Welche musikalischen Epochen mögt ihr? Welche nicht?

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Martin2
Inventar
#1 erstellt: 17. Okt 2008, 21:19
Wie steht ihr zu musikalischen Epochen? Ich finde, das ist eine spannende Frage. Manch einer kann zum Beispiel mit Barockmusik einfach gar nichts anfangen. Manch einer mit moderner Musik. Usw. usw.

So mache ich denn mal einen Rundumschlag.

Mittelalterliche Musik
kenne ich gar nicht.

Renaissance

Kenne ich auch kaum. Allerdings Palestrina, ein paar Messen. Gehören dann Dowland und Monteverdi noch zur Spätrenaissance? Die kenne ich allerdings. Und sie gefallen mir schon ganz gut. Irgendwie hat man bei der Renaissance ein Gefühl von einer Reinheit, die im Barock verloren gegangen ist.

Früh-, Hochbarock
Kenne ich auch so gut wie gar nicht. Mal Schütz gehört - gefiel mir nicht. Die Entstehung des Barock ist ein weißer Fleck auf meiner Landkarte

Spätbarock
Na, das kennt man selbstverständlich, und identifiziert man selbstverständlich mit Barock. Einige Leute mögen Barock trotzdem nicht. Andere wieder sehr. Manchmal habe ich fast den Verdacht, daß das Barock eine besondere Affinität zur Moderne hat: Das rockt, popt und swingt.

Frühklassik
Zweifellos ein hoch interessante Epoche. Nur einen wirklich großen Komponisten hat sie vermutlich nicht hervor gebracht. Ich mag immerhin CPE Bach. Aber ich kenne mich da nicht wirklich gut aus, obwohl das sicherlich eine hochinteressante musikalische Zeit gewesen sein mag.

Spät/ Wiener Klassik
Na, das kennt nun wieder jeder. Das mag ich nun wieder sehr. Haydn, Mozart, Beethoven - da hat man wieder den Eindruck, am Herzen abendländischer Kultur zu ruhen.

Frühromantik
Das indentifiziert man dann wohl man Schubert, obwohl es da auch den Weber gab und vielleich noch Marschner? Die gewissermaßen schlichte Traurigkeit bei Schubert, ohne alle Raffinessen gefällt mir, sie ist auch wieder so ein Rückzugspunkt.

Hochromantik
Das ist dann so Mendelssohn und Schumann, Chopin auch, Wagner ist ein Sonderfall. Ich hatte bei Mendelssohn und Schumann gelegentlich so ein Gefühl musikalischen Biedermeiers, deshalb ist diese Epoche bei mir traditionell unterbelichtet, aber das ändert sich.

Spätromantik
Wagner gehört da zeitlich wohl nicht hinein, aber stilistisch dann doch. Ansonsten ist diese Epoche der große Bezugspunkt meiner Laufbahn als Klassikmusikhörer. Sie fasziniert. Man hat bei ihr gelegentlich das Gefühl: Hier kommt eine jahrhundertealte musikalische Tradition gewissermaßen zu ihrem Abschluß. Danach das Nichts ...

Später als spät Romantik
Mich haben die Versuche, Romantik gewissermaßen doch auch fortzusetzen immer fasziniert. Hanson und Rachmaninov meinetwegen. Doch, das mag ich.

Klassische Moderne
Hat mich als junger Mann mal sehr interessiert. Bartok meinetwegen und Hindemith. Habe einiges gehört. Mittlerweile ist diese Musik aber völlig in den Hintergrund getreten, obwohl sie gar nicht mal soo modern ist, aber irgendwie läßt mich diese Musik kalt.

Moderne
Ja, was ist Moderne? Schostakowitsch müßte man zeitlich hinein zählen, aber das war natürlich gar nicht so modern. Ansonsten läßt sie mich weitgehend kalt.

Zeitgenossen
Wohin sich das Schiff "klassische Musik" hin bewegt, wird man abwarten müssen. Adams mag ich irgendwie, aber so das Gefühl höchster klassischer Weihen habe ich bei ihm nicht. So geht es mir mit Gorecki, so geht es mir mit anderen.
Mellus
Stammgast
#2 erstellt: 18. Okt 2008, 00:53
Ich gebe zu, ein Kind meiner Zeit zu sein. Mich interessiert was die Zeitgenossen treiben. "Wohin sich", nach Martin, "dieses Schiff bewegt", weiß ich natürlich auch nicht. Ich schaue aber gerne bei den Fahrversuchen zu.

Auch die klassische Moderne (hauptsächlich Zweite Wiener Schule) kann mich begeistern. Schönberg hat sich neben Beethoven zum zweiten "Säulenheiligen" in meinem musikalischen Inventar gemacht. Zugegeben: beide Komponisten kenne ich noch nicht umfassend; aber sie sind Fixpunkte, auf die ich immer wieder zurückkomme. Vor dem Hintergrund meiner unzureichenden Repertoirekenntniss mag ich auch Webern mehr als Berg. Zeitliche Nachfolger interessieren mich auch. Hartmann und Wellesz (Dank an Hüb'!) sind hier zu nennen.

Ein wenig Musik aus all den genannten von Martin aufgezählten Epochen kenne ich zwar, doch muss ich sagen, dass mir beispielsweise und insbesondere Barock- oder Renaissancemusik ferner steht als ein Werk von Stockhausen. Die Gedanken- und Empfindungswelt des 16./17./18. Jahrhunderts ist so weit weg. Ich weiß nicht, wie ich die entsprechende Musik hören soll. Bei modernen, zeitgenössischen Werken fällt es mir in der Regel leichter, sie auf meine Umwelt und Lebenswirklichkeit zu beziehen (wenn man Musik nicht von vornherein als ahistorische, abstrakte Struktur (Form) begreift) -- was nicht bedeuten muss, dass ich diese Musik in einem akademischen Sinne "verstehe".

Bleibt die Romantik. Es mag mit Martins musikalischen Vorlieben zusammenhängen, dass es mehr Unterkategorien zur Romantik als zu jeder anderen musikalischen Grobepoche gibt, die er vorschlägt (die Moderne oder Zeitgenössisches könnte man vorschlagsweise in "gemäßigte Moderne" und "Avantgarde" unterteilen; dann wären die Kämme nicht so groß, über die man die neue Musik scheren müsste). Wie dem auch sei, die Musik der Romantik spricht mich häufig einfach nicht wirklich an. Es gibt natürlich Ausnahmen: das wenige, das ich bislang von Schubert kenne, finde ich großartig. Ebenso einige Werke, die das Ende der Romantik markieren, wie Mahlers Neunte. Aber alles Post-, Neo-, Spät-, Ultra-, Kitsch-Romantische hat es schwer, durch die aufgeklärte Skepsis meines Ohrenschmalzes zu gelangen (wobei ich gar nicht auschließen möchte, dass eine Portion Vorurteil und eine wohl noch größeren Portion Unkentniss ihre Finger im Spiel haben).

