Schmidt, Franz (1874-1939) - Epigone im Schatten Gustav Mahlers ?

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BigBerlinBear
Stammgast
#1 erstellt: 31. Mrz 2004, 08:36
FRANZ S C H M I D T - B I O G R A P H I E

(1874 / Preßburg - 1939 / Perchtoldsdorf bei Wien)
Die Familie Schmidt - teilweise magyarischer Herkunft - übersiedelte 1888 nach Wien. Dies bedeutete für das musikalische "Wunderkind", am damaligen "Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde" studieren zu können.

Franz Schmidt beeinflußte das österreichische, bzw. Wiener Musikleben in verschiedensten Berufssphären: 1896-1911 war er Mitglied der Wiener Philharmoniker, bis 1913/14 auch im Verband des Hofopernorchesters (als Cellist) engagiert. Als Pädagoge für Klavier, Violoncello, Kontrapunkt und Komposition bildete er an der gegenwärtigen Universität für Musik und darstellende Kunst zahlreiche später bedeutende Musiker, Dirigenten und Komponisten aus.
1925-27 war er Direktor, 1927-31 Rektor der traditionsreichen Ausbildungsstätte. Zu seinen bekanntesten Schülern zählten u.a. der Pianist Friedrich Wührer oder Alfred Rosé (Sohn des legendären Quartett-Primus, Konzertmeister der Wiener Philharmoniker und Schwager Gustav Mahlers, Arnold Rosé). Von den Komponisten sind Theodor Berger, Marcel Rubin, Alfred Uhl zu nennen.
Franz Schmidt war als Solist, Kammermusiker, Begleiter und Dirigent gleichermaßen anerkannt und gefeiert. Hinsichtlich seines phänomenalen musikalischen Gedächtnisses gibt es zahlreiche Anekdoten: Die noch lebenden (oder kürzlich verstorbenen) Schüler berichten von der unglaublichen Literaturkenntnis aller musikalischer Gattungen, die der Meister jederzeit präsent hatte.

Hohe Auszeichnungen bezeugen die Wertschätzung der Zeitgenossen: u.a. der "Franz Josefs-Orden", Dr. h.c. der Universität Wien (wie Anton Bruckner!).


Sein Privatleben stand im "negativen Kontrapunkt" zu dieser erfolgreichen beruflichen Laufbahn:
Zwei Jugendlieben - beide Frauen waren jüdischer Abstammung - blieben unerfüllt. Die erste Gattin dämmerte ab 1919 in der Wiener Heilanstalt "Am Steinhof" dahin, um drei Jahre nach dem Tod des berühmten Gatten im Rahmen der nationalsozialistischen "Euthanasie" - Kampagne in Deutschland ermordet zu werden. Die Tochter Emma verstarb unerwartet nach der Geburt ihres 1. Kindes. Der gebrochene Vater schuf danach seine 4. Symphonie als "Requiem für meine Tochter".

Die zweite Ehe mit einer jüngeren Klavierschülerin brachte dem bereits Anfang der Dreissigerjahre mit schwersten gesundheitlichen Problemen kämpfenden Künstler die notwendige Stabilisierung seines Privatlebens. Als Kollege, Freund und Lehrer wurde Franz Schmidt sehr verehrt. Sein geselliges Wesen ließ ihn bald zum "Wiener" werden: er liebte gemeinsames Musizieren im Kollegen-Studentenkreis und geistreiche Gesellschaft.

In seinem letzten Lebensjahr wurde der Todkranke mit dem Beginn des nationalsozialistischen Regimes konfrontiert. Nach dem Tod Alban Bergs und Franz Schrekers, der Emigration von Arnold Schönberg und Alexander Zemlinsky galt Franz Schmidt zu Recht als der bedeutendste Komponist der damaligen "Ostmark". (Die Anerkennung, die dem Schaffen seiner Kollegen Julius Bittner, Wilhelm Kienzl oder Joseph Marx zuteil wurde, ist nicht mit dem Ansehen und der Stellung Franz Schmidts im damaligen Wiener Musikleben zu vergleichen). Die Kantate "Deutsche Auferstehung" wurde vom Regime eingefordert, der Komponist ließ die Komposition jedoch unvollendet und schuf noch zwei inspirierte Auftragswerke für den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein: das Klarinettenquintett in A-Dur und die (Solo)-Toccata d-Moll - finalisiert im Sommer und Oktober 1938, wenige Monate vor seinem Tod. (Zitat Franz-Schmidt-Gesellschaft)

