästhetik des Fragments". Ich ahne mehr, was Peter Gülke meinen könnte, denn es gibt m.W. keinen Komponisten, der soviel Fragmente hinterlassen hat wie Schubert (wenn jemand mehr oder anderes weiß, ich bin in diesem Falle belehrbar). Das ist doch zumindestens --- auffällig und man stellt die auch hier schon gestellte Frage: warum? Da er sich darüber nicht geäußert hat (?), der Herr Schubert mein ich, ist jede Antwort Spekulation.

Im Falle der "Unvollendeten" ist es durchaus möglich, dass er diese als "vollendetet" angesehen. Oder er hat sie vergessen oder keine Lust mehr oder, oder oder.
Es ist auf jeden Fall richtig, dass er ein Scherzo begonnen hat, ich habe auch einmal das Autograph (Faksimile) gesehen. Ich mein, es wäre in meiner Studienpartitur abgebildet, kann sie aber nicht finden. Mag sein, das meine Frau mal wieder versucht hat, aufzuräumen ...
Sollte ich es finden, kann ich ja mal versuchen, es zu schicken, obwohl man nicht viel erkennen kann.

Liebe herzliche Grüße
hemmi
peet_g
Stammgast
#9 erstellt: 25. Feb 2005, 11:09
Hallo Martin2,

es gab tatsächlich Skizzen zu weiteren Sätzen, Schubert hat sie zur Seite gelegt, somit erst im Laufe der Arbeit darauf gekommen, daß die Symphonie komplett ist; die zweisätzige Symphonie als ein fertiges Werk verschickt.

Bei Haydn und Beethoven gibt es viele zweisätzige Werke (Klaviersonaten).

Die folgenden Komponisten kannten die Symphonie nicht, bzw. erst Brahms und Bruckner, da sie erst 1865 uraufgeführt wurde.

Es gibt keine Kommentare Schuberts in der Angelegenheit. Wenn ich ihn treffe, sag ich ihm Bescheid.

Ihren Namen bekam die Symphonie jedenfalls nicht vom Autor.

Gruß
Martin2
Inventar
#10 erstellt: 25. Feb 2005, 18:27
Lieber Hemmi,

ich wußte gar nicht, daß Schubert soviele Fragmente hinterlassen hatte, nur die sinfonischen Fragmente waren mir halt bekannt.

Nun muß man allerdings schon sagen, daß Schubert sehr früh gestorben ist, sicher keine barocken Arbeitsweisen mehr hatte und zudem einen enormen kreativen Schub in diesen jungen Jahren hatte. Ich persönlich finde es da schon erstaunlicher, was er alles vollendet hat, als was er unvollendet zurückgelassen hat.

Was wäre denn von Brahms so möglicherweise alles aufgetaucht, wenn er mit 32 gestorben wäre? Und zudem ist ja glaube ich von Schubert wenig im Druck erschienen ( darüber weiß ich zumindestens nichts, wäre dankbar, wenn mich jemand aufklären könnte), so daß von daher der Druck, gewisse Sachen zu vollenden, noch gar nicht da war. Jedenfalls glaube ich nicht, daß man in die Schubertschen Fragmente nun so besonders viel hineingeheimnissen sollte, so als sei dieser Schubert nun ein rätselhafter Fragmentkomponist.

Gruß Martin
hiver05
Ist häufiger hier
#11 erstellt: 01. Mrz 2005, 21:43
Hallo! Nun komme ich doch dazu, hier noch zu antworten:

Wie wir uns wohl einig waren, kann man problemlos die Werke als Fragmente bezeichnen, die nicht zuendekomponiert wurden. Dazu zaehlen also (umfangreichere) Skizzen, abbrechende, nicht zuendende komponierte Stuecke, aber auch abgeschlossene Werke, bei denen sozusagen Teile fehlen, z.B. Die Unvollendete oder Lazarus.

Ziemlich am Anfang hatte ich jedoch auch noch angedeutet, dass der Autor, Peter Gülke, sogar ganze Werke als Fragmente ansieht. Dies sollte man so verstehen, dass eine thematische oder musikalische Klammer zwischen mehreren eigentl autonomen Werken besteht. Er meint z.B. auch, die Wandererfantasie koennte man fast als Finale oder Lösung der Unvollendeten deuten. Das finde ich allerdings ein bisschen weit hergeholt, aber naja.

Die Unvollendete ist nach Gülke also eher ein Fragment im erstgenannten Sinne. Zwar gewissermassen abgeschlossen, aber eben nur 2 Saetze, daher nicht vollendet. Es gibt zwar Skizzen, aber 1824 soll Schubert endgueltig aufgegeben haben, einen dritten (und vierten Satz) zu komponieren und hat die Sinfonie selbst (!) quasi als historisches Fragment angesehen, er hat also irgendwann nicht mehr das Bestreben gehabt, eine Fortsetzung zu finden.

