Review Hifiman R7DX vs HE-X4

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MartinKa
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#1 erstellt: 31. Mai 2022, 22:56
Werter Leser und werte Leserin,

wie in meinem letzten Review zum "mobilen Offenen", dem Grado GW100, versuche ich mich hier an einem kleinen Produkttest. In diesem Zusammenhang sei meine Selbstbezeichnung als "Kopfhörerenthusiast" erwähnt, was nicht notwendigerweise mit audiophiler Strenge und lückenlosem Technikverständnis einhergeht. Ich habe sicherlich insgesamt um die 25 Kopfhörer besessen, weshalb ich mir einbilde, meine Perspektive einigermaßen gut verteidigen zu können. Diese Perspektive zu teilen oder nicht zu teilen, bleibt dagegen leider das Laster von Leser und Leserin.

Heute sollen die beiden Einstiegsmodelle aus dem Sortiment von Hifiman vorgestellt werden, welche beide in einer Aktion 99 $ (US-Import) kosteten. Sie könnten jedoch von den Eckdaten kaum unterschiedlicher ausfallen, da es sich beim R7DX um einen geschlossenen und dynamischen Kopfhörer und beim HE-X4 um einen offenen und planaren Kopfhöhrer handelt (nebenbei: HE-X4 + "Stealth Magnets" + andere Lackierung = HE400SE). Wer mein Grado-Review gelesen und den 800S in meiner Sammlung als teuersten Kopfhörer erspäht hat, wird daraus durchaus eine pauschal-subjektive Präferenz für "lebendige" Kopfhörer mit dynamischen Treibern ableiten können. Der bis zum Erhalt des HE-X4 einzige planare Kopfhörer meines Vertrauens war der LCD-2C von Audeze, welcher bei Genres wie EDM und D'n'B durch seinen nüchternen und trockenen (will sagen: "erwachsenen") Bass positiv auffällt. Angesichts des Preispunkts kam es jedoch zum Kauf des HE-X4, ohne ihn jemals am Ohr getragen zu haben. Obendrein: Mein erster Hifiman. Doch kurz darauf folgte der Kauf des R7DX in der Aktion, welcher rein äußerlich noch unscheinbarer daherkommt als sein planarer Kollege.

Relevant für alle nachfolgenden Aussagen ist der Anschluss beider Kopfhörer an den Lehmannaudio Linear USB, den ich beinahe durchgehend in der alltäglichen Praxis verwende, da ich durchaus über hochohmige Kopfhörer verfüge und deshalb den Sound gemäß meiner eigenen Gewohnheiten testen wollte. Bei explizitem Wunsch würde ich jedoch noch einmal einen Abschnitt ergänzen, bei welchem ich die beiden Hifimänner am Handy betreibe. Mit 16 beziehungsweise 25 Ohm sind beide dafür durchaus prädestiniert, auch wenn sie als kabelgebundene und mit respektablen Treibergrößen ausgestattete Modelle sicherlich nichts in U-Bahn und Bus zu suchen haben. Einige Käufer empfanden zudem speziell den R7DX als sehr unästhetisch, was mich beim Heimgebrauch allerdings nicht sonderlich kümmert.