Was ist also das Fazit? Trotz der mit zeitlicher Entfernung zunehmenden Schwierigkeit einen intuitiven Zugang zur Musik zu finden, fallen mir aus jeder Epoche Kompositionen ein, die ich mag und die ich weniger mag. Die Hörlinie verläuft daher weniger entlang von Epochengrenzen, sondern entlang von, naja, ich nenne es mal: guter und weniger guter Musik -- egal aus welcher Epoche.

So ist das mit mir und den Epochen in meiner gegenwärtigen Hörepoche. (Die Entwicklung des individuellen Hörers ist ja fern aller musikhistorischen Klassifikationen auch nicht zu vernachlässigen!)

Viele Grüße,
Mellus


[Beitrag von Mellus am 18. Okt 2008, 10:04 bearbeitet]
Schneewitchen
Inventar
#3 erstellt: 18. Okt 2008, 12:10
Ich interessiere mich für die Musik aller Epochen.
Bei der zeitgenössischen Musik hört mein Interesse auf,wo die Musik mit Geräuschen statt Klängen anfängt.
Musik ist für mich ein Transportmittel in die Vergangenheit.
So kann ich erleben was die Zeitgenossen von Monteverdi,Bach,Mozart,Beethoven usw. gehört haben.Ich fühle mich dann in die jeweilige Epoche zurückversetzt.Und damit es abwechlungreich ist,höre ich gerne Werke verschiedener Epochen hintereinander,also meistens alt+neu gemischt.
AladdinWunderlampe
Stammgast
#4 erstellt: 18. Okt 2008, 13:27
Ich höre mit Begeisterung Musik aller Epochen vom Mittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart. Vorlieben und Abneigungen ergeben sich bei mir immer nur im Zusammenhang mit konkreten Werken oder (schlimmstenfalls) Komponisten, die mir im allgemeinen nicht zusagen.

In Bezug auf die Identifikation oder Nichtidentifikation mit vergangener oder gegenwärtiger Musik sind mir sowohl die Erfahrungen von Mellus als auch von Schneewitchen vertraut:

Einerseits fühle ich mich - selbstverständlich? - als Zeitgenosse der Gegenwart und finde mein Leben, meine eigenen Erfahrungen, meinen Blick auf die Welt daher am unmittelbarsten in der Neuen Musik wieder - übrigens auch da, wo mir Einzelnes in dieser Musik unverständlich vorkommt.

Andererseits kann Musik mich auch in vergangene Zeiten transportieren - und dabei ist es für mich genauso spannend zu erfahren, wo sich diese Vergangenheit mit meiner Gegenwart berührt, wie zu bemerken, wo sie mir fremd geworden ist. Tatsächlich erfahre manche zeitlich weit entfernte Musik (z. B. Ars subtilior oder Schubert) als vertrauter denn einiges Näherliegende (z. B. Elgar oder Glanert).

Das Rätselhafteste ist aber, dass mir immer wieder auch Musikstücke begegnen, die - ich weiß nicht, wie oder warum - aus ihrer Epochengebundenheit herauszutreten scheinen und für mich sozusagen zeitlos präsent sind: In Werken wie den Motetten von Dufay, den Capricci von Frescobaldi, Bachs Kunst der Fuge, Mozarts Dissonanzen-Quartett, Brahms' Sinfonie Nr. 4, Schönbergs Fünf Orchesterstücken op. 16 oder Nonos No hay caminos, hay que caminar... Andrei Tarkovskij scheint sich während des Hörens für mich alles Zeitgebundene (dass ich aus distanzierter Perspektive durchaus weiterhin benennen kann) irgendwie abzustoßen, ohne das ich genau erklären könnte, woran das liegt. Auch diese Erfahrung ist durchaus nicht komponistenabhängig: Während mir im Finale von Mahlers 2. Sinfonie eher das Zeitverhaftete ins Auge und Ohr springt, kommt mir der Eröffnungssatz von Mahlers 9. Sinfonie absolut freischwebend vor.



Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 18. Okt 2008, 13:34 bearbeitet]
WolfgangZ
Inventar
#5 erstellt: 18. Okt 2008, 14:37
Aladdins Verweis auf den ersten Satz von Mahlers Neunter kann ich ganz besonders gut nachvollziehen. Die harmonischen Überraschungen weisen derart weit in eine imaginäre Zukunft aus einer unterzugehen drohenden, wenn nicht untergegangenen Vergangenheit heraus, dass mir spontan zwei Gegenpole einfallen, die Mahler hier quasi vereinigt - im Sinne eines statistischen Mittels, aber auch auf auf einer höheren Ebene: Beethovens "Große Fuge" einerseits und die "Vier Letzten Lieder" von Strauss andererseits ...

Besten Gruß, Wolfgang
Martin2
Inventar
#6 erstellt: 18. Okt 2008, 18:37
Ich muß ganz ehrlich sagen, daß ich dieses "Zeitreise"-Gefühl bei klassischer Musik eher selten habe. Bei Musik der Renaissance oder des Mittelalters ( irgendwas habe ich da auch schon mal gehört), wenn die dann teilweise auf irgendwelchen längst ausgestorbenen Instrumenten tröten - dann schon am ehesten.

Ansonsten wiegesagt: Eher nicht. Man muß auch sagen, daß die Sinfonien von Bruckner und Mahler zumindestens wohl in den frühen 70ern noch etwas aufregend neues darstellten; sicher nicht völlig vergessen, haben sie ihre ganz große Karriere doch erst in dieser Zeit gemacht.

Ich komme jedenfalls aus einer Familie, in der das klassische Erbe in Maßen gepflegt wurde, aber Mahlers 9. meinetwegen und wohl selbst Bruckner schon als reichlich atonale Musik galt.

Vielleicht habe ich wirklich nicht so ein Zeitreisegefühl. Ob dies vielleicht auch mit meinem Katholizismus ( oder überhaupt meiner christlichen Sozialisation) zu tun hat? In gewisser Hinsicht vermittelt Kirche ein Gefühl des Ewigen. Über das Hineinreichen von Musik in diesen kirchlichen Kontext ist aber auch Musik in dieses gewissermaßen eingebunden und wird weniger als "zeitlich gebunden", sondern als ewig wahr genommen.