Martin2 schrieb:

Daß man autonome Werke als Fragmente bezeichnet, wenn sie mit einem anderen in Beziehung stehen, wäre mir neu. Ich denke, wenn ein Komponist etwas als Werk herausbringt, ist das doch nun sozusagen die Bekräftigung der Tatsache, daß der Komponist dieses Stück als für sich abgeschlossen betrachtet. Wenn es zu dem Verständnis dieses Werkes der Zusammenhang mir anderen Werken notwendig wäre, dann würde sich doch die Frage stellen, warum er diese Werke nicht in einem Werk zusammengefaßt hat. Würde das nicht bedeuten, den Komponisten in seinem Werkverständnis korrigieren zu wollen?


Ich glaube auch nicht, dass die beschriebene Ansicht so weit verbreitet ist. Ich glaube aber, dass Guelke eher meint, dass zwischen verschiedenen Werken Zusammenhaenge bestehen, die wichtig sind, um jedes einzelne Werk richtig zu verstehen. D.h. es koennen Werke voellig unterschiedlicher Gattungen in einer Klammer zusammengefasst sein, sei es aufgrund von gemeinsamen Themen, Hintergruenden oder Thematiken. Dabei will man den Komponisten nicht korrigieren, sondern im Gegenteil eher verstehen: Wie ist welches Werk entstanden (z.B. aus welchen Fragmenten), was hat es mit anderen gemeinsam etc.?

Mit der Aesthetik des Fragments kann ich noch immer nicht so richtig viel anfangen. Vielleicht meint es, dass auch die Kompositionen der Fragmente etwas Kunstvolles, etwas Aesthetisches sind.
Auf jeden Fall hat Schubert besonders in der Zeit von 1818-1823 viele Fragmente hinterlassen, was u.a. damit zusammenhaengt, dass seine eigenen Ansprueche mit der Zeit so sehr gewachsen sind, dass er vieles nicht zuendegestellt hat. Bestimmt gab es viele Komponisten, bei denen das aehnlich war, daher sollte man wohl vorsichtig sein mit der Behauptung, kaum ein anderer habe so viel hinterlassen. Wer weiss, was manch ein Komponist sofort in den Papierkorb geschmissen hat, auch wenn es noch so genial war, oder was gar nicht erst ueberliefert wurde.

Schoenen Gruss
hiver
peet_g
Stammgast
#12 erstellt: 02. Mrz 2005, 15:20

hiver05 schrieb:

Wie wir uns wohl einig waren, kann man problemlos die Werke als Fragmente bezeichnen, die nicht zuendekomponiert wurden. Dazu zaehlen also (umfangreichere) Skizzen, abbrechende, nicht zuendende komponierte Stuecke, aber auch abgeschlossene Werke, bei denen sozusagen Teile fehlen, z.B. Die Unvollendete oder Lazarus.


Hallo hiver5,

wir sind uns nicht einig, da die Unvollendete - wie ich schon geschrieben habe - kein Fragment ist. Es fehlt ihr an nichts. Sie ist abgeschlossen.

Gruß
Martin2
Inventar
#13 erstellt: 02. Mrz 2005, 18:14
Lieber Peet,

an der Tatsache, daß die Unvollendete zumindestens zunächst als Fragment entworfen wurde, führt gar kein Weg daran vorbei. Es gibt Entwürfe zu anderen Sätzen.

Allerhöchstens könnte strittig sein, ob Schubert die Unvollendete zu einem späteren Zeitpunkt als abgeschlossen betrachtet hat. Da hattest Du ins Feld geführt, daß Schubert die Unvollendete in der vorliegenden Form verschickt hat ( aber wem? einem Musikverleger doch wohl nicht?) Das fand ich eine sehr interessante Information, die mir nicht bekannt war. Ob dies allerdings als Beweis für Deine Behauptung ausreicht, möchte ich dahingestellt sein lassen. Eine Willensbekundung von Schubert scheint mir nicht vorzuliegen. Wenn Schubert die Unvollendete an einen Musikverleger geschickt haben sollte, in dem dann ja wohl offensichtlichen Wunsch der Veröffentlichung, dann ist die Sache ziemlich eindeutig und dann bräuchten wir eine weitere Willensbekundung Schuberts wohl nicht.

Dann gibt es als drittes die Ebene "persönlicher Empfindung". Und da steht es selbstverständlich jedem frei, etwas als abgeschlossen zu empfinden oder nicht.

Gruß Martin
Martin2
Inventar
#14 erstellt: 02. Mrz 2005, 19:48
Hallo Hiver,

um wirklich ernsthaft weiter über den Güllke zu diskutieren, wäre es ja wohl erforderlich, daß ich mich selber mit diesem Text mal auseinandersetzen müßte. Und dazu habe ich dann ehrlich gesagt doch nicht die große Lust.

