Wieso EL34 als Treiberröhre

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chrissl76
Stammgast
#1 erstellt: 07. Aug 2011, 12:03
Hallo,

kann mir hier jemand verraten, was einen dazu treiben kann, eine EL34 anstatt einer 6SN7 als Treiberröhre bei einem Triodenverstärker (300B Endröhre SET) einzusetzen?

Dank und Grüße
Christian
Macdieter
Stammgast
#2 erstellt: 07. Aug 2011, 20:54


[Beitrag von Macdieter am 07. Aug 2011, 22:20 bearbeitet]
pragmatiker
Administrator
#3 erstellt: 08. Aug 2011, 19:35
Servus Christian,

auch wenn Du dieselbe Frage schonmal im Forum von Jogis Röhrenbude gestellt hast (und dort auch durchaus qualifizierte (wenn auch kurze) Antworten erhalten hast) - hier mal zur Abrundung ein paar Gedanken von mir:

  • Zieht man aktuelle (Svetlana, JJ) und historische Datenblätter (Western Eelectric) der 300B zu Rate, dann kommt man bei dieser Röhre günstigstensfalls auf ein "µ" von ca. 3,9 - das heißt, diese Röhre braucht am Gitter dick Spannungshub, um sie voll auszusteuern.
  • Dieses "µ" von ca. 3,9 ist ein theoretischer Wert, der in der Praxis nie erreicht wird. Halbiert man (sehr über den Daumen gepeilt) diesen Wert, so landet man bei einer Spannungsverstärkung von ca. 2 (meinetwegen vielleicht auch ein bißchen mehr).
  • Sämtliche o.a. Datenblätter der 300B sagen keinen Ton über einen Betrieb mit Gitterstrom (Klasse A2) - also ist ausschließlich gitterstromloser Betrieb bis zu einer maximalen Gitterspannung von 0[V] vorgesehen (klassischer A1-Betrieb). Damit braucht man als Treiberschaltung schonmal keine Schaltung, die konstant Ströme liefern können muß - Kathodenfolger scheiden also vernünftigerweise schon mal aus.
  • Das Svetlana-Datenblatt der 300B ( http://www.mif.pg.gd...164/s/SV300Bspec.pdf ) geht von einer Anodenspannung von 450[V] für den Eintakt-A-Betrieb aus. Daraus kann man (bei niederohmigem Ausgangsübertrager und sehr flüchtigem Blick in's Kennlinienfeld) einen maximalen Ausgangsspannungshub ganz grob gepeilt in der Gegend von 400[Vss] ableiten.
  • Diese 400[Vss] dividiert durch die zuvor geschätzte Spannungsverstärkung von ca. 2 ergibt einen erforderlichen Steuerspannungshub am Gitter der 300B in der Gegend von 200[Vss]. Und genau diese 200[Vss] stehen als Parameter "Peak grid drive" auch im 300B Datenblatt von Svetlana drin.
  • Die Treiberschaltung muß also 200[Vss] Signalpegel verzerrungsarm am Gitter der 300B anliefern können. Das ist eine ganze Menge Holz, die mit den üblichen Kleinleistungs(doppel)trioden schon schwierig zu realisieren ist.
  • Vereinfachen wir mal stark: Laut Western Electric Datenblatt der 300B hat diese Röhre eine "Input Capacitance" von 8,5[pF] und eine "Grid to Plate Capacitance" von 15[pF]. Addieren wir hierzu noch ca. 16[pF] Verdrahtungskapazität, dann kommen wir worst-case auf ca. 40[pF] Gesamtkapazität, welche die Treiberröhre auch bei den höchsten Frequenzen treiben können muß. Das X(C) - also der kapazitive Blindwiderstand - von 40[pF] bei 20[kHz] Signalfrequenz sind ca. 199[kOhm]....also rund 200[kOhm]. Ich weiß nicht, wie der Arbeitspunkt bei dieser Deiner Frage zugrunde liegenden Schaltung eingestellt wird (feste negative Gittervorspannung oder automatische Arbeitspunkteinstellung) - gehen wir aber mal von automatischer Arbeitspunkteinstellung aus (obwohl 100[V] Spannungsabfall bei 60[mA] Strom am Kathodenwiderstand natürlich schon ein Wort sind). Für diesen Fall steht im Western Electric Datenblatt der 300B zu lesen: "Maximum Grid Circuit Resistance for Self Bias = 250[kOhm]". Schalten wir also diesen Maximalwert des Gitterableitwiderstandes (der bei fester Gittervorspannung übrigens nur 1/5-tel - also 50[kOhm] betragen darf) zu den oben berechneten kapazitiven Blindwiderständen von 200[kOhm] parallel, so erhalten wir worst-case eine Last von ca. 111[kOhm], welche die Treiberschaltung "sieht" (bei fester Gittervorspannung würde diese Last für die Treiberschaltung übrigens auf ca. 42[kOhm] absinken).
  • Die Treiberschaltung muß also maximal 200[Vss] in minimal ca. 111[kOhm] Lastwiderstand liefern können. Das sind rund 1.8[mAss] Strom, die der Treiber worst-case Richtung Gitter der 300B Endröhre liefern können muß (beim Fall mit der festen Gittervorspannung wären es ca. 4.8[mAss] Strom, die der Treiber liefern können müßte).
  • Absolute, rohe, ungehobelte Faustformel: Der Innenwiderstand der Treiberschaltung sollte höchstens 1/10 des worst-case Lastwiderstandes der folgenden Stufe betragen. Bei 111[kOhm] worst-case Lastwiderstand der 300B Endstufe heißt dies, daß der Innenwiderstand der Treiberschaltung höchstens ca. 11[kOhm] betragen darf (bei der Betriebsart mit fester Gittervorspannung der 300B wären es maximal ca. 4.2[kOhm], die als R(i) der Treiberstufe zulässig wären).
  • Wir brauchen - wie weiter oben beschrieben - 200[Vss] als maximalen Steuerspannungshub für die 300B. Damit bei der 6SN7 bei 0[V] Gitterspannung mal 10[mA] Anodenstrom fließen (wir kommen weiter unten drauf, wo die 10[mA] herkommen), braucht's an diesem Rohr schonmal 100[V] Anodenspannung. Diese 100[V] und da nochmal die 200[Vss] Vollaussteuerungs-Signalspannung draufgesetzt und wir haben bereits 300[V]. Auf diese 300[V] nochmal 100[V] als Reserve (Netzunterspannung, Röhrentoleranzen, halbwegs symmetrische Aussteuerung etc.) draufgesetzt und wir brauchen mindestens 400[V] Betriebsspannung für die Treiberstufe (mehr wäre eher besser, aber da kommen wir allmählich den Grenzdaten der 6SN7 gefährlich nahe).
  • Den Arbeitspunkt der Treiberstufe stellen wir jetzt so ein, daß sich an der Anode der 6SN7 ohne Aussteuerung ca. +200[V] einstellen. Die Endstufe will nicht mehr als ca. 11[kOhm] Innenwiderstand der Treiberstufe sehen - dieser Innenwiderstand teilt sich (wechselspannungsmäßig) auf in zwei gleiche (wechselspannungsmäßig parallelgeschaltete) Teilwiderstände auf: Den Anodenwiderstand der 6SN7 und den Innenwiderstand der 6SN7 - beide im Arbeitspunkt je ca. 22[kOhm] groß. Damit fließt durch die 6SN7 bei 200[V] Anodenspannung ein Ruhestrom von ca. 9[mA] (den Kathodenwiderstand jetzt mal elegant vernachlässigt) - damit sind wir ungefähr bei den 10[mA], wie wir vorher oben erwähnt haben. Am Triodensystem der 6SN7 haben wir ungefähr eine Verlustleistung von 1,8[W] - das ist weit genug von den 3,75[W] maximaler Anodenverlustleistung weg, die pro Triodensystem bei der 6SN7 laut GE-Datenblatt maximal zulässig sind.
  • Total anders sehen die Dinge bei fester Gittervorspannungserzeugung der 300B aus. Hier darf der Innenwiderstand der Treiberstufe (wie weiter oben bereits aufgeführt) nicht mehr als ca. 4,2[kOhm] betragen. Und diese 4,2[kOhm] setzen sich im Arbeitspunkt (bei +400[V] Betriebsspannung und +200[V] Anodenspannung) zusammen aus einer wechselspannungsmäßigen Parallelschaltung eines 8,4[kOhm] Anodenwiderstandes und eines 8.4[kOhm] Innenwiderstandes der Röhre. Damit landen wir im Arbeitspunkt bei ca. 23,8[mA] Anodenstrom für ein Triodensystem der 6SN7 - das bedeutet eine Anodenverlustleistung für dieses System der 6SN7 von ca. 4,76[W] - diese Verlustleistung liegt signifikant über den zulässigen Grenzdaten eines 6SN7 Triodensystems.
  • Und hier kommt nun die EL34 in's Spiel: Von Haus aus mit größerer Anodenverlustleistung "gesegnet", sind höhere Anodenströme für diese Röhre auch kein Problem. Auch ist die Anodenspannung selbst (solange man die Schirmgitterspannungsgrenzen der EL34 beachtet) kein Problem - mindestens ca. 600[V] sollten auch für die schlechtesten Exemplare einer EL34 keine Schwierigkeiten darstellen. Auch der plakative Telefunken Datenblatt R(i) der EL34 (15[kOhm] bei 250[V] U(a), 265[V] U(g2) und -13,5[V] U(g1) ist "trotz" Pentode (eben, weil das ein Leistungsrohr ist) in einer hinreichend niederohmigen Dimension, die für unsere Treiberzwecke für die 300B höchst brauchbar ist (speziell dann, wenn man mit der Betriebsspannung der Treiberstufe auf ca. 500[V] hochgeht....da lebt die EL34 nämlich richtig auf....da hat man dann "plenty an Reserven").

