Maazel, Lorin: Ein Wunderkind ?

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Alfred_Schmidt
Hat sich gelöscht
#1 erstellt: 27. Apr 2004, 14:15
Hallo,

Das Fragezeichen hinter Wunderkind ist ein rhetorisches, er war nämlich eines.
Bereits mit 8 Jahren trat er öffentlich auf und dirigierte mit 11 bereits das NBC Orchestra (über Toskaninis Vermittlung)sowie mit 13 das Cleveland Orchester. In der Folge studierte er in Pittsburgh Violine und Dirigieren.
Er leitete etliche Weltklasseorchester, unter anderem das Cleveland Orchestra als Nachfolger Szells (1972-1980). Er war 2 Jahre Direktor der Wiener Staatsoper, und dirigierte auch in Bayreuth.
Dennoch- nach einer "Referenzaufnahme" mit ihm befragt - mir fiele keine ein.
Weder ein weltbewegender "Beethoven-Zyklus", noch eine unerreichte Einspielung einer Mozart-Sinfonie, kein auffallender Brahms, kein Bruckner der "Maßstäbe" setzt.
Ich besitze eine Aufnahme wo er Mahlers 4. überirdisch schön dirigiert, mit Betonung der "melancholischen" Stellen. Aber sonst ---
Daß Maazel ein sehr guter Dirigent ist, steht ausser Zweifel, aber auf welchen Einspielungen hört man sein "unverwechselbares" Dirigat ?? Gibt es solche überhaupt ?
Meine Arbeit ist getan, jetz kommt Euer Teil

Gruß
aus Wien
Alfred
kleinerhanswurst
Ist häufiger hier
#2 erstellt: 27. Apr 2004, 16:23
Spontan fällt mir da auch nichts ein. Halt, doch: Franck d-Moll und Mendelssohns 5. Symphonie hat er ziemlich gut hinbekommen. Ob's Referenz ist, wer kann das schon sagen, mir gefällt's. Ist auch aus seiner Frühzeit, in der er - glaube ich - Nachfolger Fricsay in Berlin war. Die Aufnahmen. Die Mendelssohn ist allerdings mit den Philharmonikern aufgenommen. Wenn ich Fernsehaufnahmen von ihm sehe, schalte ich aber unweigerlich ab - zumindest das Bild. Der hat immer so eine selbstherrliche, gottgleiche Mimik drauf. Als Orchestertrainer hat er wohl seine Meriten, immerhin schwärmen die Musiker des Symphonieorchesters des BR von seiner Art.

Hans
Markus_Berzborn
Gesperrt
#3 erstellt: 27. Apr 2004, 22:01
Mir fällt da z.B. Maazels Sibelius-Zyklus ein, obwohl ich vielleicht letztlich doch Barbirolli den Vorzug geben würde. Oder das Skrjabin-Klavierkonzert mit Ashkenazy.
Von "unverwechselbarem Dirigat" würde ich aber in beiden Fällen nicht sprechen. Vielleicht ist es ja gerade eine Stärke von Maazel, dass man ihn nicht "heraushört"?

Gruß,
Markus


[Beitrag von Markus_Berzborn am 27. Apr 2004, 22:17 bearbeitet]
Norbert2
Ist häufiger hier
#4 erstellt: 27. Apr 2004, 23:55

Spontan fällt mir da auch nichts ein. Halt, doch: Franck d-Moll und Mendelssohns 5. Symphonie hat er ziemlich gut hinbekommen. Ob's Referenz ist, wer kann das schon sagen, mir gefällt's.


Definitiv, Hans, die CD mit beiden Aufnahmen gefällt mir auch ausnehmend gut. Maazel läßt sehr temperamentvoll und frisch dirigieren, ohne über Details hinwegzuspielen.

Sehr empfehlenswert ist auch seine "La Traviata" aus 1969.
(Mit dem Orchster der Deutschen Oper Berlin, Decca 443 000-2).
Es handelt sich um eine Aufnahme mit damals jungen, unverbrauchten, Stimmen (Pilar Lorengar, Giacomo Aragall und Dietrich Fischer-Dieskau), in der man die Spiel- und Singfreude deutlich spürt. Wohltuend hebt sich diese Produktion von den Routineaufnahmen ab, von denen es imo gerade im Opernbereich zu viele gab und gibt.

