James Joyce und die Musik

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AladdinWunderlampe
Stammgast
#1 erstellt: 04. Feb 2012, 02:07
Liebe Musikfreunde,

am 2. Februar 1882, gestern vor 130 Jahren, wurde in Dublin James Joyce geboren. Da Joyce, dessen Ulysses ich (auch wenn ich aufgrund meiner aktuellen Lesevorhaben momentan in einer Proust-Phase stecke) für eines der komischsten und menschlichenfreundlichsten Bücher der Weltliteratur halte. zu meinen absoluten literarischen Helden gehört, habe ich zur Feier dieses Jahrestages heute Abend allerlei Musik rund um James Joyce gehört: Zuerst Luciano Berios Thema - Omaggio a Joyce, eine kurze elektroakustische Studie aus dem Jahr 1958, in der Berio Sprachmaterial aus dem berühmten Sirenen-Kapitel des Joyce'schen Ulysses verarbeitet; dann Bernd Alois Zimmermanns "Prèsence" für Violine, Violoncello und Klavier (1961),- ein "Ballet blanc", in dem sich drei literarische Figuren - nämlich Don Quichotte und Roi Ubu und Molly Bloom, die Ehefrau der Hauptfigur des Ulysses - ein Stelldichein geben; und schließlich die James Joyce Chamber Music für Harfe, Horn und Kammerorchester (1966-1967) von Klaus Huber, die im Titel und in ihren musikalischen Texturen auf Joyces frühe Gedichtsammlung Chamber Music (die ich nicht kenne) Bezug nimmt.

Schon der Titel Chamber Music deutet an, dass Joyce selbst musikalisch sehr interessiert war: Durch den Ulysses geistern nicht nur allerlei irische Volkslieder, sondern auch Anspielungen auf Kirchen- und Opernmusik des 19. Jahrhunderts; Molly Bloom wird uns als Sängerin präsentiert, und das Sirenen-Kapitel ist gar laut Joyces Aussage in der Art einer Fuge strukturiert (wobei sich die Gelehrten bis heute streiten, wie das zu verstehen sei); und selbstverständlich ist Joyces Sprache mit ihren teils aberwitzigen Wortspielen und Lautmalereien in mannigfacher Form musikalisch geprägt. Und so verwundert es nicht, dass Joyce eine Vielzahl von Komponisten zur musikalischen Auseinandersetzung mit seinem literarischen Werk angeregt hat: Bernd Alois Zimmermann etwa bezieht sich nicht nur im genannten Klaviertrio "Présence" auf den irischen Schriftsteller, sondern auch in seinen Antiphonen für Viola und 25 Instrumentalisten sowie im Requiem für einen jungen Dichter; und auch einer der musikalischen Jubilare dieses Jahres, John Cage, hat Joyce mit seinem Roratorio - an Irish Circus on Finnegan's Wake eine musikalische Reverenz erwiesen. Die Reihe lässt sich über Hans Zenders Oper Stephen Climax problemlos zu jüngeren Komponisten wie Gilles Gobeil oder Flo Menezes fortsetzen.

Und nun interessiert mich, was Ihr an Kompositionen rund um James Joyce kennt und was ihr davon empfehlen würdet.


Herzliche Grüße
Aladdin
AladdinWunderlampe
Stammgast
#2 erstellt: 04. Feb 2012, 23:29
Mhm, anscheinend bin ich der einzige Joyce-Musik-Hörer auf weiter Flur. Woran liegt's? An Joyce? Oder an den Musikstücken zu seinen Werken?
Martin2
Inventar
#3 erstellt: 05. Feb 2012, 15:00
Hallo Aladdin,

ja, das ist schade für Dich. Aber dies ist nur ein kleines Forum. Und jeder hat seinen persönlichen, wenn auch sicher nicht für alle Zeiten fest gefahrenen ( wie ich doch hoffe) Musikgeschmack.

Moderne Musik ist in diesem Forum zweifellos unterbelichtet, worin es sich von anderen Klassikforen allerdings nicht unterscheidet.

An James Joyce Ulysses bin ich übrigens auch gescheitert, habe es nur ungefähr zur Hälfte gelesen.

Trotzdem danke für Deinen interessanten Beitrag.

