Sind bezahlte Musikritiker ihr Geld wert ???

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BigBerlinBear
Stammgast
#1 erstellt: 10. Apr 2004, 17:35
Teresa Pieschacón Raphael zu den Einspielungen der Schumann-Sinfonien unter Barenboim: (RONDO-Magazin)

Irgendwie scheinen die Symphonien von Schumann eine Renaissance zu erleben; David Zinman in Zürich wird eine komplette Aufnahme bei BMG vorlegen, das Czech Chamber Philharmonic Orchestra unter Douglas Bostock hat bei Naxos eine Gesamteinspielung veröffentlicht und auch Wolfgang Sawallisch meldete sich mit dem Philadelphia Orchestra musikalisch zu Wort. Nun setzt Daniel Barenboim mit seiner Staatskapelle Berlin die Serie fort. Mit einem "All-Over Schumann"-Programm gastierte er unlängst in den USA und bekam phänomenale Kritiken.

Robert Schumanns symphonisches Oeuvre ist vielschichtig, eine immer währende Auseinandersetzung mit seinen Dämonen und in seiner musikalischen Qualität umstritten. Richard Wagner sprach von Schumanns "ganz eigentümlichem Ungeschick im Dirigieren" und unterstellte ihm dilettantische Instrumentation. Wie auch immer, der Wagner-Dirigent Barenboim lässt sich davon nichts anmerken. Er geht die vier Werke mit poetischem Überschwang an und bietet einen weichen und warmen Wohlklang, beseelte Melodien und eigenwillige Tempi.

Der jünglingshaft emphatischen Ersten, die nicht zu Unrecht den Namen "Frühlingssymphonie" trägt, bewahrt er ihre innige Frische und ihren Frühlingsglanz. Der Zweiten, ein Beethoven ähnlich stolzes flammendes Werk, gibt er wagnerische Sehnsucht; der Dritten rheinischen Überschwang. Nur bei der von dunklem Pathos erfüllten vierten Symphonie in d-Moll wünschte ich mir, Barenboim würde sich hier mehr in die Schumann'schen Abgründe wagen und dessen Dämonen beschwören. Aber das ist vielleicht Temperamentssache. --

spätestens hier geht das Temperament mit mir durch und ich sage: hinab in den Orkus mit der Rezensentin und ihren Gemeinplätzen ! Jeder aus dem Form hier würde das besser können ! Da bleiben einem glatt dei Ostereier im Halse stecken !
Antracis
Stammgast
#2 erstellt: 10. Apr 2004, 20:10
Frau T.P.R. macht ja auch in Ihrem Steckbrief keinen Hehl daraus, dass Sie Beethoven und seine Neunte Sinfonie für maßlos überschätzt hält. Insofern ist Sie doch ganz unterhaltsam, hat halt nur Ihren Beruf verfehlt und hätte statt Musikkritikerin lieber Stand-up-Comedian werden sollen.

Gruß
Anti
op111
Moderator
#3 erstellt: 10. Apr 2004, 20:17
Hallo BBB,
bist du sicher, daß das kein verpäteter Aprilscherz ist?

Online hab ich das leider nicht gefunden.
Das wäre selbst für den Waschzettel eines CD-Booklets der pure Hohn, absolut der Gipfel!

http://www.rondomagazin.de/autor/raphael.htm


3. Welche Musik müsste als Folter geächtet werden?
Rachmaninow, Tschaikowsky, Wagner.
...
8. Hören Sie alle Platten, über die Sie schreiben?
Ja, aber nicht immer mit den Ohren.

Alles klar.

Gruß
Franz

PS: Bezahlen dafür? Nie! Schmerzensgeld verlangen, vielleicht.


[Beitrag von op111 am 10. Apr 2004, 20:30 bearbeitet]
BigBerlinBear
Stammgast
#4 erstellt: 10. Apr 2004, 20:50
hier ist der link, für alle, die das nicht glauben wollen:

http://www.classical-music-shop.de/1/detail/B00012HQVI/classical-de/schumann-the-symphonies.html


Der bedauernswerte Günter Raphael. Wenn der diese Enkelin noch kennengelernt hätte, hättse anstelle von Klavierstunden
Handschellen und nen Maulkorb bekommen, also nix da mit Aprilscherz

da hilft wirklich jur noich eines :
Antracis
Stammgast
#5 erstellt: 10. Apr 2004, 23:13
Wobei Frau T.P.R. in meiner persönlichen Hitliste nur Platz 2 belegt, wenn es um die dämlichste Aussage in einem Rondokritiker-Steckbrief geht. Die unangefochtene Nr. 1 ist Michael Wersin:


Welche Komponisten sind sträflich überschätzt?
Beethoven - nicht etwa bezüglich des geistigen Gehalts seiner Werke, der ist unbestritten, sondern bezüglich ihrer Schönheit.


Gruß
Anti
BigBerlinBear
Stammgast
#6 erstellt: 10. Apr 2004, 23:23
da hilft nur eine Psalmvertonung von Sebastian Knüpfer: (1633-1676)

Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn und züchtige mich nicht in Deinem Grimme

oder, um es gleich,ebenfalls ausserordentlich kompetent,
mit der untserblichen Friderike Kempner zu sagen:

"Beethoven, oh Ludwig van:
Warst du auch von Gott verlassen;
Deine Lieder pfeifet man
Auf den Strassen, in den Gassen"

Ein psychosenfreies "Rest-Ostern" wünscht allen Betroffenen
kleinerhanswurst
Ist häufiger hier
#7 erstellt: 10. Apr 2004, 23:37
@ antracis

Frau T.P.R. macht ja auch in Ihrem Steckbrief keinen Hehl daraus, dass Sie Beethoven und seine Neunte Sinfonie für maßlos überschätzt hält. Insofern ist Sie doch ganz unterhaltsam, hat halt nur Ihren Beruf verfehlt und hätte statt Musikkritikerin lieber Stand-up-Comedian werden sollen.