Liebe Forianer, ich gehe mal davon aus, daß viele von euch zumindest das orhwurmige Vorspiel zu "Notre Dame" kennen, aber wem sind auch andere Werke dieses Komponisten vetraut ? Ich persönlich schätze ganz besonders sein Oratorium
"Das Buch mit sieben Siegeln", aber auch seine 3. und 4. Sinfonie.
Über welche Hörerfahrungen könnt ihr berichten ? Auf viele Antworten freut sich
AH.
Inventar
#2 erstellt: 31. Mrz 2004, 11:09
ich schätze Franz Schmidt als einen großen Komponisten, viele seiner Werke wirken inspiriert, der für dies Zeit typische Zielkonflikt zwischen homophoner und polyphoner Setzweise ist gut austariert, d.h. Könnerschaft des Handwerklichen ist ebenfalls festzustellen. Insbesondere seine vierte Sinfonie mit ihrer spiegelsymmetrischen Anlage ist auch formal äußerst geschlossen und gehört aus meiner Sicht zu den großen Werken sinfonischer Literatur dieser Epoche.

Was aus meiner Sicht oft noch fehlt, sind gute Tonaufnahmen seiner Werke. Ich verstehe nicht, warum so viel Epigonales und allenfalls Zweitklassiges (Draeseke etc.) von den Verlagen für Tonaufnahmen hervorgeholt wird, während z.B. Busoni oder Schmidt, gemessen an meiner Einschätzung Ihrer Bedeutung, vergleichsweise wenig Beachtung finden.

Gruß

Andreas
BigBerlinBear
Stammgast
#3 erstellt: 31. Mrz 2004, 15:54
Bedauerlicherweise scheinen sich renmomierte Orchester und
bekannte Dirigenten nicht für die Sinfonien Schmidts zu interessieren und die Gesamtaufnahme unter Järvi ist lieblos und dirigentisch kaum inspiriert. Ich selber besitze eine Gesamtaufnahme mit dem Radio Bratislava Symphonie Orchestra, einem gewiss nicht erstklassigem Orchester aber immerhin unter dem Dirigat Ludovit Rajters, eines Schülers von Franz Schmidt, der über Aufführungspraxis und Tempi der Werke durch die Zusmmemarbeit mit seinem Lehrer bestens informiert war und dessen Liebe zu dieser Musik aus jedem Takt spricht.
Die einzige Referenzaufnahme in Sachen Schmidt scheint derzeit nur das Oratorium "Das Buch mit Sieben Siegeln" unter Harnoncourt zu sein; alles andere dient allenfalls zum
"Kennnenlernen"


Dein Urteil über Draeseke scheint mir ein wenig voreielig zu sein; dieser hat seine bedeutendsten Arbeiten im Bereich der Vokalmusik hinterlassen, die ausser einer Aufnahme des Oratoriums "Christus" derzeit garnicht zugänglich sind. Ich kenne zum beispiel herrliche a cappella Motetten dieses Komponisten und auch sein von Claudius Tanski eingespieltes
Klavierkonzert beeindruckte mich sehr.
AH.
Inventar
#4 erstellt: 31. Mrz 2004, 16:25
Hallo,

Draeseke hat aus meiner Sicht wenig Eigenes. Einzig seine erste Klaviersonate trägt aus meiner Sicht teils geniale Züge. Wenn Du auf die Sakralwerke ansprichst (habe einige bei einem Freund gehört) und man mit ähnlichen Werken von Brahms oder Bruckner vergleicht, dann sind jene weitaus genialer, inspirierter, auch handwerklich gekonnter. Draeseke ist im schlechten Sinne konventionell (obwohl das Urteil seiner Lehrer anders lautete), vergleichbar vielleicht dem aus meiner Sicht ebenfalls weitgehend bedeutungslosen Max Bruch.