So weiß ich zwar durchaus, daß Musik einer stilistischen Entwicklung unterworfen ist, für mich im Vordergrund steht allerdings, daß sie an einem Ewigen mitschafft - und in dieser Hinsicht finde ich den zeitlichen Kontext eher irrelevant. Und ganz im Gegenteil steht mir persönlich zeitgenössische oder überhaupt moderne Musik eher fern. Sie trifft mein ganz persönliches Zeitgefühl überhaupt nicht. Komischerweise Pop/ Rockmusik dann schon eher - wenn sie gut ist. In der Tat finde ich die Ausgrenzung eines solchen riesigen Bereiches aus der klassischen Musik etwas merkwürdig. Die sogenannte populäre Musik ( die gar nicht immer so populär ist), ist in dieser Hinsicht ein durchaus modernes Phänomen, dem man schlicht nicht einfach althergebrachte Kategorien überstülpen kann und die nur "vorläufig" für Ordnung sorgen. Es ist wohl auch eine Tatsache, daß - abgesehen davon, daß es beim Pop unheimlich viel Schrott gibt - diese Musik von wirklich sehr vielen Leuten als die "eigentliche zeitgenössische Musik" betrachtet wird ( teilweise sicher auch Filmmusik).

Gruß Martin
AladdinWunderlampe
Stammgast
#7 erstellt: 18. Okt 2008, 21:21

Martin2 schrieb:
In der Tat finde ich die Ausgrenzung eines solchen riesigen Bereiches aus der klassischen Musik etwas merkwürdig.


Über den Sinn und Unsinn des Begriffs "klassische Musik" haben wir unter anderem in diesem Thread ausgiebig diskutiert. Meine persönlichen Probleme mit dem landläufigen Klassikbegriff habe ich in diesem Zusammenhang unter anderem hier und hier dargelegt.

Wenn hier bislang niemand - auch nicht Du in Deinem Ausgangsposting - auf Rock, Hip Hop, Jazz und andere Genres der sogenannten populären Musik zu sprechen gekommen ist, hängt das wohl weniger damit zusammen, dass wir diese Musik nicht wahrnähmen oder nicht schätzten, als mit der Tatsache, dass wir uns hier in einem "Klassik"-Forum befinden. Nun aus demographischen Gründen Punk und Musikantenstad'l unter die Rubrik "Klassik" zu subsumieren, würde diesen Begriff nur noch weiter und und damit sinnloser machen als er sowieso schon ist.

Das hindert zumindest mich durchaus an meiner Wertschätzung für bestimmte Musik aus den betreffenden Genres. Demgemäß finden sich in meinem Musikschrank beispielsweise durchaus mehr Alben von - sagen wir - Laurie Anderson, Björk, Michael Brecker, John Coltrane, den Crash Test Dummies, Peter Gabriel, Rickie Lee Jones, Al De Meola, Charly Parker, Santana, David Sylvian und den Talking Heads als - sagen wir - von Arvo Pärt oder Malcolm Arnold. Und selbstverständlich halte ich die betreffende Musik - oder auch Phänomene wie Hip Hop oder Punk - für durchaus authentischen Ausdruck bestimmter Aspekte unserer gegenwärtigen Epoche. Allerdings möchte ich diesen Sachverhalt auch nicht überbewerten; zweifellos sind der Musikantenstad'l und DSDS soziologisch und kulturell höchst bezeichnende Erscheinungen unserer Zeit; ästhetisch reizen sich mich allerdings so wenig, dass ich mir eine musikalische Auseinandersetzung mit ihnen lieber erspare.


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 18. Okt 2008, 22:09 bearbeitet]
Kings.Singer
Inventar
#8 erstellt: 18. Okt 2008, 21:53
Welche Epochen mag ich?

Renaissance, Barock (vor allem der späte), Romantik (früh bis spät, aber lieber spät als früh, klaro? ) und neuere Musik.

Klassik ist wiederum ein unbeschriebeneres und ungeliebteres Blatt. Beethoven tendiert ja schon eher zur Frühromantik und diesen Beethoven liebe ich wiederum sehr. Mozart war einer DER Meister, klar. Aber so sonderlich viel konnte ich seiner Musik nie wirklich abgewinnen. Haydn... Hmm. Nicht mein Fall!

Schwerpunkte wären auf einem Zeitstrahl also deutlich an dessen Anfang und an dessen Ende.

Die Renaissance liebe ich als Sänger vor allem wegen ihrer Chormusik. Einfach toll und schwer in Worte zu fassen.

Den Spätbarock habe ich vor allem wegen Bach genannt. Bach ist für mich der Meister der Meister schlechthin. Wie heißt es nach einem bekannten Sprichwort so schön? Die Engel im Himmel spielen für sich Bach. Genau SO ist es, denn ich war schon da (natürlich mit Bachs Hilfe ).

In der Romantik könnte ich so viel nennen... Schubert, Schumann, Dvorak, Mendelssohn, Mahler, Bruckner, Tschaikowsky. Von der Dichte der großen Komponisten her für mich einfach die ergiebstige Epoche. (Zählt man Vaughan Williams zur Spätromantik? Dann gehört er auf jeden Fall auch genannt!)

In der neueren Musik haben mir bisher besonders Janacek, Hindemith, Orff, Schostakovitsch, Prokofjew, Strawimsky und Messiaen(!) gefallen.


So weit in aller Kürze.

Viele Grüße,
Alex.
Martin2
Inventar
#9 erstellt: 18. Okt 2008, 22:11

Kings.Singer schrieb:


Die Renaissance liebe ich als Sänger vor allem wegen ihrer Chormusik. Einfach toll und schwer in Worte zu fassen.



Ja und genau damit tue ich mich schwer. Dowland und Monteverdi - toll, na klar ( wenn auch nicht alles), aber geistliche Chormusik? Ich habe glaube ich sogar drei Naxos CDs. Eine Palestrina, die zweite Lamentationes und die dritte wohl einfach Meisterwerke oder so. Die CDs wurden vom Penguins Guide durchaus gelobt. Also ich habe versucht, das auch schön zu finden, aber irgendwie ... da fehlt mir die Spannung in dieser Musik. Vielleicht gebe ich den CDs noch mal eine Chance aber vorläufig ist bei mir das Thema ad acta gelegt.
Kings.Singer
Inventar
#10 erstellt: 18. Okt 2008, 22:45
Hi.