Im Falle der Schumann-Kritik sicherlich. Mit der Charakterisierung von Beethoven 9 hat Sie allerdings durchaus Recht. Da muss man sich nur mal einige spätere Streichquartette oder die Missa anhören. Auch was die Symphonien angeht, erscheinen mir einige der frühen wesentlich stringenter und überzeugender. Und wenn ich andere Komponisten ins Spiel bringe ...

Hans
op111
Moderator
#8 erstellt: 11. Apr 2004, 11:13
Hans:
Mit der Charakterisierung von Beethoven 9 hat Sie allerdings durchaus Recht.

Hallo zusammen,
so pauschal auch nicht, der 4. Satz ist teilweise mißlungen.
Darum auch seine Absicht zur Revision mit Instrumentalsatz.
Strawinsky sprach von "Kaisermarsch"-Niveau.
Aber der Rest ist einfach gut.
Gruß
Franz
Antracis
Stammgast
#9 erstellt: 11. Apr 2004, 12:39

Mit der Charakterisierung von Beethoven 9 hat Sie allerdings durchaus Recht.


Man kann sicherlich endlos darüber streiten, ob die neunte Sinfonie nun überschätzt ist. Oder ob Brahms, Wagner und Bach komponieren konnten oder auch nicht. Das Schöne und durchaus reizvolle daran ist ja, dass am Ende nie ein mathematisches Ergebnis stehen wird, sondern eine prinzipiell auch immer wieder anfechtbare Aussage. Dies macht aber das Gebiet leider auch zum idealen Tummelplatz pseudointerlektueller Spinner und solche landen nicht selten als freie Mitarbeiter bei Magazinen wie Rondo, um in erster Linie Ihren Selbstdarstellungstrieb zu befriedigen.

Und meine persönliche Erfahrung ist halt, dass "provokante" Thesen wie die radikale Ablehnung bestimmter Komponisten bzw. derer Werke sich oft meist bei genau denjenigen Kritikern finden, die außer stereotyper Phrasendrescherei und fragwürdiger Vergewaltigung der deutschen Sprache ansonsten wenig zu bieten haben.
Solche Leute kann ich nicht ernst nehmen.

Wenn ich z.B. beim Rondo-Kritiker Guido Fischer lese, dass er Bruckner für maßlos überschätzt hält, ist es das eine.
Wenn ich dann aber z.B. in einer seiner Kritiken folgendes lese (Abbado/Mahler 3 )



Zumal die Kontrastfähigkeit nirgends entsprechend ausgereizt wird, um an die farbpolyfonen Energieströme zu gelangen, hinter die bruitistischen Gravitationskräfte und damit hinter Mahlers Kosmologie........Die Mezzosopranistin Anna Larsson verschleppt sich in ein gefälliges Lamentoso, statt sich auf das subkutane Glühen einzulassen - bis an den Rand der Larmoyanz, gegen die dieses Mysterium der Zerrissenheit keine Chance hat.


überdenke ich dass ganze dann doch und stelle fest, dass ich in der Ablehnung von Abbados Aufnahme wesentlich näher bei ihm bin, als bei der Negierung Bruckners. Am meisten Ablehnung resultiert allerdings gegen Herrn Fischer selber und den Mist, den seine Tastatur produziert.

Günter Wand hat in mehreren Interviews ausgiebig darüber referiert, wie wenig er mit Mahler im allgemeinen und mit der neunten Sinfonie im besonderen anfangen kann. Er fragte glaube ich sogar mal Kent Nagano, wie er diesen konfusen Krach überhaupt dirigieren könne. Irgendwie kann ich aber mit diesem Statement leben, da es mir bei Wand als eine Äußerung der tiefsten künstlerischen Überzeugung erscheint, die frei ist von publikumswirksamer eitler Selbstdarstellung - so sollte es eigentlich auch bei den Kritikern sein.

Gruß
Anti
Alfred_Schmidt
Hat sich gelöscht
#10 erstellt: 11. Apr 2004, 14:52
Hallo,

Sowohl der Titel das Threads, als auch die Postings, die höchst interessant zwar, aber zumeist eigentlich doch an der Frage vorbeigehen, geben mir die Möglichkeit, meinerseits einige mögliche Betrachtungsweisen zu erörten, bzw weitere Fragen aufzuwerfen.

Die Frage: "Sind bezahlte Musikkritiker ihr Geld wert ?" werden sich gelegentlich auch Plattenproduzenten gestellt haben, wenn das Produkt trotz lobgehudelter pseudointellektueller Kritik nicht vermarktbar war .

So und nun wieder zurück in den seriösen Bereich:
Es ist eine Frage, welche Aufgabe man einem Musikkritiker zuweist. Die Lösungsansätze können dann durchaus unterschiedlich sein.
----------------------------------------------------------
Kritik an Komponisten und ihren Werken

Da ergibt sich für mich beispielsweise die Frage:
Ist es Aufgabe der Musikkritik ein Werk, das beispielsweise 200 Jahre alt ist und eine wechselvolle Geschichte in Bezug auf Bewertung und Wertschätzung diverser Generationen hinter sich hat, zu "bewerten", sei es in "handwerklicher", "künstlerischer" oder "weltanschaulicher" Hinsicht ?
Ist es Sache des Kritikers ein solches Werk als "schwach" oder "spießigbürgerlich", "kitschig" oder "altmodisch", "akademisch" oder wie auch immer einzustufen ?
Ich würde mal sagen: NEIN

Das war sicher die Aufgabe jener Kritiker, die Zeitgenossen des Komponisten waren, man beurteilte damals die "Komposition", weniger die "Interpretation", Dirigent und Orchester wurden eher als "ausführende Handwerker, denn als gestaltende Künstler gesehen. ("Wollt Ihr das gefälligst so spielen wie ich es aufgeschrieben habe", soll Mozart auf einer Probe geschrien haben, in die er unerwartet hineinplatzte.)
Noch bis vor etwa 10 Jahren haben sich solche "Kritiker" begnügt, "Kleinmeister" "abzuurteilen", den schlechten Geschmack des "Bildungsbürgepublikums" zu "tadeln" oder zu "beklagen". Heute, in unseren modernen Zeiten, ist man da schon drüber hinaus: Komponisten wie Vivaldi, Haydn, Mozart,Beethoven, Schubert, Mendelssohn,Tchaikovsky, Wagner etc.
werden "rezensiert" ihre Werke werden in "schwache" und "weniger schwache" eingeteilt, vereinzelt, aber selten werden ihnen sogar "Meisterwerke" zugestanden, man könnte fast sagen: Nur mehr in Ausnahmefällen .

