Georg Friedrich Händel - Orgelkonzerte

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arnaoutchot
Moderator
#1 erstellt: 09. Nov 2022, 18:12
Es gibt - wenn ich nichts übersehen habe - keinen Thread zu den Orgelkonzerten von Händel. Mir gefallen diese Konzerte schon immer und ich habe mich in den letzten Tagen mit den mir vorliegenden Aufnahmen beschäftigt. Das sind schon wieder deutlich mehr als ich aus dem Kopf heraus zugegeben hätte.

Nur kurz zum Hintergrund, bei vertieften Interesse hilft Wiki o.ä. weiter Die italienischen Opern Händels verloren in den 1730er Jahren an Popularität, dagegen wurden Oratorien in englischer Sprache sehr beliebt. Händel schloss sich dem Trend an und komponierte zur Auflockerung Orgelkonzerte als Zwischenspiele. Diese zeichnen sich durch einen hohen Grad von ad lib Stellen aus, bei denen der Interpret (anfangs Händel selbst) frei improvisiert. Durch die Aufführungen meist ausserhalb von Kirchen auf teilweise kleinen Bühnen sind die Konzerte für eine kleine Orgel bzw. nur ein Orgelpositiv vorgesehen, wer hier Toccata & Fuge-Tastendonner erwartet ist falsch. Das macht ihren hohen Grad an Musikalität und Schönheit aus.

Es gibt offiziell 16 Orgelkonzerte, und zwar sechs Konzerte op. 4, sechs Konzerte op. 7 und vier weitere, darunter das bekannte mit Beinamen Der Kuckuck und die Nachtigall (HWV 295). Für den Vergleich habe ich das Konzert op. 4 No. 4 ausgewählt, das mit der recht bekannten markanten Eröffnung losgeht.

Mir liegen die folgenden Aufnahmen vor:

1. Marie Claire Alain, Orchestre de Chambre Jean-Francois Paillard, Erato 1961
2. Marie Claire Alain, Orchestre de Chambre Jean-Francois Paillard, Erato 1976
3. Ivan Sokol, Bohdan Warchal, Slovak Chamber Orchestra Kosice, Brilliant 1978 & 1982 (?)
4. Simon Preston, Trevor Pinnock, English Chamber Orchestra, DGG Archiv 1982
5. Daniel Chorzempa, Jaap Schröder, Concerto Amsterdam, PentaTone RQR SACD Quadro 1975
6. Richard Egarr, Academy of Ancient Music, Harmonia Mundi SACD Mehrkanal 2006
Die im Hintergrund liegende LP-Box von Lionel Rogg (EMI 1976, übrigens auch eine Quadro-Aufnahme) habe ich aussen vor gelassen.

Die beiden Zyklen von Marie-Claire Alain sind Bestandteil der grossen Paillard-Box. Die 1961er Aufnahme (1) aus der Eglise Notre-Dame-du-Liban in Paris hat einen trotz ihres Alters frischen Klang mit einer kleinen Orgel und einem kleinen Orchester. Sie wirkt intimer und verspielter als die Aufnahme 15 Jahre später an der Schwenkedel-Orgel in St. Donat in Drôme (2). Diese hat einen deutlich mächtigeren Ton, was aber auch bei den nachfolgenden anderen oben genannten Aufnahmen stets dazu führt, dass die kleinen Orchester von der Orgel erdrückt werden.

Positiv überrascht war ich von den Aufnahmen (genaue Details und Aufnahmeort konnte ich nicht ergründen) von Ivan Sokol aus einer Brillant-Händel-Box (3). Sie sind erstaunlich klangschön und klanglich ordentlich. Wem diese Aufnahmen über den Weg laufen, kann sich für wenig Geld einen guten Überblick verschaffen. Auch Simon Preston bietet eine vollgriffige Orgel mit kundiger Begleitung, die frühe Digitalaufnahme aus dem Finchcocks Museum of Music in Kent (4) klingt sehr gut und natürlich.

Die von PentaTone aufgearbeiteten Philips-Quadro-Aufnahmen aus 1975 mit Daniel Chorzempa (5) sind in ihrer Klarheit, Transparenz und Räumlichkeit superb, mir persönlich sind sie aber fast schon zu klinisch rein. Orgel und Orchester stehen stark nebeneinander, es sind Orgelsoli mit Einwürfen des Orchesters. Sie ist in der Oud Katholieke Kerk in Haarlem aufgenommen, es gibt keinen Hinweis, dass Orgel und Orchester nicht gleichzeitig aufgenommen wurden, aber manchmal klingt es etwas separiert. Das schafft Richard Egarr (6) besser, seine Orgel ist klein und wesentlich stärker ins Orchester eingebettet. Natürlich hat er die Gnade der besten Aufnahme, es ist interessant zu hören, wie sich auch die Mehrkanaltechnik von Mitte der 1970er im Vergleich zu Mitte der 2000er verbessert hat.

Es ist sehr schwer, hier einen Sieger zu bestimmen. Alle sind gut. Nicht nur klanglich, sondern auch wegen dem einfühlsamen Spiel, hat Egarr bei mir die Nase vorn, dicht gefolgt von Preston und der ersten Alain-Aufnahme. Vielleicht wird ja jemand angeregt, mal reinzuhören.