Haptik/Pads & Kabel
Der HE-X4 verfügt laut Angabe über "plush earpads" und tatsächlich fällt die auf den Ohren liegende Fläche äußerst "gemütlich", weich, leicht kitzelnd und regelrecht wärmend aus, während die Seitenflächen der Polster sehr glatt daherkommen und sich somit einfacher reinigen lassen. Fusseln und Haare bleiben am flauschigen Teil nämlich nur allzu gerne hängen. Zu keinem Zeitpunkt kommen meine Ohren mit den Treibern in Kontakt. Der Anpressdruck ist recht gering und mit etwas Konzentration darauf vor allem unterhalb der Ohrmuscheln zu spüren. Bei entsprechender Ablenkung mit Musik, Film und Arbeit fällt das nach einiger Zeit aber kaum noch auf. Das sehr schmale Kopfband erhielt praktisch gar keine Polsterung. Dafür liegt es zumindest bei meiner schmaleren Kopfform recht gut auf, sodass ich hier nicht von einem signifikanten Drücken sprechen würde. Wer den Grado RS2e kennt, wird ungefähr wissen, worauf er oder sie sich einlässt. Bei 420 g kann mich der Kopfhörer nicht ganz so im Nacken triezen wie ein Audeze, ist aber sicherlich nicht die optimale Wahl für Menschen mit geringer Konstitution und "Rücken" (gemäß Horst Schlämmer). Die Ohrmuscheln lassen sich recht weit nach links und rechts drehen und wirklich sehr weit (!) nach innen oder außen. Das trifft übrigens auch auf den R7DX zu. Dadurch, dass die Aufspaltung am abnehmbaren 1,5-m-Y-Kabel recht weit unten sitzt und das Kabel zudem recht dünn ausfällt, komme ich am Hals praktisch gar nicht in Konflikt mit dem Gestrüpp. Als Randbemerkung und mit bösem Blick in Richtung Grado sei erwähnt, wie toll diese Sorte Kabel auch anderen Herstellern zu Gesicht stehen würde. Als etwas gewöhnungsbedürftig empfand ich dagegen den angewinkelten Anschluss mit beiderlei Klinkengrößen, da ich hier am Lehmannaudio keinerlei Vorteil durch die 90°-Abbiegung erkennen konnte. Vielleicht mag es nach vorne hin etwas platzsparender werden, da der Anschluss somit kaum über den Regler hinausragt; aber wozu eigentlich, wenn sich das Kabel bei einer Seitenlage oder nach oben gerichtet dann etwas weiter hinter dem Anschluss sowieso wieder in meine Richtung biegt? Die Höhenverstellbarkeit erfolgt stufenlos. Ein Verbesserungsvorschlag wäre, die beiden Seiten "L" und "R" in etwas kontrastreicherer Farbe zur Umgebung zu markieren, selbst wenn das vielleicht nicht mehr zum nüchternen Äußeren passen würde. In der Praxis muss ich jedes Mal bei guter Beleuchtung genau hinsehen, wo links und rechts sind. Das nervt!

Der R7DX kämpft mit demselben Kopfband, wartet mit derselben Kabellänge auf (mitsamt denselben Vorteilen in der Handhabung) und verfügt ebenfalls über eine unzureichende Kennzeichnung von links und rechts. Offenbar wurde das Modell für breite Köpfe entwickelt, denn selbst bei niedrigster Einstellung liegen mir die Ohrpolster quasi auf den Ohrmuscheln auf und meine Ohren sitzen damit nicht ganz genau mittig, was ich bei den Soundtests entsprechend berücksichtigen und korrigieren musste. Die in Reviews häufig erwähnte Kritik des geringen Anpressdrucks lässt sich im Sinne eines gewünschten "bass impacts" bei Heavy Metal und Co. durchaus nachvollziehen, allerdings ist der R7DX auch unglaublich angenehm zu tragen und mit 338 g vergleichsweise leicht. Die Innenseite der Ohrpolster fällt hier überraschenderweise nicht flauschig aus und fühlt sich an den Ohren somit "neutraler" und unauffälliger an. In diesem Fall geht der Klinkenstecker (ebenfalls in beiden Größen vorhanden) schnurstracks in den Anschluss und kommt also ohne Winkel aus. Wer auf ein sauberes Äußeres Wert legt, wird die Seitenteile aufgrund der Sichtbarkeit von Fingerabdrücken sicherlich häufiger reinigen müssen. Ein verkraftbares Manko.

