Komponistenqualität

+A -A
Autor
Beitrag
flutedevoix
Stammgast
#1 erstellt: 22. Jun 2010, 23:58



Kreisler_jun. schrieb:
Carl Stamitz ... (eines der Klarinettenkonzerte ist ein sehr beliebtes Schülerkonzert, das ich auch mal verge...(igt) habe). Auf diesem eher bescheidenen Level gibt es dutzende von Komponisten wie Dittersdorf, Gyrowetz usw.


Hörte vor kurzem einige Sinfonien eines Komponisten »von diesem eher bescheidenen Level« … :


Ich finde, man sollte immer sehr vorsichtig sein mit wertenden Begriffen wie "bescheidenes Level" bei der Einordnung von Komponisten. Carl Stamitz war einer der führenden Komponisten seiner Zeit, Mitentwickler einer Musiksprache und Former des berühmten Mannheimer Orchesters. Beide Stamitz und das Mannheimer Orchester (das führende Orchester seiner Zeit!) beieindruckten, inspierierten und beeinflußten Mozart wesentlich mehr als es Kreisler_jun. vermutlich bewußt ist. Soviel zu Stamitz

Nun zu Gyrowetz: Das Niveau dieses Komponisten war so bescheiden, daß diverse Sinfonien von ihm für Sinfonien Haydns gehalten wurden. Ja, ich meine Joseph Haydn, nicht dessen Bruder Michael, der ja vermutlich auch eher von "bescheidenem Level" ist, weil nicht so bekannt wie sein Bruder. Ich kann Moritz_H jedenfalls zu der Gyrowetz CD nur beglückwünschen. Das ist großartige Musik (manchmal "sogar" "besser" als J. Haydn!) Zudem ganz ordentlich gespielt, wenn es auch letzendlich an interpretatorischer Schärfe und Zuspitzung fehlt. Vieles könnte noch sprechender und dramatischer sein.

Entschuldigt bitte meinen etwas ironischen Ton. Mir geht nur immer die Hutschnur hoch, wenn man ganz generös von Komponisten als "gar nicht schlecht" oder wie hier "von bescheidenem Level" spricht. Kompositorische Qualitäten beurteilen zu können, da gehört schon einiges an Fachkompetenz und Wissen um die jeweiligen Komponisten dazu. Wenn nicht, kommen solche Urteile zustande wie etwa folgendes: "Wenn man nicht die Besten bekommen kann, muß man eben die mittelmäßigen nehmen". Nun ja Komponisten von eher "bescheidenem Level" eben wie Johann sebastian Bach!



Viele Grüße
flutedevoix
Kreisler_jun.
Inventar
#2 erstellt: 23. Jun 2010, 12:26

arnaoutchot schrieb:
Das mit dem "bescheidenen Level" war ja eine Antwort auf meine Vorstellung von Louis Spohr und Johann und Carl Stamitz aus dem "audiophile Klassik"-Thread. Ich selbst bin fachlich nicht in der Lage, die Qualität eines Komponisten tatsächlich anhand seiner Kompositionen zu beurteilen. Aber ich wundere und frage mich oft, ob dieses Kriterium für die heutige Rezeption eines Komponisten wirklich alleine ausschlaggebend ist. Sind die Kompositionen eines Telemann so viel schlechter als die von Händel oder gar Bach ?


Nein; viele Instrumentalkompositionen wohl nicht. Aber es gibt eben keine Spitzenwerke wie Messiah, Matthäuspassion usw. Telemann ist m.E. ein wesentlich bedeutenderer Komponist als Gyrowetz. Er war seinerzeit vielleicht der berühmteste Komponist in Deutschland, während Gyrowetz einer von einem dutzend oder mehr angesehenen, aber nicht überragenden Komponisten in Wien gewesen ist.



Waren die acht Symphonien von Ferdinand Ries so viel schlechter als die neun von Beethoven ?


Ja. Wobei "schlechter" nicht heißen sollte, dass es sich um "schlechte" Musik (so wie Lena etc.) handelt. Nur eben doch ziemlich deutlich von Beethoven (und auch klar von Mendelssohn oder Schumann entfernt).



Ich denke, dass da viele Zufälle mit hineinspielten.


Inwiefern? Bloß zufällig ist Beethoven ein viel berühmterer Komponist geworden als sein Schüler Ries? Das ist keine Entwicklung des 20. oder 21. Jhds.; er war IMMER ein viel berühmterer Komponist als Ries, und eben nicht nur eine Tick oder eine Klasse, sondern sehr deutlich, Vorbild und Einfluß für zwei oder gar drei Generationen von Instrumentalkomponisten. Dagegen war Ries ein ordentlicher Komponist in der Nachfolge Beethovens, dessen Werke vielleicht nicht verdient haben, so vollständig vergessen zu werden, wie es zwischendurch der Fall war.

Ich wollte in dem anderen thread die Stamitze nicht abwerten, sondern nur sagen, dass ich selbst zwar die historische Bedeutung der "Mannheimer" kenne, aber nicht nachvollziehen kann, warum Johann Stamitz gegenüber anderen dieser Richtung (oder auch Wiener Zeitgenossen wie Wagenseil) so hervorgehoben wird und dass m.E. CPE Bach (und wohl auch WF und JC Bach) ein anderes Kaliber sind. Bei Carl mag es sein, dass sich meine Kenntnisse auf ein oder zwei Klarinettenkonzert(e) beschränken, aber der scheint mir eben noch weniger gegenüber etlichen anderen wie Kozeluch, Vanhal, Kraus, Gyrowetz, Dittersdorf hervorzuragen, ungeachtet des berühmten Namens. (Soweit ich von den genannten Musik kenne, halte ich Sinfonien von Kraus oder Vanhal für bedeutender als Musik von C. Stamitz.)
Es ging mithin weniger um eine absolute "Abwertung" als um eine Perspektivierung. Aber vielleicht verpasse ich bei den Stamitzens ja irgendwas wichtiges.

viele Grüße

JK jr.
arnaoutchot
Moderator
#3 erstellt: 23. Jun 2010, 14:01

Kreisler_jun. schrieb:

Ich denke, dass da viele Zufälle mit hineinspielten.


Inwiefern? Bloß zufällig ist Beethoven ein viel berühmterer Komponist geworden als sein Schüler Ries?


Naja, das Beethoven-Beispiel ist nicht so glücklich gewählt. Aber wenn wir im 18. Jahrhundert bleiben, dann könnte ich mir vorstellen (ohne es belegen zu können), dass schon einige Komponisten heute bekannter sind, nur weil sie es einfach geschickter verstanden, ihre Musik drucken zu lassen oder einfach publicityträchtigere Jobs an Fürstenhöfen hatten. Andere haben möglicherweise bessere Werke komponiert, die aber nicht oder nur unzureichend überliefert sind und sind einfach im Staub der Geschichte versanken. Hier können durchaus Zufälle mit hineingespielt haben, die mit der eigentlichen Qualität der Komposition nichts zu tun haben.