Dieses eine kleine Zitat von Dir war allerdings sicher schon aufschlußreich.

Da bleibt also nichts anderes übrig, als die Diskussion mal ein bißchen mehr in allgemeine Bahnen zu lenken. Und da glaube ich denn nicht, daß Schubert ein von anderen Komponisten wesentlich abweichendes Werkverständnis hatte. Und ein Werk ist etwas, was Du als vollständig, abgeschlossen, ohne etwas anderes verständlich, in sich sinnvoll und ästhetisch befriedigend empfindest, und was von einem Komponisten auch als solches geplant ist. Einen solchen Eindruck hatte ich bei Schubert immer, weshalb ich diese "Ästhetik des Fragments" Diskussion auch nicht vertiefen möchte.

Daß allerdings das Verständnis gewisser Werke für das Verständnis anderer Werke sinnvoll ist, ist eine vollkommene Binsenweisheit, die im übrigen für alle Kunst, also auch Malerei und Literatur gilt. Und es ist ja denn auch dementsprechend der älteste Tip der Welt an jeden Neuling, vielleicht doch erst einmal dieses Buch eines Autoren zu lesen, oder dieses Werk eines Komponisten zu hören, damit sich dann ein anderes Werk erst vor einem solchen Hintergrund erschließt.

Schubert fand ich übrigens - bei allen seinen Qualitäten - nie besonders schwierig, da gibt es ganz andere Komponisten, bei denen sich das mit dem "Herantasten" schwieriger gestaltet.

Zum Thema "Verständnis". Meiner Meinung nach gibt es verschiedene Ebenen des Verstehens, wobei für den Musikliebhaber doch nur die "unterste Ebene" des Verstehens wichtig ist. Ein Musikstück in diesem Sinne verstanden hast Du, wenn du es für Dich beim Hören als sinnvoll begreifst. Wiegesagt, das ist die unterste Ebene des Verstehens, die aber bei gewissen Komponisten und gewissen Werken durchaus große Schwierigkeiten machen kann.

Wobei ich in dieser Hinsicht durchaus nicht elitär bin, weil es eine einfache Tatsache ist, daß ausgewiesene Experten mit einem hochentwickelten Verständnis von Musik an dieser Ebene bei bestimmten Werken gescheitert sind, während manch einfacher Musikliebhaber ohne all solches elitäres Wissen sich doch eine Musik erschließt.

Ein höheres Verständnis von Musik hast du dann schon, wenn du über gewisse musiktheoretische Dinge wie vor allem die Formenlehre informiert bist, was gelegentlich mal sinnvoll sein kann ( aber viele Musikliebhaber kommen ganz ohne ein solches Wissen aus).

Und dann gibt es schließlich eine noch höhere Ebene, das ist für mich die Ebene des darüber hinaus gehenden Verstehens. Diese Ebene empfinde ich persönlich als ziemlich abgehoben. Und ich habe so ein bißchen den Verdacht, daß der Güllke mit seiner "Ästhetik des Fragments" auf einer solchen abgehobenen Ebene diskutiert.

Ich persönlich empfinde ein solches abgehobenes Diskutieren als sehr bedenklich. Ich empfinde es zum Beispiel als bedenklich, wenn an Gymnasien Schülern der Eindruck vermittelt wird, als müßten sie nun den Freud, Nietzsche, Kleist und Kierkegaard gelesen und verstanden haben, um dann eine Erzählung von Kafka verstehen zu können. Genausowenig mußt Du den Güllke gelesen haben, um den Schubert zu verstehen.

Meine Erfahrung mit der Kunst ist eine ganz andere. Nämlich die, daß du dir gewisse Kunstwerke zunächst einmal durchs Hören oder Lesen erschließt ( womöglich schon über den Umweg durch andere) um dann zu begreifen, daß sie eine gewisse Tiefe haben. Diese Erfahrung von Tiefe ist für mich sehr wichtig.

Für das Verständnis dieser Tiefe mag es dann schon einmal hilfreich sein, sich mit gewissen abgehobenen Dingen zu beschäftigen. Genauso wahr ist es aber, daß dir gewisse abgehobene Dinge in vielen Fällen auch den Blick auf die wirkliche Tiefe von Werken verstellen.

Jedenfalls glaube ich ganz und gar nicht, daß Du nun den Güllke brauchst, um den Schubert zu verstehen. In zehn Jahren gibt es dann vermutlich wieder einen anderen "brillianten Musikwissenschaftler", der dann wieder ganz andere "zum Verständnis unumgängliche Dinge" herausfindet. Und gerade bei solchen Thesen wie "Ästhetik des Fragments" habe ich den sehr starken Verdacht, daß das wieder einmal "typisches 20. Jahrhundert" ist, das mit dem Schubert herzlich wenig zu tun hat. Gewagt, so etwas zu sagen, ich gebe es zu, wo ich den Güllke noch nicht einmal gelesen habe, aber das ist so mein Verdacht.