Den schnellsten Zugang wirst du wohl über markante "Gassenhauer" finden. Eine SACD, die absolut das Zeug dazu hat und die mir dankenswerter Weise im Forum hier empfohlen wurde und auch des Öfteren hier Erwähnung findet, ist:




Ist natürlich schon eine gewisse Investition bei €19,99, aber wenn die sich nicht für dich lohnt, kannst du alle weiteren auch erst einmal sein lassen.

Natürlich sind solche komplex polyphonen a capella Chorwerke mit bis zu 40 Stimmen kein Regelfall in der Renaissance. Aber doch sind die Höhepunkte und keinesfalls spannungsarm. Teilweise schon keine irdische Musik mehr sondern einfach himmlisch.

Besonderer Tipp auf dieser CD wäre "Lauda Jerusalem" von Rebelo. Da werden schon fast rhythmische Finessen verarbeitet - vielleicht findest du dich dort am schnellsten hinein.
Das ist ja wiederum auch ein Charakteristikum dieser Musik, dass ihr rhythmische Finessen eher fremd sind. Sie fließt einfach dahin. Man kann sich ihr ganz hingeben und gewiss sein, dass sie einen niemals einfach auf den Boden der Tatsachen zurück holen wird. Es sei denn die CD muss gewechselt werden.

Eine gewisse Grundstimmung muss dafür allerdings schon da sein. Ich kann mir diese a capella Musik auch noch nicht einfach spontan und nebenbei anhören. Ich muss einfach Lust darauf haben, denn eine Bereitschaft zur Konzentration setzt sie schon voraus. Doch probier es doch einfach noch einmal selbst aus!

Viele Grüße,
Alex.


P.S. Zwei Namen möchte ich dir noch nennen: William Byrd aus der Reihe der englischen Komponisten und Tomás Luis de Victoria (findet man gelegentlich auch unter Vittoria) aus der spanischen Richtung.


[Beitrag von Kings.Singer am 18. Okt 2008, 22:50 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#11 erstellt: 18. Okt 2008, 23:14
Hallo Alex,

zu den Scheiben von Naxos fällt Dir überhaupt nichts ein? Diese hier:







Bevor ich mich auf ein neues Abenteuer einlasse, möchte ich eigentlich erst einmal diesen Scheiben etwas abgewinnen, es sei denn jemand sagte nun, daß dies sozusagen ein ganz falscher Ansatz wäre, falsche Interpreten, falsche Musik.
Kings.Singer
Inventar
#12 erstellt: 18. Okt 2008, 23:51
Hallo Martin.

Also wenn ich ehrlich bin, kann ich dir zu den Scheiben eigentlich nichts weiter sagen. Falsches Repertoire ist das scheinbar nicht. Die Missa Papae Marcelli gehört zu den populärsten Messvertonungen Palestrinas und die Namen auf den Covern der beiden Sampler lesen sich eigentlich auch exzellent.

Was ich dir allerdings sagen kann, ist, dass ich bei einer Entscheidungsfindung schon öfter in CDs mit der Oxford Camerata und Summerly hinein gehört habe und dann doch weiter geklickt habe. Das soll weder Dirgenten noch Ensemble abwerten. Da ich folgerichtig keine CD in der Zusammensetzung besitze, kann ich da kein fundiertes Urteil drüber abgeben. Es wird schon seine Berechtigung haben, dass Naxos so viele CDs mit den Interpreten aufgenommen hat (schätze, dass es ein vergleichbarer Fall wie mit dem Pianisten Jando Jenö ist).
Wirklich bedenkenlos kannst du jedenfalls beim Huelgas Ensemble und bei den Tallis Scholars zugreifen, sehr gut sind auch The Sixteen (man bedenke dabei aber die kleine Besetzung) und das Gabrieli Consort.

Ist natürlich möglich, dass dir die Musik halt einfach nicht gefällt. Wäre nun aber wirklich sehr, sehr bedauerlich.

Viele Grüße,
Alex.


[Beitrag von Kings.Singer am 19. Okt 2008, 00:03 bearbeitet]
AladdinWunderlampe
Stammgast
#13 erstellt: 18. Okt 2008, 23:58
Hallo Martin,

ich könnte mir vorstellen, dass Dich vor allem Komponisten der Renaissance ansprechen könnten, die eine eher expressive Klangsprache entfaltet haben, und da ist Palestrina mit dem klassischen Ebenmaß seiner Missa Papae Marcelli sicher nicht der beste Einstieg. Eher wäre für Dich vielleicht die Musik von Josquin Desprez, Pierre de la Rue und Carlo Gesualdo reizvoll; darüber hinaus wären vielleicht auch Komponisten der Frührenaissance für Dich interessant, die noch keinen so kodifizierten und gleichmäßig fließenden Tonsatz schreiben wie die Vertreter späterer Generationen, sondern oftmals zu einer höchst unruhigen Rhythmik neigen und außerdem noch manche Eigenheiten der (rückblickend) eher herben Tonsprache des Spätmittelalters weiterführen (Dunstable, Ciconia und teilweise selbst noch Dufay und Ockeghem).

Was die Interpreten betrifft, so kommt die Oxford Camerata mir meist eher bieder vor - und das ist meines Erachtens gerade für jemanden, der den Ausdrucksreichtum der Renaissance-Musik erst kennenlernen will, viel zu wenig. Grandiose Ensembles für dieses Repertoire sind unter anderem das schon von Kings.Singer genannte Huelgas Ensemble sowie das Hilliard Ensemble, La Reverdie, die Tallis Scholars sowie The Clerc's Group. Meist sind diese CDs leider eher im Hochpreis-Sektor zu finden - aber ich glaube wirklich, dass diese herrliche Musik gerade für unsere durch die spätere Musik abgestumpften Ohren darauf angewiesen ist, mit erstklassiger Intonation sowie Engagement und großem Ausdruckswillen wiedergegeben zu werden.


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 19. Okt 2008, 00:04 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#14 erstellt: 19. Okt 2008, 00:49

AladdinWunderlampe schrieb:
darüber hinaus wären vielleicht auch Komponisten der Frührenaissance für Dich interessant, die noch keinen so kodifizierten und gleichmäßig fließenden Tonsatz schreiben wie die Vertreter späterer Generationen, sondern oftmals zu einer höchst unruhigen Rhythmik neigen und außerdem noch manche Eigenheiten der (rückblickend) eher herben Tonsprache des Spätmittelalters weiterführen (Dunstable, Ciconia und teilweise selbst noch Dufay und Ockeghem).