Naja, vielelicht ist es auch besser so, dass wir uns nicht auch noch alle 70 Symphonien von Stamitz oder 60 Symphonien von Gyrowetz anhören müssen ...
Martin2
Inventar
#4 erstellt: 23. Jun 2010, 15:16

arnaoutchot schrieb:
Ich selbst bin fachlich nicht in der Lage, die Qualität eines Komponisten tatsächlich anhand seiner Kompositionen zu beurteilen.


Wer bitteschön ist dazu "fachlich" in der Lage? Wenn ich Literaturempfehlungen will frage ich dazu auch nicht notwendigerweise einen Germanisten. Ich lasse mich von Fachkompetenz nicht einschüchtern und bitte weiter um unbefangene Urteile zu Musik.

Ich selber hörte Skrabins 3. Sinfonie und Poeme de Extase mit Golovchin. Die 3. Sinfonie ist sperriger als die ersten zwei. Beim ersten Hören verstand ich fast nichts, obwohl selbst da der Anfang beeindruckend war. Der sehr lange 2. Satz hat sehr viele Episoden, die mich aber beim zweiten Hören faszinierten, nur daß bei sovielen Episoden der rote Faden nicht erkennbar war.

Außerdem hörte ich auf Empfehlung eines netten Menschen im GMG Forum ( hier tut sich da ja nichts) die 17. Sinfonie von Mjaskovski. Sie beeindruckte mich wirklich sehr - nur dem Finale konnte ich beim ersten Hören nicht so viel abgewinnen.

Gruß Martin
arnaoutchot
Moderator
#5 erstellt: 23. Jun 2010, 16:44

Martin2 schrieb:

arnaoutchot schrieb:
Ich selbst bin fachlich nicht in der Lage, die Qualität eines Komponisten tatsächlich anhand seiner Kompositionen zu beurteilen.


Außerdem hörte ich auf Empfehlung eines netten Menschen im GMG Forum ( hier tut sich da ja nichts) ...


Wir sind ja auch alle böse und sagen Dir nichts von den wirklich tollen Sachen ...

Was ist das GMG Forum ?
flutedevoix
Stammgast
#6 erstellt: 24. Jun 2010, 20:17
Vielleicht noch einige Gedanken zum Thema "Komponistenqualität". Ich denke "Zufall" ist ein sehr gewichtiges Element:

1. Wenn man zum Beispiel die Entwicklung der Form Sinfonie nennt, wird allgemein Haydn als wichtigster Protagonist angesehen. Das ist sicher zu einem Großteil eine heutige Sicht. Zu Haydns Zeit hatte er nicht diese herausragende Stellung, eben weil man die Kompositionen seiner Zeitgenossen vergleichend hörte und feststellte, daß es einige Komponisten auf diesem Level gibt. Nicht umsonst wurden Sinfonien anderer Komponisten unter Haydns Namen veröffentlicht und seine Autorschaft auch von Musikern nicht angezweifelt.

2. Es ist schon interessant, daß zum Beispiel Beethovens Eroica gegen eine Sinfonie Eberls, beider Kompositionen wurden im gleichen Konzert uraufgeführt, durchfiel. Ich habe die beiden Werke gestern und gerade eben hörend verglichen. Ich muß sagen, ich kann das verstehen. Eberl ist aus dem 20. Jahrhundert betrachtet kompositorisch sogar weiter als Beethoven, weist in seiner Tonsprache sogar teilweise über Schubert hinaus in Richtung Brahms oder Mahler.
Warum ist Eberl heute unbekannt? Nun, er machte den "Fehler" nach St. Petersburg zu gehen, dort den Großteil seines Werkes zu schaffen, der in Kriegswirren verloren ging, und kurz nach seiner Rückkehr nach Wien zu versterben. Ich will damit sagen, er hatte keine Förderer, keine Schüler, die das Andenken an ihn förderten und nach seinem Tod aufrecht erhielten. Was wäre wohl aus Mozart geworden, wenn an seiner Legendenbildung nicht so früh nach seinem Tod u.a. durch seine Witwe gearbeitet worden wäre?

3. Woher wissen wir von der überragenden Qualität einer Bachschen-Passion? Weil Sie Mendelssohn wieder ausgegraben hat und mit Erfolg ausführte. Was wäre gewesen, wenn er statt Bach, Telemann ausgegraben hätte. Es gibt auch da wunderbare Passionen und Kantaten, die denen Bachs nach meinem Sachverstand (ein gewisses Urteil traue ich mir als Musiker und Musikwissenschaftler zu) nicht nachstehen. Würden wir dann nicht barocke Werke Bachs an Telemann messen statt umgekehrt? Meine Frage zielt also dahin, wer überhaupt den Maßstab festlegt und mit welchem Recht und mit welchen Kriterien.

4. Aus heutiger Sicht, die wir (ich möchte da viele Profis nicht ausnehmen) die meisten Werke nur von Hören und nicht aus der Partitur kennen, ist doch auch die Aufführungsqualität ein entscheidendes Kriterium. Leider ist man allzuschnell dabei, die Qualität den Komponisten anzulasten und nicht den auszuführenden. Was glaubt ihr, wieviele schlechte und langeweilig Aufführungen von Mozart-Sinfonien ich schon gehört habe und mitspielen mußte. Dennoch wäre ich nie auf die Idee gekommen, die Sinfonie als schlecht zu bezeichnen.
arnaoutchot
Moderator
#7 erstellt: 24. Jun 2010, 22:19
flutedevoix: Das war genau das, was ich versucht hatte, zu sagen. Du hast es nur wesentlich besser fundiert geschrieben, als ich es könnte.

Grüße Michael
Kreisler_jun.
Inventar
#8 erstellt: 24. Jun 2010, 23:12

flutedevoix schrieb:
Vielleicht noch einige Gedanken zum Thema "Komponistenqualität". Ich denke "Zufall" ist ein sehr gewichtiges Element:

1. Wenn man zum Beispiel die Entwicklung der Form Sinfonie nennt, wird allgemein Haydn als wichtigster Protagonist angesehen. Das ist sicher zu einem Großteil eine heutige Sicht. Zu Haydns Zeit hatte er nicht diese herausragende Stellung, eben weil man die Kompositionen seiner Zeitgenossen vergleichend hörte und feststellte, daß es einige Komponisten auf diesem Level gibt. Nicht umsonst wurden Sinfonien anderer Komponisten unter Haydns Namen veröffentlicht und seine Autorschaft auch von Musikern nicht angezweifelt.