Gruß Martin
Joachim49
Inventar
#4 erstellt: 05. Feb 2012, 21:38
Lieber Aladdin, ich werde bei Deiner Frage - abgesehen von einer kleinen Fussnote - wohl auch passen müssen. Ich habe James Joyce gegen Ende meiner Schulzeit gelesen. Das war natürlich keine Schullektüre im Englischunterricht und es ist inzwischen recht lange her. Das "Portrait of an Artist ..." habe ich mit Begeisterung gelesen, danach auch die frühere Version 'Stephen Hero' und auch (Teile der) Dubliners. Natürlich habe ich den Ulysses (in der alten übersetzung von Georg Goyert). Den Ulysses habe ich mit Sicherheit nicht ganz gelesen, wahrscheinlich habe ich es relativ früh aufgegeben. In einem Anfall von Grössenwahn habe ich auch 'Finnegans Wake' auf Englisch. In diesem Zusammenhang kann ich auch einen winzigen, bescheidenen Beitrag liefern. Ich bin nämlich ein grosser Freund von Wolfgang Hildesheimer, dessen Roman 'Tynset' sich für mich liest wie ein Stück Musik (In diesem Roman gibt es wirklich eine lange Passage, die wie eine Fuge konstruiert ist). Aber es soll ja um Joyce gehen. Hildesheimer hat den Beginn von Finnegans Wake ins Deutsche übertragen und kommentiert. In seinem Kommentar macht er eine interessante Bemerkung zu Joyce und Musik. Er weist darauf hin, dass man Joyce's Finnegan oft mit einer Symphonie verglichen hat - aber er weist diesen Vergleich zurück. In einer Symphonie erklingen gleichzeitig mehrere Stimmen. Es ist im Prinzip kein Problem zwei Themen gleichzeitig erklingen zu lassen und die Mehrschichtigkeit der Partitur kann verschiedene Themen/Motive über verschiedene Stimmen verteilen. Aber ein Satz ist keine Partitur: "Hier" schreibt Hildesheimer " ist es umgekehrt: die Vielzahl der parallel laufenden Stimmen - Sagen und Aussagen, Mythen und Märchen, darunter als Continuo, das Rauschen, das Plappern, das Summen - ALL DIES IST EINZEILIG IN EINER EINZIGEN STIMME EINGEFANGEN, DIE UNAUFHÔRLICH MEHRSCHICHTIGES ZU ARTIKULIEREN UND MEHRDEUTIGES ZU FORMULIEREN HAT" (Hervorhebung von mir).
In Hildesheimers Übersetzungsversuch sieht man zum Beispiel wie das Motiv des Fliessens gleichzeitig mit anderen Motiven in einem Satz eingefangen wird:
"Etsch los und spree mich nicht an. Krempel hoch, lass die Redseele locker. (...) Guck mal den Dreck an dem! All Main Wasser verpasst er mir schwarz. Und geweicht und gewickelt seit heut vor'ner Wanne.(...) Ausfindig wüsst ich die Orbe wo er sich saalt, ebriger Bock. (...) Drisch's flach mit dem Flegel, mach's Rhein. Die Gelenke gallertig vom Reiben an Moltau und Fleck. Und die dnejprige Nässe, der Gangres von Laster dran. (...) Die Hose bootets an den Tag. Man wesert wie's ist. (...) Wie du flutest, so sollst du ebben.Riff gauche war im Recht, und Riff droite war ihm schlechter. (...) Oder neisst er denn sonst wie.? (...) Ich wildganz und gar dich. (...) Lech mir das rüber und fisch mir was andres. "
Dies als Illustration für einen Text der zwar linear aber dennoch mehrstimmig ist (natürlich habe ich viel weggelassen, aber es ist deutlich wie hier als continuo das Motiv des Flessens, des Feuchten, des Wassers etc. zugleich mit anderen Motiven anklingt).
Die Kunst von James Joyce besteht also darin dass er in Sätzen mehrstimmig schreiben kann.

(zitiert aus: W. Hildesheimer: Interpretationen, James Joyce, Georg Büchner, Zwei Frankfurter Vorlesungen. Frankfurt, Suhrkamp, 1969).

Kennst du beide deutschen Ulysses Übersetzungen? 'Muss' man die Neue haben, wenn man die alte noch kaum gelesen hat?

Proust's 'Recherche' wäre vielleicht ein leichteres Thema. In der frz. Musikzeitschrift 'Classica' vom Februar ist ein Dossier 'Proust et la Musique'. Den Proust hab ich auch mehr oder weniger gleichzeitig mit Joyce gelesen. Aber auch da bin ich nicht bis ans Ende gelangt, aber doch erheblich weiter, als im Ulysses.
Freundliche Grüsse
Joachim


[Beitrag von Joachim49 am 05. Feb 2012, 21:42 bearbeitet]
AladdinWunderlampe
Stammgast
#5 erstellt: 16. Jun 2012, 21:20
16. Juni - heute ist Bloomsday!

Zur Feier des Tages sendet WDR 3 heute acht Stunden lang (noch bis 2.40 Uhr) eine komplette Lesung von James Joyces Erzählungssammlung Dubliner. Also nichts wie einschalten, zuhören und staunen!



