Frage zu Interpretationsbeschreibungen

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Kitoma
Ist häufiger hier
#1 erstellt: 04. Apr 2016, 12:57
Moin Gemeinde,

wenn ich mir die Anmerkungen oder Beschreibungen zu diversen Aufnahmen hier im Forum durchlese treffe ich immer wieder auf Beschreibungen wie:

Erst bei dieser Aufnahme kommt der Humor des Komponisten richtig zur Geltung...

oder bei einer Beschreibung zu einem Klavierkonzert:

Einspielung mit sprödem Witz und Raffinement...

Könnt Ihr mir erklären was damit gemeint ist?

Gruß aus der Heide

Heiko
dktr_faust
Inventar
#2 erstellt: 04. Apr 2016, 14:17
Es gibt keine wörtlichen bzw. reproduzierbaren Übersetzungen für diese Beschreibungen.

Das Problem an Beschreibungen ist, dass man etwas in Worte fassen muss für das es eigentlich keine Worte gibt. Daher kommt auch diese etwas gestelzte Ausdrucksweise. Diese Beschreibungen sind der Versuch das eigenen Empfinden in Worte zu fassen.

Grüße
Klassikkonsument
Inventar
#3 erstellt: 04. Apr 2016, 14:30
Hallo Heiko,

wäre gut, wenn du die Beiträge mit den fraglichen Formulierungen verlinktest. Dann hat man wenigstens den konkreten Fall und den Zusammenhang vor der Nase.

Kitoma
Ist häufiger hier
#4 erstellt: 04. Apr 2016, 14:55
Hallo nochmal

hmmm... ich werde mir Mühe geben mit dem verlinken...

hier z.B.:

http://www.hifi-foru...hread=120&postID=3#3

hier vor allem der letzte Satz mit dem "bizzaren Humor"

oder hier:

http://www.hifi-foru...ead=221&postID=30#30

die Stelle mit dem "spröden Witz"

Über diese Beschreibungen stolpere ich ständig und frage mich was damit gemeint ist?

Gruß aus der Heide

Heiko
Hörbert
Inventar
#5 erstellt: 05. Apr 2016, 11:19
Hallo!

Ich denke mal das sich solche Interpretationsbeschreibungen nur in einem direkten Interpretationsvergleich erschließen und zudem sehr vom eigenen Musikverständniss abhängen.

Im Grunde ist doch jeder Interpretationseindruck sehr subjektiv und wenn ich z.B. die alten Beethoven-Interpretationen von sagen wir mal George Szell als "zügig" bezeichnen würde käme u.u. jemand an und würde sie aus seiner persönlichen Perspektive heraus meinentwegen als "schludrig" oder als "feurig" oder wie auch immer bezeichen und hatte damit ebenso recht oder unrecht wie ich.

Lese doch nur einmal einige der alten "offiziellen" Kritiken von Karajan-Interpretationen durch die auf dem Netz sicher noch vorhanden sein dürften, da gerade Karajan einer der am kontroversesten diskutierten Dirigenten war kannst du hier vom überschwenglichen Lob bis hin zum totalen Verriss so ziemlich alles finden und das zuweilen beim gleichen Werk.


MFG Günther
Kitoma
Ist häufiger hier
#6 erstellt: 05. Apr 2016, 13:44
Hallo Günther,

ja, aber....
bei den Beispielen von dir kann ich mir aber zumindest vorstellen was derjenige damit gemeint haben könnte:

zügig= wird schneller gespielt als die meisten anderen Interpretationen
Schluderig= unsaubere Intonation, schnelle Läufe werden zusammengezogen oder vereinfacht
feurig=mit sehr viel Temperament gespielt, härterer Anschlag, stärkere Betonung

das wären zwar auch nur meine eigenen "Übersetzungen" dieser Begriffe, aber ich könnte damit etwas anfangen, sei es nun richtig oder nicht (meine Übersetzung).
Mir geht es aber vor allem und die Beschreibungen die Humor, Witz, Ironie oder ähnliches enthalten und sich oft direkt auf den Komponisten beziehen. Da verstehe ich einfach den Zusammenhang nicht...

Vielleicht muß ich einfach noch ein paar Jahre mehr Klassik hören damit sich mir das erschließt...

Gruß aus der Heide

Heiko
Martin2
Inventar
#7 erstellt: 05. Apr 2016, 14:43
Hallo Kitoma,

ich denke einfach, daß Musik oder Interpretationen zu beschreiben sehr schwierig ist. Mir macht das Spaß, aber man darf eben nie vergessen, es ist Musik aber eben keine Literatur. Sage ich also, etwas sei "witzig", dann werde ich also bei der Literatur etwas wirklich witziges meinen, über das ich eventuell gelacht habe, aber Musik ist nie in diesem Sinne "witzig", sondern meint dann witzig in einer eher etwas "übertragenen" Bedeutung. Also ist bei der Beschreibung von Musik und auch Interpretation sozusagen vieles Metapher. Sage ich etwa, etwas sei "witzig", dann nehme ich diese Metapher aus der Literatur. Oder ich schreibe, etwas ist "farbig" und nehme es aus der bildenden Kunst. Sage ich etwa "Diese Interpretation ist streng, aber ohne bleierne Strenge", dann sage ich damit, daß die Musik eben nicht gerade locker flockig ist, aber auch nicht dröge langweilig. Dieses Reden über Musik ist nicht in einer Art "überprüfbar" wie bei einem literarischen Text, der eine nachprüfbare Semantik hat, wo man den Sinn einer Beschreibung am Sinn der semantischen Aussage mißt, sondern man schreibt etwas über Musik, um einen anderen auf etwas aufmerksam zu machen und im besten Falle habe ich mich einem anderen in diesem Sinne verständlich gemacht. Dabei ist alles Reden über Musik sicherlich etwas, was sehr leicht in Geschwurbel ausarten kann, aber in vielen Fällen trägt es doch auch zum Verständnis bei.