Das Argument läuft gerade umgekehrt: Warum wurden hunderte von Werken anderer unter dem Namen Haydns veröffentlicht? Weil er schon Mitte der 1770er einer der oder der angesehenste Instrumentalkomponist Europas gewesen ist und man hoffte, die Stücke so besser verkaufen zu können!
Haydn erhielt für die reifen Auftragswerke, die Pariser und Londoner Sinfonien, ein Vielfaches des üblichen Satzes, weil er als bedeutendster Komponist von Sinfonien gesehen wurde. Kein Zufall.



2. Es ist schon interessant, daß zum Beispiel Beethovens Eroica gegen eine Sinfonie Eberls, beider Kompositionen wurden im gleichen Konzert uraufgeführt, durchfiel. Ich habe die beiden Werke gestern und gerade eben hörend verglichen. Ich muß sagen, ich kann das verstehen. Eberl ist aus dem 20. Jahrhundert betrachtet kompositorisch sogar weiter als Beethoven, weist in seiner Tonsprache sogar teilweise über Schubert hinaus in Richtung Brahms oder Mahler.


Darauf kann ich jetzt leider nicht eingehen, weil ich den Eberl aus einer Umzugskiste herausuchen müsste. Die Behauptung scheint mir allerdings ziemlich absurd. Inwiefern ist irgendein Sinfoniesatz vor dem späten Mahler "weiter" als der Kopfsatz der Eroica, eine sogar bei Beethoven ziemlich einmalige Tour de force (und ein Einfluß auf u.a. Wagner). Der Einfluß der Werke Beethovens auf das gesamte 19. Jhd. ist derart handfest, dass es komplett unplausibel ist, nicht die Qualität der Musik, sondern Publicity oder Verschwörung hierfür verantwortlich zu machen.
(Falls man per Google einen Aufsatz von Ch. Rosen findet "Did Beethoven have all the luck" oder so ähnlich, der lohnt sich sehr und widerlegt sehr überzeugend diese relativierenden Zufallstheorien)



Was wäre wohl aus Mozart geworden, wenn an seiner Legendenbildung nicht so früh nach seinem Tod u.a. durch seine Witwe gearbeitet worden wäre?


Die Legendenbildung war völlig unerheblich. Glaubt jemand im Ernst, dass aufgrund einiger Legenden über das Requiem Figaro, Don Giovanni und die Zauberflöte praktisch die ersten Opern waren, die seit der Premiere durchweg im Repertoire geblieben sind? Dass der Graf dem jungen Beethoven wegen Legendenbildung "Mozarts Geist aus Haydns Händen" ins Stammbuch schreibt und nicht "Gyrowetz' Geist aus Albrechtsbergers Händen"? Dass sich der junge Beethoven in Stücken wie op.18,5 oder dem Klavierquintett mit Bläsern und noch in op.59,3 an Mozartschen Vorbildern orientiert?

Für ETA Hoffmann ist um 1810 die Trias Haydn, Mozart, Beethoven etabliert (+ Gluck für die Oper). Die Durchsetzung einiger weniger Komponisten geschieht sehr schnell und sie liegt nicht an Verschwörungen oder Zufällen, sondern an dem "impact" den deren Musik auf andere Musiker, Rezensenten und das Publikum ausübt.




3. Woher wissen wir von der überragenden Qualität einer Bachschen-Passion? Weil Sie Mendelssohn wieder ausgegraben hat und mit Erfolg ausführte. Was wäre gewesen, wenn er statt Bach, Telemann ausgegraben hätte.


Mendelssohn hat sie von Zelter? kennengelernt, nicht aus dem Müll gefischt. Bachs Clavierwerke waren in der 2. Hälfte des 18. Jhds. bei deutschsprachigen Musikern durchaus bekannt. Mozart lernte sie bekanntlich Anfang der 1780er bei Van Swieten kenne und arrangierte etliche Fugen für Streichtrio (ebenso etwas später 4 Händeloratorien), Beethoven wurde mit dem WTK ausgebildet. Die Wiederentdeckung Bachs aus der Vergessenheit ist eine Legende. Nur in der Öffentlichkeit (die damals normalerweise kein Interesse an nichtzeitgenössischer Musik hatte) war er nicht bekannt.

viele Grüße

JK jr.
flutedevoix
Stammgast
#9 erstellt: 24. Jun 2010, 23:41

flutedevoix schrieb:
Vielleicht noch einige Gedanken zum Thema "Komponistenqualität". Ich denke "Zufall" ist ein sehr gewichtiges Element:

1. Wenn man zum Beispiel die Entwicklung der Form Sinfonie nennt, wird allgemein Haydn als wichtigster Protagonist angesehen. Das ist sicher zu einem Großteil eine heutige Sicht. Zu Haydns Zeit hatte er nicht diese herausragende Stellung, eben weil man die Kompositionen seiner Zeitgenossen vergleichend hörte und feststellte, daß es einige Komponisten auf diesem Level gibt. Nicht umsonst wurden Sinfonien anderer Komponisten unter Haydns Namen veröffentlicht und seine Autorschaft auch von Musikern nicht angezweifelt.


Das Argument läuft gerade umgekehrt: Warum wurden hunderte von Werken anderer unter dem Namen Haydns veröffentlicht? Weil er schon Mitte der 1770er einer der oder der angesehenste Instrumentalkomponist Europas gewesen ist und man hoffte, die Stücke so besser verkaufen zu können!
Haydn erhielt für die reifen Auftragswerke, die Pariser und Londoner Sinfonien, ein Vielfaches des üblichen Satzes, weil er als bedeutendster Komponist von Sinfonien gesehen wurde. Kein Zufall.


Natürlich ist die Veröffentlichung unter dem Namen Haydn ein Verkaufsargument für gedruckte Ausgaben. Es existieren aber dutzende handschriftliche Sinfonien, die Haydn zugeordnet wurden, weil der Kopist den Komponistennamen nicht kannte und Vermutungen anstellte. Hier ist die Lage, dann dch etwas anders als bei gedruckten Werken. In diesem Fall entspringt die Zuordnung an Haydn nun wirklich einem Ausdruck von kompositorischer Qualität der fraglichen Sinfonie.


Inwiefern ist irgendein Sinfoniesatz vor dem späten Mahler "weiter" als der Kopfsatz der Eroica, eine sogar bei Beethoven ziemlich einmalige Tour de force (und ein Einfluß auf u.a. Wagner). Der Einfluß der Werke Beethovens auf das gesamte 19. Jhd. ist derart handfest, dass es komplett unplausibel ist, nicht die Qualität der Musik, sondern Publicity oder Verschwörung hierfür verantwortlich zu machen.


