Jazz und DDR

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ugoria
Hat sich gelöscht
#1 erstellt: 12. Mai 2005, 13:10
Hi,

möchte hier mal einen Thread zu "Jazz und DDR" aufmachen, weil ich denke, dass hier sicherlich ein eher unterschätztes Kapitel seiner Entdeckung harrt und man mit Sicherheit unbekanntere Schätze des Jazz heben kann. Unabhängig von Manfred Krug und den Republikflüchtigen (nicht abwertend gemeint).
Wie meine bisherigen Recherchen ergeben haben, hatte die DDR eine eigene, sehr dynamische Jazz-Kultur, die wohl einen schwierigen Anfang hatte.

Den Anfang möchte ich mit einer kleinen Buchkritik machen und es wäre schön, wenn es weitere Beiträge zu Einspielungen, Bücher etc. geben würde.

Ich versuche mich derzeit diesem mir unbekannten Thema über Literatur zu nähern, um an Personen- und Gruppennamen ranzukommen.

Eben zuende gelesen: Bert Noglik und Heinz-Jürgen Lindner mit "Jazz im Gespräch" aus dem Verlag Neue Musik Berlin von 1980.
Die Autoren beleuchten im Zeitraum von Oktober 1976 bis Mai 1977 eine Momentaufnahme des Jazz in der DDR. Dabei werden diverse Künstler, die in dieser Zeit zeitgenössischen Jazz spielen, interviewt.
Es gab Interviews mit Conrad Bauer, Günther Fischer, Hans-Joachim Graswurm, Ulrich Gumpert, Manfred Hering, Hubert Katzenbeier, Hermann Keller, Klaus Koch, Ernst-Ludwig Petrowsky, Friedhelm Schönfeld, Manfred Schulze und Günter Sommer.

Schönes Buch, gelungene Art des Rangehens und auffällig ist, dass alle Künstler hervorragend ausgebildet sind. Sehr gut ist auch die musikalische Vita, die bei jedem Künstler am Schluß des "Gesprächs" mitgegeben wird und aus der man, unabhängig vom Gespräch, auf Gruppen und Formationen schließen kann.
Auffallend ist die unterschiedliche Verwendung von Begriffen gegenüber dem Westen: Electric Jazz, Rock-Jazz, Oldtime-Jazz, Modern-Jazz und Tanzmusik haben offenbar in der DDR einen anderen Hintergrund.
Sehr, sehr unterschwellig, fast nicht sichtbar sind kleinste Facetten politischer Auseinanderseztung, die auf einen schwierigen Anfang des Jazz in der DDR schließen lassen. Mal sehen, ob es da weitere Literatur zu gibt.

Nach der anregenden Lektüre werde ich mich jetzt bei Amazon, JPC und 1,2,3 auf die Suche nach Einspielungen aus diesen Tagen machen und werde darüber dann hier berichten.

Swingende Grüße
Andi
Micha_L
Stammgast
#2 erstellt: 12. Mai 2005, 18:35
Hallo Andi,

ich war ab 1980 Mitglied des Jazzclub Leipzig und hab den DDR-Jazz hautnah erlebt.
Jazzveranstaltungen waren ein Treffpunkt für Unangepaßte.
Die Begeisterung des Publikums war damals größer als heute, wo man ja alles haben kann.

Gruß

Micha L

P.S.: Bert Noglik ist immer noch der "Chef" des Jazzclub Leipzig.


