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Stockhausen, Karlheinz (* 22. August 1928 - † 5. Dezember 2007)

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Fressbacke
Stammgast
#1 erstellt: 07. Dez 2007, 21:17
Der Komponist Karlheinz Stockhausen verstarb am 05.12.2007 im Alter von 79 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit.

Friede seiner Seele


Ralf
Hüb'
Moderator
#2 erstellt: 07. Dez 2007, 21:45
Ob er gen Sirius aufgefahren ist?

Sorry.
op111
Moderator
#3 erstellt: 07. Dez 2007, 21:58
Aber Herr Kollege, einmal aussetzen, nicht über Los gehen ...
Gantz_Graf
Hat sich gelöscht
#4 erstellt: 07. Dez 2007, 22:21
Ich habe über Stockhausen immer in dem Zusammenhang gehört, dass z.B. Autechre und andere ihn angeblich mochten. Alles (nicht viel), was ich aber von ihm musikalisch hörte, verstand ich nicht.

Bemerkenswert ist sein Kommentar zum 11. Sept. 2001. Zitat aus dem Wikipedia-Artikel Stockhausen:


... Bemerkung im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001: „Das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos.“ Er führte dazu aus: „Daß Menschen in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nicht träumen könnten, daß Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert und dann sterben, stellen Sie sich das doch vor, was da passiert ist. Da sind also Leute, die sind so konzentriert für eine Aufführung und dann werden fünftausend Leute in die Auferstehung gejagt, in einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts als Komponisten. Manche Künstler versuchen doch auch über die Grenze des überhaupt Denkbaren und Möglichen zu gehen, damit wir wach werden, damit wir uns für eine andere Welt öffnen.“


[Beitrag von Gantz_Graf am 07. Dez 2007, 22:22 bearbeitet]
AladdinWunderlampe
Stammgast
#5 erstellt: 08. Dez 2007, 04:32
Liebe Musikfreunde,

eine traurige Nachricht und ein unermesslicher Verlust für die Musikwelt.

Stücke wie das frühe Kreuzspiel, die elektrisierenden, mitreißenden Gruppen für 3 Orchester sowie die wahrhaft visionären elektroakustischen Kompositionen Kontakte, Telemusik und Hymnen fesseln mich seit Jahren immer wieder aufs Neue.

Ich weiss noch mein Erstaunen, als ich zum ersten Mal das Kreuzspiel hörte: Erwartet hatte ich aus meiner - damals recht bescheidenen - Kenntnis serieller Musik ein nüchternes, kühl kalkuliertes, akademisches Werk; doch stattdessen bekam ich diese vom ersten Ton an angespannte Musik zu hören, deren geheimnisvoll beschwörende Tom-Tom-Rhythmen mit ihren unregelmäßigen Akzenten mich sofort in ihren Bann schlugen.

Die seit den 1970er Jahren entstandenen Werke mit ihrem zunehmend esoterischen Überbau lösen bei mir dann nicht mehr durchgängige Begeisterung aus, doch ist die unerhörte Kraft der Selbsterneuerung weiterhin beeindruckend - und auch im großen Licht-Zyklus findet sich neben Fragwürdigem, Langweiligem oder unfreiwillig Komischem immer noch genügend großartige Musik. Aber eigentlich kenne ich viel zu wenig Werke von Stockhausen, um hier wirklich kompetent urteilen zu können.

Neben dem Komponisten ist aber auch der Musik- und Kompositionstheoretiker Stockhausen nicht zu vergessen; zumindest seine Texte aus den 1950er Jahren - zum Beispiel "Situation des Handwerks (Kriterien der 'punktuellen Musik')", "Zur Situation des Metiers (Klangkomposition)", "Musik im Raum" und vor allem der Aufsatz "...wie die Zeit vergeht..." - gehören aus meiner Sicht zum Geistreichsten und Konsequentesten, was das letzte Jahrhundert diesbezüglich aufzuweisen hat. Stockhausen hat hiermit - im Guten wie im Schlechten - nicht nur die Neue Musik, sondern auch die Sprache und das Denken über Neuen Musik geprägt.

Dass Stockhausen - wie Beethoven, Wagner oder Schönberg - ein überaus schwieriger Charakter war, und dass seine Egomanie, sein Sendungsbewusstsein, seine gelegentlich frappierende Naivität sowie seine zunehmend verquaste Weltanschauung für mich genug Anlass boten, mich immer wieder über ihn zu ärgern, sei nicht verschwiegen. Offenbar waren diese Wesenzüge Bedingungen seiner enormen Produktivität. Wie bei Wagner gibt es hier meiner Meinung nach nicht viel zu beschönigen. Und wie bei Wagner fiel es zumindest mir anfangs nicht leicht, die Musik trotz derartiger verbaler und gedanklicher Dummheiten unvoreingenommen zu hören. Doch habe ich Stockhausen andererseits in einigen unvergesslichen Kölner Konzerten, bei denen er Einführungen in seine Stücke gab, auch als überaus charmanten, eloquenten und charismatischen Menschen erleben können.

Erstaunlich ist der große Radius seines musikalischen Einflusses, der über drei Komponistengenerationen Neuer Musik hinaus auch weit in die Popularmusik (Beatles, "Krautrock", Björk u. s. w.) und in den Jazz (z. B. Miles Davis) hinreicht. Nur John Cage und (mit einigen Abstrichen) Iannis Xenakis dürften nach 1950 außerhalb der eher engen Sphäre Neuer Musik eine derartige Wirksamkeit entfaltet haben. Der Name Stockhausen ist längst eine Ikone: Jeder kennt ihn, ohne dabei unbedingt auch die Musik und - jenseits der Schlagzeilen - die dahinter stehende Person zu kennen; sein Name erregt Schrecken und Bewunderung, ist für Freunde und Feinde - und nicht immer zum Besten seiner Musik und der aktuellen kompositorischen Produktion überhaupt - zum Synonym für "Neue Musik" geworden.

Vielleicht ist sein Tod ein Anlass, die Musik hinter der Ikone wiederzuentdecken.


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 08. Dez 2007, 10:45 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#6 erstellt: 08. Dez 2007, 23:12
Wenn ein Mensch stirbt, ist das immer traurig. Gegen Stockhausen läßt sich sicher trefflich polemisieren ( man denke nur an seine merkwürdige Begeisterung über die Anschläge des 9. November), aber selbstverständlich ist der Tod eines Komponisten dazu kein guter Anlaß.

Ich mag keine 12 Tonmusik. Ich mag keine serielle Musik. Aber ich muß ohnehin sagen, daß ich, was die Moderne betrifft, doch irgendwie bei den "ersten Avantgardisten" stecken geblieben bin. Skrjabin, Ives, Bartok, Hindemith, Messiaen oder Hartmann kenne ich nur in Ausschnitten und noch lange nicht gut genug.

Die Klaviersonaten von Ives etwa befinden sich nicht in meinem Besitz und ich würde sie gerne einmal wieder hören. An den Skrjabin ( die späten Klaviersonaten, nicht die Sinfonien, die sind einfach) taste ich mich ein wenig heran. Bartok müßte ich unbedingt mal wieder hören.

Also die Orgelmusik von Messiaen und die Klaviersonaten von Ives sind irgendwann einmal in Planung. Stockhausen würde ich mir vielleicht mal anhören, wenn er im Radio käme - nur mal so aus Neugierde - aber ehrlich gesagt, denke ich nicht im Traum daran, mich mir diesem Komponisten näher zu beschäftigen. Reimann würde mich vielleicht mal interessieren, seinen König Lear - obwohl recht modern - habe ich doch mal gehört und würde ich gerne mal wieder hören.

Also ich fürchte einfach, Stockhausen wird in diesem Leben bei mir keine Chance mehr bekommen. Tut mir leid.
AladdinWunderlampe
Stammgast
#7 erstellt: 09. Dez 2007, 01:32

Martin2 schrieb:
Ich mag keine 12 Tonmusik. Ich mag keine serielle Musik.


Lieber Martin,

dass Du grundsätzlich keine Zwölftonmusik und keine serielle Musik magst, ist zwar schade. Aber gerade darum solltest Du vielleicht viel mehr Musik von Stockhausen hören - denn erstens hat dieser Komponist nie im klassischen Zwölftonstil komponiert, und zweitens gibt es kaum einen anderen Komponisten der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, der jenseits serieller Techniken auch so viele komplett andere kompositorische Verfahren, Ansätze und Stilistiken angewandt und zu einem nicht geringen Teil auch selbst entwickelt hat wie eben Stockhausen - so zum Beispiel:

- Elektronische Musik (Studie I, Studie II,Kontakte)

- höchst verfeinerte Collagetechniken (Telemusik, Hymnen)

- Obertongesang sowie harmonische Strukturen, die auf der Obertonreihe beruhen - also auf demjenigen, was doktrinäre Verfechter der Tonalität immer als Begründung der vermeintlichen "Naturgegebenheit" der Tonalität anführen (Stimmung)

- Intuitive Musik, die eine Art freier Improvisation darstellt (Aus den sieben Tagen)

- Formelkomposition (Licht)

Wer Ohren hat, der höre - statt sich in den schalltoten Raum seiner eigenen Vorurteile zu verschanzen...


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 09. Dez 2007, 01:34 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#8 erstellt: 09. Dez 2007, 02:33

AladdinWunderlampe schrieb:
Wer Ohren hat, der höre - statt sich in den schalltoten Raum seiner eigenen Vorurteile zu verschanzen...




Lieber Aladdin,

interessant, was Du mir da neues über Stockhausen mitzuteilen hast. Ich verschanze mich nicht im schalltoten Raum meiner Vorurteile. Übrigens wäre der Raum, selbst wenn es sich um Vorurteile handelte, durchaus nicht schalltot. In diesen Raum gelangt doch so einiges, wenn auch vielleicht nun nicht unbedingt Stockhausen.

Ich sage nur: Ich habe einen Reklam Konzertführer. In diesem Konzertführer findet Stockhausen ( und einige seiner Mitstreiter) breitesten Raum. Elgar wird praktisch totgeschwiegen. Von Schostakowitsch findet sich nur die 5. und 7. Sinfonie. Von Sibelius existiert offensichtlich nur die 1. und 2. Sinfonie. Malcolm Arnold existiert nun schon mal gar nicht. Nielsen existiert nur am Rande. Steht da eigentlich etwas über Skrjabin? Natürlich steht da auch wenig über Prokoview und Mjaskowski ( und Hanson und Barber zB. und sicher viele mehr). Dagegen werden die Werke von Kagel, Stockhausen, Nono usw. usw. breitest besprochen. Das sind die Dinge, die mich wütend machen.

Dabei ist der Reklam Konzertführer bezüglich Barock, Klassik, Romantik und Spätromantik sicher nicht schlecht. Aber dann - im 20. Jahrhundert - sieht es für mich einfach nur äußerst düster aus. Dieser Reklam Konzertführer ist sicher heute noch sehr einflußreich.

Mein Konzertführer ist übrigens schon ganz zerfleddert und auseinandergefallen. Ich wollte mir vor ein paar Monaten mal einen neuen kaufen, aber in dem neuen steht immer noch dieselbe Scheiße wie in dem alten.

Was soll man dazu sagen? Na ja, Schostakowitsch und Nielsen, Sibelius, Elgar, Vaughan Williams, Hanson und Barber sind heute ja praktisch vergessen. Malcolm Arnold gab es sowieso nie. Stockhausen, Kagel und Nono dagegen kennt heute wohl jedes Kind, ihre Melodien pfeifen die Spatzen von den Dächern. So ist es wohl. Und so ist es wohl dann doch nicht.

In Wahrheit setzen sich - trotz Reklam Konzertführer - eine ganze Reihe von Komponisten des 20. Jahrhunderts durch. Auch wenn in den Konzertsälen munter weiter Beethovens 5. getrötet wird und sonst nichts.

Und der Reklam Konzertführer ist doch heute eher Antiwerbung. Daß Messiaen irgend etwas taugen könnte, darauf wäre ich früher nie gekommen. Ein Nachkriegskomponist, der so vom Reklamkonzertführer gelobt wird, kann einfach nichts taugen.

Meine Eltern hatten dagegen einen anderen, älteren Konzertführer. Wie ich als Kind da staunend und ehrfürchtig erfahren konnte, war es nur einen Komponisten, der die Krone und den Endpunkt der abendländischen Entwicklung darstellte: Max Trapp. Er wurde breitest besprochen. Ich habe später nie wieder etwas von ihm gehört.

Und ich finde Klassikforen eben auch dahingehend toll, als sich hier Leute informieren können und nicht auf Konzertführer oder eine ähnliche Scheiße angewiesen sind. Übrigens habe ich auch einen englischen Konzertführer aus dem Jahre 1934. Bruckner und Mahler werden da in drei Sätzen als absolut lebensunwerte Musik niedergemacht ( Elgar und Vaughan Williams dagegen äußerst gelobt).