Na ja, in der fraglichen Eberl-Sinfonien sind für diese Zeit unglaubliche harmonische Wendungen, sehr überraschende Motivgegenüberstellungen, überaus interessante Instrumentierungen. Alles für die damalige Zeit sehr überraschend und kühn, jedenfalls nicht weniger als Beethoven. Während Beethoven in seiner Musik- und Formsprache noch klassisch ist, muß man Eberl in dieser Sinfonie schon als Romantiker bezeichnen.
Ich kenne durchaus den Einfluß der Musik von Beethoven auf das 19. und 20. Jahrhundert und möchte den in keinem Fall in Abrede stellen. Die Eroica ist ein kompositorisches Meisterwerk, aber nicht so singulär wie es immer wieder glauben gemacht wird. Auch die Weber-Sinfonien, die etwa zeitgleich entstanden sind (wenn ich mich richtig erinnere) weisen in ihrer musikalischen Sprache (Instrumentation, Formanlage) wesentlich mehr in die Romantik als Beethovens Eroica.
Ich behaupte ja in keinem Falle, daß Beethoven Glück hatte und nur deswegen bekannt war. Ich behaupte aber sehr wohl, daß einige Komponisten (u. a. eben Eberl) biographisch nicht gerade begünstigt waren und so leider in Vergessenheit gerieten und nicht den Platz einnehmen, den ihnen gebührt.




3. Woher wissen wir von der überragenden Qualität einer Bachschen-Passion? Weil Sie Mendelssohn wieder ausgegraben hat und mit Erfolg ausführte. Was wäre gewesen, wenn er statt Bach, Telemann ausgegraben hätte.


Mendelssohn hat sie von Zelter? kennengelernt, nicht aus dem Müll gefischt. Bachs Clavierwerke waren in der 2. Hälfte des 18. Jhds. bei deutschsprachigen Musikern durchaus bekannt. Mozart lernte sie bekanntlich Anfang der 1780er bei Van Swieten kenne und arrangierte etliche Fugen für Streichtrio (ebenso etwas später 4 Händeloratorien), Beethoven wurde mit dem WTK ausgebildet. Die Wiederentdeckung Bachs aus der Vergessenheit ist eine Legende. Nur in der Öffentlichkeit (die damals normalerweise kein Interesse an nichtzeitgenössischer Musik hatte) war er nicht bekannt.


Keine Frage, Bachs Musik war als Unterrichtsmaterial bekannt wie etwa auch die Musik von J. J Fux, der heute relativ unbekannt ist. Darüber hinaus erfreute sich bei einigen wenigen Kennern größter Beliebtheit, die auch seine herausragende Qualitat kannten. Seine geistliche Musik aber war unbekannt. Daß in Berlin eine gewisse Bach-Tradition herrschte (auch nur im Singverein bei Zelter) ist durch das Wirken C.P.E.Bachs begründet. Und wenn Mendelssohn nicht in diesem Umkreis aufgewachsen wäre, hätte er vermutlich die Matthäus-Passion nicht kennengelernt. In dieser Konstellation sehe ich durchaus einen gewissen Zufall und keine Vorherbestimmung.
Der wohl einzige Komponist des 18. Jahrhunderts der eine durchgehende Aufführungstradiotion hat, ist vermutlich Händel in England.

Mehr demnächst

Viele Grüße
flutedevoix
arnaoutchot
Moderator
#10 erstellt: 25. Jun 2010, 11:37

flutedevoix schrieb:
Ich behaupte aber sehr wohl, daß einige Komponisten (u. a. eben Eberl) biographisch nicht gerade begünstigt waren und so leider in Vergessenheit gerieten und nicht den Platz einnehmen, den ihnen gebührt.
flutedevoix


Genau so sehe ich es auch. Das schmälert das Genie von Haydn, Beethoven oder Mozart in keinster Weise. Die Geschichte ist eben nicht gerecht ...
Martin2
Inventar
#11 erstellt: 26. Jun 2010, 00:14

flutedevoix schrieb:
(ein gewisses Urteil traue ich mir als Musiker und Musikwissenschaftler zu)


Ein gewisses Urteil traue ich mir auch als Nichtmusiker und Nichtmusikwissenschaftler zu. Es muß nicht immer richtig sein, aber Deines auch nicht.
Joachim49
Inventar
#12 erstellt: 27. Jun 2010, 20:39
Wer Alfred Einsteins Büchlein 'Grösse in der Musik' gelesen hat, wird erstaunt sein, wie stark sich die Einschätzung von 'Komponistenqualität' selbst innerhalb weniger Jahrzehnte ändern kann.
Vielleicht kann auch der folgende Gedankengang etwas beitragen: es gibt in der Musikgeschichte (und nicht nur in dieser)Wellentäler und Wellenberge. Berühmt sind die Leute auf der Spitze der Berge. Aber die entscheidenden Wandlungen ereignen sich wahrscheinlich in den Tälern. So sind zwischen JS Bach und der Wiener Klassik gewiss viele Weichen gestellt worden, ist Neues ausprobiert worden, wurde experimentiert, etc. Deshalb findet man auch immer relativ leicht weniger bekannte Vorläufer. So können etwa weniger bekannte Figuren (meinetwegen die Mannheimer, Mehul oder Bach-Söhne) weniger bekannt, aber dennoch bedeutend, nämlich wichtig für die Entwicklung sein.
Joachim
flutedevoix
Stammgast
#13 erstellt: 28. Jun 2010, 16:48

Martin2 schrieb:

flutedevoix schrieb:
(ein gewisses Urteil traue ich mir als Musiker und Musikwissenschaftler zu)


Ein gewisses Urteil traue ich mir auch als Nichtmusiker und Nichtmusikwissenschaftler zu. Es muß nicht immer richtig sein, aber Deines auch nicht.


Warum schreibe ich in Klammern, daß ich Musiker und Musikwissenschaftler bin? Damit ein anderer Teilnehmer einschätzen kann, mit welchem Hintergrund ich argumentiere!
Ich bin in Kunstgeschichte, Geschichte und Literatur auch ganz gut informiert, dennoch gehe ich davon aus, daß ein Kunstgeschichtler, Historiker oder Germanist ein wesentlich fundierteres Wissen hat. Somit genießt er von mir einen gewissen Vertrauenvorschuß. Das schließt ja nicht aus, daß auch ein Fachmann sich irren kann, nur muß man schon sagen, daß die Warscheinlichkeit wesentlich geringer ist als bei einem Nichtfachmann!

