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Joshua Bells U-Bahn-Experiment

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Autor
Beitrag
Miles
Inventar
#1 erstellt: 08. Apr 2007, 20:09
Joshua Bell, einer der besten US-Geiger zur Zeit (aber trotzdem recht unbekannt) spielt Bach in der Washingtoner U-Bahn um die Publikumsreaktion zu testen:


http://www.washingto...21.html?hpid=topnews
JohnD
Stammgast
#2 erstellt: 09. Apr 2007, 12:13
Ein Armutszeugnis.

Sehr traurig. Und ich befürchte, dass das Experiment in Hamburg U-Mönckebergstr. nicht anders aussehen würde.

32$ im Hut wäre da wahrscheinlich noch viel.
Miles
Inventar
#3 erstellt: 09. Apr 2007, 19:02
Als Armutszeugnis empfinde ich das nicht wirklich. Wer hat schon Zeit um 8 Uhr morgens auf dem Weg zur Arbeit stehen zu bleiben um einem Strassenmusiker zuzuhören (egal wie gut er ist)?

In einer Fussgängerzone zur Mittagszeit wäre er bestimmt erfolgreicher gewesen.
JohnD
Stammgast
#4 erstellt: 09. Apr 2007, 19:20
Natürlich ist es ein Armutszeugnis... hast Du den Artikel mal ganz gelesen?
Und außerdem, 8 Uhr morgens hin oder her, wie armselig ist eine Welt, in der man nicht einmal 5 Minuten stehenbleiben kann.
enkidu2
Inventar
#5 erstellt: 10. Apr 2007, 01:28
Danke Miles für den Link. Netter Artikel. Aber eine andere Reaktion als die hier demonstrierte hätte mich ehrlich gesagt überrascht.

Armutszeugnis? Sehe ich nicht so, auch nach Lesen des Artikels nicht. Vielleicht erläuterst Du das mal ausführlicher JohnD.

Ich wäre jedenfalls wahrscheinlich auch nicht stehen geblieben.
JohnD
Stammgast
#6 erstellt: 10. Apr 2007, 13:27
Sowas erläutere ich nicht. Wenn Ihr schon so von der kapitalfaschistischen Leistungsgesellschaft gehirngewaschen seid, dass Ihr solche Achtlosigkeit nicht mehr als Armutszeugnis empfindet, ist Euch sowieso nicht mehr zu helfen.
Miles
Inventar
#7 erstellt: 10. Apr 2007, 14:45
Wenn ich wieder mal 10 Minuten zu spät ins Büro komme, und als Entschuldigung angebe, ich hätte Anne-Sophie Mutter in der U-Bahn zuhören müssen um die Gesellschaft vor dem Verfall in die Achtlosigkeit zu retten, glaubst du mein Chef nimmt mir das ab?
Kings.Singer
Inventar
#8 erstellt: 10. Apr 2007, 15:47
Wer verübelt es einem schon, wenn man morgens auf dem Weg zur Arbeit einen Straßenmusikanten ignoriert?

Erstens bekommt man meißtens sowieso Schrott zu Gehör. Die einzige Großstadt, in der es sich vielleicht einmal lohnt, Musikern in der U-Bahn genauer zuzuhören, ist Paris. Die haben nämlich dort inzwischen Standards festgelegt, die die Musiker erfüllen müssen, um in der Metro musizieren zu dürfen.

Zweitens kenne ich es von mir, wenn ich morgens auf dem Weg zur Arbeit bin. Da läuft vielleicht mal BR4 im Radio, doch meißtens weiß ich - am Arbeitsplatz angekommen - nicht mehr, was ich vor nicht einmal fünf Minuten gehört habe.
Wir haben ja schließlich schon alle, nicht erst durch den Thread "Eure Hörgewohnheiten" oder so, festgestellt, dass es zum Hören von klassischer Musik einige Konzentration braucht. Wer kann diese im Halbschlaf morgens in einer U-Bahn-Station schon aufbringen?

Drittens vernachlässigst du, JohnD, dass es sich bei John Bell in der U-Bahn-Station um eine absolute Ausnahme handelt. Nicht jeder Straßenmusiker ist John Bell und hat das Geld verdient... Hoppla, ich bin wieder bei Punkt eins.


Sei's drum. Alltag ist Alltag. Und genauso wie hier diesem unseren Alltag provokant ein Armutszeugnis ausgestellt wird, unterstelle ich den Unterzeichnern dieses Zeugnisses genauso provokant einen unverbesserlichen und hoffnungslosen Drang diese Welt verändern zu wollen und damit gegen Windmühlen anzukämpfen.
Erst die Pflicht, dann die Kür. So ist nun einmal das Leben. Anders herum wäre es auch viel schlimmer.


Grüße,
Alex.


[Beitrag von Kings.Singer am 10. Apr 2007, 15:49 bearbeitet]
JohnD
Stammgast
#9 erstellt: 10. Apr 2007, 17:36
Maaaaaaannn Kingssinger,

es geht doch um Joshua Bell und nicht um irgendeinen Zigeunergeiger!

Und wenn Du aufgegeben hast und Dich dem Alltag beugst, dann kannst Du Dich gleich einsargen lassen.

Es sind Leute wie Du, wegen denen die Welt verbesserungswürdig ist.
TomSawyer
Stammgast
#10 erstellt: 10. Apr 2007, 18:33
Hallo,

Aber trotzdem von den Früchten der Wohlstandsgesellschaft naschen.

Diese Gesellschaft, von der wir alle hier (ohne Ausnahme) profitieren, funktioniert eben so, und sie hat auch ihre egativen Seiten.

Soll ich jetzt auf die Knie fallen, weil Joshua Bell sich mal in eine U-Bahn Passage stellt und spielt? Geht die Welt unter, weil ihn nicht jeder kennt bzw. nicht jeder erkennt, wie gut er spielt?

Für mich ist es ok, dass sich nicht alle Leute gleichermaßen für die selben Dinge interessieren wie ich, sondern für anderes.

z.B. Computer und Internet. Ohne die könnte keiner von uns hier Beiträge schreiben.
Ich kenne keinen Computer-Freak oder Programmierer, der auf dem Weg zur Arbeit bieinem Musiker stehen bleiben würde. Die sind in ihren eigenen Welten unterwegs

Der romantisch-kritischen Ablehnung unserer Gesellschaft sollten wir alle mit der Pubertät schon entwachsen sein.
Jedem, dem die Gesellschaft nicht passt (inder es uns nicht gerade schlecht geht), ist es freigestellt, ein one-way-Ticket irgendwohin zu nehmen und in einer anderen Gesellschaft zu leben.
Es sei nur angemerkt, dass in jeder Gesellschaft ein Leistungsdruck auf dem einen oder anderen Gebiet herrscht, also sollte sich da keiner täuschen lassen.


LG

Babak
Kings.Singer
Inventar
#11 erstellt: 10. Apr 2007, 18:34
Ja eben. Herr Bell ist nun einmal eine Ausnahme. Wenn auf einmal lauter (inter)nationale Größen in den U-Bahnhöfen der Welt beheimatet wären, würden die Leute auch sensibler reagieren.
Nur wenn gestern der untalentierte Musiker Y aus Geldnot und vorgestern ein ähnlicher Musiker X an der gleichen Stelle gestanden hätte, hätte auch ich vermutet, dass es sich just an jenem Tag um einen weiteren bedeutungslosen Musiker Z und nicht um Johsua Bell gehandelt hätte. Da erwische ich doch lieber die richtige U-Bahn anstatt meine Zeit erneut zu vertun.


Wegen Leuten wie mir ist die Welt verbesserungswürdig? Sicher ist die Maßnahme den Straßenmusikanten mehr Aufmerksamkeit zu schenken eine der letzten, die ergriffen werden müssen.
Um den Menschen die (klassische) Musik wieder zum Hobby werden zu lassen und ihr so wieder einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft zu geben, gibt es andere und effektivere Maßnahmen, dann erledigt sich das Problem der Bettelei durch Musik sowieso von ganz alleine.


[Beitrag von Kings.Singer am 10. Apr 2007, 19:59 bearbeitet]
enkidu2
Inventar
#12 erstellt: 10. Apr 2007, 19:46
Maaaaaaaaaaann JohnD,

Du hast wieder mal nix verstanden. Es geht hier doch nicht um Joshua Bell. JB wurde doch nur genommen, um sicherzustellen, dass es sich hierbei um erstklassige Interpretationen handelt. Und weil so eine Schlagzeile draus wird. Dieselbe Geschichte mit einem unbekannten, aber gleichfalls guten Musiker wäre doch total witzlos.

Und übrigens, was soll jetzt diese nazistische Abstempelung der übrigen Straßenmusikanten als Zigeunergeiger?

