Empfehlenswerte HIP Einspielungen im Bereich Sinfonik

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Martin2
Inventar
#1 erstellt: 06. Okt 2010, 19:35
Ich bin durch meinen neuen AKG Kopfhörer doch sehr auf den HIP Geschmack gekommen. Wobei ich besonders für die Haydnsinfonien mit Brüggen inzwischen eine Vorliebe habe, aber auch beim Barock finde ich das sehr schön.

Also ich bin an HIP interessiert und mir fällt auf, daß ich viele klassische Musik noch nicht HIP besitze, zum Beispiel Beethoven, bei Mozart habe ich nichts wirklich gutes, bei Schubert habe ich den Goodman, der HIP, aber vielleicht doch nicht wirklich gut ist.

Bei den Beethoven Sinfonien hätte ich halt immer die Befürchtung, daß diese mir zu schnell gespielt werden.

Natürlich ist dieses Thema sehr weit gespannt, das gebe ich zu, aber das muß ja nicht schlecht sein.

Also: Was haltet ihr im Bereich HIP für wirklich empfehlenswert? Ich hätte da wohl nur den Brüggen mit Haydn beizusteuern, wo ich wirklich froh bin, mir diese Box damals geholt zu haben.

Mich interessieren im Moment vor allem orchestrale Sachen.

Gruß Martin
Joachim49
Inventar
#2 erstellt: 06. Okt 2010, 23:35
Hallo Martin,
für die Beethovensinfonien würde ich dir durchaus Norrington / London Classical Players empfehlen. Gardiner gibt's jetzt auch günstiger in dieser Deutschen Grammophon Briefmarkenreihe, aber die Aufnahmen kenne ich nicht. (Herreweghe und harnoncourt sind nicht mit Hip-orchestern, aber Hip-beeinflusst. Mozart: sicher nicht (!) die Aufnahmen aus der Mozartedition. Interessant wäre wohl Hogwood /acad. of Ancient Music, ist aber zu teuer. Einzelaufnahmen mit Rene Jacobs und Freiburg sind auch noch full price. Bei Mozart würde ich warten. Brüggen hat auch alle Schubertsymphonien eingespielt. Extrem 'hippistisch' ist van Immerseel in Schubert und Beethoven (hör dir am besten mal die Schnipsel an, um zu beurteilen ob es zu abschreckend ist. Die Balance bei Beethoven ist zum Beispiel sehr Bläserdominant).
Freundliche grüsse
Joachim
Martin2
Inventar
#3 erstellt: 06. Okt 2010, 23:48

Joachim49 schrieb:
Mozart: sicher nicht (!) die Aufnahmen aus der Mozartedition.


Gebe ich Dir recht. Zwar fand ich nicht alles so schlecht; die kleine g moll konnte man hören, aber die 39. Es Dur zum Beispiel fand ich vollkommen enttäuschend.

Gruß Martin
Kaddel64
Hat sich gelöscht
#4 erstellt: 11. Okt 2010, 00:28
Hallo Martin,

seltsam, dass dieser hochinteressante Thread nicht in Fahrt kommt. Dabei bin ich sicher, dass einige Forianer dazu deutlich fachkundigeres beizutragen hätten als ich. Aber ich will es mal versuchen.

Lass uns das Thema eingrenzen auf orchestrale (sinfonische) Musik von Haydn bis etwa Brahms. (Es gibt zwar bereits einige Versuche auch Bruckner (Herreweghe) und Ravel oder Rimskij-Korsakoff und Tschaikowski (Van Immerseel) auf Originalklanginstrumenten einzuspielen, aber bisher nicht mit wirklich durchschlagendem Erkenntnisgewinn.)

Außerdem sollten wir unterscheiden zwischen HIP und der Verwendung von Originalinstrumenten oder deren Kopien - ich nenne sie hier "Originalklanginstrumente". Was beispielsweise Harnoncourt mit dem ECO oder dem CGO macht, ist alles stark HIP-geprägt aber eben mit modernem Instrumentarium, ebenso wie bei Norrington und seinen Stuttgartern. Ich habe Dich so verstanden, dass Du nach Aufnahmen der "strengeren Variante" mit Originalklanginstrumenten suchst, deren besonderen Klang Du auf den hochauflösenden Kopfhörern schätzen gelernt hast.

Die HIP-Welle schwappte in den 80ern ausgehend von Vertretern aus der dort bereits renommierten Alte-Musik-Szene und des Barock zunächst in die Wiener Klassik hinein. Während Harnoncourt sich für Mozart jedoch eines modernen Orchesters bediente und es ziemlich erfolgreich auf HIP-Erkenntnisse trimmte (zügige Tempi, kleine Streicherbesetzung mit schlankem Non-Vibrato-Spiel), erweiterte man in London die bestehenden Barockensembles auf Sinfonieorchestergröße und passte das Instrumentarium an die Epoche an. Hogwood mit Mozart und Norrington mit Beethoven ließen aufhorchen. Ihre Einspielungen wurden bald mit Preisen überhäuft. In jener Zeit habe ich mir ziemlich alles gekauft, was Norrington mit seinen London Classical Players bei EMI herausbrachte. Von dorther bin ich bis heute für ihn eingenommen. Mittlerweile sind alle diese Aufnahmen im Niedrigpreissegment angekommen, sofern noch auf dem Markt.


Es soll von mir keine komplette Auflistung folgen, sondern meine Empfehlung der wirklich herausragenden Aufnahmen, auch unter der nicht explizit genannten Prämisse Niedrigpreis-Segment.

Den sinfonischen Haydn besitzt Du ja bereits als GA. So kannst Du Dir gezielt und preiswert aus Roy Goodmans Ausgabe Einzel-CDs der favorisierten Sinfonien kaufen. Als Box ist sie meines Wissens nie veröffentlicht worden. Ich besitze aus der GA die Doppelfolge mit den Nrn. 82-87 und bin sehr zufrieden damit.

Etwas experimentell ist der Haydn (wie eigentlich alles) bei Immerseel. Die Abschiedssinfonie lässt er sehr eindrucksvoll mit 13 Instrumentalisten spielen. Leider noch Hochpreis, muss aber genannt sein. (BTW: Woher kommt der klangvolle Name seines Orchesters "Anima Eterna"? - Es lässt sich aus der sehr freien Übersetzung des Gründernamens aus dem Lateinischen ableiten: Immer-Seel)

Haydns Londoner Sinfonien habe ich mit Norrington und den LCP (früher auf 3 CDs bei EMI). Ich kenne sie sonst nur mit Dorati und habe bei Norrington nie etwas vermisst. Die Pariser Sinfonien mit Harnoncourts Concentus musicus sind hörenswert aber noch hochpreisig.

Haydns Cellokonzerte gibt es preiswert mit dem fantastischen Christophe Coin und der AAM unter Christopher Hogwood oder vom Anfang der 80er mit dem HIP-Cello-Pionier Anner Bylsma und dem Kanadischen Tafelmusik Orchestra unter Jeanne Lamon.

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Braucht der Mensch sämtliche Mozart-Sinfonien? Ich habe noch nicht alle gehört. Aber falls gewünscht, würde ich zu der durchaus preiswerten Ausgabe von Christopher Hogwood greifen, auch wenn der nochmals reduzierte Preis der mir unbekannten moderneren und vermutlich klanglich saubereren GA Jaap ter Lindens lockt.

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Ansonsten fand ich Gardiners Mozart immer spannend. Er hat die späten Sinfonien eingespielt, sie sind zu einem wirklich niedrigen Preis auf 5 Einzel-CDs erhältlich.

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Umstritten ist Marc Minkowskis Sicht der g-moll- und der Jupitersinfonie. Dramatisch und hoch virtuos, vielleicht nicht immer authentisch (was ist das schon?) - ich mag's hören.

