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Joshua Bells U-Bahn-Experiment

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Zerebralzebra
Hat sich gelöscht
#51 erstellt: 17. Apr 2007, 17:06
Hallo allerseits,
zugeben muss ich, dass ich diesen thread nicht so gründlich gelesen habe, weil die Beiträge mitunter persönlich angreifen. Vielleicht ist es ja dann auch gar nicht so klug von mir, dass ich mich daran beteilige. Aber das Verhältnis zwischen ästhetischem Erleben und Zwängen des Alltags, zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen liegt mir schon sehr am Herzen.

JohnD schrieb:
Warum zum Beispiel habe ich hier nie gelesen: "Ich hatte schon öfter mal den Drang stehenzubleiben und zuzuhören, auch wenn sich keiner dafür zu interessieren scheint. Leider habe ich mich nicht getraut, weil ich Angst hatte zu spät zur Arbeit zu kommen." Das würde zumindest eine Wertschätzung ernsthafter Straßenmusik ausdrücken. Stattdessen wird sich dann ganz schnell beeilt, die Kritik misszuverstehen (Bell erkennen etc...)

Aber wie gesagt - es ging wie es scheint mehr um die möglichst bequeme Verteidigung der eigenen Feigheit, der Unfähigkeit es sich mal gut gehen zu lassen und den Moment zu genießen. Stattdessen wird dann geackert unter immer groteskeren Bedigungenen - aber Hauptsache immer beschäftigt und wichtig wirken, man arbeitet ja, gönnt sich nichts, uuuh ooh aaah, das ist so gut und dann kann ja auch der Nachbar nicht mehr lästern von wegen "die lassen es sich gutgehen und wir müssen malochen".
Woher diese Absurdität kommt wird doch selten hinterfragt. Und wenn es mal jemand anspricht, wird man bespuckt.

Dem stimme ich im Allgemeinen zu. Ich höre sogar gerne mal schlechten U-Bahn-Aufführungen schmalziger Walzermelodieen zu, gebe aber generell nur sehr selten Geld (mein Budget). Ich glaube auch, dass man nur allzuoft von Forderungen der Gesellschaft davon abgehalten wird, wirklich zu genießen. Und gerade für komplexere Genüsse wie das Hören klassischer Musik braucht es Muße - also Zeit und Entspannung. Es ist doch kein Zufall, dass die Freunde der klassischen Musik nicht am unteren Ende der sozialen Leiter am zahlreichsten sind. Und selbst diejenigen, die nicht so schlecht verdienen, sind zwar materiell gut ausgestattet, haben aber immer weniger Zeit und Ruhe (was ich angesichts der beständigen hohen Arbeitslosigkeit als absurd bezeichne). Da ist es wohl oft nur ein schlechter Ersatz für die Möglichkeit wirklichen Genusses, wenn man sich 30 oder mehr Aufnahmen ein und desselben Werkes leistet oder - gewissermaßen ehrlicher - gleich weniger komplexer Musik zuwendet.

Die Anforderungen des kapitalistischen Alltags, die einen an einem angenehmen Leben hindern, muss man nicht alle als gott- oder naturgegeben hinnehmen, denn die Gesellschaft wird ja von Menschen veranstaltet. Und die, so würde ich mal behaupten, können sich planvoll überlegen, wie die Arbeitsteilung den Bedürfnissen des Einzelnen am besten entspräche. Meine These, dass solche Überlegungen im Kapitalismus allerdings prinzipiell nicht möglich sind, müsste man dann in einem politischen Forum diskutieren.

Im Übrigen meine ich, dass wir zur Zeit nicht in einem Faschismus leben. Aber dass es immer auch noch schlimmer sein könnte, ist kein Argument den Kapitalismus gut zu finden.

Viele Grüße
Tommy_Angel
Inventar
#52 erstellt: 17. Apr 2007, 17:32
Nun, ja,

jetzt ich nochmal:

Ich gebe Denen Recht, die sagen, Zeitmangel ist falsches Selbstmanagement. Auch in anstrengender Position liegt es immer noch an Einem selbst, wofür man sich Zeit nimmt. Ich hab auch nit immer Handy an, weil ich eine gute Vertretung habe. Ich bin nit unersetzlich!

Zurück zum Ausgangspunkt: wenn man wirklich interessiert ist, dann nimmt man sich auch die Zeit (von wenigen Ausnahmen/Notfällen abgesehen).

Vor Tagen war hier in Frankfurt ein englisches Trio mit Rockmusik am Werken, open air. Die hatten eine elektrische Gitarre und ein Mikrofon über einen kleinen Batterieverstärker laufen, der Schlagzeuger hatte eine Trommel, den Rest hat er auf einem Eimer und einer Mülltonne gespielt - halt, ein Becken hatte er noch. Der Sänger hat noch übers Mikro Mundharmonika gespielt.

Menschenauflauf, es hat richtig gerockt, und Spenden flossen auch.

Nur ma zum Thema Zeit, man nimmt sie sich, für das, was Einem wichtig ist.

Anschließend bin ich einen Wein auf dem Markt trinken gegangen.
Zerebralzebra
Hat sich gelöscht
#53 erstellt: 27. Apr 2007, 11:52
Hallo Tommy_Angel,

Tommy_Angel schrieb:
Nur ma zum Thema Zeit, man nimmt sie sich, für das, was Einem wichtig ist.

Da ist sicher was dran. Andererseits ist es ja nicht so, dass jeder Mensch über dasselbe Zeitbudget verfügt. In früheren Zeiten konnten z. B. Ärzte ausgezeichnete Violinisten sein. Und hat der Chirurg Theodor Billroth nicht sogar Brahms' erstes Streichquartett Korrektur gelesen?
Dass es so etwas heute nicht mehr gibt, hat nicht bloß mit gewandeltem Musikgeschmack zu tun. und es genügt ja nicht, sich die Zeit zu nehmen, in einem Konzert physisch anwesend zu sein, um Musik zu genießen.

Viele Grüße
JohnD
Stammgast
#54 erstellt: 27. Apr 2007, 19:35
Schon mal was vom Deutschen Ärzteorchester gehört? Anscheinend haben die immer noch Zeit...
Zerebralzebra
Hat sich gelöscht
#55 erstellt: 27. Apr 2007, 20:01

JohnD schrieb:
Schon mal was vom Deutschen Ärzteorchester gehört? Anscheinend haben die immer noch Zeit...

Nein, wahrscheinlich, weil die keine so herausragenden Musiker sind.
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