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WolfgangZ
Inventar
#2 erstellt: 09. Nov 2022, 19:09

Nicht nur klanglich, sondern auch wegen dem einfühlsamen Spiel, hat Egarr bei mir die Nase vorn, dicht gefolgt von Preston und der ersten Alain-Aufnahme. Vielleicht wird ja jemand angeregt, mal reinzuhören.


Das ist auch meine Lieblingsgesamtaufnahme - von freilich nur höchstens vier an der Zahl, eher drei und darunter auch eine etwas ältere LP-Box (mit Edward Power-Biggs). Der kräftige prähistorische [ ] Sound tut den Aufnahmen nicht weh, aber die historisch informierte Schule erst recht nicht ...

Mein Kernrepertoire ist es nicht, aber gerne gehört habe ich die Orgelkonzerte des zweiten Barocktitanen bislang allenthalben.

Wolfgang
Hörstoff
Inventar
#3 erstellt: 09. Nov 2022, 21:18

arnaoutchot (Beitrag #1) schrieb:
Es ist sehr schwer, hier einen Sieger zu bestimmen. Alle sind gut. Nicht nur klanglich, sondern auch wegen dem einfühlsamen Spiel, hat Egarr bei mir die Nase vorn, dicht gefolgt von Preston und der ersten Alain-Aufnahme. Vielleicht wird ja jemand angeregt, mal reinzuhören.

Danke für diesen Vergleich. Die Orgelkonzerte von Händel haben sicherlich den Vorteil, dass es echte Konzerte mit Orchester sind. Gerade höre ich die Version von Daniel Chorzempa, was als Einstimmung schon recht gelungen ist. Vor allem aber hat die Egarreinspielung nach euren Einschätzungen nun mein Interesse geweckt. Die habe ich noch nicht in meiner Sammlung stehen.
arnaoutchot
Moderator
#4 erstellt: 09. Nov 2022, 21:26
Doch, für einen Mehrkanalhörer sollte Egarr einen Vorteil bieten. Chorzempa ist gut, aber wie ich schon schrieb, steht hier die Orgel dem Orchester eher schroff gegenüber. Ausserdem finde ich sein Spiel etwas stakkatohaft und kühl. Egarr ist deutlich mehr im Orchester, weicher, fliessender, biegsamer. Und klanglich sind 30 Jahre fortgeschritten ...
Mars_22
Inventar
#5 erstellt: 09. Nov 2022, 22:11
Ich habe die 1986er Koopman-Aufnahme bei Errato, wieder aufgelegt bei Apex, und eine 2021er Aufnahme von Haselböck. Koopman spielt auf kleiner Orgel, frisch und klar, dabei irgendwie intim, das hat mir immer gefallen. Der Haselböck hat mich zuletzt unentschlossen gelassen. Der Klang ist altersentsprechend exzellent, aber die Aufnahme ist gespielt auf großer Orgel, und das passt nicht. Dank deiner Hinweise verstehe ich jetzt auch warum.

Btw., das Andante von Op.4/4 ist ja gar zu schön.
Insgesamt mag ich 4/6 noch lieber.

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[Beitrag von Mars_22 am 09. Nov 2022, 22:34 bearbeitet]
arnaoutchot
Moderator
#6 erstellt: 09. Nov 2022, 22:45
Freut mich, dass Du angeregt wurdest. Ich kenne mit Händel weder Koopman noch Haselböck, aber kann das von Dir Gesagte nachvollziehen. Je kleiner die Orgel, desto besser, scheint mir. Das ist kein Tastengedonner !
Hörstoff
Inventar
#7 erstellt: 09. Nov 2022, 23:41

arnaoutchot (Beitrag #4) schrieb:
Doch, für einen Mehrkanalhörer sollte Egarr einen Vorteil bieten.

Ist bestellt.
Mars_22
Inventar
#8 erstellt: 09. Nov 2022, 23:57
Ich habe noch ein bisschen Qobuzt und dabei eine noch bessere Stereo-Aufnahme von Op.4 gefunden als meinen Koopman: Ensemble Sonnerie mit Matthew Halls, 2006: involvierend, mit sehr schöner Dialogik, frisch und auch tontechnisch blitzsauber, kurz: Rundum erfreulich!

amazon.de


[Beitrag von Mars_22 am 09. Nov 2022, 23:59 bearbeitet]
Hörstoff
Inventar
#9 erstellt: 12. Nov 2022, 21:43

arnaoutchot (Beitrag #4) schrieb:
Doch, für einen Mehrkanalhörer sollte Egarr einen Vorteil bieten. (...) Egarr ist deutlich mehr im Orchester, weicher, fliessender, biegsamer. Und klanglich sind 30 Jahre fortgeschritten ... ;)


Jetzt mach' mal keinen Weintest daraus.

Ist gehört. Eine schöne Aufnahme mit virtuosen Orgelparts und klaren Klangbildern sowie -konturen. Orchester und Orgel harmonieren gut miteinander. Aber kein Muss für Mehrkanal, der Zusatznutzen hält sich in Grenzen. Darauf angelegt, hätte eine diskrete Surroundeinspielung mehr Wirkung entfalten können. Meine Meinung: sowohl in MCh als auch in Stereo ein sublimes Hörerlebnis.
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