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Zu den Klavierkonzerten teile ich flutedevoix' Auffassung, dass man einerseits bei Hammerklavier immer hineinhören sollte, ob es gefällt, dass man andererseits Immerseel (dirigierend von der Klavierbank aus) aufgrund der gelungenen Balance unbedingt empfehlen kann! Ich habe einzelne Aufnahmen von ihm, die mir deutlich besser gefallen als die schrechliche GA mit Malcolm Bilson und JE Gardiner.

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Bei Mozarts VKs muss ich passen, aber die wunderschönen und hier viel zu selten besprochenen Bläserkonzerte haben es mir angetan:
Das Flötenkonzert und die Flötenfassung des Oboenkonzerts habe in der Originalkompilation mit dem Konzert für Flöte und Harfe: Konrad Hünteler, 18th-CO, Brüggen. Diese Konzerte mit dem farbenreichen und warmen Klang einer originalen Traversflöte zu hören ist ein Ereignis. Da will man nie wieder das kalte und tote Blech eines James Galway hören.
Ton Koopman hat eine Schar führender Instrumentalisten der Szene um sich gesammelt für die Aufnahme der Konzerte für Oboe, Fagott und Flöte & Harfe. Der Klangfarbenvorteil gegenüber modernem Instrumentarium kommt in diesen Bläserkonzerten hervorragend zur Geltung. Die Hornkonzerte schließlich möchte ich in einer virtuosen, amerikanischen Einspielung empfehlen mit Lowell Greer auf dem kernig rollenden Naturhorn und dem Philharmonia Orchestra unter Nicholas McGegan (harmonia mundi USA). Allessamt Spitzenaufnahmen zum günstigen Preis.

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An dieser Stelle schiebe ich (vielleicht nicht ganz poassend) aus der Nische die Aufnahme der acht Sinfonien von Josef Martin Kraus ins Licht, da sie von einem meiner Lieblingsensembles, dem Concerto Köln, so schön eingespielt wurden:

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Zu Beethovens Sinfonien teile ich voll und ganz die Einschätzung und Empfehlung von Joachim: Sowohl Norrington als auch der im Vergleich vielleicht etwas schwungvollere Gardiner sind zu empfehlen. Ich habe dabei auch nichts gegen den optischen Aufmacher der günstigen DG-Briefmarkenserie einzuwenden.
Beim VK solltest Du warten. Aus heutiger Sicht würde ich Mullova/Gardiner eindeutig der PatKop/Herreweghe vorziehen. Beide noch hochpreisig - und sicher Geschmacksache.
Bei den KKs ist wiederum Norrington mit Melvyn Tan offenbar im Niedrigpreissegment zurzeit konkurrenzlos. Sonst warten bis Schoonderwoerds zu Widersprüchen reizende aber nicht uninteressante Aufnahmen billiger werden.

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Wenn das bis hier hilfreich war, will ich gerne bei Gelegenheit fortfahren mit Weber, Schubert, Mendelssohn, Schumann und Brahms. Ergänzungen, Widerspruch und Gegenargumente willkommen.

Gruß, Kaddel


[Beitrag von Kaddel64 am 11. Okt 2010, 00:31 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#5 erstellt: 11. Okt 2010, 01:18
Hallo Kaddel,

vielen Dank für Deine wirklich sehr versierten und ausführlichen Anmerkungen. Vielleicht sollte ich mir die Beethoven Sinfonien mit Gardiner ja mal holen.

Mir fällt eben auch auf, daß ich im Bereich der Barockmusik schon vieles mit Originalinstrumenten habe, wozu zum Beispiel auch die Sony Barockbox beigetragen hat, aber unterbelichtet ist bei mir immer noch die Wiener Klassik, nur daß ich den Brüggen mittlerweile sehr schön finde.

Mit dem historischen Klavier habe ich mich mittlerweile arrangiert. Ich habe mit damals die Kuijkenbox mit den Mozartschen Violinsonaten geholt, die es vorübergehend mal als Schnäppchen gab, außerdem auch die Haydn Klaviersonaten von Brilliant. Von daher habe ich mich an den Originalklang alter Fortepianos schon sehr gewöhnt und finde diese auch ganz schön, wobei ich aber nichtsdestotrotz die moderneren Klaviere immer noch sehr schön finde. Gerade beim Klavier möchte ich mich nicht unbedingt zwischen dem Originalklang alter Klaviere und dem neuerer Klaviere entscheiden müssen und beides hören dürfen.

Wobei ich sagen muß, daß mein Einstieg bei alten Fortepianos eine Schubert CD von Baart van Oort war, der so ein Originalklavier spielte und damals fand ich es einfach nur häßlich. Inzwischen hat sich das geändert, schon durch die Kuijkenbox.

Trotzdem finde ich so ein modernes Klavier einfach ein großartiges Instrument, auf das ich auch bei alter Musik keinesfalls verzichten möchte. Ich mag auch auf den Mozart mit einem neuen Instrumentarium keinesfalls verzichten und höre zum Beispiel die späten Sinfonien mit Szell und Ernest Bour sehr gerne.

Dagegen der Haydn mit Brüggen war wirklich eine Offenbarung. Die Langeweile, die mich bei Haydn immer so leicht befiel, war wie weggeblasen. Allerdings ist Haydn bei mir schon seit einigen Monaten, wenn nicht Jahren ohnehin sehr stark im Kommen; ob ich meine Haydn Begeisterung so weit treiben werde wie Kreisler Jr. weiß ich nicht, aber ich habe sie mittlerweile schon ziemlich weit getrieben.

Haydn gewinnt für mich unheimlich mit alten Instrumenten, aber er steht ja auch innerhalb der klassisch romantischen Tradition auch ziemlich am Anfang, deshalb gewinnt er eben am meisten.

Dagegen bei Barockmusik habe ich mittlerweile schon den Eindruck, daß man dort etwas anderes als Originalinstrumente schon gar nicht mehr bekommt, so was wie die "Brandenburgischen Konzerte mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan" dürfte heute schon gar nicht mehr zu bekommen sein. Barockmusik wird weitestgehend auf Spezialensembles gespielt.

Gruß Martin
Hüb'
Moderator
#6 erstellt: 11. Okt 2010, 08:56
Hallo,

die sehr empfehlenswerten Beethoven-Zyklen von Norrington und Gardiner wurden ja bereits erwähnt. Ich möchte noch zwei Einspielungen mit Musik der Romantik ergänzen, die ebenfalls mit den LCP unter Norrington eingespielt wurden und die den Werken neue, IMHO sehr interessante Aspekte abgewinnen :):

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(das furchtbare Berlioz-Cover bitte ich zu ignorieren... :L)

Auch einige Schubert-Sinfonien liegen vor:

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Hier kenne ich aber nur die "Große C-Dur", die mir ebenfalls sehr gut gefällt (gebraucht sehr günstig).

Eine schöne Box mit HIP(-orientierter) Kammermusik ist nach wie vor diese preiswerte Bylsma-Kassette, die ich schon häufig empfohlen habe:

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Grüße
Frank
Kreisler_jun.
Inventar
#7 erstellt: 11. Okt 2010, 10:13
Brüggen und Immerseel haben Schuberts Sinfonien auch komplett HIP eingespielt. Ich kenne allerdings nur eine einzeln veröffentlichte preiswerte unter Brüggen und dazu 5,6.8.9 mit Weil bei Sony. Ebenso gibt es eine rekonstruierte 8. unter Mackerras. Und natürlich Harnoncourt, allerdings mit modernen Instrumenten. Da mich die frühen Schubert-Sinfonien nicht so wahnsinnig interessieren, habe ich bisher von einer der oben genannten GAs abgesehen.