Zwischenfazit: Der R7DX sollte für schmale Köpfe überarbeitet werden, sodass die Treiber genau mittig vor den Ohrkanälen sitzen. Abgesehen von diesem - durchaus erheblichem Mangel - ist das Modell in Sachen Tragekomfort und Sinnhaftigkeit des Anschlusses dem HE-X4 etwas überlegen. (Ja, der HE-X4 sieht etwas schöner aus, aber das ist für mein heimisches Anwendungsgebiet ziemlich egal; wen will ich mit dem Aussehen beeindrucken?).

Höhrtest
Immer wieder wird diskutiert, ob bei Kopfhörern ein "Einbrennen" erforderlich ist oder nicht. Ich habe die Kopfhörer nun seit einigen Wochen mit entsprechender Spielzeit in meinem Besitz, weshalb hier keine Zweifel an der "Finalisierung" des Sounds aufkommen sollten. Bei beiden Modellen sind die Ohrpolster im Übrigen ziemlich formstabil und sollten daher kaum das Klangbild verändert haben. Die nachfolgenden Tests wurden wenn möglich mit Songs in "Master-Qualität" auf einem bekannten Streaming-Dienst oder FLAC-Dateien auf meinem herkömmlichen Desktop-PC durchgeführt - wie erwähnt mit USB-Verbindung zum DAC-Amp. Ich verlinke hier wenn vorhanden einfache Youtube-Videos, damit der Leser und die Leserin meiner Argumentation eingiermaßen folgen können. Leider muss ich zugeben, dass mir ein wenig das Vokabular fehlt, um Eindrücke genau zu beschreiben. Ich werde es hier einfach auf meine Art und Weise versuchen.

- Den R7DX habe ich am Lehmannaudio Linear USB auf 10 Uhr gestellt, um eine bereits solide Lautstärke zu erzielen.
- Den HE-X4 kann ich auch auf 11, 12 oder 13 Uhr stellen; er wird dabei nie wirklich laut.

Jazz: Dave Brubeck - Take Five

Der R7DX klingt aufgrund seines Frequenzgangs generell recht hell und verfügt als geschlossener Kopfhörer über einen höhrbaren "Widerhall" (?). Ich spüre sozusagen das räumliche Ende in der "Aufnahmehöhle" des Musikstücks, was ich keinesfalls als störend empfinde. Bei meinem P9 Signature kann dieser "Widerhall" durchaus Töne überlagern und die Trennung mancher Instrumente/Stimmen etwas erschweren, was aber auch oder sogar primär an der Badewannenabstimmung liegen dürfte.
Trotz des geringen Anpressdrucks fehlt mir bei der Darstellung des Bassbereichs eigentlich nichts bei Take Five. Besonders gefällt mir angesichts des Preispunkts die durchaus präzise Auflösung der Hihats und das Saxophon wirkt keinesfalls unnatürlich schrill. Ich persönlich mag besonders die Passage ab 2:30, wo das Schlagzeug impulsiv in den Vordergrund tritt und einen entsprechenden Nachhall erzeugt. Die Instrumente wirken einfach sehr lebendig auf mich, dynamisch eben.

Beim HE-4X wirken die Hihats direkt zu Beginn etwas weiter entfernt vom Ohr und auch nicht ganz so spitzfindig dargestellt. Wie bereits oben erwähnt spielt der HE-4X zumindest an meinem Verstärker ein wenig leiser, wobei die Impedanz auch leicht höher ausfällt. Generell erscheint mir Take Five deutlich "flüssiger" in der Darstellung, aber eben auch langweiliger. Es fehlt auch das Gefühl des "Widerhalls" und des glaubhaft endenden Raums (ich merke, das ist schwieriger zu beschreiben als zu hören). Bei 2:30 geht dem HE-4X zudem einfach die Puste aus, was die Detaildarstellung angeht. Hier habe ich fast keinen Nachhall/Nachdruck durch das Schlagzeug und die gesamte räumliche Darstellung flacht in die Eindimensionalität ab.