Die ganze "Treiberthematik für low-µ-Endstufentrioden" könnte man natürlich insgesamt deutlich "entschärfen", in dem man für die Treiberröhre als Arbeitswiderstand anstelle eines simplen ohmschen Widerstandes entweder eine Anodendrossel oder eine Konstantstromquelle verwendet - aber davon war ja in Deiner Frage nicht die Rede.

Grüße

Herbert


[Beitrag von pragmatiker am 08. Aug 2011, 19:45 bearbeitet]
chrissl76
Stammgast
#4 erstellt: 08. Aug 2011, 22:23
Hallo Herbert,

wow, bin platt! Vielen Dank für die ausführliche Information! Ich hatte im anderen Forum die Frage eröffnet, weil ich den Eindruck habe, dass sich da mehr Spezis "rumtreiben".
Der Stein des Anstosses ist ein Destiny Verstärker mit eben dieser EL34 als Treiberröhre. Er ist der absolut erste 300B Verstärker, den ich mit einer EL34 in der Treibersektion gesehen habe. Meiner Recherche nach sind etwa 90-95% der 300B Verstärker mit der 6SN7 ausgestattet. Dies macht einen bei Abweichungen halt stutzig. Gerade die Auswirkung bezüglich der Muskiqualität ist dann halt interessant.

Viele Grüße
Christian
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