Haydn-Aufnahmen habe ich vermutlich in entsprechenden threads schon erwähnt. Oben noch nicht angeführt wurden Klavierkonzerte. Hier ist Staiers Aufnahme von 3 der bekannteren bei Harmonia Mundi mit den Freiburgern jedenfalls zu empfehlen.
Kaddel64
Hat sich gelöscht
#8 erstellt: 11. Okt 2010, 10:40
Hallo Martin,
das ist doch der Segen der heutigen Zeit, dass wir nach Belieben zwischen modernen und Originalklang-Instrumenten wählen können. Ich finde den oft aufgerauten und warmen Klang vor allem der Original-Blasinstrumente sehr reizvoll, während ich beim Klavier eher das moderne Instrument bevorzuge.

Zu Norringtons weiteren O-Klang-Einspielungen im Bereich der Romantik komme ich gerne heute Abend noch zurück. Die von Hüb' genannten sind ausnahmslos empfehlenswert. Es gibt aber sowohl zu Schubert wie auch zu Berlioz gute und günstige Alternativen!


Martin2 schrieb:
...Dagegen bei Barockmusik habe ich mittlerweile schon den Eindruck, daß man dort etwas anderes als Originalinstrumente schon gar nicht mehr bekommt, so was wie die "Brandenburgischen Konzerte mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan" dürfte heute schon gar nicht mehr zu bekommen sein. Barockmusik wird weitestgehend auf Spezialensembles gespielt.

Es gibt eine brandaktuelle Einspielung der Brandenburgischen K. mit dem Gewandhausorchester unter Chailly auf modernen Instrumenten. Ich habe sie nicht gehört, aber die Rezensionen deuten darauf hin, dass man nicht nur das Instrumentarium beibehalten hat, sondern auch jegliche HIP-Erkenntnisse der letzten 40 Jahre unberücksichtigt ließ. Offenbar eine in jeder Hinsicht überflüssige Aufnahme.

Gruß, Kaddel


[Beitrag von Kaddel64 am 11. Okt 2010, 10:43 bearbeitet]
Moritz_H.
Stammgast
#9 erstellt: 11. Okt 2010, 11:40

Hüb' schrieb:
die sehr empfehlenswerten Beethoven-Zyklen von Norrington und Gardiner wurden ja bereits erwähnt.

Und der sehr empfehlenswerte Zyklus mit Herreweghe wurde bis jetzt verschwiegen.
Das sei hiermit nachgeholt: Es gibt bis jetzt noch keine GA, sondern nur Einzeleinspielungen: TOP-Aufnahmen!
Wie hat einer geschrieben: »Geht runter wie Öl … «

jpc.de jpc.de jpc.de

Außerdem sei an die Deutsche Kammerphilharmonie mit P. Järvi erinnert.
Kaddel64
Hat sich gelöscht
#10 erstellt: 11. Okt 2010, 13:39
Hallo Moritz,

Moritz_H. schrieb:
Und der sehr empfehlenswerte Zyklus mit Herreweghe wurde bis jetzt verschwiegen.

Verschwiegen trifft es nicht ganz. Er passt unter Budget-Aspekten einfach noch nicht in diesen Thread. (Ich war eingangs um eine möglichst enge Eingrenzung bemüht, da das Thema sonst schnell unübersichtlich wird und ausufert.)
Davon sei die künstlerische Qualität der Einspielung selbstverständlich unberührt.



Moritz_H. schrieb:
Außerdem sei an die Deutsche Kammerphilharmonie mit P. Järvi erinnert.

HIP: sicher.
Originalklanginstrumente: wäre mir neu.
Preis: Noch zu hoch.

Gruß, Kaddel


[Beitrag von Kaddel64 am 11. Okt 2010, 13:41 bearbeitet]
Moritz_H.
Stammgast
#11 erstellt: 11. Okt 2010, 14:54

Kaddel64 schrieb:
Originalklanginstrumente: wäre mir neu.

@Kaddel: Natürlich hast Du Recht!
Es ging mir mehr um »HIP«

Preislich gesehen wird sich sicher noch einiges bewegen; die Sinfonien 4+7 (Talent-Einspielung) fangen ja bereits an …
Thomas133
Hat sich gelöscht
#12 erstellt: 11. Okt 2010, 16:34

Kaddel64 schrieb:

seltsam, dass dieser hochinteressante Thread nicht in Fahrt kommt.


Bis jetzt (knapp nach 16 Uhr) allein für heute 8 Antworten, also das erreicht hier nicht jeder Thread. Hat sich also doch noch sehr gut entwickelt würd ich sagen.

Ich kann hier noch als Ergänzung was Haydn-Sinfonien anbelangt unbedingt Thomas Fey mit den Heidelberger Sinfonikern empfehlen, bislang für mich die überzeugensten Einspielungen.(viel Leidenschaft und Ausdruck in den Akzentuierungen,Phrasierungen, in der Dynamik) Ich empfehle in die schnellen Sätze dieser Hörbeispiele hineinzuhören (Bild anklicken)
jpc.de

Vieles wurde ja schon erwähnt Immerseel und Schoonderwoerd kann ich zB auch nur beipflichten... so gut wie Alles was sie herausgebracht haben.

Dann auch eines meiner Lieblings-HIP-Ensembles Concerto Köln die ich vor allem bei Mendelssohns Streichersinfonien, Rosetti und Vanhal gut finde.
Minkowski mit dieser interessanten Einspielung

jpc.de

Leider schwächeln m.M. nach Beide was ihre Mozart-Einspielungen anbelangt, wobei die Idee eines neuen Ansatzes ja nicht schlecht sein mag (auch um sich von den in diesem Bereich vielzähligen Konkurrenzeinspielungen abzuheben) aber diese leider etwas zu exzessiv, zügellos darüber hinausgeschossen sind wie ich finde.

Wenn man Bach mag sollte man auch mal in die Einspielungen von Café Zimmermann hineinhören - hier lebt die Musik, sehr schön differenziert, geschmackvoll in ihrer Interpretation.