[Beitrag von Micha_L am 12. Mai 2005, 18:46 bearbeitet]
Micha_L
Stammgast
#3 erstellt: 12. Mai 2005, 18:47
Der jazzclub leipzig wurde 1973 gegründet und gedieh als Freundeskreis innerhalb des Kulturbundes vergleichsweise im Windschatten damaliger DDR-Kulturpolitik.
Durch beharrliche und engagierte Bemühungen von Jazzfreunden gelang es, Konzerte und von 1976 an die Leipziger Jazztage zu organisieren. Was relativ klein (1976 in einem Kino und 1977 in einem Hörsaal) anfing, erreichte innerhalb weniger Jahre eine erstaunliche Größendimension: Von 1978 an fanden die Leipziger Jazztage in der repräsentativen Leipziger Kongresshalle statt. Zugleich erweiterte sich das Spektrum. Es gelang, auch durch zahlreiche private Kontakte und Netzwerke, in verstärktem Maße Musiker und Musikerinnen aus den osteuropäischen Ländern und aus Westeuropa einzuladen.
Die Leipziger Jazztage wurden – von der Kulturbürokratie gerade deshalb kritisch beäugt – zu einem Ort internationaler musikalischer Begegnung und zu einem Treffpunkt für die Jazzgemeinde in der damaligen DDR. Konzeptionell lag der Schwerpunkt auf der Präsentation von neuem, zeitgenössischem Jazz, wobei der Avantgarde breiter Raum gewährt wurde. Auch aufgrund dieser Spezifik haben die Leipziger Jazztage in den 80er Jahren internationale Bedeutung erlangt, was sich auch in zahlreichen westlichen Fachpublikationen niedergeschlagen hat.

Der jazzclub leipzig zählt zu den wenigen kulturellen Organisationsformen, die die grundlegenden Veränderungen 1989/90 überlebt haben. Integrität und ein hoher Qualitätsanspruch an die präsentierte Musik bei gleichzeitiger Beachtung der Publikumsinteressen waren die Voraussetzung, um die Aktivitäten ausweiten und intensivieren zu können.

So gelang 1991 ein unter den veränderten Rahmenbedingungen bedeutender Neubeginn. Durch die großzügige Unterstützung der Oper Leipzig wurde es möglich, das Hauptprogramm auf der repräsentativen Opernbühne vorzustellen. Die künstlerische Orientierung des Festivals folgte seither der Überlegung, herausragende Musiker bzw. Ensembles des zeitgenössischen Jazz, gleichwohl aber auch neue Tendenzen und spezielle Projekte zu präsentieren, um sich so bewußt vom „Warenhauscharakter“ anderer großer Jazzfestivals abzuheben.
Heute zählen die Leipziger Jazztage zweifellos zu den renommiertesten deutschen Jazzfestivals, und sind in der Gesamtanlage die einzigen ihrer Art in den neuen Bundesländern. In den letzten Jahren wurden Jazzgrößen wie John McLaughlin, Jan Garbarek, Chick Corea, Nat Adderley, Albert Mangelsdorff, Lester Bowie, Abdullah Ibrahim/Dollar Band, Charles Lloyd oder Carla Bley mit gleicher Aufmerksamkeit bedacht wie neue musikalische Strömungen, repräsentiert beispielsweise durch Musiker wie John Zorn, David Moss, Maggie Nichols und Phil Minton.
Ergänzend zum Hauptprogramm sind die Konzerte mit improvisierter Musik in der Reformierten Kirche (Kirchenorgel im Dialog mit Stimmen und anderen Instrumenten), das Piano-Solokonzert im Festsaal des Alten Rathauses, eine Matinee unter dem Motto „Jazz für Kinder“ sowie die Nacht-Sessions in der Moritzbastei und die Nacht-Klänge in der naTo zu einer festen Tradition geworden. Durch die Vielzahl der Spielstätten, auch unter Einbeziehung des städtischen Freiraums, entsteht ein spezielles Flair, das von zahlreichen Besuchern als Besonderheit des Festivals hervorgehoben wird. Neben international renommierten Musikern präsentieren die Jazztage überdies bemerkenswerte Talente einer nachwachsenden Jazzmusikergeneration. Mit Bands wie Zbigniew Namyslowskie, Milan Svoboda oder Tomasz Stanko kamen stets auch osteuropäische Jazzmusiker in das Programm des Festival, das alljährlich zeitgenössischen Jazz in einer Vielzahl von prägnanter Erscheinungsformen vorstellt. In thematischer Entsprechung oder in bewußtem Kontrast erweisen sich die einzelnen Programmteile und ihre Abfolge als wohlüberlegt, auch hinsichtlich des Verhältnisses von Popularität und Avantgarde. An ein breites, dem Jazz gegenüber aufgeschlossenes Publikum adressiert, bekräftigen die Leipziger Jazztage zugleich das Anliegen, nicht nur große Namen vorzuführen, sondern auch anspruchsvolle musikalische Prozesse der Gegenwart darzustellen.


http://www.jazzclub-leipzig.de/


[Beitrag von Micha_L am 12. Mai 2005, 18:48 bearbeitet]
ugoria
Hat sich gelöscht
#4 erstellt: 12. Mai 2005, 18:48
Hi Micha L,

hört sich interessant an.