-----------------------------------------------------
Interpretatinskritik:

Soll der Kritiker, mit der Partitur in der Hand, jede Abweichung monieren, über Spitzfindigkeiten berichten, absolut sachlich bleiben ?
Das hängt IMO davon ab, wo er publiziert.
In einer Fachzeitschrift für ausführende Musiker und absolute Spezialisten, mag das sinnvoll sein, für Zeitschriften mit Breitenwirkung (ich meine hier Gramophone oder Phono-Forum, Klassik-heute, Rondo etc.) meines Erachtens nach jedoch nicht.

Hier ist jene "vergleichende Blumensprache" (so sie im Rahmen bleibt) durchaus eine Krücke, mittels der dich der Kritiker mit seinem Publikum verständigen kann, und daher ist ihr auch der Vorzug gegenüber "objektiveren " Methoden zu geben. Sie haben, neben bekannten Nachteilen, auch etliche Vorteile, so etwa, die "Seele" oder das "Feeling" einer Interpretation zu vermitteln, etwas das "objektive" Methoden einfach nicht leisten können.
Ich kann zwar anhand gemessener Spielzeiten, das Tempo zweier Einspielungen miteinander vergleichen, trotzdem ist es möglich, daß die objektiv langsamere, auf die Mehrheit der Hörer temperamentvoller, schwungvoller, feuriger wirkt.

Ich sehe im Kritiker, eine Person, die sich mit Muik befasst, und ihren subjektiven Standpunkt gegen Geld (oder manchmal auch ohne) publiziert.
Was man da zu lesen bekommt ist mitnichten ein Spiegelbild des Wertes einer Interpretation (vom Wert des Werke mal ganz zu schweigen), sondern lediglich die Aussage wie diese Person zu dieser Interpretation steht. Ja nachdem, ob ich of ähnlicher Wellenlänge wie dieser Kritiker empfange oder nicht, akzeptiere ich dessen Meinungen oder aber auch nicht.
Die Kunst des Kritikers besteht eigentlich aus 2 grundsätzlichen Fähigkeiten: Der Kenntnis etlicher Werke und der wichtigsten "maßstabsetzenden" Interpretationen, und der Möglichkeit, subjektive Eindrücke in eine allgemein verständliche fassbare Form zu bringen.

Wenn man Klassik-kritiken zusätzlich noch einen gewissen Unterhaltungswert abgewinnen kann, dann ist man schon im grünen Bereich.
Ausserden schützen sie einen vor Fehlkäufen:
Wenn Kritiker A in Klassikzeitschrift X eine Aufnahme total verreisst, so findet sich siche irgendwo eine anderer, nämlich Kritiker B, der in einem anderen Klassikmedium dieselbe Aufnahme zur "Besten Einspielung Aller Zeiten" kürt. So gesehen kann eigentlich nichts schief gehen, nicht wahr ?


Frohe Ostern
Alfred
op111
Moderator
#11 erstellt: 09. Mrz 2005, 13:30
Hallo zusammen,

gerade erschienen:
Symphonie Nr. 5
Anton Bruckner
Münchner Philharmoniker
Christian Thielemann
2005 Deutsche Grammophon CD 002894775377


bei der Lektüre der folgenden Kritik(?) (eher nicht, oder?) einer Konzertaufführung mit dem Berliner Philharmonischen Orchester kam mir dieser Thread in Erinnerung:


Tagesspiegel, Berlin 07.03.2005
Auf der Himmelsleiter
Weltvergessen, selbstvergessen: Christian Thielemann triumphiert mit Bruckners Fünfter und den Berliner Philharmonikern

Von Christine Lemke-Matwey
...Nach einem Abend wie diesem ist man mit Bruckners Fünfter ! versprochen! ; für den Rest seines Lebens fertig, mit dieser "phantastischen" Symphonie, diesem "kontrapunktischen Meisterstück", dessen sämig suggestive, weltgebirgige Steigerungen viele Himmelsleitern aufstellen und etliche Himmelsfenster aufreißen (in schönster programmatischer Vergeblichkeit natürlich), bis dann in der Coda des Finales, nach dem Erdengewusel der Doppelfuge, unter dröhnenden Choralschritten der Durchbruch ins Freie gelingt...
...
Wie in einer großartig zerklüfteten Landschaft ziehen die Musiker umher, geben sich der Schönheit hin, suchen Schutz, wenden den Blick, beklagen Bedrohtes, Zerstörtes, beschleunigen den Schritt, preisen Licht und Luft, die Weite des Himmels und vergessen über dem jeweils einen doch niemals das andere. Hans Scharoun jedenfalls, der Baumeister der Berliner Philharmonie, hätte an dieser Idee seine helle Freude gehabt. Vielleicht müsste man den oben erwähnten Gedanken also auf den Kopf stellen und sagen: Thielemann zieht hier - intuitiv und/oder analytisch -die Summe aus allen Knappertsbüschen, Karajans, Wands, Celibidaches und Harnoncourts dieser Welt, in einer ebenso ehrfürchtigen wie souveränen, siegessicheren Geste schließt er sie alle miteinander in die Arme. Wer außer ihm hätte dazu derzeit auch den Mut...

Dieses Orchester ist, um das berühmte Wort Richard Wagners über die Dresdner Staatskapelle zu missbrauchen, eine "Wunderharfe". Alles klingt, alles atmet, alles will, und noch in den Generalpausen bebt der Leib.

Thielemann seinerseits weiß genau, was er an diesen vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden Musikern hat. Musste er in München auch schlagtechnisch, gestisch noch sehr viel mehr "arbeiten", so wirkt er in der Berliner Philharmonie so frei und gelöst wie selten ...


Der komplette Text kostenlos:

http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/07.03.2005/1687256.asp

Darauf einen Magenbitter.