Das Problem bezüglich Aufnahmen von Franz Schmidt sehe ich ebenso. Die vierte Sinfonie habe ich ursprünglich in der Aufnahme der Wiener Philharmoniker unter Leitung von Zubin Mehta kennengelernt, die ich positiv in Erinnerung habe. Auch die Aufnahme des Bruckner-Orchesters Linz unter Leitung von Martin Sieghard finde ich gelungen, trotz gewöhnungsbedürftiger Tontechnik (leider bei Chesky veröffentlicht, daher problematische Balance der Gruppen aufgrund "Wenigmikrofontechnik"). Weitere erwähnenswerte Aufnahmen dieses Werkes sind mir nicht bekannt.
Meiner Meinung nach gehörte das Werk von seiner künstlerischen Qualität her ebenso oft aufgeführt, wie Brahmsens Vierte

Gruß

Andreas
Alfred_Schmidt
Hat sich gelöscht
#5 erstellt: 31. Mrz 2004, 17:45
Hallo,

Dieses Forum ist ja eine Art "Gewissen" das einen oft aufrüttelt, alte Vorurteile und Ansichten einer kritischen Revision zu unterziehen, zumindest geht es mir so.
Der Große Berliner Bär hat hier einen sehr mutigen Thread eröffnet, einen von dem ich geschworen hätte, daß er kaum auf Resonanz stößt. Daß dies nicht zutrifft ist umso erfreulicher.

Ich gestehe offen, daß mir zwar der Name Franz Schmidt geläufig ist, ja ich habe sogar eine CD mit der 1. Sinfonie von ihm (MARCO POLO, Budapest Symphony Orchestra/Dir: Michael Halász), aber ich wüsste augenblicklich nicht wie das klingt. Das wird jetzt aber innerhalb der nächsten Tage korrigiert, ich werde mein Gedächnis auffrischen. Vieles was ich vor 15 Jahren als "langweilig" empfand offenbart sich mir heute in all seiner Schönheit.

Ohne daß ich sie besäße: Es gibt auch eine Aufnahme der 4.
umter Welser-Möst.Diese wurde 1996 sogar ausgezeichnet.
Gramophone Award for Best Orchestral Recording in 1996 , also muß sie schon ein bisschen meht geboten haben als nur Qualität zum Kennenlernen"
Weiters gibt es Aufnahmen mit den Bruckner-Orchester Linz unter Sieghart.

Auf jeden Fall hat dieser Thread mein Augenmerk wieder auf einen interessanten, von mir bisher vernachlässigten Komponisten geworfen.

BTW: Schmidt war übrigens auch Lehrer Karajans im Fach Komposition, worüber Karajan eine nette Anekdote, bzw wahre Geschichte schreibt, die ich zu gegebener Zeit im Anekdotenthread veröffentlichen werde....

Gruß
aus Wien
Alfred
embe
Stammgast
#6 erstellt: 31. Mrz 2004, 23:43
Hi,
besitze auch die Aufnahmen mit Rajter, tlw. auch Järvi +
Pesek + die Chesky CD.
Die 4. find ich klasse, das Trompetensolo hat sich Jerry Goldsmith für seinen Alien Sondtrack geborgt.
Auf LP hab ich die Mehta Aufnahme.
Die Variationen über ein Husarenlied sind auch ganz nett.
Dann hab ich noch ein Klavierkonzert u. Beethoven Variationen für Klavier u. Orch. auch mit Rajter.
Die 4. blieb mir haften, alles andere harrt der Wiederentdeckung.
Gruß
embe
Alfred_Schmidt
Hat sich gelöscht
#7 erstellt: 08. Apr 2004, 00:13
Hallo,
inzwischen habe ich die 1. Sinfonie abgehört.
(Die alte MarcoPolo Aufnahme). Dabei ist mir aufgefallen, daß zumindest diese Sinfonie so überhaupt keine Ähnlichkeit mit Gustav Mahler hat. War das bei späteren Werken anders ?
Und wenn nein- welchem Komponisten kommt eurer Meinung nach die Tonschprache Schmidts (mit dem ich nicht verwandt bin) nahe ? - Ich konnte das nicht herausfinden....

