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Th. W. Adorno

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Autor
Beitrag
JohnD
Stammgast
#1 erstellt: 17. Mrz 2006, 10:49
Was haltet Ihr von seinen Ansichten? Was wisst Ihr?

Die Kompositionen bleiben mal außen vor.
Hüb'
Moderator
#2 erstellt: 17. Mrz 2006, 14:12
Hi!

Ich habe mal versucht, seine "Einführung in die Musiksoziologie" zu lesen. Leider scheint mein Intellekt für derartig philosophische Texte nicht auszureichen...

Lieben Gruß

Hüb'


[Beitrag von Hüb' am 17. Mrz 2006, 14:14 bearbeitet]
JohnD
Stammgast
#3 erstellt: 17. Mrz 2006, 14:25
Zwei Bücher sind für den Einstieg gut geeignet:

"Impromptus" und "Dissonanzen"

Einfach mal lesen und drüber nachdenken. Da in jedem Satz Information steckt, Zeit lassen. Da ist kein Wort überflüssig.
ph.s.
Inventar
#4 erstellt: 02. Apr 2006, 18:47
Hallo,
ich versuche mich von Zeit zu Zeit an dem Fragment Beethoven Philosophie der Musik.
Man muss sich bei dieser Lektüre ziemlich konzentrieren, um seinen Gedanken folgen zu können. Manche seiner Ansichten erscheinen mir als richtig (vor allem zum Spätwerk Beethovens); vieles kann ich aber nicht nachvollziehen teils weil ich anderer Meinung (wenn ich das Geschriebene verstanden habe) und teils, weil ich auch nach dem 20x lesen nicht verstanden habe worum es geht. Aber das Beethoven-Fragment soll angeblich auch eines seiner anspruchsvollsten Werke sein. Sonst habe ich von ihm noch nichts gelesen.

Philipp
WolfgangZ
Inventar
#5 erstellt: 02. Apr 2006, 21:38
Hallo, miteinander!

Ich habe den musikalischen Adorno nur sekundär - in Rundfunksendungen vor allem - ein wenig kennen gelernt. Seine extrem rationalen und formbetonten Verdikte haben mit Sicherheit der Neuen Musik an Daseinsberechtigung geholfen, sind aber doch - vorsichtig formuliert - engstirnig, wenn er etwa Sibelius als Chaoten abwertet, der vor allem Löcher komponiert hätte. Es ist ja wohl das Verdienst des 20. Jahrhunderts - noch vor der Postmoderne -, dass nicht nur ein einziges Prinzip erlaubt ist.

Gruß, Wolfgang
SirVival
Hat sich gelöscht
#6 erstellt: 03. Apr 2006, 09:51
Hi all,

der Essay von Adorno über Gustav Mahler ist lesenswert, wenngleich das Fremdwortgeklingel etwas nervig ist. Zur Person selbst nur soviel: Ein großer Schaumschläger und Selbstdarsteller, Schüler Schönbergs, der sich allerdings über Adorno tierisch lustig machte, weil dieser die Zwölftonlehre gar zu mechanistisch in seinen Kompositionen anwendete. So klingen sie denn auch, langweilig, emotionslos und arg konstruiert, seine Lieder streifen in dieser Beziehung schon die Grenze zur unfreiwilligen Komik. Schönberg hielt ihn im übrigen für den unbegabtesten seiner Schüler.
Da er also als Komponist nicht reüssieren konnte, wurde er halt Musickkrrriticker (Georg Kreisler) und (an geistiger Flatulenz leidender) Philosoph. Ein kompositorisch mickriger Gnom, der das musikalische Genie anderer Komponisten (Sibelius) von Neid und Missgunst zerfressen herabsetzte.


[Beitrag von SirVival am 03. Apr 2006, 09:55 bearbeitet]
JohnD
Stammgast
#7 erstellt: 03. Apr 2006, 11:42
Das scheint mir hier etwas sehr vereinfachend. Dein Schaum, SirVival, scheint mir auch ziemlich gut geschlagen.

Adornos Streitschriften sind unbestritten messerscharf beobachtet und treffen meines Erachtens heute mehr denn je zu. Wenn man sich den Verfall der musikalischen Kultur mal ansieht, ist Adorno der erste, den man lesen sollte. Alles schon in den 30ern erkannt, was heute erst richtig durchschlägt.

Allerdings geht Adorno meiner Meinung nach etwas zu sehr gegten den Film, der allerdings in den 30ern und 40ern noch keine Independent-Sparte entwickelt hatte. So konnte Adorno nur den damaligen Hollywood-Mist zurecht kritisieren.

Auch dass sich heute Kunst kritisch mit der Marken- und Warenwelt auseinandersetzt, indem sie die Lüge aufzeigt (was Adorno von der Kunst immer gefordert hat - Wahrheit), konnte er nicht mehr erleben.

Sibelius finde ich kompositorisch mehr als langweilig und rückständig. Es wird wenig geboten und damit wenig angestellt. Da hat Adorno recht. Nielsen, Langgaard etc. sind da doch wesentlich ergiebiger.
Und Webern wusste wenigstens noch, wie weit sein musikalisches Material trägt - und wann er aufhören sollte.
WolfgangZ
Inventar
#8 erstellt: 03. Apr 2006, 14:47
Hallo, John D. und die anderen Experten!

Zweifellos ist Nielsen eine kühnere, interessantere Erscheinung als Sibelius. Ich halte Letzteren aber keineswegs für rückwärtsgewandt. Er kostet die leittonfreie Harmonik nordischer Provenienz aus, hat kaum Vorbilder, mit denen man ihn verwechseln könnte, schafft mit den Sinfonien und dem Violinkonzert stets Unikate. Dass die letzten beiden Sinfonien interessanter sind als die ersten in ihrem dicken Pathos, liegt ebenso auf der Hand (ist aber bei Nielsen nicht anders). Doch Adornos Verdikt erscheint mir schlicht feindselig und intolerant einer nicht geliebten Tonsprache gegenüber.

Meinst Du mit "Langgaard" Rued oder Siegfried? Ersteren kenne ich zugegebenermaßen nicht näher. Letzterer ist aber doch bei Weitem konventioneller als Sibelius, oder?

Besten Gruß, Wolfgang
SirVival
Hat sich gelöscht
#9 erstellt: 03. Apr 2006, 15:41
Ick will ma so sagen: Der Komponist Sibelius hat sich seinen verdienten Platz in der Musikgeschichte erobert, während der Komponist Adorno nur in seiner eigenen Einbildung existierte.
Kreisler_jun.
Inventar
#10 erstellt: 03. Apr 2006, 18:24

SirVival schrieb:
Ick will ma so sagen: Der Komponist Sibelius hat sich seinen verdienten Platz in der Musikgeschichte erobert, während der Komponist Adorno nur in seiner eigenen Einbildung existierte.


Du gibst Dir wirklich Mühe hier innerhalb weniger Tage mehr schaumschlägerische Klugschwätzerei auszubreiten als andere in Monaten. Wenn man kapiert hat, was (nicht nur) Adorno an Sibelius störte, kann man das kritisieren, wenn nicht, bringt Polemik nicht weiter. Zumal deine naßforschen Bemerkungen gegenüber Mahler, der sich ja auch "seinen verdienten Platz in der Musikgeschichte" erworben hat, vielleicht gerne das Niveau einer Adornoschen Polemik hätten, aber leider dann doch eher wirken wie halbgares Pausengeschwätz (und statt Substanz nachzuliefern, kneifst Du den Schwanz ein und zitierst Deine Frau und angeblich grinsende Cellisten).
Ich habe wirklich nichts gegen zugespitzte Standpunkte, aber diese Art Selbstdarstellung finde ich ziemlich unerträglich.

Adorno wußte anscheinend sehr wohl, dass er kein wirklich großartiger Komponist war, daher hat er es relativ früh aufgegeben. Natürlich hatte er einige recht einseitige Ansichten, besonders dazu, wie im 20. Jhd. zu komponieren wäre. Aber die Unterstellung, er sei auf Sibelius neidisch gewesen und hätte ihn deshalb runtergemacht, ist ein bißchen sehr platt. Man muß sich schon ein bißchen strecken, um jemand wie Adorno auf Nabelhöhe angreifen zu können. Wie andere schon schrieben: wenn man sich den momentanen Zustand, öffentlich-rechtlich finazierter Volksverdummung anschaut, wünscht man, Adorno hätte mehr Einfluß gehabt.

viele Grüße

JK jr.
SirVival
Hat sich gelöscht
#11 erstellt: 03. Apr 2006, 21:34
Hi Kreisler_jun,

nu bleib mal ganz cool. Jeder hat seine Meinung, und ich insistiere nicht, dass ich recht habe. Ich halte im übrigen Adorno für einen grossartigen Stilisten, der auch gehaltvoll über ein offenes Fenster zu schreiben in der Lage gewesen wär. Ich habe oben auf seinen Mahler-Essay hingewiesen, in dem er die positiven Seiten Mahlers gegen die negativen stellt, ohne Häme, ganz sachlich, und eigentlich erwarte auch ich, wenn ich meine Meinung hier kundtue, von denen, die anderer Meinung sind, nicht persönlich beleidigt zu werden. Hier ist im übrigen auch kein Raum für irgendwelche genau begründeten wissenschaftlichen Abhandlungen; daher trägt notgedrungen die Kürze der Statements immanent bereits als Kern die Verzerrung des zu behandelnden Gegenstandes in sich.

VG

H.
JohnD
Stammgast
#12 erstellt: 04. Apr 2006, 03:18

SirVival schrieb:
Ick will ma so sagen: Der Komponist Sibelius hat sich seinen verdienten Platz in der Musikgeschichte erobert, während der Komponist Adorno nur in seiner eigenen Einbildung existierte.


SirVival, ich darf nur noch mal an die Thread-Eröffnung erinnern. Nun mal was Inhaltliches und zur Sache, bitte.
SirVival
Hat sich gelöscht
#13 erstellt: 04. Apr 2006, 09:23
Hi JohnD,

wie soll ich Musik beschreiben? Vergleiche einfach. Hör dir was von Sibelius an und dann was von Adorno. Ich glaube, es gibt von ihm sogar einiges auf CD: Instrumentationen Schubertscher Tänze und eigene Lieder. Damit hat er, wenn ich mich recht an seine Biographie erinnere, schon seine Familie und seine Freunde gepeinigt.

Gruß
Albus
Inventar
#14 erstellt: 04. Apr 2006, 10:29
Tag,

so doll gefragt - dazu kurz ausgesagt.

Haltbarkeit seiner Ansichten? Seine Ansichten sind Vergangenheit. Etwaige Hauptresultate sind folglich nie zusammengetragen worden.
Wissend: Das Exil hat er nie überwunden, Exil-Schriftsteller.

Teddy, seiner Frau seine soeben gehabten Träume diktierend, war ein unglücklicher Konservativer (Brüste und Polizei).

Die Gefolgschaften hatte er zuletzt doch noch an Herbert Marcuse verloren.

Vorbei ist's. Ende vom Lied.