Das denke ich übrigens auch. Ich habe bei mir noch eine andere Scheibe, von der ich jetzt kein Bild finde, ein DGG Archiv Samper "Neue Zeit für alte Musik" , da sind so wunderbar alte Sachen drin, die so herrlich schräg klingen. Ich erinnere mich insbesondere an Stücke von einem gewissen Machaut. Uralt, Machaut lebte von 1300 - 1377, aber das hatte was, das klang wunderbar schräg, archaisch einerseits und anderseits auch wieder "fast modern". Ich sollte diese Scheibe noch mal gezielt hören.

Es ist nur leider schade, daß viele Dinge einfach sehr teuer sind, ich hatte ja neulich den Thread gegründet: Sind Klassik CDs immer noch zu teuer, und ich finde eben, daß vieles eben immer noch zu teuer ist. Hochpreis CDs kaufe ich nun mal nicht, das ist mir einfach zu happig.

Wobei ich sagen muß, die Palestrinascheibe hatte mir eben "teilweise" durchaus gefallen, da blitzte Schönheit auf, aber letzlich ertrank es doch in sakraler Langeweile.

Ich denke aber, daß das bei mir nicht nur ein reines Epochen, sondern auch ein Gattungsproblem ist. A Kapella Gesang kann ich nun mal im allgemeinen wenig abgewinnen, nur die Motetten von Bruckner fand ich recht schön, aber mit der Gattung als solcher habe ich doch meine Probleme, Brahms A Kapella Sachen mit dem Matt habe ich bis heute nicht gehört. Die Liebesliederwalzer und die Zigeunersachen mit Klavier mit dem Matt habe ich dagegen sehr gerne gehört, aber das ist auch vermutlich leichtere Kost.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 19. Okt 2008, 00:56 bearbeitet]
Kings.Singer
Inventar
#15 erstellt: 19. Okt 2008, 15:46

Kings.Singer schrieb:
Falsches Repertoire ist das scheinbar nicht.


Das darfst du auch nicht falsch verstehen. Habe eben gemerkt, dass sich das missverständlich anhört, bzw. nicht so wie's gemeint war. Würde ich Palestrina absolut für den richtigen Einstieg in die Epoche halten, hätte ich ihn dir schon unter #10 empfohlen. Nur für einen Einstieg in die Palestrina Messen ist die Papae Marcelli sicher nicht verkehrt.
Messvertonungen sind an sich ja schon wieder ein Spezialfall, da sie in dieser Epoche doch zur Einbindung in die Liturgie gedacht waren und IMO auch nur dort wirklich schlüssig erklingen. Eine Sammlung von Motetten u.Ä. wäre da für dich wohl wesentlich besser geeignet. Schade, dass dir die SACD dort oben zu teuer ist. Spontan fällt mir ohne zu suchen aber auch kein wirklich guter Sampler ein, da ich in dieser Musik selbst wie gesagt sehr interpretenbezogen kaufe und höre und die großen Namen haben halt leider ihren Preis (beispielsweise von den aktuellen Zusammenstellungen des Huelgas Ensembles , die auch zeitlich ein weiteres Feld an Komponisten abdecken, könnte ich keine unter €18,99 empfehlen - bedauerlich!).

Ich habe selbst schon oft die Brilliant Box "Renaissance Masterpieces" angeklickt und dann doch wieder davon abgesehen. Da war es zum Beispiel der Fall, dass eine Palestrina Messe die ich selbst schon gesungen habe in der Einspielung (glaube mit "Pro Cantione Antiqua" oder so ähnlich) auf einmal eine Terz oder eine Quarte, also drei bis vier Ganztonschritte, tiefer gesungen wurde. In der Relation gesehen bleiben die Harmonik und die Melodien natürlich gleich aber ich selbst finde das einfach ein Unding! Palestrina hat die Messe (6stimmig) einfach nicht so geschrieben, dass die Bässe ständig in den ganz tiefen Lagen herumknödeln und ich konnte nach ein paar Minuten einfach nicht weiter hören.
Klar, das Ensemble besteht - wenn ich das richtig in Erinnerung habe - nur aus Männern und die Lage der Stücke muss angepasst werden. Aber wenn man die notierten Originallagen nicht singen kann, muss man sich eben andere Literatur suchen (meine Meinung!).

Wie kam ich darauf? Ach ja: Bei einer höherwertigen Box bzw. CD wäre das evtl. nicht passiert. Und siehe da: Die Tallis Scholars haben die Messe bei Gimell in der Originallage einfach perfekt aufgenommen (für €19,99 zu haben). Manchmal lohnen sich solche Investitionen eben doch.


Viele Grüße,
Alex.

P.S. Da es ja gerade doch stark in eine Richtung geht hier im Thread, wäre es vielleicht ratsam die Diskussion im Thread "Chormusik der Renaissance" fortzuführen, den ich vor geraumer Zeit hier eröffnet habe. Weiß nur nicht mehr genau in welchem Unterforum er schlummert.

P.S.2 Habe gerade noch einmal nachgeschaut: Bei der genannten Messe handelt es sich um die "Missa assumpta est Maria".


[Beitrag von Kings.Singer am 19. Okt 2008, 15:48 bearbeitet]
arnaoutchot
Moderator
#16 erstellt: 21. Okt 2008, 14:06

Martin2 schrieb:


Bevor ich mich auf ein neues Abenteuer einlasse, möchte ich eigentlich erst einmal diesen Scheiben etwas abgewinnen, es sei denn jemand sagte nun, daß dies sozusagen ein ganz falscher Ansatz wäre, falsche Interpreten, falsche Musik.


Diese Platte oben ist hervorragend. Sie war mein Einstieg in die faszinierende Welt der polyphonen choralen Renaissance. Das "Intemerata Dei Mater" von Johannes Ockeghem ist eines der psychedelischsten Stücke Musik, die ich je gehört habe (und da schliesse ich eine meiner Lieblingsgruppen wie Grateful Dead mit ein !!). Das Stück ist über 500 Jahre alt, aber absolut zeitlos.

Grüße Michael
Martin2
Inventar
#17 erstellt: 21. Okt 2008, 16:41

arnaoutchot schrieb:

Martin2 schrieb:


Bevor ich mich auf ein neues Abenteuer einlasse, möchte ich eigentlich erst einmal diesen Scheiben etwas abgewinnen, es sei denn jemand sagte nun, daß dies sozusagen ein ganz falscher Ansatz wäre, falsche Interpreten, falsche Musik.