Alle diese Konzertführer und ähnliche Erzeugnisse ( kenne auch noch den Pahlen und der ist auch nicht fair), kannst Du wunderbar benutzen, wenn Du Dir eine Beethovensinfonie oder etwas ähnliches anhören willst. Ansonsten aber - so scheint es mir - werden sie von chauvinistischen Ideologen geschrieben. Wenn es auf die Neuzeit zugeht, sind sie nicht das Papier wert, auf das sie gedruckt sind.

Unter diesem Gesichtspunkt fürchte ich, sieht es für Stockhausen sehr düster aus. Es ist kein Zweifel, daß er einer der größten, wenn nicht überhaupt der größte deutsche Komponist ist. Wer wollte das bestreiten? Aber gerade dieses "Unbestreitbare" ist es, was diesen Mann so langweilig macht. Es interessiert keinen. Man kennt das. Das ist langweilig. Man lobt ihn halt weil man ja muß. Und irgendwann schätze ich ist auch dieses Lob vergessen.

Gruß Martin
Klassikkonsument
Inventar
#9 erstellt: 10. Dez 2007, 04:22
Hallo zusammen,

bisher habe ich mit Stockhausens Musik eher sporadische Bekanntschaft gemacht: einmal habe ich mir das Helikopterquartett angehört, das mich ratlos zurückließ. Da hatte mit der "Gesang der Jünglinge im Feuerofen", den ich mir auch mal ausgeliehen hatte, bedeutend besser gefallen. Allerdings muss ich gestehen, dass ich mich durch das dort aus der Bibel vorgetragene Gotteslob in Verbindung mit dem Wissen um die verstiegene Esoterik des Komponisten doch wieder habe abschrecken lassen.
Auf einem Sampler mit Musik des 20. Jahrhunderts für Klarinette solo habe ich noch "In Freundschaft", das ich mir anlässlich der Nachricht von Stockhausens Tod noch einmal angehört habe. Bisher habe da aber noch keine besondere Beziehung dazu aufgebaut.
Irgendwann hatte ich auch mal eine Sony-CD mit Stockhausens Klavierstücken ausgeliehen. Da schien mir das eine oder andere interessant. Da werde ich wohl als nächstes genauer nachhören.

Viele Grüße
Mellus
Stammgast
#10 erstellt: 13. Dez 2007, 18:18
Hallo allerseits,

nur ein kleiner (wahrscheinlich überflüssiger) Hinweis:

Heute abend sendet WDR3-Radio ab 20:05 Uhr ein 4-stündiges Stockhausen-Spezial. Die Hommage umfasst natürlich auch sein musikalisches Schaffen. Eine gute Gelegenheit, einen Querschnitt durch Stockhausens Musik zu hören. Mehr Infos gibt es auf der WDR3-Homepage.
op111
Moderator
#11 erstellt: 13. Dez 2007, 19:30
Danke für den Tipp.
Kleine Ergänzung:
WDR 3 Spezial: In memoriam Karlheinz Stockhausen


WDR3 schrieb:
... Moderation: Michael Struck-Schloen ...
...In Beiträgen von Patrick Hahn, Björn Gottstein und Werner Wittersheim werden die wesentlichsten Facetten seine Lebens und Wirkens beleuchtet und gewürdigt.

Es erklingen die Werke
Gesang der Jünglinge
Klavierstück IX
Punkte
Gruppen
Aus den Sieben Tagen
Tierkreis

und Ausschnitten aus dem Opern-Zyklus Licht, u.a.:
Michaels Reise
Dienstag: II.Akt
Helikopter-Streichquartett
Hochzeiten

Ab 23.00 Uhr gibt es ein Gespräch mit Stockhausen anlässlich des Mozart-Jahres 1991 über sein besonderes Verhältnis zu Mozart. ...


Ich werde die Sendung auf jeden Fall hören!
AladdinWunderlampe
Stammgast
#12 erstellt: 14. Dez 2007, 00:25
Hallo Mellus und Franz-J.,

danke für Eure Informationen - die Radiosendung wäre mir sonst glatt entgangen. (Martin, der sich so etwas ja gewünscht hat, dürfte sich auch freuen und hängt nun hoffentlich gebannt vor seinem Radio...)

Ich jedenfalls schneide die Sendung gerade mit und kann sie mir bei Gelegenheit mal in Ruhe anhören. Ein aufregendes und mir bislang unbekanntes Stück habe ich dabei immerhin schon kennengelernt: die Orchesterkomposition Punkte. Und sicherlich gibt es Einiges über die mir bislang eher fernliegende Spätphase Stockhausens zu erfahren.


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 14. Dez 2007, 00:25 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#13 erstellt: 14. Dez 2007, 02:05
Hallo Aladdin,

nein, ich kann WDR3 leider nicht empfangen. Ob ich mir die Sendung angehört hätte? Na ja vielleicht. Ich glaube zwar letzlich nicht, daß das etwas für mich ist, aber ich hätte ja mal einen Versuch machen können. Clownerien wie das Helikopterquartett interessieren mich zwar nicht, aber es wäre ja denkbar, daß Stockhausen etwas geschrieben hat, was mir doch gefallen würde.

Ich versuche jedenfalls schon, für Musik nach dem zweiten Weltkrieg offen zu bleiben, einschließlich auch wirklich neuerer Musik. Bei mir besteht jedoch schon ein Grundzweifel, ob Musik, die sich medial in den Vordergrund gespielt hat, wie etwa die Avantgarde, den Wert hat, den sie medial verspricht.

Dazu kommt bei Stockhausen, daß ich nicht wirklich genau weiß, welchen kompositorischen Konzepten er während seines Lebens gefolgt ist. Ich halte nicht viel vom Serialismus, ich halte auch nicht viel von der Aleatorik, aber es kann ja durchaus sein, daß Stockhausen Musik geschrieben hat, die mir gefiele. Ich muß allerdings zugeben, Stockhausen interessiert mich nicht gerade brennend.

Ich mache halt immer mal wieder einen Versuch. Ich mag die Sinfonien Henzes nicht, aber ich habe sie immerhin gehört, ich konnte auch mit Luslawski wenig anfangen, aber ich habe mir sogar eine CD gekauft ( ich glaube das Konzert für Orchester hat mir besser gefallen als die 3. Sinfonie), Dutelliux fand ich gar nicht mal schlecht, Messiaen ist unbedingt was für mich. Ich habe auch sonst einiges gehört, was ich hier nicht aufzählen will. Sallinens 3. etwa gefiel mir gar nicht schlecht.

Wir müssen uns eben über moderne Musik irgendwann noch mal ganz grundsätzlich unterhalten. Ein bißchen esoterisch darf klassische Musik schon mal sein. Und wenn neue Musik vielleicht ein bißchen esoterischer ist als alte - auch OK. Aber Esoterik als Grundmuster, Musik nur "für die Eingeweihten", davon halte ich nichts. Es gibt nur Menschen mit einem besseren und Menschen mit einem schlechteren Geschmack, das war schon immer so und gilt auch für Musik.

Gegenüber Stockhausen bin ich eben sehr skeptisch. Diese Skepsis sollte nicht als eine Wagenburgmentalität interpretiert werden oder gar als schalltoter Raum. Ich war auch gegenüber CPE Bach skeptisch. Dann hat man mir ihn förmlich aufgeschwatzt. Ich fand ihn dann nicht so schlecht, aber auch nicht so gut. Skepsis ist etwas völlig normales, vor allem dann wenn sie durch eigene Erfahrungen erhäret ist. Ich kann daran nichts Anrüchiges finden. Skepsis ist auch da nicht anrüchig, wo sie Zweifel an den Mechanismen des Kulturbetriebs beinhaltet.

Gruß Martin
op111
Moderator
#14 erstellt: 14. Dez 2007, 02:23
Hallo zusammen,

ich habe auch aufgenommen, 4 Stunden am Stück sind schon etwas viel.


Martin schrieb:
Aber Esoterik als Grundmuster, Musik nur "für die Eingeweihten", davon halte ich nichts.

Ich halte von Esoterik rein gar nichts, Verpackung ohne Inhalt.
Aber auch im Falle Stockhausens verfahre ich wie bei Ansermet, Pfitzner, Wagner und anderen Musikern: Deren Auffassungen über Randständiges, Außermusikalisches wie Politik, Naturwissenschaften u.a. interessieren mich allenfalls am Rande, sie haben aber für mich keine Vorbildfunktion.

Gute Nacht
AladdinWunderlampe
Stammgast
#15 erstellt: 14. Dez 2007, 03:23
Hallo Martin,

schade, dass Du die Sendung nicht hören konntest, denn aufgrund vieler O-Töne hättest Du hierbei sehr schnell bemerkt, dass Stockhausen kein bißchen hermetisch oder esoterisch, sondern gerade im Gegenteil sehr anschaulich, plastisch, einnehmend und einfach über seine Werke(die ich übrigens durchaus nicht alle schätze) zu sprechen wusste. Von der Vorstellung, Musik für Eingeweihte zu schreiben, war er jedenfalls denkbar weit entfernt. (Das belegen übrigens auch zahlreiche Aufsätze in den 10 Bänden seiner "Texte zur Musik".) Er war vielmehr besessen von der Idee, eine Musik für die gesamte Menschheit zu schreiben. (Diese Hybris teilt er - unter anderem - mit Beethoven, der auch behauptete, seine Musik verstünde die ganze Welt, wobei diese Welt um das Jahr 1800 wohl nicht weiter als bis ins gehobene Bürgertum zwischen St. Petersburg und Lissabon gereicht haben dürfte...)

Im übrigen finde ich es merkwürdig, den spartenübergreifenden Welterfolg eines Mannes als bloßes Medienphänomen zu bezeichnen, der Werke komponierte, die sich aufgrund ihrer fast durchweg extrem hohen Anforderungen gegen die routinierte Vereinnahmung durch einen leerlaufenden Konzertbetrieb und die Fließbandproduktion der Tonträgerindustrie sperren (anders als die beinahe Woche für Woche eintönig abgenudelten Beethoven-, Mahler- und Schostakowitsch-Aufführungen und -Gesamteinspielungen kann man ein Stockhausensches Orchesterstück nicht mal eben nach drei Proben im Konzert herunterspulen), der seit mehr als dreißig Jahren seine Partituren und CDs ohne die Unterstützung der Hochglanz-PR-Maschinerie irgendwelcher Großkonzerne im Selbstverlag (übrigens über eine erschreckend dilettantisch aufgemachte Internetseite) vertreibt und ansonsten im Verfechten seiner - um es vorsichtig auszudrücken - doch recht "sperrigen" Anschauungen Zeit seines Lebens überaus undiplomatisch gewesen ist - zumal, wenn man sich andererseits seine musikalischen Interessen weitgehend durch die Labelkataloge von Naxos und Brilliant diktieren lässt und als großen Komponisten des 20. Jahrhunderts ausgerechnet einen biederen Kunsthandwerker wie Malcolm Arnold installieren möchte, der seinen Ruhm nicht zuletzt seinen Filmmusiken - also dem stromlinienförmig durchkommerzialisierten Medienphänomen schlechthin - verdankt.

Ich will Dir übrigens keineswegs die Musik von Stockhausen aufschwätzen. Ich halte Stockhausen in vielfacher Hinsicht für einen sehr bedeutenden, aber keineswegs für "den" bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts; und es bringt mich nicht um den Schlaf, wenn jemand seine Werke - auch diejenigen unter ihnen, die ich heiß und innig liebe - nicht mag. Was ich allerdings frappierend finde, ist die Aggression, die die Person und die Musik Stockhausens gerade von Seiten derer auf sich ziehen, die so gut wie nichts davon kennen. In einem meiner vorangegangenen Beiträge habe ich die Auffassung vertreten, Stockhausen sei längst zu einer Ikone unserer Zeit geworden. Deine erstaunlich emotionale Abwehrreaktion allein des Namens (denn viel mehr von Stockhausen kennst Du ja gemäß Deiner eigenen Darstellung - abgesehen von der sinister konspirativen Weltverschwörungspropaganda des zerfledderten Reclam-Konzertführers - nicht) bestätigt meine Vermutung nur: Was den einen "der größte Komponist aller Zeiten" ist, ist den anderen der Popanz, auf den man eindrischt, weil einem die ganze Richtung nicht passt. Keiner weiß etwas Genaues, aber jeder hat eine Meinung.

Übrigens gibts am Samstag Nachmittag in WDR 3 nochmal drei Stunden über Stockhausen: wdr3.pm


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 14. Dez 2007, 03:27 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#16 erstellt: 14. Dez 2007, 09:48
Hallo Aladdin,

bei jemandem, der Richard Strauss und Dimitri Schostakowitsch "nur in kleinen Dosen erträgt" ( wenn ich mich recht erinnere) wundert es mich auch nicht, daß er Malcolm Arnold als einen "biederen Handwerker" einschätzt.

