Ist Welser-Möst wirklich "so schlecht" wie Kritiker behaupten?

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cr
Inventar
#1 erstellt: 20. Jul 2010, 01:34
Der renommierte Musikkritiker Donald Rosenberg läßt kaum ein gutes Haar an Welser-Mösts Dirigat von Orchesterwerken mit dem Clevelandorchester: "Welser-Möst verpasst kaum eine Gelegenheit, eine Gelegenheit zu verpassen" oder: "es handelt sich um ein außergewöhnliches Orchester mit einem gewöhnlichen Dirigenten. Doch da versteht W-M keinen Spass und macht Kritiker mundtot (an charakterlicher Größe scheint es ihm somit zumindest zu mangeln). Das Resultat ist, dass der Musikkritiker auf Intervention von W-M hin entlassen wurde und jetzt einen Prozess gegen seinen Arbeitgeber führt, der in Amerika die Wogen hochgehen läßt.

Auch während seiner Zeit in Zürich wurde W-M heftig kritisiert, er galt als eitel humorlos und verbissen (Tagesanzeiger). In London hat er den Spitznamen „aufrichtig schlechter als die meisten“ (Frankly Worse-than-Most). Ist nun Welser-Möst wirklich so schlecht, ein völlig durchschnittlicher austauschbarer Standard-Dirigent eben ?

(Ich habe kaum CDs mit ihm und auch nicht vor, welche zu kaufen)
Joachim49
Inventar
#2 erstellt: 20. Jul 2010, 10:02
Als ich vor langer Zeit hörte, dass mein Lieblingsorchester einem damals mir völlig unbekannten FWM anvertraut wurde, war ich erschrocken. Ich glaube ich kenne keine einzige Aufnahme mit ihm und dem Orchester Szells. Aber vor gar nicht langer Zeit habe ich zwei Züricher Produktionen auf DVD gesehen, die 'Meistersinger' und Mozarts 'Titus' und beide haben mir sehr gut gefallen. Gegen die Musik der Meistersinger hatte ich immer eine Abneigung, gegen das deutschtümelnde schwachsinnige Libretto ohnehin, aber die Abneigung gegen die Musik ist verschwunden, seit ich FWM hörte, und die von mir weitgehend ignorierte Mozartoper ist auch in meiner Wertschätzung deutlich aufgestiegen. Zudem hatte ich voriges Jahr die Gelegenheit FWM mit dem Gustav Mahler Jugendorchester live im Musikverein in Wien zu erleben.
Seitdem schien es mir sehr plausibel, dass die Wiener Staatsoper Interesse an FWM hat (er ist, oder wird in aller Kürze dort Chef). Auch die Züricher Oper ist ja nicht irgendein Provinzhaus und hat ja immerhin auch Harnoncourt für aufsehenerregende Produktionen engagiert.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in Cleveland, Zürich oder Wien völlig inkompetent bei der Wahl der musikalischen Direktoren ist. Aber ich habe keinen Zweifel, dass es recht viele inkompetente Zeitungsschreiber gibt. Es gibt Pressefreiheit und sie ist wichtig. Aber warum sollte die Macht der Presse unantastbar sein, wenn sich jemand verletzt fühlt? Und die Kategorie des renommierten Starkritikers ist ja auch eher eine verdächtige Sache. Die Deutschen haben ja auch ihren MRR der Musikkritik.

Also was mich betrifft, ein deutliches "Ja" zu Welser Möst. Warum sollte ich einen Dirigenten niedermachen, der mich schon dreimal unerwartet und angenehm überrascht hat?
Freundliche Grüsse
Joachim
Thomas133
Hat sich gelöscht
#3 erstellt: 20. Jul 2010, 16:38
Ich kenne Welster-Möst nur bei Radiomitschnitten und da hat er meist Chorwerke dirigiert was er nicht so schlecht tat wie zB Schuberts Es-Dur Messe von der ich auch andere Einspielungen besitze und gerade in diesem Konzert auch von der Presse sehr gelobt wurde. Außerdem rechne ich ihm hoch an das er Gottfried von Einems "Stundenlied" ausgegraben hat (was sonst nur noch in einer eher amateurhaften Einspielung auf dem Markt existiert) für mich eine der besten (Chorwerk-)Entdeckungen der letzten Zeit.
Eine Sinfonie hab ich unter ihm noch nicht gehört kann also dazu nichts sagen. Ich erinnere mich mal gehört zu haben das ja dieses Zitat "...worst-than-most" ziemlich am Anfang seiner Dirigentenlaufbahn aufkam, also nicht ganz so ernst genommen werden muß da er sich ja wie ich mal annehme sicher wie die Meisten weiterentwickelt haben wird, auch wenn natürlich die Zitate der Cleveland-Zeit das nicht gerade vermuten lassen. Aber dazu hat man wahrscheinlich zu wenig Einblick hinter den Kulissen, ob da zB auch nicht persönliche Differenzen usw. eine Rolle spielen.
lg
Thomas
Kings.Singer
Inventar
#4 erstellt: 21. Jul 2010, 11:40
Hi.