Gruß aus Wien
Alfred


[Beitrag von Alfred_Schmidt am 08. Apr 2004, 00:14 bearbeitet]
BigBerlinBear
Stammgast
#8 erstellt: 08. Apr 2004, 09:04

Hallo,
inzwischen habe ich die 1. Sinfonie abgehört.
(Die alte MarcoPolo Aufnahme). Dabei ist mir aufgefallen, daß zumindest diese Sinfonie so überhaupt keine Ähnlichkeit mit Gustav Mahler hat. War das bei späteren Werken anders ?
Und wenn nein- welchem Komponisten kommt eurer Meinung nach die Tonschprache Schmidts (mit dem ich nicht verwandt bin) nahe ? - Ich konnte das nicht herausfinden....

Gruß aus Wien
Alfred


Hallo Alfred, das was ich als den Schmidtschen Personalstil
bezeichen würde, ist im sinfonischen Bereich erst ab der
3. Symphonie in Ansätzen erkennbar. Die Gebrochenheit Mahlers geht Schmidt völlig ab, deshalb wäre es vergeblich, da nach Gemeinsamkeiten zu suchen. Das völlig unterschiedliche Naturell beider Komponisten gibt das nicht her. Dazu kommt, daß Chmidt als Cellist der Wiener Philharmoniker auch erhebliche zwischenmenschliche Probleme mit Mahler hatte; Schmidt die Musik Mahlers weitgehend ablehnte und Mahler die Kompositionen Schmidts garnicht kannte.
Hilda
Stammgast
#9 erstellt: 08. Apr 2004, 10:12
Hallo,

ich muss gestehen, daß Schmidts 3.Symphonie das einzige Konzerterlebnis war, bei dem ich fast eingeschlafen bin

Ich habe zwar eine Gesamtaufnahme der vier Symphonien (die bereits angesprochene tschechische), bin aber nie warm damit geworden. Aus der einen (keine Ahnung mehr wwelche) meinte ich Don Juan von Strauss rauszuhören, aber der Rest hinterliess bei mir keinen bleibenden Eindruck.

Das Buch mit den sieben Siegeln dagegen gefällt mir sehr gut.

Gruss
Klaus
sczepanski
Neuling
#10 erstellt: 22. Okt 2004, 10:19
hi, ich bin neu hier. Interessant - eure infos über schmidt. das zwischenspiel kenne ich seit jahrzehnten (bin jahrgang 1948). neulich hörte ich zufällig im radio einige takte aus "das buch mit 7 siegeln" + fand diese kurze hörprobe so "sensationell gut", daß ich meine arbeit am pc unterbrach, um ja "richtig" zuzuhören :-)
werd mir die cd sicher kaufen. gruss aus köln
sczepanski
teleton
Inventar
#11 erstellt: 26. Okt 2004, 08:48
Ich habe auch vor ca.10Jahren die Gesamtaufnahme mit dem Bratislawa SO/Raijter gekauft um die Sinfonien kennen zu lernen. Ich glaube seit dem habe ich von den CD´s höchstens noch einmal S-Nr.4 aufgelegt, weil mir die Musik, wie hier mehrfach erwähnt, einfach zu langweilig erscheint. :
Es springt einfach kein Funke über.
Das hier erwähnt wurde, das Schmidts-Sinfonien
die gleiche künstlerische Qualtität haben wie Brahms 4.Sinfonie ist nicht nur eine starke Übertreibung, sondern Unmöglich.
AH schrieb:

Geschützter Hinweis (zum Lesen markieren):

Meiner Meinung nach gehörte das Werk von seiner künstlerischen Qualität her ebenso oft aufgeführt, wie Brahmsens Vierte
Hüb'
Moderator
#12 erstellt: 13. Dez 2013, 10:24
Hallo,

bei Naxos ist übrigens in den Jahren 2007 bis 2009 eine neue Gesamtaufnahme der Sinfonien aus Malmö mit Sinaisky entstanden, die ganz vielversprechende Kritiken bekommen hat. Das Orchester ist zwar kein absolut erstrangiges, hat aber durchaus keinen schlechten Ruf und ist auch für andere Label (z. B. BIS) bereits aufnehmend tätig geworden. Kennt zufällig jemand diesen vergleichsweise "neuen" Zyklus?