Malcolm Arnold schätze ich. Deine etwas merkwürdige Ausdrucksweise, daß ich Malcolm Arnold als großen Komponisten des 20. Jahrhunderts "installieren" möchte, hat mich amüsiert. Ich denke weder Du noch ich haben hier in diesem Forum die Möglichkeit, hier irgendjemanden zu "installieren", weder Du den Stockhausen noch ich den Arnold. Ich schreibe hier nur meine Meinung.

"Keiner weiß genaues, aber jeder hat eine Meinung" finde ich ein wenig ungerecht. Ich habe mir aus der Musik nach dem zweiten Weltkrieg so einiges angehört, was ich hier nicht aufzählen möchte. Im Grunde genommen hat mich aber das meiste davon einfach enttäuscht, anderes ratlos zurückgelassen, meistens beides. Ich habe da wohl ein Recht zu einer eigenen Meinung. Stockhausen kenne ich nicht, das gebe ich zu, er hat mich aber auch nicht interessiert, wozu die Ursache sicherlich in den Enttäuschungen lag, die ich mit anderer von gewisser Seite hochgelobter Musik gemacht habe. Deshalb habe ich von meiner Skepsis Stockhausen gegenüber geredet. Die wird wohl erlaubt sein.

Was jemand von meiner Meinung hält, ist mir ehrlich gesagt auch wurscht. Ich gebe im übrigen vollkommen zu, daß ich kein musikalischer Analytiker bin. In dieser Hinsicht wirst Du mir mit Sicherheit etwas voraushaben. Da bin ich jemand der, sowohl was Werke als auch was Interpretationen anbetrifft, über ein etwas kahles "gefällt mir" oder "gefällt mir nicht" oft nicht hinauskommt. Es wäre im übrigen auch Schaumschlägerei, darüber hinauskommen zu wollen ( aber wenn es mir auf eine solche Schaumschlägerei ankäme, könnte ich sie wohl liefern). Es interessiert mich auch nicht in dem Maße. Manchmal bin auch ich zu "musikalischen Beobachtungen" fähig, dann teile ich sie gerne mit anderen, ich habe aber auch kein Problem dabei, es bei einem bloßen "gefällt" - "gefällt nicht" zu belassen.

Ich denke, ein solches Forum dient in erster Linie auch dem Meinungsaustausch. Meinungen von anderen sind mir wichtig. Ob ich in der Musik einen schlechten oder einen guten Geschmack habe, ist mir völlig wurscht. Wichtig ist nur, daß es Menschen gibt, die einen mir ähnlichen Geschmack haben. Mit denen kann ich mich wunderbar austauschen. Streit ist im übrigen völlig überflüssig. Die Frage nach dem "absolut wertvollsten Werk" ist eine akademische Diskussion, die mich nur am Rande interessiert. Was nicht heißt, daß die Äußerung einer gewissen Person über das, was sie für besonders werthaftig hält, nicht für mich interessant sein kann.

Ich gebe im übrigen vollkommen zu, daß ich in musikalischen, wie teilweise auch weltanschaulichen Dingen stockkonservativ bin. "Hubschrauberquartette" ( Stockhausen), "Klavierstücke", die nur aus einer Pause bestehen ( Cage), zertrümmerte Klaviere, aufgezogene Metronome ( Ligeti) lassen mich an der musikalischen Seriösität der Komponisten schon zweifeln. Als Scherz kann man das alles bringen, als Happening, was weiß ich, aber wenn man mir im Ernst beibringen will, daß das Musik ist, hört der Spaß auf. Oder er beginnt erst richtig - ja nachdem. Es gibt ja auch Partituren, die nur aus ein paar Strichen bestehen, die man dann "interpretieren" soll und ähnliche Scherze. Wiegesagt: Scherze, aber das man das ernst nehmen soll, finde ich nun sehr seltsam. Mir paßt die ganze Richtung nicht? Das kann schon sein, vor allem aber habe ich große Zweifel an der Seriösität. Wie zum Beispiel bei Teilen der modernen Kunst auch.

Es mag im übrigen auch sein, daß jemand mal ein bißchen unseriös ist, letzlich aber dann doch ein sehr seriöser Komponist. Das mag im Falle Stockhausens so sein, woher soll ich das wissen?

Reden wir aber lieber nicht über Musik, die ich nicht kenne, also Stockhausen, sondern lieber über Musik, die ich kenne, also Arnold. Ihn als bloßen Musikhandwerker abzutun, finde ich äußerst überheblich, wundert mich aber bei jemandem, der auch Strauss und Schostakowitsch abtut, womöglich noch Mahler und Beethoven ( jedenfalls ihre Repräsentanz gleich der von Schostakowitsch im Konzertsaal nicht gutheißt) wiegesagt nicht wirklich. Ich finde seine Musik seriös und inspiriert, ohne daß ich ihn nun in den Olymp der ganz großen heben will. Ich halte seine Musik in weiten Teilen jedenfalls für überlebensfähig. Ich mag sie.

Überheblich ist auch Deine Haltung zur Filmmusik, die Du einfach so abtust. Ich bin zwar selber kein großer Freund der Filmmusik, besitze wenig Filmmusik, sie interessiert mich nicht in dem Maße. Anderseits nun wieder: So wie der Film ein historisch gesehen noch recht neues Phänomen ist, so ist es auch die Filmmusik. Das finde ich grundsätzlich sehr interessant. Natürlich gibt es ungeheuer viel flache schlechte Filme, aber auch sehr gute, künstlerisch anspruchsvolle, die auch auf eine gute Filmmusik angewiesen ist. In dieser Hinsicht finde ich Dich nun wieder stockkonservativ. Wir leben aber nicht im 19. sondern im 21. Jahrhundert. Übrigens würde ich auch die musikalische Popkultur nicht grundsätzlich abbügeln wollen.

Gruß Martin
AladdinWunderlampe
Stammgast
#17 erstellt: 14. Dez 2007, 11:13
Hallo Martin,

nur kurz zur inhaltlichen Klarstellung: Beethoven und Mahler gehören zu den von mir meist geschätzten Komponisten. (Übrigens gibt es durchaus auch einige Werke von Strauss und Schostakowitsch, die ich sehr schätze, wie Dir beispielsweise ein Blick in die Threads zu Schostakowitschs 5. und 6. Sinfonie zeigen würde.)

Und natürlich schätze und sehe und liebe ich wie die meisten anderen Menschen unseres Kulturkreises Filme und in meinem CD-Schrank finden sich auch diverse Pop- und Jazz-CDs. Keinesfalls bin ich ein Verächter der Popkultur.

Es ging in meiner Stellungnahme einzig um Deinen merkwürdigen Vorwurf, ausgerechnet Stockhausens Musik sei ein reines Medienphänomen; ich habe darauf hingewiesen, dass seine Musik sich sehr viel weniger durch massenmediale Verwertungsprozesse vereinnahmen lässt als diejenige Beethovens, Mahlers, Schostakowitschs oder eben auch Arnolds.

Ansonsten habe ich auch nirgendwo über "guten" und "schlechten Geschmack" geredet oder musikalische Analyse als Grundbedingung für musikalische Urteile postuliert.

Allerdings beharre ich darauf, dass Urteile auf einer gewissen Vertrautheit mit dem betreffenden Gegenstand beruhen sollten. Eine Musik abzulehnen, weil sie im Reclam-Führer besprochen wird, ist einigermaßen grotesk.


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 14. Dez 2007, 11:54 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#18 erstellt: 14. Dez 2007, 12:37

AladdinWunderlampe schrieb:
Allerdings beharre ich darauf, dass Urteile auf einer gewissen Vertrautheit mit dem betreffenden Gegenstand beruhen sollten. Eine Musik abzulehnen, weil sie im Reclam-Führer besprochen wird, ist einigermaßen grotesk.



Absolut d'accord. Messiaen wird ja auch im Reklamkonzertführer besprochen und ich mag ihn mittlerweile ganz gern und er steht, was neue Werke anbetrifft, mittlerweile ziemlich weit oben auf meinem Wunschzettel.

Ich will ja gar nicht ausschließen, daß mir irgendwann mal Werke von Stockhausen über den Weg laufen, die mir gefallen. Ich halte es nur für nicht wahrscheinlich.

Was den merkwürdigen Vorwurf betrifft, ich hätte behauptet, die Musik von Stockhausen sei ein Medienphänomen. Du redest dann in der Folge von massenmedialen Verwertungsprozessen. Ich halte dies für ein Mißverständnis. Also mit massenmedialen Verwertungsprozessen hat dies glaube ich nichts zu tun.

Machen wir uns nichts vor. Ginge es nach dem Interesse des breiten Publikums, ja selbst nur des Klassikpublikums, hätte die moderne Musik ohnehin keine mediale Präsenz.

Ich erinnere mich nur an meine Jugend. Meine Eltern mögen durchaus klassische Musik. Aber Bruckner war schon "schrecklich modern", Mahler "äußerst modern", Ives reine Kakophonie.

Ich glaube schon, daß Stockhausen für einen Komponisten eine ziemlich große Medienpräsenz hatte. Nicht verglichen mit einem Fußballspieler. Aber verglichen mit anderen Komponisten ganz sicher. Und diese Medienpräsenz ist immer hinterfragbar. Ich glaube, Menschen, die Stockhausens Musik kennen, sind reichlich dünn gesäht. Aber den Namen kennen doch so einige. Immerhin sollten in Hamburg ein "Stockhausenfestival" stattfinden, daß dann wegen Stockhausens unsäglichen Bemerkungen zum 11. September abgeblasen wurde, immerhin hörte man gelegentlich von ihm in den Medien, immerhin wird sein Tod selbst von Nachrichtensendungen wahrgenommen, immerhin gibt es Radiosendungen wie die jetzt im WDR. Sage mir jetzt nicht, daß jeder neue Komponist eine solche Aufmerksamkeit gefunden hätte.

Insofern gibt es "Medienpräsenz" von Komponisten, mag sie auch noch so dünn gesäht sein. Arnold mag ja Engländer sein, hat aber offensichtlich hierzulande überhaupt keine Medienpräsenz. Kein Konzertführer erwähnt ihn hierzulande meines Wissens. Er wird nicht aufgeführt, ich habe ihn nie in der deutschen Presse erwähnt gefunden, noch im Radio gehört. Ob sich da Arnolds Musik "durch massenmediale Verwertungsprozesse vereinnahmen läßt" ist da eigentlich ziemlich gleichgültig. Solche massenmediale Verwertungsprozesse mit Arnolds Musik kann ich wirklich nirgendwo erkennen. Die Medienpräsenz von Stockhausen schon.

Nun halte ich Arnold nicht für einen Komponisten der alleresten Kategorie, das mag schon sein, aber einen auf seine Weise sehr beachtlichen und genialen Komponisten ( ja Brahms ist schon besser und nicht nur Brahms). Im Grunde genommen gibt es wirklich wenig Musik nach dem 2. Weltkrieg, die mich so eingenommen hätte wie die von Arnold. Daß er in Deutschland praktisch totgeschwiegen wird, macht mich nun gegenüber der medialen Präsenz von Komponisten überhaupt mißtrauisch. Ein gewisses Mißtrauen ist immer gesund, empfindet man die Nichtbeachtung eines Komponisten aber als ungerecht ( und auch Komponisten einer älteren Generation wie Barber, Hanson, Vaughan Williams und Elgar werden ja hierzulande nicht genug beachtet, wenn man davon absieht, daß Elgar durch seinen berühmten Pomp und Circumstances Marsch heute eigentlich fast jedes Kind kennt), dann ist dieses Mißtrauen nicht nur gesund, sondern auch - subjektiv zumindestens - berechtigt.

Und übrigens, bezüglich "massenmedialer Verwertungsprozesse". Die Musik Malcolm Arnolds mag ja in den Augen von Avantgardisten erzkonservativ sein, in den Augen von Klassikliebhabern, selbst den der Musik des 20. Jahrhunderts grundsätzlich aufgeschlossenen, ist die Musik von Arnold sicher auch noch oft ziemlich modern. In den Sinfonien jedenfalls, weniger in den sinfonischen Tänzen.

Mit Stockhausen hat das alles nichts zu tun, soll nur erklären helfen, warum ich für Stockhausen so wenig Interesse habe. Wäre Stockhausen nur "irgend ein Name", hätte ich für ihn sicher auch kein Interesse. Daß er mehr ist als bloß ein Name, hat mit medialer Präsenz schon zu tun. Nur mißtraue ich halt medialer Präsenz, ganz speziell der deutschen.