Wäre schön, wenn Du ein paar Namen, Gruppen nennen könntest. Wie sah es mit CDs aus oder gab es Jazz nur auf Vinyl?

Swingende Grüße
Andi
Micha_L
Stammgast
#5 erstellt: 12. Mai 2005, 19:05
Hallo Andi,

DDR-CDs hat es nicht gegeben.

Du hast die wichtigsten Musiker schon genannt:

Conrad Bauer: ein Feund von Mangelsdorff (Zirkularatmung), Günther Fischer: m. E. steriler Rockjazz - offiziell geehrt - Stasiverstrickung!,
Manfred Hering: ein Leipziger, wenn ich mich recht erinnere,
Ernst-Ludwig Petrowsky: Freejazzer, aber m. E. engstirnig und überheblich. Wertete andere Richtungen verbal ab. Musikalisch nicht mein Ding. Eher formlose neue Musik (ala Globe Unity, wo er auch dabei war)
Günter Sommer: Schlagzeuger/Perkussionist.

Zusätzlich fällt mir der Gitarrist Edwin Sadowski ein und seine Platte "Saitentriebe", u. A. mit Toto Blanke. Die hab ich mir selbst auf CD-R digitalisiert.

Gruß

Micha


[Beitrag von Micha_L am 12. Mai 2005, 19:07 bearbeitet]
Satie
Ist häufiger hier
#6 erstellt: 12. Mai 2005, 19:52
Micha_L schrieb:


Mit Bands wie Zbigniew Namyslowskie, Milan Svoboda oder Tomasz Stanko kamen stets auch osteuropäische Jazzmusiker in das Programm des Festival


Ich erweitere "Jazz aus der DDR" mal etwas auf "Jazz aus dem Ostblock". Allen, die mal einen Blick (ein Ohr) hinter den eisernen Vorhang riskieren wollen, sei z. B. der im Handel noch erhältliche Sampler "Go Right - Jazz from Poland 1965 - 1973" (u. a. mit dem im Quote genannten Zbigniew Namyslowskie) wärmstens empfohlen.

Gruß

Satie
ugoria
Hat sich gelöscht
#7 erstellt: 12. Mai 2005, 20:23
Hi Micha,

Danke für die tollen Infos.

Von Conrad Bauer habe ich die folgende Geschichte bei Amazon gefunden: Bauer Bauer (Conrad Bauer und Johannes Bauer).
Das Label ist Intakt und das Erscheinungsdatum ist der 2. April 1998.
Kann es sein, dass das der gleiche Conrad Bauer ist?

Werde mir die CD mal bestellen und darüber berichten.

Interessant finde ich folgende Passage aus dem Vorwort des Buches "Jazz im Gespräch":
"Die Jazz-Szene der DDR zeigt seit Jahren eine beachtliche Entwicklung."
Dies wurde 1978 geschrieben.
Was war also beispielsweise um die 50 rum oder in den 60er-Jahren in punkto Jazz in der DDR los?

Weiter geht es:
"Musiker und Gruppen haben sich deutlich profiliert, die Möglichkeiten der Jazz-Verbreitung wurden erweitert, und die Zahl der Jazz-Interessierten ist deutlich gestiegen."
Sind hier die vermehrten Plattenaufnahmen und die höhere "Rundfunkdichte" gemeint?

Und dann heisst es noch:
"Der zeitgenössische Jazz hat sich einen festen Platz im Musikleben der DDR erobert, er ist im 'Gespräch' und erfährt zunehmend internationale Wertschätzung."
Dieser qualitativen Steigerung in jenen 70er-Jahren muss ja was vorausgegangen sein. Nur was ist da passiert oder was hat den "Boom" ausgelöst?