@Kings.Singer: Penner finde ich übrigend genauso unpassend, auch wenn ich verstehe, was Du sagen möchtest.
Kings.Singer
Inventar
#13 erstellt: 10. Apr 2007, 19:55

enkidu2 schrieb:
@Kings.Singer: Penner finde ich übrigend genauso unpassend, auch wenn ich verstehe, was Du sagen möchtest.


Ich weiß, dass Penner nicht gerade passend ist. Die Übertreibung war aber durchaus bewusst, um das Beispiel zu verdeutlichen.

Selbstverständlich ist nicht jeder Musiker auf der Straße gleich ein "Penner". Im Gegenteil! (<-- siehe mein Beispiel von Paris).
Als wir zuletzt in Strasbourg mit dem Chor unterwegs waren und uns zwischenzeitlich langweilig wurde, haben wir uns halt auf dem Weihnachtsmarkt aufgestellt und ein, zwei Stücke zum Besten gegeben, da wir in unserer recht großen Clique auch voll besetzt waren.
War toll! Geld haben wir zwar nicht bekommen, wollten wir aber auch nicht.
Glaube kaum, dass da jemand von 'den singenden Pennern' gesprochen hat.
JohnD
Stammgast
#14 erstellt: 10. Apr 2007, 22:39
War mir klar, dass jetzt die alte Leier kommt mit "wenn's Dir hier nicht passt, geh doch nach drüben" und "Kritik ist was für Pubertierende".
Die Wahrheit muss schon bekämpft werden, sonst wär sie irgendwie wohl nicht die Wahrheit.

Diese verlogene Diskussion hängt mir zum Hals raus, zumal es immer solche Leute sind, die noch so himmelschreiende Missstände verteidigen, die nachher wieder von nichts gewusst haben wollen.
Wes Brot ich ess, des' Lied ich sing. Und das im Zeitalter des Kapitalfaschismus sogar ganz freiwillig.
Man profitiert ja davon, so schlecht kann das System ja nicht sein.
Vielleicht sollte ich nochmal über das Dritte Reich nachdenken. Da ging es der Mehrheit bis mindestens 39 auch prima. So schlecht kann das System nicht gewesen sein.

Aber ich erwarte ehrlich gesagt nicht, dass Ihr das versteht. Da sind psychologische Mechanismen vor.
Kings.Singer
Inventar
#15 erstellt: 10. Apr 2007, 22:44
Findest du das jetzt nicht ein bisschen weit her geholt? "Wir" findes es doch nur normal, dass niemand John Bell erkannt hat...
TomSawyer
Stammgast
#16 erstellt: 10. Apr 2007, 22:57
Hi

JohnD schrieb:
Da sind psychologische Mechanismen vor.


Ich glaube gerne, dass da psychologische Mechanismen mit im Spiel sind.

Ich denke, ein weiterer Kommentar ist überflüssig und bringt keinen Zuatznutzen für diesen Thread, in dem es um Musik geht und nciht um Sozialkritik.

LG

Babak

P.S.: Und ich füttere wirklich keine Trolle mehr.


[Beitrag von TomSawyer am 10. Apr 2007, 22:57 bearbeitet]
enkidu2
Inventar
#17 erstellt: 10. Apr 2007, 23:11
@Kings.Singer: Joshua Bell bitte, nicht John Bell. Den kennt dann vielleicht wirklich niemand.

@TomSawyer: Ja, dem Fütterungsembargo werde ich mich für heute mal anschließen. Hat aber trotzdem Spaß gemacht.
JohnD
Stammgast
#18 erstellt: 11. Apr 2007, 01:31
Na da haben sich die Bildungsbürger wieder fein rausgeredet.

"Selbst ein Joshua Bell kann mich nicht dazu bringen, dass ich meinen Platz im kapitalfaschistischen Räderwerk im Stich lasse."

"Es geht um Musik, nicht um Sozialkritik."

Ich wage sogar noch einen Schritt mehr:

Euch geht es weder um Musik, noch um Sozialkritik.
TomSawyer
Stammgast
#19 erstellt: 11. Apr 2007, 07:35
Ich füttere trotzdem keine Trolle.
JohnD
Stammgast
#20 erstellt: 11. Apr 2007, 08:05
Natürlich.

Fehlen die Argumente, wird die Person selbst diskreditiert.

Ein durchschaubarer, üblicher Vorgang. Der wissende Leser wird sich mit Genugtuung daran weiden.
JohnD
Stammgast
#21 erstellt: 11. Apr 2007, 08:11
Und noch als Bonobo äh Bonbon ein schönes Zitat:

"Mein Kunstverständnis hat als Basis, dass man (und auch die Gesellschaft) sich mit Kunst auseinandersetzen muss.
Dass es weniger anspruchsvolle Musik und Kunst gibt, die in unserer Gesellschaft sehr beliebt ist, sagt mehr über die Gesellschaft und ihre Werte aus, als über diese Kunst."

Von wem das wohl stammt?
Reiner_Klang
Stammgast
#22 erstellt: 11. Apr 2007, 09:39
@JohnD:
Deine ständige Wiederholung des strutzedämlichen Terminus' "kapitalfaschistisch" zeigt mir als Leser, daß Du außer einer aggressiven ideologischen Einstellung inhaltlich nichts beitragen kannst oder willst. Meinst Du, jemand möchte sich mit Dir ernsthaft über Kultur- und Gesellschaftskritik unterhalten, wenn ihm nur platte Häuserkampfparolen entgegenschallen und diese noch in pawlowscher Reflexwiederholung?
Ich finde Deine Beiträge nur noch gähnlangweilig!
Gruß
Joachim49
Inventar
#23 erstellt: 11. Apr 2007, 11:27
Liebe Klassikfreunde,
so wirklich überrascht bin ich vom Resultat nicht. Natürlich ist's ein Armutszeugnis, - aber das wussten wir doch schon lange: klassiche Musik ist was für eine kleine Minderheit, und innerhalb dieser Minderheit sind wir auf diesem Forum, noch mal eine Minderheit, denn selbst unter den Leuten die Klassik hören, haben viele nur ein paar bestseller im Haus, wie die Jahreszeiten, Pavarotti, Bolero und Tschaikowsky Nr. 1 oder ähnliches. Bachs Chaconne, ein Schubert- oder Beethovenquartett, eine Mahler- oder Brucknersymphonie haben auch viele 'Klassikliebhaber' nie gehört. Dass die meisten einfach vorbeilaufen wenn Josuah Bell spielt, wen überrascht das wirklich. 99,9 Prozent der Menschheit in Amerika und Europa ist die Chaconne einfach scheissegal, ob sie vortrefflich gespielt wird oder nicht.

Natürlich war an dem Experiment etwas dumm; die morgendliche rushhour ist nun wirklich nicht der Zeitpunkt um die Empfänglichkeit für hochklassisches Violinspiel zu testen. Die Washington Post müsste am besten dassselbe Experiment wiederholen mit irgendwelchen Grössen aus der Popbranche (die Rolling Stones, oder etwas aktuelleres: würden mehr Leute stehen bleiben? 99 Prozent mehr? Würde mehr in die Kasse fliessen? 100 x mehr? Dann könnte man versuchen auseinander zu dividieren, ob es am schlechten Augenblick liegt oder am totalen Desinteresse.

Aber wie gesagt: überraschend ist das Resultat nicht. Ich komme häufig mit grösseren Gruppen Jugendlichen zusammen und rede oft mit ihnen über ihre musikalischen Vorlieben. Wenn unter 100 auch nur einer mal die Matthäuspassion oder eine Beethovensinfonie gehört hat sind's viele. Manche kennen vielleicht den Anfang von Strauss' Zarathustra, aber die meinen, dass das Stück 3 Minuten dauert.

Hat das was mit unserer Gesellschaft zu tun, wie unser Kapitalismuskritikzr meint? Zum Teil natürlich ja. Eine Gesellschaft die es normal findet die unerträgliche Volksmusikscheisse stunden- und jahrelang auszusenden, und die Kenntnis (bescheidener) klassischer Musik über die Kaffereklame, Helmut Lotti oder ahnliches vermittelt, braucht sich über die totale kulturelle Verblödung nicht zu wundern. Nur weiss ich nicht was das Resultat wäre wenn man die Menschen mehr zwingen würde Hochkultur zu 'konsumieren'.
Viele haben auf der Schule Goethe und Schiller gelesen - und seitdem nie mehr.

Ich glaube wir müssen uns einfach damit abfinden dass dem überwiegenden Teil der Menschheit klassische Musik wurscht ist (ich habe ein paar tausend Scheibchen aber meine Kinder haben sich - mit kleinen, zufälligen Ausnahmen - nie dafür interessiert. Am Angebot hat's nicht gefehlt.