jpc.de

lg
Thomas
Joachim49
Inventar
#13 erstellt: 11. Okt 2010, 23:05
Herreweghe wurde durchaus nicht verschwiegen, er wurde am 6 Oktober mit den Beethovensinfonien erwähnt. Da ich Martin, so wie auch kaddel, so verstanden hatte, dass er 'reine' HIP Aufnahmen sucht und nicht HIP-beinflusste auf modernen Instrumenten, kam die Antwerpener Philharmonie (= Royal Flemish Ph.) nicht in Frage. Die Aufnahmen sind ganz vorzüglich, 1,2,3,5,6,7,9 habe ich im Fernsehen gesehen. Herreweghe verwendet HIP-Blech (ohne Ventile). Inzwischen sind sie alle 9 erschienen, aber 4 & 7 bei einem anderen label (talent; ein regionales belgisches Label.) Hinweisen möchte ich auch auf Herreweghes grossartige Missa Solemnis, die mir der Aufnahme Gardiners deutlich überlegen erscheint.
Joachim
(Herreweghe war viele Jahre Chef der Royal Flemish Philarmonic, wurde vor einigen Jahren durch Jaap van Zweden 'ersetzt' der nächstes Jahr von Edo de Waart abgelöst wird.)
Joachim
Szellfan
Hat sich gelöscht
#14 erstellt: 27. Okt 2010, 11:43
Hallo zusammen,
schade, daß da auch so iel schon wieder vom Markt ist!
Brüggens Mozart zum Beispiel.
Gerade vorhin habe ich mal wieder die "Prager" gehört und jedesmal bin ich wieder froh, daß ich die Aufnahme noch habe.
Bei Brüggen ist das HIP sehr wichtig, er meint selbst, er erreiche mit modernem Instrumentarium nur ca. zwei Drittel dessen, was er mit alten erreichen kann.
Gerade sein Orchester des 18. Jahrhunderts klingt aber auch nirgends dünn oder anämisch, sondern in perfekter Balance Bläser/Streicher und das, so scheint es mir, macht viel aus.
Daher muß ich selbst nicht zwingend historische Instrumente haben bei Haydn, Mozart, Beethoven, aber oft ist es ein Gewinn.
Schon andernorts, ich glaube im "Erioca"- Thraed kam ja kurz so richtig eine Gewissensfrage auf.
Mozart selbst wollte immer das Orchester so groß wie möglich, aber dann eben alles verdoppelt, auch die Bläser- und das heute so ein Manko oft bei großen Sinfonieorchestern, daß da vor allem viele streichen, aber im Verhältnis wenige blasen. Nur immer mehr Leute im Publikum, nämlich Trübsal. Da hat sich wirklich viel verändert in den letzten Jahrzehnten.
Persönlich glaube ich sogar, daß Bach oder Mozart- oder wer auch immer- für ein heutiges Instrument wie z.B. den Flügel schlicht anders komponiert hätten als sie es taten für das Cembalo oder das Fortepiano.
Daneben bin ich überzeugt, daß die Entwicklung der Musik und die Entwicklung des Instrumentariums Hand in Hand betrachtet werden muß. Denn so zweifle ich daran, daß ein Steinway tatsächlich ein Fortschritt darstellt gegenüber einem Steinschen Hammerklavier, es hat einfach andere, aber nicht zwingend bessere Möglichkeiten. Dieser Fortschrittsgedanke ist da wirklich heikel- ist Bruckner gegenüber Beethoven ein Fortschritt? diesen Gedanken übertrage ich gern auch auf das jeweilige Instrumentarium.
Einen Steinway zu spielen verlangt große Kunstfertigkeit. Ein Hammerklavier ebenso. Aber es sind zwei völlig verschiedene Instrumente, darum benötigen beide zwingend eine ganz eigene Technik, sie zu bespielen. Daran, das aber nur nebenbei, mangelt es mir einfach zu häufig bei Hammerklavieraufnahmen.
Aber -endlich- zurück zum Thema.
Haydn mit Brüggen, Martin besitzt die Box und ist zufrieden. Brüggens Mozart erwähnte ich schon, vieles andere auch schon andere hier.
Die Kraus- Sinfonien mit Concerto Köln, danke für die Erwähnung. Kraus ist doch direkter Mozart- Zeitgenosse.
Mendelssohn drei bis fünf gab es mal mit Brüggen, hat mich nicht so ganz überzeugt, dafür umso mehr sein "Sommernachtstraum". Zauberhaft.
Die Weber- Sinfonien mit der Hannover- Band, gekoppelt mit den Werken für Horn. Was Anthony Halstead da abliefert, ist schon wirklich grandios, denn was Weber da verlangt, schon halsbrecherisch. (Ein Ton wird vom Solisten gespielt, gleichzeitig ein zweiter gesungen und als Differenzton daraus hört unser Gehirn dann einen dritten Ton)

Gerade Concerto Köln wagt sich ja auch immer weiter voran in die Musik der Romantik, bin gespannt, was noch kommt, im Radio hörte ich mit ihnen ein Brahms- Requiem und war begeistert.

Gardiners Schumann und, neueren Datums, sein Brahms, wurden ja schon genannt. Beides macht mich nicht recht froh, was mit Sicherheit nicht am Instrumentarium liegt, sondern daran, daß Gardiner eben so gern entschlackt und für meine Ohren dabei "innere Werte" der Musik als Schlacke auffaßt.
Schumann hab ich mit Brüggen live gehört, auch Brahms, das klang sogar, rein äußerlich, sehniger als Gardiner, aber nie kühl. Die Aufnahmen sollen noch erscheinen.

Die Boccherini- Sinfonien mit der AkaMus Berlin habe ich schon angeschnitten im entsprechenden Thread.

Michael Haydn gibt es noch einiges bei Hungaroton mit der Capella Savaria, aber manches dort ist mir zu hudelig, was Intonation angeht und Präzision, wobei die Musik sich durchaus lohnt.

Mit Immerseel werde ich auch nie so richtig warm. Da höre ich, beim frühen Haydn, viel lieber die schon relativ alte Koopman- CD mit Nr.44,45,49. Koopman hat auch einiges an Mozart aufgenommen, Haffner- Serenade, frühe Sinfonien Divertimenti, die ich immer noch sehr gern höre. Brüggen hat gesagt, er selbst müsse frühe Mozart- Sinfonien nicht aufnehmen, das hat Koopman schon so schön getan.

Die späteren mit Koopman, live- Mitschnitte, erschienen mir eher farblos.
Dagegen ist Savalls Mozart- Platte eine der schönsten Mozart- Aufnahmen für mich der letzten Jahre, klanglich rund, doch differenziert dabei und die einzelnen Werke kommen zu ihrem Recht. Mit dabei dieser "Musikalische Spaß", der nun mit den alten Instrumenten teils noch irrwitziger komisch
klingt.

Savall "Eroica" wurde schon erwähnt, für mich beinah so etwas wie ein Zirkelschluß, HIP zu musizieren und doch frei zu sein für Individuelles. Für mich eine der überzeugendsten "Eroica"- Aufnahmen überhaupt.

Und nicht zuletzt Savalls Einspielung(en) der "Sieben letzten Worte" Haydns in der Ochesterfassung. Über ne Stunde Adagi, aber Langeweile bleibt Fremdwort. Für Haydn war dieser Kompositionsauftrag eine Herausforderung, für den Interpreten ist es das und nicht zuletzt für den Zuhörer (schließlich gehören diese drei ja wohl immer zusammen)und mich fesselt hier immer wieder die Spannung, das Beredte und die Vielschichtigkeit von Haydns Musiksprache.

Wiedermal bei Haydn angekommen?
Dabei belasse ich's dann auch.
Herzliche Grüße, Mike
Klassikkonsument
Inventar
#15 erstellt: 28. Okt 2010, 02:50
Hallo Mike,


Daneben bin ich überzeugt, daß die Entwicklung der Musik und die Entwicklung des Instrumentariums Hand in Hand betrachtet werden muß. Denn so zweifle ich daran, daß ein Steinway tatsächlich ein Fortschritt darstellt gegenüber einem Steinschen Hammerklavier, es hat einfach andere, aber nicht zwingend bessere Möglichkeiten. Dieser Fortschrittsgedanke ist da wirklich heikel- ist Bruckner gegenüber Beethoven ein Fortschritt? diesen Gedanken übertrage ich gern auch auf das jeweilige Instrumentarium.


natürlich ist der Steinway ein Höhepunkt in der Entwicklung des Klaviers, also ein Fortschritt. Nicht, dass ich mich da besonders auskennen würde, aber: Hatte mensch im Klavierbau z.B. zur Zeit Beethovens etwa keine Probleme mit der Lautstärke oder Homogenität des Klangs, die dann später auf irgendeine Weise gelöst wurden?
Ich fürchte, von der Originalklang-Bewegung wird leicht der technische Standard einer bestimmten Epoche und der damit verbundene Klang vergöttert, bloß weil er eben so war wie er war. Ich höre Haydn-Sonaten ebenso gern in Aufnahmen mit einem Hammerklavier (Alan Curtis) oder sogar einem Clavichord (Marcia Hadjimarkos). Aber ich denke nicht, dass man da einmalige Klangfarben hat, mit denen allein ich diese Musik nur noch hören könnte.
Der Steinway ist sicherlich auch Ausdruck einer Verarmung des Klavierklangs im Sinne einer international verbreiteten Standardisierung. Aber ich könnte mir vorstellen, dass einem Komponisten etwa aus der klassischen Periode eine gewisse Standardisierung gerade recht war. Das ist doch z.T. auch ein Problem des historischen Ansatzes, dass es den Standard gar nicht gab (z.B. regionale Unterschiede bei der Frequenz des Kammertons).

Und mich nervt halt, wenn etwas abgefeiert wird, bloß, weil es so ist wie es ist. Die Frage ist doch, was man erreichen will. Da werden dann von Schoonderwoerd Beethovens Klavierkonzerte mit einfacher Besetzung gespielt, weil das in der Geschichte halt auch mal vorkam. Ist ja auch interessant mitunter: Die Transparenz gerade in den Streichern mag unübertroffen sein. Z.T. klingt das Klavier aber einfach scheiße und gibt den Part unklarer wieder als ein Steinway (4. Konzert).

