Trip to Asia. Der Kinofilm der Berliner Philharmoniker

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Mellus
Stammgast
#1 erstellt: 24. Mai 2008, 12:06
Hallo allerseits,

das Thema dieses Threads ist zwar nicht mehr ganz aktuell, da der Kinostart des Films, um den es hier gehen soll, schon eine Weile her ist. Die meisten von Euch, nehme ich mal an, werden Trip to Asia gesehen haben. Und man sollte sich mal über den Film austauschen, sachlich wie polemisch. Zu beidem ein paar Bemerkungen.

Was mir gut gefallen hat ist, die Darstellung des Orchesters als kleine Parallelgesellschaft. Über 100, teilweise schrullige Individuen bilden eine Leistungsgesellschaft. Jeder einzelne hat ein Privatleben und Provatsorgen. Gemeinsam muss trotzdem ein "Produkt", die Musik, hergestellt werden. Dass das nicht ohne Leistungsdruck vor sich geht, wurde auch nicht verheimlicht, man denke an die arme Flötistin, die die Probezeit, die für sie sicher kein Spaß war, nicht überstanden hat oder die nachdenklichen Kommentare zum Altern.

Die interessanten Momente des Films werde jedoch deutlich von bedenklichen Szenen überwogen.

- Die Kamera fängt das Alltagsleben aus irgendeiner asiatischen Metropole ein zu dem es gehört, an Schreinen Räuchterstäbchen anzuzünden und Gebete zu sprechen. Dem Filmemacher fällt aber nichts besseres ein, als diese Darstellung einer fremden Kultur mit dem Heldenleben von Strauss zu überlegen. Kulturimperialismus?

- Das Orchester kann Beethoven nahezu auswendig spielen, kriegt es aber kaum hin, Adès'sche Polyrhythmik umzusetzen. Sind die Berliner ein altmodisches Orchester? (Oder einfach nur nicht so gut?)

- Überhaupt Adès! Dass Rattle diesen Kirmesmusikanten spielt, lässt mich sehr an seiner Verantwortung als oberster Musikbewahrer Deutschlands, der er als GMD der Berliner ja wohl ist, zweifeln. Droht der Untergang des Abendlandes?

- Sogar den Musikern fällt zum Thema moderner Musik nichts weiter als Henze ein. Nichts gegen Henze, aber ein, zwei andere, vielleicht sogar "modernere", gab es da schon noch... Sind die Berliner ein rückständiges, rückswärtsgewandtes Orchester?

- Auch auf die Gefahr hin, ihm Unrecht zu tun: Der Rattle mach ziemlich viel Show drumherum. Ist Rattle ein Medien-Dirigent? (Dann würde er gut nach Berlin passen, das fortsetzen, was Karajan begonnen hat.)

- Warum fahren die Berliner überhaupt auf Asientournee? Ihre Philharmonie war zu der Zeit ja noch nicht abgebrannt. Wohl aus dem gleichen Grund, aus dem das der FC Bayern München auch tut: Märkte sichern. Sind die Berliner weniger eine kulturelle Institution als vielmehr ein Geschäftsmodell?

Was sagt und also der Film über die Berliner Philharmoniker auf ihrer Asienreise? Banalisierung und Ausverkauf der kulturellen Tradition!

Oder ist das bloß Ressentiment?

Oder wie seht ihr das?

Gespannt,
Mellus
Maastricht
Inventar
#2 erstellt: 24. Mai 2008, 13:34

Mellus schrieb:


- Warum fahren die Berliner überhaupt auf Asientournee? Ihre Philharmonie war zu der Zeit ja noch nicht abgebrannt. Wohl aus dem gleichen Grund, aus dem das der FC Bayern München auch tut: Märkte sichern. Sind die Berliner weniger eine kulturelle Institution als vielmehr ein Geschäftsmodell?

Was sagt und also der Film über die Berliner Philharmoniker auf ihrer Asienreise? Banalisierung und Ausverkauf der kulturellen Tradition!

Gespannt,
Mellus


Ich habe den Film nicht gesehen.
Die Berliner sind eine kulturelle Institution und ein Geschäftsmodell. So geht das heute. Auch das Concertgebouw geht auf internationel Tourneen zusammen mit Geschäftsleuten (ich erinnere mich an eine Dokumentation über ein Reise als Chailly dar noch Dirigent war): via Kultur zu Geschäften.
Und manchmal auch zur politischen Entspannung zwischen Ländern. Sieh z.B. auch - welches Amerikanische Orchester war das jetzt, das vor einigen Monaten in Nord-Korea gespielt hat?