Gruß Martin
hiver05
Ist häufiger hier
#15 erstellt: 03. Mrz 2005, 01:18
Lieber Martin!

Vorweg noch kurz zur Unvollendeten: Deinem Kommentar zu Peet stimme ich grundsaetzlich zu. Mit Sicherheit war nicht von Anfang an ein zweisaetziges Werk geplant. Zur Frage, ob Schubert die Sinfonie irgendwann als abgeschlossen angesehen hat, habe ich bereits etwas gecshrieben, moechte aber folgendes Zitat hinzufuegen (natuerlich von Guelke ):
"... Spaetestens im folgenden Fruehjahr [1824], da er vom 'Weg zur grossen Sinfonie' sprach, muss er endgueltig resigniert haben, muessen ihm die beiden Saetze als Fragment historisch geworden sein; schon davor hatte der Anlauf zum Scherzo ihn ueber den Anspruch der vollendeten Saetze hinsichtlich des Ganzen belehrt. ..."
Die Sinfonie wurde also wahrscheinlich von Schubert als abgeschlossen angesehen und ob die Unvollendete nun ein Fragment ist oder nicht - vielleicht wirklich subjektiv, denn da kommt wieder die Frage auf, was ein Fragment ist und wir wollen uns ja nicht im Kreis drehen.

Diskussion in allgemeinere Bahnen lenken... Gute Idee! Mir selbst kam es ja auch ein wenig "abgehoben" vor, zu behaupten, man koenne ein Werk erst dann richtig verstehen, wenn man alle anderen kennt, die mit diesem in Verbindung stehen. Sicher kommt es oefter vor, dass es andere Werke gibt, die Gemeinsamkeiten haben, aber deshalb ist es ja nicht gleich notwendig, sie auch zu kennen, um es zu verstehen. Das habe ich auch gleich im Unterricht zur Diskussion gestellt. Mein Lehrer meinte, es sei sicher nicht voellig unbegruendet, wenn Guelke das behauptet (und ich hoffe an dieser Stelle, ihm die ganze Zeit nicht Unrecht getan zu haben mit meinem Verstaendnis seiner Abhandlungen, genauso wie ich mir nicht vorstellen kann, dass sein Buch in 50 Jahren inhaltlich uninteressanter ist *g*), denn das Buch sei wissenschaftlich und gehoere einer Reihe wissenschaftl Buecher an, aber dennoch muss man nicht damit uebereinstimmen, kann Guelkes Einschaetzung etwas "uebertrieben" sein.
Jedenfalls hatte ich waehrend der ganzen Zeit nie die Einstellung, einzig und allein das, was in diesem Buch steht, sei das Wahre. Der Sinn und Zweck der ganzen Uebung, naemlich jeden Schueler aus dem Kurs ein (Teil-) Kapitel zusammenfassen zu lassen, bestand auch nur darin - um keine Missverstaendnisse aufkommen zu lassen -, einen umfassenderen Eindruck von Schubert zu bekommen und sich gleichzeitig mal mit wissenschaflicher Literatur auseinanderzusetzen, einerseits als Uebung, andererseits als Eindruck, was manche Leute fuer abstraktes Zeug schreiben. ;-) Uns wurde dieser Guelke also wirklich nicht eingepruegelt, damit wir Schubert "verstehen".

Nach deinen interessanten Ausfuehrungen moechte ich auch noch einmal auf das Thema "Verstaendnis" eingehen.
Verschiedene Werke des gleichen Komponisten gehoert zu haben, ist meiner Meinung nach absolut nicht notwendig, aber wenn man den Musikstil dadurch besser einordnen kann, was folglich der Fall ist, wohl durchaus hilfreich.
Ausserdem finde ich, dass man Musik gar nicht richtig "verstanden" haben muss, um sich fuer sie begeistern zu koennen. Natuerlich verstaerkt sich diese Begeisterung aber wiederum, wenn man sich ein Werk oefter anhoert oder es sogar analysiert - ob gruendlich auf dem Papier oder nur grob im Kopf, z.B. nach Form. Die Musiktheorie ist bestimmt nicht alles, damit gelangt man - wie du gesagt hast - nicht unbedingt in die Tiefe, aber es verschafft Ueberblick und das Urteil praezisiert sich, weil es nicht mehr so sehr vom subjektiven Hoereindruck gelenkt wird. Besonders bei modernen/zeitgenoessischen Werken, die du, wenn ich mich nicht irre, schon indirekt angesprochen hast, ist das Verstaendnis sowohl im Sinne von Begreifen als auch im Sinne von Akzeptanz bestimmt groesser, wenn man etwas ueber die Komposition erfaehrt, z.B. wenn sie programmatisch ist oder bestimmte musikalische Mittel verwendet wurden oder der Komponist sich von einem gewissen Gedanken hat leiten lassen oder, oder, oder.
Aber Zeitgenoessisches ist wieder eine ganz andere Schiene. Da kann man wohl stundenlang ueber verstehen, moegen und verabscheuen philosophieren...