jpc.de jpc.de
jpc.de jpc.de

Der Markt ist ja nicht gerade reich an Aufnahmen. Neben der "etablierten" mit Järvi, dem alten "Ausgraber" (Chandos), gibt es noch eine ebenfalls vergleichsweise neue Hochpreise-GA des MDR auf Querstand unter Luisi:

jpc.de jpc.de jpc.de
jpc.de jpc.de jpc.de

Das wohl für Paul Wittgenstein komponierte Klavierkonzert gibt es weiterhin noch bei CPO:

jpc.de

Grüße
Frank


[Beitrag von Hüb' am 13. Dez 2013, 10:26 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#13 erstellt: 13. Dez 2013, 18:20
Also ich habe die Sinfonien wohl alle mal gehört, aber nur die 1. und 4. Sinfonie ist mir in Erinnerung geblieben. 2 und 3 fand ich wirklich nur langweilig, die 1. aber recht hörenswert, ohne ein absolutes Meisterwerk zu sein. Ich glaube in der Sinfonik ist es aber nur die 4., die wirklich öfter eingespielt worden ist und mit der Franz Schmidt überdauern wird.

Bekannt ist mir dann auch noch das Zwischenspiel aus Notre Dame, ein ziemlich abgenudeltes Stück, das wohl auch mal bei Wunschkonzerten oder so auftauchte, sicher nicht das beste Werk Schmidts, aber eines, daß sich einer gewissen Popularität erfreute.

Gruß
Martin
Hörbert
Inventar
#14 erstellt: 13. Dez 2013, 20:18
Hallo!

Ehrlich gesagt ist Franz Schmidt mir nur als Komponist von "Notre Dame" ein Begriff, ich habe die Oper zwar in der alten Interpretation desv RSO-Berlin unter Christof Perik ( Gwyneth Johnes/ James King/ Kurt Moll) muß aber gestehen sin nicht mehr als 4-5 x gehört zu haben.

Schmidts Musik erscheint mir recht konventionell und sie entspricht nicht seiner Zeit sondern ist gute 50 Jahre vorher angesiedelt. Den oft gehorten Vergleich mit Mahler oder Brahms halte ich für unangebracht.

MFG Günther
WolfgangZ
Inventar
#15 erstellt: 13. Dez 2013, 20:45
Mir erscheinen alle Sinfonien sehr hörenswert, auch wenn es gewisse Rangunterschiede geben mag.

Die erste zeigt ein ungebrochenes österreichisches Fin-de-Siécle-Pathos, ist glänzend instrumentiert, melodiös und überbordend. Der eigenwillige zwischen Terzenseligkeit und abgründiger Chromatik angesiedelte Stil des Komponisten macht sich bereits geltend.

Sicher am wertvollsten und interessantesten erscheint die vierte. Eigentlich besteht sie aus vier Trauermärschen in unterschiedlicher Grundhaltung, auch das Scherzo macht da in seinem stechenden Rhythmus keine Ausnahme. Leitmotivisch prägt die düstere Trompetenfanfare am Anfang und Ende die Komposition.

Nummer zwei ist mir stärker in Erinnerung als Nummer drei. Ich habe diese beiden Kompositionen wohl auch seltener gehört. Zumindest der flirrend schwelgerische Anfang der zweiten Sinfonie hat mich auch sehr beeindruckt.

Fabio Luisi habe ich mir nicht zugelegt. Die Vierte besitze ich in mehreren Einspielungen - so auch mit Welser-Möst, die zweite auch in einer historischen Aufnahme mit Mitropoulos. Von der ersten besitze ich auch die oben genannte Naxos-Produktion und habe keine Probleme damit.

Als Gesamteinspielung habe ich mir dann erst vor relativ Kurzem die folgende Box (Neeme Järvi) zugelegt und bin damit zufrieden:

amazon.de

Leider ist das augenblicklich kein Schnäppchen.