Gruß
Franz


[Beitrag von op111 am 09. Mrz 2005, 13:35 bearbeitet]
Susanna
Hat sich gelöscht
#12 erstellt: 10. Mrz 2005, 00:28

Franz-J. schrieb:
Darauf einen Magenbitter.


Hallo Franz und Alle,

die schönsten Passagen hast Du aber schamhaft ausgelassen. Z. B. diese:

Was bleibt, sind feuchte Hände und ein heißes Herz. Was bleibt, pardon, ist Stammeln. Denn nach einem Abend wie diesem möchte man eigentlich nur noch auf Knien nach Hause rutschen, sanft alle Türen hinter sich schließen, die Lichter löschen und still sein Glück genießen. Nach einem Abend wie diesem ist man mit Bruckners Fünfter – versprochen! – für den Rest seines Lebens fertig,....

Ja, wenn ich noch ein paar dieser "Kritiken" lese, bin ich auch für den Rest meines Lebens fertig! Mit Bruckner dann bestimmt. Dabei höre ich gerade mit Genuß aus meiner Neuanschaffung, der Box (Symphonien 1-9) mit Günter Wand und dem RSO Köln

Grüße,
Susanna
sound67
Hat sich gelöscht
#13 erstellt: 10. Mrz 2005, 00:39

Franz-J. schrieb:

gerade erschienen:
Symphonie Nr. 5
Anton Bruckner
Münchner Philharmoniker
Christian Thielemann
2005 Deutsche Grammophon CD 002894775377


82'34, Franz!

Zweiundachtzig Minuten und vierunddreißig Sekunden ...

Gruß, Thomas
Susanna
Hat sich gelöscht
#14 erstellt: 10. Mrz 2005, 00:58

sound67 schrieb:

82'34, Franz!

Zweiundachtzig Minuten und vierunddreißig Sekunden ...

Hallo Thomas,

Dir hat Franz aber mal "Gute Besserung" gewünscht!

Gruß,
Susanna
Martin2
Inventar
#15 erstellt: 10. Mrz 2005, 01:06
Also ich habe mich bei der Kritik köstlich amüsiert. Mehr davon! Aber so einen hochgequirlten Quatsch muß man erst mal schreiben können. Also ich könnte es nicht.

Gruß Martin
Susanna
Hat sich gelöscht
#16 erstellt: 10. Mrz 2005, 01:23

Martin2 schrieb:
Also ich habe mich bei der Kritik köstlich amüsiert.

Ich auch, Martin! Ich mußte mit einem Lachkrampf kämpfen. Ja, mehr davon, aber bitte in einem Witzblatt und nicht in seriösen Magazinen. Die Dame bekommt auch noch Geld dafür!
Ich verlange sachliche Informationen über CDs oder Konzerte, da nützen mir Himmelsleitern überhaupt nichts!
Ansonsten: Voll einverstanden mit dem Ausdruck "hochgequirlten Quatsch"!

Grüße,
Susanna


[Beitrag von Susanna am 10. Mrz 2005, 01:24 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#17 erstellt: 10. Mrz 2005, 02:01

Susanna schrieb:
Ja, mehr davon, aber bitte in einem Witzblatt und nicht in seriösen Magazinen. Die Dame bekommt auch noch Geld dafür!
Ich verlange sachliche Informationen über CDs oder Konzerte, da nützen mir Himmelsleitern überhaupt nichts!

Grüße,
Susanna


Liebe Susanna,

der gewöhnliche Leser will aber bloß unterhalten werden und sonst gar nichts. Und Unterhaltungswert hat diese Rezension. Wen bitteschön interessiert die "sachliche Information"?

Das ist so wie mit dem "Literarischen Quartett", das haben die meisten doch sowieso nur deshalb geguckt, weil das ganze halt so unterhaltsam war ( wenn Reich Ranicki wieder mit seinem erhobenen Zeigefinger kam, auch Gott waren das Zeiten). Und die allerwenigsten haben sich die dort empfohlenen Bücher auch tatsächlich gekauft. Dabei waren diese Herrschaften, im Gegensatz zu dieser Dame, vermutlich sogar ziemlich qualifiziert.

Dabei kannst Du davon ausgehen, daß sich die meisten Leser des Tagesspiegels für Bruckner sowieso nicht interessieren. Aber einen schönen Verriß oder eine vollkommen durchgeknallte Lobeshymne liest jeder gern.

Wem es aber wirklich um sachliche Information geht, wird nicht den Tagesspiegel lesen, sondern versuchen, sich anderswo zu informieren.

Die Dame hat ihr Geld also auf jeden Fall verdient!

Gruß, Martin
op111
Moderator
#18 erstellt: 10. Mrz 2005, 02:24

sound67 schrieb:

Franz-J. schrieb:

gerade erschienen:
Symphonie Nr. 5
Anton Bruckner
Münchner Philharmoniker
Christian Thielemann
2005 Deutsche Grammophon CD 002894775377

82'34, Franz!
Zweiundachtzig Minuten und vierunddreißig Sekunden ...


Hallo Thomas,
und das auf "einer" CD - jenseits des Red-Book-Standards. (Kopierschutz via Überlänge?)
Damit liegt er im langsamen Mittelfeld zwischen Claudio Abbado mit 68' und Horst Stein mit 92', ist aber noch schneller als Celibidache mit 87'.

---
Der Tagesspiegel-Artikel bezieht seine unfreiwillige (?) Komik u.a. aus den völlig nichtssagenden schiefen Bildern, was ist bitteschön mit
"sämig suggestive, weltgebirgige Steigerungen"
gemeint?
Dazu die Häufung religiöser Termini.
Ob dadurch auf der "Himmelsleiter" Rutschgefahr besteht?
Der Begriff "Himmelsleiter" taucht überraschend oft in Kritiken der Autorin auf.