MfG
Albus
JohnD
Stammgast
#15 erstellt: 04. Apr 2006, 21:05

JohnD schrieb:
Was haltet Ihr von seinen Ansichten? Was wisst Ihr?

Die Kompositionen bleiben mal außen vor.



Nochmal ein Eigenzitat, da SirVival irgendwie nicht lesen kann.

Und nochmal für SirVival zum mitlesen und -schreiben: DIE KOMPOSITIONEN BLEIBEN AUSSEN VOR.
Es ging um Musiksoziologie und Musikästhetik.
JohnD
Stammgast
#16 erstellt: 04. Apr 2006, 21:09

Albus schrieb:

Haltbarkeit seiner Ansichten? Seine Ansichten sind Vergangenheit. Etwaige Hauptresultate sind folglich nie zusammengetragen worden.
Wissend: Das Exil hat er nie überwunden, Exil-Schriftsteller.


Lebst Du eigentlich noch oder sitzt Du schon im Elfenbeinturm?


Wie wär's, wenn hier mal Inhalte fließen würden?

Bisher hab ich nur Kommentare von Schaumschlägern gehört...
SirVival
Hat sich gelöscht
#17 erstellt: 04. Apr 2006, 22:15
John D,

so wie du argumentierst, kommen natürlich Inhalte rüber.
JohnD
Stammgast
#18 erstellt: 05. Apr 2006, 00:08

SirVival schrieb:
John D,

so wie du argumentierst, kommen natürlich Inhalte rüber. :D


Es hat doch noch niemand ernsthaft was zur Diskussion gestellt. Das wollte ich doch von Euch. Scheint aber wohl niemanden wirklich zu interessieren.

Wie wär's mal mit "Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens" ?


[Beitrag von JohnD am 05. Apr 2006, 00:09 bearbeitet]
Hüb'
Moderator
#19 erstellt: 05. Apr 2006, 07:40
Hallo JohnD!

Wie bereits oben geschrieben, kenne ich Adorno nicht wirklich. Der Zugang zu seinen Texten ist mir zu mühselig und zeitaufwändig (Zeit, die ich momentan nicht habe, und wenn, auch lieber zum hören verwende).

Vielleicht könntest Du seine Grundaussagen und Thesen in verständlicher Form hier wiedergeben? Darüber könnte sicherlich eine interessante Diskussion der Thesen (und vielleicht auch der richtigen Interpretation seiner Texte) entstehen.

Lieben Gruß

Frank
plönlein
Stammgast
#20 erstellt: 05. Apr 2006, 08:39
Moin,

irgendwie werde ich aus diesem Fred noch nicht so ganz schlau. Der Ersteller schätzt Adorno offensichtlich, lässt aber offen, warum. (Dass jedes Wort wichtig sei, hilft ja noch nicht so recht weiter.) Und dann findet sich zum Glück noch ein ganz Ausgewogener, der dem Philosophen T.W.A. vorsichtshalber unter anderem "geistige Flatulenz" vorwirft. Nun ja. Das ist natürlich ein starkes Argument.

Mich würde jedenfalls freuen, wenn man ein wenig über Inhalte reden würde. Denn ein bisschen Hilfe könnte mir beim Konsum der Adorno'schen Texte gut tun. Bislang genieße ich sie mehr häppchenweise. Und anders als einen Vorredner empfinde ich Adorno gerade nicht als "extrem rational". Beim Versuch über Wagner beispielsweise lese ich einerseits eine sehr tiefgründige, musiktheoretische Auseinandersetzung - in der stets ein Grundton an grundsätzlicher (ich vermute: vor allem menschlicher) Ablehnung mitklingt. Ähnlich emotional gefärbt ist für mein Dafürhalten die "musikalische Physiognomik" Mahlers - dort scheint durch nahezu jeden Satz die innere Verbundenheit mit dem Komponisten.

Insofern finde ich gerade spannend, dass jemand im typischen (nicht eben leicht zugänglichen) objektivierenden Duktus eines Philosophen schreibt, um seine persönliche Vorlieben zu begründen. Wobei für mein Empfinden auch diese ästhetischen Schriften durchweg auch eine politische Komponente haben. Diesen Mix finde ich (auch ohne die Inhalte zu teilen) ungemein spannend. Und deshalb auch für unbedingt lesenswert.

Gruß, p.
SirVival
Hat sich gelöscht
#21 erstellt: 05. Apr 2006, 11:50
Jetzt mal was mit Inhalt: Adorno war ein aller finanziellen Sorgen lediger Bonvivant und Bildungsbürger. Ein Menschentyp, den er zum Ideal erhob, ohne zu bedenken, daß für die meisten Menschen materielle Bedürfnisse wichtiger sind als irgendwelche Kulturgüter.
Seine Weltfremdheit gipfelte 1937 in einem Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer. Dass er dann später sich als Vertreter der Linken auswies, ist ein Widerspruch, den er zu klären nie sich bereit fand, wenn er sich dieses Widerspruchs denn überhaupt bewusst war.
Adorno war, und das habe ich oben versucht, deutlich zu machen, ein Denkvirtuose ersten Ranges, und seine Schriften demonstrieren seine intellektuelle Leistungsfähigkeit, aber sie sind im wesentlichen Pappe, nicht brauchbar, was vielleicht auch damit zusammenhängt, das sein Denken doch insgesamt recht unsystematisch erscheint. Sein Hang zum Gebrauch wenig gebräuchlicher, exotischer Fremdwörter, die die Lektüre seiner Werke eigentlich nur mit großem Latinum und Graecum möglich und goutierbar machen, unsterstreichen seinen esoterisch-elitär gross- und bildungsbürgerlichen Anspruch.


[Beitrag von SirVival am 05. Apr 2006, 13:12 bearbeitet]
JohnD
Stammgast
#22 erstellt: 05. Apr 2006, 21:38

plönlein schrieb:

Insofern finde ich gerade spannend, dass jemand im typischen (nicht eben leicht zugänglichen) objektivierenden Duktus eines Philosophen schreibt, um seine persönliche Vorlieben zu begründen.


Gut erkannt. Worüber sollte man auch sonst schreiben? Etwa über Dinge die man nicht mag? Und die dann auch noch objektivieren?
Erkenntnis und Liebe gehen doch immer Hand in Hand. Manchmal unbewusst vorher oder durch Geistesblitz.


Zu SirVival: Ich glaube, dass ich in Deiner Biografie sicher einige Punkte finden kann, mit denen ich begründen könnte, warum man Deine Beiträge nicht lesen sollte ;-)

Manch einer hält Dich auch für einen arroganten Hund. Wahrscheinlich magst Du Adorno nur deswegen nicht, weil ihr Euch zu ähnlich seid ;-)

Aber nun mal ein Zitat, über das man reden kann:

"Im Warenfetischisten neuen Stils, im "sadomasochistischen Charakter" und im Akzeptanten der heutigen Massenkunst stellt sich die gleiche Sache nach verschiedenen Seiten dar. Die masochistische Massenkultur ist die notwendige Erscheinung der allemächtigen Produktion selber. Die affektive Besetzung des Tauschwerts ist keine mystische Transsubstantiation. Sie entspricht der Verhaltensweise des Gefangenen, der seine Zelle liebt, weil nichts anderes zu lieben ihm gelassen wird. Die Preisgabe der Individualtität, die in die Regelhaftigkeit des Erfolgreichen sich einpaßt; das Tun dessen, was jeder tut, folgt aus dem Grundfaktum, daß von dedr standardisierten Produktion der Konsumgüter in weiten Grenzen jedem dasselbe geboten wird.
Die marktmäßige Notwendigkeit zur Verhüllung dieser Gleichheit aber führt zum manipulierten Geschmack und zum individuellen Schein der offiziellen Kultur, der notwendig proportional mit der Liquidierung des Individuums wächst."
(...)
"Die Werke, die der Fetischisierung unterliegen und zu Kulturgütern werden, erfahren dadurch konstitutive Ceränderungen. Sie werden depraviert. Der beziehungslose Konsum läßt sie zerfallen. Nicht bloß, daß die wenigen wieder und wieder gespielten sich abnutzen wie die Sixtinische Madonna im Schlafzimmer. Die Verdinglichung ergreift ihre inwendige Struktur. Sie verwandeln sich in ein Konglomerat von Einfällen, die durch die Mittel von Steigerung und Wiederholung den Hörern eingeprägt werden, ohne daß die Organisation des Ganzen über diese das mindeste vermöchte. Der Erinnerungswert der dissoziierenden Teile, wie er sich den Steigerungen und Wiederholungen verdankt, besitzt in der großen Musik selber seine Vorform an spätromantischen Kompositionstechniken, zumal der Wagnerschen. Je verdinglichter die Musik, um so romantischer klingt sie den entfremdeten Ohren. Gerade damit wird sie zum "Eigentum". Eine Beethovensche Symphonie als ganze, spontan mitvollzogen, ließe nie sich aneignen. Der Mann der in der Untergrundbahn das Thema des Finales der Ersten von Brahms laut triumphierend pfeift, hat es bereits nur mehr mit deren Trümmern zu tun.
Indem aber der Zerfall der Fetische diese selber gefährdet und virtuell den Schlagern annähert, produziert er eine GEgentendenz, um ihren Fetischcharakter zu bewahren. Zehrt die Romantisierung des Einzelnen am Körper des Ganzen, dann wird der gefährdete galvanisch verkupfert. Die Steigerung, welche eben die verdinglichten Teile unterstreicht, nimmt den Charakter des magischen Rituals an, in dem all die Mysterien von Persönlichkeit, Innerlichkeit, Beseelung und Spontaneität vom Reproduzierten beschworen werden, welche aus dem Werk selber entwichen sind..."
(1938)

Eat this.
SirVival
Hat sich gelöscht
#23 erstellt: 05. Apr 2006, 21:50
JohnD,

du hast ja Humor, hätte ich nicht gedacht ;). Aber den Quark von Adorno verstehe, wer will.
Damit verlasse ich diese Diskussion, ist mir doch zu wenig ergiebig.
JohnD
Stammgast
#24 erstellt: 05. Apr 2006, 23:45
Hmm.... irgendwie hatte ich mehr von Dir erwartet. Verstehst Du das nicht, was er schreibt, oder willst Du nicht drüber nachdenken?