Gruss, hiver05
Martin2
Inventar
#16 erstellt: 03. Mrz 2005, 12:03
Liebe Hiver,

wenn Du Dich für ein Werk begeisterst, dann hast Du es doch schon - auf einer ganz wesentlichen Ebene - auch verstanden. Wenn Dir ein Werk nur als eine sinnlose Folge von Tönen erscheint, wie willst Du Dich dann dafür begeistern?

Das intellektuelle Verständnis von Musik reicht im übrigen doch auch nicht bei weitem an dieses intuitive heran. Was Du über Musik auf musikwissenschaftlichem Wege herausfinden kannst, ist durchaus beschränkt. Wäre die Schönheit einer Musik wissenschaftlich analysierbar, bräuchten wir ja keine geniale Komponisten sondern könnten uns gleich die Musik von Musikwissenschaftlern anhören.

Ich glaube auch nicht, daß sich die Begeisterung eines Werkes steigert, wenn man es stärker analysiert. Allerhöchstens kann es schon von einem gewissen Wert sein, sich in der Formenlehre so weit auszukennen, daß man sich in einem 28 Minütigen Sinfoniesatz einer Brucknersinfonie nicht völlig verloren fühlt. Das kann schon sinnvoll sein. Jedenfalls erinnere ich mich, daß ich als junger Mann, als ich von musikwissenschaftlichem Wissen noch völlig unbeleckt war ( zumal mein Musikuntericht ziemlich lausig war), mir Brucknersinfonien erarbeitet habe, indem ich jeweils Abschnitte der Musik mit Hilfe des Zählwerkes des Cassettenspielers kennzeichnete und für mich ( mit teilweise poetischen Ausdrücken) beschrieb. Das war nun völlig unwissenschaftlich, half mir aber ganz wesentlich, mir den Bruckner verständlicher zu machen. Später las ich dann noch etwas über den Aufbau einer Brucknersinfonie, zum Beispiel, daß sie im Gegensatz zur klassischen Sinfonie drei Themengruppen hatte, und das half mir dann noch etwas weiter beim Verständnis.

Bruckner ist aber doch auch etwas besonderes. Im wesentlichen kommst Du bei der Musik ganz ohne jedes Wissen aus. Das von Dir erwähnte "mehrmalige Hören" ist aber wirklich ganz wesentlich. Das erste Hören eines klassischen Musikstücks ist in vielen Fällen sogar ausgesprochen langweilig. Beim zweiten Hören beginnst Du an gewissen melodischen Wendungen Gefallen zu finden und gewisse musikalische Höhepunkte fallen Dir auf. Beim dritten Hören erst merkst Du, wie die Musik auf bestimmte Dinge zusteuert, auch wenn Du diese Dinge vielleicht noch nicht so bewußt wahrnimmst, und kannst erst jetzt auch diesen Teil der Musik genießen und hast möglicherweise schon da die größte Freude an der Musik. Und erst beim vierten oder fünften Hören ist es möglicherweise so weit, daß Du die Musik verstehst und möglicherweise sogar "mitdirigieren" kannst. Das sind natürlich Durchschnittswerte und kann von Musik zu Musik stark differieren. Aber wo Du selber schon einige klassische Musik kennst, wirst Du solche Erfahrungen mit dem "Einhören" natürlich auch gemacht haben. Nur bei manchen Menschen scheitert der Zugang zur klassischen Musik schon daran, daß sie dieses bißchen Geduld für klassische Musik eben nicht aufbringen.

Jedenfalls wird Musik ja wohl für den Zweck komponiert, um gehört zu werden, nicht um analysiert zu werden. Und musikalisch hätte eine Analyse sowieso nur einen Sinn, wenn Du das, was du da analysierst, auch wirklich hörst. Aber ich bin in diesen Dingen nicht bewandert genug, bin nur ein Klassikliebhaber, kein Musikwissenschaftler, und es wird sicher richtig sein, daß ein Musikwissenschaftler oder Musiker in gewisser Hinsicht auch mehr versteht als ich. Das ist ja selbstverständlich.

Trotzdem ist Musik meiner Meinung nach eine bemerkenswert voraussetzungslose Kunst. Du mußt Dich eigentlich nie fragen: "Was bedeutet das" ( das wären nur Bilder, die dir den Zugang zur Musik eventuell mal erleichtern, sonst nichts) sondern nur: "Macht das für mich Sinn?" Und dieser Sinn erschließt sich eben beim Hören - oder auch nicht. Denn ob die Musik "literarisch" Sinn macht ist ja wohl nicht entscheidend, sondern nur, ob es musikalisch Sinn macht, aber was genau ist das? Doch nicht, daß Teile der Musik in einem Bedeutungszusammenhang stehen.