Freundliche Grüsse
Joachim
TomSawyer
Stammgast
#24 erstellt: 11. Apr 2007, 11:32
Hallo JohnD.

schieß Dich doch bitte auf wen anderen ein, denn ich füttere noch immer keine Trolle

LG

Babak
Kings.Singer
Inventar
#25 erstellt: 11. Apr 2007, 15:29
Ich habe mir übrigens heute - der Zufall will's - eine CD von Joshua Bell gekauft, als ich mal wieder die Schnäppchen-Abteilung des Blödia-Markt durchforstet hab. (Dazu gleich noch die Schostakowitsch 10 unter Karajan - für je 3,99, wer suchet, der findet .)

Selbst wenn ich erkannt hätte, dass das John - ähhh - Joshua Bell ist: Ich wäre vielleicht stehen geblieben, Geld hätte er trotzdem keins gekriegt, er hat ja schließlich genug davon [mein Beitrag zum ach so verdammten Geldfluss im Kapitalismus].


Euch geht es weder um Musik, noch um Sozialkritik.


Auf dem Weg zur Arbeit in der Tat nicht.
enkidu2
Inventar
#26 erstellt: 11. Apr 2007, 18:09
Hallo Joachim,

ersteinmal vielen Dank für Deinen Beitrag. Bringt uns ja wenigstens mal wieder zum eigentlichen Thema zurück.

Aber ist das wirklich ein Armutszeugnis? Habe mir auf Deinen Beitrag den Artikel nochmal durchgelesen. Und mich dabei gefragt, wie hätte ich mich in der Situation verhalten. Und auch nochmal in die Chaconne aus BWV 1004 reingehört (Gidon Kremers Einspielung für ECM). Den Rest habe ich nicht auf CD.


1.) Faktor Joshua Bell

Joshua Bell hätte ich bestimmt nicht erkannt. Kenne zwar den Namen, würde ihn vielleicht auch auf einem der PR-Bilder wieder erkennen, aber in freier Natur, ungeschminkt und ungeschönt? Und selbst wenn ich geglaubt hätte, ihn zu erkennen, hätte mein Verstand dies wahrscheinlich als Irrtum abgestempelt, denn wie wahrscheinlich wäre es denn, dass Joshua Bell an einem solchen Ort musizieren würde? Hat der das überhaupt nötig? Dem unkonventionellen Nigel Kennedy würde ich das vielleicht schon eher zutrauen, aber Joshua Bell? Wie man sich doch täuschen kann :-)

Nur eine Frau, Stacy Furukawa, hat ihn wiedererkannt. Ein Mr. Picarello nicht: "Picarello knows classical music. He is a fan of Joshua Bell but didn't recognize him; he hadn't seen a recent photo, and besides, for most of the time Picarello was pretty far away." Aber ich glaube, der geringe Wiedererkennungswert von JB war beabsichtigt.

Und selbst wenn ich Joshua Bell ohne Zweifel erkannt hätte, hätte es mich auch nicht sonderlich interessiert. Habe keinen Bezug zu diesem Musiker. Wäre folglich weiter gegangen. Mit Gidon Kremer wäre es vielleicht etwas anderes, oder bei Viktoria Mullova, und erst recht bei Anne-Sophie Mutter. Da wäre ich geblieben.


2.) Faktor Violine

Ich finde, die Violine ist ein sehr strittiges Instrument, zumindest als Soloinstrument. Entweder mag man ihren Klang, oder nicht. Und wenn man den Klang der Violine nicht mag, dann spielt es auch keine Rolle, ob es sich bei der Violine um ein erstklassiges und wertvolles Instrument oder um eine simple Fidel handelt. Am Ende wird man nur diagnostizieren können, dass da jemand jämmerlich auf ein paar Seiten rumgekratzt und ein paar spitze Töne produziert hat. Ich übertreibe da jetzt mal ein bischen.

Ich gehöre jedenfalls zu jenen, die es persönlich mit der Solo-Violine nicht so haben. Wobei ich aber auch ergänzen möchte, dass ich z.B. Mezzosopranisten gegenüber Sopranisten stimmlich den Vorzug gebe. In meinem CD-Archiv finden sich deshalb auch nur wenige Stücke für Solo-Violine. Auch nur begrenzt Sonaten für Violine und Klavier, aber dann meist auch wegen dem Klavier, und nicht wegen der Violine. Stärker vertreten sind dann schon eher Violinkonzerte, aber dennoch in der Minderzahl gegenüber den Klavierkonzerten in meinem CD-Bestand. Wenn ich jetzt noch sage, dass ein wesentlicher Teil der Violinkonzerte von Vivaldi stammt, ist's wahrscheinlich schon wieder nichts rechtes.

Wenn ich jetzt sagen würde, bei Klaviermusik wäre ich geblieben, liese sich wahrscheinlich auch zurecht einwänden, dass ein Klavier an diesem Ort natürlich auch mehr Aufsehen erregen würde: kurzum schon ein Spektakulum für sich alleine wäre. Aber auch für Flötenklang würde ich wahrscheinlich eher verweilen als z.B für Trompete.

Und wenn jemand gesungen hätte? Das ist mir in U-Bahn-Unterführungen bzw. B-Ebenen nur zwar selten untergekommen, aber ein paar tolle Stimmen gab's doch zu hören. Und viele blieben damals stehen. Also D839 gesungen, und ich hätte mir das auch angehört. Aber auf Violine? Ich stelle mir jetzt gerade mal das Szenario mit Rolando Villazón oder Thomas Hampson vor: ja, da wäre ich geblieben.


Bzgl. Violine scheint mir ein weiterer, wesentlicher Punkt zu sein, dass die zwei, die von der Qualität dieser Interpretation in Bann genommen wurden, selber früher Violine gespielt hatten: John Picarello und Janice Olu. Der herkömmliche Musikkonsument ohne jegliche eigene Spielpraxis dürfte wohl schwerlich erahnen, was hier den Unterschied zur herkömmlichen Straßenmusik ausmachte.


3.) Faktor Repertoire

Das Repertoire:

... "Chaconne" from Johann Sebastian Bach's Partita No. 2 in D Minor. ...
... Franz Schubert's "Ave Maria," ... [von wem stammt eigentlich die Bearbeitung für Solo-Violine?]
... plays Manuel Ponce's sentimental "Estrellita," then a piece by Jules Massenet, and then begins a Bach gavotte, a joyful, frolicsome, lyrical dance. ...
... began his final piece, a reprise of "Chaconne." ...


Klingt nicht gerade nach Titeln aus den Klassik Top-Ten, vielleicht noch nicht einmal nach den Top 50 oder 100 der populärsten klassischen Melodien. Also kurz nach etwas, was uns automatisch jederzeit anspricht und gefällt. Und wofür wir uns vielleicht Zeit nehmen würden, der schönen Musik zu lauschen.

Gibt es eigentlich Werke für Solo-Violine, die unter die Top100 der populärsten Werke gezählt werden könnten? Ich weiß es nicht, aber ich würde mal vermuten, die Chancen stehen da eher schlecht. Und wenn dem so ist, worin läge dann die fehlende Popularität begründet? Ich meine da jetzt auch nicht irgendwelche Bearbeitungen, wie z.B. die eines Hummelflugs.

Mir ginge es jedenfalls so, dass mich von dem Angebot wahrscheinlich zu dieser Stunde und an diesem Ort nichts emotional ansprechen täte. Mit anderen Worten, das Repertoire wäre zumindest nicht geeignet, um mich an diesem Ort zum Verweilen einzuladen. Und wenn ich auch immerhin klassisch interessiert bin, dieses aber auch nur selektiv/punktuell und eben in dem Grad der Beschäftigung mit klassischer Musik nur auf passives Hören und Lesen entsprechender Background-Literatur begrenzt, dann ist meine Engagement bestenfalls durchschnittlich zu nennen. Es stellt sich also die Frage: ob die Tester beabsichtigten, den durchschnittlichen Klassikliebhaber zu erreichen, oder nicht. Man könnte ja fast den Verdacht haben, dass der Ausgang dieses Experiments bereits intendiert war. Das ist allerdings zu verneinen, den JB hatte die Auswahl ohne Absprache getroffen. Damit hatte er allerdings wohl auch die Kenntnisse des Experimentators, Gene Weingarten, überfordert: "Later in the game, Tim would also tutor me in classical music; he was actually at L'Enfant that day, whispering in my ear, explaining what the heck was coming out of that fiddle. Josh had given me no playlist in advance."

