Authentizität von Aufnahmen

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Wilke
Inventar
#1 erstellt: 28. Mrz 2011, 07:41
Gestern habe ich im Deutschlandradio kultur eine Aufnahme
und einen Beitrag von Schiff mit den Goldbergvariationen
gehört bzw. teilweise mitverfolgt.

Schiff kritisierte dabei einerseits, dass es z.B. Transkriptionen für Violine gäbe, für ihn sei es schon problematisch, die Goldbergvariationen statt auf Cembalo auf
Klavier zu spielen.

Wie seht Ihr das Problem der Authenzität von Aufnahmen?

Gruß Wilke
Kreisler_jun.
Inventar
#2 erstellt: 28. Mrz 2011, 08:33
Schiffs Beispiel ist etwas eigenartig. Jedem ist klar, dass eine Transkription für Streichtrio eine solche ist, während bei modernem Flügel gegenüber zweimanualigem Cembalo normalerweise stillschweigend so getan wird, als ob das das neheliegende sei.
Von den vielen Bach-Transkriptionen von Orgelwerken oder der Violinchaconne auf das Klavier gar nicht anzufangen.
Wichtig finde ich hier hauptsächlich, dass dem Hörer klar gemacht wird, womit er rechnen kann, also ob eine Bearbeitung vorliegt.
Wie gelungen die ist, kann man ohnehin nur im Einzelfall beurteilen.

Ähnliches gilt für Ausgrabungen zweifelhafter Herkunft. Der Klarinettist Klöcker hat mehrfach CDs mit angeblich von Mozart stammenden Kammer- oder Konzertwerken für Klarinette(n) vorgelegt, wo dann irgendwo im Kleingedruckten eingeräumt wurde, dass es Bearbeitungen sind oder die Autorschaft umstritten ist usw. Aber auf der CD stand erstmal "Neues Mozartwerk entdeckt" oder so.
Szellfan
Hat sich gelöscht
#3 erstellt: 28. Mrz 2011, 09:47
Hallo Wilke,
schön, daß Schiff sich Gedanken macht, denn schließlich kann er auch hervorragend Cembalo spielen.
Nun sind die Goldbergvariationen explizit für Cembalo komponiert, darum kann man da Überlegungen anstellen.
Anderes von Bach existiert ja in von ihm selbst erstellten Transkriptionen, spätestens bei der Kunst der Fuge wird alles Spekulation.
Generell ist das innerhalb der Barockmusik nicht an erster Stelle zu sehen, welches Instrument man benutzt, sondern daß man die Regeln kennt, nach denen die Musik komponiert ist und diese anwendet, egal auf welchen Instrument, bei der Wiedergabe.
Das ist, glaube ich, das Entscheidende, alles andere eher zweitrangig-innerhalb gewisser Grenzen.
Aber was ist denn Authentizität überhaupt?
Da halte ich's gern mit Harnoncourt: alles kann falsch sein, wenn es denn überzeugend ist.
Das aber hat mit Zuschreibungen an einen Komponisten herzlich wenig zu tun, die Qualität der Musik allein zählt.
So manche "Bach-Kantate" wird nicht mehr aufgeführt, weil sich herausgestellt hat, daß sie doch von Telemann ist, also nicht mehr "würdig".
So klug als wie zuvor?
Vertrau Deinem guten Geschmack und wenn's Dich anrührt, ist es für Dich auch "authentisch".
Schiff ist eben ein kluger Mann!
Herzliche Grüße, Mike
Hörbert
Inventar
#4 erstellt: 28. Mrz 2011, 11:57
Hallo!

Von einigen Ausnahmen abgesehen, (wenn z.B. der Komponist selbst das Werk Transkribiert hat) finde ich persönlich die allermeisten Transkriptionen so notwendig wie ein Kropf. Aber das ist Geschmacksache.

Eigentlich sollte es nachgerade genügend Werke jeder Gattung und jeder Geschmacksrichtung geben, vermutlich erschließt sich mir hier der Sinn des Transkriptionswsens nicht ganz.