Ich habe von ihm bisher kaum Musik gehört. Aber was ich gehört habe, fand ich gut. Ich würde vor allem den Orff und den Bruckner nicht als Referenz bezeichnen, aber einen Verriss sind die Aufnahmen keinesfalls wert (ein Dirigent sagte mir, dass er die Aufnahme der Carmina von Welser-Möst für eine der besten hält!).

  • Franz Schmidt: "Das Buch mit sieben Siegeln"
  • Carl Orff: "Carmina Burana"
  • Anton Bruckner: "Messe in f-moll"


Viele Grüße,
Alex.


[Beitrag von Kings.Singer am 21. Jul 2010, 11:43 bearbeitet]
cr
Inventar
#5 erstellt: 21. Jul 2010, 11:43
Die ersten beiden habe ich auch. Sind zumindest nicht auffällig.
Joachim49
Inventar
#6 erstellt: 07. Sep 2014, 20:05
Franz Welser Möst hat seinen Job an der Wiener Staatsoper fristlos hingeschmissen, wegen Differenzen mit dem Direktor, die nicht beizulegen sind. Für die 32 geplanten Aufführungen muss nun Ersatz gefunden werden.
Jobs an Opernhäusern scheinen wenig befriedigend zu sein. Luisi könnte Nachfolger Levines an der MET in New York werden, hat aber wenig Lust dazu. Zuvor schon hat er Dresden aus Verärgerung verlassen. Luisi wird nach .... Kopenhagen gehen (an die Oper und das Radio Sinfonieorchester (da war ja mal der grosse Fritz Busch).
Kings.Singer
Inventar
#7 erstellt: 09. Sep 2014, 21:01
Dirigenten haben es in Zeiten des Regietheaters eben nicht sonderlich leicht. Wo sonst kein Wort über dem ihren steht (was ja auch für Oper lange Zeit galt), so sind sie heute eher Ausführende im Dienste der Inszenierung. Und die wird getragen von Regie und daneben und mittlerweile zusehends weniger der musikalischen Leitung - und über dem allem natürlich noch von der Intendanz.
Ich will das Regietheater hier nicht bewerten. Mir geht es um die Feststellung, dass ich als erfahrener Orchesterleiter und in diesem Sinne Tonangebender wahrscheinlich auch eher weniger Lust darauf hätte, dass mir ständig in meinem Handwerk herumgepfuscht wird. (Auch hier bitte keine Kritik am Regietheater hineinlesen!)

Grüße,
Alexander.


[Beitrag von Kings.Singer am 09. Sep 2014, 21:03 bearbeitet]
Klassikkonsument
Inventar
#8 erstellt: 10. Sep 2014, 19:14

Kings.Singer (Beitrag #7) schrieb:
Mir geht es um die Feststellung, dass ich als erfahrener Orchesterleiter und in diesem Sinne Tonangebender wahrscheinlich auch eher weniger Lust darauf hätte, dass mir ständig in meinem Handwerk herumgepfuscht wird.

Sind Kompromisse, die von der musikalischen Leitung verlangt werden, denn ein Spezifikum des "Regietheaters"? Worin bestehen sie? Lediglich bestimmte Tempi & Pausen (wird es auch schon in Verbindung mit "konventioneller" Regie geben)? Änderungen im Text oder gar in der Musik?
dktr_faust
Inventar
#9 erstellt: 10. Sep 2014, 19:25
Der wesentliche Punkt ist: Für diese Form der Zusammenarbeit müssen die verschiedenen Verantwortlichen miteinander harmonieren --> wenn das nicht der Fall ist, dann muss der "Untergebene" gehen...und das ist eben heute nicht mehr die Regie sondern der Dirigent. Das ist der einzige echte Unterschied zu "früher"

@Klassikkonsument: Ich denke, dass man solche Beweggründe als Außenstehender nicht beurteilen kann und es sicherlich nicht um solche Details geht. Wenn z.B. der musikalische Leiter kein Mitspracherecht mehr bei der Programmgestaltung haben soll (wie in der Münchner Philharmonie geplant) oder sich die Auswahl der Sänger nicht mehr nach der musikalischen sondern nach der schauspielerischen Rolle richten muss oder auch einfach (s.o.) die Vorstellungen der passenden Interpretation völlig unterschiedlich sind, dann wird irgendwann ein Punkt erreicht wo es keine echten Kompromisse mehr geben kann.