Gruß
Franz
AcomA
Stammgast
#19 erstellt: 10. Mrz 2005, 14:23
hallo,

christine lemke-matwey sagte mir zuvor gar nichts. niemand ist gezwungen, solche abhandlungen zu lesen. gewinnerin ist in jedem falle die rezensentin selbst, da sie ja wohl auf kosten ihrer zeitung konzerte besuchen kann. aber als abonnent (bin ich ja nicht) wäre ich schon verärgert und würde einen leserbrief anfertigen. da kann man mal sehen, mit wieviel luft (oder laut martin 'gequirltem quatsch') jemand heutzutage einen job bei einer (bedeutenden ?) tageszeitung bekommen kann. wahrscheinlich habe ich mich für die falsche tätigkeit entschieden.

was die eigentliche frage dieses threads angeht: ich kenne nur einen musikkritiker, der sein geld wert ist, und das ist prof. dr. joachim kaiser. sicherlich ist er mit den jahren nicht mehr auf dem aktuellen stand und den 'klavier-kaiser' halte ich für reine 'abzocke'. aber seine publikationen sind profund, zeugen von großem sachverstand und machen durchaus spaß, sie zu lesen.

letztlich zählt der eigene höreindruck, und der kann selbstverständlich von dem eines kompetenten kritikers abweichen. gerade bei profunden und folgerichtig autoritären kritikern besteht allerdings die gefahr, dass künstler auch längerfristig schaden zugefügt werden kann. alfred brendel sagte mal, dass joachim kaiser ihm 10 jahre seines lebens gestohlen hätte !

gruß, siamak
Susanna
Hat sich gelöscht
#20 erstellt: 11. Mrz 2005, 00:17
Hallo,

der gewöhnliche Leser will aber bloß unterhalten werden und sonst gar nichts. Und Unterhaltungswert hat diese Rezension. Wen bitteschön interessiert die "sachliche Information"?

@ Martin,

mich! Mit dem Begriff "gewöhnlicher Leser" kann ich nichts anfangen. Ich z. B. betrachte mich als gewöhnliche Leserin. Siamak u. auch ich sind nicht sicher, um welche Art Blatt es sich beim „Tagesspiegel“ handelt. Kann uns jemand darüber aufklären?
Egal, ich möchte auf jeden Fall eine einigermaßen sachliche Information. Sie könnte ggf. nur sporadische Konzertbesucher, bzw. Klassik-CD- Käufer schon interessieren. Nicht jeder in dieser Kategorie ist willens, sich mittels Fachmagazinen zu informieren.
Außerdem: Wenn diese Zeitung Rezensionen nur als Unterhaltungswert betrachtet, wer garantiert mir dann den Wahrheitsgehalt der übrigen Artikel?
Oder hat Franz recht, wenn er „unfreiwillig“ in Frage stellt?

Dabei kannst Du davon ausgehen, daß sich die meisten Leser des Tagesspiegels für Bruckner sowieso nicht interessieren.

Das mag sein, doch der Minderheit sollte man auch Rechte zugestehen, oder? ;-)

@ siamak: „niemand ist gezwungen, solche abhandlungen zu lesen.“
Woher soll ich vor der Lektüre wissen, wes Geistes sie ist!? Leserbrief ist sehr gut, aber vielleicht helfen auch schon Klassikforen! ;-)

“letztlich zählt der eigene höreindruck, und der kann selbstverständlich von dem eines kompetenten kritikers abweichen“.
Dann brauchen wir gar keine Kritiker. Sie sollen doch gerade eine Kaufentscheidung erleichtern. Bei einem kompetenten Kritiker ist m. M. nach die Chance, das Richtige zu erwerben, größer, als bei euphorisch-nichtssagenden Rezensionen. Klar, eine Garantie für mein ureigenstes Hörerlebnis bekomme ich nicht.

„gerade bei profunden und folgerichtig autoritären kritikern besteht allerdings die gefahr, dass künstler auch längerfristig schaden zugefügt werden kann.“
Umgekehrt würde dem Publikum Schaden zugefügt, wenn der Kritiker den Künstler nur schonte.

@ Franz: „Ob dadurch auf der "Himmelsleiter" Rutschgefahr besteht?
Der Begriff "Himmelsleiter" taucht überraschend oft in Kritiken der Autorin auf.“
In anderem Kontext habe ich nichts gegen „Himmelsleitern“.;-)

Grüße,
Susanna
Martin2
Inventar
#21 erstellt: 11. Mrz 2005, 16:13
Liebe Susanna,

ich denke von einem Musikkritiker, der bei einer Zeitung arbeitet, wird vor allem verlangt, daß er gut schreiben kann. Und da beginnt schon das Problem. Warum muß ein Musikkritiker gut schreiben können? Im Grunde genommen interessiert mich doch nur das Urteilsvermögen eines Musikkritikers, und mag das, was er zu sagen hat, auch noch so trocken, spartanisch oder unbeholfen klingen.

Ich bezweifle, wie Franz, sehr stark, daß die Komik des Artikels unfreiwillig ist, zumindestens ist sie in Kauf genommen. Für so naiv halte ich eine Journalistin nicht.

Wenn der Rest des Feuilletons des Tagesspiegels genau so ist, kann man sich dieses Feuilleton allerdings sparen. Aber es bleibt halt im Blatt, weil eine "gute Zeitung" so etwas haben muß. Und da man es schlecht aussparen kann, sieht man es dann in erster Linie unter dem Entertainment Gedanken. Und dieser Artikel ist pures Entertainment. Und das ist so von der Redaktion gewollt, sonst hätte die Dame schon längst ihren Job verloren. Im Grunde genommen ist das, was diese Frau hier macht, so etwas wie Sportberichterstattung für die etwas Gebildeteren.

Wer sich für Bruckner interessiert, wird sowieso die Handvoll guter Brucknerinterpreten: Wand, Tintner, Skrowachesky, Jochum, Haitink kennen ( wobei es möglicherweise dann noch den einen oder anderen gibt, der auch einen ganz guten Bruckner vorgelegt hat).

Und ehrlich gesagt: Was interessiert mich schon so eine einzelne Kritik? Mich interessiert doch in erster Linie, wie eine Aufnahme im Vergleich mit anderen abschneidet, denn davon mache ich meine Kaufentscheidung abhängig. Da Besprechungen von CDs in Zeitungen so etwas nicht leisten, interessieren sie mich sowieso nur am Rande. Ein paar CD guides zu besitzen, das ist da schon vernünftiger, oder sich in einem guten Internetforum schlau zu machen, was eine Aufnahme taugt.