Mir ist aber aufgefallen, dass, wenn kleine Ensembles (Duos, Trios u.ä.) in unterschiedlicher Instrumentierung auf der Straße usw. zusammen musizieren, ich denen lieber zuhöre, als wenn einer alleine spielt. Vielleicht sind musikalische Dialoge doch auch interessanter als Monologe.


4.) Faktor Örtlichkeit

Man muss doch auch zugeben, dass dies kein Ort ist, der wirklich zum Verweilen einlädt. Da muss man sich schon ein Nische suchen, um nicht in den Sog der umgebenden Hektik hinein zu geraten. Auch akkustisch nicht sonderlich prickelnd (so mein Eindruck vom Video): zumal die Musik, wie Edna Souza sagte, zu laut sei. Selbst für gute Musik, was sie ja durchaus anerkannte. Alles Umstände, warum ich den Ort meiden, von dort eher flüchten würde. Ein anderer Ort, eine anderes Resultat? Wie wäre das ganze ausgegangen, sagen wir mal, wenn JB in einem Park musiziert hätte, in der Nähe von Parkbänken vielleicht? Also an einem Ort, wo man auch gerne verweilen würde? Vielleicht.


5.) Faktor Termindruck

Termindruck ist natürlich auch so ein Punkt: JohnD hat ja vielleicht recht, dass es doch armselig ist, wenn man mal nicht fünf Minuten stehen bleiben kann, nur wegen dem bischen Arbeit. Aber bei dem Hire & Fire System in USA ist man vielleicht auch nicht so risikofreudig wie JohnD. Man muss halt jederzeit die richtigen Prioritäten setzen.

Andererseits ist Pünktlichkeit auch ein Gebot der Höflichkeit und des Respekts den Kollegen, Kunden, Gästen usw. gegenüber. Dem fühle ich mich verpflichtet und ebenso erwarte ich, dass man sich mir gegenüber so verhält. Wenn also ein Termin verabredet wurde, sollte er eingehalten werden. Die Verlässlichkeit eines Menschen äußert sich auch in solchen Kleinigkeiten. Nun könnte man sagen, dass sei eine Ausnahmesituation, die gerechtfertigt sei. Aber wenn man den Umstand, JB live erlebt zu haben, mal ignoriert, glaube ich kaum, dass ein Konsenz besteht, gegenüber einem Straßenmusikanten oder einfach dem persönlichen Vergnügen zurückgesetzt worden zu sein.

Und was wissen wir darüber, welche der Menschen nicht schon zu spät dran waren. Meine Erfahrungen mit dem ÖPNV ist, dass wenn Du Dich auf ihn verlassen musst, Du schon verloren hast. 5 Minuten Verspätung sind eher die Regel und auch ganz schnell drin - liegt teilweise auch an der fehlenden Kooperation der Fahrgäste und an der Höflichkeit der Fahrer. Teilweise baut sich der Termindruck auch natürlich durch eine schlechte Zeitplanung auf: zu viel auf den nächsten Morgen verschoben und nun wird die Zeit knapp, das Versäumte nachzuholen.


6.) Nutzen

Und was ist mit den Menschen, die nicht unter Termindruck standen? Wie lässt sich erklären, dass diese nicht verweilten? Durch die Örtlichkeit, das Repertoire, das Instrument, den Solisten?


Ich glaube, wir Menschen sind durch reines Nutzdenken gesteuert. Wir suchen immer den Nutzen, ergäbe der sich nun kurz-, mittel- oder langfristig. Bezogen auf das Experiment war die Erwartung, dass der kurzfristige Nutzen - Genießen der schönen Musik - den mittelfristigen Nutzen - Erreichen des Arbeitsplatzes - dominiert. In einer Reiz überfluteten Welt sind wir aber inzwischen viel zu diszipliniert, um jedem Impuls nach einem kurzfristigen Vorteil nachzugeben. D.h., wir würden selbst dann, wenn wir einen kurzfristigen Vorteil erkennen würden, dem nicht nachgeben. Grundregel für jede Ernährungsplanung.

Das Problem an dem Experiment scheint mir nun zu sein, dass das nicht alle Probanden befragt und die Ergebnisse analytisch aufbereitet wurden. So sagt dieses soziologische Experiment auch nur begrenzt etwas über den Stellenwert der klassischen Musik (oder präziser: einer bestimmten Art von klassischer Musik) in unserer Gesellschaft aus. Wir wissen also nicht, wieviele z.B. JB erkannt haben, aber diszipliniert wie sie sind, es sich haben anmerken lassen. Oder es auch gar nicht weiter interessiert hat. So was besonderes ist Joshua Bell nun auch nicht. Wir wissen ferner nicht, wieviele klassisch interessiert sind, aber ihrer Disziplin folgend nicht verweilten. Wir wissen auch nicht, wieviele die Musik zwar erreichte und lediglich notierten: "Heute abend Bachs Chaconne, am Kamin, mit einem Glass Rotwein".


Für mich komme ich jedoch zum Schluss, dass nicht genügend Anreize da gewesen wären, dort zu verweilen. Wozu auch? Wenn ich Bachs Chaconne hören wollte, könnte ich sie mir heutzutage doch jederzeit an einem besseren Ort (und mit einem besseren Solisten (?)) anhören. Warum also unter so ungünstigen Umständen? Es sei denn, dass die Magie des Augenblicks mich spontan packen und zum weiteren Lauschen zwingen würde (ist auch schon vorgekommen). Insofern muss ich eingestehen, profitiere ich vom Luxus unserer Tage. Ich bin auf den Augenblick nicht angewiesen.


7.) Dennoch armselig?

a) Ist unsere Welt also armselig, wenn wir uns so verhalten? Verwöhnt ja, aber armselig? Angesichts der Vielfalt an Optionen kultureller Entfaltung der eigenen Persönlichkeit vermag ich nicht zu urteilen, ob die kulturellen Interessen der Probanden nicht vielleicht woanders liegen. Und wer will sich anmaßen darüber zu urteilen, ob die Fokusierung auf etwas anderes nun besser oder schlechter ist und wo die kulturellen Interessen eigentlich liegen sollten. Wenn doch ein jeder damit, was ihn begeistert, für sich glücklich ist, dann soll es so sein. Wenn nicht, nun dann liegt es an ihm oder ihr, daran etwas zu ändern. Armselig wäre es nur dann, wenn sie etwas begehrten, aber nichts unternehmen, um es zu erreichen.

Klassische Musik zu mögen ist ein Geschenk, eine Gunst, die man natürlich nur zu schätzen weiß, wenn man kennt, was man verlieren könnte, hätte man die Möglichkeit, klassische Musik zu hören, nicht. Was man nicht kennt, kann wohl auch schwerlich vermissen. Ich liebe klassische Musik - genau genommen nur die instrumental Musik des 18., 19. und angehenden 20. Jahrhunderts- , aber kenne kaum was aus dem Jazz. Sicherlich ein Manko, aber ich vermisse es nicht. Armselig? Ich habe nur wenige ausgewählte Werke deutscher Literatur kennengelernt, vieles in letzter Zeit als Hörbuch. Armselig? Da fehlt mir sicherlich was, aber mir fehlt ja auch die ganze französische, englische, amerikanische, russische Literatur. Armselig? Dagegen viel über abendländische Geschichte gelesen. Irrelevant? Von den Feldern Kunst und Architektur ganz zu schweigen, auch dort nur wenige Fragmente. Armselig? Ernsthaft?

b) Was mich irritiert, ist die Vermischung dieses von der Reaktion auf die Musik getriebenen Experiments mit dem Umstand, dass es Menschen gibt, die sich durch Musizieren unter diesen widrigen Umständen ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und somit auf die Mildtätigkeit des Publikums angewiesen sind. Typisch amerikanisch (nur typisch amerikanisch?) wird auch auf die bescheidene Ausbeute hingewiesen. Als musik-soziologisches Experiment hätte ja die Zahl der Zuhörer und die Intensität des Beifalls ausreichen können. Aber die Anerkennung drückt sich eben messbar in Dollars aus: und die ist, wenn man bedenkt, dass 25 von 32,17 Dollars von zwei Personen gespendet wurden, etwas mau. Mal hochgerechnet auf einen 8 Stundentag und 20 Arbeitstage im Monat ergäbe das Einnahmen von ca. $ 1.530. Mit den $ 32,17 käme man auf ca. $ 6.800 - ein wohl utopisch zu nennendes Ergebnis.

Die Armseligkeit läge also vielleicht darin, dass die Menschen der indirekt vorgetragenen Bitte um eine finanzielle Zuwendung (mit seiner musikalischen Leistung ist der Musikant ja in Vorkasse getreten) nicht nur nicht ensprechen, sondern versuchen, den Bittsteller bewusst zu ignorieren. Sie spüren den Appell an ihre Mildtätigkeit, unterdrücken aber ihr Gewissen und den Impuls, dem Nachzugeben. Das wäre in der Tat armselig, aber wer kann schon in die unfreiwilligen Probanden hineinschauen? Aus der Video-Auszeichnung kann man das wohl kaum herauslesen.