Ambient: Archaellum - Reflections

Interessanterweise verfügt der HE-X4 hier nun über eine gewisse räumliche Plastizität (diesen Ausdruck habe ich gesucht!), die ich bei Take Five noch vermisst habe. Natürlich ist dieses Lied im Wesentlichen am Mischpult entstanden, aber alles wirkt einfach räumlich etwas tiefergehender und auch detailliert genug. Leider lässt sich das bei Youtube kaum nachvollziehen und sollte in besserer Qualität gehört werden. Es ist auch durchaus etwas Bassquantität vorhanden, was für einen offenen Kopfhörer nicht selbstverständlich ist.

Der R7DX wirkt ab der ersten Sekunde etwas zu hell und schrill und ich musste ihn deshalb auf 9 Uhr am Verstärker runterstellen. Wie bereits bei Take Five ist er noch etwas detaillierter in der Darstellung, kann dafür aber diesmal beim Bassdruck nicht mithalten. Das ganze Lied wirkt einfach zwei Ecken zu hell dargestellt, womit der entspannte "Ambient-Aspekt" verloren geht.

Klavier: Martin Vatter - Exciting

Bei ca. 1:03 ist der R7DX wirklich einfach nur noch beißend schrill und ich muss an den Regler greifen, um die Lautstärke runterzudrehen. Bei entspannteren Passagen wie 1:40 ist er immer noch sehr hell, aber noch im angenehmen Bereich und abermals recht detailliert.
Bei diesem Lied kann der HE-X4 seine Stärke beweisen, Passagen äußerst "leger"/legato darzustellen, was auch auf die Passage ab 1:03 zutrifft. Das etwas dunklere Timbre des planaren Modells mildert die sehr hellen Passagen des Klaviers deutlich ab. Auch hier ist das HE-X4 also weniger dynamisch, aber es passt hier einfach um Welten besser zum "Spielfluss".

-> Ich behalte mir vor, an dieser Stelle noch Vocals, andere Genres und dergleichen exemplarisch zu ergänzen.


Insgesamt ist der HE-X4 also tonal wie physisch ein flauschiger, unauffälliger und entspannter Geselle, dem allerdings mitunter das Auflösungsvermögen bei Instrumenten fehlt. Der R7DX hört dagegen erstaunlich genau hin, kann allerdings den Hochtonbereich sehr schnell zu exponiert darstellen und kommt baulich mit einem Fehler für schmale Köpfe daher. Auf dem Kopf sitzt er dafür locker wie ein Wölkchen.
Beiden muss ich im Übrigen in Sachen Bauqualität zugestehen, bisher nicht besonders "auffällig" gewesen zu sein, wie es bei manchen Hifimännern offenbar der Fall war. Oder ich habe in diesen beiden Fällen einfach Glück gehabt, was Treiberausfälle und lockere Schrauben angeht.
Trotzdem werde ich mich lieber im Kabel meines RS2e verheddern oder weiter das Ende des Raums im 800S suchen gehen, als Jazz und Klassik mit den Hifimännern abzuspielen. Die elektronische Seite bleibt dem kontrollsicheren LCD-2C vorbehalten.

In diesem Vergleich der zwei Hifimänner gewinnt für mich keine der beiden Treiberarten, weshalb zum Ende des Reviews nur noch der Appell zu vermitteln bleibt, anstelle der theoretischen Technologien doch lieber die Umsetzung in den Fokus zu nehmen. Bei teureren Modellen wäre der Zukauf ohne Probehören sicherlich fatal gewesen, wobei ich grundsätzlich die Experimentierfreudigkeit der Hersteller im zweistelligen bis unteren dreistelligen Preisbereich loben möchte. Ob diese Versuche nun mit mäßig abgestimmten dynamischen Treibern oder recht langweiligen planaren Typen durchgeführt werden sollten, wäre allerdings zu diskutieren.


[Beitrag von MartinKa am 31. Mai 2022, 22:57 bearbeitet]
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