Gruß Martin
AladdinWunderlampe
Stammgast
#19 erstellt: 14. Dez 2007, 14:34
Hallo Martin,


Martin2 schrieb:

Was den merkwürdigen Vorwurf betrifft, ich hätte behauptet, die Musik von Stockhausen sei ein Medienphänomen. Du redest dann in der Folge von massenmedialen Verwertungsprozessen. Ich halte dies für ein Mißverständnis. Also mit massenmedialen Verwertungsprozessen hat dies glaube ich nichts zu tun.


Hier scheint tatsächlich ein Missverständnis meinerseits vorzuliegen. Und wie mir scheint, liegen unsere Ansichten in diesem Punkt sogar ziemlich dicht zusammen: Dasjenige an Stockhausen nämlich, was Du als Medienphänomen charakterisierst, scheint mir nach Deiner Klarstellung dem zu entsprechen, was ich zu beschreiben versucht habe, als ich Stockhausen als eine "Ikone" der Gegenwartskultur bezeichnet habe.

Unterschiedlich ist anscheinend nur unser Umgang mit dieser Ikone: Ich habe nämlich den Verdacht, dass Du trotz aller "Skepsis" permanent das mediale Bild für die Sache selbst hältst und darüber hinaus kein großes Interesse zeigst, nachzuschauen, wie es hinter der ikonischen Oberfläche aussehen könnte. Jedenfalls lieferst Du nur eine Aufzählung all der abgedroschenen Klischees, die in Teilen der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten über Neue Musik im Allgemeinen florieren: kalter Intellektualismus und Esoterik auf der einen, Clownerie und prätentiöse Nichtigkeit auf der anderen Seite. (Übrigens werden derartige Vorwürfe in leichten Variationen seit dem späten Mittelalter in unschöner Regelmäßigkeit immer wieder gegen alles Neue in Stellung gebracht.)

Ich besuche seit etwa zwanzig Jahren neben normalen Kammermusik-, Sinfonie-, Chor- und Orgelkonzerten sowie Aufführungen Alter Musik regelmäßig alle möglichen Konzerte mit Neuer Musik. Niemals wurde dabei ein Klavier zertrümmert, niemals flogen dabei Hubschrauber durch den Raum und niemals tickten dabei hundert Metronome. Nicht, dass es derartige Darbietungen und Stücke nicht gäbe; aber meist sind sie weder für die betreffenden Komponisten noch für die Neue Musik insgesamt repräsentativ. Sie existieren als Einzelstücke und machen als solche zum Teil durchaus auch Sinn - sind sie doch tatsächlich meist als Happening, Aktions- oder Konzeptkunst und nicht als musikalische Werke gemeint. Doch beruht Ligetis Rang als Komponist ebenso wenig auf dem in seinem Euuvre singulären Poème symphonique für 100 Metronome wie man die Bedeutung von Cages 4'33 ernsthaft mit der satztechnischen oder formalen Meisterschaft in der Setzung von Pausen begründen würde. Und Stockhausens vielgeschmähtes Helikopter-Streichquartett - das ich persönlich übrigens für musikalisch nicht sehr gelungen halte - ist kein dadaistischer Klamauk, sondern erklärt sich als Teil in einer übergeordneten dramatischen Konzeption.

Repräsentativ für das kompositorische Niveau der Neuen Musik sind solche skandalträchtigen Ausnahmestücke aber ebenso wenig wie Beethovens kanonenselige Wellington-Musik für den klassischen Stil oder Jimmi Hendrixs verbrannte Gitarre für die Gitarrenkunst der Popmusik. Um so erstaunlicher ist, wie sehr sie in der öffentlichen Wahrnehmung das Schreckensbild der gesamten Neuen Musik prägen, die bei näherem Hinschauen sehr anders und nahezu unüberschaubar vielfältig und reich ist.

Ich muss gestehen, dass ich es traurig finde, dass die einzige Diskussion, die der Tod eines so bedeutenden Komponisten wie Karlheinz Stockhausen in diesem Forum auslöst, tatsächlich so wenig mit dessen Musik zu tun hat und stattdessen unentwegt um Vorurteile kreist, die man schnell abstreifen könnten, wenn man sich stattdessen einmal mit der Sache selbst auseinandersetzte. Schließlich wäre es auch kein guter Rat, die Relativitätstheorie zu ignorieren, nur weil das Plakat des zungezeigenden Einstein zu einer popkulturellen Ikone geronnen ist. Musikliebhaber, die sich von der Tonträgerindustrie auch noch die Notwendigkeit der 35. Mahler-Gesamtaufnahme aufschwatzen lassen (Martin, damit bist nicht Du gemeint), dürften doch wenigstens ein oder zwei Einspielungen zentraler Stockhausenscher Werke wie Gruppen, Kontakte oder Mantra in ihrem CD-Regal stehen haben und müssten sich dazu äußern können.


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 14. Dez 2007, 14:59 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#20 erstellt: 14. Dez 2007, 14:57
Hallo Alladin,

na gut, ich werde mal gucken, was die Hamburger Bücherhalle hat und sehen, ob eines von Dir besonders gelobten Werke "Mantra", "Gruppen" oder "Kontakte" dabei ist. Ich kann sie mir ja mal anhören. So ein paar Sachen hat die Hamburger Bücherhalle schon, zum Beispiel die Henzesinfonien, die mir aber nicht besonders gefallen haben ( hätte ich sie öfter hören müssen?)

Gruß Martin
Klassikkonsument
Inventar
#21 erstellt: 17. Dez 2007, 20:44
Hallo Aladdin,


AladdinWunderlampe schrieb:
Musikliebhaber, die sich von der Tonträgerindustrie auch noch die Notwendigkeit der 35. Mahler-Gesamtaufnahme aufschwatzen lassen (Martin, damit bist nicht Du gemeint), dürften doch wenigstens ein oder zwei Einspielungen zentraler Stockhausenscher Werke wie Gruppen, Kontakte oder Mantra in ihrem CD-Regal stehen haben und müssten sich dazu äußern können.


da muss ich noch einen eher außermusikalischen Aspekt ins Spiel bringen. Wohl ähnlich wie Martin muss ich mit einem schmalen Budget haushalten und bin daher in Sachen Stockhausen eher auf die Bibliothek verwiesen. Denn i. d. R. befinden sich Aufnahmen im Hochpreis-Segment, wenn ein Werk nicht gleich nur in der noch höherpreisigen Ausgabe aus dem Selbstverlag des Komponisten zu bekommen ist. Das macht die Beschäftigung mit Stockhausen sicher nicht unmöglich, aber doch schwieriger.

Ich hatte schon darauf gehofft, dass der MediaMarkt jetzt Stockhausen-CDs für 1 € / Stück anbietet.

Aber wie schwer es die Neue Musik auf dem Markt hat, zeigt leider schon die wohl noch immer fragmentarische Ligeti-Edition, die mal bei Sony begonnen und bei Warner fortgesetzt wurde. Was für ein gutes Werk täte Brilliant mit einer Gesamtwerk-Box.

Viele Grüße
Martin2
Inventar
#22 erstellt: 18. Dez 2007, 12:20

Klassikkonsument schrieb:
Was für ein gutes Werk täte Brilliant mit einer Gesamtwerk-Box.



Ein "gutes Werk" wäre das zweifellos, aber darauf werden wir lange warten. Da hielte ich es schon für wahrscheinlicher, daß Naxos mal irgendwas von Stockhausen ins Programm nähme. Immerhin haben die ja auch den Boulez im Programm, den Messiaen sowieso, also warum auch nicht mal was vom Stockhausen?

Ich habe gerade mal im Katalog der Hamburger Bücherhalle geblättert, also "Punkte" haben sie auf CD. Im Rahmen einer CD Sammlung "40 Jahre Donaueschinger Musiktage". Die leihe ich mir mal.

Gruß Martin
teleton
Inventar
#23 erstellt: 18. Dez 2007, 13:38
Hallo Aladdin und Martin,

es war mir ohne das ich diesen Thread gelesen habe schon klar das Aladdin pro Stockhausen argumentiert, da er offenbar Zeit und Lust mitbringt sich mit diesem wirklich schwierigen Musikmaterial auseinanderzusetzen.

Ich sehe die Sache so:
Ich habe so viele CD- und Musikwünsche, die es noch zu entdecken gibt. Diese Entdecker-Wünsche möchte realisieren, wenn ich dazu Zeit habe.
Und meine Zeit für Musik ist mir sehr wertvoll.
Dabei wäge ich klar ab was für mich wertvoll ist --- denn das was ich von Stockhausen bisher gehört habe löst bei mir den Eindruck absoluter Zeitverschwendung aus.

Zustimmung an Martin zu Malcolm Arnold, den ich auch sehr schätze und der mit 1000mal lieber ist als Stocky. Von Arnold erwarte ich keine großen Meisterwerke, da diese von ihm nicht vorliegen, aber großen Hörspaß empfinde ich bei Arnold´s Musik immer, bei Stockhausen...................nur sausen.
Martin2
Inventar
#24 erstellt: 18. Dez 2007, 14:28
Hallo Wolfgang,

ja wenn Du Dir den "Stocky" schon angehört hast und ihn dann ablehnst, ist das ja auch OK. Ehrlich gesagt erwarte ich mir vom Stockhausen gar nichts, aber ich will ihn mir trotzdem mal anhören, weil ich nicht über jemanden urteilen will, ohne ihn überhaupt zu kennen.

Ansonsten volle Zustimmung. Man muß immer auswählen, was man hört. Und man wählt das, was man hört, natürlich auch nach der eigenen Erfahrung bzw. nach dem, was man aus dem heraus liest, was andere dazu zu sagen haben. Man kann schlicht nicht jeder Anregung nachgehen.

Bei Malcolm Arnold tut es mir ein bißchen weh, wenn Du ihn auf den "Hörspaß" reduzierst. Ich halte ihn schon für einen unbedingt ernst zu nehmenden Komponisten, allerdings zugegebenermaßen einen recht unterhaltsamen.

Gruß Martin
Martin2
Inventar
#25 erstellt: 18. Dez 2007, 15:05
Ich stieß beim Stöbern in einem englischsprachigen Forum auf folgenden Link:

http://www.medienkunstnetz.de/werke/gesang-der-juenglinge/audio/1/

Habe mir das mal angehört, auch wenns mir schwer ward. Also mein Fall ist das nicht. Ansonsten: Könnte eine interessante Seite sein, muß sie mir mal ansehen.
mark_aux
Ist häufiger hier
#26 erstellt: 18. Dez 2007, 18:48
Ohne eine Wertung von Stockhausens Musik vornehmen zu wollen und zu können, hier eine kleine Anekdote:

Sir Thomas Beecham wurde seinerzeit gefragt, ob er schon 'einen Stockhausen' aufgeführt habe. Er verneinte dies und sagte dass er aber schon mal in einen getreten sei.
Mellus
Stammgast
#27 erstellt: 18. Dez 2007, 19:23
Hallo liebe Stockhausen-Musik-Freunde und -Gegner,

ich muss zunächst zugeben, dass ich bis auf "Gruppen" nichts von Stockhausen kenne. Leider habe ich auch nur das letzte Stück des Donnerstags-WDR3-Spezials hören können (meinen Neid an alle Mitschneider), also den Teil, in dem es um "Licht" ging. Eingentümlich war diese Musik sicherlich (das ist ja auch keine Schande, eher im Gegenteil Zeichen individuellen Ausdrucks), aber Krach oder Ähnliches auf gar keinen Fall. Gut, ich lag schon im Bett und war deshalb in einer besonders empfänglichen Stimmung. Aber was ich hörte war schon von Grund auf durchdachte Musik die sich aber auch vor Trivialität nicht scheute. An Beethoven musste ich da schon denken, der komponierte ja auch so. Niemand muss Stockhausens Musik lieben, aber einen Vorschusskredit kann man einem anerkannt großen Künstler schon einräumen. Mich hat das Radio-Feature auf jeden Fall sehr neugierig auf Stockhausens Musik gemacht. Leider stelle ich das erst nach seinem Tode fest. Auch ist Spaß nicht immer nur der Spaß am Ewiggleichen, sondern auch der Spaß an der Herausforderung durch neue Klänge.

Ich werde mir auf kurz oder lang sicher die oben genannten Hörempfehlungen zulegen. Ob ich Stockhausens Musik dann verfalle kann ich noch nicht sagen. Aber wenigstens Achtung vor seinem Werk und den Versuch, sich ihm auszusetzen, hat sowohl das Werk als auch der Komponist entschieden verdient.

Viele Grüße,
Mellus
Martin2
Inventar
#28 erstellt: 18. Dez 2007, 23:41

Mellus schrieb:
Niemand muss Stockhausens Musik lieben, aber einen Vorschusskredit kann man einem anerkannt großen Künstler schon einräumen.


