"Offen" - Versuch einer näheren Beleuchtung

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audiophilanthrop
Inventar
#1 erstellt: 30. Mrz 2007, 16:34
Die Klassifikation von Kopfhörer-Bauformen ist alles andere als trivial - von "geschlossen" über "halboffen" bis zu "offen" reicht die Palette, und ich fürchte, daß nicht einmal jeder Hersteller diese Begrifflichkeiten absolut gleich interpretiert. Versuchen wir das mal aufzudröseln...

Bei In-Ears halten sich die Variationsmöglichkeiten ja noch in Grenzen - gerade Gerätschaften mit dynamischen Treibern gibt es mit oder ohne Belüftung hinter den Treibern, hintenrum sehr offen scheint es nicht zu geben (vielleicht nicht nötig) - oder? In jedem Fall ist eine ordentliche Abdichtung und damit Trennung von Vorder- und Rückwelle nötig, um Auslöschungen im Baßbereich zu vermeiden, zumal die Schallübertragung bis in den Höhenbereich über den Druck erfolgt (wenn das Ohr-Innenleben klein gegen die Wellenlänge ist, geht da natürlich nicht viel mit Wellenausbreitung).

Bei kleinen dynamischen Kopfhörern sieht es ähnlich aus - entweder man strahlt hintenrum weitgehend ungehindert ab (offen), oder man pappt zur Förderung der Baßkompetenz hinten einen Deckel drauf und dazwischen jede Menge Bedämpfungsmaterial. Dann versucht man die Auslöschungsproblematik durch kleine Ohrabstände und Schaumstoffpolster zu bekämpfen (bei Earbuds übrigens ganz analog), was bis zum Baßbereich auch durchaus passabel funktioniert, aber weit unten problematisch ist. Sehr kompakte geschlossene Hörer mit halbwegs ordentlich abdichtenden Kunstlederpolstern, die hintenrum zu sind, gibt es auch.

Große dynamische Kopfhörer benötigen wie auch Lautsprecher eine Schallwand, in der man den Treiber unterbringen kann, und damit steigt die Anzahl der Variablen deutlich:

  1. Rückwand: Von "sehr offenes Drahtgitter" (z.B. HD590 oder HD6x0) über "teilweise offen mit ordentlich Bedämpfung" (K240S und Co.) bis "völlig geschlossen" ist hier alles zu finden. Der Einfluß von Reflexionen hintenrum ist zudem abhängig von der Treiberkonstruktion und deren Bedämpfung.
  2. Schallwand: Ist diese z.B. bei einfacheren Philipsen (zumindest SHP8x5) massiv und geschlossen, gibt es gerade bei vielen offenen Hörern (z.B. Sennheiser) frequenzabhängig teilweise schalldurchlässige Bereiche. AKG baute seinerzeit so etwas in den K240 Sextett ein, um die HRTF besser zur Geltung kommen zu lassen - klingt durchaus plausibel, da große offenen Hörer auch die beste Räumlichkeit zu haben pflegen. Zudem vermeidet man so das Entstehen eines komplett abgeschlossenen Raumes mit sehr eigenwilligen (und dazu noch benutzerabhängigen) Eigenresonanzen um das Ohr. Nachteil ist, daß man die Treiber gerade untenrum teilweise akustisch kurzschließt, entsprechend vergrößert sich der Hub und damit Verzerrungen aller Art, auch die Abstimmung will natürlich daran angepaßt sein. Dafür ist eine extreme Abdichtung der Ohrpolster nicht erforderlich. Da fällt mir ein, Hörer mit komplett offener Schallwand (MDR-F1. MDR-605 und Co.) gab es ja auch mal. Das ist natürlich Hardcore, mit normalgroßen KH-Treibern handelt man sich so ordentliche IM-Verzerrungen ein, wenn es im Baß mal zur Sache geht. Das Unikum K1000 hatte - wen wundert's - sowieso Spezialtreiber.
  3. Ohrpolster: Wenn schon die Schallwand völlig zu ist, dann kann man nur noch über recht durchlässige bzw. gut schallschluckende Ohrpolster und Schallwandabdeckung etwas machen. So hat auch in der Tat ein unglücklicher SHP895-Besitzer bei seinem Hardcore-Mod u.a. die Polster gegen solche mit luftiger Lammwollfüllung getauscht.