Spannendes Thema will ich meinen und da werde ich mich auch mal auf die Platten von Amiga, FMP oder beispielsweise auch Nova stürzen und mal hören, was es da sonst noch gibt.

Swingende Grüße
Andi
Micha_L
Stammgast
#8 erstellt: 12. Mai 2005, 22:16
Hallo Andi + Satie,

Die beiden Bauers sind Brüder und sie spielen beide Posaune. Der Johannes ist ca. 1 Jahrzehnt jünger.

Zum DDR-Jazz vor 1980 kann ich leider nichts sagen, da ich vorher nur "Konserve" gehört habe und zwar "Westplatten", z. T. als Tonbandaufnahme.

Tatsächlich spielte der polnische Jazz eine große Rolle. Bei uns gab es ein "Polnisches Informationszentrum", sprich Kulturzentrum, wo man interessante Platten bekam, z. B. von "SBB" (Search, Break und Build) und Niemen. Aber das gehört nicht direkt zum Thema.

Die vermehrte Jazzverbreitung in der DDR fand m. E. vor allem live statt, d. h. es gab immer mehr Konzerte. Der Jazzclub Leipzig erhielt viel Zulauf.
Auch ich bin damals nach einigen Jahren Abstinenz (von der unangepaßten Musikszene) da eingetreten.
Vorher war ich einer der DDR-Blues-"Kunden". Nach einer "bürgerlichen" Phase hab ich wieder etwas Alternatives gebraucht. Das bot mir der Jazz. Sicherlich hatten viele ähnliche Beweggründe, d. h. sie wollten dem piefigen Alltag entkommen.

Gruß

Micha

P.S.:
Apropos "Blueskunden". Die DDR-Bluesszene ist ja ein verwandtes Thema. Da gibts jetzt ein Buch:


http://www.schwarzko...ebyeluebbencity.html

http://www.mdr.de/th...ergrund-1571855.html


[Beitrag von Micha_L am 12. Mai 2005, 22:22 bearbeitet]
ugoria
Hat sich gelöscht
#9 erstellt: 12. Mai 2005, 22:29
@Micha

lieben Dank für Deine sehr interessanten Ausführungen und ich bin sehr gespannt, wohin mich dieses bis dato vernachlässigte Gebiet noch führen wird.
Weiteres wird dann immer in diesem Thread geposted und ich hoffe, dass Du ab und an mitliest.

Die Kommentare eines Zeitzeugen sind sowieso immer eine ideale Ergänzung zum Geschriebenen und da freue ich mich auf Deine Kommentare. Die Blues-Geschichte ist mir allerdings auch neu, aber leider nicht ganz mein Ding.

Swingende Grüße
Andi
ugoria
Hat sich gelöscht
#10 erstellt: 12. Mai 2005, 22:31
Soeben ergoogelt:
http://www.thur.de/jip/dj/

Leider nicht mehr gepflegt, aber eine kleine Übersicht für den Anfang. Werde die mir mal am Wochenende in Word überführen und versuchen, ein Zeitschema zu entwerfen.

Swingende Grüße
Andi
Bassig
Stammgast
#11 erstellt: 17. Mai 2005, 17:22

ugoria schrieb:
Wie meine bisherigen Recherchen ergeben haben, hatte die DDR eine eigene, sehr dynamische Jazz-Kultur, die wohl einen schwierigen Anfang hatte.

Das kann man so sehen. Ich müßte meine Eltern noch mal fragen, aber meines Wissens war Jazz bis in die 60er Jahre hinein stark verpöhnt und wurde sogar offiziell als Negermusik bezeichnet. Fast völlig unglaublich, aber das war so.

Es gab Interviews mit Conrad Bauer, Günther Fischer, Hans-Joachim Graswurm, Ulrich Gumpert, Manfred Hering, Hubert Katzenbeier, Hermann Keller, Klaus Koch, Ernst-Ludwig Petrowsky, Friedhelm Schönfeld, Manfred Schulze und Günter Sommer.

Günter Fischer mit seiner Big Band könnte man als den Kenny Clark-Francy Boland der DDR bezeichnen. Auch Filmmusiken hat er komponiert. Zu Günter Sommer erzählen meine Eltern heute noch gerne eine Anekdote, die ich noch zum besten geben muß.