Hallo Mellus,

es wäre nicht das erste mal, daß ein Komponist zu seinen Lebzeiten sehr hoch gehängt wurde, im Ansehen der Nachwelt aber sehr tief fiel. Ich bezweifle nicht, daß Stockhausen ein Komponist gewisser Fähigkeiten war, irgendeinen Grund wird seine Wertschätzung schon haben, aber zum Beispiel den "Gesang der Jünglinge" etwa, den ich heute hörte, fand ich teilweise interessant, aber viel zu lang, dann billig und jedenfalls ließ er mich völlig kalt.

Gruß Martin
Mellus
Stammgast
#29 erstellt: 19. Dez 2007, 01:21
Hallo Martin,


Martin2 schrieb:
es wäre nicht das erste mal, daß ein Komponist zu seinen Lebzeiten sehr hoch gehängt wurde, im Ansehen der Nachwelt aber sehr tief fiel.


So etwas kommt sicher vor, aus welchen Gründen auch immer. Du selbst hast diesbezüglich auch schon Geschichten aus Deiner Konzertführererfahrung (Max Trapp!) zum Besten gegeben (leider ohne auf meine Anregung, mehr davon zu erzählen, einzugehen -> anderer Thread).

Ich möchte in diesem Zusammmenhang den abschließenden Absatz aus dem Buch des zeitweiligen Stockhausen-Mitarbeiters Ingo Metzmacher wiedergeben, den man durchaus in zwei Richtungen lesen kann:


Metzmacher: Keine Angst vor neuen Tönen. Berlin: Rowohlt. 2005, S. 118 schrieb:
Er [Stockhausen] glaubt daran, dass Musik die Aufgabe hat, innerhalb des kleinsten Ausschnitts an Schwingungen, den wir mit dem Ohr als Klänge wahrnehmen können, den gesamten Kosmos abzubilden, von den kleinsten Schwingungen des Atoms bis zu den gewaltigen Schwingungen der Sonnen und Planeten im Weltall. Das ist sein Anspruch an Musik. Er reicht weit hinaus über unser kleines menschliches Leben. Deswegen kann es gut sein, dass erst künftige Generationen seine Musik ganz verstehen werden. Sie ist ein gewaltiger Entwurf in die Zukunft hinein. Wir müssen uns an ihr messen. Wir kommen nicht daran vorbei.


Was ich interessant finde ist, dass Metzmacher das, was ich unbeholfen als "Vorschusskredit" bezeichnet habe, mit dem Verweis auf zukünftige Generationen ausgedrückt hat. Gleichzeitig beinhaltet dieses bewertende Futur eben die Position, die Du, Martin, mit Deiner Anmerkung zum Ausdruck gebracht hast. Wir wissen es also noch nicht (ich auch nicht). Was wir aber haben, ist Stockhausens Musik. Und -- da kann ich mich mit Metzmacher gemein machen -- der müssen wir uns stellen, wenn wir in der Frage nach Stockhausens Rang weiterkommen wollen. So, wie ich Stockhausens Biographie bisher kennengelernt habe, war er absolut in dem was er tat. Daher schätze ich, dass auch seine Musik absolut ist. So eine Musik kann man dann auch sicher nicht durch Reinhören oder wenigmaliges Anhören beurteilen; man sollte sich ihr aussetzen, mit ihr hörend arbeiten. So etwas kann klappen, wie der Erfolg von Berios "Sinfonia" in diesem Forum gezeigt hat. Selbst wenn die Musik ihren Ansprüchen nicht gerecht wird, wird der Hörer einen Nutzen davon haben: er hat seine Ohren geschult und seinen ästhetischen Kompass feiner ausgerichtet -- vielleicht wie Fans von Max Trapp.

Ich bin in der Offenheit der Formulierung damit einverstanden, Stockhausen "gewisse Fähigkeiten" zuzuschreiben. Der nun obligatorische Aber-Satz ist dann, dass eine dauerhafte Wertschätzung und Würdigung seines Schaffens einfach den Segen der Zeit braucht.

Und nebenbei noch: Den Vorwurf der Langweiligkeit müssen sich in meinen Ohren auch hier im Forum anerkannte Komponistengrößen wie z.B. Mahler gefallen lassen: dessen 6. Sinfonie, die ich vor nicht allzu langer Zeit in einem Konzert habe anhören dürfen, hört ja überhaupt nicht auf. Ich musste an Karusells auf einem Jahrmarkt denken: "die nächste Fahrt geht rückwärts!" Juchee.

Trotzdem anerkenne ich, dass der Mahler ein großer Komponist war. So sagen zumindest viele (alle) Leute, die ich daraufhin spreche und auch die Musikliteratur mit mir wenigstens abstrakt nachvollziehbaren Gründen. Trotzdem langweilt mich das, was ich von Mahler kenne in großen Teilen (ebenso Bruckner; dass mich das selbst stört, habe ich ja an anderer Stelle kundgetan). Das ist Vielschwätzermusik. Das kann man auch deutlich kürzer "sagen". Stockhausen empfand ich -- zumindest in den Radiobeispielen -- schon wesentlich mehr auf den Punkt bezogen. Daher würde ich, müsste ich wählen, lieber Stockhausen als Mahler oder Bruckner mit auf die Insel nehmen.


Martin2 schrieb:
[...] jedenfalls ließ er [Stockhausen] mich völlig kalt.


Erlaube mir eine, vielleicht etwas dreiste Gegenfrage: Glaubst Du an Liebe auf den ersten Blick? Oder doch eher an die "Kunst des Liebens", die auch Arbeit macht. In der Musik ist es doch auch so.

Beste Grüße,
Mellus


[Beitrag von Mellus am 19. Dez 2007, 01:30 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#30 erstellt: 19. Dez 2007, 02:05
Hallo Mellus,

zunächst mal, ich weiß nicht, ob Fans von Max Trapp noch unter uns weilen. Max Trapp machte unter den Nazis gut Karriere, was nicht viel sagt, auch Strauss ging es unter den Nazis nicht schlecht. Ich weiß nichts genaues über die Verstrickung von Max Trapp in die Nazizeit, deshalb will ich mich zurückhalten. Jedenfalls wird seine Musik mit Sicherheit, nicht sonderlich "entartet" gewesen sein, sonst hätte sie an höherer Stelle nicht gefallen. Jedenfalls hat er sich mit den Nazis wohl gemein gemacht. Eine kurze Information über Max Trapp findest Du bei Wikipedia. Es ist wohl kein Wunder, daß man über ihn nichts mehr weiß, aber vielleicht ist seine Musik ( Strauss und Regernachfolge) ja besser als man so denkt.

Bruckner und Mahler sind zwei ganz große Komponisten. Da ist nichts von "Vielschwätzermusik". Das ist Musik von epischer Breite, aber keine Note davon ist überflüssig. Dabei finde ich die epische Breite von Bruckner faszinierender als die von Mahler, aber - insbesondere in den problematischeren Werken - eben auch problematischer. Bruckner hat um seine Werke auch mehr gerungen, während man bei Mahler davon weniger weiß. Bei Mahler habe ich immer das Gefühl: So und nicht anders, Bruckners Werke, besonders die früheren, finde ich gelegentlich spekulativer, weshalb ich sie irgendwo vielleicht besonders liebe. Mahler und Bruckner stehen heute ganz an der Spitze, sie werden aufgeführt ohne Ende - ganz sicher nicht ohne Grund. Die von Dir genannte 6. gehört für viele, sicher nicht nur für mich, zu den Gipfelwerken der Gattung überhaupt, allerdings kann sie in der falschen Interpretation ( erinnere mich da mal an den Rattle) auch langweilig klingen. Aber wenn Du dieser Musik nichts abgewinnen kannst, ist da nichts zu wollen.

Es ist schon richtig, was Du über "die Kunst des Liebens" sagst, wobei ich diesen Ausdruck eigentlich schon nicht mag. Mag auch sein, daß ich anderen Werken als dem "Gesang der Jünglinge" mehr abgewinnen kann. Was ich nur am Gesang der Jünglinge, wenn dieses Werk denn repräsentativ für Stockhausen ist, gemerkt habe, ist, daß diese Musik alles, was ich als Musik liebe und schätze, in besonderer Weise negiert. Und da kann Liebe von meiner Seite eben schwerlich aufkommen. Wenn Dir Mahler und Bruckner weitschweifig vorkam, so kann ich nur sagen, daß mir Stockhausen besonders weitschweifig vorkam, einschließlich solcher in Breite zelebrierten Scherzchen, daß der eine Junge "a" singt und der zweite "bend" und der eine "mor" und der andere "gen". Na ja, ich weiß nicht. Und an der reinen Breite liegt es nicht, auch ein dreiminütiges Stück kann äußerst weitschweifig sein.

Gruß Martin
Mellus
Stammgast
#31 erstellt: 19. Dez 2007, 02:38
Hallo Martin,

danke für Deine Rückmeldung in Bezug auf Trapp, Bruckner und Mahler. Ich lese sowieso immer gerne Deine Beiträge im Forum, weil Du offenbar ein Musikliebhaber bist und dies auch mit Verweis auf Deine Meinung und "Laienhaftigkeit" kundtust. Ich vermute, dass wir in dieser Beziehung sehr viel gemein haben. Ich weiß auch nicht warum, aber in der Regel sprechen mich allerdings modernere Werke unmittelbarer an und sind für mich einfacher aufzunehmen (um nicht "verstehen" zu sagen). Die "epische Breite", so gerne ich sie genießen möchte (*seufz*), lässt mich häufig die Hände über den Kopf zusammenschlagen: "Wie kann man dann so etwas komponieren?! Das ist doch Kitsch! Geschwätz! Reine Romantik! Schon lange ausgestorben, diese Epoche!"


Martin2 schrieb:
Aber wenn Du dieser Musik nichts abgewinnen kannst, ist da nichts zu wollen.


Ich will aber! Ich hoffe auf die nötige Reife, die sich doch wohl irgendwohl mal einstellen wird.

Vieles aus modernerer Musik macht demgegenüber mehr mit mir, die Stockhausenbeispiele, die ich gehört habe, bereits eingeschlossen. Daher mag ich auch sagen: "Hört doch hin, Leute, das ist geile Musik!", kann es aber nicht wirklich "beweisen". Ähnlich geht es Dir wohl andersherum...


Martin2 schrieb:
daß der eine Junge "a" singt und der zweite "bend" und der eine "mor" und der andere "gen".


Ehrlich gesagt, für mich klingt das erstmal ziemlich gut! Sehr dialogisches Konzept. Zwei Sprecher produzieren gemeinsam eine Äußerung. Das gibt es auch ständig in der Alltagskommunikation, da ist also gar nichts Scherzhaftes dran. Das ist aus dem Leben für das Leben. So sollte Kunst doch sein. Philosophien kann man trotzdem dran aufhängen, da haben auch noch die Akademiker was davon!

Ich werde flapsig, da verabschiede ich mich für heute lieber erst mal ins Bett.

Viele Grüße,
Mellus


[Beitrag von Mellus am 19. Dez 2007, 02:40 bearbeitet]
AladdinWunderlampe
Stammgast
#32 erstellt: 19. Dez 2007, 04:18
Wegen der späten Stunde nur zwei kurze Anmerkungen:

1. Den Gesang der Jünglinge wird man wohl kaum nach einem Dreiminutenschnipsel beurteilen können, da man von der Form, den übergreifenden musikalischen Zusammenhängen, der Sprachbehandlung sowie der vierkanaligen Raumpolyphonie dieses ingesamt 14-minütigen Stücks so gut wie gar keine Ahnung bekommen kann - schon gar nicht in der Stereo-Version. (Das wäre so, als ob man einen Sonatensatz vor dem Beginn der Durchführung - in der es normalerweise erst richtig spannend wird - abbricht und dann sein Urteil fällt.)