Und sonst? Hm, so viele Aufnahmen habe ich gar nicht von und mit Maazel. Ach, doch: Tschaikowskis Violinenkonzert mit Gidon Kremer und den Berliner Philharmonikern (die erste Digitalaufnahme der Deutsche Grammophon). Aber die hatte ich mir eher wegen Kremer gekauft als wegen Maazel.
Albus
Inventar
#5 erstellt: 28. Apr 2004, 08:47
Morgen,

rasch und kurz, auch der Skrupel wegen: Maazel war ein auffällig vorzüglicher Aufführungs-Dirigent, weniger ein Schallplatten-Dirigent. Was Lorin Maazel in Hamburg und Braunschweig und in Paris mit dem NDR-Sinfonieorchester dargeboten war stets herausragend. Ob nun Brahms 1., die Neue Welt oder Sibelius 1. Wir, meine Frau und ich, auch das Publikum, waren enorm beeindruckt. Was der Herr Dirigent mit wenigen Proben zustande brachte, das war schon zum Nichtvergessen. Die Berliner Phil... hätten sZt Maazel nehmen sollen, statt Claudio Abbado.
Er war, sagte er von sich, eitel: "Wir sind alle eitel." Recht hat er, der Lorin Maazel. Er konnte auch verständig über Musik schreiben (siehe diverse Veröffentlichungen im Umfeld des BR). Sein Komponieren ist eine andere Angelegenheit.

Maazel ist ein Musiker. - Schallplatten, erinnerungswürdig?, ich meine Schubert, die Dritte und der Sibelius-Zyklus.

MfG
Albus


[Beitrag von Albus am 28. Apr 2004, 08:54 bearbeitet]
BigBerlinBear
Stammgast
#6 erstellt: 29. Apr 2004, 18:29
Die absolute Referenzaufnahme hat er mit dem kitschigen "Requiem" des Andrew Lloyd Webber abgeliefert, das ein Dirigent, der einigermassen auf seine Reputation bedacht ist, nicht mit 2 Fingern angefasst hätte
peet_g
Stammgast
#7 erstellt: 04. Jun 2004, 21:23

<...> Maazel war ein auffällig vorzüglicher Aufführungs-Dirigent, weniger ein Schallplatten-Dirigent.
Das ist aus meiner Sicht absolut richtig. Konzerte mit Maazel habe ich in Erinnerung von-bis, in Details. Es war jedesmal ein absolutes Erlebnis, einfach genial. Seine Aufnahmen lassen mich meist kalt. Trotzdem - ein hervorragender Musiker.

Und: er war nicht, er ist es immer noch! :-)
Joachim49
Inventar
#8 erstellt: 23. Apr 2010, 20:41
Ich habe diesen uralten thread wiederbelebt, da es neues zu berichten gibt. Maazel hat in einem Interview bestätigt, dass er mit den Münchner Philharmonikern als Thielemann Nachfolger im Gespräch ist. Er war gerade 80, glaube ich, und kennt Mûnchen ja sehr gut, da er schon einige Jahre beim Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks Chef war. Vor langer Zeit habe ich ihn mal live mit Cleveland und den Brahmssinfonien gehört.
Joachim
Hüb'
Moderator
#9 erstellt: 28. Apr 2010, 14:47
Hallo Joachim,

mW wurde längst Vollzug gemeldet.

Grüße
Frank
Joachim49
Inventar
#10 erstellt: 28. Apr 2010, 19:31
Stimmt, Frank, der Vertrag wurde schon Ende März unterzeichnet, für drei Jahre. Kurz bevor ich den Beitrag schrieb muss ich irgendwo (klassik.com?) einen Artikel gelesen haben, in dem der Eindruck geweckt wurde, als seien die Vertragverhandlungen noch nicht abgeschlossen.
Danke für die Korrektur
freundliche grüsse
Joachim
op111
Moderator
#11 erstellt: 29. Apr 2010, 12:27

Albus schrieb:
- Schallplatten, erinnerungswürdig?, ich meine Schubert, die Dritte und der Sibelius-Zyklus.

