Seit wann spricht man von "Klassischer Musik"?

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vanrolf
Inventar
#1 erstellt: 21. Nov 2004, 22:54
Hallo zusammen,


Meine Frage ist (hoffentlich) ganz einfach: Seit wann wird der Begriff "Klassische Musik" eigentlich verwendet und wer hat ihn eingeführt?

Bin gespannt !

Gruß Rolf
st.s.
Schaut ab und zu mal vorbei
#2 erstellt: 21. Nov 2004, 23:42
Hallo,

die Frage ist interessant!! Ja, seit wann spricht man von klassischer Musik?

Historische Konzerte lassen sich meiner Meinung nach bis in das Jahr 1784/85 zu Händels 100. Geburtstag zurückverfolgen. Mozart bearbeitet einen Teil der Händelschen Oratorien und es ist überliefert, dass er auch in Leipzig eine Motette von J.S.Bach gehört haben soll. Ob die Motette im Original oder in einer Bearbeitung erklang, keine Ahnung. Fakt ist aber, Bach selbst hat ältere Werke, die er für gut hielt, in seinem Stil bearbeitet. So auch den Stabat mater von Pergolesi (BWV 1083). Fakt ist auch, dass Mendelssohn in Leipzig mit seinem Gewandhausorchester historische Konzerte durchführte.

Wichtig ist aber auch, Musik ist in dieser Zeit wohl nicht in Ernster oder Unterhaltungsmusik unterteilt worden. Sie diente wohl in erster Linie der Unterhaltung (ausgenommen die geistliche Musik). Auch im 19 Jh. diente die Musik, das triste Leben zu verschönern. Konzerte konnten durchaus über 4 Stunden dauern. Aber auch hier ist mir keine Unterteilung bekannt. Kirchenkonzerte der Zeit weisen teilweise ein buntes Gemisch der Musik auf. Eine Mischung, die meiner Meinung nach heute fast undenkbar wäre, aber es kam darauf an, was den Zuhörern gefällt und was gut klinkt.

Den Unterschied wird man wohl(!!) erst in den goldenen 20er gemacht haben.

Jetzt kann ich nur hoffen, dass meine Vermutungen so halbwegs stimmen, wenn nicht, Leute ... lasst mich nicht dumm sterben!! Es ist eine interessante Frage.


[Beitrag von st.s. am 21. Nov 2004, 23:47 bearbeitet]
drbobo
Inventar
#3 erstellt: 21. Nov 2004, 23:59
Hallo

der Begriff der Klassik wurde anfangs ja in Bezug auf Litaratur und Musik zwischen 1750 und 1820 verwendet, also die eigentliche Wiener Klassik. Dieser Begriff taucht erstmals gegen Ende dieser Periode mit der einsetzenden Romantik auf.

Mit der Frage seit wann der Sammelbegriff Klassik für die gesamte E vs. U- Musik verwendet wird bin ich allerdings auch überfragt.
Granuba
Inventar
#4 erstellt: 22. Nov 2004, 00:02
http://de.wikipedia.org/wiki/Klassische_Musik

Vielleicht hilft dieser Link weiter?

Murray
vanrolf
Inventar
#5 erstellt: 22. Nov 2004, 01:16

Fakt ist auch, dass Mendelssohn in Leipzig mit seinem Gewandhausorchester historische Konzerte durchführte.


Hallo st.s,

verstehe ich das jetzt richtig, daß schon zu Mendelssohns Zeiten deutlich ältere Musik namentlich klassifiziert wurde, nämlich als "historisch" ?

Gruß Rolf
st.s.
Schaut ab und zu mal vorbei
#6 erstellt: 23. Nov 2004, 00:37
Hallo vanrolf,

mir ist bekannt (Quelle unbekannt, leider!! ), dass Mendelssohn ältere Musik in Leipzig aufführte. Fakt ist, 1841 (nach 1829 die zweite Aufführung) die Matthäus-Passion von Bach. Wie weit man nun den Begriff der älteren Musik spannt, ist durchaus eine Frage wert. Wenn man Haydn und Mozart schon mit zur älteren Musik zählt, ist es auf jeden Fall richtig. Ältere Musik als Bach oder Händel würde ich Mendelssohn aber nicht zutrauen. Obwohl in geistlichen Konzerten ältere Werke durchaus aufgeführt worden, so z.B. Werke von Antonio Lotti oder Giovanni P. Palestrina. Auch in der sogenannten heutigen Provinz sind Werke dieser Komponisten nicht Vergessenheit geraten.