Ich habe nichts dagegen, solange das nicht auf Kosten der künstlerischen Leistung geht.

Übrigens mal abwarten bis die Asiatischen Orchester hier erscheinen, weil das klassische Musikleben da aufzublüten anfängt, während der musikalische Untergang des Abendlandes stattfindet.

Ach und Rattle. Hier im Forum manchmal ziemlich scharf angefallen, während Rezensionen in z.B. Gramophone lobend bis sehr lobend sind - und wie wär es ihm sonst gelungen diesen Posten zu bekommen - und zu verlängern?
Vielleicht benimmt er sich nur so viel anders als man erwartet und passend findet für einen Dirigenten eines solchen Orchesters.
Dann ist's ja nicht schlimm, hält einen (den möglichen Zuhörer) jung.

Gruss, Jürgen
AladdinWunderlampe
Stammgast
#3 erstellt: 24. Mai 2008, 21:03

Mellus schrieb:
Überhaupt Adès! Dass Rattle diesen Kirmesmusikanten spielt, lässt mich sehr an seiner Verantwortung als oberster Musikbewahrer Deutschlands, der er als GMD der Berliner ja wohl ist, zweifeln.


Hallo Mellus,

zwar kenne ich den Film nicht (und fühle nach Deiner Darstellung auch keine größere Motivation, ihn kennenzulernen), aber als "oberste Musikbewahrer Deutschlands" habe ich die Berliner Philharmoniker bislang sowieso nie empfunden.

Zwar habe ich einige durchaus beachtliche Aufnahmen dieses Orchesters in meinem CD-Regal - übrigens erstaunlicherweise keine einzige von Karajan dirigierte, dagegen vor allem solche unter der Leitung von Abbado (u. a. Mahler, Schönberg, Nono, Kurtag, Stockhausen), aber auch Boulez (Ravel, Webern), Rattle (Brahms, Mahler) und Nott (Ligeti) -, insgesamt aber habe ich den Eindruck, das die lebendige Musikkultur Deutschlands sich weitgehend jenseits der Berliner Philharmoniker abspielt - zumal die musikalischen Szenen sich mittlerweile im Guten wie im Schlechten so weit ausdifferenziert haben, dass für Ensembles derartigen Zuschnitts zumindest auf CD sowieso nur ein weitgehend totgespieltes Repertoire zwischen Schumann und Schostakowitsch überbleibt. (Noch trostloser dürfte es in dieser Hinsicht in Wien zugehen.)

Das musikalische eigentlich Interessante findet - wenn man in Berlin bleiben will - zumindest aus meiner Sicht wohl eher bei der Akademie für Alte Musik Berlin oder vielleicht auch beim Deutschen Symphonieorchester Berlin statt, ansonsten fallen mir aber vor allem das Ensemble Modern, die musikFabrik, das Freiburger Barockorchester, Concerto Köln, das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg sowie das WDR Sinfonieorchester Köln ein.



Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 24. Mai 2008, 21:18 bearbeitet]
op111
Moderator
#4 erstellt: 26. Mai 2008, 09:24

Mellus schrieb:
- Das Orchester kann Beethoven nahezu auswendig spielen, kriegt es aber kaum hin, Adès'sche Polyrhythmik umzusetzen. Sind die Berliner ein altmodisches Orchester? (Oder einfach nur nicht so gut?)

das ist nicht erst seit kurzem so. Ähnliche Probleme kann man in alten Aufnahmen mit ungewohntem Repertoire (Mussorgsky: Bilder ... Karajan, Le Sacre ...) hören.
Wenn ich an hervorragendes Orchesterspiel denke, fällt mir unter den deutschen Orchestern zuerst das Symphonieorchester der Bayerischen Rundfunks ein.
sound67-again
Gesperrt
#5 erstellt: 31. Mai 2008, 16:51

Franz-J. schrieb:
Wenn ich an hervorragendes Orchesterspiel denke, fällt mir unter den deutschen Orchestern zuerst das Symphonieorchester der Bayerischen Rundfunks ein.


Zur Zeit zweifellos das beste deutsche Orchester.
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