Zum Befund, dass etwas früher auf eine bestimmte Weise aufgeführt wurde, sollte noch ein Argument dazu kommen, welchen Vorteil diese Weise der Aufführung hat.
Dass z.B. 1. und 2. Violinen im klassischen Orchester bis ins 20. Jahrhundert rein rechts und links außen platziert waren, stimmt wohl. Aber es bringt eben auch was für die Durchhörbarkeit des Orchesterklangs, wenn diese Praxis wieder eingeführt wird.

In gewisser Weise war Bruckners Musik ganz klar ein Fortschritt gegenüber der Beethovens. Größeres Orchester, mehr Themen in der Exposition eines Sonatensatzes. Auch Beethoven macht ja da weiter, wo Haydn aufgehört hat. Da ist doch ein Fortschritt nicht zu bestreiten.
Allerdings heißt das nicht unbedingt, dass Haydn oder Beethoven damit überholt sind. Ich höre mir ja auch gerne das alte Zeugs an.
Aber heute so komponieren: Nein, danke!

Viele Grüße


[Beitrag von Klassikkonsument am 28. Okt 2010, 02:52 bearbeitet]
Szellfan
Hat sich gelöscht
#16 erstellt: 28. Okt 2010, 05:26
Hallo Klassikkonsument,
nun hab ich wohl den Eindruck erweckt, da ein ganz Verbissener zu sein?
War nicht meine Absicht, denn im Grunde teile ich Deine Meinung vor allem in dem Punkte: kommt darauf an, was man will.
Und daß ein durch Fortschritt erworbener Vorteil auch immer einen Nachteil hat, darüber glaube ich, sollten wir dann mal ins Philosophie- Forum wechseln.

Kommt eben immer darauf an, Vor-und Nachteile gegeneinander abzuwägen im Blick auf das, was man erreichen will.
Und das haben die Komponisten ja auch getan. Berlioz, der unbedingt AUCH ventilloses Blech haben wollte, Brahms, der ganz klar dasselbe den Ventilinstrumenten vorzog (Kennst das doch auch: Ventilhorn war bei ihm die Ventilbratsche).
Oder CPE Bach, nun doch auch Clavierkomponist, der sehr wohl Cembalo und Pianforte gleichermaßen zu schätzen wußte.

Wenn ich darf, ganz kurz noch zu den von Dir erwähnten Aufnahmen, obwohl es hier ja um Orchesterwerke gehen sollte.
Die Hadjimarkos mit den Haydn- Sonaten mag ich auch sehr, eine der besten Clavichord- Platten, die ich kenne.
Mit Schoonderwoerds Beethoven komm' ich gar nicht gut klar. Dabei stört mich nicht die ungewöhnliche Besetzung, die hat ihren Reiz, aber mal wieder das, was ich ja schon bemängelt habe. Er spielt zu hudelig. Seine Phrasierung läßt eindeutig zu wünschen übrig und das ist sehr bedauerlich.

Daß das dann auch anders geht, auch live, hab ich gehört mit Bezuidenhout und Brüggen. Dieser junge Südafrikaner ist wirklich erstaunlich und auch die Balance zwischen Clavier und Orchester, das bei Brüggen ja so klein nun wieder nicht ist, war sehr ausgewogen. Hört man ja auch bei den Chopin- Konzerten mit Brüggen.

Und sonst will ich bestimmt nicht Erbsen zählen. Aber ich finde immer, daß Beethoven nicht da angefangen hat, wo Haydn aufgehört hat. Beethoven hat bei Haydn angefangen auf dessen Stand von ca.1790.
Was aber, bitte so verstehen, für mich kein Qualitätskriterium darstellt.

Letztlich ist mir bewußt, daß man dabei nur allzu oft diskutiert auf der Basis: was wäre, wenn und das ist schlicht müßig. Wir werden's nie erfahren.
Und darüberhinaus ist mir eines das Wichtigste: egal, welches Instrument ein Interpret benutzt, Musik soll er machen, die mich persönlich (und andere) anspricht und kein Museum errichten.
(Manche erwecken ja den Eindruck, genau das tun zu wollen und ich, der ich manchmal etwas boshaft bin, würde solche Herrschaften dann gern dazu überreden, das Elektrisch Licht abzuschaffen, die Dusche und das Auto....um auch wirklich am Abend so spielen zu können wie der Komponist das gewollt hat.)
"Dero unterthänigster Diener", Mike
flutedevoix
Stammgast
#17 erstellt: 30. Okt 2010, 17:52

Persönlich glaube ich sogar, daß Bach oder Mozart- oder wer auch immer- für ein heutiges Instrument wie z.B. den Flügel schlicht anders komponiert hätten als sie es taten für das Cembalo oder das Fortepiano.


Das halte ich für den entscheidenden Punkt! Die hätten sich sicher auch gefreut über die Instrumente, auf denen wir heute spielen. Nur hätten Sie sie eben auch anders eingesetzt. Darauf habe ich mal im HIP-Thread in Bezug auf das 2. Brandenburgische Konzert versucht hinzuweisen.


Ich fürchte, von der Originalklang-Bewegung wird leicht der technische Standard einer bestimmten Epoche und der damit verbundene Klang vergöttert, bloß weil er eben so war wie er war.


Natürlich spreche ich jetzt in erster Linie für mich als Interpret, kann aber doch einige Kollegen wissentlich einschließen:
Es geht nicht um die Vergötterung eines bestimmten technischen Standards einer Epoche. Vielmehr einfach um die Einsicht, daß die Komponisten diese Instrumente zu Verfügung hatten und dafür komponierten. Das "Dafür komponieren" manifestiert sich in vielen Dingen, z.B. in der Tonartenwahl, z.B. in Fragen der Besetzung, etc. Für uns kommt dann einfach eine Interpretation eigentlich nur noch auf diesen Instrumenten mit dem Wissen um die Aufführungspraxis der Zeit in Frage. Das geht soweit, daß ich heute eigentlich keine Mozart-Sinfonie mehr hören mag, die nicht um Spielpraktiken der Zeit weiß (die kann man auch auf modernem Instrumentarium bis zu einem bestimmten Punkt umsetzen).


zum Befund, dass etwas früher auf eine bestimmte Weise aufgeführt wurde, sollte noch ein Argument dazu kommen, welchen Vorteil diese Weise der Aufführung hat.


Ganz genau!


Der Steinway ist sicherlich auch Ausdruck einer Verarmung des Klavierklangs im Sinne einer international verbreiteten Standardisierung. Aber ich könnte mir vorstellen, dass einem Komponisten etwa aus der klassischen Periode eine gewisse Standardisierung gerade recht war.


Genau, der Steinway ist eine gewisse Verarmung im Klang (Klangfarben) auf Kosten eines Mehrs (Homogenität). Deswegen macht es keinen Sinn, Klavierliteratur auf einem Steinway zu spielen, die mit den Klangfarben eines Hammerklavieres oder Cembalos rechnet.
Und aus welchen Gründen glaubst Du, die Komponisten haben nichts anderes als einen gemeinsamen Standard gewünscht. Bis Beethoven zumindest schrieb fast ausschließlich man Auftragsarbeiten: Für den Arbeitgeber, für Menschen, die ein WErk bestellt haben. Diesen Möglichkeiten wurde die Werke angepaßt (z.B. die Klarinettenfrage bei Mozart) und damit war es gut. Das Problem eines Standards stellte sich doch erst als global agiert wurde. Man hatte dann schlicht und ergreifend keine Zeit mehr, die Werke entsprechend anzupassen.