Wolfgang
WolfgangZ
Inventar
#16 erstellt: 13. Dez 2013, 20:46
Hallo, Günther!

Die vierte Sinfonie ist bei Weitem moderner als Brahms, halten zu Gnaden!

Einfach mal zuhören!

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 13. Dez 2013, 20:49 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#17 erstellt: 13. Dez 2013, 20:57
Hallo!

Möglicherweise werde ich Schmidt mal mehr in meinen Fokus nehmen müssen, -ähnlich wie Franz Schreker- von dem ich auch nur wenige Werke kenne dessen Oper "Der ferne Klang" mich aber ungeleich mehr beeindruckte als Schmidts "Notre Dame"

MFG Günther
WolfgangZ
Inventar
#18 erstellt: 13. Dez 2013, 22:42
Zu Notre Dame kann ich nichts sagen - zugegebenermaßen -, auch nicht zum Buch der sieben Siegel, obwohl mich das schon länger reizt. Das berühmte Zwischenspiel aus der Oper fand ich noch nie sonderlich interessant.

Aber auch die wenige Kammermusik von Schmidt, vor allem die Quintette mit Klarinette und Klavier für die linke Hand sind meines Erachtens sehr reizvoll und eigenwillig.

Mahler kann man meines Erachtens schlecht mit Schmidt vergleichen, Strauss schon eher. Und da gibt es durchaus Stimmen - ich möchte jetzt öffentlich allerdings keine (konkurrierenden?) Forianer nennen, aber ich denke an einen Wiener Journalisten und Komponisten - die Schmidt sogar vorziehen, weil er der Ehrlichere sei.

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 13. Dez 2013, 22:45 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#19 erstellt: 14. Dez 2013, 01:24
Also ich habe heute etwas in das Buch der sieben Siegel rein gehört. Das mag ganz gut sein, aber derartige Sakralmusik von bleierner Schwere mag ich nicht sonderlich.

Dann in das lange erste Klarinettenquintett, das vom Penguin Guide über den grünen Klee gelobt wird. Hier blieb ich länger hängen. Das mag seine Qualitäten haben, ich müßte es noch mal hören, erscheint mir aber als eine sehr langatmige und auch spröde Musik.

Nach solchen Hörerfahrungen erscheint mir der Vergleich mit Richard Strauss weit her geholt. Richard Strauss ist ein eher sonniges Gemüt, selbst noch in seinen tragischen Stücken, die eher selten sind, scheint irgendwie die Sonne. Schmidts Musik ist ernster, nicht von der strahlenden Säkularität des Richard Strauss.

Trotzdem sage ich nochmal an die Adresse von Günther: "Fünfzig Jahre hinter seiner Zeit zurück" erscheint diese Musik nur gegenüber Ives und Schönberg ( mit denen er ja das Geburtsjahr teilt), aber ansonsten erscheint er mir auf der Höhe der Zeit.
WolfgangZ
Inventar
#20 erstellt: 14. Dez 2013, 02:29

Nach solchen Hörerfahrungen erscheint mir der Vergleich mit Richard Strauss weit her geholt. Richard Strauss ist ein eher sonniges Gemüt, selbst noch in seinen tragischen Stücken, die eher selten sind, scheint irgendwie die Sonne. Schmidts Musik ist ernster, nicht von der strahlenden Säkularität des Richard Strauss.


Das sehe ich genauso.

Die Klarinettenquintette muss man ein paar Mal hören, dann vergisst man sie nicht mehr. Es gibt in der Spätromantik viel nicht unattraktive Kammermusik, die aber doch recht austauschbar erscheint. Schmidt gehört meines Erachtens so wenig dazu wie etwa Korngold.

Wolfgang
Martin2
Inventar
#21 erstellt: 14. Dez 2013, 15:39
Hallo Wolfgang,

danke für Deinen Tip. Dann will ich doch in diese Kammermusik doch noch mal etwas aufmerksamer rein hören.


Gruß
Martin
Hörbert
Inventar
#22 erstellt: 14. Dez 2013, 20:04
Hallo!