Außerdem schreibe ich in diesem Forum nicht, um Recht zu haben. Dazu wäre mir meine Freizeit zu schade. Meiner Meinung nach dient solch ein Forum der Diskussion. In unserem Fall, in dem ja auch ein großer Anteil an Geschmacksfragen dabei ist, ist dies in jedem Fall sehr subjektiv.
Dennoch ist nicht alles eine Geschmacksfrage. Es gibt einfach objektive Fakten, die man schon kennen sollte oder zumindest zur Kenntnis nehmen sollte, wenn man sich in einer solchen Diskussion befindet. Ich persönlich finde nichts befremdliches daran, meine Meinung zu korrigieren, sogar dann nicht wenn die entsprechenden Fakten oder die entsprechenden Diskussionbeiträge von einem fachfremden Teilnehmer kommen


[Beitrag von flutedevoix am 28. Jun 2010, 16:50 bearbeitet]
flutedevoix
Stammgast
#14 erstellt: 28. Jun 2010, 17:17

Joachim49 schrieb:
Wer Alfred Einsteins Büchlein 'Grösse in der Musik' gelesen hat, wird erstaunt sein, wie stark sich die Einschätzung von 'Komponistenqualität' selbst innerhalb weniger Jahrzehnte ändern kann.
Vielleicht kann auch der folgende Gedankengang etwas beitragen: es gibt in der Musikgeschichte (und nicht nur in dieser)Wellentäler und Wellenberge. Berühmt sind die Leute auf der Spitze der Berge. Aber die entscheidenden Wandlungen ereignen sich wahrscheinlich in den Tälern. So sind zwischen JS Bach und der Wiener Klassik gewiss viele Weichen gestellt worden, ist Neues ausprobiert worden, wurde experimentiert, etc. Deshalb findet man auch immer relativ leicht weniger bekannte Vorläufer. So können etwa weniger bekannte Figuren (meinetwegen die Mannheimer, Mehul oder Bach-Söhne) weniger bekannt, aber dennoch bedeutend, nämlich wichtig für die Entwicklung sein.
Joachim


Das ist, finde ich, ein sehr guter Beitrag! Offensichtlich neigt die Musiksgeschichtschreibung dazu, eher die "Vollender" einer Epoche als die wichtigsten Komponisten anzusehen und weniger die Entwickler neuer Ideen. Das ist sehr pauschal, aber ich will einige Beispiele nennen:
Im (Hoch- und Spät-Barock) Bach und Händel, nicht z.B. Telemann, der noch eine Tür in die Zeit nach dem Barock aufstieß.
In der Renaissance z.B. Palestrina oder Orlando di Lasso, die in ihrem Werk auch eher den Abschluß einer Entwicklung repräsentieren als die Perspektive nach vorne.
Auch in der Klassik tritt diese Tendenz noch mit Haydn, Mozart und eingeschränkt Beethoven zu Tage.
Natürlich gibt es auch andere Beispiele, etwa Monteverdi oder Dufay oder Berlioz oder Strawinsky, um mal ein paar Namen in den Raum zu stellen.

Ich persönliche finde, daß es eine große Kunst ist, die Strömungen einer Zeit zu erspüren, in seinem Werk zu bündeln und damit den Geist einer Zeit zusammenzufassen. Und das alles auf höchstem Niveau, um gegenüber dem Reiz des Neuen, der sich durch andere Künstler zeigt, zu bestehen.
Ich persönlich schätze aber die Bedeutung des Visionären fast höher ein. Neue Wege zu finden, das Bestehende weiterzuentwickeln, fremdes Terrain zu betreten, dazu gehört, finde ich, sehr viel Mut und Vorstellungsvermögen.

Vielleicht ist dies der richtige Punkt, um einmal folgende Fragen zu stellen.

Wann ist für Euch ein Komponist ein guter Komponist?
An welchen Parametern macht ihr die Qualität eines Komponisten fest?
Ist Euch die Frage nach der Qualität einer Komposition/ eines Komponisten überhaupt wichtig?


Ich könnte mir vorstellen, daß hier viele verschiedene Haltungen bei jedem von uns bestehen.

Viele Grüße
flutedevoix


[Beitrag von flutedevoix am 28. Jun 2010, 17:20 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#15 erstellt: 29. Jun 2010, 01:31

flutedevoix schrieb:

Martin2 schrieb:

flutedevoix schrieb:
(ein gewisses Urteil traue ich mir als Musiker und Musikwissenschaftler zu)


Ein gewisses Urteil traue ich mir auch als Nichtmusiker und Nichtmusikwissenschaftler zu. Es muß nicht immer richtig sein, aber Deines auch nicht.


Warum schreibe ich in Klammern, daß ich Musiker und Musikwissenschaftler bin? Damit ein anderer Teilnehmer einschätzen kann, mit welchem Hintergrund ich argumentiere!
Ich bin in Kunstgeschichte, Geschichte und Literatur auch ganz gut informiert, dennoch gehe ich davon aus, daß ein Kunstgeschichtler, Historiker oder Germanist ein wesentlich fundierteres Wissen hat. Somit genießt er von mir einen gewissen Vertrauenvorschuß. Das schließt ja nicht aus, daß auch ein Fachmann sich irren kann, nur muß man schon sagen, daß die Warscheinlichkeit wesentlich geringer ist als bei einem Nichtfachmann!



Daß ein Fachmann sich "wesentlich geringer" irren kann als ein Nichtfachmann bezweifle ich sehr stark. Etwa in der Philosophie. Philosophische Lehrstühle werden etwa heute in der Regel von Anhängern der neopositivistischen Schule besetzt, die jedes metaphysische Problem zum Scheinproblem erklärt. Eine philosophische Schule von Sprachphilosophen, Neopositivisten und Logizisten, die ich persönlich für einen Niedergang der Philosophie halte, aber sie regiert heute. Ähnlich mag es in anderen geisteswissenschaftlichen Bereichen aussehen und auch die Musikwissenschaft ist letzlich eine Geisteswissenschaft.


Wann ist für Euch ein Komponist ein guter Komponist?
An welchen Parametern macht ihr die Qualität eines Komponisten fest?
Ist Euch die Frage nach der Qualität einer Komposition/ eines Komponisten überhaupt wichtig?


Du wirst lachen, aber das höre ich einfach. Die Frage, an welchen "Parametern" die Qualität eines Komponisten fest zu machen ist, halte ich für typischen geisteswissenschaftlichen Dünnschiß. Neulich kam etwa mein Freund mit einem Musikstück, das er ganz großartig fand. Ich hörte das und sagte: "Ganz nett, aber das ist nachgemachter Satie." Daß das bloß "nachgemacht" war, hörte ich schlicht, auch wenn der Imitator sicher vielen "Parametern" der Musik Saties gefolgt war.

Deshalb bitte ich Dich sehr, von Deinem hohen Roß als Musiker und Musikwissenschaftler mal herunter zu kommen, weil die Genialität von Musik nicht an bloßen "Parametern" hängt. Was Du damit schlicht sagst, ist, daß Deine ästhetischen Werturteile als Fachmann vertrauenswürdiger sind als meine und die anderer Klassikliebhaber hier und das ist kein guter Einstieg in eine Diskussion.

Gruß Martin


[Beitrag von Martin2 am 29. Jun 2010, 01:35 bearbeitet]
flutedevoix
Stammgast
#16 erstellt: 29. Jun 2010, 10:05

Deshalb bitte ich Dich sehr, von Deinem hohen Roß als Musiker und Musikwissenschaftler mal herunter zu kommen, weil die Genialität von Musik nicht an bloßen "Parametern" hängt. Was Du damit schlicht sagst, ist, daß Deine ästhetischen Werturteile als Fachmann vertrauenswürdiger sind als meine und die anderer Klassikliebhaber hier und das ist kein guter Einstieg in eine Diskussion.