Insofern mag das Wissen über Musik sicher das Verständnis erleichtern, aber einer Musik, deren Verständnis darauf angewiesen sein soll, daß ich mich zunächst theoretisch mit ihr auseinandersetzte, würde ich grundsätzlich mißtrauen.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 03. Mrz 2005, 18:19 bearbeitet]
hiver05
Ist häufiger hier
#17 erstellt: 03. Mrz 2005, 22:05
Hallo Martin!

Wenn ich mich fuer ein Werk begeistern kann, habe ich es doch wohl "nur" auf der intuitiven Ebene verstanden - naemlich was bei mir an Emotionen entsteht, wenn ich die Musik hoere. Aber ich moechte behaupten, dass ich mich sogar fuer mir sinnlos erscheinende Folgen von Toenen begeistern koennte, dass ich z.B. bestimmte Klaenge als aeusserst interessant empfinde oder Effekte toll finde, obwohl mir alles komisch vorkommt und ich die Musik einfach nicht "verstehe", dass ich das Gefuehl habe, der Aha-Effekt fehle noch.

Daher finde ich, dass es selbst auf der intuitiven Ebene noch Unterschiede gibt. Im Chor haben wir z.B. neulich ein Chanson von Hindemith gesungen, was mir noch nicht so recht einleuchtet (mag auch am Chor liegen :-). Da ist es so, dass ich es analysieren koennte und es auf der Ebene wohl relativ schnell verstehen wuerde, weil es gar nicht so kompliziert aufgebaut ist, aber die Musik ist bei mir trotzdem noch nicht so richtig angekommen. Also muss weder das intuive Verstehen die Folgerung aus intellektuellen/analysiertem Verstehen sein noch umgekehrt.

Dass sich die Begeisterung fuer ein Werk nach einer Analyse steigern kann, bin ich mir aber sicher, zumindest was mich anbelangt. Auch ein Komponist macht sich ja Gedanken (und was fuer welche!), wenn er etwas komponiert, und wenn man dies ansatzweise durch intensive Beschaeftigung nachempfinden kann, ist das ein tolles Erlebnis. Wenn man Genialitaet erkennt, begeistert das doch!

Ein anderer Ansatzpunkt ist Interpretation: Wenn man ein Werk selbst interpretiert - zugegeben, das ist nicht immer moeglich - wird man es hoffentlich auch verstanden haben.

Achso, ein Musikwissenschaftler ist selbstverstaendlich mit einem Komponisten nicht zu vergleichen. Aber man kann Musikwissenschaft auch als eigene Kunst ansehen, als Synthese von Literatur und Musik beispielsweise. Als ich mich mit diesem wissenschaftlichen Text beschaeftigen musste, habe ich mich zunaechst darueber aufgeregt (u.a. weil mir 92 Fussnoten fehlten, die dummerweise erst am Ende des Kapitels angegeben waren, dessen Kopie mir aber fehlte, da ich nur die erste Haelfte des Kapitels lesen musste und kopiert hatte... :-), aber nach und nach konnte ich mich einlesen und es war teilweise wie Raetselraten, das Spass machte. Fragmente zusammensetzen.

Natuerlich wird Musik geschrieben, um gehoert zu werden. Aber sie wird analysiert, um das Hoeren zu veraendern. Insonfern ist Analysieren im Sinne der Musik: Damit sie beim Hoeren Anklang findet.

Am Ende hast du geschrieben, du wuerdest Musik misstrauen, die du nur nach theoretischer Auseinadersetzung verstehen kannst. Meiner Ansicht nach ist das bei manchem, z.B. Zeitgenoessischem wirklich der Fall. Denn gerade diese Musik hat oft eine ganz andere Intention, naemlich nicht die herkoemmliche, beim Hoeren ausschliesslich Wohlgefallen auszuloesen. Und wenn einem die Musik nicht nach dem dritten Hoeren gefaellt, verurteilt man sie. Zu Recht? Ich weiss nicht. Neulich war ein Quartett in unserer Schule, das vor Oberstufen-Musikkursen erst ein Quartett von Smetana aus dem Jahre 18Jhd-was-weiss-ich
und eins von Isabel Mundry aus dem Jahre 2004. Dass es einige gab, die letzteres nur schrecklich fanden und sich am liebsten die Ohren zugehalten haetten, hat doch einen Grund.

Aber dass Theorie fuer das Musikhoeren grundsaetzlich nicht wirklich notwendig ist, stimme ich dir schon zu. Deswegen gehe ich jetzt weg und hoere mir Musik an. Am besten welche, die ich noch nicht kenne. :-)

Schoene Gruesse,
Hiver
peet_g
Stammgast
#18 erstellt: 04. Mrz 2005, 14:34

Martin2 schrieb:

an der Tatsache, daß die Unvollendete zumindestens zunächst als Fragment entworfen wurde, führt gar kein Weg daran vorbei. Es gibt Entwürfe zu anderen Sätzen.