Beides wäre allerdings traurig.
SirVival
Hat sich gelöscht
#25 erstellt: 06. Apr 2006, 12:24
Hallo Johnd,

eigentlich wollte ich mich der weiteren Diskussion über das Thema Adorno enthalten. Der Textausschnitt ( u.a. der 2. Teil) ist jedoch gerade wegen seines aktuellen Bezugs mir Anlaß genug, doch noch etwas dazu zu sagen. Adorno beklagt u.a. die Tendenz, Teile von Musik ihres Kontexts zu entäussern und so thematische und gedankliche Zusammenhänge des Kunstwerks nicht nur zu zerstören, sondern auch der Trivialisierung preiszugeben. Diese luzide Sichtweise weist deutlich in die Zukunft. Warum?
Ich denke da z.B. an die Warteschleifen beim Telefonieren, wo einem regelmässig die Kleine Nachtmusik von Mozart oder das Menuett von Boccherini in die Ohren plärrt. Noch abartiger aber ist mittlerweile die Programmgestaltung beim Rundfunk, z.B. NDR3 Kultur, wo man täglich mit denselben Schnipseln klassischer Musik konfrontiert wird: Der Walzer aus Dvoraks 8., das Scherzo aus der 1. von Bizet, selbst Vivaldis Werke, die selbst teils von possierlicher Kürze sind, werden ungeachtet dessen in ihre Einzelsätze zerlegt über den Äther geschickt. Alle Musik wird dem Schema Nachrichten und Berichte aus der Kultur im 1/4 Stundentakt untergeordnet. Das bedingt natürlich ständige Wiederholung der immer gleichen Stücke. Ich zitiere wörtlich: "Der beziehungslose Konsum läßt sie zerfallen. Nicht bloß, daß die wenigen wieder und wieder gespielten sich abnutzen wie die Sixtinische Madonna im Schlafzimmer. Die Verdinglichung ergreift ihre inwendige Struktur. Sie verwandeln sich in ein Konglomerat von Einfällen, die durch die Mittel von Steigerung und Wiederholung den Hörern eingeprägt werden, ohne daß die Organisation des Ganzen über diese das mindeste vermöchte......Der Mann, der in der Untergrundbahn das Thema des Finales der Ersten von Brahms laut triumphierend pfeift, hat es bereits nur mehr mit deren Trümmern zu tun."
Insgesamt ein interessanter Text, über den sich trefflich weiter diskutieren ließe, aber das soll's jetzt sein.

Gruß
plönlein
Stammgast
#26 erstellt: 06. Apr 2006, 19:14
Moin,


Gut erkannt. Worüber sollte man auch sonst schreiben? Etwa über Dinge die man nicht mag? Und die dann auch noch objektivieren?


Tja, verehrter John D, manchmal schreibt man auch Dinge, die man nicht mag. Das kann die Profession so mit sich bringen. Namentlich als Philosoph/Wissenschaftler.

Wahrscheinlich habe ich es unzureichend ausgedrückt. Ich fand bei Adorno eben interessant, dass er sich zum Teil ausdrückt wie ein (Musik-) Wissenschaftler, aber immer wieder deutlich werden lässt, wo sein Herz schneller schlägt und wo nicht; das wiederum empfinde ich als deutlich unwissenschaftlich. Und eben diese Diskrepanz ist für mich interessant.

Gruß, p.
JohnD
Stammgast
#27 erstellt: 06. Apr 2006, 21:20

SirVival schrieb:
Diese luzide Sichtweise weist deutlich in die Zukunft.


Genau. Und heute Adorno, früher wohl Kulturpessimist gescholten, behielt bei so vielem Recht, dass man ihm gerne die eine oder andere (scheinbare) Überheblichkeit verzeiht, die ich übrigens eher als Überlegenheit empfinde.
Das lässt sich unter anderem daran erkennen, dass es nicht möglich ist, einen Adorno-Text zusammenzufassen.
Zerebralzebra
Hat sich gelöscht
#28 erstellt: 21. Mai 2006, 15:36
Tja, mit Adorno tue ich mich meistens schwer, wobei ich ihn schon interessant finde. Bei den Fragen, was Kulturindustire ist, wie Kultur und kapitalistische Gesellschaft zusammenhängen und inwiefern Kunst etwas Wahres über die Gesellschaft aussagt, kommt an Adorno wohl einfach nicht vorbei.
Ärgerlich ist nicht sein Gebrauch von Fremdwörtern (die findet man eigentlich immer im Fremdwörterlexikon, falls man sie noch nicht kennt - so erweitert man dann seinen Wortschatz), sondern diese merkwürdige Schreibweise - häufig mit versteckten Anspielungen und Zitaten. Er schreibt für den Bildungsbürger im emphatischen Sinn wie es ihn heute wohl kaum mehr gibt. Des weiteren vermeidet sein Stil sowohl ein systematisches Theoretisieren (was vielleicht gerade in Bezug auf Kunst auch angezeigt ist), als auch Beispiele, an denen seine zugespitzten allgemeinen Thesen deutlicher werden könnten. Er setzt viel voraus, aber zum Teil rätselt man auch, was er eigentlich sagen will.
Ganz anders ist sein Stil in seinen (von ihm oft nicht autorisierten) Vorlesungen, in denen er die Lesenden bzw. Hörenden wirklich an die Hand nimmt. So ist seine Metaphysik-Vorlesung eine gute Vorbereitung auf seine Negative Dialektik.
Von seinen musikalischen Schriften schätze ich besonders den 'getreuen Korrepetitor'. Da ist er ganz nah am Detail.
Mellus
Stammgast
#29 erstellt: 31. Jul 2008, 23:04

JohnD schrieb:
Erkenntnis und Liebe gehen doch immer Hand in Hand.


JohnD, ich liebe diesen Deinen Sinnspruch!

(Der entschädigt für den ganzen, zähen, eitlen und doch nicht in Gang gekommenen Thread und wäre auch sonst einen eigenen Thread wert.)

Beste Grüße,
Mellus
Klassikkonsument
Inventar
#30 erstellt: 18. Aug 2008, 23:42
Hallo JohnD,


Genau. Und heute Adorno, früher wohl Kulturpessimist gescholten, behielt bei so vielem Recht,


tja, aber worin denn nun eigentlich genau?


dass man ihm gerne die eine oder andere (scheinbare) Überheblichkeit verzeiht, die ich übrigens eher als Überlegenheit empfinde.
Das lässt sich unter anderem daran erkennen, dass es nicht möglich ist, einen Adorno-Text zusammenzufassen.


Überheblichkeit in theoretischen Texten nervt mich zwar, aber damit kann ich leben. Der schreibende Adorno, hat halt (aus welchen interessanten Erwägungen auch immer) vieles, was auch ein anspruchsvoller Autor gewöhnlich noch ausplaudert, vorausgesetzt.
Ich hab' in 'ner Gruppe mal 'ne ganze Weile das Kulturindustrie-Kapitel in der Dialektik der Aufklärung gelesen, und einige Leute (nicht ich) kannten sich auch schon ein bisschen mit Adorno aus (einer hatte z. B. das KI-Kapitel in der Zwischenprüfung gehabt).
Es war ein Elend. Man muss ihm noch aus der Nase ziehen, was er überhaupt will und meint.
Ich glaube, dass ist der Grund, warum Adorno heute der allseits beliebte Zitat-August ist.

Viele Grüße


[Beitrag von Klassikkonsument am 18. Aug 2008, 23:44 bearbeitet]
Klassikkonsument
Inventar
#31 erstellt: 25. Mrz 2009, 01:14
Im Hindemith-Thread kam man auch auf Theodor W. Adorno zu sprechen, weil dieser am Hindemith kaum ein gutes Haar gelassen hat, ja, die von der Frankfurter Uni verliehene Ehrendoktorwürde gern verhindert hätte.

Martin schrieb:


Martin2 schrieb:
Was mich eben doch erstaunt, ist, daß wir doch immer wieder über Adorno reden - und wozu eigentlich? Letzlich darf jeder hören was er will und er kann dabei auch werten wie er will. Ich werde mir meinen Sibelius durch Adorno ganz sicher nicht madig machen lassen. Aber warum ich Adorno überhaupt lesen soll, weiß ich nicht - alles was ich von ihm weiß, bestärkt mich darin, daß seine Werturteile nicht meine sind - also kann er mich nach dieser Sachlage nicht interessieren.

Und in Bezug auf die Nazizeit sind es nicht die ästhetischen Werturteile der Nazis, die ich für problematisch halte - es muß wohl noch erlaubt sein, zum Beispiel die 12 Tonmusik für eine Fehlentwicklung zu halten - sondern die mörderische Intoleranz, die sich auf solchen ästhetischen Urteilen aufbaute. Was dann auch wieder ein Grund für mich ist, Adorno für wenig interessant zu halten. Mir geht es jedenfalls um eine präzise Benennung dessen, was nationalsozialistisch oder faschistisch genannt werden kann. Und das "ästhetische Urteil" kann es für mich nicht sein. Ich halte etwa von moderner Musik herzlich wenig, auch wenn ich sicher einen anderen Musikgeschmack habe als die Nazis, aber selbstvertändlich werde ich das Recht eines jeden Menschen verteidigen, einen Stockhausen meinetwegen aufzuführen und auch zu hören. Das ist so selbstverständlich, daß es eigentlich ganz banal ist. Aber trotzdem ist das doch der entscheidende Punkt.
Joachim49
Inventar
#32 erstellt: 26. Mrz 2009, 17:36
Bekenntnisse zu Adorno

Ich habe den “Adornostreit” zwischen Aladdin und Martin mit Interesse gelesen. Rein sachlich intellektuell muss ich Aladdin Recht geben, aber ich fühle auch, dass ich Verständnis für den Standpunkt Martins habe, wenn ich auch meine, dass er seinen Standpunkt viel zu schwach vertritt. Letzten Endes vertritt Martin das Recht auf einen rein subjektiven Geschmack – etwas gefällt ihm, oder nicht. Eine sachlich-intellektuellen Diskussion über Qualitätskriterien hält er für wenig sinnvoll (er bekennt sich explizit zu einem Anti-Intellektualismus in Sachen Musik). Auf den ersten Blick scheint es, dass er sich hierin nicht von meiner Schwiegermutter unterscheidet. Meine Schwiegermutter hat 2 klassische CDs von denen sie in den höchsten Tönen schwärmt: ‘später’ Pavarotti. Wenn sie (mehrwöchig) zu Besuch ist und ich Musik laufen lasse, dann zieht sie sich in ein Nebenzimmer zurück. Später Pavarotti ist die einzige Klassik, die sie kennt und die einzige, die sie hören will. Ihr Argument: mir gefällts und alles andere gefällt mir nicht. Dies mit Martin zu vergleichen ist jedoch nicht gerecht, - und Martin hat selbst, zurecht, darauf hingewiesen. Martins Geschmack ist nämlich durch Erfahrung geschult. Er weiss was ihm gefällt oder nicht gefällt, weil er viel kennt und er lässt sich auch gerne durch Beiträge anderer Forumsmitglieder anregen. (Mit Verwunderung habe ich festgestellt wie aus dem ‘Saulus’ der sich zur Frage der Verdienste Haydns recht skeptisch geäussert hat, ein Paulus der Haydnschwärmer wurde. )

Martin mag Adorno nicht, - ich übrigens auch nicht. Das ist sein gutes Recht und vom Standpunkt einer ‘rein subjektiven Geschmacksästhetik’ auch verständlich. Natürlich kann man intellektualistisch einklagen, man solle nicht negativ über etwas urteilen, das man eingestandenermassen kaum kennt – und wer dies sagt, ist unvermeidlich, vom intelletuellen Standpunkt aus, im Recht. Nur gibt es halt auch Vorurteile. Und Vorurteile sind unvermeidlich – jeder hat sie, auch die geistigen Grössen der Nation. Und diese Vorurteile strukturieren ein bisschen unser Lese- und Hörverhalten. Ich mag – Maastricht wird darüber nicht glücklich sein – italienische Oper nicht (mit wenigen Ausnahmen). Muss ich mir nun etliche italienische Opern anhören um intellektuell motiviert meine Abneigung begründen zu können? Ist so etwas realistisch? Ich habe eine gewisse Abneigung gegen postmoderne französische Philosophen. Muss ich sie sehr sorgfältig Lesen um ein Recht auf diese Abneigung zu haben?