MFG Günther
Wilke
Inventar
#5 erstellt: 28. Mrz 2011, 13:12
Schiff hatte in dem Beitrag hingewiesen, dass teilweise Liszt
z.b. Kompositionen übertragen hatte, damit diese nicht in Vergessheit geraten. Ich selbst habe als fortgeschrittener
Anfänger noch genügend zu hören... gruß Wilke
Kaddel64
Hat sich gelöscht
#6 erstellt: 28. Mrz 2011, 13:21

Hörbert schrieb:
Eigentlich sollte es nachgerade genügend Werke jeder Gattung und jeder Geschmacksrichtung geben, vermutlich erschließt sich mir hier der Sinn des Transkriptionswsens nicht ganz.

Jeder Instrumentalist wird die Situation kennen - und alle anderen mögen sie nachvollziehen - , dass einen ein bestimmtes Werk so anrührt, dass man es selbst musizieren möchte, nur leider das falsche Instrument spielt. (Genau genommen ist jede Melodie, die Du unter der Dusche pfeifst, eine Bearbeitung. )
Das ist vermutlich der Ursprungsgedanke dahinter. So sind zahlreiche Transkriptionen auch nicht für den Konzertsaal gedacht, sondern eher für den Hausgebrauch. Dass die Musikindustrie dennoch ein Zusatzgeschäft mit dem Vertrieb von Transkriptionen wittert, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Hörbert
Inventar
#7 erstellt: 28. Mrz 2011, 14:07
Hallo!

@Kaddel64

Danke, das erscheint mir schlüssig, als reiner Musik-Rezipient kommt man hier auf das eigentlich naheliegend natürlich nicht so einfach.

MFG Günther
Szellfan
Hat sich gelöscht
#8 erstellt: 28. Mrz 2011, 15:02
Hallo Kaddel, hallo Günther,
ein Satz nur: wohl wahr.
Herzliche Grüße, Mike
flutedevoix
Stammgast
#9 erstellt: 07. Apr 2011, 21:30

Hörbert schrieb:
Hallo!

Von einigen Ausnahmen abgesehen, (wenn z.B. der Komponist selbst das Werk Transkribiert hat) finde ich persönlich die allermeisten Transkriptionen so notwendig wie ein Kropf. Aber das ist Geschmacksache.

Eigentlich sollte es nachgerade genügend Werke jeder Gattung und jeder Geschmacksrichtung geben, vermutlich erschließt sich mir hier der Sinn des Transkriptionswsens nicht ganz.

MFG Günther


Wenn wir in die Renaissance zurückgehen, sehen wir, daß Werke nach Lust und Laune transkribiert werden. Es ist völlig normal, daß Motetten oder Chansons intabuliert werden, sprich auf ein Tasten- oder Zupfisntrument übertragen werden. Da es auf Lauten- und Gitarreninstrumenten öfters Schwierigkeiten gibt eine 4- od. 5-stimmige Motette eins zu eins zu übertragen, geht damit ganz oft eine transkription, also eine Änderung der Stimmführungen einher.

Noch im Barock war es üblich, zu transkribieren. So würde ich z.B. Bachs Übertragungen von Streicherkonzerten (Violin-, Oboenkonzerte etc.) sicher nicht als "notwendig wie ein Kropf" bezeichnen. Es sind sehr interessante Werke dabei herausgekommen!

Gemäß dem hier gebräuchlichen Verständnis von Transkription fällt ja auch der Austausch von Soloinstrumenten unter Bearbeitungen. Dies war aber im Barock eine ganz übliche Praxis. In den Lehrwerken steht sogar geschrieben wie man transponieren muß, um eine Sonate (oder ein Konzert) in eine passende Tonart für "sein" Instrument zu bekommen. Auch wurde eine Flöttenart die sog. Vocieflute oder flutdevoix "erfunden", um Traversflötenmusik in den Originaltonarten für Blockflöte spielbar zu machen.

Auch wurde gerne bereits komponierte Musik von Komponisten bearbeitet, (meist) dem Zeitgeist, dem Geschmack angepaßt und so dem Vergessen entrissen. Darunter fallen Mozarts Händel- und Bachbearbeitungen, Mendelssohns Bach- und Händelbearbeitungen, nur als Beispiel unter vielen.

Daß Bach dabei Werke aus dem eigenen Orchesterwerk für Kantaten umgearbeitet hat, ist nur ein Zeichen für dieses Wirken innerhalb einer Epoche, ja sogar eines Komponisten. Beinahe das ganze Weihnachtsoratorium besteht aus Transkriptionen.Händel hat munter Arien transponiert, Soloinstrumente ausgestauscht, wenn er andere Opernstars hatte.
Was ich hier beschreibe haben andere Komponisten natürlich auch mit dem Werk anderer Komponisten gemacht. Bachs großes Archiv mit Werken seiner Zeitgenossen und schon lang verstorbener Meister ist ja hinreichend bekannt.