Mir scheint vielmehr, daß das hohe Roß bei Dir im Stall steht. Jedenfalls bist Du ganz gut darin, mir Positionen unterzuschieben, die ich nicht vertrete. Zu keinem Zeitpunkt habe ich artikuliert, daß meine ästhetischen Werurteile vertrauenswürdiger sind, nur weil sie von einem Fachmann kommen. Ich vertrete aber meine Fakten mit dem Hintergrund eines Fachmannes und das dürfen andere durchaus auch wissen - siehe mein diesbezügliches vorheriges Posting!
Jedenfalls steht Dir nicht zu, mir Positionen unterzuschieben, dann zu behaupten, ich hätte ein hohes Roß bestiegen und so einen schlechten Einstieg in die Diskussion.


Die Frage, an welchen "Parametern" die Qualität eines Komponisten fest zu machen ist, halte ich für typischen geisteswissenschaftlichen Dünnschiß.


Ich hoffe Dir ist klar, daß Du Dich selbst widerlegst. Denn wen Du davon sprichst, daß du die Qualität am Höreindruck festmachst, dann nennst Du ja schon einen Parameter. Auch wenn Du sagst, es ist nachgemacht, nennst Du einen zweiten Paramter, nämlich den Stil eines Komponisten. Ich möchte Dich also zu Deinem geisteswisenschaftlichen Dünnschiß beglückwünschen.
Vielleicht bist Du ja wisenschaftsfeindlich oder der Ansicht, daß jeder frei entscheiden darf, was gute oder schlechte Musik ist oder daß Deine Meinung die richtige ist. Das darfst Du gerne sein, allerdings erwarte ich schon, daß Du nicht einfach andere Meinungen als geistwissenschaftlichen Dünnschiss abtust. Das entspricht vermutlich nicht nur nach meiner Meinung nicht dem Verhaltenskodex in einer anregenden Diskussion.
Ich vermute aber auch, daß für den ein oder anderen die Frage, woran er und woran andere eine Komponisten oder Kompositionsqualität festmachen, interessant sein dürfte. Wenn nicht, dann wird dieser Thread ja blitzschnell einschlafen. Das fände ich zwar schade aber auch nicht weiter schlimm.
Joachim49
Inventar
#17 erstellt: 29. Jun 2010, 11:43
Wann ist für Euch ein Komponist ein guter Komponist?
An welchen Parametern macht ihr die Qualität eines Komponisten fest?
Ist Euch die Frage nach der Qualität einer Komposition/ eines Komponisten überhaupt wichtig?
========================================
Ehrlich gestanden, der wichtigste Parameter für Qualität ist das subjektive Wohlgefallen. Allerdings gibt es wahrscheinlich einen Unterschied, ob das Wohlgefallen auf einer breiten Erfahrung mit Musik beruht und sich bewährt hat, oder nicht. Manches was gefällt, nutzt sich sehr schnell ab. Und wer nur ganz wenige Werke kennt (a la Gounods Ave Maria) und davon schwärmt, auf dessen Urteil sollte man nicht vertrauen.
Natürlich kann man weiter bohren und fragen, es müsse doch einen objektiven grund in den Kompositionen selbst geben, aufgrund derer man subjektives Wohlgefallen empfindet, aber davon muss man sich glaube ich nicht bewusst sein.

Ich will auch nicht sagen, dass der persönliche Geschmack das einzige Kriterium ist. Epigonentum hat weniger Qualität, als die Entwicklung eines eigenen Stils. Trotzdem kann die Komposition gefallen (Zemlinskys frühes wunderschönes Klarinettentrio ist ein Beispiel,es spricht die Sprache von Brahms).

Früher oder später hat man auch gewisse Ansprüche im Hinblick auf die Komplexität der Komposition (Form und/oder Harmonie). So gefällt mir Philippe Glass subjektiv eigentlich recht gut, aber ich habe meine Zweifel was die Qualität der Kompositionen betrifft.

Andererseits kann man es so weit treiben, was die Komplexität betrifft, dass einem der Spass am Hören vergeht (Max Reger ???).

Ich glaube nicht, dass es deutliche Kriterien für kompositorische Qualität gibt. Mehr Subjektives und mehr Objektives sind wahrscheinlich in der Einschätzung der Qualität einer Komposition bunt gemischt.

Ich würde mich (hoffentlich) nicht so schnell von einer Einschätzung abbringen lassen, nur weil mir ein musikwissenschaftlich geschulter Autor das Gegenteil weismachen will. (Ich kenne eine Musikwissenschaftlerin die mir meine Zuneigung zu Janacek ausreden will, weil er eine Fehlentwicklung sein soll).

Andererseits habe ich die Neigung auf Hörempfehlungen einzugehen, wenn ich glaube, dass der Empfehler ein geschulter Hörer ist. So habe ich etwa vor kurzem Smetanas 2. Quartett wieder gehört (nach vielen Jahren) und entdeckt, dass ich es zu Unrecht vergessen hatte.

aber dies sind nur flüchtige Kritzel, die vielleicht einen weiteren Anstoss geben, ohne gleich so bissig zu reagieren wie Martin (dessen Einschätzung der Lage der Philosophie ich nicht ganz teile. Aber die Beurteilung von Philosophenqualität ist wahrscheinlich noch diffiziler, als die von Komponisten)
Freundliche grüsse
Joachim
Martin2
Inventar
#18 erstellt: 29. Jun 2010, 18:30
Hallo Joachim, hallo Flutedevoix. Mein letzter Beitrag gibt zwar meine Meinung wieder, aber es gab keinen Grund so polemisch zu werden. Vielleicht ist mir gestern die Hitze zu Kopf gestiegen. Ich klinke mich aus diesem Thread aus.

Gruß Martin
flutedevoix
Stammgast
#19 erstellt: 30. Jun 2010, 09:59

Ehrlich gestanden, der wichtigste Parameter für Qualität ist das subjektive Wohlgefallen.
...
Ich will auch nicht sagen, dass der persönliche Geschmack das einzige Kriterium ist.