Jeder Mensch – auch der Klûgste – kann nicht ohne Vorurteile selektieren, womit er sich eingehender beschäftigen möchte, auf was er sich einlassen möchte, und auf was nicht. Das war auch bei einem Adorno nicht anders. Adorno hätte seine Zeit gewiss nicht damit ‘vergeudet’ Wittgensteins Tractatus zu lesen und er hatte gewiss eine Abneigung gegen Wittgenstein. Aber sie war ebensowenig durch die Kenntnis des Wittgenstein’schen oeuvres motiviert als Martins Abneigung gegen Adorno auf einem sorgfältigen Studium seiner Schriften beruht. Niemand, weder Martin noch Adorno können es vermeiden, unmotivierte Vorurteile zu haben. Unmotivierte Vorurteile sind ein Menschenrecht, da man ohne die Präselektion durch Vorurteile handlungsunfähig ist.

Nun näher zu Adorno. Ich habe eine Abneigung gegen Adorno – sowohl intellektuell als auch menschlich (ich mag diesen Typus nicht). Wenn der Stil die Physiognomie des Geistes ist (Schopenhauer) – dann mag ich diesen Geist nicht.
Intellektuell: ich habe eine Abneigung gegen seinen Stil. Nur mit Widersinn mache ich mir die Mühe seine Sätze in für mich verständliches Deutsch umzubeugen. Mich stösst ab, dass er sich nicht im geringsten Mûhe gibt sich mit seinem Publikum zu verständigen und statt dessen einen esoterischen Stil pflegt, den nur die Eingeweihten verstehen (und imitieren) Seine Sprache ist gekünstelt und voll Eitelkeit. Überhaupt stört mich der eitle Tonfall, die wenn überhaupt, dann nur gespielte Bescheidenheit.
Ich übe einen Beruf aus, der keine übertriebenen, aber doch relativ hohe intellektuelle Ansprüche stellt. Auf meinem Buchregal steht eine ganze Reihe Schriften Adornos. Die Dissertation über Kierkegaard, die Kritik der Erkenntnistheorie, natürlich die Negative Dialektik, die Suhrkampbändchen mit kleinen Schriften zur Gesellschaftstheorie, Ästhetik, Literatur oder Musik, etc. Jedes dieser Bücher habe ich in die Hand genommen, wohlwollend habe ich begonnen zu lesen, um dann doch, oft recht schnell, das Buch aus der Hand zu legen. Ich habe einfach keine Lust, mich der Mühe der Lektüre zu unterziehen, wenn der Autor selbst sich überhaupt keine Mühe gibt, mir einen Zugang zu ihm zu eröffnen.
Zugegeben, es gibt auch andere Bücher durch die man sich quälen muss – und manchmal lohnt es sich. Aber Adorno hat mich nie gereizt mich so richtig in ihn zu verbeissen (was mir mit anderen Werken, die auch nicht gerade Unterhaltungsliteratur sind, wohl gelungen ist.) Irgendwie war das Gefühl, dass der Gewinn gemessen an der Quälerei nicht gross genug ist, durchschlaggebend. Und das ist, zugegeben, ein Vorurteil. Aber solche Vorurteile sind unvermeidlich. Man kann nicht alles lesen, alles hören.

Dann Adornos Neigung zum übertriebenen Extremismus. “Nach Auschwitz kann man kein Gedicht mehr schreiben”. Schön gesagt, sogar verständlich – der meistzitierte Adornosatz. Nur eines hat Adorno vergessen. Wenn man diesen Satz wirklich Ernst nimmt, dann kann man auch keine Essays schreiben über die Frage, ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben kann oder schöngeistige Rundfunkvorträge über schöne Stellen in der Musik halten (in denen es natürlich, wer hätte anderes erwartet, gar nicht um ‘schöne’ Stellen geht.).

Ich höre manchmal Musik, bei der ich mich verwundert frage, wie denn der Komponist so unverfroren sein konnte, zu diesem Zeitpunkt so zu schreiben. Strauss’ ‘Vier letzte Lieder’, Sibelius’ oder Nielsens Violinkonzert – oder, ganz extrem, etwa M. Weinbergs Symphonien, die, wie manches von Schostakowitsch teils noch nach dem Krieg entstanden sind. Beeinflusst durch Schostakowitsch (beide schätzten einander) aber sogar noch zugänglicher. Zugegeben: rückwärtsgewandte, traditionelle Musik. Wenn mir jemand sagt, diese Musik sei nicht fortschrittlich, sei rückwärtsgewandt, oder traditionell, so ist dies völlig korrekt. Nur, warum sollte ein solches, durchaus berechtigtes Urteil in Formen von Kritik umschlagen die manchmal gehässig genannt werden dürfen. Warum muss man Sibelius oder Hindemith ‘niedermachen’. Es ist dieser Gestus der Gehässigkeit, der Martin (glaube ich) und auch mich stört. Der Hindemithaufsatz ist dafür typisch. Nachdem Adorno schon in aller Deutlichkeit den Leser Wissen lies, dass er den späten Hindemith ‘Dreck’ findet, tut’s ihm auch noch Leid, dass er sich früher mal zu den frühen Sachen positiv geäussert hat und dann muss er noch mit der vermeintlich eigenen Unreife kokettieren, die ihn früher bedauerlicherweise zu einer Fehleinschätzung verleitet hat. Adorno will vernichten, eine Kritik kann gar nicht vernichtend genug sein. Er hätte den Triumph genossen, wenn er durch seine Stimme (gegen alle anderen Fakultätskollegen) das Ehrendoktorat Hindemiths verhindert hätte. Er hätte gerne vernichtet. Heidegger zu vernichten, das war sein selbsterklärtes Ziel (ich weiss nicht, ob das wörtliche Bekenntnis aus einem Gespräch überliefert ist, oder publiziert ist; Heidegger erwähnt es – ich glaube im berühmten Spiegelinterview. Ich bin alles andere als ein Heideggerfreund, aber Heidegger hatte Recht das er den kleinen gehässigen Frankfurter, der ihn so gerne vernichtet hätte, einfach ignorierte.

Mag sein, dass Adorno über ein philosophisches Hintergrundwissen verfügt, wahrscheinlich Hegel’scher Provinienz, dass es ihm möglich macht Fortschritte und Rückschritte in der Musik eindeutig festzustellen. Aber ich sehe nicht, warum daraus folgt, dass rückwärtsgewandte Musik darum per se schlecht ist, und warum man die Hörer dieser Musik deshalb auch mit seinem soziologischen oder gar psychoanalytischen Instrumentarium schlecht machen muss. Die Leser die Adorno nicht mögen, die fühlen halt, dass Adorno nicht nur Sibelius oder Hindemith kränken will, sondern auch sie, die Hörer dieser Musik. Martin fühlt dies ganz zurecht, und er reagiert darauf mit Liebesentzug. Er mag Adorno nicht. Martins (und meine) Reaktion auf Adorno, mag vielleicht nicht intellektuell überzeugend sein, aber wir fühlen bei der Lektüre, dass der Autor auch uns kränken will, insofern wir Musik schätzen, die er dessen nicht würdig fand. Und in der Idee, über einen Massstab zu verfügen, der es einem gestattet ‘objektiv’ zu urteilen, wo es in der Musik langs zu gehen hat, liegt eine gewisse überheblichkeit, die halt auch der Glaubwürdigkeit des Urteils schadet.


Ich zögere nicht von Gehässigkeit zu sprechen, wenn ich Adorno lese. Warum muss er Bruno Walter wie den letzten Trottel behandeln, der von Beethoven überhaupt, ja nun wirklich überhaupt keine Ahnnung hat? (im Beethovenbuch aus dem Nachlass, aber ich kann mich täuschen.) Ich kann nur empfehlen, die Briefe Adornos – hauptsächlich die an Horkheimer – zu lesen, und jedem sensiblen Leser sollte klar sein, dass das Urteil nicht gänzlich abwegig ist. Ein unangenehmer Mensch. Ich wäre ihm aus dem Wege gegangen. Ein selbst im höchsten Masse autoritärer Charakter, wie ich aus schriftlichen oder persönlichen Selbstzeugnissen von Leuten weiss, die mit ihm zu tun hatten.

Ein kleines Wort zu Aladdin, gegen den diese Worte keineswegs gerichtet sind. Ich freue mich aufrichtig, dass er sich wieder ausführlich zu Wort meldet und wenn er irgendwo ein ‘Adorno-Seminar’ halten würde, so käme ich mit grösstem Vergnügen. Wenn ich ihn lese, dann mit Vergnügen, denn bei habe ich das Gefühl, dass er um den Leser bekümmert ist (anspruchsvoll aber nicht esoterisch), und dass er auch weit entfernt von den charakterlichen Mängeln ist, die ich – zurecht oder nicht – bei Adorno feststellen zu können glaube.

Das Forum ist ganz schön zeitraubend.

Freundliche grüsse
Joachim
Martin2
Inventar
#33 erstellt: 27. Mrz 2009, 09:04
Nichts zu Adorno, aber ich zitiere noch einmal den Beitrag von Herbert:


pragmatiker schrieb:
Grüße von einem Klassik-Forums-Gast (und interessiertem Leser), der gern und viel Klassik hört, aber trotzdem von Klassik keine Ahnung hat.

Herbert


Genau das ist es, was ich meine. Herbert hört viel und gerne Klassik - und von daher wäre er für mich prädestiniert, über Klassik zu schreiben, aber er traut sich schlicht nicht, anders kann ich es mir nicht erklären. Es besteht in solchen Foren immer die Gefahr, daß die "Kenner" und die "Eloquenten" die Liebhaber rhetorisch und intellektuell verdrängen.

Nun bin ich selber sicherlich nicht völlig unterbelichtet. Immerhin habe ich Philosophie und Musikwissenschaften studiert. Wenn auch nur bis zur Zwischenprüfung und ohne das Gefühl zu haben, für diese Studiengänge sonderlich begabt zu sein.

Immerhin - wenn man ein wenig ins universitäre Millieu hinein gerochen hat, so weiß man es besser einzuschätzen. Etwa in der Philosphie begegnen einem brilliante Leute, die trotzdem erkenntnistheoretisch in einem Stadium nackten Naturalismus stehen geblieben sind.

Aladdins Beiträge schätze ich durchaus, aber es ist ein Kampf, den ich seit ich hier bin ständig führe, daß Leute wie Herbert, die viel klassische Musik hören, hier schreiben. Das heißt, auch wer wenig klassische Musik kennt, soll hier schreiben! Aber Leute wie Herbert nun erst recht.