Weiter dürfen wir nicht vergessen, daß es ja bis ins 20. Jahrhundert keine Möglichkeiten gab, klingende Musik, Aufführungen zu konservieren. Daher wurden Bearbeitungen angefertigt, um z.B. opern bis in die letzten Winkel bekannt zu machen: an Fürstenhöfen in sog. Harmoniebesetzungen (meist 2 Oboen, Klarinetten, Hörner, Fagotte) in bürgerlichen Salons für Klavier (z.B. Liszt), für Blasorchester aller Art (z.B. bei Verdi und Puccini verbürgt, z.T. vom Komponisten selbst)

Noch im 20. Jh. haben wir eine reiches Repertoire an Bearbeitungen (z.B. Busoni od.Stokowski bei Bach) oder Paraphrasen (alle Pianisten um die Jahrhundertwende)


Als Fazit möchte ich schreiben, daß Bearbeitungen niemals "nötig wie ein Kropf", also unnötig waren. Sonst wären sie nämich nicht gemacht worden. Wie bei allem gibt es auch bei Transkripitionen unterschiedliche Qualitätsstufen. Ich denke, danach sollte man Transkriptionen beurteilen. Daß es da durchaus Kriterien gibt, kann ich gerne bei Interesse versuchen, zu umreißen
Joachim49
Inventar
#10 erstellt: 07. Apr 2011, 23:22
Ich finde Transkrkriptionen im allgemeinen sehr reizvoll. Auf manche möchte ich keinesfalls verzichten. Hier ein paar aus meinem CD Regal:

Bachtranskriptionen - ich meine wenn Bachs Musik von anderen transkribiert wird - mag ich besonders gerne, vor allem Stokowski und Busoni, oder auch vom Klavier zum Streichtrio (Mozart (WTK)oder die Inventionen (Janine Jansen & Co).
Beethoven selbst hat seine zweite Symphonie für Klaviertrio transkribiert, oder eine Klaviersonate für Streichquartett. Weingartners Orchestrierung der Hammerklaviersonate (op 106) ist phantastisch, - unbegreiflich, dass das fast niet gespielt oder aufgenommen wird.
Von Brahms habe ich einen ganzen Schwung: Das Deutsche Requiem für 2 Klaviere (oder 4hd?) und Chor oder auch ohne Chor. Symphonien, Streichquartette & quintette für Klavier 4händig, etc. (Naxos hat eine ganze Reihe).
Zu den schönsten Transkriptionen gehören die, die Brahms selbst oder andere angefertigt haben, wobei die Klarinette durch die Bratsche, oder das Horn durch die Bratsche ersetzt wird.
Manche der Liszttranskriptionen von Schubertliedern sagen mir sehr zu (obwohl ich kein Lisztfan bin), und wenn Glenn Gould die 5te auf dem Klavier spielt, bin ich immer mit Begeisterung dabei.
Mussorskys "Bilder" haben durch Ravel gewiss nicht an Reiz verloren.
Nicht verzichten möchte ich auf die Bearbeitung der 'Winterreise' durch Hans Zender oder auf die Transkriptionen, die in der 'Schönbergschule' angefertigt wurden für kammermusikalische Privataufführungen. Erwähnen möchte ich auch Berio's Bearbeitungen, etwa die Orchesterfassung einer der Klarinettensonaten von Brahms.
Ich habe auch eine Winterreise, in der die Singstimme von Tabea Zimmermann auf der Bratsche gespielt wird.

Klaviertranskriptionen hatten natürlich früher eine ganz andere,wichtige Funktion. Es gab ja keine Tonträger und nicht überall waren Orchester oder Opernhäuser.

Ich sehe auch keinen Grund, Transkriptionen nur dann legitim zu finden, wenn sie der Komponist selbst angefertigt hat, etwa wenn Mozart seine Bläserserenade (K 388) für Streichquintett bearbeitet, oder Haydn die "7 letzten Worte" von der Chorfassung für Streichquartett)

Also was mich betrifft: transkribiert so viel ihr wollt (was nicht heisst, dass mir alle Transkriptionen gefallen).
Joachim
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