2. Die "gewissen Fähigkeiten" Stockhausens werden von sämtlichen mir bekannten Komponisten, aber auch Tontechnikern in Studios (die oft ganz andere Musik favorisieren), unabhängig davon, ob sie die Musik Stockhausens als Musik mögen oder nicht, mit größter Bewunderung betrachtet: Der Mann hat ganz am Anfang der elektroakustischen Musik buchstäblich jeden einzelnen Klang in mühsamer Handarbeit mit primitivsten Mitteln im Studio hergestellt; er hatte kein "Instrument", auch kein elektronisches, zur Verfügung, auf dem er auch nur einen Ton gespielt hätte; alles ist vielmehr mit Sinus- oder Impulsgeneratoren aus der Messtechnik-Abteilung produziert worden, die teilweise sehr komplexen Klangspektren durch vielfältiges Übereinanderkopieren, individuelles Gestalten jeder einzelnen Hüllkurve, Verschmelzen in unterschiedlichen Hallräumen, Schneiden, Kleben, Neuabmischen, Verräumlichen auf vier Spuren hergestellt worden. Ein Techniker erzählte mir, dass er nicht wüsste, wie Stockhausen es geschafft hätte, trotz der vielfachen Kopiervorgänge das Bandrauschen so niedrig zu halten, dass es die akustischen Signale nicht überdeckte. Handwerklich dürfte ihm im elektroakustischen Medium zu dieser Zeit niemand (vielleicht mit Ausnahme von Gottfried Michael Koenig) gleichgekommen sein - zumal all diese Techniken nicht "vorlagen", sondern den widerspenstigen Geräten, die für ganz anderes gedacht waren, durch Erfindergeist erst einmal abgerungen werden mussten.
Es gab auch nicht mehrere Sänger, sondern nur einen einzigen Knaben (aus dem Kölner Domchor, und zwar der junge Josef Protschka, der heute der Leiter der Kölner Musikhochschule ist), dem Stockhausen die (meist nicht-temperierten) Melodiefragmente mithilfe von Sinustonbändern vorgespielt hat; Protschka hat sie dann nachgesungen, Stockhausen hat aus vielen Versionen die besten ausgewählt und diese dann in viele Einzelteile zerlegt und weiterverarbeitet - verfremdet, überblendet, vermischt, neu zusammengeschnitten, so dass auch viele der vermeintlich elektronischen Klänge aus dem Stimmmaterial gewonnen sind; umgekehrt werden die elektronischen Klänge an Vokalformanten angeglichen. Es ging Stockhausen im Gesang der Jünglinge nämlich um die Vermittlung zwischen elektronischen und vokalen Klängen, und je genauer man sich diese Musik anhört, um so deutlicher hört man die verschiedenen Grade der Verständlichkeit, die verschiedenen Zwischenstadien zwischen Wort und Klang. (Die verschiedenen simultanen Raumbewegungen der einzelnen musikalischen Ebenen kann man freilich nur in einer vierkanaligen Wiedergabe wirklich erleben.)

Irgendwie bekomme ich immer mehr das Gefühl, dass es gut wäre, im "Neue-Musik-Thread" mal ein Stockhausensches Stück ähnlich detailliert vorzustellen wie seinerzeit die Sinfonia von Berio. Denn ob man diese Musik mag oder nicht (und ich mag längst nicht alles von ihm) - man wird Stockhausen keinesfalls ein ungeheuer souveränes Handwerk sowie wie eine überquellende Phantasie in der Entwicklung kompositorischer Ideen und deren Verwirklichung absprechen können. Wenigstens das nötigt meines Erachtens zu einigem Respekt ab; wie bei Beethoven, wie bei Wagner, Mahler oder Schönberg hat man es mit einem Künstler zu tun, der sich nie mit einem erreichten Status quo zufrieden gegeben hat, sondern die Basis seines eigenen Komponierens immer wieder (beinahe Stück für Stück) in Frage gestellt hat. Deswegen klingen die Werke von Stockhausen auch erstaunlich unterschiedlich. (Und darum gibt es beispielsweise auch Anhänger des frühen Stockhausen, die mit dem "intuitiven" oder demjenigen der Formel-Kompositionen seit 1970 nichts anfangen können und umgekehrt.)

Wenn also Interesse besteht, könnten wir einmal etwas ausführlicher beispielsweise über die Gruppen oder die Kontakte sprechen. (Eigentlich liegt mir im Moment ein Thread über Bernd Alois Zimmermann oder Edgard Varèse mehr am Herzen, aber ich fände es unbefriedigend, die bisherige Stockhausen-Diskussion weiterhin so stark im Ungefähren zu belassen.)


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 19. Dez 2007, 11:55 bearbeitet]
Mellus
Stammgast
#33 erstellt: 19. Dez 2007, 13:00
Hallo Aladdin und alle anderen,

sooo kurz waren, Aladdin, Deine Anmerkungen ja dann doch nicht ... Aber aus meiner Position des (bestenfalls) "Ungefähren" heraus habe ich natürlich Interesse an einer detailierten Analyse eines Stockhausenschen Werkes. Angeregt durch die Auschnitte im Radio war ich auch bereits in einem CD-Geschäft um nach dem Gehörten zu suchen. Ich vermutete, dass der Tod Stockhausens Anlass dazu gibt, einen "Aktionstisch" einzurichten. Aber weit gefehlt! Nicht eine einzige CD von ihm war vorhanden. Die weiter oben bereits besprochene Medienpräsenz oder gar Ikonenhaftigkeit steht irgendwie gar nicht im Verhältnis zu den Reaktionen auf Stockhausens Dahinscheiden. Ich habe auch die Homepages der üblichen Zeitungen nach Nachrufen durchsucht und natürlich überall etwas gefunden. Aber: Überall gab es (nahezu) den gleichen Pressetext! Das ist schon nicht besonders viel Mühe für eine Musikikone. Selbst ein Bekannter von mir, der musikalisch tief in der Romantik verwurzelt ist, aber immerhin Achtung vor Stockhausens kompositorischer Existenz hat, mokierte sich darüber: "Man stelle sich mal vor, Beethoven stirbt, was dann los wäre!" (Ich erwähne das hier nur als illustratives Beispiel, um nicht Lady Di anführen zu müssen). Gut, ich habe klarerweise nicht die gesamte Medienlandschaft unter Beobachtung, aber ich schätze, es sieht mager aus...

Vorhin habe ich jedenfalls erstmal "Kontakte" bestellt und hoffe, dass die CD noch vor Weihnachten eintrifft. Martin hat sich ja auch bereits in der Bücherhalle erkundigt (bin mal gespannt). Du, Aladdin, musst uns, fürchte ich, etwas Zeit geben, um überhaupt mal was von Stockhausen gründlicher zu hören! Das dauert zumindest bei mir schon immer eine Weile. Denn wenn man die Werke nicht kennt, macht auch ihre Analyse nur halb so viel Spaß und Sinn. (Bis dahin mag uns vielleicht ein Zimmermann-Thread "die Zeit vertreiben"?)

Beste Grüße,
Mellus


[Beitrag von Mellus am 19. Dez 2007, 18:25 bearbeitet]
Mellus
Stammgast
#34 erstellt: 19. Dez 2007, 19:22
Hallo allerseits,

auf www.youtube.com gibt es einige Videos zu Stockhausen. Beipielsweise dieses englischsprachige Interview OK, der Interviewer ist eine Pflaume, aber man kann wenigstens mal Stockhausen sehen und sprechen hören.

Den jüngeren Stockhausen bei einer Oxford Lecture über "Sounds" gibt es in Auszügen auch. Das lohnt sich besonders, da er hier auf einfache, plausible und anregende Weise über das Geräusch als Material des Komponisten doziert (unbedingt bis zum Ende hören!). Ist auch auf Englisch, Stockhausen redet aber sehr langsam und deutlich.

Musik kann man sich auch anhören, beispielweise die Klavierstücke Nr. 5 und 7.

Die Suchfunktion von youtube bringt noch mehr zu Tage, beispielsweise ein 7-minütiges Heimvideo zu den Klängen von "Kontakte", ein Promovideo (?) zu "Hymnen", Aufnahmen zu Proben von "Gruppen". Gute Gelegenheit, längere Höreindrücke zu gewinnen. Und ja, die Hubschrauber gibt es auch.

Ich freue mich nun auf jeden Fall noch mehr auf "Kontakte"!

Beste Grüße,
Mellus


[Beitrag von Mellus am 19. Dez 2007, 19:37 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#35 erstellt: 19. Dez 2007, 19:53

AladdinWunderlampe schrieb:


1. Den Gesang der Jünglinge wird man wohl kaum nach einem Dreiminutenschnipsel beurteilen können, da man von der Form, den übergreifenden musikalischen Zusammenhängen, der Sprachbehandlung sowie der vierkanaligen Raumpolyphonie dieses ingesamt 14-minütigen Stücks so gut wie gar keine Ahnung bekommen kann


Ist kein "Dreiminutenschnipsel", sondern geht über 13 oder 14 Minuten, dürfte also vollständig sein. Ich habe ihn heute noch mal angehört. Also mein Fall ist das nicht.
AladdinWunderlampe
Stammgast
#36 erstellt: 19. Dez 2007, 22:28
Entschuldige, Martin, Du hast recht: Der Gesang der Jünglinge ist auf der Seite des Medienkunstnetzes tatsächlich vollständig anzuhören - wenn auch nicht im vierkanaligen Original (aber das gibts auf CD ja auch nicht). Da habe ich wohl Deine Aussage zu Dreiminutenstücken missverstanden...

Dagegen, dass dieses Stück - das ich übrigens nicht für den einfachsten Zugang zu Stockhausen halte, da seine kompositorischen Qualitäten durch die noch ziemlich spröde Klanglichkeit der frühen elektroakustischen Produktionsmittel nicht gerade unmittelbar ohrenfällig werden (das ist ab Kontakte anders) - "nicht Dein Fall" ist, ist natürlich überhaupt nichts einzuwenden. Das besagt freilich nichts über die Qualität dieser Musik. Und dass es sich beim Gesang der Jünglinge weder um einen "Scherz" noch um ein kompositorisches Zufallsprodukt, sondern eine überaus sorgfältig geformte und produzierte Musik handelt, steht außer Frage und ließe sich - falls Du daran Zweifel hegen solltest - auch leicht nachweisen. Aber wenn Du - mit allem Recht der Welt - eine grundsätzliche Abneigung gegen diese Musik hast, wäre das wohl verlorene Liebesmüh.

Die CD-Kassette "40 Jahre Donaueschinger Musiktage" aus Deiner Bücherhalle hatte ich vor Jahren auch mal ausgeliehen, weil sie einige Aufnahmen von ansonsten auf Tonträgern raren Stücken enthält; allerdings entsinne ich mich, dass die Klang- und teilweise auch die Ausführungsqualität gerade bei den besonders alten Aufnahmen sehr bescheiden war; einiges klang wirklich eher zum Abgewöhnen. Insofern würde ich für die Punkte doch - wenn es eben geht - eher zu der aktuellen Neueinspielung von Peter Eötvös greifen, die zudem noch mit den nun wirklich eindrucksvollen und dramaturgisch ziemlich spannenden Gruppen (die Dir vermutlich besser gefallen würden als die Punkte) kombiniert sind.

Allerdings habe ich das Gefühl, dass Deinem Geschmack eher ein Werk wie Mantra entgegenkommen dürfte, da in dieser ersten Formelkomposition das musikalische Grundmaterial sehr prägnant und betont melodisch ist, während die Reihen der seriellen Musik strukturell ja nur latent wirksam sind und daher eine andere Ausrichtung des Hörens verlangen, die anfangs durchaus Schwierigkeiten bereiten kann. (Ist aber alles erlernbar - manchmal sogar im Schlaf; als ich vor einigen Monaten nach jahrelanger Pause die Gruppen wiederhörte, war ich erstaunt, wie klar und übersichtlich mir diese explosive, gestenreiche Musik auf einmal vorkam, obwohl sie ganz ohne normale Wiederholungsmuster auskommt...) Vielleicht findest Du Mantra ja auch in der Bücherhalle und gibst Stockhausen dann noch eine Chance?


Herzliche Grüße Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 19. Dez 2007, 23:07 bearbeitet]
Martin2
Inventar
#37 erstellt: 20. Dez 2007, 01:38
Hallo Alladin,

danke für Deine Hinweise. Übrigens, wenn eine private oder vielleicht auch nicht so private Frage mal erlaubt ist: Bist Du mit der Musik in irgend einer Weise professionell verbunden? Ich könnte es mir bei Dir schon ganz gut vorstellen. Allzu privat ist die Frage ja nicht, mich würde es halt nur interessieren. Vielleicht hast Du irgendwann dazu schon mal Stellung genommen, dann ist das wohl an mir vorbei gegangen.

Gruß Martin
Mellus
Stammgast
#38 erstellt: 21. Dez 2007, 19:18
[quote"AladdinWunderlampe"]als ich vor einigen Monaten nach jahrelanger Pause die Gruppen wiederhörte, war ich erstaunt, wie klar und übersichtlich mir diese explosive, gestenreiche Musik auf einmal vorkam, obwohl sie ganz ohne normale Wiederholungsmuster auskommt...[/quote]

Als ich vor nicht allzu langer Zeit "Gruppen" erneut gehört habe, habe ich immer noch nichts verstanden. Diese Musik liegt deutlich über meinem Rezeptionshorizont. Falls es irgendwann einmal tatsächlich zu einer detaillierteren Besprechung eines Stockhausensches Werkes kommen sollte, käme "Gruppen" sehr in Frage.

Aber noch etwas anderes, eine Frage. Im Handel gibt es mehrere CDs mit einem Werk namens "Tierkreis". Allerdings sind die Besetzungen der Orchester, die es eingespielt haben, deutlich verschieden, von Jazz-Band bis Schlagzeuggruppe. Weiß jemand, was es damit auf sich hat?