Vor allem habe ich schon viel zuviele "begeisterte Kritiken" gelesen. Soviele Aufnahmen, die überragend sind, kann es aber gar nicht geben. Außerdem müßte ein Musikkritiker, der an einer Zeitung arbeitet, schon ein enzyklopädisches Wissen über die 50.000 CDs mitbringen, die in den letzen 50 Jahren herausgekommen sind. Das gibt es sowieso nicht. Mir ist auch der Penguins Guide in dieser Hinsicht suspekt.

Am intelligentesten ist es m.E. sowieso in englischsprachige Komponistenforen hineinzugehen, wo die Liebhaber bestimmter Komponisten schreiben. Da findest Du dann möglicherweise tatsächlich Leute, die ein profundes Wissen über die Diskographie ihres Lieblingskomponisten haben. Mir ist zum Beispiel Bruckners 3. von Tintner dort wärmstens empfohlen worden, weil Tintner die Originalfassung spielt und ( im Gegensatz zu Inbal) in entsprechender Breite darbietet.

Gruß Martin
Susanna
Hat sich gelöscht
#22 erstellt: 11. Mrz 2005, 17:30
Hallo Martin,

Martin2 schrieb:

Ich bezweifle, wie Franz, sehr stark, daß die Komik des Artikels unfreiwillig ist, zumindestens ist sie in Kauf genommen. Für so naiv halte ich eine Journalistin nicht.

Es wäre zu hoffen und zu wünschen! Anderenorts nimmt man diese Kritik jedenfalls z. T. sehr ernst!

Außerdem müßte ein Musikkritiker, der an einer Zeitung arbeitet, schon ein enzyklopädisches Wissen über die 50.000 CDs mitbringen, die in den letzen 50 Jahren herausgekommen sind.

Manchmal habe ich schon bei Kritikern in Klassikforen diesen Eindruck!

Grüße,
Susanna
op111
Moderator
#23 erstellt: 11. Mrz 2005, 18:52

Martin2 schrieb:
Ich bezweifle, wie Franz, sehr stark, daß die Komik des Artikels unfreiwillig ist, zumindestens ist sie in Kauf genommen. Für so naiv halte ich eine Journalistin nicht.

Hallo,
ich halte es für wahrscheinlicher, daß dieser Artikel schon unfreiwillig komisch ist, wie typische Teenie-Popstar-Fanpost im anderen sprachlichen Kontext (die Autorin scheint oft begeistert über Thielemann zu schreiben), aber 100%ig sicher kann man ja nie sein, vielleicht entlarvt sich das Ganze später doch mal als Scherz.

In der Gesamtschau nimmt m.E. der Anteil an fachlich fundierter Kritik ab. Das meiste ist deskriptiv - könnte auch im CD-Booklet oder PR-Waschzettel stehen; journalistische Ebenen (Bericht, Wertung, Kommentar, Polemik) werden verwischt.

Gruß
Franz
s.bummer
Hat sich gelöscht
#24 erstellt: 11. Mrz 2005, 22:42
Hallo,
zunächst zur Beruhigung.
Soviel verdienen diese Kritiker gar nicht.
(Zur Einstimmung bitte hören: Kreisler. Musikkritiker)
Frau Lemke war wohl im Vorfrühling und da blühten ihre Stilblüten gar heftig. Ansonsten habe ich von ihr im Tagesspiegel, ich lebte ein paar Jahre alternierend in Kiel und Berlin, etliche manierlich klare Rezensionen gelesen.
Denselben hier beklagten hirnschwurbligen Tonfall bemühte übrigens Herr Kaiser in den wöchentlichen Lobpreisungen seiner Pianisten - Sammlung. Tja, man muss halt wissen, wann man aufhören sollte, nicht wahr Herr Reich Kaiser.

Ich finde eine Rezension oft anregend, auch wenn ich ihr nicht zustimme. Insofern bin ich froh, dass es diese Sparte gibt und da sehe ich manchem Wortmetz über unglückliche Formulierungen hinweg.
Aber selbst in unserem Kieler Käseblatt ist inzwischen ein Trend zur blumigen Ausschmückung spürbar. Denn unser GMD hat auch ne Bruckner 5 abgeliefert, die ähnlich (Zeitung weggeworfen) adjektiv geschmückt in der Rezension daherkam.
Ein Megatrend, der die Förde erreicht hat?

Was mich allerdings ärgert, ist politisch gewünschtes(?) Stillschweigen. Das hat es mir z.B. mit Kaiser verdorben.
Und zwar war in München bekannt, dass Herr Kaiser, der ja aus seiner Vergötterung von Furtwängler, Karajan und Bernstein (was für eine Kobination!!) nie ein Hehl macht, mit Celibidache nicht konnte.
Folglich hat er sich bis auf ein paar Erstrezensionen und einem Nachruf ("Er war vor allem ein Manierist") fast komplett aus dem Besprechen von Celibidache-Konzerten herausgehalten.
Das durfte W. Schreiber erledigen, eingeschriebenes Mitglied im FanClub.
So war München 10 Jahre befreit von Celibidache Verrissen und der Ruhm des Dirigenten wurde nicht angekratzt.
Oder hat der greise Dirigent dieses Stillschweigen erpresst? Sein Umgang mit den Stadtoberen ließe auch diese Interpretation zu. Wer weiß mehr?

Auf der anderen Seite: Was für ein Beruf! Wenig Geld, viel Ehr. Noch heute kennt jeder Brahms Fan Eduard Hanslick, nach mehr als 120 Jahren.
Das soll man erst mal in einem anderen Beruf nachmachen.

Ein Rezensent, den ich jedem ans Herz lege, auch wenn ich manches seiner Urteile nicht mag, ist ECKHARD HENSCHEID!
Man lese seine Aufsatzsammlungen
"Verdi ist der Mozart Wagners" oder
"Warum Frau Grimhild Alberich außerehelich Gunst" gewährte.