Neben den erwähnten Clubaktivitäten, gab es in den 70ern recht bekannte Festivals in Peitz. Ein mehrtägiges Open Air. Meine Eltern waren da mehrmals gewesen. Bei einem der Veranstaltungen kam Günter Sommer (es war vormittag) in schon ziemlich stark angetrunkenen Zustand fast auf allen vieren auf die Bühne und nahm erstmal das Bettlaken von seinem Schlagzeug herunter. Dann ging er erstmal ein paar mal um das Ding drumherum, dann mal hier ein bißchen draufgetupft und dann hier, und dann zum Schluß noch ein paar Mal auf die verschiedenen Kuhglocken gehauen. Das wars dann. Muß wohl wie Satire ausgesehen haben, nur das es echt war.


Auffallend ist die unterschiedliche Verwendung von Begriffen gegenüber dem Westen: Electric Jazz, Rock-Jazz, Oldtime-Jazz, Modern-Jazz und Tanzmusik haben offenbar in der DDR einen anderen Hintergrund.

Also das ist mir nicht so bewußt. Unter Oldtime-Jazz versteht doch eigentlich jeder Dixieland, oder etwa nicht? Modern ist alles was danach kam, also Bebop usw. Dieser Begriff war in der Tat nicht üblich.
Micha_L
Stammgast
#12 erstellt: 17. Mai 2005, 19:32
Das Wort "Neger" war in der DDR zu recht als rassistisch verpönt.
Man hat in den 60-ern eher versucht Jazz ideologisch zu vereinnahmen.
Louis Armstrong z. B. war als Vertreter einer unterdrückten US-Minderheit gefeierter Gast.
Natürlich hat sich der Jazz samt seiner DDR-Vertreter nicht vereinnahmen lassen. Daher die Schwierigkeiten.

zu G.Sommer:
Den hab ich nur als Könner erlebt, allerdings avantgardistisch, was Traditionalisten auch wie geschildert auslegen können.

Gruß

Micha L


[Beitrag von Micha_L am 17. Mai 2005, 19:34 bearbeitet]
ugoria
Hat sich gelöscht
#13 erstellt: 20. Mai 2005, 09:52
Hi,

schöne Beiträge sind hier zu lesen und das Thema "Jazz und DDR" scheint mir ein spannendes zu sein.

@bassig

Also das ist mir nicht so bewußt. Unter Oldtime-Jazz versteht doch eigentlich jeder Dixieland, oder etwa nicht? Modern ist alles was danach kam, also Bebop usw. Dieser Begriff war in der Tat nicht üblich.

Doch, es scheint da Unterschiede zu geben. Im besagten Buch "Jazz im Gespräch" wird von E-Musik gesprochen. Hier ist "Ernste"-Musik mit gemeint.
Gleichzeitig ist ein E-Piano ein "elektrisches Piano".
Ich finde schon, dass hier einige Begriffe anders liegen.
So eben in dem wunderbaren Gespräch mit Hermann Keller. Selten so viel Kompetentes gelesen und seine Ausführungen zu den Themen "Improvisation" und "Jazz vs. Klassik" sind erstklassig.

Swingende Grüße
Andi
Bassig
Stammgast
#14 erstellt: 20. Mai 2005, 10:58

ugoria schrieb:
Was war also beispielsweise um die 50 rum oder in den 60er-Jahren in punkto Jazz in der DDR los?

Hallo Andi,

habe mich gerade noch mal mit meinen Eltern zum Thema Jazz in der DDR unterhalten.

Jazz war in der DDR in den 50ern quasi nicht existent und war - wie ich bereits schrieb - offiziell verpöhnt, unter dem Aspekt "Musik aus dem Kapitalismus". Karl May war ja auch offiziell als "Schund und Schmutz" verpöhnt, bis man ihn als gebürtig in Radebeul entdeckte. Jazz war in den 50ern eher eine Untergrundbewegung in der DDR.
Das erste Jazzkonzert in Magdeburg (vom Kulturbund) veranstaltet) fand im Jahre 1962 statt. Es war ein Klub-Auftritt mit Mitgliedern des Werner Phüller Quintett s in einer Triobesetzung aus. Später fanden dann monatlich Jazzkonzerte in Magdeburg statt. Das erste größere Konzert in Magdeburg war mit Günter Hörig. 1963 (?) war bereits Albert Mangelsdorff in Magdeburg und 1964 Louis Armstrong.
Soweit erstmal.