Was ich jedenfalls nicht mag, ist intellektuelles Imponiergehabe bestimmter Personen, das andere dann wieder davon abhält, in einem Forum wie diesem zu schreiben. In dieser Hinsicht gilt es für mich, kräftig dagegen zu steuern.

Aber zu Adorno mag ich nichts schreiben, Joachim hat jedenfalls für mich gut ausgedrückt, was ihn an Adorno stört - aber meine Adornolektüre liegt zu weit zurück, um hier noch mitreden zu können.

Ansonsten würde man mich mißverstehen, wenn man meinte, daß ich einem nackten Antiintellektualismus das Wort reden würde. So ist es dann auch nicht gemeint. Wenn jemand sich besser ausdrücken kann, wenn jemand präziser sagen kann, was ihn begeistert oder stört, ist mir das sehr willkommen. Aber daß Intellektualität für sich genommen gar nicht hindert, daß jemand jeder Form von Torheit auf den Leim geht, ist ein nur zu bekannter Tatbestand und insofern ist mir in diesem Forum wirklich jeder willkommen. Ich kann das nur wirklich nur bis zum Erbrechen wiederholen.

Gruß Martin
Mellus
Stammgast
#34 erstellt: 27. Mrz 2009, 13:34
Hallo Martin, hallo Joachim,

nachdem ich, wie Millionen Mitleser auch, den "Adornostreit" und Deine, Joachim, ausführliche und erhellende Darstellung gelesen habe, erlaube ich mir eine kleine Anmerkung. Wie würde es Euch gefallen, wenn ich schreiben würde:

"Ich kenne zwar Joachim/Martin und seine häuslichen Verhältnisse nicht, aber seine Postings interessieren mich nicht, da er seine Frau schlägt."*

Da erwarte ich aber einen Aufschrei von Euch und denen, die Euch kennen und die Aufklärung, dass es bei Euch keine häusliche Gewalt gibt, dass es falsch ist, was ich behaupte. Und wie ich überhaupt zu der Behauptung komme, da ich darüber ja gar nicht bescheid wissen kann, wie ich dreist gleich zu Anfang des Satzes zugebe. Die entpsrechende anschließende Richtigstellung berührt den Punkt, ob ich Eure Postings, aus welchen Gründen auch immer, interessant finde oder nicht, überhaupt nicht.

Etwas strukturell Ähnliches ist IMO im Hindemith-Thread vorgefallen. Den Vorwurf der politischen Denunziation geht weit über das (durchaus berechtigte) Einklagen des subjektiven Gefallens hinaus, auf das Joachim oben abhebt. Und sollte der Vorwuf zudem unberechtigt sein, finde ich einen entspechenden Hinweis auch nicht intellektualistisch, sondern mindestens fair.

Viele Grüße,
Mellus

----
* Bitte verzeiht dieses drastische Beispiel, ein besseres fiel mir gerade nicht ein. Es ist nur ein Beispiel und gibt nicht meine Meinung wieder, weder was die Postings, noch was die Frau betrifft.
Martin2
Inventar
#35 erstellt: 27. Mrz 2009, 16:19
Hallo Mellus,

Du hast wohl recht. Und ich möchte mich zu Adorno auch nicht weiter äußern, da ich zwar einiges von ihm gelesen habe, die Dialektik der Aufklärung ( mit Horkheimer) und wohl auch die Minima Moralia - aber das ist mindestens 20 Jahre her. Insofern überlasse ich gerne Joachim das Feld.

Der Fall Adorno müßte halt genau untersucht werden. Und dabei müßte formale Korrektheit und reale Korrektheit untersucht werden. Daß Adornos Argumentationen formal korrekt sind glaube ich gerne und bedanke mich hier für die Aufklärung Aladdins. Ob sie allerdings real korrekt sind, ob also eine politische Denunziation sozusagen von Adorno praktisch suggeriert wurde, das ist für mich mit der Verteidigung Aladdins nicht aus der Welt geschafft. Mit diesem Punkt zusammen hängt der Punkt der "Außenwirkung". Also die Frage, inwieweit sind die Schriften Adornos im Sinne einer politischen Denunziation verstanden worden, vielleicht mißverstanden worden, und damit hängt dann wieder die Frage zusammen, inwiefern hat Adorno ein Mißverständnis nicht zu unterbinden versucht oder es sogar gefördert.

Mit all diesem treffe ich überhaupt keine Aussagen, ich treffe überhaupt keine Aussagen über Adorno! Über Adorno will und kann ich mich nicht äußern, allerdings gebe ich zu bedenken, daß Probleme der Beurteilung nicht so leicht zu treffen sind, in dem man sich auf einen Standpunkt formaler Korrektheit zurückzieht. Über Adorno kann ich halt soviel sagen - und das muß mir gestattet sein - daß ich ihn vor langer Zeit mal gelesen habe und ihn herzlich wenig gemocht habe und das emotionale Gedächtnis hält halt länger vor als das inhaltliche.

Gruß Martin
Joachim49
Inventar
#36 erstellt: 27. Mrz 2009, 20:39

Martin2 schrieb:
Es besteht in solchen Foren immer die Gefahr, daß die "Kenner" und die "Eloquenten" die Liebhaber rhetorisch und intellektuell verdrängen.


Hallo Martin,
was mir an diesem Forum gefällt, ist gerade, dass dieses Risiko hier ziemlich klein ist. Es gibt ein paar Leute, die besonders anspruchsvolle Beiträge schreiben, andere sagen einfach, was ihnen gefällt und blutige Anfänger fragen manchmal um Rat. Und dazwischen gibt es viele Abstufungen. Ich hatte nie das Gefühl, dass man jemanden einschüchtern will oder lächerlich machen will. Gut, manchmal nimmt halt jemand den Mund zu voll und dann passiert's auch dass es Proteste gibt. Ziemlich normal. Es wäre gewiss auch dumm, deutlich 'intellektuelle' Beiträge zu verweigern. Ihre Zahl ist nicht so gross, dass man Sorge haben muss, dass sich deshalb Leute abmelden. Und neue Leute, die deutlich kaum Ahnung haben, aber um Rat fragen, werden glaube ich nicht arrogant behandelt. Gelehrte oder erfahrene Klassikkenner geben ihnen gerne Ratschläge. (Der Literatur-thread ist ohnenhin das Reservat, das am wenigsten von den Forianern aufgesucht wird).
Freundliche Grüsse
Joachim
Joachim49
Inventar
#37 erstellt: 27. Mrz 2009, 20:46

Mellus schrieb:

----
* Bitte verzeiht dieses drastische Beispiel, ein besseres fiel mir gerade nicht ein. Es ist nur ein Beispiel und gibt nicht meine Meinung wieder, weder was die Postings, noch was die Frau betrifft.


Hallo Mellius,
mach dir deswegen keine Sorgen. Falls Dein Beispiel Missverständnisse hervorrufen sollte, kann ich meine Frau sicher bewegen, hier eine Ehrenerklärung für mich abzugeben. (Was Martin betrifft, gibt es da allerdings ein Problem, das Bertrand Russell in seinem berühmten Aufsatz 'On Denoting' diskutiert hat.)
Freundliche Grüsse
Joachim
op111
Moderator
#38 erstellt: 27. Mrz 2009, 20:48

Martin2 schrieb:
Der Fall Adorno müßte halt genau untersucht werden. Und dabei müßte formale Korrektheit und reale Korrektheit untersucht werden.


Mit den Untiefen von Adornos Äusserungen hat sich der langjährige London-Korrespondent und promovierte Philosoph Karl-Heinz Wocker in einem Rundfunkessay, das in den Archiven des WDR schlummert, in einem Totalverriss auseinandergesetzt.
Klassikkonsument
Inventar
#39 erstellt: 27. Mrz 2009, 22:05
Was mich an Adorno nervt: sein Stil

Adorno war ein politisch engagierter, polemischer Autor mit essayistischem Stil. Politisch bin ich vielleicht gar nicht so weit von Adorno entfernt. Mit Polemik, die ja immer ungerecht bis vernichtend ist, bin ich manchmal nicht glücklich, manchmal finde ich sie lustig. Essayistischer Stil ist das Gegenteil eines akademisch verantwortlichen und sorgfältig abwägend argumentierenden Schreibens; von Letzterem hätte sich Adorno für meinen Geschmack aber dennoch mal ein dünnes Scheibchen abschneiden können.
Aber erstmal ganz allgemein war sein Stil gegenüber Verlautbarungen der meisten damaligen Gelehrten vielleicht auch ganz erfrischend, wahrscheinlich transportierte er auch schon eine bestimmte Kritik.

Für mich ist das Lesen seiner Texte aber auch größtenteils eine Qual. Und zwar nicht aus intellektueller Überforderung nebst daraus resultierender narzisstischer Kränkung, sondern weil, wie schon Joachim schrieb, Adorno mit seinen LeserInnen nicht kommunizieren mag; er schreibt nicht hin, was er einem sagen will (und ich glaube sogar, dass er einiges zu sagen hatte).

Irgendwie gibt es bei ihm auch eine gewisse Sympathie für das Nicht-Rationale - wohl als Stellungnahme gegen den Positivismus der Analytischen Philosophie und für die Psychoanalyse, die ja Nicht-Rationales zu ihrem Gegenstand hat.
Ich vermute, damit hat ein 2. Merkmal seiner Texte zu tun, das sie für mich meistens ungenießbar macht: Adorno pflegt einen apodiktischen Stil, der Aussagen aneinanderreiht, aber kaum je mal ein Argument bringt.
Da denk' ich immer wieder: Interessant klingendes Resultat, aber ohne den Weg dorthin kann ich dazu nur die Schulter zucken (sofern ich's überhaupt versteh'). Und wäre ich selber zu dem Resultat gelangt, bräuchte ich ja den Adorno-Text nicht mehr zu lesen.
Entschuldigend kann man sagen, dass so eine argumentfrei hingeklotzte Aussage sich oft nicht logisch herleiten lässt, weil es eine Erfahrung ist, die aber mehr ist als ein ephemeres Beispiel. Allerdings gibt sich Adorno auch wiederum oft keine große Mühe, eine solche Erfahrung plastisch darzustellen, sondern textet sie nur an. So nach dem Motto: Entweder euch ging's genauso, oder ihr habt eben Pech gehabt (oder seid unsensibel, blöd?).

Dieser apodiktische Stil ist wohl ein wichtiger Grund dafür, dass man sich so leicht von Adorno einschüchtern lässt. Aber andererseits ist der nun schon lange tot und wird einen kaum am Hören "schlechter" Musik hindern können.