Grüße


[Beitrag von dktr_faust am 10. Sep 2014, 19:27 bearbeitet]
Kings.Singer
Inventar
#10 erstellt: 10. Sep 2014, 19:50
Da ich selbst schon als Regieassistent tätig war, kann ich mich an einige Streitpunkte erinnern. Da stieß ein streng durch das moderne Regietheater geprägter Regisseur auf einen sehr konservativen Dirigenten - wirklich keine besonders glückliche Konstellation. Der Regisseur will zur Straffung der Handlung an mehreren Stellen die Musik zusammen streichen. Nach dem Motto: "Das ist für die Handlung unnötige Musik. Wenn ich den Schauspielern hier Bewegungen und Gesten vorgebe, nur damit die gespielte Musik mit Leben gefüllt wird, gerät mir die ganze Handlung aus dem Fluss." (Ich habe den Ton wesentlich entschärft. So höflich ging es nicht zu.)
Der Dirigent: "Das ist vom Komponisten geschriebene Musik. Sie zu spielen erfüllt seinen Willen. Außerdem verlangen sie von mir gerade diese herrliche Musik zu streichen."

Wenn ich mich so durch Dirigenten-Biographien durcharbeite, dann hatten sie in der Vergangenheit bei solchen (und natürlich auch anderen) Streitfragen eine deutliche komfortablere Verhandlungsposition.

Viele Grüße,
Alexander.

P.S. Selbstverständlich ist das sehr vereinfachend und geht nicht annähernd der Tiefe der Problematik auf den Grund. Allein der Begriff Regietheater suggeriert etwas, das eigentlich so nicht existierte. Wenn man sagt, dass seit den 1970er Jahren das Regietheater auf dem Vormarsch war, dann sollte man bedenken, dass Theater nie ohne Regie ablaufen kann/konnte.
Klassikkonsument
Inventar
#11 erstellt: 10. Sep 2014, 19:59

dktr_faust (Beitrag #9) schrieb:
Ich denke, dass man solche Beweggründe als Außenstehender nicht beurteilen kann und es sicherlich nicht um solche Details geht.

Verstehe ich nicht. Klar wird man als musikalischer Leiter in einem gewissen Maße immer kompromissbereit gegenüber z.B. Regisseuren sein müssen, wenn man die Regie nicht gleich mit übernehmen wird. Insofern werden da auch solche Details, wie ich sie genannt habe, eine Rolle spielen können. Was du dann konkret nennst, geht ja in eine ähnliche Richtung - bloß nicht mehr so eng an die Erarbeitung der Produktion einer Oper gekoppelt.

Außerdem gingen meine Fragen ja eigentlich nicht auf die Gründe, warum Welser-Möst geht. Vielmehr glaube ich nicht, dass es sonderlich viel mit "Regietheater" zu tun hat, wenn es um Kompromisse geht, die der musikalische Leiter gegenüber der Regie eingehen soll. Was er dann als "in seinem Handwerk Herumpfuschen" wahrnehmen mag.
Klassikkonsument
Inventar
#12 erstellt: 10. Sep 2014, 20:09

Kings.Singer (Beitrag #10) schrieb:
Der Regisseur will zur Straffung der Handlung an mehreren Stellen die Musik zusammen streichen. Nach dem Motto: "Das ist für die Handlung unnötige Musik. Wenn ich den Schauspielern hier Bewegungen und Gesten vorgebe, nur damit die gespielte Musik mit Leben gefüllt wird, gerät mir die ganze Handlung aus dem Fluss." (Ich habe den Ton wesentlich entschärft. So höflich ging es nicht zu.)
Der Dirigent: "Das ist vom Komponisten geschriebene Musik. Sie zu spielen erfüllt seinen Willen. Außerdem verlangen sie von mir gerade diese herrliche Musik zu streichen."

Im Zeitalter der philologischen Pingeligkeit bei der musikalischen Aufführung (man spielt z.B. wieder häufiger alle Wiederholungen, auch wenn einem nicht immer ein besonderer Grund dafür einfällt) kann ich mir das nicht als typisch für's Regietheater vorstellen. Und auch nicht für einen neuen Vorrang der Regie generell vor musikalischen Konzepten.

Eher hat man heute doch häufiger eine HIP-Aufführung der Musik + "Regietheater"-Inszenierung.
driesvds-1
Stammgast
#13 erstellt: 23. Apr 2015, 20:59
fachlich und musikalisch ist er top - menschlich ist wohl eher ein typisch österreichischer "sturschedl" ...

gut so.
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