Schöne Grüße

Bassig
Bassig
Stammgast
#15 erstellt: 20. Mai 2005, 11:05

ugoria schrieb:
Doch, es scheint da Unterschiede zu geben. Im besagten Buch "Jazz im Gespräch" wird von E-Musik gesprochen. Hier ist "Ernste"-Musik mit gemeint.

Hi Andi,

die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik ist kein DDR-Spezifikum. Eher war man sich über die Einordnung des Jazz in eine der beiden Kategorien nicht einig und das auf beiden Seiten der Grenze. Schon die Zeitschrift "Funktechnik" aus dem Hüthig-Verlag (konnte man in der DDR abonieren) war sich seinerzeit in ihren Plattenkritiken nicht einig, wo sie denn nun ihre Jazzplatten einordnen soll. Am eklatantesten war das aus meiner Erinnerung heraus damals bei den Jacques Loussier Platten.

Schöne Grüße

Bassig
Bassig
Stammgast
#16 erstellt: 20. Mai 2005, 11:25

Bassig schrieb:
Ich müßte meine Eltern noch mal fragen, aber meines Wissens war Jazz bis in die 60er Jahre hinein stark verpöhnt und wurde sogar offiziell als Negermusik bezeichnet. Fast völlig unglaublich, aber das war so.

Hallo Andi,

habe das nochmal recherchiert. Das mit der Negermusik war wohl etwas übertrieben formuliert. Jazz war viel mehr im offiziellen Sprachgebrauch nicht existent, war doch schon das Wort von Herkunft her "kapitalistisch". Somit war diese Musik also auch nicht existent. Hans Joachim Drechsel (der Joachim-Ernst Berendt der DDR) sprach in einem Kommentar in den 60ern einmal davon, daß Jazz (bis Ende der 50er) in der DDR nicht angesehen war, weil es als dekadente Musik eingestuft wurde. Noch dazu, kam er aus Amerika ...
Erst als - wie Micha_L schrieb - erkannt wurde, daß Jazz ja eine Musik der unterdrückten schwarzen US-Minderheit war, wurde Jazz als Musik in der DDR offiziell gut geheißen, wenn man das so sagen will.

Günter Fischer mit seiner Big Band könnte man als den Kenny Clark-Francy Boland der DDR bezeichnen.

Wenn ich es mir recht überlege, war eigentlich eher die Klaus Lenz Big Band der Kenny Clark-Francy Boland der DDR ... Der Name fiel sogar noch gar nicht in diesem Thread.

Schöne Grüße

Bassig
ugoria
Hat sich gelöscht
#17 erstellt: 20. Mai 2005, 11:29
Hi Bassig und natürlich auch alle Mitlesende,

lieben Dank für die sehr ausführlichen Informationen, die mir bei meiner Recherche sehr weiterhelfen.
Bekomme hoffentlich bald einen guten Kontakt zu einem Plattenbesitzer, der mir die bisher gekauften Amiga-Platten überspielt. Dann kann ich endlich auch mal was zu den Inhalten sagen.

Das bisher gesagte wird zu einem späteren Zeitpunkt von mir zusammengefasst und zusammen mit den Plattenbesprechungen mache ich dann ein PDF-File, was sich dann jeder runterladen kann.

Ich denke, dass wird eine ganz schöne Geschichte.

Swingende Grüße
Andi
ugoria
Hat sich gelöscht
#18 erstellt: 20. Mai 2005, 11:39
Ah und soeben ein weiteres Buch in die Bestellung gegeben:
"Darmstädter Jazzforum 89 (Jost, HG.)"
Dort gibt es einen Beitrag "Günter Sommer: Die Jazzszene in der DDR".
Ist sicherlich auch interessant und wird einiges neues in die Diskussion bringen.