8.) Tschuldigung

... wenn ich jemand mit diesen noch nicht ganz ausgefeilten Gedanken gelangweilt haben sollte.
Thomas228
Stammgast
#27 erstellt: 12. Apr 2007, 09:15
Hallo enkidu2!

Gelangweilt? Keineswegs! Ich möchte aber einen Faktor ergänzen, den Faktor menschliche Wahrnehmung.

Wie groß ist in der U-Bahn-Situation die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein Zuhörer die Darbietung Bells als qualitativ besonders hochstehend erkennt?

Meine Antwort gleich vorweg: Ich vermute, die Wahrscheinlichkeit liegt bei fast null.

Durch vielerlei Versuche ist uns bekannt, dass die von uns wahrgenommene Wirklichkeit subjektiv ist. Unsere Wahrnehmung wird massiv durch vielerlei Umstände der Wahrnehmungssituation beeinflusst.

So auch in der konkreten U-Bahn-Situation. Die Faktoren, die gegen eine qualitativ hochstehende Darbietung sprechen - U-Bahn, Spiel für Almosen - sind derart gewichtig und mit einer hochwertigen Darbietung nach aller Erfahrung nicht in Einklang zu bringen, dass der Wahrnehmende, selbst wenn er Klassikfreund ist und die Qualität des Spiels eigentlich beurteilen können müsste, gar nicht anders kann, als das Dargebotene nicht erstklassig zu finden.

Somit lässt das Experiment meines Erachtes keinerlei Rückschluss auf die Wertschätzung von klassischer Musik oder gar auf einen etwaigen Kulturverfall zu.

Noch etwas: Ich meine mich zu erinnern, dass vor rund zwanzig Jahren in einer Wetten dass-Sendung Placido Domingo verloren hatte und deshalb für eine kurze Zeit (20 Minuten?) verkleidet in einer Fußgängerzone (-passage) singen musste. Auch bei ihm ist damals meiner Erinnerung nach kaum einer stehen geblieben.

Viele Grüße

Thomas
JohnD
Stammgast
#28 erstellt: 12. Apr 2007, 13:00
Ausreden, alles ausreden.

Ihr versucht Euch doch die Welt nur schön zu lügen. Es ändert nichts an der Tatsache, dass tausende Menschen abgestumpft sind.

@Thomas: Normalerweise erregt genau das Aufmerksamkeit, was der Erfahrung widerspricht, was aus den üblichen Wahrnehmungsmustern herausfällt.
Es kommt natürlich darauf an worauf man achtet - und wo überhaupt Erfahrungen bestehen.

Eine Welt, die den meisten Menschen die unmittelbare Erfahrung von guter und unmittelbarer Musik genommen hat, ist sicher als armselig zu bezeichnen.
enkidu2
Inventar
#29 erstellt: 12. Apr 2007, 13:40
Man kann das natürlich so sehen wie Du, JohnD. Aber was hilft mir das, wenn ich weiß, dass Du und ich armselige Geschöpfe sind. Denn da wir ja nicht genügend Zeit haben - selbst wenn man nicht arbeitet - alle Schönheiten dieser Welt entsprechend zu würdigen und zu bestaunen, sind wir also doch dazu verdammt, armselig zu sein.

Nur da ich jetzt weiß, dass meine Existenz armselig ist, wie hilft mir das weiter? Erleuchte uns doch mal, JohnD.
TomSawyer
Stammgast
#30 erstellt: 12. Apr 2007, 14:07
Hi,
ein paar Erdnüsse habe ich noch

JohnD schrieb:
@Thomas: Normalerweise erregt genau das Aufmerksamkeit, was der Erfahrung widerspricht, was aus den üblichen Wahrnehmungsmustern herausfällt.
Es kommt natürlich darauf an worauf man achtet - und wo überhaupt Erfahrungen bestehen.


Daraus kann man 2 Schlüsse ziehen:

  1. Joshua Bells spielt im vergleich zu anderen Musikern gar nicht so gut, dass er den Leuten auffallen würde.
    Wäre er um so viel besser als das, was die Leute sonst kennen, wäre er mehr aufgefallen.
    Aber wenigstens hat er nicht so schlecht gespielt, dass er in die andere Richtung aufgefallen ist
  2. Die Parolen, die JohnD hier von ich gibt, fallen erregen auch wenig Aufmerksamkeit, weil 1000e Male in blaßgrün wo anders gehört.
    Somit entspricht das den Erfahrungen, die man auf Studentenfesten gemacht hat.

Also ganz geht das Konzept nicht auf...

Aber sicher liegt das an unserem eingeschränkten Intellekt, dass wir solchen Ausführungen nicht folgen können, und unsere Erfahrungen sind nicht außergewöhnlich genug, oder zu banal.

Jedenfalls kann ich für meinen Teil nur akzeptieren, dass JohnD in einer ganz anderen Liga spielt und unerreichbar sein wird.
Wir sind unwürdig.

LG

Babak
premierenticket
Stammgast
#31 erstellt: 12. Apr 2007, 15:09
Hallo,

habe gelesen, dass man in diesem Thread relativ unaufwändig durch Publikumsbeschimpfung zum Bildungsbürger geadelt werden kann.

Ich sehs so: Ein "Star", ob gehypt oder nicht, wurde vom U-Bahn-Mob nicht als solcher erkannt. So what? Das erinnert doch nur an die Geschichte der alten Dame, die den jungen Liszt hörte, ohne seinen Namen zu kennen, und meinte: "Aber ein Liszt ist er nicht". Oder an die Geschichten, dass bei Blindverkostungen Weinkenner den Aldichampagner dem Veuve Cliquot vorzogen. Was beweist das? Nichts. Weder die Schlechtigkeit des allgemeinen Geschmacks, noch die Omnipräsenz des Hypes. Aber pseudoidealistische Krakelerei ist jeder Vorwand zum verbalen Losfluten recht. Seis drum. Übrigens: In meiner Straße spielt öfters ein Musiker, der aussieht wie Bob Dylen und Songs singt von Bob Dylan. Vielleicht IST es Bob Dylan...?!

Gruß
C.
TomSawyer
Stammgast
#32 erstellt: 12. Apr 2007, 16:03
Hallo C.


premierenticket schrieb:
Hallo,

habe gelesen, dass man in diesem Thread relativ unaufwändig durch Publikumsbeschimpfung zum Bildungsbürger geadelt werden kann.

Ich sehs so: Ein "Star", ob gehypt oder nicht, wurde vom U-Bahn-Mob nicht als solcher erkannt. So what? Das erinnert doch nur an die Geschichte der alten Dame, die den jungen Liszt hörte, ohne seinen Namen zu kennen, und meinte: "Aber ein Liszt ist er nicht". Oder an die Geschichten, dass bei Blindverkostungen Weinkenner den Aldichampagner dem Veuve Cliquot vorzogen. Was beweist das? Nichts. Weder die Schlechtigkeit des allgemeinen Geschmacks, noch die Omnipräsenz des Hypes. Aber pseudoidealistische Krakelerei ist jeder Vorwand zum verbalen Losfluten recht. Seis drum. Übrigens: In meiner Straße spielt öfters ein Musiker, der aussieht wie Bob Dylen und Songs singt von Bob Dylan. Vielleicht IST es Bob Dylan...?!

Gruß
C.


Diese Geschichten zeigen wirklich interessante Aspekte über individuelle Realitäten (sprich: unterschiedliche Erfahrungen/Wahrnehmungen ein und derselben Sache)auf.

Mir fallen da zwei zuätzliche Anekdoten ein.

Erstens mal der Pepsi CEO, der bei einem TV-Interview Coca Cola in eienr Pepsi-Dose vorgesetzt bekam, davon trank und die geschmacklichen Vorzüge von Pepsi gegenüber Coke hervorkehrte.

Zweitens Charlie Chaplin, der als Spaß bei einem Chaplin-Look-alike Wettbewerb auftrat und nur den 4. Platz belegte.

Kannst Du mir ein Autogramm von Bob Dylan organisieren?

LG

Babak
JohnD
Stammgast
#33 erstellt: 12. Apr 2007, 20:21
Ihr versucht immer noch, Euch rauszureden...

Dabei ist bezeichnend, dass die entscheidenden Punkte von mir gar nicht genannt wurden.