Diese Platte oben ist hervorragend. Sie war mein Einstieg in die faszinierende Welt der polyphonen choralen Renaissance. Das "Intemerata Dei Mater" von Johannes Ockeghem ist eines der psychedelischsten Stücke Musik, die ich je gehört habe (und da schliesse ich eine meiner Lieblingsgruppen wie Grateful Dead mit ein !!). Das Stück ist über 500 Jahre alt, aber absolut zeitlos.

Grüße Michael


Hallo Michael,

vielen Dank für Deinen Hinweis. Ich habe auch gleich in diese Scheibe rein gehört. Der Ockeghem ist recht schön, ich habe ihn gleich zweimal gehört. An "psychedelische Musik" hätte ich aber dabei im Traum nicht gedacht. Der Josquin de Prez ist auch recht schön. Danach war aber für mich erst einmal Schluß.

In der Tat geht von dieser Musik für mich eine große Beruhigung aus, sie ist "schön", das bleibt auch mir nicht verborgen, nur wirklich, "genuin" will sich mir diese Musik noch nicht so recht erschließen. Ein wirklich genuines Gefühl für Renaissance würde ich für mich nur reklamieren, wenn sich bei mir ein Gefühl für die "individuelle Klasse" von Renaissancemusik einstellen würde, dieses habe ich nicht. Dieses Gefühl "individueller Klasse" habe ich eben bei der Musik vom Barock bis zur Neuzeit. Ich höre meinetwegen ein Stück romantischer Musik eines eher zweitklassigen Komponisten und habe ein Gefühl dafür, warum diese Musik gegenüber einer erstrangigen abstinkt.

Ein wirkliches Gefühl für Renaissance würde sich bei mir erst dann entwickeln, wenn ich dieses Gefühl für Klasse bei ihr auch hätte, aber bisher bleibt es bei mir bei einem "irgendwie ganz schön" und das ist für mich unbefriedigend.

Insofern: Schreibe gerne auch mehr zum Beispiel über die Musik dieser Scheibe; das würde ich sehr zu würdigen wissen - und vielleicht würde sich bei mir doch nach und nach ein Gefühl für die Musik der Renaissance entwickeln.

Gruß Martin
Martin2
Inventar
#18 erstellt: 21. Okt 2008, 17:25
Statt eines Edits ein zusätzlicher Beitrag.

Stichwort "Individuelle Klasse". Ich fühle mich sehr in einer Musik zu Hause, die sich dem Vulgären gegenüber öffnet, dieses aber "stilistisch überhöht". Da ist für mich der Bereich, wo ich individuelle Klasse heraus höre. Chopin meinetwegen klingt gelegentlich nach "Salonmusik", es ist aber genau diese individuelle Klasse, die Chopin einfach über die übliche Salonmusik heraus hebt. Beethoven meinetwegen bedient sich durchaus der vulgären Tanzmusik, gestaltet sie aber dermaßen um, daß es Musik über Musik wird, der man die Klasse anhört, während ein Kleinmeister durchaus am Vulgären kleben bleibt.

Es ist dann vielleicht kein Zufall, daß mir die Renaissancemusik Schwierigkeiten bereitet, wie vielleicht auch eine gewisse Art von Moderne. Moderne empfinde ich teilweise vielleicht auch als "unschön", weshalb man die Moderne vielleicht auch hassen kann, während man die Renaissance durchaus nicht haßt, sie einem nur irgendwie "gleichgültig" ist, jenseits der völligen stilistischen Unterschiede von Renaissance und Moderne stimmen sie aber vielleicht doch darin überein, daß sie dem Vulgären gegenüber nicht offen sind, dieses nicht zu überhöhen versuchen, sondern von vorneherein in einem "abgehobenen Bereich" sich abspielen.

Mit solcher Musik habe ich ganz grundsätzlich Schwierigkeiten. Renaissancemusik etwa - von der ich wiegesagt herzlich wenig verstehe - klingt für mich von vorneherein "edel", es ist aber ein Edelsein, daß für mich von vorneherein einer Stilistik zugeordnet bleibt, weshalb sie für mich so wenig Reiz hat, weil ich gerne hören möchte, wie ein Großmeister etwas meistert, zum Beispiel die Vulgarität eines Tanzsatzes, die einem Kleinmeister entgleitet, wo er sich über das Vulgäre nicht wirklich zu erheben vermag, weshalb man ihn vielleicht trotzdem zur klassischen Musik zählen wird, aber nur mehr geduldet als geachtet.

Speziell die Romantik ist in dieser Hinsicht eine besonders faszinierende Epoche und daß zum Beispiel Tschaikovski oder Mahler irgendwie auch vulgär sind, ist oft genug gesagt worden, aber sie sind es eben doch nicht, weil sie große Meister sind, was man dann doch hört. Und bei dieser Musik fühle ich mich wirklich zuhause. Bei der Renaissance eben nicht, weil mir der eigentliche Witz dieser Musik, die irgendwie nie vulgär klingt, aber eben darum auch so langweilig ist, ganz grundsätzlich entgeht.

Gruß Martin
AladdinWunderlampe
Stammgast
#19 erstellt: 21. Okt 2008, 17:52

Martin2 schrieb:
jenseits der völligen stilistischen Unterschiede von Renaissance und Moderne stimmen sie aber vielleicht doch darin überein, daß sie dem Vulgären gegenüber nicht offen sind, dieses nicht zu überhöhen versuchen, sondern von vorneherein in einem "abgehobenen Bereich" sich abspielen.


Abgesehen davon, dass ich gerade im Bereich der Neuen Musik sehr vieles finde, dass sich auf unterschiedliche Weise dem Vulgären und Alltäglichen öffnet und die Spannung zwischen vermeintlich oder tatsächlich "trivialem", abgenutztem oder veraltetem Material und seiner artifiziellen Verarbeitung künstlerisch produktiv macht - zum Beispiel vieles aus dem Bereich der Musique concrète, vieles von Mauricio Kagel und vieles von John Cage sowie Bernd Alois Zimmermann im Requiem für einen jungen Dichter, Karlheinz Stockhausen in den Hymnen, Dieter Schnebel in der Glossolalie, György Ligeti in Le Grand Macabre, Henri Pousseur in Votre Faust und Couleurs croisèes, Wolfgang Rihm in der Hamletmaschine -, spielt sich auch die Musik der Renaissance keinesfalls in einem künstlerischen Elfenbeinturm ab - und zwar nicht nur in weltlichen Chansons und Madrigalen, sondern auch in der nur vermeintlich edlen und weltenthobenen Gattung der Messe:

So gibt beispielsweise eine ganze Tradition von Messvertonungen, denen ein äußerst weltlicher Cantus firmus - nämlich das französische Soldatenlied L'homme armé - zugrunde liegt; entsprechende Stücke sind beispielsweise von Johannes Ockeghem, Pierre de la Rue, Jacob Obrecht, Josquin Desprez, Palestrina und Costanzo Festa überliefert.