Gruß S.
drbobo
Inventar
#25 erstellt: 11. Mrz 2005, 23:55
Hallo,

gute Kritiken schreiben, finde ich nachvollziehbar schwierig. Nun ist es ein Beruf,der zumindest bei Kritikern der grossen Zeitungen hauptberuflich ausgeübt wird, und damit ein gewisses Niveau gefordert werden kann.


Allerdings wird es für die Kritiker auch schwieriger. Über das Stück an sich, kann man ja nicht mehr schreiben, da die im Konzertbetrieb so präsentierten "Stücke" längst x-mal durchgekaut und Musikgeschichte sind. Bleibt der/die Künstler(in/nen). Die sind inzwischen technisch fast perfekt, so dass die Interpretation als Hauptkritikpunkt bleibt.
Und da noch etwas schlaues über mehrere Spalten zu sagen, ist eben nicht leicht. Eine wissenschafltich/musiktheoretische Abhandlung geht wohl meist am Publikum vorbei, bleibt eine beschreibende Sprache, die entweder im Klischee hängen bleibt oder schnell lyrisch verklärt wirkt.
Trotzdem finde ich solche Versuche besser, als eine Reduktion auf nichtssagende Aussagen wie Dauer xx Minuten und xx Sekunden, als ob das eine Rolle spielen würde.
Wer Musik auf gemessene! Zeit reduziert, erinnert mich fatal an HIFI-Fans die die meiste Zeit mit Frequenzspektren und Messewerten verbringen.
Nicht meine Welt.
-Christian-
Hat sich gelöscht
#26 erstellt: 12. Mrz 2005, 00:18
Ohne den Thread gelesen haben: Wer braucht Musikkritiker =?

Ich bin mein eigener und der einzige Musikkritiker auf den ich höre ..
Martin2
Inventar
#27 erstellt: 12. Mrz 2005, 01:14
Lieber Christian,

das "selber Kritiker sein" kann auf die Dauer aber ganz schon teuer werden. Selbstverständlich bin auch ich mein eigener Musikkritiker, jeder ist es, oder gibt es hier irgend jemanden, der sich ein Werk nur noch in der hochgelobten Version anhört, auch wenn sie ihm überhaupt nicht gefällt, und dafür die Version, die ihm gefällt, wegschmeißt, nur weil sie keine guten Kritiken bekommen hat?

Nur hat nicht jeder das Geld, sich unbegrenzt Fehlkäufe leisten zu können, und da sind Leute, die einen vor diesen bewahren, schon ganz hilfreich. Nur ob das nun die Kritiker von Tageszeitungen sind, wage ich zu bezweifeln.

@drbobo:

Wie lange eine CD dauert, finde ich zwar zur Not auch noch selber raus, allerdings ist das Tempo schon ein sehr wichtiger Ansatzpunkt zur Kritik ( macht der Dirigent ein langsames Tempo sinnreich, wirkt das schnelle Tempo gehetzt oder gerade richtig?). Darauf einzugehen gehört für mich zu den Essentials einer sachlichen Kritik. Ich finde den Vergleich mit Hififanatikern die Musik mit Frequenzmessern bei kommen wollen, sehr unangemessen, weil das gewählte Tempo wirklich einen ungeheueren Einfluß darauf hat, wie Musik wahrgenommen wird. Wenn Du ein Stück etwa in 18 statt in 12 Minuten spielst, hörst du letzlich ein vollkommen anderes Stück. Mit einem grundsätzlich falschen Tempo ist ein Stück ruiniert, und da könnte selbst der Claudio Abbado dann nichts mehr retten. Ich möchte mal behaupten, daß die Wahl des richtigen Tempos schon 50 % der Miete bei einer guten Interpretation ausmacht. Wobei man über "absolute Richtigkeit" natürlich wieder streiten kann.

Gruß Martin
drbobo
Inventar
#28 erstellt: 12. Mrz 2005, 03:10
Hallo,

@Christian
wenn du den Thread nicht gelesen hast, wieso machst du Dir dann die Mühe und schreibst irgend etwas?


@Martin

Ohne Zweifel haben Tempi einen wesentlichen Einfluss auf die Interpretation, ich habe mich aber absichtlich und mit Ausrufezeichen auf die Messung der Zeit bezogen.
Je nach Interpretation kann die selbe absolute Zeit völlig unterschiedlich wirken, das subjektive Zeitempfinden ist relevant, nicht die objektive Messung.
Völlig bedeutungslos wird die Angabe der gesamten CD - Laufzeit, da unterschiedliche Sätze, unterschiedliche Pausen usw. eine Rolle spielen.


[Beitrag von drbobo am 12. Mrz 2005, 03:11 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#29 erstellt: 12. Mrz 2005, 17:58
Lieber drbobo,

selbstverständlich spielen die Laufzeiten der einzelnen Sätze eine Rolle, das ist doch klar.

Natürlich können auch Stücke, je nach Interpretation unterschiedlich in ihrer Zeitlichkeit wirken. Mein Erlebnis war da Bruckner 9. in den Interpretationen von Jochum und Haitink: Haitink wirkte mir zu schnell, Jochum richtig, in Wirklichkeit nehmen beide dasselbe Tempo.

Nur: Wenn Du zu der Erkenntnis kommst, daß zwei Interpreten bei demselbem Tempo doch ein unterschiedliches Zeitgefühl auslösen, dann kommst Du ganz unweigerlich zu dem Schluß, daß der eine Interpret ( oder die Interpreten) doch irgendwie etwas anders gemacht haben müssen. Das ist irgendwie logisch finde ich.

Das Tempo ist aber etwas objektives, meßbares. Ich glaube nämlich nicht, daß man die Sache mit dem "subjektivem Zeitgefühl" so weit treiben kann, daß man nun die These aufstellen könnte, daß dasselbe, was der eine in 15 Minuten ausdrücken könnte, der andere in 9 Minuten hinbekäme, so daß das Tempo sozusagen überhaupt keine Rolle mehr spielte und die Wirkung dieselbe wäre. Nein: Das Tempo ( und dieses läßt sich eben messen) stellt immer einen Faktor an der Interpretation dar. Das eine ist eben das "wie lange", das andere das "wie gemacht" und zusammen ergibt das die Interpretation. So sehe ich es.