Mir ging es nämlich gar nicht darum, dass man Herrn Bell hätte erkennen müssen.
Es ging schlicht um die Tatsache, dass ein unbestreitbar guter Musiker - es hätte jeder sein können - von nahezu allen Menschen in der U-Bahn ignoriert wird, und - das ist noch viel schlimmer:
Der Großteil der hier anwesenden verteidigt diese Ignoranz auch noch.
Und das in einem Klassik-Forum.

@TomSawyer: das Zitat von weiter oben stammt übrigens von Dir, stehst Du nicht dazu?
TomSawyer
Stammgast
#34 erstellt: 12. Apr 2007, 20:55
Hallo

hier will sich keiner hinausreden, weil hier keiner wo drinnen ist...


JohnD schrieb:

Mir ging es nämlich gar nicht darum, dass man Herrn Bell hätte erkennen müssen.
Es ging schlicht um die Tatsache, dass ein unbestreitbar guter Musiker - es hätte jeder sein können - von nahezu allen Menschen in der U-Bahn ignoriert wird, und - das ist noch viel schlimmer:


Nochmal zum mitschreiben
Ignorieren heisst: nicht wahrnehmen, keine Aufmerksamkeit schenken.

Wenn man Deine Aussage hernimmt -

JohnD schrieb:
Normalerweise erregt genau das Aufmerksamkeit, was der Erfahrung widerspricht, was aus den üblichen Wahrnehmungsmustern herausfällt.
Es kommt natürlich darauf an worauf man achtet - und wo überhaupt Erfahrungen bestehen.

- heisst das, dass Herr Bell's musikalische Qualitäten sich nicht so sehr von dem anderer Musiker unterschied, dass es für die Passanten einer Erfahrung entsprochen hätte, die aus ihren üblichen Wahrnehmungsmustern heraus gefallen wäre.

Einfacher gesagt: Normal, Durchschnitt.
Also weder zu Hinknien gut, noch grottenschlecht

Weiteres Szenario:
Es kann auch heissen, dass die Norm der Passanten qualitativ so hoch liegen kann, dass ihnen das Spiel von Herrn Bell nicht sonderlich aufgefallen ist.

Um so eine hohe Norm zu haben, muss man schon viele exzellente Musiker gehört haben.
Und das bedeutet, dass die Gesellschaft, in der sich die Passanten befinden, kulturell auf einem sehr hohen Niveau sein muss.
Also keine Banausen und keine Ignoranz, sondern einfach nur:"Na und? Schon besseres gehört *gähn*"



JohnD schrieb:
@TomSawyer: das Zitat von weiter oben stammt übrigens von Dir, stehst Du nicht dazu?


Klar stehe ich dazu.
Nur stand die Aussage in einem anderern Kontext.
Zitate aus dem Zusammenhang zu reissen ist für mich weder smart, noch entspricht das einem Gesprächsstil, den ich schätze.

LG

Babak
premierenticket
Stammgast
#35 erstellt: 12. Apr 2007, 22:05
@JohnD

Na klar, Du hättest dir, im Gegensatz zu uns Rausredern, natürlich sofort die Zeit genommen und dich zu dem Teufelsgeier in der U-Bahn gesellt - trotz der Nebengeräusche (quuuuuiiiieetsch, U-Bahn fährt ein) hättest DU dessen Genie sofort erkannt und dein aktuelles Ziel (Arbeit, Vergnügen, Verabredung) S.O.F.O.R.T aufgegeben. Bei linken Demoberichten heisst es immer: "Es kam zu spontanen Solidarisierungen". Nee is klar ne?

Die billigste Elite ist die der Weltverbesserer. Bzw. die der vermeintlichen. Der pathologische Impuls des gekränkten Narzißmus, der Erkenntnis, bei der Einrichtung und dem Lauf der Welt nicht gefragt worden zu sein. Aber den inquisitorischen Impuls (Ihr Rausreder!) von Stalin und Konsorten hast du schon ganz gut drauf. Wehe, wenn die Dummen fleissig werden....


Back to music

Christian
JohnD
Stammgast
#36 erstellt: 14. Apr 2007, 17:47
@premierenticket:

Das geht zu weit. Solche persönlichen Beleidigungen muss ich mir hier nicht bieten lassen. Aber schon in Ordnung, schließlich führt die Nennung von offensichtlichen unangenehmen Tatsachen hier gerne schon mal zu Ausfällen.

Ganz zu Anfang schon gleich mal die Tatsachen verdrehen, sehr geschickt, als ob Bell ein Vollidiot wäre und im U-Bahn-Schacht gestanden hätte. Wenn Du mal geschaut hättest: er stand in der Lobby.

Im Übrigen stehe ich zu meinem Wort. In der Tat höre ich gerne guten Straßenmusikern zu und gebe ihnen auch Geld. Ob ich danach zur Arbeit hetzen muss oder mich bei der Verarbredung 5 Minuten verspäte, ist mir herzlich egal. Man muss Prioritäten setzen.

Die pathologischen Mechanismen sind wohl eher in der verzweifelten Verteidigung offensichtlicher Misstände zu suchen.
Warum zum Beispiel habe ich hier nie gelesen: "Ich hatte schon öfter mal den Drang stehenzubleiben und zuzuhören, auch wenn sich keiner dafür zu interessieren scheint. Leider habe ich mich nicht getraut, weil ich Angst hatte zu spät zur Arbeit zu kommen." Das würde zumindest eine Wertschätzung ernsthafter Straßenmusik ausdrücken. Stattdessen wird sich dann ganz schnell beeilt, die Kritik misszuverstehen (Bell erkennen etc...)

Aber wie gesagt - es ging wie es scheint mehr um die möglichst bequeme Verteidigung der eigenen Feigheit, der Unfähigkeit es sich mal gut gehen zu lassen und den Moment zu genießen. Stattdessen wird dann geackert unter immer groteskeren Bedigungenen - aber Hauptsache immer beschäftigt und wichtig wirken, man arbeitet ja, gönnt sich nichts, uuuh ooh aaah, das ist so gut und dann kann ja auch der Nachbar nicht mehr lästern von wegen "die lassen es sich gutgehen und wir müssen malochen".
Woher diese Absurdität kommt wird doch selten hinterfragt. Und wenn es mal jemand anspricht, wird man bespuckt.

So Ihr könnt mich jetzt auch alle bespucken, dann kann ich mich so schön als Märtyrer und ganz doll wichtig fühlen.

[Deine Hetze gegen "linke" und die Nennung Stalins (den Hitler mal nebenbei in "Konsorten" versteckt) spricht übrigens auch Bände. Aber das nur nebenbei.]


[Beitrag von JohnD am 14. Apr 2007, 17:48 bearbeitet]
JohnD
Stammgast
#37 erstellt: 14. Apr 2007, 17:57
@premierenticket:

Und um Dir noch ganz persönlich eins reinzuwürgen und mich ganz cool zu fühlen, hier nochmal ein kleiner Sprengsatz:

Menschen, die wie Du die natürlich überhaupt nicht korithenkackende, modern und üüüüüberhaupt nicht Bildungsbürgerlich-Großinquisitorische furchtbar wichtige Initiative "Das ganze Werk" voll und ganz unterstützen, stehen natürlich unter gaaaar keinen Umständen im Verdacht, so wichtigtuerische Weltverbesserer- und Gutmenschenarschlöcher zu sein wie ich.
Kings.Singer
Inventar
#38 erstellt: 14. Apr 2007, 20:23

JohnD schrieb:
Warum zum Beispiel habe ich hier nie gelesen: "Ich hatte schon öfter mal den Drang stehenzubleiben und zuzuhören, auch wenn sich keiner dafür zu interessieren scheint. Leider habe ich mich nicht getraut, weil ich Angst hatte zu spät zur Arbeit zu kommen." Das würde zumindest eine Wertschätzung ernsthafter Straßenmusik ausdrücken. Stattdessen wird sich dann ganz schnell beeilt, die Kritik misszuverstehen (Bell erkennen etc...)

Aber wie gesagt - es ging wie es scheint mehr um die möglichst bequeme Verteidigung der eigenen Feigheit, der Unfähigkeit es sich mal gut gehen zu lassen und den Moment zu genießen. Stattdessen wird dann geackert unter immer groteskeren Bedigungenen - aber Hauptsache immer beschäftigt und wichtig wirken, man arbeitet ja, gönnt sich nichts, uuuh ooh aaah, das ist so gut und dann kann ja auch der Nachbar nicht mehr lästern von wegen "die lassen es sich gutgehen und wir müssen malochen".



Da du hier gleich, von einer konkreten Situation ausgehend, meinst unser Leben und unsere Lebeneinstellung verstanden zu haben, muss ich das wohl differenzieren.

