Kann man als Komponist in Rente gehen?

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Martin2
Inventar
#1 erstellt: 03. Okt 2007, 15:16
Die allermeisten Komponisten haben wohl bis zum bitteren Ende komponiert. Bis ihnen der Tod irgendwann den Schreiber aus der Hand nahm. Aber dann gibt es auch das Phänomen, daß jemand einfach aufhört zu komponieren und sagt: Jetzt ist es genug und sich vom Komponieren ganz zurückzieht.

Mir fallen spontan nur vier Komponisten ein, die das getan hat.

Jospeph Haydn hat in seinen späten Jahren aufgehört zu komponieren. Aber da war er wiegesagt auch schon sehr alt. Er hinterließ das Fragment eines Streichquartettes, das er unvollendet hinterließ mit dem Motto: "Hin ist alle meine Kraft. Alt und schwach bin ich." Ein altersbedingtes Aufhören, wo jemand fühlt: Mit meinen Kräften geht es zuende. Ich beende meine Laufbahn.

Rossini dagegen ist im Gegensatz zu Haydn dafür bekannt, daß er in eine ausgesprochene "Frühverrentung" ging. Der war gar nicht alt, als er mit dem Komponieren aufhörte, sondern fast noch ein junger Mann. Er hatte alles erreicht in seinem Leben, war eine ausgesprochene Berühmtheit, aber er hatte einfach keine Lust mehr zu komponieren, widmete sich stattdessen der Kochkunst, für die er offensichtlich auch eine Ader hatte. Kann man das verstehen? So ein riesiges Talent, und man läßt es einfach brach liegen?

Weiterhin bekannt ist mir Sibelius. Der war sicher schon älter als Rossini, als er mit dem Komponieren aufhörte, hat aber noch aber noch Jahrzehnte gelebt ( weiß jetzt nicht mehr, wann genau er aufgehört hat). Was ist da der Grund? Hat sich da jemand ausgeschrieben, versiegt die schöpferische Kraft plötzlich?

Charles Ives hat glaube ich ab einem bestimmten Punkt auch kaum noch geschrieben. Nun hatte Charles Ives noch auch so ganz nebenbei einen Job in der Versicherungsbranche. Dann kamen gesundheitliche Probleme und diese gesundheitlichen Probleme haben ihn wohl als Komponisten verstummen lassen.

Kennt ihr andere Fälle und wie steht ihr zu diesem Phänomen? Ist das Schöpferische nicht mehr als ein bloßer "Beruf", den man einfach so an den Nagel hängen kann? Ist das nicht einfach unvorstellbar, daß man eine solche Begabung, wenn man sie in sich spürt, "altersbedingt" aufgibt? Sind nicht zum Beispiel viele Musikliebhaber Richard Strauss dankbar, daß er sich in seinen uralten Jahren noch mal an seine "vier letzten Lieder" gemacht, die viele Menschen lieben und uns heute wie eine Art Abgesang an die Romantik erscheinen ( nur mal als Beispiel)?

Was fällt euch zu diesem Thema ein?

Gruß Martin
Thomas133
Hat sich gelöscht
#2 erstellt: 04. Okt 2007, 08:31
Das Rossini ganz aufgehört hat stimmt so nicht ganz. Er hat sich sicherlich von Opern wie weltlicher Musik im Allgemeinen verabschiedet und sein Kompositionspensum drastisch runtergeschraubt. Wahrscheinlich wollte er sein Talent nur noch als eine Art Hobby, weniger als Berufsverpflichtung ausüben.
Er widmete sich jedenfalls nach seiner letzten Oper (Willhelm Tell - 1829) noch einigen geistlichen Werken, unter Anderem der bekannten Petite Messe Solennele (1863)
einem Tantum Ergo (1847), Stabat Mater (1832/42),...einige Hymnen und Chöre sowie 2 Kantaten.

Ich kann mir durchaus vorstellen was die Beweggründe dafür sein könnten. Etwas aus finanziellem Bedarf heraus oder etwas einfach aus freiem Herzen zu komponieren ist ein großer Unterschied. Da er wie du schon sagtest so gut wie Alles bei der Oper erreicht hat, er vielleicht auch das Gefühl hatte hier alles damit gesagt zu haben, einiges an Geld verdiente um nicht darauf angewiesen zu sein, wollte er sich den Luxus gönnen nur noch dann zu komponieren wenn er die Lust dazu verspürte und dann rein für sich selber ohne irgendeinem Publikumsanspruch genügen zu müssen.
Bei der regen Tätigkeit wo er innerhalb einer doch relativ kurzen Zeitspanne so viele Opern geschrieben hat kann es auch durchaus sein das er eventuell ein Burn-Out-Syndrom bekommen hat, sich selbst damit so übersättigt das ihm die Lust an Weiterem in diesm Fach verging. Und kochen war halt sicher auch eine Leidenschaft für ihn die ihm sehr viel Spaß bereitet hat ohne sich dabei so anstrengen zu müssen wie beim komponieren.
Denn man darf auch nicht vergessen bei den Musikgenies der damaligen Zeiten, das es auch bei Ihnen nicht nur so einfach aus der Feder geflossen ist sondern wie man aus einigen Selbstkommentaren weiß nur die Kopfarbeit Spaß bereitete, aber gerade das Niederschreiben der Ideen als mühevoll und langwierig empfunden wurde.
Ich möchte zwar nich mit Sicherheit sagen was für Gründe den jeweils Einzelnen letztendlich zum aufhören oder leisertreten bewogen hat, das aber sicher auch mit eine Rolle gespielt haben könnte.
gruß
Thomas
Martin2
Inventar
#3 erstellt: 04. Okt 2007, 17:13
Hallo Thomas,

na dann ist Rossini nach seiner Frühverrentung doch nicht "für immer verstummt". Da muß wohl irgendeiner, den ich gelesen habe, doch ein bißchen übertrieben haben. Aber na ja, mit der großen Opernkarriere wars allerdings vorbei. Weißt Du noch, wies mit Sibelius aussah? Ich habe heute in meinem Reklam Konzertführer nachgeschaut, aber da stand nichts.