Ich denke auch, dass Mendelssohn in Leipzig den Begriff "historisches Konzert" geprägt hat. Wie gesagt, Quelle leider unbekannt.

Gruß st.s.
palisanderwolf
Hat sich gelöscht
#7 erstellt: 23. Nov 2004, 16:55
Hallo,
st.s. liegt möglicherweise richtig mit

Den Unterschied wird man wohl(!!) erst in den goldenen 20er gemacht haben.

Es könnte mit dem Aufkommen des Neoklassizismus zusammenhängen - eventuell zur Unterscheidung?

Also 20er 30er ?

Weiß jemand Genaueres?

Interessiert.
MfG Bernd
zoe
Ist häufiger hier
#8 erstellt: 23. Nov 2004, 21:03

palisanderwolf schrieb:
Hallo,
st.s. liegt möglicherweise richtig mit

Den Unterschied wird man wohl(!!) erst in den goldenen 20er gemacht haben.

Es könnte mit dem Aufkommen des Neoklassizismus zusammenhängen - eventuell zur Unterscheidung?

Also 20er 30er ?

Weiß jemand Genaueres?

Interessiert.
MfG Bernd


Hallo,
Da hab ich einen Artikel gefunden, der diese These stützt:
http://www.musicweb..../Classical_Music.htm

frei und teilweise übersetzt von zoe, aber immerhin und das ohne Honorar:

WAS IST KLASSISCHE MUSIK? WER HÖRT IHR ZU?

Skizzen aus der Amerikanischen Szene

Offen T. Manheim

Der Begriff, "klassische Musik" hat noch nicht im Webster von 1913 (Unverkürztes Wörterbuch) existiert. Musikkritiker in den 1920er Jahren haben nur von "Musik" gesprochen. Der britische Schriftsteller Lambert, erregte 1934 Aufsehen dadurch, dass er den Niedergang dessen verkündete, was wir jetzt "klassische Musik" nennen.

Etwa 1934 wurde der Begriff, "klassische Musik" in Amerika eingeführt , um "ernste" Musik von populärer Musik zu unterscheiden, die auf 78er Schellackplatten verkauft wurden.. In den 1930er und 1940er Jahren erreichte das klassische Radio ein selbst nach heutigen Standards riesiges Publikum. Opern wurden ab 1931 gesendet und die NBC Radiokonzerte haben Millionen Zuhörer erreicht.

Was ist "klassische Musik"? Die meisten Leute denken wahrscheinlich an moderne Wörterbücherndefinitionen Das Oxford Wörterbuch: "Musik, die dauerhaft anstatt kurzlebig ist und das Gegenteil von populärer Musik . Eine andere Definition ist "Musik ungefähr zwischen 1750 und 1830" ein Zeitraum, der die Entwicklung der klassischen Symphonie umfasst"; ....


T. Manheim © Juli 2004
st.s.
Schaut ab und zu mal vorbei
#9 erstellt: 23. Nov 2004, 23:31
Hallo miteinander,

ich bin überrascht, dass ich mit meiner Vermutung wohl doch nicht so verkehrt lag.

Zum anderen Aspekt: Habe in der Übersetzung eben gelesen, dass man Popular auf Schellackplatten verkauft wurde. Diese Meinung bzw. Sachverhalt kann ich bestätigen, aber die Klassik gab es auch schon zu dieser Zeit, ebenfalls auf Schellackplatten. Auch wenn die Opern in den Aufnahmen gekürzt worden sind, konnten sie so einem großen Publikum nahegebracht werden. Allerdings war damals das Hobby "Musik sammeln" auf jeden Fall eine reine Frage des Platzes!! Die 1940/41 in der Thomaskirche zu Leipzig aufgenommene Matthäus-Passion von Bach (in der Fassung von K. Erb, Arien weggelassen bzw. gekürzt, den Eingangschor in 2 Teile geteilt etc.) brauchte so ca. 40(!!) Platten. Wenn man bedenkt, dass ich die Matthäus-Passion insgesammt 6 mal auf CD besitze, und von diesen 5 vollständig sind, hätte ich ernsthafte Probleme . Auch im Radio kam die Klassik an den Mann. 1931 begann Karl Straube mit den Thomanern die Gesamtübertragung aller Bachkantaten im Mitteldeutschen Rundfunk, Sonntags gegen 11 Uhr!! 1935 soll die Matthäus-Passion vollständig gesendet worden sein. Leider ist das Bach-Kantaten-Projekt ab 1933 schrittweise eingeschlafen worden, konnte aber noch vollendet werden, auch wenn nicht mehr jeden Sonntag gesendet worden ist. ... Mitschnitte dieser Aufführungen sind glückweise erhalten geblieben. Diese Sammlung könnte man durchaus als erste vollständige Sammlung aller Bach-Kantaten bezeichnen, auch wenn diese heute leider lückenhaft ist ... leider nicht komplett erhältlich.