Herzliche Grüße
Aladdin
Kreisler_jun.
Inventar
#6 erstellt: 17. Jun 2012, 00:27
Im Deutschlandfunk laufen die ersten 7 Stunden eines >20h dauernden Ulysses-Hörspiels

http://www.dradio.de/aktuell/1770113/
AladdinWunderlampe
Stammgast
#7 erstellt: 20. Jun 2012, 00:54
Hallo Kreisler jr.,

hast Du Ausschnitte aus dem Ulysses-Hörspiel hören können? In der letzten ZEIT stand ein großer Artikel über diese Produktion, und trotzdem habe ich am Bloomsday schlicht vergessen, dass das im Deutschlandfunk gesendet wurde. Aber zum Glück soll das Ganze ja anscheinend auch noch als CD-Box erscheinen.

Dafür habe ich auf WDR 3 einige der Dubliner-Erzählungen verfolgt, die dort nicht als Hörspiele inszeniert waren, sondern schlicht vorgelesen wurden - wenn auch jeweils zwischen mehreren Erzählerinnen und Erzählern wechselnd. Ich habe diese Geschichten seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gelesen, und war doch gleich wieder berührt, wie genau, unprätentiös und doch zugleich menschenfreundlich Joyce bereits in diesem frühen Werk anhand scheinbar alltäglicher Situationen das Innenleben ganz normaler Menschen mit all ihren Versagungen, vergessenen Träumen, geheimen Sehnsüchten, transparent werden lassen kann - so, wenn in Thomas Little Chandler anhand der Begegnung mit einem inzwischen erfolgreichen Jugendfreund seine eigenen, im kleinbürgerlichen Alltag verschütt gegangenen Künstlerambitionen für einen kurzen Moment wiedererwachen ("Eine kleine Wolke"), wenn der jugendliche Ich-Erzähler in "Arabia" beim (scheiternden) Versuch, auf einem Weihnachtsbasar ein Präsent für seine heimlich Angebetete zu besorgen allerlei pubertäre Sehnsüchte und Ängste durchlebt, oder wenn Joyce den Leser in die selbstzerstörerische Psyche eines Alkoholikers ("Entsprechungen") oder einer unscheinbaren, rührend unscheinbaren, alleinstehenden Frau versetzt, die sich die Versagungen ihres Lebens kaum selbst eingesteht - allesamt Gestalten, die ganze Welten des Empfindens, Denkens, Träumens in ihren Körpern eingeschlossen und letztlich in sich begraben haben, um nur in einzelnen, unvorhersehbaren Momenten kurz die Phantomschmerzen all des Unerfüllten in ihrem Daseins spüren, ohne aber aus ihrer Haut zu können.

Lieber Joachim,

erst jetzt entdecke ich (Schande über mein Haupt) mitten in Deinem schönen Beitrag die Frage, ob man die Wollschläger-Übersetzung des Ulysses haben muss, wenn man die Goyert-Übersetzung nur ansatzweise gelesen hat.

Ich würde antworten: Ja, unbedingt! Zwar bin ich kein Angelist, der die Übersetzungen im Detail überprüfen und vergleichen könnte. Ich habe den Ulysses in der Wollschläger-Übersetzung kennen- und liebengelernt, und in die Goyert-Übersetzung erst später mal hereingeschaut. Dabei meinte ich aber schon eine gewisse sprachliche Unbeholfenheit zu spüren, durch die manche Formulierungen schlicht unverständlich wurden. (Joyces Spiel mit allen möglichen Sprachebenen und -stilen und seine mehrschichtige. lautmalerische, assoziationsreiche Sprache, die Du anhand von Finnegan's Wake - dem in dieser Hinsicht sicherlich noch weitaus radikaleren Werk - eindrucksvoll beschrieben hast, muss man natürlich erst mal ganz durchschauen, bevor man sich überlegen kann, wie man diese Vielschichtigkeit im Deutschen adäquat wiedergibt. (Übrigens hat Arno Schmidt die Goyert-Übersetzung seinerzeit gnadenlos verrissen. Und auch wenn man Schmidts wie gewohnt eigenwilligem Ansatz nicht in jedem Punkt folgen mag, so bringt er doch so viele eindeutige Beispiele für missverständliche oder schlichtweg falsche Übersetzungen, dass ich glaube sagen zu dürfen, dass die Goyert-Übersetzung heute als überholt gelten kann.)

Meines Wissens liegt die Wollschläger-Übersetzung mittlerweile auch in einer ausgiebig kommentierten Ausgabe vor. Ich könnte mir vorstellen, dass so ein Kommentar angesichts der vielfältigen intertextuellen Verweisungen, aber angesichts der Anspielungen auf lokale oder nationale Ereignisse, die für Nicht-Iren sicherlich nur in den wenigsten Fällen erkennbar sind, das Lesevergnügen noch steigern und vertiefen könnte. Bei Proust geht's mir jedenfalls gerade so.



Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 20. Jun 2012, 00:55 bearbeitet]
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