Der Sibelius-Zyklus fällt mir auch zuerst ein, v.a. die fulminante 4.

Jean Sibelius
Symphonien Nr. 1-7
Wiener Philh.
Lorin Maazel
Decca , ADD, 1963-68
jpc.de

und natürlich
Maurice Ravel
L'enfant et les sortileges
+L'Heure espagnole
+Strawinsky: Le Chant du Rossignol
+Rimsky-Korssakoff: Capriccio espagnol op. 34
Ogeas, Berbie, Collard, Gilma, Herzog, Senechal, ORTF Orch.,
RSO Berlin, Berlin PO,
Lorin Maazel
DGG , ADD, 61
jpc.de

Neuere Aufnahmen (Sibelius remake, Mahler) haben mich weniger überzeugt. Die CBS Brahms- und Beethoven-Zyklen um 1980 herum (Cleveland O.) waren damals originell "gegen den Strich gebürstet" aber konnten mich aufnahmetechnisch weniger überzeugen (hallig, entfernt, unklare Mittelstimmen).
Kreisler_jun.
Inventar
#12 erstellt: 29. Apr 2010, 15:16
Die DG-Box mit Aufnahmen des jungen Maazel aus den späten 1950ern und frühen 1960ern fand ich insgesamt sehr lohnend, während mir das wenige, was ich aus dem Digitalzeitalter gehört habe, eher solide, aber blass vorkam.

Einige "Highlights" der frühen Einspielungen, die meisten aus besagter Box:

Beethoven 6
Mendelssohn 4+5
Franck: Sinfonie
Tschaikowsky: 4
Berlioz: Romeo&Julia
Rimsky: Capriccio

die beinahe kompletten Schubert-Sinfonien sind sicher nicht unumstritten: sehr schnell, brillant, wenig "wienerisch". Mir gefällt das größtenteils ziemlich gut... Ebenso, auch wenn ich die lange nicht mehr gehört habe, die mitunter recht wuchtige "Traviata" aus Berlin (ca. 1969).

JK jr.
Martin2
Inventar
#13 erstellt: 23. Okt 2010, 00:01
Also zunächst mal bin ich etwas belustigt über die Sache mit dem "unverwechselbaren Dirigat". Ich höre ehrlich gesagt nur, wenn eine Sache gut ist oder auch wenn sie schlecht ist, natürlich kann man eventuell Vermutungen anstellen. Natürlich sind Sachen in einer bestimmten Weise interpretiert, aber unverwechselbar finde ich wirklich wenig, wobei eine Interpretation sicher schon sehr unverwechselbar sein kann, nur ich habe noch nie eine Sache gehört, die ich nie kannte und sie gleich einem bestimmte Dirigenten zuordnen können.

Ich erinnere eine sehr gute Sibelius 4. Dann kam ich neulich dazu in die Sonybox hinein zu hören, wo sogar gleich 3 CDs aus dem Beethoven Zyklus dabei waren. Beethovens 9. gefiel mir, aber was ganz ausgezeichnet war, waren Beethovens 4. und 5. Viel damit zu tun hatten die Wahl der Tempi. Maazel gestattet sich in der 4. einen langsamen Eröffnungsatz und ein schnelleren langsamen Satz und das gefiel mir ausgezeichnet. Es war insgesamt eine sehr interessante Interpretation, was aber auch für die 5. gilt. Der 1. Satz überraschend schnell gespielt, dazu aber noch überhaupt nicht dröhnig, sondern fast zurückhaltend analytisch. Das war vollkommen gegen die Erwartungshaltung gerichtet und wird den, der das Schicksal donnern hören wollte, sicher enttäuschen, aber mir gefiel es ausgezeichnet. Der letzte Satz wiederum viel langsamer genommen, als ich es gewöhnt war. Dies nahm dem Satz aber viel von dem triumphalen Kehraus Charakter und gab ihm Gewicht und Entwicklung und so hatte ich das noch nie gehört. Beethovens 6. dagegen, die Kreisler Jr. gefiel, fand ich ausgesprochen enttäuschend, auch wenn ich sie nicht sehr konzentriert hörte. Das Pastorale übertrug sich mir nicht, wie es mit besonders bei den langsamen Tempi des Blomstedt gefällt.