Hallo Martin2,

das stimmt nicht. Kein Komponist plant ein Werk "als Fragment". Schubert schrieb eine Symphonie. Aus dem ursprünglichen Plan wurde ein anderer - aus vier Sätzen wurden zwei. Punkt.



Allerhöchstens könnte strittig sein, ob Schubert die Unvollendete zu einem späteren Zeitpunkt als abgeschlossen betrachtet hat. Da hattest Du ins Feld geführt, daß Schubert die Unvollendete in der vorliegenden Form verschickt hat ( aber wem? einem Musikverleger doch wohl nicht?) Das fand ich eine sehr interessante Information, die mir nicht bekannt war. Ob dies allerdings als Beweis für Deine Behauptung ausreicht, möchte ich dahingestellt sein lassen. Eine Willensbekundung von Schubert scheint mir nicht vorzuliegen. Wenn Schubert die Unvollendete an einen Musikverleger geschickt haben sollte, in dem dann ja wohl offensichtlichen Wunsch der Veröffentlichung, dann ist die Sache ziemlich eindeutig und dann bräuchten wir eine weitere Willensbekundung Schuberts wohl nicht.


Ich würde dir empfehlen, eine x-beliebige Biografie von Schubert zu lesen. Da steht es normalerweise alles drin. Dann mußt du nämlich mich nicht mehr für den Neuentdecker halten. Ehrlich, daß sind allgemein bekannte Sachen. Beim "googeln" bekommst du gleich richtige Angaben, z.B.

http://www.aeiou.at/su-einl.htm

usw.



Dann gibt es als drittes die Ebene "persönlicher Empfindung". Und da steht es selbstverständlich jedem frei, etwas als abgeschlossen zu empfinden oder nicht.


Das ist absolut richtig. Es ist tatsächlich jedem überlassen, sich zu blamieren oder nicht.

Nichts für ungut.

Freundliche Grüße
Martin2
Inventar
#19 erstellt: 04. Mrz 2005, 19:51
Lieber Peet,

wie ich schon an einer Stelle sagte, empfinde ich die Unvollendete durchaus als abgeschlossenes Werk. Ich habe durchaus nicht den Eindruck, daß mir da etwas fehlt. In diesem Punkt sind wir also einer Meinung und brauchen gar nicht zu streiten. Allerdings glaube ich nicht, daß sich der, der anders empfindet, blamiert. Ich wüßte nicht wieso. Immerhin war es ja Schubert selber, der versucht hat, dieses Werk fortzusetzen. Dann wäre ja wohl der erste, der sich hier blamiert hat, der Franz Schubert selber.

Schön, daß Du hier mal einen Link reingestellt hast. Sicher habe ich auch schon mal eine Schubertbiographie gelesen, das ist aber sehr lange her und ich habe kein Gedächtnis wie ein Computer. Das schöne daran, daß man soviel vergißt, ist die Tatsache, daß man immmer wieder neue Dinge erfährt.

Das mit dem "als Fragment entworfen" hast Du mißverstanden. Damit meinte ich nichts anderes, als daß Schubert die Unvollendete als Teil eines größeren ganzen geplant hat. Hätte er ein Werk als Fragment geplant, dann könnten wir ja wieder mit der "Ästhetik des Fragments" Debatte anfangen, aber dazu hatte ich ja schon meine Meinung gesagt, nämlich daß ich einen solchen Begriff für an sich ziemlich sinnlos halte. Ich glaube zu dieser Debatte ist alles gesagt.

Gruß Martin
Martin2
Inventar
#20 erstellt: 05. Mrz 2005, 01:00
Liebe Hiver,

na ja, vielleicht ist dieser Chanson von Hindemith ja auch nicht so doll. Ich habe einige Sachen von ihm kennengelernt, die mir einen gewissen Respekt abgenötigt haben, begeistert oder hingerissen hat er mich nie. Irgendwie interessiert Hindemith mich nicht so besonders, ehrlich gesagt. Er ist schon ganz gut, keine Frage, aber irgendwie gibt es Komponisten, die mich viel mehr faszinieren. Ich glaube auch, daß er sehr viel komponiert hat, und ob das nun alles Meisterwerke sind? Ich habe jedenfalls auch Sachen gehört, die ich schlecht fand.

Muß eine Musik schlecht sein, die mir nach dreimaligem Hören immer noch nicht gefällt? Also irgendwie müssen wir schon Urteile fällen. Ich denke, ich habe schon sehr viel Musik gehört und habe mir die Dinge dann auch eigentlich immer erschlossen. Wenn mir das dann mit bestimmter Musik nicht gelingt, habe ich dann schon den starken Verdacht, daß das nicht an mir sondern an der Musik liegen könnte.