Viele Grüße


[Beitrag von Klassikkonsument am 27. Mrz 2009, 22:10 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#40 erstellt: 28. Mrz 2009, 02:05

Joachim49 schrieb:
(Was Martin betrifft, gibt es da allerdings ein Problem, das Bertrand Russell in seinem berühmten Aufsatz 'On Denoting' diskutiert hat.)
Freundliche Grüsse
Joachim


Du bist sicher, daß er nur über Denotationen gesprochen hat und nicht über Konnotationen? Du hast ja Recht - nur möchte ich mich bezüglich Adorno nicht allzuweit aus dem Fenster lehnen. Allerdings habe ich Adornos Minima Moralia heute tatsächlich wieder im meinem Regal entdeckt. Las dann einen Aphorismus "Zauberflöte", wo Adorno meinte aller Schönheit sei irgendwie "Aufklärung" beigemischt, was für ein Blödsinn. Und wer das leugnet und auf reiner Schönheit besteht, ist dann wieder bürgerlich oder sowas.

Also wenn ich Adorno lese, habe ich einfach den Eindruck reinen Unsinns, wobei ich den Unsinn in aphoristischer Form durchaus schätze - deshalb schätze ich durchaus zum Beispiel die französichen Aphoristiker oder Nietzsche, aber Adorno ist ein weitschweifiger Aphoristiker, der recht behalten will, und das ist schlimmer als ein Miss World mit Hängebrüsten. So, jetzt habe ich mich aber mal richtig weit vor gewagt, das Fatum in Form von Aladdin waltet über mir und wird mich vernichten.

Gruß Martin
Mellus
Stammgast
#41 erstellt: 28. Mrz 2009, 02:27

Martin2 schrieb:
Du bist sicher, daß er nur über Denotationen gesprochen hat und nicht über Konnotationen?


Zumindest ich bin mir sicher.

Hängebrüste sind doch furchtbar antiquiert. Die tragen doch schon die 1200 Jahre alten Fruchtbarkeitsstatuen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die von negativ-dialektischer Relevanz sind. Aber wenn sich Adorno wirklich auf eine Hegelsche Position bezieht, sollte man die Offenheit seiner Philosophie nicht unterschätzen.

Viele Grüße,
Mellus
Martin2
Inventar
#42 erstellt: 28. Mrz 2009, 02:32
Hallo Mellus,

nun sag bloß, daß Du auf Hängebrüste stehst?

Gruß Martin
Mellus
Stammgast
#43 erstellt: 28. Mrz 2009, 02:40
Hallo Martin,

tjaha, das hast Du nicht gedacht, was? Warte mal, bis wir erst über Pos sprechen.

Viele Grüße,
Mellus
Martin2
Inventar
#44 erstellt: 28. Mrz 2009, 02:48
Hallo Mellus,

auf Hängepos stehst Du auch? Ich bin entsetzt! Am Ende rufst Du noch bei den 0190 Nummern an, die zu nachtschlafender Zeit im Fernsehen angeboten werden, wo Oma mal so richtig aus sich raus geht. Welche Abgründe tun sich doch in solchen Foren auf ...

Gruß Martin

( da Du um mehr Smileys gebeten hast)
Klassikkonsument
Inventar
#45 erstellt: 28. Mrz 2009, 05:31

Martin2 schrieb:
Hallo Mellus,

auf Hängepos stehst Du auch? Ich bin entsetzt! Am Ende rufst Du noch bei den 0190 Nummern an, die zu nachtschlafender Zeit im Fernsehen angeboten werden, wo Oma mal so richtig aus sich raus geht. Welche Abgründe tun sich doch in solchen Foren auf ...

Gruß Martin

( da Du um mehr Smileys gebeten hast)



Großartig, das ist die beste Adorno-Diskussion, die ich je erlebt habe.



Viele Grüße
Joachim49
Inventar
#46 erstellt: 28. Mrz 2009, 12:08
Ich bedauere ausserordentlich, dass mein offensichtlich missverstandener Hinweis auf einen Artikel Russells aus dem Jahre 1905 zu abwegigen Diskussionen geführt hat, die musikalische oder philosophische Präferenzen kaum tangieren. So wie Adorno oft nur verständlich ist, wenn man zahlreiche, nicht ausgesprochene Voraussetzungen kennt, so war auch mein Hinweis für viele (verständlicherweise) unverständlich.

Um an 'Klassikkonsuments' Stellungnahme anzuknüpfen. Es gab in den ersten Jahren des Exils Kontakte zwischen den 'Frankfurtern' und dem neo-positivistisch und kommunistisch orientierten Otto Neurath (der nach Amsterdam geflüchtet war).
Neurath forderte in diesen Gesprächen, an denen auch Adorno teilnahm, man solle sich in diesem Austausch auf die rein "sachlichen" Meinungsverschiedenheiten beschränken, also auf durch Erfahrung entscheidbare Feststellungen. Neurath war sogar so naiv, den Frankfurtern vorzuschlagen, sie sollten ihre Standpunkte erst einmal in die von Neurath (und den Wiener Positivisten) vorgeschlagene "Einheitssprache der Wissenschaft" übersetzen, da erst dann deutlich werde, wo man wirklich andere Auffassungen über die Wirklichkeit hat. Eine "Nettodiskussion" nannte Neurath dies. Auch Klassikkonsument fordert, dass Adorno Klartext spricht. Horkheimer antwortete damals in einem etwas süffisanten Ton, wenn man Neuraths Forderung erfülle, könnten sie (die Frankfurter) gar nicht mehr sagen, was ihnen wichtig sei.
Ich fürchte halt, dass wenn Adorno die von mir und Klassikkonsument eingeklagte Forderung der Verständlichkeit erfüllen würde, er halt nicht mehr sagen könnte, was ihm gerade wichtig ist. überhaupt hätte Adorno wahrscheinlich den Gedanken abgelehnt (der auch hinter Neuraths 'Nettodiskussion' stand), man könne denselben Gedanken in einem gänzlich anderen sprachlichen Gewand transportieren. Ich sage das ganz ohne polemische Absicht. Es ist ein wirkliches Problem und gerade im Bereich der Philosophie sind ja die Kommunikations- und Verständigungsbarrieren so erschreckend hoch, dass jeder nur die Kommunikation mit seinen eigenen 'Peers' pflegt und den Rest ignnoriert.

Was übrigens den apodiktischen, argumentationslosen Stil betrifft. Wittgensteins Tractatus pflegt ihn sehr extrem. Auch hier versteht man, wahrscheinlich wie bei Adorno, nichts, wenn man die oft komplizierten Hintergründe nicht kennt. Und doch fällt man über den "heiligen Ludwig" nicht genauso her wie über den 'elitären' Adorno.

Freundliche Grüsse
Joachim


[Beitrag von Joachim49 am 28. Mrz 2009, 12:11 bearbeitet]
Klassikkonsument
Inventar
#47 erstellt: 28. Mrz 2009, 23:45
Hallo Joachim und überhaupt Adorno-Mit- und Gegenstreiter,


Joachim49 schrieb:
Ich bedauere ausserordentlich, dass mein offensichtlich missverstandener Hinweis auf einen Artikel Russells aus dem Jahre 1905 zu abwegigen Diskussionen geführt hat, die musikalische oder philosophische Präferenzen kaum tangieren.


Ach, und ich dachte Mellus und Martin hätten endlich mal klar ausgesprochen, was bei Adorno immer nur nebulös als das Nichtidentische apostrophiert wird.


Es gab in den ersten Jahren des Exils Kontakte zwischen den 'Frankfurtern' und dem neo-positivistisch und kommunistisch orientierten Otto Neurath (der nach Amsterdam geflüchtet war).
Neurath forderte in diesen Gesprächen, an denen auch Adorno teilnahm, man solle sich in diesem Austausch auf die rein "sachlichen" Meinungsverschiedenheiten beschränken, also auf durch Erfahrung entscheidbare Feststellungen. Neurath war sogar so naiv, den Frankfurtern vorzuschlagen, sie sollten ihre Standpunkte erst einmal in die von Neurath (und den Wiener Positivisten) vorgeschlagene "Einheitssprache der Wissenschaft" übersetzen, da erst dann deutlich werde, wo man wirklich andere Auffassungen über die Wirklichkeit hat. Eine "Nettodiskussion" nannte Neurath dies. Auch Klassikkonsument fordert, dass Adorno Klartext spricht. Horkheimer antwortete damals in einem etwas süffisanten Ton, wenn man Neuraths Forderung erfülle, könnten sie (die Frankfurter) gar nicht mehr sagen, was ihnen wichtig sei.
Ich fürchte halt, dass wenn Adorno die von mir und Klassikkonsument eingeklagte Forderung der Verständlichkeit erfüllen würde, er halt nicht mehr sagen könnte, was ihm gerade wichtig ist. überhaupt hätte Adorno wahrscheinlich den Gedanken abgelehnt (der auch hinter Neuraths 'Nettodiskussion' stand), man könne denselben Gedanken in einem gänzlich anderen sprachlichen Gewand transportieren. Ich sage das ganz ohne polemische Absicht. Es ist ein wirkliches Problem


Interessant, dieser konkrete Austausch mit Positivisten war mir neu.

Bei der Frage, ob Adorno seine Gedanken überhaupt anders hätte formulieren können, denke ich unterm Strich schon, dass seine Unverständlichkeit auf eitles Schnöseltum zurückgeht.
Sicher, die Forderung seine Gedanken auf einen "sachlichen" Gehalt zu reduzieren ist eine alberne Zwangsjacke. Und die spannende Frage wäre dann erstmal, was denn bitteschön "sachlich" oder auch "wesentlich" sei.
Ich hatte ja kurz angedeutet, dass Adorno der Ansicht war, dass systematisches Philosophieren und damit eine durchgängig logisch abgeleitete Argumentation "Wesentliches" unter den Tisch fallen lasse. Die Adorniten in meinem Bekanntenkreis erwähnen da den Begriff der Konstellation als Verhältnis von Vorstellungen und Gedanken, das vom Verhältnis Prämissen und logischem Schluss noch mal unterschieden ist.
Insofern ist mir schon klar, dass von Adorno keine so um Klarheit bemühten Texte zu erwarten sind, in denen erstmal brav die relevanten Begriffe definiert werden.

Und imo hat er recht. Das leuchtet sogar mir bezüglich neuerer philosophischer Entwicklungen unterbelichtetem Kantianer ein. Denn seit Kant gibt es den Gegensatz von Sinnlichkeit (Zeit und Raum als Formen der Anschauung) und Begriffen. Zwar können beide Seiten gar nicht ohne einander ("Anschauung ohne Begriffe ist blind; Begriffe ohne Anschauung sind leer."), aber auf ein systematisch gemeinsames Prinzip lassen sie sich nicht zurückführen.

Aber zwischen der Forderung seine Gedanken auf einen von wem anders definierten "sachlichen" Kern zu reduzieren, womöglich noch in eine informationstechnisch stockungsfrei verarbeitbare Form zu bringen (logische Formalisierung?) & der Forderung seine Gedanken (so gut es eben geht) zu kommunizieren ist ja noch mal ein Unterschied.
Vielleicht machten es die guten Argumente für ein assoziativeres, nicht immer wasserdicht begründetes Philosophieren den Frankfurtern leichter, diesen bequemen (für andere freilich unbequemen), undeutlichen Stil zu pflegen.