Jedenfalls boten mir diese Sinfonien gerade bei den Sinfonien 4 und 5 ausgesprochene Überraschungen, die mich zudem überzeugten. Beethovens 9. schien mir, wenn auch nicht unbedingt besser so doch interessanter zu sein als Karajan.

Na ja, das waren schlicht meine ersten Eindrücke bei einem einmaligen Hören, die natürlich wenig objektive Aussagekraft haben ( objektiv waren allerhöchstens die Tempovergleiche mit Szell und Blomstedt, die ich mit dem Maazel verglich). Gerade zur 4. und 5. werde ich aber sicher mal zurück kommen, sie gefielen mir.

Gruß Martin
Joachim49
Inventar
#14 erstellt: 20. Mrz 2012, 12:40
Ende der 80-er Jahre ist Lorin Maazel mit dem französischen Nationalorchester (ONdF), dessen Musikdirektor er ist, auf Tournee in New York. In der Pause deutet er einem Orchestermusiker an, er solle nach der Pause nicht mitspielen, oder er, Maazel, weigere sich zu dirigieren. Der Musiker ist bereit nicht aufzutreten, aber die andere Orchestermitglieder weigeren sich zu spielen, wenn er nicht dabei ist. Man lässt Maazel wissen, entweder spiele der unerwünschte Musiker mit oder das ganze Orchester weigere sich zu spielen. Maazel wirft einen Blick auf's Orchester, sieht den unerwünschten Musiker, verlässt den Saal und fährt mit dem Taxi in sein Hotel. So endete das Engagement Maazels beim Orch. National de France.
Auf Maazels offizieller website findet sich kein Hinweis, dass er je Chefdirigent des Franz. Nationalorchesters war, obwohl alle andere Posten erwähnt werden. Auch im wikipedia Artikel sind keine Spuren einer früheren Tätigkeit Maazels beim ONdF zu finden.
(Quelle: Christian Merlin: 'Au coeur de l'orchestre, p.441-2 (Paris, Fayard 2012))
Hüb'
Moderator
#15 erstellt: 20. Mrz 2012, 14:59
Der Wiki-Eintrag zum Orchester führt ihn hingegen auf:
http://de.wikipedia.org/wiki/Orchestre_National_de_France
*renrew*
Ist häufiger hier
#16 erstellt: 24. Jun 2012, 03:40
Gewiß war LORIN MAAZEL ein Wunderkind, und zwar im Gegensatz zu den meisten anderen Wunderkindern ein höchst seltenes Wunderkind, nämlich im Dirigieren. Früh erkannte man sein absolutes Gehör, mit 7 Jahren begann er ein Dirigierstudium bei WLADMIR BAKALEINIKOFF in Los Angeles, und in der Folge in Pittsburgh, mit 8 Jahren dirigierte er anläßlich der WELTAUSSTELLUNG IN NEW York ein Symphonieorchesteer in der HOLLYWOOD BOWL und schließlich mit 11 Jahren stand er am Pult des NEW YORK PHILHARMONIC ORCHESTRA, noch dazu auf Einladung des großen ARTURO TOSCANINI, was schon fast ähnlich genial war wie das frühe Auftreten eines YEHUDI MENUHINS mit BRUNO WALTER. Schon zu diesem Zeitpunkt unterbrach LORIN MAAZEL das Orchester bei jeder falschen Note und setzte seine Auffassung durch. Er erntete mit diesem Auftritt soviel Erfolg und so große Aufmerksamkeit, daß er in der Folge die Konzerte der NEW YORKER PHILHARMONIKER dirigieren durfte. Im LEWISOHN STADIUM in MANHATTAN dirigierte er vor 8500 Zuhörern. Mit 15 Jahren hatte er bereits viele große amerikanische Orchester dirigiert, insbesondere CLEVELAND, PHILADELPHIA, CHICAGO, LOS ANGELES und SAN FRANCISCO. Man bewunderte schon damals sein unglaubliches Gedächtnis und seine Schlagtechnik, und erkannte seinen großen Ehrgeiz und seine enorme Belastbarkeit.