In gewisser Weise war Bruckners Musik ganz klar ein Fortschritt gegenüber der Beethovens. Größeres Orchester, mehr Themen in der Exposition eines Sonatensatzes. Auch Beethoven macht ja da weiter, wo Haydn aufgehört hat. Da ist doch ein Fortschritt nicht zu bestreiten.


Oh doch, das möchte ich bestreiten. Das hört sich doch alles sehr nach schneller, weiter besser an. Für mich ist das einfach nur ein anderer Weg zum Ziel der Komponisten dieser Zeit: Den Willen, Gefühlen Ausdruck zu geben. Natürlich findet dafür jede Zeit neue, andere Mittel und ganz natürlich baut sie dazu auf den vorhandenen Mitteln auf. Eine Fortschritt ist dies aber in meinen Augen nicht. Er führt ja das bisherige nicht ad absurdum. Es gelingt ja nicht, mit den neuen Mitteln Emotionen besser oder intensiver darzustellen sondern nur anders, besser verständlich für die Menschen der Zeit.
flutedevoix
Stammgast
#18 erstellt: 30. Okt 2010, 19:32
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Klassikkonsument
Inventar
#19 erstellt: 09. Nov 2010, 00:46
Hallo Mike,


Szellfan schrieb:
nun hab ich wohl den Eindruck erweckt, da ein ganz Verbissener zu sein?
War nicht meine Absicht, denn im Grunde teile ich Deine Meinung vor allem in dem Punkte: kommt darauf an, was man will.
Und daß ein durch Fortschritt erworbener Vorteil auch immer einen Nachteil hat, darüber glaube ich, sollten wir dann mal ins Philosophie- Forum wechseln.


nein, so verbissen hast Du auf mich jetzt nicht gewirkt. Vielleicht bin ich ein wenig verbissen, wenn mir ein gewisser historischer Relativismus zu einseitig vorkommt.


Kommt eben immer darauf an, Vor-und Nachteile gegeneinander abzuwägen im Blick auf das, was man erreichen will.
Und das haben die Komponisten ja auch getan. Berlioz, der unbedingt AUCH ventilloses Blech haben wollte, Brahms, der ganz klar dasselbe den Ventilinstrumenten vorzog (Kennst das doch auch: Ventilhorn war bei ihm die Ventilbratsche).
Oder CPE Bach, nun doch auch Clavierkomponist, der sehr wohl Cembalo und Pianforte gleichermaßen zu schätzen wußte.


Noch ein schönes Beispiel ist Wagners Fliegender Holländer, für den er eigentlich auch Ventil- wie Naturblechbläser vorsah. Aber mit diesen Beispielen wird deutlich in welchem weiteren Sinn die neueren Instrumente ein Fortschritt waren, nämlich als Erweiterung der Klangmöglichkeiten. Damit ist ein Verlust erstmal gar nicht abzusehen.


Daß das dann auch anders geht, auch live, hab ich gehört mit Bezuidenhout und Brüggen. Dieser junge Südafrikaner ist wirklich erstaunlich und auch die Balance zwischen Clavier und Orchester, das bei Brüggen ja so klein nun wieder nicht ist, war sehr ausgewogen. Hört man ja auch bei den Chopin- Konzerten mit Brüggen.


Interessant, für bessere Balancen (z.B. zugunsten der Holzbläser) bin ich immer zu haben.


Und sonst will ich bestimmt nicht Erbsen zählen. Aber ich finde immer, daß Beethoven nicht da angefangen hat, wo Haydn aufgehört hat. Beethoven hat bei Haydn angefangen auf dessen Stand von ca.1790.
Was aber, bitte so verstehen, für mich kein Qualitätskriterium darstellt.


Ok, aber jedenfalls zählt Beethoven doch wohl schon zu den Künstlern, bei denen man ein Interesse am Fortschritt erkennen kann. Und selbst wenn jemand etwas anscheinend halt ganz anders macht: Solange da eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und den Kollegen da ist, ist ein Kunstwerk immer auch Kritik der anderen.


Und darüberhinaus ist mir eines das Wichtigste: egal, welches Instrument ein Interpret benutzt, Musik soll er machen, die mich persönlich (und andere) anspricht und kein Museum errichten.
(Manche erwecken ja den Eindruck, genau das tun zu wollen und ich, der ich manchmal etwas boshaft bin, würde solche Herrschaften dann gern dazu überreden, das Elektrisch Licht abzuschaffen, die Dusche und das Auto....um auch wirklich am Abend so spielen zu können wie der Komponist das gewollt hat.)


Ja, so seh' ich das auch.



Viele Grüße
Szellfan
Hat sich gelöscht
#20 erstellt: 09. Nov 2010, 09:48
Hallo Klassikkonsument,
naja, so richtig vom Fortschritt kannst Du mich dann doch nicht überzeugen.
Da auch Wagner im "Holländer" altes und neues Blech vorsieht, zeigt mir, Frage der Lesart, daß das alte eben doch auch etwas konnte, was das neue eben nicht konnte. Sonst hätte Wagner ausschlißlich Ventilinstrumente benutzen können, wenn das eben "besser" ist als die Naturinstrumente.
Gestern bei CPE dachte ich schon wieder daran. Der schreibt in manchen seier Fantasien für Clavier ein Vibrato vor. Auf welchem Steinway geht das? Da denkt CPE unbedingt ans Clavichord, obwohl er ja doch schon Hammerflügel besaß.
Kommt eben darauf an, was man will.
Ansonsten sind wir uns wohl einig.
Herzliche Grüße, Mike
Klassikkonsument
Inventar
#21 erstellt: 09. Nov 2010, 16:28
Hallo Mike,


Szellfan schrieb:
Hallo Klassikkonsument,
naja, so richtig vom Fortschritt kannst Du mich dann doch nicht überzeugen.
Da auch Wagner im "Holländer" altes und neues Blech vorsieht, zeigt mir, Frage der Lesart, daß das alte eben doch auch etwas konnte, was das neue eben nicht konnte. Sonst hätte Wagner ausschlißlich Ventilinstrumente benutzen können, wenn das eben "besser" ist als die Naturinstrumente.


das verstehe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Eine Erweiterung der Klangmöglichkeiten bedeutet per se keinen Verlust, sondern einen Hinzugewinn. Ohne jetzt voll ins Philosophische abgleiten zu wollen, muss man feststellen, dass eine parallele Benutzung alter und neuer Instrumente eine nochmal gesonderte Bereicherung darstellt. Wenn man einen signifikanten Kontrast im Klang hat, so ist der ein weiteres ästhetisches Mittel.
Und zwar gleichgültig, ob dieser Kontrast von den Musikern unstrittig als einfache Verbesserung in Richtung eines Klangideals (des Cembalos, Clavichords, Hammerklaviers etc.) betrachtet wird oder eine neue Technik einen anderen Klang bringt, aber manche Möglichkeiten eben nicht bietet (z.B. Cembalo vs. Hammerklavier).

Auf der rein technischen Ebene tritt also ein Verlust nur auf, wenn außermusikalische Kriterien ein Entweder-Oder erzwingen: z.B. der Unterhalt einer immer größeren Zahl von Instrumenten und der Leute, die sie spielen, ist zu teuer.

Dann gibt es noch eine Veränderung der Ausdrucksmöglichkeiten, die den Geschmack und historisch zufällige Assoziationen betrifft. Das bloße Vorhandensein der neuen Instrumente verwandelt die alten. Wenn Brahms das Naturhorn dem Ventilpendant vorzieht, ist das ja ein Statement gegen dieses. Und wenn aus einer neuen Komposition für das alte Instrument dessen Vorteile gegenüber dem neuen hervorgehen, ist dies zweifellos ebenso ein Fortschritt.
Und der Posthorn-Part im 3. Satz von Mahlers 3. Sinfonie, der möglichst mit einem Naturinstrument und nicht mit einem Ventil-Flügelhorn bestritten werden sollte, wäre ohne die Erfindung der Ventiltechnik niemals möglich gewesen.