Dieser kleine Ausflug sollte aufzeigen, dass nicht nur popular-Musik auf Schellackplatten existierte, auch wenn diese (bestimmt) den höheren Marktanteil gehabt hat, und es demzufolge zu dieser Definition gekommen sein kann.
antiphysis
Stammgast
#10 erstellt: 24. Nov 2004, 00:13
Interesant fände ich auch die Frage: "Was ist aus dem Begriff geworden?"
Da habe ich den Eindruck, dass er inzwischen ziemlich schwammig ist und für alles herhalten muss, auch für das, was qualitativ einen "Push" vertragen kann (vom Marketing-Standpunkt aus betrachtet), denn Klassik haftet ja dieses Etikett wohl an.
Außerdem problematisch: Ein Begriff, mal eingeführt, wird tradiert und endlos erweitert: nicht nur in die Tiefe (was die Zeitläufte ja mit sich bringen), sondern, was problematischer ist, in die Breite.

Dies nur als zusätzliche Anregung!

Grüße
Albus
Inventar
#11 erstellt: 24. Nov 2004, 10:41
Morgen,

der Ausdruck 'klassisch' wird im Vokabular der deutschen bürgerlichen Kunstbetrachtung seit 1748 verwendet (Wedekind über Gottsched). 'Klassisch' hatte den Sinn von 'vortrefflich', d.h. vollkommen und überdauernd, war zunächst an der Antike und deren so genannten classicus scriptores (klassischen Schriftstellern) orientiert sowie für einzelne literarische Werke gemeint. Über die damaligen großangelegten Wörterbücher der deutschen Sprache (Adlung, in 5 Bänden, 1771) drang das Wortfeld 'Klassik, klassisch' über die Literaturbetrachtung hinaus und in die gelehrte, die kritische, die dilettantische (Liebhaber) sowie alltäglich-bürgerliche Kunstbetrachtung insgesamt vor. Im Sektor der Musik bildeten sich zwei Ebenen innerhalb der sich formierenden bürgerlichen Gesellschaft: Die bürgerliche hochkulturelle Kunstmusik mit Konzert, Oratorium und Sinfonie einerseits, andererseits die Volksliedbewegung mit Hausmusik, Volkslied, Tanzmusik und Singspiel. Die in dieser Epoche (des 18. Jahrhunderts) mittlerwiele auch philosophisch lancierte Disziplin der Ästhetik baute das Vokabular und dessen Anwendungsfälle aus. Nach Beethovens Tod (1827) wurde in der Kompositionsweise der Haydn, Mozart und Beethoven das Klassische erkannt (iSv vortrefflich, vollkommen, überdauernd), und zwar dies in einer bereits lokal (national) zugespitzten Art: Wiener Klassik. Die Klassische Musik war ein Mittel der Distinktion der sozialen Klassen geworden. Karl Marx stellte wenig später gegen diesen Dünkel (bürgerliche Hochkultur der Kunstmusik gegen die Trivialkultur des Proletariats) der herrschenden Klasse heraus, dass auch der Arbeiter ein originäres Kunstbedürfnis hat.

Rückblickend wurde das Klassische bereits an der Kompositionsweise des Palestrina (ca. 1515-1589 oder so) ausgemacht (eben: vortrefflich, vollkommen, überdauernd). Die Antikenbegeisterung des 18. und des 19. Jahhunderts befestigte und verflachte den ehemals nicht verallgemeinert gemeinten Wortsinn.

Goethe, Maximen und Reflexionen, unterschied dann bereits scharf das Klassische und das Romantische: "Das Klassische ist das Gesunde, das Romantische das Kranke".

MfG
Albus

Nachsatz: Das Kunstbedürfnis der Arbeiterklassen?! - Bis zu den Rock-Classics, den Jazz-Classics hatte es dann noch etwas gedauert. Hohe Geister wie etwa der Philosoph Theodor W. Adorno oder der Dirigent Bruno Walter hatten mit dem Jazz als Musik große Verständnisprobleme, freundlich ausgedrückt. Beide standen fixiert in der Tradition des hochkulturellen Klassik-Begriffes.
A.


[Beitrag von Albus am 25. Nov 2004, 10:33 bearbeitet]
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