Dennoch stieg ihm die große Aufmerksamkeit, die er damit erregte, nicht in den Kopf, und er verließ sich auch nicht auf diese so frühen Erfolge, sondern begann an der University of Pittsburgh mit einem Studium der Philosophie, Mathematik und Sprachen. Ihm wurde aber schnell klar, daß Musik für ihn alles bedeutete, und so setzte er auch seine musikalische Ausbildung fort und erwarb sich gleichzeitig erst einmal als Orchestergeiger Praxis im PITTSBURGH SYMPHONY ORCHESTRA und als Primgeiger im FINE ARTS QUARTET. Mit dem Ruhm eines Wunderkinds kam er dann aber erst einmal nicht mehr weiter; und es wurde ruhig um ihn.

Sein großer Durchbruch als Dirgient - auch in Europa - gelang ihm, als ihm 1952 die FULBRIGHT-STIFTUNG eine Reise nach Italien ermöglichte, wo er zunächst noch intensiv die barocke Musik studierte. Noch im gleichen Jahr konnte er für PIERRE DERVAUX einspringen, und immer mehr Orchester interessierten sich für ihn. Besonders in Berlin erntete er stürmischen Beifall. Als erster und jüngster amerikanischer Dirigent wurde MAAZEL 1960 nach BAYREUTH eingeladen (LOHENGRIN). Mit dem Orchester des französichen Rundfunks unternahm er 1961 eine Tournee nach Australien, und 1962 verzeichnete er mit dem gleichen Orchester in den USA. einen triumphalen Erfolg. Noch im gleichen Jahr dirigierte er DON GIOVANNI an der MET, und 1963 debütierte er bei den SALZBURGER FESTSPIELEN mit LE NOZZE DI FIGARO! Es ging dann mit seinem Aufstieg als Dirigent rasant weiter . Nach 10-jähriger Gastdirigenten-Tätigkeit erhielt er 1965 sein erstes festes Engagement als GMD an der DEUTSCHEN OPER BERLIN, das er bis 1971 innehatte. Von 1965 bis 1975 leitete er auch das RSO Berlin. 1972 - 82 wurde er als Nachfolger von GEORGE SZELL Chefdirigent beim CLEVELAND SYMPHONY ORCHSTRA. 1982 - 84 war er Direktor der WIENER STAATSOPER, und ab 1988 Music Director des PITTSBURGH SYMPHONY ORCHESTRA. 1989 erlebte er dann allerdings eine sehr bittere Enttäuschung, als die BERLINR PHILHARMONIKER nicht ihn, sondern CLAUDIO ABBADO zum Nachfolger KARAJAN's wählten. Dies hat ihn sehr getroffen. 1993 wurde er Chefdirigent beim SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS. 2002 wurde er Musikdirektor beim NEW YORK PHILHARMONIC ORCHESTRA, wo er sich besonders wohl fühlte. Mit diesem Orchester gab er 2008 in Europa eine Abschiedstournee.

LORIN MAAZEL erntete nicht nur in zahllosen Konzerten mit den verschiedensten renommierten Orchester in der ganzen Welt große Erfolge, sondern es existieren mit ihm durchaus auch sehr beachtenswerte Tondokumente seines enormen Schaffens. MAAZEL dirigierte dank seines phänomenalen Gedächtnisses fast jedes Werk auswendig, und er konnte sich so voll auf den Inhalt jedes von ihm dirigierten Werkes und dessen Gestaltung konzentrieren. Man rühmt seinen großen musikalischen Verstand und seine klare und stets präzise Darstellungsweise. Einer zu starken Klangfülle und übertriebenen Klangästhetik, wie vor allem von KARAJAN geliebt und praktiziert, stand er immer eher skeptisch gegenüber, Sentimentalität suchte er immer zu vermeiden. Manche Kritiker werfen ihm deshalb bei einigen Interpretationen eine zu große Kühle vor, doch emfanden dies andere Kritiker wiederum gerade als erfrischend.