Die selbstgestellte kompositorische Aufgabe bestand gerade darin, den Eigentümlichkeiten dieser tänzerischen Melodie mit ihrer signalartigen Motivik und ihren vielen Tonwiederholungen im Rahmen der polyphonen Satzweise einer mehrstimmigen Messe gerecht zu werden. Interessant zu beobachten ist dabei, dass die Komponisten dabei untereinander in einen regelrechten Wettstreit geraten, indem sie in ihren Werken teilweise bewusst aufeinander verweisen und sich in ihren kompositorischen Lösungen zu überbieten trachen.

Übrigens gibt es von Guillaume Dufays Missa L'homme armé eine preiswerte und recht ordentliche Aufnahme mit der - von mir (wie bereits gesagt) durchaus nicht immer geschätzten - Oxford Camerata unter der Leitung von Jeremy Summerly (Naxos 8.553087), der die originale einstimmige Melodie vorangestellt ist.




Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 21. Okt 2008, 18:59 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#20 erstellt: 21. Okt 2008, 19:54
Hallo Aladdin,

ist dies so? Wir reden über Bereiche, in denen ich mich nicht sonderlich auskenne. Riehms Hamletmaschine habe ich in der Oper gesehen und gehört, ohne daß mich diese Musik besonders überzeugt hätte.

Ich denke bei der Öffnung zur Vulgärmusik insbesondere an zwei "moderne" Komponisten: Malcolm Arnold und John Adams. Deren "Vulgarität" gefällt mir sehr gut.

Ansonsten wiegesagt kenne ich mich in moderner Musik wie auch in der Renaissancemusik nicht wirklich gut aus. Mein Eindruck, speziell bei der modernen Musik ist allerdings, daß sie sich der vulgären Musik häufig nicht öffnet - wogegen es nicht spricht, daß sie sich dieser bedient. Diese Differenzierung sollte man schon machen. Daß sich ein moderner Komponist irgendeiner vulgären Musik bedient, heißt für mich nicht, daß er sich dieser Musik öffnet - eher im Gegenteil. Ich rede hier allerdings weitgehend über meinen Wissenshorizont, weil mich moderne Musik eben nicht so interessiert, was auch mit Hörerfahrungen zu tun hat ( siehe Riehms Hamletmaschine).

Öffnung gegenüber der Vulgärmusik heißt für mich, sich dem Vulgären der Vulgärmusik gegenüber zu öffnen. Daß ein moderner Komponist irgend ein Stück Vulgärmusik "modern verarbeitet", bedeutet eine solche Öffnung zur Vulgärmusik eben noch nicht.

Wie die Sache nun bei der Chormusik der Renaissance aussieht, weiß ich nicht, weil ich von dieser Epoche noch weniger verstehe als von der Moderne. Insbesondere müßte man wohl mal Vulgärmusik der Renaissance, Tänze und dergleichen, kennen, um von dieser Hinsicht her ein Gefühl zu haben, welch ein Spannungsfeld da herrscht. Da ich Vulgärmusik der Renaissance gar nicht kenne ( vielleicht mit Ausnahme einer schönen empfehlenswerten CD mit "Folksongs" aus dem 13. bis 17. Jahrhundert mit den Deller Brüdern auf Harmonia Mundi) kann ich dieses Spannungsfeld schlecht abschätzen.

amazon.de

Das sind übrigens alles Dinge, wo einem gute Radiosendungen in einem guten Radiosender weiterhelfen würden. Aber leider wird ein gutes Minderheitenprogramm da ja leider nicht mehr gemacht, eigentlich wird ein echtes Minderheitenprogramm überhaupt nicht mehr gemacht. Wie brennend interessant fände ich zum Beispiel mal eine Sendung "Die Entstehung der Mehrstimmigkeit im ausgehenden Mittelalter" auf NDR Kultur zum Beispiel mit Musikbeispielen, hier hätte Radio wirklich auch einen Sinn, das Radio, was im moment produziert wird, empfinde ich als weitgehend sinnlos, schon deshalb, weil es im "gängigen Repertoire" soviel gibt, was einem quasi nachgeschmissen wird. Daß Radio da brauchbar wäre, wo man Radio wirklich brauchen könnte, das existiert nicht.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 21. Okt 2008, 20:01 bearbeitet]
AladdinWunderlampe
Stammgast
#21 erstellt: 21. Okt 2008, 23:09
Hallo Martin,

ich muss gestehen, dass ich Deine Forderung einer "Öffnung zur Vulgärmusik" bislang noch nicht recht verstehe, denn einerseits sprichst Du mit einer recht aristokratischen Attitüde von der "Klasse", welche die Werke großer Komponisten über die schnöde Vulgarität des Vulgären "hinaushebe", und andererseits forderst Du, die Komponisten sollten sich "dem Vulgären der Vulgärmusik" zu "öffnen". Mir scheinen dies zwei entgegengesetzte Forderungen zu sein. Wer meint, das Vulgäre "erheben" zu müssen, geht offenbar davon aus, dass da etwas geadelt werden müsse, dass ohne derartige "Erhebung" durch einen barmherzigen Samariter in der Gosse liegen bleibe. Eine solche Auffassung ist wohl kaum als "Öffnung zum Vulgären" zu verstehen.

Ich bin mir außerdem auch nicht sicher, was Du genau unter "vulgär" verstehst. Ist "Vulgärmusik" für Dich deckungsgleich mit "Popularmusik" oder bestehen hier Unterschiede? Der Ausdruck "Vulgarität" scheint mir persönlich jedenfalls weitaus stärker als "Popularität" mit dem Stigma des Niederen und Unkultivierten behaftet zu sein; außerdem setzten sie immer die Perspektive eines Urteilenden voraus, der sagt, was niedrig ist und was nicht.

