Britten, Benjamin - Pianist und Dirigent (1913 - 1976)

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Hüb'
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#1 erstellt: 30. Jan 2014, 13:33
Hallo zusammen,

jpc.de

Der englische Komponist Benjamin Britten war gleichzeitig ein guter Dirigent und sehr guter Pianist - nicht bloß der eigenen Werke. Der Erinnerung an den Interpreten Britten ist die gezeigte und 27 CDs umfassende Box gewidmet. Sie enthält sämtliche Aufnahmen für das Label Decca, inklusive einiger erstmaliger Veröffentlichungen. Insbesondere zu nennen ist, dass auch die vor ein paar Jahren auf Decca erstveröffentlichten BBC-Live-Aufnahmen vom Aldeburgh Festival enthalten sind. Darunter auch Duo-Darbietungen mit Britten und Sviatoslav Richter am Klavier.
Redundanzen zu anderen Editionen hin oder her - aber warum in einer "Britten - the Complete Performer" betitelten Box ausgerechnet die Eigeninterpretationen der Werke des Komponisten Britten fehlen, bleibt eine editorische Fehlleistung. Zu nennen sind zumindest das Violinkonzert (Lubotsky), das Klavierkonzert (Richter) und der Young Person's Guide to the Orchestra. Hierfür "muss" man auf andere Ausgaben zurückgreifen, die den Komponisten in den Mittelpunkt stellen (z. B. diese Box).

Bach
Zwar ist das English Chamber Orchestra kein vollmundig-romantisches Breitwandorchester, dennoch klingt bspw. die englisch gesungene Johannes-Passion BWV 245 eher distinguiert-gediegen, als betont lebendig. Auch ohne ein Kenner dieser Musik zu sein, vermute ich hier moderne, HIP-orientierte Interpretationen im Vorteil. Die Britten-Deutung würde ich somit vorwiegend als Zeitdokument und Interpretenportrait ansehen - und weniger als "zwingende" Einspielung im Kontext der Konkurrenzaufnahmen.
In den lauten Passagen sind bei den hohen Stimmen vereinzelt Verzerrungen zu vernehmen. Vermutlich waren die alten Bänder nicht mehr im besten Zustand?
Ähnliches, wie zu BWV 245 geschrieben, gilt IMHO auch für die beiden aufgenommenen Kantaten (BWV 102 & 151; 102 wird fälschlicherweise bei manchen Anbietern als "1102" ausgewiesen). Hier handelt es sich um Live-Aufnahmen der BBC vom Aldeburgh Festival, was man stellenweise hört. Auch scheinen mir diese Einspielungen gesanglich nicht optimal.
Die Brandenburgischen Konzerte klingen wiederum überzeugend und sind sehr gut aufgenommen (Decca Studio-Produktion).

Purcell
The Fairy Queen hat mir wirklich gut gefallen, auch wenn wiederum nicht "meine Baustelle". Mir scheint hier das Engagement für den Landsmann deutlich hörbar.

Haydn
Die Aufnahme der beiden Sinfonien Nr. 45 & 55 ist leider durch ein deutlich limitiertes, mittenlastiges Mono-Klangbild gekennzeichnet. Die Live-Aufnahmen sind aus 1957 und rauben der Einspielung doch sehr viel an Lebendigkeit. Auch hier würde ich eher von einem "kaum zu wertenden" Dokument, als von einer ernsthaften musikalischen Alternative sprechen.
Beim Cellokonzert Nr. 1 mit Rostropowitsch hingegen geht gleich in vielerlei Hinsicht die Sonne auf - nicht nur wegen des sehr guten Stereo-Klangbildes. Eine sehr gelungene Aufnahme und ein erstes Highlight der Box. Wie sich die Einspielung zu Slawas späterer Aufzeichnung des Werks mit der Academy of St. Martin in the Fields unter Iona Brown für EMI/HMV ausnimmt, kann ich leider nicht sagen.

Mozart
In den Sinfonie-Einspielungen zeigt sich ein durchgängig gutes Niveau, ohne wirklich herausragende Leistungen. Aufhorchen lassen auf jeden Fall Brittens pianistische Fähigkeiten in den Klavierkonzerten. Meiner Ansicht nach begeisternd hingegen sind die Duo-Aufnahmen mit Richter (Live vom Aldeburgh-Festival).

Schubert
CD 13 bietet eine wunderbar dräuende, sich spannend entwickelnde "Unvollendete" (D.759) mit dem English Chamber Orchestra. Wirklich hörenswert!
Die gilt ebenso für Schuberts enthalte Werke für Klavierduo mit Sviatoslav Richter, die teils durch leichte Verzerrungen in dynamischen Passagen getrübt sind (Live-Aufnahmen).
Auch die Lied-Interpretationen sind ansprechend, aber hier bin ich ganz sicher kein kompetener Rezensent. MW hat die Pears/Britten-Interpretation der Winterreise durchaus keinen so schlechten Ruf. Allerdings ist die Textverständlichkeit IMHO nicht immer optimal und an der einen oder anderen Stelle hört man durchaus, dass deutsch eben nicht Pears Muttersprache ist.