Allerdings gilt hier wie überhaupt in der neueren klassischen Musik, dass man eben nicht einfach so komponieren kann wie Annodunnemals. Das kann man als Verlust beklagen, ist aber der Lauf der Geschichte.


Gestern bei CPE dachte ich schon wieder daran. Der schreibt in manchen seier Fantasien für Clavier ein Vibrato vor. Auf welchem Steinway geht das? Da denkt CPE unbedingt ans Clavichord, obwohl er ja doch schon Hammerflügel besaß.
Kommt eben darauf an, was man will.


Na ja, dieses Entweder-Oder muss man ja nicht aufmachen. Andererseits kann so etwas für eine Interpretation auf dem Steinway auch Anreiz sein, mit den besonderen Möglichkeiten des Anschlags, der Präparierung des Instruments oder meinetwegen sogar der Aufnahmetechnik eine Lösung zu suchen.

Und ich bin ja im Allgemeinen der HIP für die gesteigerte Transparenz des Orchesterklanges dankbar - z.B. durch die rechts und links verteilten Violinen. Andererseits kriegt ein sorgfältig arbeitender Dirigent wie Boulez auch mit einem konventionellen Orchester eine außerordentliche Transparenz bzw. Balance hin.



Viele Grüße
Szellfan
Hat sich gelöscht
#22 erstellt: 09. Nov 2010, 20:33
Hallo Klssikkonsument,
Du wirst mich nicht überzeugen können.
Es geht mir schließlich nicht um das Entweder- Oder, sondern, heute, um das Sowohl- Als auch.
Man kann die alten wie die neuen Instrumente gebrauchen, ohne Frage dabei zu überzeugenden Ergebnissen kommen.
Das, was Du schreibst, überzeugt mich eher davon, CPE statt auf dem Clavichord auf dem Steinway zu spielen, diesen meinetwegen zu präparieren, meinetwegen auch noch aufnahmetechnisch zu manipulieren- aber dann hätte CPE anders komponiert, wenn er solche "Effekte" hätte haben wollen.
Natürlich "geht" CPE auch auf dem Steinway, Malcolm Frager hat das ja so wunderbar vorgemacht.
Nur geht es da eben anders als auf dem Clavichord, aber nicht "besser" oder "schlechter". Anders. Sowohl als auch.
Kommt darauf an, was man will.
Kommt vor allem darauf an, was der Komponist wollte, egal ob Wagner oder CPE. Und dem mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst gerecht zu werden, darum geht es. Und das ist beinah unabhängig vom Instrumentarium, denn das ist eines von mehreren Mitteln.
Wie gesagt, kein Museum bitte.
Herzliche Grüße, Mike
Klassikkonsument
Inventar
#23 erstellt: 11. Nov 2010, 18:59
Hallo Mike,


Szellfan schrieb:
Du wirst mich nicht überzeugen können.


Meinetwegen. Wenn das für Dich von vornherein feststeht, wird es wohl so bleiben.
Aber überzeugen wovon eigentlich, wenn für uns beide das überzeugende Resultat an vorderster Stelle steht? Dass es Fortschritt auch in der Musik gibt? Das ist doch eigentlich unstrittig.

Viele Grüße
Szellfan
Hat sich gelöscht
#24 erstellt: 12. Nov 2010, 09:12
Hallo Klassikkonsument,
ich habe ja nicht aufgehört zu denken!
Womöglich aber verstehe ich Deine Begriffsfindung von Fortschritt falsch, vielleicht bin ich auch nur Erbsenzähler.

Fortschritt bedeutet, so wie Du den Begriff verwendest, daß alles Neue automatisch besser sein müsse als das Alte. Also alle Vorteile des Alten gehen im Neuen auf, aber die Nachteile des Alten werden logischerweise eliminiert.
So verstehe ich Dich und da liegt vielleicht mein Fehler. Daß es eine Entwicklung gibt, bestreite ich keineswegs, aber das beeinhaltet für mich mehr als diese Geradlinigkeit, die Du mir zu vermitteln scheinst.
So wie ich Dich verstehe, ist also Thielemanns Beethoven logischerweise besser als der eines Leibowitz, weil ja neuer, Thielemann Leibowitz kennt, mehr weiß, also besser sein muß.

Da muß dann mein Irrtum liegen

Herzliche Grüße, Mike
Martin2
Inventar
#25 erstellt: 12. Nov 2010, 14:35
Ich habe das Gefühl, daß dieser Thread zu einer ermüdenden Grundsatzdiskussion geworden ist, wo ich kaum noch erkennen kann, worüber eigentlich gestritten wird.

Erlaubt ist sowieso, was gefällt, egal, ob man sich Bachs Wohltemperiertes Klavier auf einem Klavichord, von einem Mandolinenorchester oder auf der Elektrogitarre anhört.

Fortschritt in der Musik mag es geben, aber mit jedem Fortschritt geht für mein Gefühl auch immer etwas verloren. Das ist bei ästhetischen Dingen so.

Ästhetik ist immer eine Frage der Bewertung. Sage ich etwa: Der musikalische Gehalt des WTK kommt auf einem Cembalo besser raus, dann habe ich Dinge bewertet. Überall bei der Ästhetik sind wir bei Dingen der Bewertung, beim technischen Fortschritt dagegen ist es meistens vollkommen unstrittig, daß zum Beispiel ein Computer des Jahres 2010 besser ist als einer von 1995. Das sind doch eigentlich nun wirklich die größten Banalitäten - also verstehe ich nicht, worüber eigentlich gestritten wird.

Und ich höre mir Bachs WTK nun mal gerne auf einem modernen Klavier an, auch wenn ich weiß, daß es fürs Cembalo entworfen wurde. Und ich habe das WTK auf dem Cembalo gehört, mir gefällt es aber auf dem Klavier besser. Das ist eine Bewertung und Bewertungen sind bei ästhetischen Werturteilen legitim. Durchaus aber auch mal möglich, daß ich das WTK mal wieder auf dem Cembalo höre. Komischerweise mag ich die Cembalokonzerte aber irgendwie viel lieber auf dem Cembalo mit Leonhardt als auf dem Klavier mit Schiff.

HIP ist nur wichtig, um Hörern auch die Möglichkeit zu geben, Dinge auch im zumindestens angestrebten Originalklang zu hören. Das kann dann erhellend sein und so ist es mit mit dem Haydn mit Brüggen. Deshalb muß man noch lange keine Religion daraus machen, alles unbedingt mit einem originalen Ensemble zu hören. Das Originale ist allerdings immer auch ein gewisser Referenzpunkt und um diesen Referenzpunkt sollte man sich auch bemühen. Nur hört man Musik grundsätzlich, weil es einem Freude macht, sich etwas anzuhören, was einem nicht gefällt, nur weil es "richtig" ist und sich das, was einem gefällt, nicht anzuhören, weil es falsch ist, wäre für mich nur Bildungssnobismus, aber kein wirklicher Enthusiamus für die Sache.

Mir hat aber der Haydn mit Brüggen auf Originalinstrumenten wirklich gefallen, nur deshalb habe ich diesen Thread angeregt, aber ich werde mir eine Interpretation mit modernem Instrumentarium trotzdem mal wieder anhören. Ähnlich sieht es mit Haydns Klaviersonaten aus, die ich mir auch mal gerne auf Originalinstrumenten anhöre, dann aber auch gerne mal auf einem modernen Klavier. Diese Freude an der Musik steht für mich vollkommen im Vordergrund, während mich dieser Streit um HIP oder Nicht HIP vollkommen kalt läßt.

Gruß Martin
Klassikkonsument
Inventar
#26 erstellt: 12. Nov 2010, 19:39
Hallo Mike,


Szellfan schrieb:
Womöglich aber verstehe ich Deine Begriffsfindung von Fortschritt falsch, vielleicht bin ich auch nur Erbsenzähler.