Viele Grüße,
Mellus
AladdinWunderlampe
Stammgast
#39 erstellt: 21. Dez 2007, 20:27
Lieber Mellus,

Tierkreis besteht aus 12 kurzen und - in durchaus traditionellem Sinne - wohlklingenden Melodien für Spieluhren. Das Werk entstand im Zusammenhang mit der Musik im Bauch, die Stockhausen für seine damals zweijährige Tochter Julika komponierte. Stockhausen erstellte aber auch noch verschiedene weitere kammermusikalische Versionen, in denen die Besetzung der einzelnen Parts zum Teil variabel ist.

Für diejenigen, die Stockhausen für einen musikalischen Kinderschreck halten, ist gerade diese Musik vielleicht ein guter Einstieg, um eine ganz andere Facette des Komponisten kennenzulernen.


Herzliche Grüße
Aladdin


[Beitrag von AladdinWunderlampe am 21. Dez 2007, 20:28 bearbeitet]
Mellus
Stammgast
#40 erstellt: 28. Jul 2008, 22:38
Halle allerseits,

vor etwa drei Wochen habe ich beim Stöbern in der Klassik-DVD-Abteilung "meines" Musikgeschäftes Frank Scheffers Dokumentation über Stockhausens Hubschrauberstrichquartett gefunden.

Ich konnte nicht widerstehen und habe die DVD gleich mitgenommen und angesehen. Da das Hubschrauberquartett auch in diesem Thread für einige Aufregung gesorgt hat möchte ich hier kurz meine Erfahrung mit der Dokumentation zum Besten geben. (Mittlerweile gibt es aber auch schon wenigstens zwei Profirezensionen, bei Rondo und, um einiges besser, bei Beckmesser.)

Was mir an der DVD gut gefallen hat war, dass sie es schafft, dem betreffenden Stück einiges von seiner Skurrilität zu nehmen. Zwar musste auch Irvine Arditti, einer der Uraufführenden, bei Erhalt der Partitur lachen, die Befremdlichkeit geht aber im Laufe des Filmes verloren, weil die vier Streicher und Stockhausen gründlich proben, mit Ernsthaftigkeit über die Musik sprechen. Das ist wie bei jedem anderen Werk auch (zumindest sollte es so sein). Zur Generalprobe kommt dann deutlich mehr Anspannung hinzu, denn nun spielen mit den Hubschraubern und der damit verbundenen Technik noch mehr und sehr launische Parameter in das Gelingen der Afführunghinein. Als Zuschauer drückt man hier tatsächlich die Daumen, das alles gelingen mag.

Ein zweites Highlight an der DVD ist Stockhausen selbst. Wer wie ich es leider versäumt hat, Stockhausen einmal live zu erleben, kann sich am Videomaterial zumindest einen Eindruck von seiner Persönlichkeit verschaffen. Die selbsverständliche Richtigkeit, die Begeisterung und die esoterisierende Naivität mit der über seine Sache, nämlich seine Musik, spricht, ist wirklich einnehmend. Es ist nicht übertrieben, Stockhausen ein gehöriges Maß an Austrahlung zuzuschreiben. Sind mehrere Personen im Fokus der Kamera zieht Stockhausen die Aufmerksamkeit auf sich. Stockhausen gewährt auch einige Einblicke in die Enstehung und die Idee hinter dem berühmt-berüchtigten Quartett. Angeblich ist es ihm im Traum erschienen. Die Ausarbeitung, die man anhand einiger Partiturauszüge mitverfolgen kann, ist dann welticher und nachvollziehbar.

Kommen wir zum Ärgerlichen der DVD, das vor allem darin besteht, dass der Gegenstand der Dokumentation, das Hubschrauberquartett, gar nicht enthalten ist! Zwar sind ein paar Hubschrauber-Streicher-Stockhausen-Mischpult-Szenen Bestandteil des Films, das vollständige Quartett (das ja gar nicht sooo lange dauert) fehlt jedoch. Das halte ih für einen wirklichen Mangel. Denn die Dokumentation, die eh schon ein paar Längen hat, schaut man sich bestenfalls zweimal an. Dafür lohnt sich der Anschaffungspreis nur für Fans und Sammler. Das sähe anders aus wenn man durch das Vorhandensein des Quartetts gleichsam noch eine Musik-CD miteliefert bekäme. Das wurde leider versäumt. In der gegenwärtigen Ausstattung reicht es, die DVD auszuleihen oder darauf zu hoffen, dass sie mal im Fernsehen übertragen wird.

Und wie lief nun die Uraufführung? Sie ist gelungen. Allerdings hätte man, zumindest an den wenigen Szenen, die man zu sehen bekommt, ein beeindruckenderes Stück erwartet. Aber das hat auch Stockhausen gar nicht abgestritten, sinngemäß: "Den Traum kann man nicht 1:1 in Töne umsetzen".

Viele Grüße,
Mellus
isolation
Hat sich gelöscht
#41 erstellt: 14. Aug 2013, 03:39
Hallo zusammen,

der Thread ist zwar schon sehr alt, aber ich bin mir nicht sicher ob ich für mein Anliegen extra einen neuen Thread eröffnen soll.
Vor einigen Tagen erwarb ich eine CD von Stockhausen mit dem Stück Mantra, welches auf Naxos erschienen ist. Ich muss sagen, dass mir diese Musik ziemlich gut gefällt und habe nach reiflicher Überlegung beschlossen, mich mit dem Schaffen Stockhausens intensiv zu beschäftigen. Ich interessiere mich schon seit längerer Zeit für die neue Musik, doch ausgerechnet an Stockhausen bin ich immer vorbeigelaufen. Es lag wahrscheinlich vor allem daran, dass mich seine Person ziemlich abgeschreckt hat. Deswegen bin ich nie auf die Idee gekommen, mich mit diesem Komponisten zu beschäftigen. Doch vor einiger Zeit habe ich mir ein paar Interviewvideos auf Youtube angeschaut und ich habe bemerkt welch eine faszinierende Denkweise er von Musik hat, somit habe ich begonnen ihn nur als Komponisten und nicht als Person zu betrachten.
Ich bitte euch um euren Rat wie ich vielleicht vorgehen könnte. Auf der Suche nach CDs ist mir aufgefallen, dass die meisten Werke nur in seinem eigenen Verlag erschienen sind. Es sind nur sehr wenige Werke auch auf anderen (und deutlich günstigeren) Labeln erschienen. Meine erste Frage ist von daher, ob es sich überhaupt lohnt eine CD aus dem Stockhausen Verlag zu kaufen, wenn das selbe Werk auch auf einem anderen Label vorliegt?
Und mit welchen Werken soll ich beginnen? Gibt es eine Ära welche sein Schaffen am ehesten repräsentiert?
Für Anregungen bin ich sehr dankbar.

Eine andere Frage welche ich mir stelle: Was hebt eigentlich Stockhausen von anderen Komponisten seiner Zeit ab? Ich stehe etwas im Zwiespalt, es fällt mir schwer mich für Stockhausen oder den japanischen Komponisten Joji Yuasa zu entscheiden. Ich habe gesehen, dass Yuasa nur um ein Jahr jünger als Stockhausen ist und beide scheinen, zumindest oberflächlich betrachtet, ähnliche musikalische Wege zu gehen. Ich weiß nicht wen ich auswählen sollte, vielleicht kann mir auch bei diesem Problem jemand helfen?

Viele Grüße

Michael
Hörbert
Inventar
#42 erstellt: 14. Aug 2013, 09:50
Hallo!

@isolation


Stockhausens Werk zerfällt in mehere Phasen wie du hier nachlesen kannst:

http://de.wikipedia.org/wiki/Karlheinz_Stockhausen

Mantra gehört zu den Werksgruppen die Stockhausen in den 70ger Jahren anfertigte, -also zu der Werksgruppe seiner Phase der "Intuitiven Musik".

Weitere bemerkenswerte Werke aus dieser Phase sind z.B. "Trans" oder "aus den sieben Tagen" m.E. sind in dieser Phase neben seinen seriellen Frühwerken einige der bedeutensten Stücke seines Gesamtwerkes erschienen.

Stockhausens Ruf als bedeutender Komponist der Gegenwart gründet sich nicht zuletzt auf sein Egagement bei den Darmstädter Feriekursen und in Donaueschingen neben Boulez zählte er auch zu den führenden Theoretikern der seriellen Phase der neuen Musik.

Was ich nicht ganz verstehe ist folgender Passus in deinem Posting:


... es fällt mir schwer mich für Stockhausen oder den japanischen Komponisten Joji Yuasa zu entscheiden....


Was hindert dich daran dich mit dem Werk beider Komponisten zu beschäftigen? Ich selbst befasse mich seit recht langer Zeit mit der neuen Musik zwischen Schönberg und heute und habe keinerlei Probleme damit mich dabei mit den unterschiedlichen Komponisten und ihrem Werk zu beschäftigen. Eine irgendwie geartete Entscheidung ist mir dabei nur insoweit untergekommen wie sie mir auch zwischen z.B. Brahms und Bruckner geboten wird, nämlich die wann ich vom jeweiligen Komponisten welches Werk hören will. Kannst du mir das ein wenig näher erläutern? Ich wüsse wirklich gerne was du damit eigentlich meinst.

MFG Günther
isolation
Hat sich gelöscht
#43 erstellt: 14. Aug 2013, 16:09
Hallo Günther,

vielen Dank für deine Antwort. Ich denke, dass ich mir als nächstes "aus den sieben Tagen" anhören werde. Auf Amazon habe ich eine CD von Harmonia Mundi gefunden.


Was hindert dich daran dich mit dem Werk beider Komponisten zu beschäftigen?


Es ist meine Art mich mit Musik zu beschäftigen. Ich versuche eigentlich möglichst wenige Komponisten/Bands/Musiker kennen zu lernen, ich suche die Besten aus und möchte mich aber dafür ziemlich intensiv mit ihren Werken auseinandersetzen. Von daher scheiden Musiker aus, welche nur eine sehr kleine Auswahl an Werken auf Tonträgern haben. Ich möchte, wenn ich mir meine CD-Sammlung ansehe, nur meine absoluten Lieblingsmusiker sehen. Es gibt keinen Platz für Musiker die nur "gut" sind, ich nenne die Musiker welche mich interessieren nicht umsonst "die Auserwählten".
Vielleicht könnte man meine Denkweise als sehr engstirnig bezeichnen, aber ich denke, dass dieser Weg für mich der beste zu sein scheint.
Seltsamerweise tritt dieses Verhalten nur auf, wenn ich Musik von Tonträgern höre. Wenn ich selbst musiziere, dann wähle ich jedes Stück aus welches mir gefällt und ich spielen kann, dabei nehme ich keine Rücksicht auf den Komponisten.

Viele Grüße

Michael
peacounter
Inventar
#44 erstellt: 14. Aug 2013, 16:24
oh mann... "sich damit beschäftigen" hört sich immer so abgehoben und intelektuell an.
hört das zeugs doch einfach und genießt es.
ob einem jetzt bei stockhausen, deep purple oder modern talking einer abgeht is doch wumpe.
hauptsache es gefällt!

ich hab so riesen spaß bei stockhausen oder zappa oder brötzmann oder john zorn, aber ich "beschäftige" mich nicht damit.
ich hör und genieß das einfach!

sich mit musik beschäftigen klingt immer so akademisch...
musik is spaß und entertainment!
das sollte man nicht vergessen...
isolation
Hat sich gelöscht
#45 erstellt: 14. Aug 2013, 17:14
@ peacounter

Wie man Musik zu hören hat um Spaß zu empfinden, ist eine ziemlich subjektive Frage.
Und für mich ist Musikhören nicht einfach nur Entertainment, sondern eine ernsthafte Beschäftigung. Ich möchte gerne Musik in ihrer Tiefe begreifen. Manche Musik benötigt eine sehr hohe Aufmerksamkeit damit sie sich entfalten kann. Deswegen fühlt sich manchmal das Musikhören so an, als würde ich ein Buch lesen. Es ist eine andere Art des Zuhörens und ich verfolge dabei keine akademischen Absichten. Aus diesem Grund ist es mir wichtig, wessen Musik ich mir anhöre. Zappa hat auch ein paar Stücke welche mir gefallen, es sind aber einfach zu wenige. Es gibt nur wenige Musiker welche eine Musik erschaffen haben, welche sich nicht verbraucht, oder zumindest nur sehr langsam. Es ist vor allem die Musik welche nach einem harmonischen Prinzip funktioniert, welche sich sehr schnell abnutzt. Damit meine ich nicht nur die Pop-Musik. Eine süße Melodie erkennt man schon beim ersten hören, aber ab dem Moment wurde auch schon alles gesagt. Es ist nicht so, dass ich die Harmonie nicht mag, aber sie ist mir zu kurzlebig. Sie erinnert mich immer an meine eigene Vergänglichkeit, weil ich weiss, dass die schönsten Melodien immer zu Ende gehen müssen...
peacounter
Inventar
#46 erstellt: 14. Aug 2013, 17:37
uiuiui... schwere kost... genau das empfinde ich eben nicht bei stockhausen, mathcore oder freejazz.
aber ich glaub, ich weiß was du meinst.

mitsingstücke waren auch nie meins.
da komm ich mir irgendwie so vor, als würd ich nen abzählreim aufsagen.
Hörbert
Inventar
#47 erstellt: 15. Aug 2013, 13:25
Hallo!