Ein paar Speibiele:

  • Sennheiser HD590: Offen wie ein Scheunentor, klingt aber auch so. Große schall- wie lichtdurchlässige (siehe Avatar) Bereiche in der Schallwand, Rückwand Drahtgitter und Plastik gelöchert. Flauschig-weiche Ohrpolster - meine waren schon etwas platt, aber mal kann die Dinger zwecks Stabilisierung einmal mit Tesa umwickeln (15 mm breit reicht). Viele der großen Sennheiser-Hörer sind akustisch recht ähnlich aufgebaut, wobei die aktuellen HD5x5 wohl aus Kostengründen (ganze Gehäuseschale in Spritzguß) hintenrum weniger offen sind.
  • HD497: Ein kleinerer Hörer mit einer einfacher gestrickten, nur oben und unten mit wenigen Öffnungen versehenen Schallwand. Die Rückwand könnte auch offener sein. Die Räumlichkeit ist ziemlich lausig, was vermutlich dem sehr kleinen Ohrabstand des Treibers, der kaum akustisch wirksam abgedeckten Lochplaste über dem Treiber und ungenügend bedämpften Reflexionen hintenrum zu verdanken ist. Summa summarum doch eher "halboffen". Für große, leicht abstehende Löffel ist das Teil auch nicht wirklich ideal, mir jedenfalls hat der Komfort - geringes Gewicht hin oder her - nicht zugesagt. Nicht daß ein HQ-1300 wirklich besser wäre, ganz im Gegentum.
  • HD570: Der hat, soweit auf Bildern zu beurteilen, eine recht undurchlässige Schallwand mit nur recht wenigen, mit Papier (?) abgedeckten Löchern. Wenn man da einen für eine offenere Schallwand entzerrten Treiber reinsetzt, gibt das vermutlich ein Baßmonster. Die Rückwand ist Plastik aus einem Guß und zwar recht offen, könnte aber noch offener sein. Sparmaßnahme pur, im Vergleich z.B. zum Vorgänger HD545 (der zudem auch noch einen größeren und empfindlicheren Treiber hatte) wenig berauschend - naja, fast alle Modelle dieser Generation waren primär kostensparender Murks (überzeugend waren eigentlich nur HD590 und der erst später vorgestellte HD495). Das Teil wurde zuletzt für <60 Fragezeichen verramscht, da paßt's besser hin.
  • Philips SHP805: Den habe ich mal modifiziert. Eine der Gehäusehälften der Ohrmuschel enthält auch die massive Schallwand mit eingeklebtem Treiber, die andere Hälfte einen an sich recht durchlässigen Grill mit etwas Schaumstoff zur Bedämpfung draufgeklebt. Blöd nur, daß direkt hinter dem Treiber die Schwenkmechanik mit Plaste drumherum sitzt und darunter eine Querstrebe - mehr als "halboffen" würde ich dem nicht geben. Etwas Schaumstoff hinter den Treiber geklatscht und die nackte Plaste der Ohrpolster-Halterung abgedeckt, und die räumliche Darstellung schrumpfte zwar deutlich, aber es klang danach deutlich normaler. Der vermutliche Nachfolger SHP8500 ist nunmehr als geschlossen deklariert.

Weitere Beispiele (meine "Sammlung" umfaßt leider keinerlei AKGs oder Beyers) sind ebenso willkommen wie Fragen, Korrekturen, klärende Anmerkungen, Anregungen etc.pp.
Peer
Inventar
#2 erstellt: 30. Mrz 2007, 20:57
Ich habe dazu ja bereits einen Eintrag in den FAQ, wäre es dir recht, wenn ich einen Link in diesen Thread einfüge? Die Erklärung wäre für eine Übersicht nun wirklich zu ausführlich und beeinhaltet weitergehende Informationen.
audiophilanthrop
Inventar
#3 erstellt: 30. Mrz 2007, 21:47
Ja klar, Link reicht - an die FAQ hatte ich in dem Moment gar nicht gedacht. Dann könntest du auch das korrigieren:


Außerdem kann man sagen, dass offene Kopfhörer ihren Pendanten in der gleichen Preisklasse zumeist überlegen sind.

Ohne gleich unter die Pedanten gehen zu wollen ;), wäre das so besser:

Außerdem kann man sagen, dass offene Kopfhörer ihren geschlossenen Pendants in der gleichen Preisklasse zumeist klanglich überlegen sind.


Wie sieht's eigentlich mit dem Hörschaden-Eintrag aus? (Guck mal in den FAQ-Fred.) Wäre IMO schon wichtig, daß sowas reinkommt. Zum Thema Konzerte habe ich übrigens noch diese Meldung mit ein paar Infos zu Lärm allgemein gefunden.
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