Meiner Meinung nach hat MAAZEL gerade den so spezifischen "schubertschen Nerv" sehr gut getroffen. Seine Interpretation der frühen 5. und 6. Sinfonie von SCHUBERT mit den BERLINER PHILHARMONIKERN bei der DGG hat für mich sogar Referenzcharakter. Es wird zwar straff und scharf profiliert musiziert, doch erklingt Schubert's Musik keinesfalls akademisch-trocken, sondern sehr differenziert und sensibel reagierend auf SCHUBERT's häufige Stimmungsschwankungen, von zart bis erfrischend und hin zu romantisch-dramatisch. Eine mich ähnlich überzeugende Interpretation konnte ich bisher nur durch die LONDON MOZART PLAYERS unter HARRY BLECH, in einer alten Einspielung der 5. Sinfonie bei HIS MASTER'S VOICE verzeichnen.

Und schließlich: was heißt schon "unverwechselbar!"?! Wäre es das Ziel eines Interpreten, sich von schon bestehenden guten Interpretationen bekannter Werke absichtlich unterscheiden zu wollen, um eine ganz neue Version bieten zu können, dann könnte man eine solche Haltung sicher nicht gutheißen, denn jeder Interpret sollte ein Werk so spielen, wie er dieses aus der Partitur liest, und wie dieses in seinem Inneren zum Erklingen kommt. Wenn dann 5 oder 10 Dirigenten zu einer sehr ähnlichen oder gar identischen Deutung eines Werkes finden, dann ist mir dies viel lieber, als wenn ein Dirigent mit einer nicht selbst gefühlten, nur auf Neuheit und Abweichung abzielende Interpretation "auf den Markt" kommt.

Viele Grüße
Kreisler_jun.
Inventar
#17 erstellt: 24. Jun 2012, 11:56
Der unvollständige (die erste und die "Große" fehlen) ist, neben weiteren frühen Aufnahmen Maazels in dieser Box enthalten. Die Schubert-Sinfonien gibt es auch einzeln von der franz. DG (und evtl. als australian eloquence). Mir gefallen die auch ziemlich gut, sie sind sehr brilliant und mit Verve gespielt, für manche Hörer fehlt es vielleicht an "Gemütlichkeit".

amazon.de amazon.de
Hüb'
Moderator
#18 erstellt: 16. Sep 2013, 10:46
Hallo,

da es gut in das Thema passt, zur "Archivierung"der Beitrag auch an dieser Stelle:

amazon.de


Nachdem ich mich nun eine ganze Weile mit den immerhin 30 CDs dieser Box beschäftigt habe, möchte ich euch meine Eindrücke nicht vorenthalten. Bei den Aufnahmen handelt es sich um ältere und jüngere Einspielungen der Label RCA und Sony/CBS, die ab Ende der 70er bis rauf in die 2000er entstanden.

Sibelius: Sinfonien
Nach wie vor meiner Ansicht nach ein sehr guter, konkurrenzfähiger Zyklus. Leider fehlt das Violinkonzert mit Julius Rachlin, welches sicher noch in die Box gepasst hätte. Aber scheinbar war die Maxime (?), dass keinesfalls Solistenkonzerte enthalten sein dürfen - so ein Quark.

Beethoven: Sinfonien
Lasch, langweilig und beliebig und auch klanglich nur mittelprächtig/unauffällig, sind die Adjektive, die mir zu Beschreibung dieser Einspielungen einfallen. Die Streicher bleiben zumeist blass und klingen an vielen Stellen pauschal und unverbindlich. Man wünscht sich ein Stück der Differenzierung und der Ansprache, wie man sie von vielen Spitzenaufnahmen gewohnt ist. Die Produktionen haben mich leider an keiner Stelle gepackt ("Gänsehaut" Fehlanzeige) - was bei den Sinfonien von Beethoven wirklich selten ist.
Es sind viele Kleinigkeiten, die Fragezeichen hinterlassen und insgesamt zu einem unbefriedigenden Eindruck führen. Z. B. die seltsam überdehnte Pause zu Beginn der 4. Sinfonie, die ich so nicht kenne, das immer wieder - auch klangtechnische - Hervorziehen einzelner Stimme oder auch die Stelle mit den strahlenden Dur-Passagen zu Beginn des 2. Satzes der 5., die so herrlich mit dem einsetzenden Kontrabass kontrastiert, der bei Maazel aber eher nach einem unmotivierten Rülpsen klingt.
Vielleicht sind diese Eindrücke meinerseits etwas überspitz formuliert, denn ein Beethoven-Zyklus macht mir eigentlich immer große Freude, nur könnte diese Freude unter einem anderen Dirigat wohl noch größer sein. Mit Blick auf die reichhaltige Konkurrenz der verfügbaren Aufnahmem (gibt es einen häufiger eingespielten Sinfonien-Zyklus?) ist das einfach zu wenig, so dass ich leider von einer aus meiner Sicht überflüssigen Gesamtaufnahme sprechen muss.