Und immer wieder die gleiche alte Leier: Morgens um acht Uhr denke ich an meine Arbeit und an den kürzesten Weg dahin. Dass so etwas gleich die "Unfähigkeit es sich mal gut gehen zu lassen" einschließen soll, ist mir neu. Ich lasse es mir gut gehen und das oft genug.

Wie du schon selbst betont hast: Man muss Prioritäten setzen. 'Unserer' Ansicht nach muss deshalb erst die Arbeit verrichtet werden, bevor man sich dann nachmittags und abends hemmungslos seiner Muße hingeben kann. Und auch das hatten wir schon einmal: An einem sonnigen Wochenendtag im Stadtpark, wäre Herrn Bell wohl mehr Aufmerksamkeit zu Teil geworden - auch materiell.



Aber um dir mal ein wenig entgegen zu kommen:
Ich hatte schon öfter mal den Drang stehenzubleiben und zuzuhören. Nur leider hatte ich in diesen Momenten viele andere Dinge im Kopf, weswegen mich die Musik nicht weiter interessierte. Dass das auch als Geringschätzung des Straßenmusikanten aufgefasst werden kann, tut mir sehr leid und war nicht meine Absicht.
premierenticket
Stammgast
#39 erstellt: 14. Apr 2007, 22:02

JohnD schrieb:
@premierenticket:

Und um Dir noch ganz persönlich eins reinzuwürgen und mich ganz cool zu fühlen, hier nochmal ein kleiner Sprengsatz:

Menschen, die wie Du die natürlich überhaupt nicht korithenkackende, modern und üüüüberhaupt nicht Bildungsbürgerlich-Großinquisitorische furchtbar wichtige Initiative "Das ganze Werk" voll und ganz unterstützen, stehen natürlich unter gaaaar keinen Umständen im Verdacht, so wichtigtuerische Weltverbesserer- und Gutmenschenarschlöcher zu sein wie ich.


Hey JohnD, dass du dir tatsächlich die Mühe machst, andere Beiträge von mir zu recherchieren, klingt fast danach, als ob du dir meine Kritik zu Herzen nehmen würdest.

Zwei Anmerkungen:

1. Ich kenne nichts von dir ausser deinen Beitrag in diesem Thread. Du magst ein netter und hochintelligenter Typ sein, und vielleicht könnten wir sogar gut ein Bier oder einen Wein miteinander trinken. Aber deine Attitüde in diesem Thread nervt mich sehr, weil sie aus meiner Sicht anständigen Beiträge(r)n unnötig-unfreundlich an den Karren fährt. Mann kann auch menschlich, oder? Und du bist nicht Adorno oder Karl Kraus.

2. "Wer sich von jemandem beileidigt fühlt,stellt sich geistig unter ihn." (Chinesisches Sprichwort)

Back to music

Christian
TomSawyer
Stammgast
#40 erstellt: 14. Apr 2007, 22:24
Hallo,


JohnD schrieb:
@premierenticket:

Und um Dir noch ganz persönlich eins reinzuwürgen und mich ganz cool zu fühlen, hier nochmal ein kleiner Sprengsatz:

Menschen, die wie Du die natürlich überhaupt nicht korithenkackende, modern und üüüüüberhaupt nicht Bildungsbürgerlich-Großinquisitorische furchtbar wichtige Initiative "Das ganze Werk" voll und ganz unterstützen, stehen natürlich unter gaaaar keinen Umständen im Verdacht, so wichtigtuerische Weltverbesserer- und Gutmenschenarschlöcher zu sein wie ich.




JohnD schrieb:
So Ihr könnt mich jetzt auch alle bespucken, dann kann ich mich so schön als Märtyrer und ganz doll wichtig fühlen.


Das nimmt ja ziemlich theatralische Züge an hier
Danke JohnD für den hohen Unterhaltungswert deiner Beiträge hier.
Richtiggehend reif für Hollywood!

Für mich steht eines fest.

Der Stil Deiner Beiträge ist sehr eigenartig.
Wenn Du schon fleissig beim Austeilen bist, solltest Du auch genauso gut Kritik annehmen könnne, und nicht den Beleidigten spielen.

Ich bin der Meinung, dass in diesem Forum eine gewisse Gesprächskultur geben sollte.
Und da ist für mch dieser Stil reichlich unpassend, denn er zieht die Aufmerksamkeit von den sachlichen Inhalten ab, und zwischenmenschliche Themen haben hier nichts verloren.

Auch wenn es einen gewissen Unterhaltungswert hat, finde ich es schade, dass sich Threads so entwickeln können.

LG

Babak
Kings.Singer
Inventar
#41 erstellt: 14. Apr 2007, 23:01
Egal "wer angefangen hat" (von dieser Diskussionsweise sollte man nach seiner Kindheit sowieso abgesehen haben), dazu, dass eine Diskussion ausartet und spitz wird, braucht es immer zwei Seiten.


Im Übrigen ist John Bells Experiment insofern auch als voller Erfolg zu bezeichnen. Es polarisiert, es wird intensiv diskutiert. Leider bleibt zu bezweifeln, dass dies auch außerhalb der Kreise passiert, die sich sowieso schon mit Musik auseinander setzen.
enkidu2
Inventar
#42 erstellt: 14. Apr 2007, 23:53
Bleiben wir doch sachlich:

JohnD schrieb:
Dabei ist bezeichnend, dass die entscheidenden Punkte von mir gar nicht genannt wurden.

Mir ging es nämlich gar nicht darum, dass man Herrn Bell hätte erkennen müssen.
Es ging schlicht um die Tatsache, dass ein unbestreitbar guter Musiker - es hätte jeder sein können - von nahezu allen Menschen in der U-Bahn ignoriert wird, und - das ist noch viel schlimmer:
Der Großteil der hier anwesenden verteidigt diese Ignoranz auch noch.
Und das in einem Klassik-Forum.

Wie ich schon sagte, wenn man von der Dame, die JB erkannte, absieht, verweilten ledigliche zwei Menschen, um dem Violinspiel zu lauschen. Beide hatten früher Violine geübt bzw. gespielt, hatten also eine Ahnung von der Qualität des hier gehörten. Sicherlich ein dünne statistische Basis, aber mir scheint, dass das u.U. was zu bedeuten hat.

Ferner sind doch Talente nun schon von höher qualifizierten Experten unter wahrnehmungstechnisch weit günstigeren Bedingungen verkannt worden. Muss man das dann Menschen, deren Beweggründe und Umstände, deren musikalische Vorlieben und Qualifikation man nicht kennt, zum Vorwurf machen, dass sie die Qualität des Geigenspiels nicht erkennen (können), und den Stab über sie brechen?

Wie Du, JohnD, nun selbst sagtest, man muss Prioritäten setzen. Du verweilst gerne bei guten Straßenmusik und genießt für den Augenblick die Musik, was Dir eine gewisse Befriedigung verschaft. Das sei Dir gegönnt und ich respektiere das.

Andere wiederum, setzen ihre Prioritäten anders. Und das bitte ich lediglich gleichfalls zu respektieren. Denn schließlich wissen wir so gut wie nichts über sie. Aber wir wissen genügend über uns, um zu wissen, dass wir, wenn nicht in dieser, so doch in anderen, vergleichbaren Situationen ähnlich reagieren würden.

Das ich hier in einem Klassikforum schreibe, heißt noch lange nicht, dass ich die Menschen, die nichts mit Klassik anfangen können verurteile. Mir persönlich gibt klassische Musik viel. Andere finden das gleiche stattdessen im Jazz oder in der Literatur oder in der Natur. Mein Bruder z.B, kann mit klassischer Musik nichts anfangen. Aber soll ihn jetzt armselig nennen? Also ich bin kein Klassikfundamentalist oder gar Fanatiker. Wenn man das sein muss, um hier zu schreiben, dann verzichte ich.
premierenticket
Stammgast
#43 erstellt: 15. Apr 2007, 00:12

enkidu2 schrieb:
Bleiben wir doch sachlich


Eine schöne Meta-Diskussion wäre: Was ist eigentlich "sachlich"? Sind die Aussagen von Schopenhauer, Nietzsche, Adorno usw. "sachlich"? Oder gilt nicht für "Sachlichkeit" das, was Nabokov über den Begriff Realität sagt: Dass er nur in Anführungszeichen gebraucht werden sollte, da jeder Mensch eine andere Realität hat? Über Dinge, die mich kalt lassen, kann ich sachlich diskutieren - bei meinen Passionen habe ich Schwierigkeiten damit...

Back to music

Christian
enkidu2
Inventar
#44 erstellt: 15. Apr 2007, 00:45
Sachlich heißt für mich nicht ohne innere Anteilnahme. Über Dinge, die mich kalt lassen, diskutiere ich nicht.

