Knappertsbusch, Hans: Dirigent

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vanrolf
Inventar
#1 erstellt: 08. Jan 2005, 03:16


Hans Knappertsbusch (1888-1965)


Hallo Forum,

seit den 70er Jahren besitze ich die Vinyl-Ausgabe der Bayreuther "Parsifal"-Einspielung von 1962 unter Hans Knappertsbusch. Diese Aufnahme wurde schon verschiedentlich im Forum erwähnt und genießt immer noch einen sehr guten Ruf. Für manche ist sie nach wie vor DIE "Parsifal"-Aufnahme schlechthin.

Auch wenn ich seither sowohl dem Komponisten Richard Wagner als auch diesem Werk etwas distanzierter gegenüber stehe, haben mich das Dirigat dieser Aufnahme (und größtenteils auch ihre gesanglichen Leistungen) immer sehr beeindruckt. Kurioser Weise bin ich aber nie dazu gekommen, mir noch andere Aufnamen unter der Leitung von Hans Knappertsbusch zu besorgen. Ich weiß, daß es da anderen ähnlich geht: der "Parsifal" ist ihre einzige Knappertsbusch-Aufnahme im Regal. Bei mir lag das sicher auch daran, daß ich früher "alten" Aufnahmen wegen der vermeintlich schlechteren Klangqualität eher ablehnend gegenüber stand. Seit einiger Zeit hat sich dies aber geändert, und der größte Teil meiner Neuanschaffungen aus letzter Zeit enthält Aufnahmen aus den 50er und 60er Jahren.

Vor einiger Zeit hörte ich dann eine von Knappertsbusch dirigierte Bruckner-Aufnahme, die mir ebenfalls sehr gut gefiel (ich glaube, es war ein Ausschnitt aus der Sinfonie No.8, Aufnahmedatum und Orchester sind mir unbekannt). Bruckner hat mich in letzter Zeit sehr beschäftigt, und da stösst man dann irgendwann zwangsläufig auf den Namen dieses Dirigenten.

Jetzt möchte ich gerne Eure Meinung zu diesem Dirigenten erfragen: Was haltet Ihr generell von ihm? Bekanntlich gehört Hans Knappertsbusch zu den Künstlern, deren Wirken im Zusammenhang mit Deutschlands dunkelstem Kapitel 1933-1945 als problematisch gesehen wird. Ganz genau kenne ich die Sachverhalte (noch) nicht, aber da könnt Ihr ja vielleicht mehr erhellendes zu beitragen.

Auch wenn in diesem Punkt nichts beschönigt oder verschleiert werden soll, möchte ich doch anmerken, daß die künstlerischen/musikalischen Aspekte darüber nicht ganz verloren gehen sollten.

Besonders interessieren mich natürlich CD-Tips, vor allem zu Bruckner-Aufnahmen. Es gibt eine Vielzahl an (meißt live eingespielten) Ausgaben, deren Qualität unterschiedlich sein dürfte und wo ich gerne Rat und Wissen der Experten anzapfen würde.

Bin sehr gespannt!

Gruß Rolf
Marthaler
Ist häufiger hier
#2 erstellt: 08. Jan 2005, 23:39
Ahh, wie nobel, dass mal jemand von anfänglicher Wagner-Begeisterung zur größerer Distanz gelangt und das auch noch eingesteht.

Gerade habe ich im Netz einen gescheiten Text zum Thema gefunden: "Blonde Bestie, ewige Jüdin - Richard Wagners Vernichtungsklang", von Gerhart Scheit.

Mal als Hinweis.

Freundlich grüßend

Marthaler
hemmi
Ist häufiger hier
#3 erstellt: 09. Jan 2005, 01:47
hallo vanrolf,
hier einige Skizzen, zum Teil frei nach "Hermes Handlixikon - Die großen Dirigenten"

* 12.03.1888 in Elberfeld, studierte nicht nur Musik, sondern auch Philosophie. Kam früh mit R. Wagners Werk in Berührung, assistierte Hans Richter und Siegfried Wagner in Bayreuth. War kein Nazi, eher Kind der Weimarer Republik und galt einer anderen Quelle nach als Kaiser-Nah. Er selbst war den Nazis eher suspekt. Sie nahmen ihn sein Münchener Amt und belegten ihn zeitweise mit Dirigierverbot. 1936 kommissarischer Leiter der Wiener Staatsoper, blieb jedoch weiterhin den Nazis nicht geheuer. Hitler äußerte sich persönlich mehrfach abfällig über ihn.
Weitere Karriere-Stationen: ca. 1912 Wagner Festspiele in Holland, 1918 Leipzig, 1919 Dessau, 1922 München. Nach dem Krieg blieb er besonders München und Wien verbunden. Er galt ausserhalb seines Berufes als menschlich sehr verschlossen, er soll früh (s)eine Tochter verloren haben (Legende?). Es gibt viele Anekdoten über ihn, besonders über seine Probenmüdigkeit. Diese resultiert aber wohl aus einer Zeit, in der das Publikum noch nicht so viel Wert auf Perfektion legte. Er selbst war kein routinierter Pragmatiker, sondern erkannte im Abliefern von Eingeübtem eine tödliche Gefahr für die Lebendigkeit der Kunst. Außerdem gab es an vielen Opernhäuserern relativ feste Ensembels, die über Jahre und Jahrzehnten zusammenarbeiteten, die sich "kannten" und wußten, wie der Kollege, arbeitete und reagierte.