Respighi: Rom-Triologie, Berlioz: Symphonie fantastique, Saint-Saens: Sinfonie Nr. 3 etc., Ravel, Holst, Debussy, Mahlers 1. Sinfonie
Wirklich in Ordnung und klanglich gut bis sehr gut.

Strauss, Wagner, Strawinsky: diverse Orchesterwerke
Top-Einspielungen. Klanglich super.

Prokofieff: Lt. Kije Suite
Wirklich klasse. Trifft genau den richtigen Ton zwischen (ironischer) Melancholie und schelmischen Schmiss. Auch klanglich ganz hervorragend.

Tschaikowsky Sinfonie Nr. 4-6:
Die 4. beginnt sensibel ausgehört und fein abgewogen und endet im üblich-banalen Rumms. Gut, da kann der Lorin nix dafür, was der Peter da auf's Notenblatt geschmiert hat. Andere könnnen da kaum mehr retten.
Auch der 6. gewinnt Maazel keine mich begeisternden Seiten ab.
(Ich kann den Sinfonien von PIT - leider - immer nochwenig abgewinnen. Ich nehme ihm die in Noten zum Ausdruck gebrachten Empfindungen einfach nicht ab. Das wirkt für mich wie "geschauspielerte" Musik, die nicht aufrichtig bei mir ankommt.)

Bei Nichtigkeiten wie Wellingtons Sieg, 1812-Ouvertüre oder den Werken von Grofé und Herbert verstehe ich grundsätzlich nicht, wieso Spitzenorchester und ein Stardirigent meinen, sich mit ihnen befassen und diese einspielen zu müssen. Gäbe es da nichts Wichtigeres oder Interessanteres? Ganz sicher ja!
Zumal das arme Schwein von Hörer sich sogar durch zwei verschiedene Versionen der 1812-Ouvertüre quälen darf, von denen die Einspielung mit dem Cleveland Orchester (mit Chor), die knackigere, weniger zugeballerte, impulsivere und insgesamt "bessere" Version sein dürfte.

Unter den beteiligten Orchestern (Pittsburgh, Cleveland, SO des Bayerischen Rundfunk, Franz. Nationalorchester, Berliner und Wiener PO) belegen die Bayern und die Wiener für mich klar die Spitzenposition in diesen Aufnahmen und bestätigen einmal mehr ihren exzellenten Ruf.

Was bleibt? Eine Reihe guter, wenige sehr gute bis überragende (Wagner, Strauss, Sibelius, Prokofieff) und ein paar schwache Aufnahmen (Beethoven-Zyklus). Für mein Empfinden versagt Maazel allerdings vor allem dort, wo es musikalisch wirklich darauf ankommt (Beethoven). Insgesamt werde ich mit der Box wohl kein glühender Maazel-Verehrer. Dafür sind mit Blick auf meinen musikalischen Geschmack einfach keinen wirklichen "must-have"-Einspielungen enthalten.
Aus einer anderen (neutraleren, Einsteiger-)Perspektive betrachtet bietet die Box eine gute Übersicht über ein breites Repertoire mit insgesamt im positiven Sinne "mittelmäßigen" Interpretationen für vergleichsweise kleines Geld. Andere "Dirigenten-Boxen" sind hier inhaltich zumeist weniger weit gefächert aufgestellt bzw. setzen deutlich andere Schwerpunkte.

Grüße
Frank
EKBT
Stammgast
#19 erstellt: 13. Jul 2014, 20:44
Lorin Maazel ist heute mit 84 Jahren in Folge einer Lungenentzündung verstorben:

http://www.nytimes.c...4.html?ref=arts&_r=0
cr
Inventar
#20 erstellt: 13. Jul 2014, 21:47
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