Fortschritt bedeutet, so wie Du den Begriff verwendest, daß alles Neue automatisch besser sein müsse als das Alte. Also alle Vorteile des Alten gehen im Neuen auf, aber die Nachteile des Alten werden logischerweise eliminiert.
So verstehe ich Dich und da liegt vielleicht mein Fehler.


Eigentlich habe ich mir doch einige Mühe gegeben, um zu zeigen, dass es mir nicht um ein triviales "neuer = besser" geht (Wer vertritt das überhaupt?).
Ein wichtiger Punkt bei HIP ist ja die Wahl der Instrumente. Und da meinte ich, dass neue Instrumente für sich genommen kaum einen Nachteil einschließen. Die Möglichkeiten für Komponist_innen und Interpret_innen da auszuwählen werden schlicht erweitert.
Bliebe nur die Frage, warum es in der Geschichte der Klangmöglichkeiten immer auch Verluste gibt, also Instrumente in Vergessenheit geraten. Das sind ja nicht immer nur ältere, sondern womöglich wunderbare Erfindungen, für die sich aber keine Verwendung gefunden hat.
Auch diese Frage ist wohl noch zu grundsätzlich. Aber bei HIP kommt es mir manchmal so vor, dass es da ein zu unkritisches "älter = besser" gibt, hinter dem der Nutzen für die Musik zurücktritt.


Das, was Du schreibst, überzeugt mich eher davon, CPE statt auf dem Clavichord auf dem Steinway zu spielen, diesen meinetwegen zu präparieren, meinetwegen auch noch aufnahmetechnisch zu manipulieren- aber dann hätte CPE anders komponiert, wenn er solche "Effekte" hätte haben wollen.


Interessanterweise werden ja mitunter HIP-Orchester mit moderner Technik manipuliert, nämlich verstärkt, um auch in größeren Räumen als denen, für die damals komponiert wurde, gut gehört zu werden.


Daß es eine Entwicklung gibt, bestreite ich keineswegs, aber das beeinhaltet für mich mehr als diese Geradlinigkeit, die Du mir zu vermitteln scheinst.
So wie ich Dich verstehe, ist also Thielemanns Beethoven logischerweise besser als der eines Leibowitz, weil ja neuer, Thielemann Leibowitz kennt, mehr weiß, also besser sein muß.


Interpretationsstile sind wieder ein anderes Feld. Und glücklicherweise hat man dank der Tonträger noch mehr Auswahlmöglichkeiten als das aktuelle Konzertleben bietet. Aber wenn Schiff oder Järvi Beethoven mit einem verkleinerten, aber nicht konsequent historisch informiert ausgestatteten Orchester spielen, halte ich das nicht nur für eine Entwicklung, sondern auch für eine Weiterentwicklung.



Viele Grüße
Szellfan
Hat sich gelöscht
#27 erstellt: 12. Nov 2010, 19:52
Hallo Klassikkonsument,
nachdem Martin schon interveniert hat, aber ich darauf eigentlich auch nicht eingehen wollte, weil ich nur bedingt seiner Meinung bin, daß erlaubt sei was gefällt- sofern er das auch weitschweifiger meint als innerhalb des Musikalischen- sagst Du hier den entscheidenden Satz.
Mit diesem "älter = besser" habe ich ja ebenso meine Probleme.
Ich "fürchte! . wir haben uns hier also doch noch getropffen im Verständnis und können mal weiterüberlegen, was es denn noch für gute CDs gibt in diesem Bereich.
Zur Zeit höre ich überwiegend Kammermusik, war nur mal'n Szell mit Beethoven dazwischen, so daß ich da gerade keinen Draht habe.
Demnächst sicher mehr.
Dann stopf ich mal mein Ventilhorn...äh, ne Zigarette, bis später, Mike
Klassikkonsument
Inventar
#28 erstellt: 12. Nov 2010, 20:26
Hallo Mike,


Szellfan schrieb:
Ich "fürchte! . wir haben uns hier also doch noch getropffen im Verständnis und können mal weiterüberlegen, was es denn noch für gute CDs gibt in diesem Bereich.




(Einen Rauch-Smiley gibt's hier ja leider nicht.)

Viele Grüße
Szellfan
Hat sich gelöscht
#29 erstellt: 12. Nov 2010, 21:24
..dabei wäre es doch durchaus mal fortschrittlich, bei all dem Rauchverbot, einen Rauchsmiley zu basteln...

Immerhin war schon Voltaire Kettenraucher, Philosophie hin oder her.
Herzliche Grüße, Mike
flutedevoix
Stammgast
#30 erstellt: 16. Nov 2010, 03:21
Ohne die Rundsatzdiskussion neu anheizen zu wollen. Moderne Instrumente haben schon Nachteile gegenüber Instrumenten der Barockzeit, wenn es z. B. Um Barockmusik geht. Extreme Besetzungen wie z. B. Das zweite Brandenburgische Konzert gehen mit modernem Instrumentarium in der vorgeschriebenen Besetzung nur Sinn entstellend.

Zwangsläufig mutiert dieses Konzert da zu einem Trompetenkonzert mit beschaulichem Mitwirken der anderen Solisten als zweites, etwas kleineres Begleitorchester. Genau dies ist aber nich intendiert, wenn man sich die motivisch-thematische Kompositinsweise Bachs in diesem Konzert anschaut. Unter diesem Aspekt sind alle Solisten gleichberechtigt. Und tatsächlich ist diese Klangberechtigung auch bei Verwendung einer Naturtrompete herstellbar, nicht jedoch mit einer hoch-B-Trompete. Verwendet man also modernes Instrumentarium in diesem Konzert, kann man kaum von einem Fortschritt sprechen. Denn wenn die Intentionen des Komponisten ad absurdum geführt werden, ist für mich kein Fortschritt mehr zu erkennen, genauso übrigens bei Verwendung barocker Blasinstrumente in einr Brucknersinfonie. Sicher einextremes Beispiel, aber ein Beispiel das eben sehr sprechend ist.
Szellfan
Hat sich gelöscht
#31 erstellt: 16. Nov 2010, 04:51
Hallo Johannes,
da Du die Trompete erwähnst. So manchmal hab ich mich gefragt, warum Bach in einer jammervollen Arie eine Trompete besetzt, das schien mir nie passend mit dem modernen Instrument. Erst mit der Naturtrompete wird das klar.
Denn da singt der Sänger (hoffentlich) sauber und die Trompete hat gerade dann auf dem "leidvollen" Wort einen "unsauberen" Naturton. Diese Dissonanz benutzt ja Bach zur Textausdeutung und das geht mit modernem Instrumentarium völlig verloren. Da wird der Vorteil des Ventilinstruments, nämlich das es nicht nur laut ist, sondern man endlich alle Töne sauber spielen kann, eindeutig zum Nachteil.

Ebenso, nur nochmal zur Erklärung und nicht zur Verklärung: der Umkehrschluß bei Bruckner ist ebenso einleuchtend.
Es ist eben doch schwierig, die entsprechende Musik vom entsprechenden Instrumentarium losgelöst betrachten zu wollen.

Als Brüggen noch bei Philips war, wollte er immer wahnsinnig gern Platten machen mit Brendel. Aber Brendel kam mit dem Hammerklavier nicht klar und Brüggen nicht mit dem Steinway im Zusammenspiel mit seinem Orchester und so blieb es bei der Freundschaft ohne gemeinsames Musizieren.

Geht doch.
Heute abend übrigens macht Brüggen in Amsterdam das Beethovensche Tripelkonzert mit Isabelle Faust, Coin und Bezuidenhout. Mal sehen, ob ichs im Internet wenigstens hören kann, bin sehr gespannt, gerade dieses seltsame Konzert mal mit vernünftigen Tempi zu hören. Von allem anderen, was ich an Brüggen so schätze, ganz abgesehen.
Herzliche Grüße, Mike
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