Da bekommst Du meine völlige Zustimmung. Was nützt es, wenn die Komposition gut gearbeitet ist und in den Augen anderer, nun auch nicht Unerfahrener Meisterwerke sind, sie aber einem nicht gefällt.
Das geht mit z.B. mit vielen Werken Wagners so. Da wo Wagner sich noch deutlich von Beethoven, Weber und der französischen Oper (wollte er so nie wahrhaben) beeinflußt zeigt, kann er mich noch völlig überzeugen. Ich finde z.B. seine Sinfonie sehr schön, auch "frühere" Opern wie Holländer, Tannhäuser oder auch der Lohengrin gefallen mir. Weniger bis gar nichts kann ich mit den späten Sachen anfangen, obwohl ich konstatiere, daß das gut komponiert ist, mit überraschenden Wendungen und Ausdruckskraft aufwartet. Der Funke will aber nicht überspringen.
Vor diesem Hintergrund halte ich ihn für einen der meist überschätzten Komponisten. Vielleicht ändert sich das ja noch und es öffnet sich noch ein Zugang. Allerdings tröstet es mich, daß ich mich in guter Gesellschat befinde


Früher oder später hat man auch gewisse Ansprüche im Hinblick auf die Komplexität der Komposition (Form und/oder Harmonie). So gefällt mir Philippe Glass subjektiv eigentlich recht gut, aber ich habe meine Zweifel was die Qualität der Kompositionen betrifft.

Andererseits kann man es so weit treiben, was die Komplexität betrifft, dass einem der Spass am Hören vergeht (Max Reger ???).


Das ist ein interessanter Aspekt. Ich kenne auch aus meinem Bekanntenkreis, die automatisch (unterbewußt) beim Hören eines Werkes eine (oberflächliche) Formanalyse "betreiben". Für sie ist dann auch Form, Komplexität und der Umgang damit ein wesentliches Kriterium. Max Reger ist sicher ein guts Beispiel für äußerst komplexe Form und vorallem Harmonik. Ich glaube aber, daß bei Reger sehr viel auf den Interpreten ankommt. Ich habe Aufnahmen, da verstehe ich das Werk überhaupt nicht, geht der Zusammenhang verloren und andere Aufnahmen des gleichen Werkes, da wird alles klar.
Ich selbst bin nicht dieser Typ des ich will ihn mal Formhörer nennen. Ich habe die Krankheit, alles erst mal unter dem Aspekt der Interpretation zu hören.

Der wichtigste Aspekt für die Einschätzung einer Komposition (und ich glaube, es ist sinnvoller eine Kompostition und weniger das Gesamtschaffen eines Komponisten zu beurteilen) ist ihr Ausdruckswille. Für mich muß Musik in erster Linie Emotionen transportieren, ist Klang gewordene Leidenschaft.

Darüberhinaus schätze ich es, wenn Komponisten den Mut zu ungewöhlichem haben, zu Brüchen, zu in wahrstem Sinne "Unerhörtem". So etwa die Dissonanzen in der langsamen Einleitung der 39. Sinfonie von Mozart (wiederholen sich in der Eroica von Beethoven) oder der langsame Satz des A-Dur-Klavierkonzertes KV 488 von Mozart oder die Einleitung ("Das Chaos") aus Haydn Schöpfung oder ... Das sind jetzt nur drei Beispiele, die mir spontan einfielen.

Dann ist bei mir ein weiteres wichtiges Kriterium der Klangfarbenreichtum einer Komposition. So ist etwa für mich die Ouvertüre zum Sommernachstraum von Mendelssohn ein absolutes Meisterwerk oder auch der Sacre von Strawinsky


Ich glaube nicht, dass es deutliche Kriterien für kompositorische Qualität gibt. Mehr Subjektives und mehr Objektives sind wahrscheinlich in der Einschätzung der Qualität einer Komposition bunt gemischt.


Ich glaube schon, daß es Kriterien gibt, siehe oben. Das gilt natrülich zunächst nur für mich, aber hören wir nicht alle, oft unterbewußt, auf Indizien, möglicherweise sogar auf ähnliche wie ich, an denen wir entscheiden, daß uns ein Werk gefällt? Unbestreitbar ist aber, daß diese Einschätzung ein subjektives Urteil ist. "Und das ist auch gut so" möchte ich sagen, scheint doch die Fähigkeit zu einer subjektiven Einschätzung immer mehr abzunehmen!


Ich würde mich (hoffentlich) nicht so schnell von einer Einschätzung abbringen lassen, nur weil mir ein musikwissenschaftlich geschulter Autor das Gegenteil weismachen will. (Ich kenne eine Musikwissenschaftlerin die mir meine Zuneigung zu Janacek ausreden will, weil er eine Fehlentwicklung sein soll).

Andererseits habe ich die Neigung auf Hörempfehlungen einzugehen, wenn ich glaube, dass der Empfehler ein geschulter Hörer ist. So habe ich etwa vor kurzem Smetanas 2. Quartett wieder gehört (nach vielen Jahren) und entdeckt, dass ich es zu Unrecht vergessen hatte.


Das ist doch ein guter Umgang mit Musikwissenschaftler und Hörempfehlungen.
Ich sehe nicht ganz den Sinn darin, jemandem eine Zuniegung zu einem Komponisten ausreden zu wollen, schon gar nicht zu Janacek (ich liebe das schlaue Füchslein ) Das ist auch falsch verstandene Musikwissenschaft. Ich habe natürlich keine Hemmungen darauf hinzuweisen, wenn meiner Meinung (und der Meinung der Wissenschaft nach, die ja nicht aus Luftleerem Raum arbeitet, sondern auf dem Boden von Fakten) nach, falsche Einschätzungen bestehen. Ich glaube, das habe ich in meiner kurzen Zeit hier im Forum schon ausreichend bewiesen.
Auch wenn mich viele Kollegen schlagen werden, den Sinn einer Musikwissenschaft sehe ich primär in der Zuarbeitung für Interpreten und Komponisten, vielleicht weil ich auch selber Interpret bin; Informationen zu Verfügung zu stellen, die Biographien eines Komponisten, die sozialen Kontexte, die Rezeptionsgeschichte eines Werkes erläutern, darüberhinaus Werkanalyse und Einordnung des Werkes sowie Aufführungspraxis.
Darin sehe ich die Hauptaufgaben der Musikwissenschaft, es ist mir natrülich bewußt, das auch andere Ausrichtungen gibt, die auch berechtigt sind.
Leider neigen aber viele Musikwissenschaftler dazu sich zu überschätzen, meiner Meinung nach steht der Komponist und dann der Interpret immer höher!
Thomas133
Hat sich gelöscht
#20 erstellt: 30. Jun 2010, 18:51

Kreisler_jun. schrieb:
Mendelssohn hat sie von Zelter? kennengelernt, nicht aus dem Müll gefischt.


Da ich gerade eine Mendelssohn-Biographie lese eine vielleicht recht interessante nicht jedermann bekannte Randbemerkung...der Mann von dem die Iniatitive ausging war ein gewisser Adolf Bernhard Marx, Gründer der Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung - Zelter, ein Widersacher von demjenigen hatte zunächst sogar noch eher kritische Worte für dieses Vorhaben übrig. Und es gab sogar anscheinend einen Wettkampf mit Frankfurt die ebenso zuerst die Matthäus-Passion (für die breite Masse) zum Leben erwecken wollten. Es stimmt aber das Mendelssohn prinzipiell durch Zelter als Kind mit Bach in Berührung kam.