Im übrigen: Im allgemeinen stimmt mein "subjektives Zeitempfinden" mit der objektiven Messung durchaus überein, das höre ich im allgemeinen doch ganz gut raus, von gewissen "akkustischen Täuschungen" einmal abgesehen. Und wo ich eine solche meßbare Tempodifferenz ( die vielleicht nicht gerade bei Sekundenbruchteilen liegt) höre, will ich dann auch, daß sie mir der Interpret das dann auch sinnreich macht. Wenn nicht, ist das für mich ein Grund, eine solche Interpretation abzulehnen. Und gelegentlich - das gebe ich zu - lehne ich Interpretionen auch schon deshalb ab, weil mir die Tempi von vorneherein als sinnlos erscheinen, so daß ich mich erst gar nicht vom Gegenteil überzeugen lassen will. Insofern sind für mich solche "Messungen" hochinteressant. Sie stellen immerhin den einzigen wirklich rein objektiven Faktor dar ( alles andere, selbst die Bewertung technischer Perfektion, bedarf letztenendes schon der subjektiven Bewertung).

Gruß Martin
drbobo
Inventar
#30 erstellt: 13. Mrz 2005, 00:12
Hallo,

natürlich ist die gemessene Dauer eines Stücks ein "objektives" Kriterium, für mich spielt es nur keine Rolle. Die Haarfarbe des Dirigenten ist sicher auch objektiv zu bestimmen, trotzdem (da wirst auch du zustimmen) völlig belanglos bei der Interpretation.

Ansonsten scheint bei der Empfindung von Tempo und Zeit eine deutliche Differenz zwischen uns zu bestehen.
Ich habe (besonders im Konzert, aber auch beim konzentrierten Hören zu Hause) trotzt "schneller" Interpretation und kurzer Laufzeit mich oftmals gelangweilt und die Minuten dehnen sich bis zum Ende, es fehlt der Drive während bei subjektiv interessant und gut empfundenen Stücken die Zeit dahinrast, auch wenn das (langsame) absolute Tempo die Laufzeit des Satztes/Stücks erheblich verlängert. Möglicherweise spielen bei den Empfindungen, ob ein Tempo adäquat ist oder nicht neben den akustischen Eckdaten des Hörraums auch die eigene, interne "Taktrate" eine Rolle.

Dass die Laufzeit ein mögliches Beurteilungskriterium darstellen kann, habe ich nie in Zweifel gezogen, die Verwen dung der Gesamtspielzeit einer CD als Hauptkriterium allerdings erscheint mir doch sehr dünn.
Martin2
Inventar
#31 erstellt: 13. Mrz 2005, 01:13
Lieber drbobo,

also so ganz einig werden wir uns bei diesem Thema ja wohl nicht. Müssen wir das? Aber Gott bewahre.

Wir sind ja auch etwas vom Thema des Threads abgekommen.

Über den Bolero von Ravel habe ich mal das Bonmot gelesen, daß er umso langweiliger wirke je schneller man ihn spiele. Überprüft habe ich das nicht ( man kann ja nicht tausend Versionen eines Werkes besitzen), mißtraue aber seitdem schnellen Versionen dieses Werks.

Jedenfalls gebe ich Dir in diesem Punkt natürlich unbedingt recht, daß eine schnellere Version nicht unbedingt interessanter wirken muß. Langsamkeit kann sehr sehr interessant sein, und umgekehrt kann eine schnelle Version, die zum Beispiel den Adagiocharakter eines Stückes verfehlt, dann wieder stinklangweilig wirken.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 13. Mrz 2005, 01:28 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#32 erstellt: 13. Mrz 2005, 01:34

s.bummer schrieb:

(Zur Einstimmung bitte hören: Kreisler. Musikkritiker)


Oh ja! Den kenne ich. Köstliches Teil. Kreisler ist sowieso toll, aber dieses kabaretistische ( weiß wieder nicht, wie man das Wort schreibt) Chanson hat es einem als Klassikfreund natürlich besonders angetan.

Gruß Martin
KV588
Ist häufiger hier
#33 erstellt: 01. Apr 2005, 15:37

Siamak u. auch ich sind nicht sicher, um welche Art Blatt es sich beim „Tagesspiegel“ handelt. Kann uns jemand darüber aufklären?

Um eine normalerweise solide, früher hätte man wohl gesagt "bürgerliche" Tageszeitung aus Berlin. Ich nehme an, das sie etliche Leser hat, die sich für Bruckner interessieren (mich z.B.). Ungefähr den Teil des Phliharmonie/Konzerthaus-Publikums, der nicht nur was Überregionales (FAZ, FR, SZ) liest.
www.tagesspiegel.de


Frau Lemke war wohl im Vorfrühling und da blühten ihre Stilblüten gar heftig. Ansonsten habe ich von ihr im Tagesspiegel, ich lebte ein paar Jahre alternierend in Kiel und Berlin, etliche manierlich klare Rezensionen gelesen.


Ich lebe in Berlin und habe das zweifelhafte Vergnügen, von Frau Lemke des öfteren lesen zu müssen, wer mag, kann sie auch auf Radio Kultur hören. Ihre Stilblüten blühen IMHO immer prächtig und sie interessiert sich stets in erster Linie für: sich. Zweimal habe ich mich zu Leserbriefen hinreißen lassen, ohne Antwort natürlich.

Musikkritiker brauche ich, um ein Gefühl des "Dabeiseins" zu haben, auch dort wo mein Geld und meine Zeit nicht zum echten Dabeisein reichen. Schon ärgerlich, wenn man dann auf dieses Geschwurbel angewiesen ist....ist man natürlich in Zeiten des Internets nicht mehr, aber es wäre nett, auch in der eigenen Zeitung weniger Schwachsinn zu lesen,

Die anderen Kritiker des Tagesspiegels gefallen mir übrigens besser bzw. blühen weniger auf.
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