@Martin2


....aber ansonsten erscheint er mir auf der Höhe der Zeit.......



Nein, nicht mit Schönberg, Berg, Ives oder Krenek, -denn das wäre nicht fair-, sondern mit Schreker ("Der ferne Klang") Korngold, ("Die tote Stadt") und d´ Albert (Tiefland") verglichen.

Das sind Opern aus der gleichen Zeit und der gleichen Sparte.

Schmidt hat sich in "Notre Dame" nicht wesentlich von Wagner emanzipiert, bewußt nehme ich hier nicht die "Elektra" oder die "Salome" von Richard Strauß als Vergleich, nicht einmal Busonis "Doctor Fastus" sondern bewußt traditionellere Werke von vergleichbaren Komponisten die sich auf ihre Art viel "moderner" ausdrücken.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#23 erstellt: 14. Dez 2013, 20:16
Hallo Günther,

ja, die Oper Notre Dame von Franz Schmidt kenne ich nun mal nicht, also kann ich darüber nicht urteilen. Was ich kenne, sind die Sinfonien und da ist die 1. Sinfonie ein klangprächtiges Werk des "Fin de Siecle", wie Wolfgang das genannt hat und die 4. ein durchaus nicht so konservatives Werk und ein durchaus hörenswertes dazu.

Im übrigen, was "modern" ist, liegt durchaus im Auge des Betrachters. Mir kommt die Musik von Franz Schmidts Zeit oft "überladen" vor, das gilt teilweise für Strauss, aber auch für ein Werk wie Schönbergs Gurrelieder, und es ist für mich ein Zeichen von Qualität, nicht für Rückständigkeit, daß Franz Schmidt nicht in diese Falle tappt.

Gruß
Martin
Hörbert
Inventar
#24 erstellt: 15. Dez 2013, 00:38
Hallo!

Ja, die Musik des Fin de Siècle wirkt auf unsere Ohren oft überladen, man muß sich bloß Max Regers Sextett oder auch Schönbergs "Verklärte Nacht" anhören.

Nun, ich denke nicht das es im Auge des Betrachters liegt was -musikalisch gesehen- zwischen 1874 und 1939 (Schmidts Lebenspanne) modern war und was altbacken, das ist eine Frage die mittlerweile der Geschichte der Musik angehört. Natürlich kann mam Schmidt nicht mit dem Maßstab messen der für die damalige moderne oder gar neue Musik angelegt wurde wohl aber mit dem Maßstab den man für die damalige "Neudeutsche (sprich Wagnerianische) Musik" anlegte und dann rückt er zu seinen stylistischen Nachbarn in ein bestimmtes Verhältniss.

Aber lassen wir doch einfach das auseinanderklamüsern, wenn er dir gefällt ist das eine einfache Sache, ich selbst kenne so richtig von ihm eigentlich nur eben "Notre Dame" und werde mich wohl mit seinen Symphonien und seinem Quintett erstmal auseinandersetzen müssen, möglich das ich mein Urteil dann ja revidiere, -schließlich bin ich ja lernfähig und die "neudeutsche Musik" ist ohnehin eines meiner Sammelthemen.

MFG Günther
AdrianTuttisolo
Neuling
#25 erstellt: 16. Dez 2013, 15:21
Bin froh über die Anregungen!
Kenne nämlich nur ein wenig vom Notre Dame - höre mir gleich mal was von Schmidt an...
WolfgangZ
Inventar
#26 erstellt: 23. Mrz 2021, 19:00
Die Kammermusik

Da gerade von Relevanz hier im Forum - und für mich immer gerne -, will ich mal die CD-Cover verlinken, die sich bei mir finden. Es sind natürlich nicht alle, die es gibt, aber es sind nicht gar so viele weniger ... der Komponist ist hier noch einmal in geringerem Maße präsent als bei den Sinfonien, wo sich in den letzten Jahren ein bisschen was getan hat.

Ich finde die Kammermusik allenthalben weitgehend unverwechselbar, interessant und reizvoll.

