Was sagt mir Zeitbereich/Amplitude?

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Daundweg
Stammgast
#1 erstellt: 06. Nov 2019, 12:05
Hallo,

bin in diesem Post zu einem Proberaum auf die Zeitbereichsmessung gestoßen.

Was genau fange ich damit an? Erfahre ich daraus mehr als aus dem vorangehenden Wasserfall? Da ist ja Nachhall (also ne Zeitachse) und Amplitude auch drauf.
quecksel
Inventar
#2 erstellt: 06. Nov 2019, 14:23
Moin,

praktisch gesehen: Der "Zeitbereich" (nennt sich auch Impulsantwort) ist vor allem nützlich um Reflektionen zu erkennen. Zum Beispiel gibt's in dem von dir verlinkten Post eine starke Reflektion bei 10 ms (rechts). Anschließend kann man die Zeitdifferenz zwischen Direktschall und Reflektionschall auslesen und mit etwas Geometrie/Bindfaden den Reflektionspunkt finden.

Allgemeiner gesagt lassen sich mit der Impulsantworten Informationen im Zeitbereich gut auslesen, da einfach der am Mikro ankommende Schalldruck als Funktion der Zeit dargestellt wird. Anregungssignal ist dabei der Dirac-Impuls, deswegen heißt es auch Impulsantwort.

Andersherum ist es mit der Frequenzantwort, sie ist die Fouriertransformation (FT) der Impulsantwort und gibt uns überhaupt keine Informationen über den Zeitbereich. Um sie zu erhalten nimmt man die gesamte Impulsantwort, und wendet eben die FT darauf an. Jetzt betrachten wir die Übertragungsfunktion (also das gesamte Verhalten unseres Systems "Lautsprecher im Raum") im Frequenzbereich. Soll heißen wir sehen den üblichen Frequenzgang mit der Information "Welche Frequenz ist wie laut". Gut zu wissen ist dabei dass Impuls- und Frequenzantwort genau die gleichen Inormationen enthalten und mithilfe der Fouriertransformation wieder ineinander überführt werden können. Beides sind also nur unterschiedliche Darstellungsformen derselben Sache.

Der Wasserfall (oder das Spektrogram) ist quasi eine Mischform der beiden. Anstatt die gesamte Impulsantwort zu transformieren nimmt man sich einen Teilbereich, transformiert den und trägt ihn an dem dem Teilbereich entsprechendem Zeitpunkt auf. Das entspricht genau einer Linie im Wasserfalldiagramm. Anschließend rückt man einen Zeitschritt weiter und wiederholt das ganze.
Als Ergebnis bekomme ich die Information "Welche Frequenz ist wann wie laut." Klingt natürlich so als hätte man beide Informationen aus Impuls- und Frequenzantwort und bräuchten die ersten beiden gar nicht, aber dem ist nicht so. Der Grund dafür liegt in der prinzipiellen Unvereinbarkeit von gleichzeitig hoher Auflösung im Frequenz- und Zeitbereich. Bei Interesse kann ich dazu demnächst noch etwas schreiben.
m_a_x
Stammgast
#3 erstellt: 06. Nov 2019, 15:11

quecksel (Beitrag #2) schrieb:
Moin,
....... Bei Interesse kann ich dazu demnächst noch etwas schreiben.

Ja, tu das, der Beitrag gefällt mir schonmal...
Daundweg
Stammgast
#4 erstellt: 06. Nov 2019, 15:41
Vielen Dank!
MZeeTex
Stammgast
#5 erstellt: 07. Nov 2019, 11:52

quecksel (Beitrag #2) schrieb:
Moin, ... Bei Interesse kann ich dazu demnächst noch etwas schreiben.

Schade, dass man einen Beitrag nicht liken kann oder dem Ersteller ein "Dankeschön" mitgeben kann. Toller Beitrag und sehr gerne mehr davon!
quecksel
Inventar
#6 erstellt: 10. Nov 2019, 16:15
Ok, ein bisschen verzögert aber ich musste mir das auch nochmal durch den Kopf gehen lassen um es anschaulich erklären zu können
Grundsätzlich beruht die Sache auf dem Küpfmüllerschen Unschärferelation, die da besagt dass das Produkt aus Zeitdauer und Bandbreite eines Signals nach unten begrenzt ist, nämlich durch 1.
Als Formel: t*f>=1

Aber schauen wir uns mal ein Beispiel an, und zwar eine ideale Impulsantwort mit Reflektion. Im Zeitbereich sieht die so aus:

impuuls

Zwei Impulse mit 10 Millisekunden Abstand, der eine ca 6 dB leiser als der andere.
Der Vollständigkeit halber auch noch im Frequenzbereich, es ergibt sich der typische Kammfilter, verflacht dadurch dass die Reflektion im Pegel abgeschwächt ist:

frequenz

Wäre die Reflektion nicht enthalten dann wäre der Frequenzgang vollkommen flach, denn ein idealer Impuls enthält alle Frequenzen gleichermaßen.
Soweit alles klar, dann schauen wir uns mal das Spektrogram an. Das Spektrogram ist grundsätzlich dasselbe wie der Wasserfall, nur zeigt es den Pegel in Farben statt in 3D an. Ich habe mal einen wandernden Zeitabschnitt (auch Fenster genannt) von 50 Millisekunden gewählt:

spektro50

Von zwei Impulsen ist hier nichts zu sehen, man erkennt nur einen rotgelben Streifen von -25 bis +35 ms, also 60 ms. Kurz rechnen: 50 ms Fensterbreite plus 10 ms Abstand zwischen den Impulsen gibt auch 60 ms. Macht Sinn, denn außerhalb dieses Intervalls ist keiner der Impulse im Fenster drin.
Soll also heißen: Ein langes Fenster macht mir die Zeitauflösung kaputt, da über die Dauer des Fensters gemittelt wird und ich den Frequenzgang des gesamten im Fenster enthaltenen Signals bekomme.
Jetzt mit 5 ms Fensterung:

spektro 5

Jetzt sieht man beide Impulse, erkennbar an den beiden Linien im Spektrogram mit der für den Impuls typisch konstanten Amplitude über alle Frequenzen.
Fazit: Ein langes Fenster „verschmiert“ die im Signal enthaltenen Informationen, die Zeitauflösung sinkt. Das ist für niederfrequente Signale weniger schlimm als für hochfrequente, denn eine tieffrequente Schwingung dauert ja auch länger.

Jetzt zur Frequenzauflösung, und hier wird es etwas technisch. Dem einen oder anderen wird sicher aufgefallen sein dass im obigen Spektrogram unter 200 Hz nichts mehr angezeigt wird. Stöpseln wir diese Frequenz und das Fenster von 5 ms in die Küpfmüllersche Gleichung so ergibt sich schönerweise genau eins. REW nutzt also die mögliche Auflösung voll aus, nur unterhalb der 200 Hz wird der Frequenzgang zu stark verschmiert um korrekt angezeigt zu werden.
Um den Verschmierungseffekt im Frequenzbereich genauer zu verstehen braucht es ein paar Fakten über die Fouriertransformation:
1. Die Fouriertransformierte unseres rechteckigen Fensters ist die sogenannte sinc-Funktion, welche so aussieht:

en.plot

2. Je breiter das Rechteck, desto schmaler wird die sinc-Funktion. Dementsprechend steigt sie auch schneller an:

en.plot2

Damit sollte intuitiv klar sein: Je breiter wir unser Fenster wählen, desto steiler und zackeliger kann der Frequenzgang unseres Signals werden. Wählen wir es zu kurz, so verschmieren wir steilflankige Änderungen im Frequenzgang. Zur Demonstration habe ich nochmal ein und denselben Frequenzgang mit verschiedenen Fensterungen der Impulsantwort geplottet:

freq2windows

Damit ist hoffentlich einigermaßen klar, was Zeitbereich, Frequenzbereich und Spektrogram/Wasserfall anzeigen bzw eben nicht anzeigen können

Anmerkung: Nutzt man die obigen Tatsachen über die Fouriertransformation andersherum so lassen sich leicht einige Märchen über „schnelle“ Verstärker oder Lautsprecher entkräften.
Dazu noch Fakt drei: Die Fouriertrafo funktioniert rückwärts so wie vorwärts, aus einem sinc wird auch wieder ein Rechteck. Auch wird aus einem sinc im Zeitbereich wieder ein Rechteck im Frequenzbereich.
So ein „schnelles“ Gerät hat ja definitionsgemäß eine schnelle Anstiegszeit, d.h. sein sinc ist sehr schmal und steilflankig. Transformieren wir den sinc der Impulsantwort des Geräts in den Frequenzbereich ergibt sich wieder das Rechteck. Und weil der sinc so schmal war ist das Rechteck so breit Ergo ist einfach die Bandbreite des Systems sehr groß, es kann auch hohe Frequenzen wiedergeben. Was für einen Subwoofer oder Tieftöner der maximal bis 500 Hz spielt ziemlich irrelevant ist. Für einen Verstärker auch, denn wenn der zu langsam ist dann gibt er eben im Hochton nix mehr aus. Und ich habe noch keinen Verstärker gesehen der die 20 kHz nicht schafft die unser Ohr maximal hört.
ehemals_Mwf
Inventar
#7 erstellt: 10. Nov 2019, 20:18
Hi,

Danke für die Darstellungen bis hier.

quecksel (Beitrag #6) schrieb:
... Zur Demonstration habe ich nochmal ein und denselben Frequenzgang mit verschiedenen Fensterungen der Impulsantwort geplottet: ...

Welche Fensterbreiten sind das ?
Kannst du die Breite noch weiter reduzieren und die quasi reflektionsfreie Messung hier zeigen ?


Gruss,
Michael


[Beitrag von ehemals_Mwf am 10. Nov 2019, 20:23 bearbeitet]
quecksel
Inventar
#8 erstellt: 10. Nov 2019, 21:22
500 ms und 20 ms.

fenster2k5

So sieht's reflektionsfrei gefenstert aus. Das sind gerade mal 2,5 ms, aufgrund der Deckenreflektion.
icebaer72
Stammgast
#9 erstellt: 11. Nov 2019, 09:38
Danke für die tolle Erklärung!
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