Die Beispiele von Komponisten, die sich Deiner Ansicht nach dem Vulgären öffnen, sind meines Erachtens kaum auf einen Nenner zu bringen: Beethoven macht in einem anderen Sinne "Musik über Musik" als Mahler und beides ist durch seine ironische Gebrochenheit sowohl von Chopin als auch von Tschaikowsky denkbar weit entfernt - vom verkaufsfördernden Flirt mit dem Populären bei John Adams ganz zu schweigen.

Denkbar unterschiedliche Spielarten im Umgang mit dem Populären oder Vulgären - von der Ironisierung bis zur Solidarisierung - findest Du auch in den von mir genannten Beispielen. Umd entscheiden zu können, was davon Deinem Kriterium der "Öffnung" genügt, müsstest Du also noch mal genauer sagen, was Du Dir darunter vorstellst.



Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 21. Okt 2008, 23:11 bearbeitet]
Kings.Singer
Inventar
#22 erstellt: 22. Okt 2008, 10:40
Hi.

Also zunächst musste ich eben "vulgär" nachschlagen, da es in meinem Sprachkonzept so etwas wie "anrüchig" u.Ä. bedeutet. Aber:


Warig schrieb:
vul|gär [vul-, lat.] gewöhnlich, gemein, ordinär; er fand ihre Art furchtbar vulgär


Also reden wir hier, wie Martins Beitrag oben schon unschwer erkennen ließ, von Volksmusik (=Popularmusik?). Ich kenne ehrlich gesagt keinen Komponisten, der absolut keine Einflüsse aus der Volksmusik um ihn herum in seiner Musik verarbeitet hat. Da meine Mutter in einem Ensemble spielt, das sich der Tanzmusik des Mittelalters und der Renaissance angenommen hat, habe ich schon einen mehr oder weniger guten Höreindruck von dieser Musik.
Um mal von einem Werk zu reden, das wir so ziemlich alle kennen müssten: Monteverdis Marienvesper weist in meinen Augen beispielsweise einige Stilmittel der damaligen Tanzmusik auf. Zum Beispiel den Wechsel vom 4/4 zum 3/2 Takt im "Gloria", wobei das natürlich ein weit verbreitetes Stilmittel in der Musik ist und war und kein herausragendes Beispiel darstellt. Trotzdem erinnert mich das Gloria jedes mal wieder an die Tanzmusik seiner Zeit.


Zwei CDs für Volksmusik (Tanzmusik/Popularmusik) in der Renaissance, die mir vom Stöbern in Erinnerung sind, wären:




In der Liste "Kunden kauften auch" bei Amazon sollte man auch noch viele weitere CDs finden.


Viele Grüße,
Alex.
Martin2
Inventar
#23 erstellt: 22. Okt 2008, 11:40
Hallo Aladdin,

vielleicht war der Begriff "vulgär" nicht glücklich gewählt. Ich meinte ihn nicht in diesem ausgeprägt abfälligen Sinne. Obwohl - vielleicht auch. Ob allerdings der Begriff "populär" glücklicher gewesen wäre, weiß ich nicht.

Mit dem sich öffnen gegenüber dem Vulgären meine ich ein gewisses Einlassen auf das Vulgäre. Also eine Verarbeitung des Vulgären, die von diesem Vulgären oder Populären nicht weit entfernt ist, mit diesem Vulgarismus quasi spielt. Die Spätromantik finde ich dafür kein schlechtes Beispiel. Manche dieser Musik siedelt nahe am Kitsch, Mahler wird man kitschig finden können, Elgar sowieso. Kitsch selber mag ich nicht, aber Musik, die "fast kitschig" ist, "ein bißchen" kitschig ist, finde ich gelegentlich anziehend. Oder Musik die "dem Affen Zucker" gibt.

Übrigens finde ich den Begriff "Klasse" für einen Komponisten nicht sonderlich "aristokratisch". Auch ein guter Fußballspieler hat etwa Klasse. Dieser Begriff hat heutzutage gar nichts aristokratisches.

Ein Nebengedanke, der mir gestern noch kam, für den ich aber keinen neuen Thread aufmachen wollte, war der Gedanke, ob nicht ein gewisser Vulgarismus in einem durchaus abfälligen Sinne vielleicht auch etwas historisch gewordenes ist? Also ist meinetwegen schlechte Renaissance- oder Barockmusik nicht vielleicht doch eher platt oder banal, ohne diese Art von "aufdringlicher Vulgarität" zu besitzen, die einen "anwidert", weil sie einen nicht "einfach kalt" lassen kann, wie es sie vielleicht erst seit der Spätromantik gibt? Und ist nicht von dieser Hinsicht eine "Abwehrhaltung" eines Komponisten gegenüber dem "unerträglich vulgären" verständlich? Verständlich aber doch falsch?

@ Kings Singer: Danke für die CD Tips.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 22. Okt 2008, 14:47 bearbeitet]
Klassikkonsument
Inventar
#24 erstellt: 22. Okt 2008, 14:01
Hallo Martin und alle am Vulgären in der Musik Interessierte,

in meinem gestrigen Beitrag zu Wagners frühen Opern erwähnte ich ja, dass Daland im fliegenden Holländer durch seinen heiteren Singspiel-Charakter heraussticht. Ich meine, das ist ein Beispiel dafür wie Vulgäres in die hohe Musik integriert sein kann.
Man kann das Singspiel zwar nicht als vulgär bezeichnen, aber dort kommen wohl eher Leute niedrigen Standes mit ihren "niederen" Interessen vor. Ich denke da auch an den Rocco aus Beethovens Fidelio mit seinem materialistischen "Hat man nicht auch Gold beineben, kann man nicht ganz glücklich sein" oder der vielleicht duckmäuserischen, aber doch nicht ganz unwahren Bemerkung: "Ich würde mich ins Verderben stürzen, ohne jemandem genützt zu haben".
Allerdings kommt mir Rocco sympathischer vor als Daland, weil er reale Zwänge anspricht, während der norwegische Kaufmann eindimensional als geldgeiler Vater dasteht, der seine Tochter gern jedem Schwiegersohn überlässt, der ihm reichlich Schätze angeboten hat - und sei er noch so gruselig. Da kann man wohl nur von Glück reden, wenn die Tochter ohnehin seit je von diesem gruseligen Mann geschwärmt hat.
Im Holländer wird dann alle Liebe fragwürdig, indem jeder für den anderen womöglich nichts anderes ist als die Projektion der eigenen Wünsche.
Hier erhält das Vulgäre eine dramaturgische Funktion und ist nicht mehr einfach bloß Unterhaltung. Damit will ich nichts gegen einfache Unterhaltung sagen, aber es gibt auch noch andere Sachen.

Viele Grüße
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