Adorno konnte ja durchaus anders: In seinen Vorlesungen zur Philosophischen Terminologie und zur Metaphysik nimmt er seine ZuhörerInnen nett ans Händchen und macht mal ein paar seiner Voraussetzungen klar.


und gerade im Bereich der Philosophie sind ja die Kommunikations- und Verständigungsbarrieren so erschreckend hoch, dass jeder nur die Kommunikation mit seinen eigenen 'Peers' pflegt und den Rest ignnoriert.


Ohne die Konkurrenz im Wissenschaftsbetrieb wäre bestimmt eine sachlichere und bessere Verständigung möglich.


Was übrigens den apodiktischen, argumentationslosen Stil betrifft. Wittgensteins Tractatus pflegt ihn sehr extrem. Auch hier versteht man, wahrscheinlich wie bei Adorno, nichts, wenn man die oft komplizierten Hintergründe nicht kennt. Und doch fällt man über den "heiligen Ludwig" nicht genauso her wie über den 'elitären' Adorno.


In den Tractatus habe nur mal kurz rein geschnuppert, aber ich dachte der wäre Logik pur mit der metaphysischen Prämisse, dass die Welt bloß alles sei, was der Fall sei.

Viele Grüße
Martin2
Inventar
#48 erstellt: 29. Mrz 2009, 12:17
Ich will mir doch die Minima Moralia noch mal rein ziehen, dessen Lektüre doch schon 20 Jahre her ist. Ob ich mich dann noch mal in die Diskussion einbringen möchte, wird man mal sehen. Grundsätzlich ist diese Diskussion schon interessant.

Ich denke, daß Adornos kulturkritischer Ansatz vor 20 Jahren für mich durchaus einmal wichtig war. Vielleicht auch, um sich von gewissen Dingen der Massenkultur auch einfach abgrenzen zu können. Dann aber hat Adorno in der Folgezeit für mich diese Bedeutung auch wieder verloren, da Kulturkritik für mich zum einen mit Kanonen auf Spatzen schießt - die Massenkultur ist im Grunde sehr einfach zu kritisieren. Zum zweiten fand ich Adorno in seinem Verve, das falsche Leben zu kritisieren auch immer erschreckend humorlos. Sagen wir mal so: Ein Schostakowitsch etwa war begeisterter Fußballanhänger, aber einen Adorno auf dem Fußballplatz kann man sich gar nicht vorstellen.

Im Gegensatz zu Adorno habe ich zur Massenkultur keine Berührungsängste. Ich schaue mir auch mal einen blöden Film an und weiß, daß er blöd ist, aber unterhalte mich dabei prächtig. Eine Massenkultur hat es im übrigen immer gegeben, gibt es und wird es immer geben. Was soll daran zu kritisieren sein, außer daß das blöde nun mal blöd ist? Sicher gibt es im 20. Jahrhundert vielleicht auch so etwas wie eine Technokratisierung der Massenkultur, wobei man sich vielleicht sogar noch mit mathematischen Formeln ausrechnet, wieviel "Action" ein Film haben muß. Ich denke trotzdem, daß man all das auch mit Humor nehmen kann.

Und Adornos Urteile über Musik muß man ja nicht so ernst nehmen. Jeder hat das Recht auf seinen eigenen Geschmack - auch Adorno.

Ich habe schon viel zu viel geschrieben. Ich möchte wiegesagt die Minima Moralia lesen, die ich beim heutigen Reinschnuppern gar nicht so schlecht fand - bestimmt doch auch noch mal lesenswert, um frühere Urteile über Adorno doch noch mal zu überprüfen. Ich hätte auch gegen Adorno gar nicht so viel einzuwenden, wenn ich ihn lesen dürfte wie Nietzsche - also mit der gebotenen Distanz. Glücklicherweise ist Nietzsche heute ja einfach ein großer Autor, von dem man sich anregen lassen kann - ohne daß einem die Nietzscheaner die Bude einrennen. So gesehen möchte ich mich dann von Adorno auch noch mal anregen lassen.

Gruß Martin
AladdinWunderlampe
Stammgast
#49 erstellt: 29. Mrz 2009, 18:34
Liebe adornitisch Vergiftete,

leider kann momentan aus allerlei persönlichen Gründen nicht so eifrig mitdiskutieren wie der Gegenstand es möglicherweise erfordern mag, so dass ich angesichts des von Euch vorgelegten Diskussionstempos mittlerweile gar nicht mehr weiß, welchen der vielen losen Fäden ich hier überhaupt aufgreifen soll: Adorno und Kulturkritik, Adorno als Denunziant, Adorno und der Positivismus oder die Frage des Verhältnisses von Stil, Sprache und Gedanke in Adornos Texten? Alles interessante Fragen, von denen jede einzelne sicher einiges an Diskussionsstoff böte.

Erschwerend kommt für mich hinzu, dass mein Buchhändler mir seinerzeit offenbar eine böswillig verfälschte Adorno-Ausgabe angedreht hat, denn beim Nachschlagen der von meinen verehrten Mitstreitern gegen Adorno ins Feld geführten Texte fand ich - wie schon bei Martins Antifaschismus- und Denunziationsvorwürfen im Hindemith-Thread - oft ganz andere Dinge, als ich nach den betreffenden Postings erwartet hätte.

So ist es mir bisher nicht gelungen, die Stelle aufzustöbern, an der Adorno sich laut Joachim erlaubt,

Bruno Walter wie den letzten Trottel [zu] behandeln, der von Beethoven überhaupt, ja nun wirklich überhaupt keine Ahnnung hat


Im nachgelassenen Beethoven-Buch findet sie sich jedenfalls nicht - zumindest, wenn ich dem Namensregister Glauben schenken darf, das diesem Band wohltuender Weise (anders als den von Adorno zu Lebzeiten veröffentlichten Publikationen) beigegeben worden ist. Joachim selbst hatte schon angedeutet, dass die Bruno-Walter-Polemik sich möglichweise irgendwo anders in Adornos Schriften findet. Daher wäre ich über einen gelegentlichen Hinweis dankbar, wo die fragliche Stelle denn nun nachzuschlagen ist.

Eindeutig korrupt scheint dagegen der Text meiner Adorno-Ausgabe im Hinblick auf Adornos Einschätzung Toscaninis zu sein, über die ich beim Klassikkonsumenten das Folgende lesen konnte:


Immer wieder legt er eine Verbindung zu reaktionärer Politik, wenn nicht gar zum Faschismus nahe, z.B. auch bei Strawinski oder Toscanini ("Die Meisterschaft des Maestro" in Klangfiguren, Musikalische Schriften I). Aber Toscanini war ja wohl Anti-Faschist [...]


Komischerweise lese ich in meiner Ausgabe des betreffenden Aufsatzes, der seinen durchaus kritischen Anmerkungen zu bestimmten Aspekten von Toscaninis Interpretationsstil übrigens zunächst eine zweieinhalb Seiten umfassende Darstellung der musikalischen Verdienste dieses Dirigenten voranstellt, den folgenden Passus:

"Er war so recht der Gegenpapst zu Furtwängler, ein Settembrini der Musik, so wie er denn auch in seinen Überzeugungen, zumal in seiner Intransigenz dem Faschismus gegenüber, unverführbar und mit bewundernswerter Zivilcourage die Partei rationaler Humanität ergriff." (Musikalische Schriften I-III, Frankfurt am Main 1997, S. 52).

Im selben Aufsatz (sowie in einigen anderen Texten) erwähnt Adorno übrigens auch einige musikalische Verdienste des ihm menschlich wie künstlerisch vermutlich eher fernstehenden Furtwängler; und selbst den musikalischen Leistungen Karajans, dem nun wirklich leicht etwas ans braune Zeug zu flicken gewesen wäre, begegnet er (im Aufsatz "Oper: Provinz oder Monopol", Musikalische Schriften VI, Frankfurt am Main 1997, S. 425-430) mit größerem Respekt als manche hier im Forum...

Zu Strawinsky, den der Klassikkonsument ebenfalls vage mit der Adornoschen Faschismus-Keule in Verbindung bringt, lese ich im - wiederum teilweise durchaus nicht unkritischen - Aufsatz "Strawinsky. Ein dialektisches Bild":

"Der Mensch Strawinsky hat sich bei vielen Anlässen, beim Tod Schönbergs, auch in der Zeit des amerikanischen McCarthyismus so vornehm wie mutig und human verhalten, und es wäre die pure Gemeinheit, wollte man gewisse geschichtsphilosophische Implikationen seines Werks ihm oder seiner Gesinnung zur Last legen. Banausisch, die objektive Gestalt eines Kunstwerks zu verwechseln mit der Seele dessen, der es hervorbrachte und der, wie Strawinsky, alles daransetzte, die Spur der Seele im Werk zu tilgen. Nur wer die Sache nicht begreift, hält sich an der Person schadlos." (Musikalische Schriften I-III, Frankfurt am Main 1997, S. 384)

(Dass der letztere Satz nur begrenzte Gültigkeit hat, erweist übrigens Joachims zutreffende Beobachtung:



Und doch fällt man über den "heiligen Ludwig" nicht genauso her wie über den 'elitären' Adorno.


Denn offenbar wiegt der bekannte und belegte Sachverhalt, dass Wittgenstein als Volksschullehrer regelmäßig seine Schüler schlug, für die Einschätzung seiner philosophischen Leistung weniger schwer als das bekannte, bisher aber unbelegte Gerücht, Adorno sei ein dogmatischer linksradikaler Denunziant.)


Über den "meistzitierten Adornosatz" lese ich bei Joachim:


“Nach Auschwitz kann man kein Gedicht mehr schreiben”. Schön gesagt, sogar verständlich – der meistzitierte Adornosatz. Nur eines hat Adorno vergessen. Wenn man diesen Satz wirklich Ernst nimmt, dann kann man auch keine Essays schreiben über die Frage, ob man nach Auschwitz noch Gedichte schreiben kann [...]