Was der Verlgeich Eberl/Beethoven angeht so war ich eigentlich eher der Auffassung das Beethoven gerade deswegen durchfiel weil die Eroica dem damaligen Zeitgeschmack noch zu modern, gewagt und andersartig war. (und aus mancher damaligen Kritik kann man das auch sinngemäß in die Richtung gehend herauslesen)
Eberl bedient sich aus meiner Erinnerung und persönlichen Auffassung eher noch (im Verlgeich dazu) traditioneller Mittel, aber vielleicht kann ich ja anhand von konkreter Beispiele überzeugt werden das Eberls Sinfonie zu unrecht hinter der Eroica steht und mir einige kompositorische Neuheiten und Kunstgriffe darin entgangen sind?
lg
Thomas
flutedevoix
Stammgast
#21 erstellt: 19. Jul 2010, 19:55
Tut mir leid, daß ich so lange geschwiegen habe. Ich hatte ziemlich viele Konzerte, da blieb keine Zeit mehr, mich noch dem Klassik-Forum zu widmen.
Auch wenn ich auch jetzt nicht viel Zeit habe und weder meine Aufnahme dabei habe geschweige denn Noten der Eberl-Sinfonie versuche ich mal eine Kurz-Analyse aus dem Gedächtnis heraus.

Zunächst einmal möchte ich vorrausschicken, daß beide Komponisten, Eberl und Beethoven ganz entschieden an der klassischen Form der Sätze einer Sinfonie rütteln.

Für mein Empfinden ist da Eberl sogar noch radikaler als Beethoven, besonders in formaler Sicht.

Sehr überraschend ist schon der Übergang von der Langsamen Einleitung in den eigentlichen Sonaten-Hauptsatz: ganz unvermittelt, quasi aus dem Nichts. Wenn sich das Tempo niht ändern würde, würde man nicht vermuten, daß man in einem neuen Form-Abschnitt ist. In dieser Radikalität, meine ich, die so noch nicht gehört zu haben. Könnte sein, daß Haydn möglicherweise in einer seinen Sinfonien ähnliches gestaltet hat. Vielleicht weiß da ja jemand von Euch Näheres.
Radikal ist auch der Eindruck von Zerrisenheit, den Eberl im ersten Satz hinterläßt. Man wagt ja kaum, von einem Thema zu sprechen. Ich würde von einem Motiv (streicherlastig, wenn ich mich richtig erinnere) sprechen, daß immer wieder überraschend mit einer musikalischen Frage (nach oben gerichtete Melodieführung in der Violine?) abbricht. Irgendwie riecht das nach Beethovens 5. Sinfonie, in der ja eigentlich auch nur ein kurzes Motiv das kompositorische Geschehen des ersten Satzes bestimmt. Nur daß die Eberl-Sinfonie da wesentlich früher ist. Wer weiß, vielleicht hat da ja Beethoven eine Anregung aufgenommen, gekannt hat er die Sinfonie ja. Auch das zweite "Thema" in den Holzbläsern verdient seinen Namen kaum.
Sehr interessant ist, finde ich, wie Eberl diese Motive/ Themen entwickelt. Er tut alles um die Form des Sonatenhauptsatzes zu vernebeln. Ob überhaupt einer vorliegt, kann ich nicht sagen, ohne noch einmal ausführlich und konzentriert den Satz gehört zu haben, ich vermute es aber, aufgrund meiner Erinnerung an Wiederholung bestimmter Strukturen. Jedenfalls wird die Entwicklung des Satzes immer wieder durch Pausen zerschnitten, sehr oft schiebt Eberl einem Spannungsakkord (ich meine aus der Erinnerung Dominantseptnonakkorde) gleich den nächsten hinterher, was eine enorme Orientierungslosigkeit bewirkt. Das ist eine Kompositionstechnik wie sie später Reger bis an die Grenzen des Erträglichen steigerte.
Mich erinnert der erste Satz der Eberl-Sinfonie jedenfalls vielmehr an eine Fantasie und gehört meiner Meinung nach eher in die Romantik (vielleicht in die Nähe Webers) als der doch noch eher klassische Beethoven in der Eroica.

So, das in aller Kürze und aus der Erinnerung zum ersten Satz. Im zweiten und dritten Satz erinnere ich mich auch noch an einige erstaunliche Phänomene, da bei Gelegenheit mehr.

Ich halte Eberl für einen zu Unrecht vergessenen, der nicht hinter Beethoven zurückstehen sollte. Seine drei Sinfonien, die ich von der Einspielung durch das Concerto Köln kenne, stehen sicher nicht vor den Beethovenschen zurück vielleicht mit Ausnahme der Neunten, die einen derartigen Einschnitt markiert, das alles davor komponierte fast schon antiquirt wirkt (Vieles danach komponierte übrigens auch )
Suche:
Das könnte Dich auch interessieren:
Welche Komponisten sind vollständig erhältlich?
Martin2 am 14.11.2005  –  Letzte Antwort am 16.11.2005  –  9 Beiträge
Orchester - Gehalt
Pati333 am 13.06.2004  –  Letzte Antwort am 27.09.2004  –  60 Beiträge
Titel & Komponisten-Suche
toniot17 am 21.12.2019  –  Letzte Antwort am 24.12.2019  –  2 Beiträge
Wie Orchester und Dirigent herausfinden?
Gantz_Graf am 28.08.2005  –  Letzte Antwort am 28.08.2005  –  4 Beiträge
Selbstkommentare von Komponisten
Thomas228 am 24.08.2007  –  Letzte Antwort am 02.12.2007  –  23 Beiträge
Komponisten von Hymnen
SirToby am 01.07.2004  –  Letzte Antwort am 13.06.2006  –  16 Beiträge
Persiflage auf Prozessoptimierung im Orchester
BassTrombone am 19.09.2005  –  Letzte Antwort am 19.09.2005  –  3 Beiträge
Unverständliche Preisgestaltung bei weniger bekannten Komponisten
Klassik_Fan am 13.04.2024  –  Letzte Antwort am 16.04.2024  –  21 Beiträge
Der Wille des Komponisten -Partiturtreue und andere Moden
Alfred_Schmidt am 24.03.2004  –  Letzte Antwort am 25.03.2004  –  4 Beiträge
Wie heißen die Komponisten/Werke?
sven30 am 07.04.2008  –  Letzte Antwort am 07.04.2008  –  8 Beiträge
Foren Archiv
2010

Anzeige

Aktuelle Aktion

Partner Widget schließen

  • beyerdynamic Logo
  • DALI Logo
  • SAMSUNG Logo
  • TCL Logo

Forumsstatistik Widget schließen

  • Registrierte Mitglieder925.708 ( Heute: 11 )
  • Neuestes Mitgliedgune
  • Gesamtzahl an Themen1.551.048
  • Gesamtzahl an Beiträgen21.536.761