-----

Bei dem einen unserer Anbieter kann man aktuell (zumindest) (1) mit (4) erwerben:

(1) jpc.de (2) jpc.de beziehungsweise nur die eine, die hier relevante CD davon, aber nicht bei jpc und mit anderem Cover; die Verlinkung zu amazon klappt gerade nicht, aber ihr könnt ja vielleicht nachsehen oder es intelligenter lösen als ich: = amazon B00003GA6J

(3) jpc.de (4) jpc.de

(5) = amazon B00000E4LP (6) amazon.de

(7) amazon.de amazon.de Die zweite Verlinkung ist preisgünstiger - da ich sie laut amazon-Vermerk vor etwa 12 Jahren gekauft habe, muss sie nach dem Ausschlussprinzip mit dem identisch sein, was sich hinter der anderen Verlinkung verbirgt.

-----

Die beiden Streichquartette (4) von 1925 sowie 1929 sind weniger stiltypisch als die Quintette; das zweite ist bemerkenswert ambitioniert und hier fällt mir eine gewisse Nähe zu Zemlinskys zweitem Quartett auf, auch wenn Schmidt weniger radikal erscheint.

Die drei Quintette begleiten mich seit Langem, ich finde sie sehr hörenswert, teilweise raffiniert in der Harmonik, mit polyphoner Markanz, aber fast immer auch ungemein melodiös, nicht immer, aber immer mal wieder regelrecht ohrwurmig. Es ist auch keinesweg so, dass eines wie das andere klänge.

Alle entstanden - wie auch die beiden (Quasi-)Klavierkonzerte von Schmidt - für den einarmigen Pianisten Paul Wittgenstein, dem Bruder des Philosophen Ludwig. Paul war ein Opfer des Ersten Weltkriegs. Wittgenstein spielte die Musik von Schmidt sehr gerne - dass er ein starker, aber kein ganz einfacher Charakter war, weiß man. Vielleicht gilt dies auch für Schmidt ... aber das soll jetzt nicht zur Debatte stehen.

Das Quintett in G-Dur (1926) - nicht in D-Dur, wie fälschlicherweise irgendwo zu finden - ist das für meinen Geschmack eingängigste; es ist geistreich und es ist nirgends banal, trotz der Volksmusikanklänge im langsamen Satz, trotz des von den drei Werken ganz besonders wienerischen Zugs. Musik, der man vielleicht vorwerfen kann, ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, sich ein wenig zu naiv zu gerieren.

Dunkler im Charakter, aber eben auch keineswegs spröde, zeigt sich das Quintett in B-Dur von 1932. Hier wird das Streichquartett zum Trio reduziert und die Klarinette tritt hinzu.

Das dritte Quintett in A-Dur, wiederum mit Klarinette, ist schon beinahe abendfüllend und wirkt auf mich dennoch nicht ausladend oder üppig und vor allem nicht repetitiv. Es pendelt zwischen Humor, Melancholie und - im Finalsatz - einer mild verklärten Mozartischen Klassizität. Entstanden ist es 1938, wohl bereits ein Abgesang des kranken Komponisten auf ein Leben zwischen Erfolg, manchem Irrweg und manchen Schicksalsschlägen.

-----

CD (1) kenne ich erst seit wenigen Wochen. Sie hält interpretatorisch für mich Schritt mit CD (6), klingt eine Nuance besser, dauert länger als eine Stunde und übertrifft damit (6) um rund sieben Minuten. - Die Dauer von (6) musste ich selbst stoppen. Die beiden Booklets ergänzen sich ein wenig.

Das erste Quintett ist enthalten in (2), (3) und (5) - aber bei (5) habe ich wohl das letzte Exemplar erwischt. Sorry ... CD (2) enthält eine dreiminütige Klavierkadenz, die fakultativ gedacht ist. Die Aufnahmen sind in Ordnung. Aber vielleicht kann man auf (3) verzichten, ...

... denn das B-Dur-Quintett gefällt mir eigentlich auf (7) besser; dort wird ein wenig zügiger, frischer musiziert und dort ist auch noch die Klavier-Toccata für Wittgenstein von 1938 enthalten.

Besten Gruß,

Wolfgang


[Beitrag von WolfgangZ am 23. Mrz 2021, 21:03 bearbeitet]
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