Lenco L75 besser als sein Ruf

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Otto_Paul
Neuling
#1 erstellt: 20. Apr 2020, 17:05
Häufig lese ich in den Foren, mit welchem Aufwand der gute alte Lenco L 75-Plattenspieler umgebaut und verbessert wird. Ein neuer Unterbau ist schon fast Standard, genauso wie andere, angeblich höherwertige Tonarme. Übrig bleibt dann meistens nur noch der Reibradantrieb. Für mich ist das kein Lenco L75 mehr, sondern ein Komponenten-Zusammenbau mit Reibradantrieb.
Ich wollte die Originalität des Lenco L 75 erhalten und bin einen anderen Weg gegangen. Leider habe ich zu Beginn das Ergebnis nicht voraussehen können, und deshalb keine Fotos von den einzelnen Ergänzungen gemacht.
Folgende Arbeiten und Modifikationen wurden durchgeführt (hier nur die wichtigsten, im Forum existiert eine gute komplette Reparaturanleitung):
Die Originalzarge im Inneren umfassend mit Hartholz verstärkt und verspannt, um die Eigenfrequenz zu erhöhen und das Volumen des im Inneren befindlichen Helmholtz-Resonators zu reduzieren. Die federnde Aufhängung des Chassis wurde entfernt, stattdessen das Chassis starr mit der Zarge verschraubt. Die Eigenfrequenz des aufgehängten Subchassis entsprach leider genau der des schwingenden Fußbodens im Altbau. Der Plattenspieler ruht auf vier schwingungsdämpfenden Füßen und wurde in beiden Richtungen penibel mit der Wasserwaage ausgerichtet.
Am Tonarm wurden die V-Blocks aus Kunststoff (kein Messing!) erneuert und sauber eingepasst. Neue, extra dünne Tonarmkabel sind bis zum System durchgeführt. Dazu wurden die beiden Kontaktplatten am Tonarm und an der Headshell ausgebohrt. Weiterer Vorteil: der Azimutwinkel kann jetzt auf +/-1,5° adaptiert werden und es entfallen Kontakte in der Tonleitung.
Die Kugellager der senkrechten Tonanlagerung wurden gereinigt und mit nicht harzendem, dünnen Spezialöl eingearbeitet. An der richtigen Einstellung zwischen spielfrei und stramm habe ich fast einen ganzen Tag verbracht. Denn bei jedem Festziehen der Kontermuttern verstellt sich das Spiel wieder.
Das Tellerlager in verschleißfreiem Zustand nach kompletter Reinigung und Ölung ohne Modifikation wieder eingebaut.
Das Reibrad wies keinen Höhen- und Seitenschlag auf, also wurde es nur gereinigt und das wenig Lager geölt. Spannfeder gegen Eigenschwingungen in knapp sitzenden Isolierschlauch geschoben.
Die serienmäßigen Audio-Kabel durch doppelt geschirmte Kabel ersetzt.
Das verwendete System Denon DL-103R wurde sorgfältig eingestellt: Nadelposition mit Lenco-Schablone, Tonarmhöhe und Azimut leicht korrigiert, Gewichtsscheibe im Headshell hinzugefügt. So tastet der DL-103R von der Meßschallplatte in der Tiefen- als auch in der Seitenschrift die Amplituden bis 50 respektive 90 mü einwandfrei mit einer Auflagekraft von 1,8 g ab. Auf der Spur zum Rumpeltest rumpelt im Hörbereich auch bei aufgedrehtem Lautstärkeregler nichts.
Der Tonarm erreicht bei 7 Hz seine horizontale Eigenfrequenz, die vertikale Eigenfrequenz ist nicht feststellbar.
Die Tonimpulse werden über einen Vorverstärker Pro-Ject Tube SE an den Verstärker Unison Research Triode 25 und Lautsprecher Heco direkt 2 weitergegeben.
Schon beim ersten Hören mit dem solchermaßen aufgebauten Lenco L 75 war ich überrascht. Ich habe dann einen jungen Toningenieur zum Hörvergleich mit verschiedenen Komponenten meiner gesamten Anlage angeheuert. Als Plattenspieler-Konkurrent trat ein Pro-Ject Carbon Debut mit Ortofon 2M red an. Schon beim ersten Satz von Beethovens Violinkonzert war klar, dass wir als adäquaten Konkurrenten zum Lenco L75 mindestens eine Qualitätsstufe bei Pro-Ject höher gehen müssten.
Die weite Bühne, die Wiedergabe vom kräftigen Bass bis zu fein durchgezeichneten Höhen des modifizierten Lenco L75 konnte der Pro-Ject nicht bieten.
Und dann der ultimative Vergleich: ein Blindtest mit derselben Aufnahme von der Schallplatte mit dem Lenco L75 und als High-Res-Stream von Qobuz (Beethoven, Violinkonzert, Karajan/Mutter). Dem Toningenieur war es nicht möglich, die beiden Tonquellen mit Sicherheit auseinanderzuhalten. Mehr kann dieser Vintage-Plattenspieler wohl nicht erreichen.