Werde nach Erhalt darüber berichten.

Swingende Grüße
Andi
ugoria
Hat sich gelöscht
#19 erstellt: 25. Mai 2005, 13:00
So, eben kam per Post die wiederaufgelegte CD "Jazz-Lyrik-Prosa".
Zum Inhalt komme ich dann noch, nachdem ich sie gehört habe.

Interessant sind die Ausführungen von Werner Sellhorn, der 1963 diese Veranstaltungsreihe mit Manfred Krug und der Amateur-Dixielandband "Jazz Optimisten Berlin" ins Leben rief.
Er schreibt:
"Ich hatte nämlich dabei nicht nur ignoriert, dass mir 1962 das Kultusministerium der DDR jegliche öffentliche Beschäftigung mit dem Jazz streng untersagt hatte (der damals bei vielen Kulturdogmatikern immer noch als Prototyp "amerikanischer Unkultur" galt)[...]."

Interessant dabei, dass nun ein Zeitraum 1963-1965 schon mal definiert ist, während dessen "Jazz" bei den Staatsorganen nicht so angesagt ist und dass man es tatsächlich fertig gebracht hat, jemanden zu verbieten, sich öffentlich mit Jazz zu beschäftigen.

Starkes Stück.

Weiteres Folgt.

Swingende Grüße
Andi
Torquato
Stammgast
#20 erstellt: 25. Mai 2005, 17:03
Wer befürchtet, dass es sich bei "Jazz-Lyrik-Prosa" um das handelt, was man im Westen "Jazz & Lyrik" nannte - nämlich Texte gelesen ZUM Jazz, irrt sich: "Jazz-Lyrik-Prosa" ist ein Nacheinander, kein Nebeneinander - es werden Texte ohne Musik gelesen und es wird gejazzt, ohne dass Texte gelesen werden. Mancher Jazz- und ebenso mancher Literaturfreund hats ja auch lieber so.

Durch den Vorzug der Platte eine Live-Aufnahme zu sein, lässt sich die Atmosphäre dieser Veranstaltungen durch sie sehr gut nachvollziehen - musikalisch reißt mich das ganze allerdings nicht sehr vom Hocker; bin zwar kein Jazz-perte, aber die Live-Platte "Manfred Krug und die Modern Jazz Big Band 65" (Amiga 850 057), die im selben Jahr aufgenommen worden ist, scheint mir doch um Klassen besser. Vielleicht eine Empfehlung für Dich?
Alles in allem glaube ich, dass die Live-Aufnahmen auf "Lyrik-Jazz-Prosa", zumindest was das Musikalische angeht, mehr historisch-dokumentarischem Wert sind - allerdings als Dokumentation der Veranstaltungsreihe "Lyrik-Jazz-Prosa" von ziemlich hohem ;-)

Ein sprecherisches Juwel auf der Scheibe ist der von Krug rezitierte Text "Die Kuh im Propeller" von Sostschenko, der durch diese Platte so bekannt wurde, dass ihn selbst heute noch viele ehemalige Bürger der DDR auf Anfrage auswendig rezitieren können. Aber darüber vielleicht mal etwas im Wort-Bereich ?

Gruß,
Torquato


[Beitrag von Torquato am 25. Mai 2005, 17:10 bearbeitet]
Micha_L
Stammgast
#21 erstellt: 11. Jun 2005, 12:47
Da gibts jetzt ne CD:

http://www.jpc.de/jpcng/jazz/detail/-/hnum/5799224

Gruß

Micha L
ugoria
Hat sich gelöscht
#22 erstellt: 14. Jun 2005, 21:45
@Micha_L
Danke für den schönen Link. Die CD habe ich mal bestellt, wenngleich einige Stücke doch arg weit in den Chanson-Bereich abdriften.
Werde mal in der kommende Woche das angelaufene Material sichten.

Swingende Grüße
Andi
Torquato
Stammgast
#23 erstellt: 18. Jun 2005, 20:04
Ja, danke auch für das Gespräch. Dann weiß ich ja Bescheid. Damit ist die Sache dann für mich auch erledigt.
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