Gruß Martin
Kreisler_jun.
Inventar
#4 erstellt: 04. Okt 2007, 18:05
Haydn hat komponiert, bis er etwa 70 Jahre alt war. Sein letztes größeres Werk war die "Harmoniemesse" 1802 (Die Jahreszeiten 1800/01). Danach hat es ihm vermutlich (ich weiß nicht, ob Mediziner sich hier näheres überlegt haben) wohl hauptsächlich an Energie und Konzentrationsfähigkeit gefehlt. Von einem geplanten Quartett ("op.103") wurden nur die Mittelsätze vervollständigt und veröffentlicht. Ich habe aber gerade nachgelesen, dass er bis 1805 noch Bearbeitungen irischer/schottischer Volkslieder nach London gesendet hat. Zwar ist unklar, ob diese Arbeit de facto nicht von Schülern übernommen wurde, aber es könnte sein, dass seine Energie oder Konzentration noch für diese kurzen und anspruchslosen Stücke genügte, nicht aber mehr für komplexe Sonatensätze. Er war jedenfalls nicht senil oder so, sondern empfing Besucher, gab Auskünfte für Biographen und Ratschläge bei der Herausgabe seiner eigenen Werke.

Über Sibelius' Verstummen weiß ich auch nichts Näheres. Eine 8. Sinfonie soll ja in Teilen vorgelegen haben, letztlich aber verworfen und vernichtet worden sein.

Ives müßte ich nachlesen, aber meiner Erinnerung nach hat er in seinen jüngeren Jahren Versicherungen verkauft und damit aber soviel verdient, dass er sich später dem Komponieren widmen konnte. Er hat allerdings an manchen Sachen über Jahrzehnte gearbeitet bzw. sie immer wieder überarbeitet.

Es scheint aber eher die Ausnahme zu sein. Andere Komponisten, die ziemlich alt wurden (z.B. Monteverdi, Schütz, Händel, Verdi, Vaughan Williams) haben praktisch komponiert, so lange sie einen Stift halten konnten. Oder sogar noch länger, im Falle des erblindeten Händel. Wenn auch meistens deutlich langsamer als vorher oder mit Unterbrechungen.
Selbst Brahms, der immer wieder angekündigt hatte, jetzt nichts mehr zu schreiben, hat sich dann noch zu den Klarinettenwerken inspirieren lassen und dazu noch die späten Klavierstücke usw. komponiert.

viele Grüße

JK jr.
Martin2
Inventar
#5 erstellt: 04. Okt 2007, 18:22

Kreisler_jun. schrieb:
Andere Komponisten, die ziemlich alt wurden (...) haben praktisch komponiert, so lange sie einen Stift halten konnten. Oder sogar noch länger, im Falle des erblindeten Händel.


Das mit dem Händel interessiert mich. Ich dachte immer, er wäre während seiner Arbeit an der oder dem Jephta erblindet. Angeblich hat man ja die relative Schwäche des 3. Aktes seiner fortschreitenden Erblindung zugerechnet. Händel hat während seiner Arbeit an der Jephta einen Schlaganfall erlitten, aber munter weiter komponiert ( allerdings vielleicht dann tatsächlich nur noch mit halber Kraft). Ich glaube, er hat bei der Komposition der Jephta zum Schluß nur noch mit einem Auge sehen können. Danach ist er erblindet und danach war Schluß. Soweit weiß ich es. Was hat er denn noch während der Zeit seiner Erblindung komponiert? Ich weiß darüber überhaupt nichts.

Gruß Martin
Klassikkonsument
Inventar
#6 erstellt: 10. Okt 2007, 13:49

Kreisler_jun. schrieb:
Ives müßte ich nachlesen, aber meiner Erinnerung nach hat er in seinen jüngeren Jahren Versicherungen verkauft und damit aber soviel verdient, dass er sich später dem Komponieren widmen konnte. Er hat allerdings an manchen Sachen über Jahrzehnte gearbeitet bzw. sie immer wieder überarbeitet.


Soweit ich weiß hatte Ives zwar an seiner Uni Komposition studiert, verdiente dann sein Geld jedoch als reisender Versicherungsvertreter. Wenn er nach Hause kam, stürzte er zu seinem Klavier, um sich den ihm über den Tag eingekommenen musikalischen Einfällen zu widmen. Er hat wohl schon vor 1920 das Komponieren, das sich ja ohnehin langsam über viele Jahre hinweg hinzog, aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Er hat wohl eine Versicherungsanstalt gegründet, die bis heute besteht.
Als er dann im vorgerückten Alter, wohl mittlerweile ohne noch Geschäfte geschweige denn Geschätsreisen zumachen, einige Resonanz aus seine Kompositionen erfuhr, komponierte er nicht mehr.
So mein CD-booklet-Wissen, wenn ich mich recht entsinne.

Viele Grüße
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