Mein Fazit: der schlechte Ruf des Lenco-Tonarms und des L75 rührt sicherlich von preiswerten Tonabnehmern, abgenutzten V-Blocks, schlechter Einstellung und alter Zarge her. Mit relativ geringen Maßnahmen kann man den Lenco L75 zu einem richtig guten Plattenspieler modifizieren. Dabei sieht er immer noch genauso wie das Original aus und nicht wie eine unpassende Zusammenstellung vielleicht höherwertiger Einzelkomponenten.
Marsilio
Inventar
#2 erstellt: 20. Apr 2020, 20:39
Der schlechte Ruf kommt auch aus Nicht-Wissen. Wer noch nie einen (guten) Reibradler gehört hat, meint halt, das die rumpeln und lärmen...

Dass ein gutes Reibrad indes praktisch geräuschlos arbeitet und diese Plattenspieler einen ganz besonderen Drive entwickeln, das entgeht diesen Leuten.

LG
Manuel
.JC.
Inventar
#3 erstellt: 20. Apr 2020, 20:49
Hi,


Otto_Paul (Beitrag #1) schrieb:
Die federnde Aufhängung des Chassis wurde entfernt, stattdessen das Chassis starr mit der Zarge verschraubt.


genau so, mit Mut!
Wuhduh
Gesperrt
#4 erstellt: 21. Apr 2020, 17:59
Hy !

Der Vergleich mit dem Pro-Ject Carbon Debut mit Ortofon 2M red war schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt. Seltsame Idee.

7 Hz horizontale Eigenresonanz wurde mit einer Meßschallplatte ermittelt ? MMN ungünstiger Wert.

Gratulation zur niedrigen Auflagekraft.

Wie schaut es aus mit ca. 800 Ohm Eingangsimpedanz ?

Wie ist denn die Qualität der Karajan-Aufnahme ? Habt Ihr noch andere Musikvergleiche machen können ?

MfG,
Erik
KyleCrane
Stammgast
#5 erstellt: 21. Apr 2020, 18:32
Danke für den interessanten Bericht. Aber ein Vergleich mit 2 unterschiedlichen TA ist nicht wirklich aussagekräftig imho.

Gruss
KC
Otto_Paul
Neuling
#6 erstellt: 22. Apr 2020, 19:17
Hallo zusammen,

natürlich war die Hörprobe mit dem Pro-Ject-Plattenspieler nicht als echter Vergleich gedacht. Er war halt schon einmal im Haus und der Lenco konnte beweisen, dass er einen Einstiegs-Plattenspieler deutlich überflügelt.

Die Karajan-Aufnahme wurde deshalb ausgesucht, weil H. v. Karajan bei Toningenieuren für seine höchsten Ansprüche bekannt war. Oberflächenqualität bei meiner Platte makellos. Deshalb haben wir uns als Klassik-Hörer auf dieses Musikstück beschränkt. Denn hier findet man alles: von wuchtigen Paukensschlägen bis zu feinsten Violin-Tönen, Solistin und großes Orchester.

Die Eigenschwingungszahl wurde mit der Meßschallplatte ermittelt. In vielen Bewertungen liegen die 7 Hz Eigenschwingungszahl noch im grünen Bereich.

Die Tube Box SE II bietet als höchste Eingangsimpedanz nur 220 Ohm.

Beste Grüße

Jürgen Otto Paul
Wuhduh
Gesperrt
#7 erstellt: 22. Apr 2020, 19:25
* kopfschüttel *

Könnte ich in allen Punkten gegenargumentieren und u. U. schlechte Laune erzeugen.

Will ich aber nicht.

Du bist glücklich mittem Lenco und das ist das wichtigste auf Platz 3 nach Atemschutzmasken und Klopapier.

MfG,
Erik
wp48
Stammgast
#8 erstellt: 22. Apr 2020, 20:02

Otto_Paul (Beitrag #6) schrieb:
natürlich war die Hörprobe mit dem Pro-Ject-Plattenspieler nicht als echter Vergleich gedacht.


Na, wozu war er denn dann gut???


Er war halt schon einmal im Haus und der Lenco konnte beweisen, dass er einen Einstiegs-Plattenspieler deutlich überflügelt.


Und wohl wissend, dass es kein echter Vergleich war, kürst du dennoch einen Sieger, und dazu noch mit deutlichem Vorsprung???

Ebenfalls * kopfschüttel *

Gruß
Wolfgang
.JC.
Inventar
#9 erstellt: 22. Apr 2020, 20:31
Hi,


wp48 (Beitrag #8) schrieb:
Und wohl wissend, dass es kein echter Vergleich war, kürst du dennoch einen Sieger, und dazu noch mit deutlichem Vorsprung???


rein subjektiv, das ist doch klar erkennbar.
Otto hat nur vergessen extra darauf hinzuweisen.

Wir haben mal einen Plattenspielervergleich hier im Forum gemacht.
Ergebnis: man hört nur den Tonabnehmer (mit Vorverstärker).
Yamahonkyo
Inventar
#10 erstellt: 25. Apr 2020, 12:44

.JC. (Beitrag #9) schrieb:
...Ergebnis: man hört nur den Tonabnehmer (mit Vorverstärker).


Und genau deshalb funktioniert auch sowas besser als gedacht!

Gruß Roland
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