Schumann
Das zu den Liedern von Schubert gesagte kann man IMHO auch auf die Schumann-Einspielungen übertragen.
Wirklich sehr ordentlich gelungen scheint mir die mit dem ECO entstandene Aufnahme der Faust-Szenen. Diese Musik kannte ich bisher gar nicht, muss ich gestehen. Jedenfalls für mich eine lohnende Erfahrung.

Weitere Werke für Cello und Klavier
Auch hier sehr ordentliche Einspielungen unter denen diejenige der Cellosonate von Schostakowitsch wegen ihrer schroffen Explositivität herausragt. Da wird von Rostropowitsch und Britten auf Teufel komm raus musiziert, als gäbe es kein Morgen mehr.

Lieder britischer Komponisten
Insgesamt "not my cup of tea". Ich kann mir kaum vorstellen, mich mit diesen Werken erneut zu beschäftigen. Daher ohne jedwede Wertung.

Meiner Ansicht nach sind die Aufnahmen vor allem dort interessant und spannend, wo Britten als Pianist in Erscheinung tritt. Gerade bei den Kombinationen mit den befreundeten Musikern Richter und Rostropowitsch schwingt eine gewissen Magie mit, welche die Musik aus der Masse der verfügbaren Vergleichsaufnahmen heraushebt. Wo Britten hingegen als nicht einen Solisten begleitender Dirigent aktiv wird, bleiben die Aufnahmen oft seltsam blass und austauschbar und hinterlassen bei mir keinen bleibenden Eindruck. Das Gesamturteil über diese Box fällt entsprechend zwiespältig aus. Pianistisch absolut anhörenswert, ebenso als "begleitender" Dirigent, in den Produktionen mit Britten als reiner Orchesterleiter aber IMHO verzichtbar, ist das größte Verdienst dieser Box ganz sicher die Erinnerung an einen großen Künstler über seine eigenen Kompositionen hinaus.

Würde ich die Schachtel noch einmal kaufen? Vermutlich nicht. Gerade von den reinen Orchesteraufnahmen (Mozart, Bach) hatte ich mir irgendwie "mehr" erwartet, ohne jetzt sagen zu können, worin dieses "Mehr" denn eigentlich bestehen soll. Die Box ist sicher kein Fehl-, IMHO eben auch alles andere als ein Pflichtkauf. Britten-Verehrer (gibt es die hierzulande?) werden um eine Anschaffung aber wohl kaum herum kommen.

Grüße
Frank
Kreisler_jun.
Inventar
#2 erstellt: 30. Jan 2014, 13:43
Ich habe die Box neulich auch, als sie so günstig war, gekauft. Leider habe ich daraus bisher nur die Brandenburgischen Konzerte angehört.
Die Brandenburgischen sind für damals wohl sogar recht moderne Lesarten, dem Ohr, das alte Instrumente gewohnt ist, mögen sie zunächst etwas gewöhnungsbedürftig scheinen (aber sicher weniger als zB Karajan).
Allerdings kannte ich eine Reihe von Aufnahmen schon vorher.
Die Winterreise mit Pears ist ein umstrittener Klassiker. Niemand bestreitet, dass es eine außergewöhnliche Aufnahme ist, viele würden sie vermutlich sogar sehr hoch einschätzen. Andere stören sich am Timbre und einigen Manieren des Sängers.

Bei den Faust-Szenen, einem hochinteresssanten, wenn auch recht seltsamen Werk, gibt es nicht viel Konkurrenz; ich glaube, jahrzehntelang war das die einzige gute Aufnahme davon.

Die "Arpeggione" mit Rostropowitsch ist sehr breit angelegt, aber auf ihre Art natürlich sehr gut, ebenfalls eine Einspielung mit Klassikerstatus (und vermutlich gilt das für den Rest ihrer Zusammenarbeit ebenfalls, die kenne ich noch nicht alle oder nur oberflächlich).

Die meisten Aufnahmen daraus sind auch einzeln erhältlich; wenn sie nicht extrem preiswert gewesen wäre, hätte ich sie auch nicht gekauft.
Aber Winterreise und die Kooperation mit Rostropowitsch sollte man gehört haben, wenn einen das Repertoire interessiert. Und bei den Faust-Szenen gibt es wohl noch immer keine offensichtlich überlegene Aufnahme. Ich besitze noch einen Mitschnitt mit Abbado, den habe ich aber noch nicht gehört. Boulez war wohl auch ein Fan dieses Werks, es gibt aber wohl kein Dokument. (Wenn zwei so verschiedene nicht unbedeutende Komponisten wie Britten und Boulez sich um ein Werk bemühen, dann sollte eigentlich was dran sein, selbst wenn es vergleichsweise unbekannt geblieben ist, was mit seiner seltsamen Form und offensichtlich publikumswirksameren Fassungen des Stoffs (Berlioz, Gounod) zusammenhängen mag.)
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