Es gibt somit relativ wenige (Studio-)aufnahmen von ihm.
Ich selbst habe eine sehr schöne Aufnahme von Beethovens 5. Klavierkonzert (Clifford Curzon, Wiener Philharmoniker),
den Parsifal 1951 Bayreuther Festspiele mit einem erheblich breiteren Tempo als 1962. In neuerer Zeit sind auch zwei DVD mit Live-Mitschnitten erschienen. Seine anderen Live-Aufnahmen von den Bayreuther Festspielen sind aus urheberrechtlichen Gründen in Deutschland nicht zu erhalten. Ich selbst habe mir mal den "Ring 1958" aus Madrid mitgebracht. Einzelheiten, auch über die Aufnahme, gerne auf Wunsch.
Über seine nicht unumstrittene Wiedergabe der Bruckner-Symphonien ist m.W. in diesem Forum bereits diskutiert worden. Es ging, wie häufig bei Bruckner, um die Fassung.

"Kna" galt zwar als Spezialist für das "Deutsche Repertoir": Beethoven, Schubert, Schumann, Wagner, Brahms und Bruckner; Er war jedoch auch immer wieder für Überraschungen gut: Er galt als ausgezeichneter Dirigent der Walzer von Joh. Strauss Sohn (ich habe mal bei Saturn Köln vor einigen Jahren eine CD gesehen, ob es sie noch gibt, weiß ich nicht.) und soll mit viel Charme und Fingerspitzengefühl Gustave Charpentiers Oper "Louise" und Otto Nicolais Oper "Die lustigen Weiber von Windsor" dirigiert haben. + 25.10.1965 in München.

Herzliche Grüße
hemmi
paul_k
Ist häufiger hier
#4 erstellt: 10. Jan 2005, 12:13
Guten Morgen,
Die meisten Knappertsbusch-Aufnahmen konnte ich über "Golden Melodram" erstehen. Dabei fand ich einen erstaunlich gut aufgenommen Ring aus Bayreuth von 1956 (mit Astrid Varnay, Wolfgang Windgassen, Hans Hotter). Trotz Mono-Klang kommt hier alles klar und differenziert.
Unübertroffen allerdings ist die Aufnahme der Götterdämmerung von 1951, die vor einigen Jahren die Fa. Testament herausbrachte. Wegen Probleme bei den Veröffentlichungsrechten wurde diese fantastische Aufnahme wieder zurückgenommen. (In Madrid und in Zürich habe ich sie noch letztes Jahr im Verkauf gesehen !). Dies ist meine Referenzaufnahme geworden.
Während die Decca den Fliegenden Holländer von Bayreuth 1955 mit Joseph Keilberth aufgenommen hatte und dieser noch heute vertreibt, gibt es - wieder von Golden Melodram - den Mitschnitt von Knappertsbuschs Dirigat, der 1955 sich mit Keilberth abwechselte. Einziger Unterschied ist die Besetzung des Erik. Welchen Mitschnitt - Keilberth oder Knappertsbusch - ich bevorzuge, kann ich gar nicht sagen, es lohnt sich, beide sich anzuhören.
Bezüglich der Parsifal-Mitschnitte gibt es deren viele; nicht nur den von Philips veröffentlichten, sondern auch die von Golden Melodram.
Die einzige Aufnahme, die mich enttäuschte, ist die Meistersinger-Aufnahme mit den Wiener Philharmoniker, was allerdings weniger an Knappertsbusch, sondern eher an der - für mich - statisch und farblos wirkenden Besetzung liegt, geführt von einem ziemlich knödelig klingenden Günter Treptow als Stolzing.
Als Konzertdirigent habe ich nur eine Knappertsbusch-Aufnahme: 2.Symphonie von Brahms (Berliner Philharmoniker, 1947) gekoppelt mit Les Préludes von Liszt. Da gefallen mir andere besser...
Ich glaube, um Knappertsbusch am besten einschätzen zu können, sollte man zu den Live-Aufnahmen aus Bayreuth greifen; da finden sich großartige, unübertroffene Schätze. Siehe oben.
bis auf bald

Paul
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