Natürlich hängt das auch immer sehr stark daran, um was es sich da handelt. Vaughan Williams 4. zum Beispiel habe ich neulich wieder gehört. Sie gefällt mir nicht und sie gefiel mir beim Wiederhören wieder nicht. Ich werde sie trotzdem wieder hören, weil ich Vaughan Williams sonst sehr schätze und ich doch immer noch darauf hoffe, daß mir die Musik mehr sagt.

Du kannst aber nicht bei jeder Musik eine solche Vorsicht walten lassen, sonst hältst Du Dich mit bestimmten Dingen einfach zu viel auf und verleidest dir am Ende die Freude an der Musik. Und viele Musik sagt mir durchaus auch schon beim ersten Hören etwas ( mindestens beim zweiten). Und es gibt in der klassischen Musik soviel großartige Dinge, warum solltest du verzweifelt zu etwas Zugang suchen und am Ende ist es diese Musik noch nicht einmal wert.

Genialität verstehen? Also wenn du weißt, wie etwas aufgebaut ist, hast du es damit doch überhaupt noch nicht verstanden. Du kannst es auch harmonisch untersuchen, und dann feststellen, wie es von der Subdominantparallele in die Dominante wechselt oder sonst etwas. Das mag dann hilfreich sein, wenn du meinetwegen weißt, wie ein Komponist auf tausend Umwegen die Grundtonart vermeidet, bis sie dann irgendwann triumphierend hervorbricht. Aber das brauchst du nicht zu wissen, das hörst du auch. Auch wenn du vielleicht nicht so genau weißt was du da hörst.

Und um irgend etwas theoretisch von der Genialität eines Komponisten zu begreifen, mußt du denke ich schon wirklich verdammt gut sein. Und das ist dann immer noch sehr wenig. Und da bist du als Hörer dem Analytiker immer noch um Lichtjahre voraus. Wobei Analytiker ja auch Hörer sind.

Avantgardemusik, serielle Musik und so etwas höre ich im übrigen nicht ( du hattest die zeitgenössische Musik angesprochen). Vielleicht noch ein bißchen Berg, das ist es dann aber auch. Als Jugendlicher habe ich solche Dinge allerdings viel gehört und war für solche Dinge offener. Wahrscheinlich hätte ich mir auch das Quartett von Isabel Mundry angehört und mich zunächst einmal dafür interessiert. Als Jugendlicher habe ich auch viel Charles Ives gehört und fand solche Sachen wie seine Vierteltonmusik hochinteressant. Bei Charles Ives hatte das Avntgardistische noch einen gewissen Charme. Und ich habe da neulich eine Naxos CD mit Klaviermusik von Charles Ives gesehen. Ich glaube, die werde ich mir mal holen.

Tatsache ist jedenfall, viele Konzepte von moderner Musik leuchten mir überhaupt nicht ein. So wie moderne Kunst überhaupt. Das interessiert mich nicht und muß mich auch nicht interessieren. Allerdings solltest du zeitgenössische Musik nicht auf Avantgarde reduzieren. Es gibt so manche Komponisten, die auch einen anderen Weg gegangen sind und die finde ich dann wieder sehr interessant.

Gruß Martin
hemmi
Ist häufiger hier
#21 erstellt: 14. Mrz 2005, 01:22
Liebe Musik-Freunde,
dank Hüb' weiß ich jetzt, dass ich die Fotokopie der Original-Handschrift Schuberts des Fragmentes vom dritten Satz der "Unvollendeten", nicht von meiner Festplatte aus ins Forum stellen kann.
An dieser Stelle noch einmal ein herzliches Danke an Hüb'!
Wer dennoch interessiert sein sollte, soll sich bei mir per E-Mail melden, ich schicke einen Scan per E-mail zu.

Herzliche Grüße
hemmi
Hüb'
Moderator
#22 erstellt: 14. Mrz 2005, 08:37
Tut mir leid. Ist leider technisch nicht möglich. Hier können nur Bilder gepostet werden, die irgendwo im www zugänglich sind. Du könntest den Scan natürlich an anderer Stelle ins Netz stellen. Es gibt doch diverse Fotoplattformen.

Viele Grüße,

Frank
hemmi
Ist häufiger hier
#23 erstellt: 14. Mrz 2005, 23:36
Ja Hüb', ich habe Dich schon bei Deiner E-mail verstanden!
Danke, vielen lieben Dank!
Mein voriges Angebot ziehlte darauf, ein gescanntes Bild an interessierte Forum-Mitglieder nach Anforderung an Ihre persönliche E-mail-Adresse zu senden.
Sollte ich mich, wie das wohl ab und an meine Art ist, wieder missverständlich ausgedrückt haben, bitte ich das zu entschuldigen.
hemmi
Hüb'
Moderator
#24 erstellt: 15. Mrz 2005, 00:02
Kein Problem!
Viele Grüße,
Frank
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