Mir liegt mehr daran, wieder von dem Anflamen und Beleidigen wegzukommen. Das ist doch eigentlich würdelos und auch armselig. Beziehe mich da durchaus mit ein.


[Beitrag von enkidu2 am 15. Apr 2007, 00:46 bearbeitet]
TomSawyer
Stammgast
#45 erstellt: 15. Apr 2007, 11:23
Hallo,

unter sachlich vestehe ich, dass keine persönichen Untergriffe gemacht werden.

LG


Babak
JohnD
Stammgast
#46 erstellt: 16. Apr 2007, 01:50
Nicht falsch verstehen. Ich respektiere es, dass Ihr Eure Prioritäten woanders setzt.

Die Welt ist nun mal so, schon klar, es gibt solche und solche Menschen.
Klar respektiere ich andere Meinungen. Wenn einige der Meinung sind, dass man eine Todesstrafe haben oder im Modern Talking Fanclub sein muss, kann ich nichts dagegen tun und bin auch der letzte, der nach Zensur oder verboten schreit.
Im Gegenteil. Zensur ist eine der schlimmsten Bevormundungen und aus gutem Grund aus unserer Verfassung ausgeschlossen.
Natürlich akzeptiere ich auch, dass sie beispielsweise auch in diesem Forum praktiziert wird.

Aber: gutheißen muss man das noch lange nicht. Auch hier gilt die freie Meinungsäußerung, die die Wahl des Stils mit einbezieht. Wenn Ihr mich dann mit Verachtung strafen wollt, gerne.
Und ich muss auch nicht Karl Kraus oder Adorno heißen, um auf die selben Gedanken zu kommen und diese zu äußern.

Und außerdem ist es hier oft genug langweilig. Also freut Euch über ein bisschen Rummel.
premierenticket
Stammgast
#47 erstellt: 16. Apr 2007, 21:32

JohnD schrieb:
Nicht falsch verstehen. Ich respektiere es, dass Ihr Eure Prioritäten woanders setzt.


Sehr großzügig - geradezu altersmilde... Wir sind erleichtert!


JohnD schrieb:
Die Welt ist nun mal so, schon klar, es gibt solche und solche Menschen.


Eine philosophische Einsicht, die mir so noch nicht gekommen ist....



JohnD schrieb:
Klar respektiere ich andere Meinungen. Wenn einige der Meinung sind, dass man eine Todesstrafe haben oder im Modern Talking Fanclub sein muss, kann ich nichts dagegen tun und bin auch der letzte, der nach Zensur oder verboten schreit.
Im Gegenteil. Zensur ist eine der schlimmsten Bevormundungen und aus gutem Grund aus unserer Verfassung ausgeschlossen.
Natürlich akzeptiere ich auch, dass sie beispielsweise auch in diesem Forum praktiziert wird.


Eben: Zensur gehört nicht in die Verfassung, sie gehört in die Praxis!


JohnD schrieb:
Aber: gutheißen muss man das noch lange nicht. Auch hier gilt die freie Meinungsäußerung, die die Wahl des Stils mit einbezieht. Wenn Ihr mich dann mit Verachtung strafen wollt, gerne.
Und ich muss auch nicht Karl Kraus oder Adorno heißen, um auf die selben Gedanken zu kommen und diese zu äußern.


Wenn überhaupt (Gedanken denken und äußern wie Kraus und Adorno), dann höchstens ähnliche - die gleichen wohl nicht, und die SELBEN schon ganz und gar nicht..


JohnD schrieb:
Und außerdem ist es hier oft genug langweilig. Also freut Euch über ein bisschen Rummel.


Ja - danke für die Einsichten.

...war das jetzt unsachlich?


[Beitrag von premierenticket am 16. Apr 2007, 21:53 bearbeitet]
JohnD
Stammgast
#48 erstellt: 17. Apr 2007, 00:30
Achje, teures Premierenticket, die ironische Ausflucht ist eine sehr breite Straße... nur führt sie leider nirgendwohin.

Aber guter Trick. So musst Du keine Stellung beziehen. Schade nur dass dann niemand weiß, was Du eigentlich denkst und fühlst.
Tommy_Angel
Inventar
#49 erstellt: 17. Apr 2007, 12:02
Wieder Mal so ein Grenzfall: ist das jetzt alles unterhaltsam oder unsachlich/beleidigend?

Ich denke mal, wenn es so was, wie hier, nicht gäbe, ginge Keiner mehr zur Beerdigung :D.

Also, schlagt Euch die Köppe ein, solange es nur virtuell iss!


[Beitrag von Tommy_Angel am 17. Apr 2007, 12:03 bearbeitet]
JohnD
Stammgast
#50 erstellt: 17. Apr 2007, 16:10
Du Tommy, das ist ganz einfach. Wenn die Leute sich von Fakten beleidigt fühlen wie dem immer weiter zunehmenden Desinteresse und der Vereinnahmung des Menschen durch die herrschende Wirtschaftsordnung, dann bleibt nichts mehr übrig als nichts mehr ernst zu nehmen.
Wer dann noch beleidigt ist, ist hier wohl fehl am Platze...
Zerebralzebra
Hat sich gelöscht
#51 erstellt: 17. Apr 2007, 17:06
Hallo allerseits,
zugeben muss ich, dass ich diesen thread nicht so gründlich gelesen habe, weil die Beiträge mitunter persönlich angreifen. Vielleicht ist es ja dann auch gar nicht so klug von mir, dass ich mich daran beteilige. Aber das Verhältnis zwischen ästhetischem Erleben und Zwängen des Alltags, zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen liegt mir schon sehr am Herzen.

JohnD schrieb:
Warum zum Beispiel habe ich hier nie gelesen: "Ich hatte schon öfter mal den Drang stehenzubleiben und zuzuhören, auch wenn sich keiner dafür zu interessieren scheint. Leider habe ich mich nicht getraut, weil ich Angst hatte zu spät zur Arbeit zu kommen." Das würde zumindest eine Wertschätzung ernsthafter Straßenmusik ausdrücken. Stattdessen wird sich dann ganz schnell beeilt, die Kritik misszuverstehen (Bell erkennen etc...)

Aber wie gesagt - es ging wie es scheint mehr um die möglichst bequeme Verteidigung der eigenen Feigheit, der Unfähigkeit es sich mal gut gehen zu lassen und den Moment zu genießen. Stattdessen wird dann geackert unter immer groteskeren Bedigungenen - aber Hauptsache immer beschäftigt und wichtig wirken, man arbeitet ja, gönnt sich nichts, uuuh ooh aaah, das ist so gut und dann kann ja auch der Nachbar nicht mehr lästern von wegen "die lassen es sich gutgehen und wir müssen malochen".
Woher diese Absurdität kommt wird doch selten hinterfragt. Und wenn es mal jemand anspricht, wird man bespuckt.

Dem stimme ich im Allgemeinen zu. Ich höre sogar gerne mal schlechten U-Bahn-Aufführungen schmalziger Walzermelodieen zu, gebe aber generell nur sehr selten Geld (mein Budget). Ich glaube auch, dass man nur allzuoft von Forderungen der Gesellschaft davon abgehalten wird, wirklich zu genießen. Und gerade für komplexere Genüsse wie das Hören klassischer Musik braucht es Muße - also Zeit und Entspannung. Es ist doch kein Zufall, dass die Freunde der klassischen Musik nicht am unteren Ende der sozialen Leiter am zahlreichsten sind. Und selbst diejenigen, die nicht so schlecht verdienen, sind zwar materiell gut ausgestattet, haben aber immer weniger Zeit und Ruhe (was ich angesichts der beständigen hohen Arbeitslosigkeit als absurd bezeichne). Da ist es wohl oft nur ein schlechter Ersatz für die Möglichkeit wirklichen Genusses, wenn man sich 30 oder mehr Aufnahmen ein und desselben Werkes leistet oder - gewissermaßen ehrlicher - gleich weniger komplexer Musik zuwendet.

Die Anforderungen des kapitalistischen Alltags, die einen an einem angenehmen Leben hindern, muss man nicht alle als gott- oder naturgegeben hinnehmen, denn die Gesellschaft wird ja von Menschen veranstaltet. Und die, so würde ich mal behaupten, können sich planvoll überlegen, wie die Arbeitsteilung den Bedürfnissen des Einzelnen am besten entspräche. Meine These, dass solche Überlegungen im Kapitalismus allerdings prinzipiell nicht möglich sind, müsste man dann in einem politischen Forum diskutieren.

Im Übrigen meine ich, dass wir zur Zeit nicht in einem Faschismus leben. Aber dass es immer auch noch schlimmer sein könnte, ist kein Argument den Kapitalismus gut zu finden.

Viele Grüße
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