Da ich die Erfahrung gemacht habe, dass die meistzitierten Sätze häufig auch die meist missverstandenen sind, habe ich auch dieses Zitat nachzuschlagen versucht und bin - nach einigem Suchen, weil sich bei Joachim keine Quellenangabe findet - im Aufsatz "Kulturkritik und Gesellschaft" fündig geworden. Merkwürdigerweise dreht sich der ganze 1951 geschriebene Text (das Entstehungsdatum ist für die Radikalität mancher Formulierung vielleicht nicht ganz unwichtig) in meiner - zweifellos korrupten - Ausgabe gerade um das Problem, das Adorno laut Joachim "vergessen" hat: nämlich um die Frage, wie und ob nach Auschwitz Kulturkritik möglich sei, ohne in schöngeistiges Gerede umzuschlagen. Das wird auch und gerade in der zugespitzten Formulierung jenes vielzitierten Satzes deutlich, der freilich in meiner seltsamen Ausgabe ein wenig anders lautet und außerdem noch eine Fortsetzung besitzt - ganz abgesehen davon, dass er dort in einem Kontext steht, der ihn besser zu verstehen hilft:

"Noch das äußerste Bewußtsein vom Verhängnis droht in Geschwätz zu entarten. Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben. Der absoluten Verdinglichung, die den Fortschritt des Geistes als eines ihrer Elemente voraussetzt und ihn heute gänzlich aufzusaugen sich anschickt, ist der kritische Geist nicht gewachsen, solange er bei sich bleibt in selbstgenügsamer Kontemplation." [Kulturkritik und Gesellschaft I, Frankfurt am Main 1998, S. 30]

Davon abgesehen findet sich in meiner Ausgabe der "Negativen Dialektik" auch noch eine Relativierung - Adorno, der Dogmatiker, der Apodiktiker, der Stalinist nun auch noch als Revisionist! - jenes "meistzitierten Adornosatzes": "Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht mehr sich schreiben. Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse, ob vollends es dürfe, wer zufällig entrann und rechtens hätte umgebracht werden müssen." [Negative Dialektik, Frankfurt am Main 1997, S. 355]

Ich hoffe nicht, dass Aladdin Hinz, solange er seine Kenntnisse über Adorno aus derartigen, offenbar weitgehend entstellten Textausgaben bezieht, damit rechnen muss, von jedem Kunz des intellektuellen Imponiergehabes bezichtigt zu werden - zumal aus seiner Sicht höchst unselige und für sachliche Diskussionen eher hinderliche Unterscheidungen wie diejenige zwischen "Intellektuellen" und "Hinz und Kunz" nun wirklich nicht auf ihn, sondern vielmehr auf einen (zu Recht) selbstbewußten Kunz zurückgehen, der sich nur merkwürdigerweise bisweilen gerade dann in den Schmollwinkel zurückzieht, wenn man ihn beim Wort nimmt...

Davon abgesehen begrüße ich es sehr, dass die Diskussion sich in den letzten Postings zu versachlichen beginnt. Die Ausführungen Joachims, Martins und des Klassikkonsumenten zu Fragen des Sprachstils, der argumentativen Methodik und zu ihren subjektiven Reaktionen auf die Lektüre der Adorno-Texte kann ich durchaus nachvollziehen. Und nichts wäre erfreulicher, als wenn Martin Adorno wirklich wie Nietzsche läse - eben mit der (bei Adorno wirklich erforderlichen) "notwendigen Distanz", um uns dann bei Gelegenheit von den Früchten seiner Lektüre zu berichten. Ebenso erfreulich wäre es, wenn Joachim uns von seinen offenbar profunden Kenntnissen zum Positivismusstreit und ähnlichem profitieren lassen könnte, oder wenn der Klassikkonsument uns etwas über Adornos Konzept des "konstellativen Denkens" berichtete.

Ich denke, dass man über all dies trefflich, kritisch und produktiv streiten kann - produktiver jedenfalls, als wenn wir Hinze und Kunze es dabei beließen, uns gegenseitig unsere Vorurteile an den Kopf zu werfen.



Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 29. Mrz 2009, 23:26 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#50 erstellt: 29. Mrz 2009, 20:24
Hallo Aladdin,

ich bedaure es, zur Verunsachlichung beigetragen zu haben. Jetzt beim Wiederlesen der Minima Moralia ( bin auf Seite 46) merke ich doch, der Mann hat etwas zu sagen. Wobei ich ihn jetzt beim Wiederlesen erstaunlich konservativ fand. Nur dann vermutlich nicht bei der Musik.

Wobei ich Diskussionen darüber, was Adorno zu diesem oder jenem Komponisten oder Interpreten geschrieben und gesagt hat, die Du hier dankenswerter aufführst und die natürlich für ein Klassikforum besonders interessant sind - wir sind ja kein Philosphieforum - dann doch für mich von eher minderem Interesse halte. Der Vergleich zwischen Nietzsche und Adorno mag dann wieder treffend sein, Nietzsche war ja durchaus dilettierender Hobbykomponist, der Cosima Wagner mal mit dem Geschenk einer eigenen Komposition in Verlegenheit setzte - habe übrigens auf irgendeiner CD Lieder von Friedrich Nietzsche - und wofür er dann auch bekannt ist, sind Werke wie "Der Fall Wagner" und "Nietzsche contra Wagner", in denen er mit Wagner abrechnete. Na ja, irgendwie mag Nietzsche mit solchen Schriften auch mal irgendeinen Punkt getroffen haben, nur an der absoluten Weltgeltung von Wagner änderte dies gar nichts. Ich wäre dann sehr glücklich, wenn Adornos Meinungen zur Musik von ähnlicher Bedeutung wären.

Mir ist jetzt beim Wiederlesen von Minima Moralia aufgefallen, daß mir der Mensch sympathischer ist, als ich dachte. Aber ein gewisses Befremden bleibt doch. Ich finde einfach diese elitäre Haltung Adornos läßt ihn einfache menschliche Tatsachen nicht wahr nehmen. Sicher ist Nietzsche auch elitär, nur was ihn mir dann wieder menschlicher macht, ist diese mit dem Größenwahn und der Selbstverliebtheit kokketierende Haltung, die Übersteigerung darin - und dann anderseits auch wieder - "nur Narr, nur Dichter".

Jedenfalls habe ich - vermutlich im Gegensatz zu Adorno - ein warmes, menschliches Verständnis dafür, daß die traumatisierten Menschen nach dem Weltkrieg einfach auch nur vergessen wollten. Heile Welt war angesagt, man war sehr albern, und sehr sentimental- die 50 er Jahre Filme legen davon ja ein Zeugnis ab. Und ich verstehe dies alles, die größte Menschheitskatastrophe der Welt liegt hinter einem, das ist alles ungeheuer schrecklich, aber eigentlich möchte man doch nur leben. Ist dies nicht verständlich? Und durfte man nach Ausschwitz jede Menge kitschige und alberne Filme drehen, aber kein schönes Gedicht mehr schreiben?

Und Adorno redet halt sehr viel von Verdinglichung von Menschen und menschlichen Beziehungen und vertritt dagegen einen humanistischen Standpunkt - aber mir will es fast so scheinen, als ob Adorno, indem er die Verdinglichung beklagt, selber im Grunde Verdinglichung betreibt, weil er den einfachen Menschen im Grunde gar nicht mehr wahrnimmt. Also ich finde es zum Beispiel saublöd, wenn jemand dem Besitz irgendeiner mobilen Blechkiste einen solchen großen Wert beimißt, aber als ich mal so einen jungen Mann beim Autohändler sah - ich lebte mal in der Nähe eines solchen Autohändlers - und dann diese Sehnsucht in seinen Augen nach so einem tollen Auto, da hat mich das irgendwie total gerührt. Wäre Adorno dazu überhaupt fähig gewesen?

Weiteres über Adorno nach weiterer Lektüre.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 29. Mrz 2009, 21:10 bearbeitet]
Joachim49
Inventar
#51 erstellt: 29. Mrz 2009, 21:44
Hallo Aladdin,
wenn das teils bedenkliche Niveau der Adorno-Beiträge ein Gutes hat, dann gewiss dies, dass Du Dich dann doch hast verführen lassen im Adorno Thread zu posten. Recht hast du auch, gerade wenn man sich über Adorno empört, die Genauigkeit einzuklagen bezüglich der Herkunft der beanstandeten Äusserungen.
Was die Bemerkungen zu Bruno Walter betrifft, muss ich mich, hoffentlich erfolgreich, auf die Suche begeben. (Ich muss sozusagen zur Strafe in den Ferien Adorno lesen).

Was ich zu dem 'Gedichte nach Auschwitz' Komplex gesagt habe, basierte auf dem 'Gerede'derer, die Adorno meist nur vom Hôrensagen kennen. Aber dass es ein inhaltlich entsprechendes Original-Zitat gibt, glaubte ich schon zu wissen (aber war im gegensatz zu Dir zu faul zum Suchen). Nachdem ich das Originalzitat gelesen habe fühle ich mich ehrlich gestanden nicht ganz beschämt. Mein Gedanke war, gut, wenn man nach Auschwitz .... nicht mehr tun darf, warum soll das auch nicht für Kulturkritik Adorno'scher Provenienz gelten? Wenn ich mich blamiert habe, dann dadurch, dass ich Adorno diesen Gedanken nicht selbst zugetraut habe - obwohl er ihn ja im selben Atemzug ausgesprochen hat. Ursprünglich wollte ich etwas dazu sagen, das sogar der Selbstkorrektur Adornos in der Negativen Dialektik recht nahe kommt. Ich möchte es nicht ausführen, da dies ein Thema ist dem ich nicht gewachsen bin.
Zur Frage des Positivismusstreites möchte ich hier zurückhaltend sein, da es ja ein Musikforum ist. Das meiste dazu findet man in einem Buch von H.J. Dahms: Positivismusstreit. Die Auseinandersetzungen der Frankfurter Schule mit dem Positivismus, dem amerikanischen Pragmatismus und dem kritischen Rationalismus (1994)und einem niederländischsprachigen Artikel der 2003 in der Zeitschrift 'Krisis' erschienen ist.

Wittgenstein wäre auch nicht ganz unergiebig, wenn's um Musik und Vorurteile geht. Die durch Wagner'sche Klischees beeinflussten leicht anti-semitischen Urteile in seinen Notizen über Komponisten. Sein nun wirklich konservativer Geschmack, der so gar nicht dazu passen will, dass viele in ihm einen geistigen Wegbereiter avantgardistischer Tendenzen in der Musik seiner Zeit sehen. (Er verlies sogar den Saal wenn der Schleiertanz aus Strauss' Salome gespielt wurde). Wie gerne erwähnt man seine Spende an österreichische Dichter, aber wie gerne vergisst man, dass er einen viel höheren Betrag zur Bewaffnung der österreichischen Armee gestiftet hat). Und was den Lehrer betrifft: er war halt ein sehr aufbrausender, ungeduldiger Mensch. Ein schwieriger Charakter. Noch mehr als die Schläge, die er seinen Schülern verpasste, hat ihn beschäftigt, dass er einmal, als er zur Rede gestellt wurde, dies bestritt. Das hat ihn verfolgt. Er hat später dem Schüler einen ergreifenden Entschuldigungsbrief geschickt, und diese Lüge war oft Thema in den Beichten, die er ablegte (W bat entfernte Bekannte ihnen seine Sünden bekennen zu dürfen. Eine andere Sünde, die er bekannte, war seine Neigung seine (grösstenteils) jüdische Herkunft zu leugnen).
Aber wir schweifen ab.
Mehr als über Adorno zu schimpfen, habe ich schon das Bedürfnis ihn zu verstehen. Aber er macht's uns nicht leicht. (Muss er auch nicht, aber warum so übertreiben?)
Suhrkamp sollte vielleicht den Rat behzerzigen, den Wittgenstein dem Verlag gegeben hat, der den Tractatus auf Englisch publizierte: ein paar Seiten freilassen, auf denen die Leser ihre Flüche und Verwünschungen notieren können.
Danke für deine 'Hart aber Fair' Klarstellungen.
Joachim


[Beitrag von Joachim49 am 29. Mrz 2009, 21:47 bearbeitet]
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