@peacounter

Du hast natürlich recht, Musik hört man vor allen unter dem Genuß- und Geschmacksaspekt, zudem ändert sich die eigenen Präferenzen mit der eigenen Hörerfahrung und der Zeit.

@ isolation


...Von daher scheiden Musiker aus, welche nur eine sehr kleine Auswahl an Werken auf Tonträgern haben....


Damit scheidet das Gros der neuen Komonisten natürlich für dich aus, Komponisten wie Georg Friedrich Haas, Ulrich Leyendecker oder Jörg Widmann um nur einmal drei von vielen zu nennen deren Werk wohl erst in Jahrzenten umfassend auf Tonträger respekive als Aufnahme vorliegen wird fallen somit klar durchs Raster. Genau genommen müßte dann allerdings auch Anton Webern dessen Gesamtwerk auf weniger als vier CD´s passt bei dir keine Beachtung finden und das obwohl er neben Arnold Schönberg und Alban Berg für die Geschichte, -ja für die Existenz- der Neuen Musik in ihrer heutigen Form nicht wegzudenken ist.

Für mich käme ein solcher Weg nicht in Frage da mir hier zu viiel gute Musik ungehört am Wegesrand liegen bliebe,

MFG Günther
isolation
Hat sich gelöscht
#48 erstellt: 17. Aug 2013, 04:15
@ Hörbert

Ja, da hast du natürlich recht, dass mir vieles entgeht. Aber ich sehe das etwas anders:
Solange ich Musik zum hören habe welche mir gefällt, ist doch alles in Ordnung. Ich sehe einfach keinen Sinn weiter nach anderer
Musik zu suchen, wenn ich doch (in diesem Moment) mit dem zufrieden bin was ich kenne und habe. Es reicht mir nicht aus, von vielen verschiedenen Komponisten immer nur einen kleinen Teil ihres Schaffens zu kennen, es ist mir einfach zu oberflächlich. Es geht mir auch nicht nur um die Musik, ich lege auch Wert darauf etwas über die Denkweise und Intention des Komponisten zu erfahren. Ich bin deswegen auch auf Stockhausen gekommen, weil mich seine musikalische Denkweise sehr interessiert. Das Webern und Co. aus musikgeschichtlicher Sicht für die Entwicklung der neuen Musik maßgebend waren steht außer Frage. Es genügt mir hier aber, grob etwas über die Komponisten zu lesen, damit ich sie zumindest aus chronologischer Sicht einordnen kann.
Das lässt sich auch auf alle anderen Epochen übertragen, ich weiß z.B. dass Mozart ein wichtiger Komponist seiner Zeit war, aber ich würde mir nie etwas von ihm anhören weil ich seine Musik absolut grausig finde.
Hörbert
Inventar
#49 erstellt: 18. Aug 2013, 10:31
Hallo!

Mozart ist natürlich -wie so vieles- Geschmackssache und es gibt natürlich keinen Grund ihn anzuhören ausser eben die Musik gefällt einen.

Stockhausen und die meisten anderen Komponisten seiner Generation sind genau wie Mozart, Beethoven, Schönberg oder Stravinsky mittlerweile Teil der Musikgeschichte. Hier kannst du selbstverständlich mehr oder weniger gut auf Tonträgern dokumentierte abgeschlossene Lebenswerke erwarten. Bei lebenden Komponisten andererseits wirst du immer ein Work in process haben, als ich anfing mich mit den Komponisten der Stockhausen Generation zu befassen waren ihre Werke ebenfalls genau das und alles andere als gut dokumentiert.

Da das Werk eines Komponisten in aller Regel alles andere als ein linearer Prozess ist gehe ich eigentlich immer vom jeweiligen Werk selbst aus und nicht vom Schöpfer, so findet man bei entsprechender Kenntniss der Materie und durch Ratschläge von entsprechenden Spezialisten (z.B. hier zu finden) Werke eines jeden Komponisten -und das zu allen Zeiten- die einen begeistern und berühren können. Dazu ist allerdings eine gewisse Breite und Tiefe des eigenen Gesichtsfeldes unerläßlich, -was nicht heißen soll das andere Sichtweisen nicht gleichwertig oder Gleich berechtigt wären-.

Mir würde halt durch eine freiwillige Einschränkung zu viel entgehen aber dir macht das ja so Spaß also machen wir einfach weiter mit Stockhausen.

Weitere bemerkenswerte und hörenwerte Werke wären z.B. das riesige Madrigal "Stimmung" das Stockhausen von einer völlig anderen Seite zeigt und das für die neue Vocalmusik ein Meilenstein darstellt wie auch der Opernzyklus "Lichtwoche" der zu seinem Spätwerk gehört und in dem er noch einmal seine gesamte musikalische und technische Palette zum klingen bringt.

Sehr plakativ aber musikalisch weniger ergiebig ist sein Streichquartett das neben den Musikern auch noch vier Helikopter in der Partitur vorschreibt, hier sprengt er natürlich jede Grenze der Kammermusik und hat damit ein Werk geschaffen das als Gesamtkunstwerk ein Manifest unserer gesamten Zivilisation darstellt - das allerdings auf Tonträger den Rezipient eher ratlos zurückläßt-. Eher also etwas was man als Erinnerungsstück an eine erlebte Aufführung oder zur Vervollständigung der Sammlung erwirbt als zum häufigen hören.

Ob man das Klavierwerk unbedingt vollständig haben muß bleibt Geschmacks- und Ermessensfrage, ich selbst bescheide mir zumindestenas zur Zeit noch mit Bruchstücken davon.

MFG Günther
isolation
Hat sich gelöscht
#50 erstellt: 18. Aug 2013, 20:32
Hallo Günther!

Mich mit noch lebenden Musikern zu beschäftigen schließe ich gar nicht aus. Einer meiner absoluten Lieblingsmusiker, auch wenn er sich eher nicht in die klassische Musik einordnen lässt, ist Merzbow. Er weilt immer noch unter den Lebenden und sein Werk ist extrem umfangreich.
Was du über meine starre Sichtweise sagst, was das kennenlernen von anderer Musik angeht, bringt mich ins Grübeln. Vielleicht ist meine Herangehensweise doch nicht die beste, aber es hat bis her irgendwie funktioniert...
Meine Denkweise ist in gewisser Weise mir der Vorstellung eines "Allheilmittels" verbunden, vielleicht lässt sich das aber auch nur beschränkt auf Musik übertragen. Was ich aber noch gerne klar stellen würde: Als ich sagte, dass ich mich mit dem Werk eines Komponisten sehr tief beschäftigen möchte, meinte ich keinesfalls, dass ich mir alles anhören werde. Es wird immer Werke geben welche einem nicht gefallen werden. Wie du bereits erwähntest, ist das Schaffen eines Komponisten vom stetigen Wandel beeinflusst. Von daher kann es ja durchaus geschehen, dass man unter Umständen an einer gesamten Schaffensperiode keinen Gefallen findet. Ich sehe da auch keinen Sinn darin, sich ein Werk anzuhören, welches man als schlecht empfindet, nur weil es von einem bestimmten Komponisten geschaffen wurde.
Das was ich bis her über Stockhausen gelesen habe, hat mir gezeigt, dass sich sein Schaffen im Laufe der Zeit stets verändert hat. Wie ich gesehen habe, hat er nicht davor zurückgeschreckt selbst vollkommen gegensätzliche Kompositionstechniken anzuwenden.

Deine Werkempfehlungen werde ich mir auf jeden Fall merken, vielen Dank dafür. Was hältst du eigentlich von den CDs welche im Stockhausen-Verlag erschienen sind? Ich finde diese CDs schrecklich teuer. Ist aber z.B. Mantra vom Stockhausen-Verlag besser die Veröffentlichung von Naxos?
Bei solch hohen Preisen habe ich wirklich das Gefühl, dass man mit Absicht versucht das Werk dieses Komponisten in Vergessenheit zu bringen.
Ich habe vor ein paar Tagen etwas über das Helikopter-Streichquartett gelesen und mir ein kurzes Video auf Youtube angeschaut. Die Idee gefällt mir sogar ausgesprochen gut, ich will mir unbedingt das Stück auf CD anhören. Es ist bestimmt ein anderes Gefühl bei solch einem Konzert live dabei zu sein, aber es reicht mir hier aus zu wissen, wie das Stück gemacht wurde. Irgendwie habe ich eine Faible für solche Sachen. Das interessante an der Idee finde ich, dass es sich hierbei um eine Musik mit einer ganz anderen Dimension handelt. Ich habe schon öfter die Gelegenheit gehabt, einen Helikopter aus nächster Nähe zu hören. Der Klang und die Lautstärke haben eine solch ungeheure Kraft, man merkt dieser Maschine wirklich an, welch ein Ungetüm sie doch ist.

Viele Grüße

Michael


[Beitrag von isolation am 18. Aug 2013, 20:35 bearbeitet]
Hörbert
Inventar
#51 erstellt: 19. Aug 2013, 11:12
Hallo!

Ich denke mal das deine Herangehensweise an die Musik dir, -respektive deiner Lebenführung und deinem Lebensgefühl-, einfach entspricht was aber nicht heißen mußt das du diese Herangehensweise nicht etwas modifizieren kannst so du das willst. Aber ein fataler Fehler wäre es wohl nur aus einem Zweifel heraus alles auf den Kopf zu stellen.

Das Komponisten teilweise in radikal gegensätzliche Stilrichtungen komponieren oder gar in ihrer Kopositionsweise total umschwenken ist in der Musikgeschichte ein recht häufiger Fall der sich allerdings in Umbruchszeiten wie dem 20. Jahrundert ( in dem obendrein Politik und aussermusikalische Ideologien massiv Einfluß auf Werke und Kunstler ausübten ) schon beihnahe zur Regel ausweiten kann.

Der radikale serielle Ansatz der 50 ger und 60ger Jahre den Stockhausen zusammen mit dem Gros seiner Komponistengeneration vollzogen hat hat seine Wurzeln nicht zuletzt in der Zeit davor in der solche Musik verpont oder sogar verboten war, dieser Wandel ist also nicht zuletzt als ein Akt der Befreiung von den alten Konventionen zu sehen. Der Rest seiner Laufbahn könnte man dagegen gesetzt akls eine schrittweise Konsolidierung mit gleichzeitiger Teilzurücknahme der radikaleren seriellen Standpunkte beschreiben.

Aus der Serie des Stockhausen Verlags habe ich mir bislange nur "Trans" zugelegt, -ein Werk das ich persönlich sehr schätze und das ich davor schon auf Schallplatte hatte und die leider in die Jahre gekommen ist in der man über einen Ersatz nachdenken mußte-, als zukünftige Anschaffungen aus dieser Serie sind noch "Microphonie I/II" und "Carré" da diese Werke ansonsten nicht ( mehr ) auf Tonträger erhältlich sind. Die Aufnahmen sind recht gut aber die CD´s sind halt bitter teuer, hier nimmt man es von den Lebendigen.

Wie schon gesagt ist das Helikopterquartett als Event eine einmalige Manifestation, -als Aufnahme für mich allerdings eher enttäuschend- hier scheiden sich wohl die Geister. Interessant sind -für mich- eher "Kreuzspiel" und "Tierkreis".

Gerade durch meine eher breit angelegte Beschäftigung mit Neuer Musik sehe ich Stockhausens Werk eher relativ óhne seine Bedeutung zu verkennen, in vielem ist z.B. die Musik von Boulez strigenter und auch dichter angelegt, B.A. Zimmermanns Musik ist was die serielle Phase Stockhausens betrifft wesentlich radikaler und versucht das Element der Zeit zusätzlich stärker einzubinden indem er simultane Szenische und Akustische Elemente konsequenter staffelt z.B. "Die Soldaten" von 1964 oder dem Requiem von 1996. Allerdings kann man Stockhausen eine gewisse Vorreiterrolle nicht absprechen, simultane musikalische Ereignisse ohne lineare Verknüpfung sind in gewissen Ansätzen schon in "Carre´, " "Punkte" und "Gruppen" realisiert.

MFG Günther
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