Gruß
Martin
WolfgangZ
Inventar
#8 erstellt: 05. Apr 2016, 14:46
Der Humor-Begriff ist schwierig in der Musik, sei Nachvollzug setzt in der Tat eine gewisse Hörerfahrung voraus.

Nehmen wir Joseph Haydn. Vielleicht kennst Du die Paukenschlag-Sinfonie. Das ist ein Paradebeispiel.

Als humorvoll kann man überraschende Pausen wahrnehmen, scheinbar endlose drängende Figuren - Motiv des Perpetuum mobile, Figuren zu Beginn, die so wirken, als wollte man die Zuhörer wecken - eine ganze Gruppe von Streichquartetten Haydns nützt dieses Mittel.

Das ist dann schon sehr auffälliger Humor, es gibt natürlich auch viel subtilere Formen.

Wolfgang
Hörbert
Inventar
#9 erstellt: 06. Apr 2016, 08:40
Hallo!

@Kitoma

Hm ja, Humor in der Musik zu beschreiben ist wohl etwas ähnliches wie Musik über Musik zu machen.

Zumindestens für mich setzt das neben einer guten Kenntniss des Werkes selbst auch noch in vielen Fällen die Kenntniss der Entstehungsgeschichte und des sozialen Umfeldes in dem das Werk entstanden ist voraus.

Bei guter Werkskenntniss kann man zumindestens Überzeichnungen oder Überpointierungen einzelner Passagen erkennen oder aber bei zeitnahen Werken den humorigen Aspekt soweit er z.B. durch Verfremdung oder durch Zitate in der Komposition angelegt ist recht gut idendifizieren. Hier möge als geläufiges Beispiel Schonbergs Zitat des seinerzeit populären Schlagers "Oh du lieber Augustin" kurz vor dem Bruch der Tonalität in seinem zweiten Streichquartett dienen.

Hier wäre ich z.B. bei Werken die deutlich vor dem Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sind ohne wenn und aber überfordert da ich ganz sicher nicht jedes Werk aus dieser Zeit kenne und es mir z.B. auch nicht möglich wäre die "Gassenhauer" aus dem bekannten Trio von Beethoven herauszuhören wenn ich mir die entsprechenden seinerzeit populären Stücke nicht vorher angehört hätte.



MFG Günther
Kitoma
Ist häufiger hier
#10 erstellt: 07. Apr 2016, 12:49
Hallo @ all!

Erstmal Danke für Eure gesammelten Hinweise.
Ich deute das jetzt mal so das sowohl "echter" Humor (Wolfgangs Beispiel mit der Paukenschlag-Sinfonie von Haydn) als auch "Humor" als eine Metapher für etwas gedeutet werden kann das man grade nicht in Worte fassen kann...

Man man... schwierig, schwierig

Gruß aus der Heide

Heiko
Hörbert
Inventar
#11 erstellt: 07. Apr 2016, 16:13
Hallo!


.........als auch "Humor" als eine Metapher für etwas gedeutet werden kann das man grade nicht in Worte fassen kann..........


Hm.. nein.. Das gerade will ich nicht sagen sondern vielmehr das Humor in einem musikalischen Werk Zeit- und Kontextbezogen ist.

Das "Humor" in einem musikalischem Werk eindeutig idendifizierbar ist würde ich nicht sagen, hier hängt sehr viel von der eigenen musikalischen Bildung und von der eiugenen Perspektive ab:

Hier z.B. ein Werk das für mich Humor in der Musik repräsentiert:

https://www.youtube.com/watch?v=JPde80v-af0

Ob man allerdings den Witz darin erkennt hängt ganz davon ab inwieweit man mit den verfremdeten und zitierten Stücken vertraut ist und ob man das zugrundeliegende Theaterstück kennt.

MFG Günther
Martin2
Inventar
#12 erstellt: 07. Apr 2016, 16:41
Nun gut, es gibt immerhin "Ein musikalischer Spaß" von Wolfgang Amadeus Mozart. Ob man das dann humorvoll findet, liegt sehr wohl im Auge des Betrachters, aber in diesem Fall ist eine humorvolle Intention des Komponisten eindeutig. Bei anderen Werken weiß man es nicht, es mag also durchaus mal sein, daß man einen Humor hinein interpretiert, wo keiner ist. Bei Haydn höre ich gelegentlich schon Humor heraus, aber eigentlich zentral ist der Humor bei Haydn trotzdem nicht, er ist in erster Linie ein ernster Komponist, der sich aber gelegentlich vielleicht doch mal einen kleinen Scherz erlaubt. Aber insgesamt ist denke ich Humor im engeren Sinne keine großartige Kategorie, die in der klassischen Musik eine große Rolle spielt. Was aber schon eine größere Rolle spielt, ist Musik, die in irgendeiner Weise "verspielt" und wo die Verspieltheit dann auch gelegentlich einen gewissen "musikalischen Witz" entwickelt. Aber es ist dann ein Witz nicht in dem Sinne, daß man darüber lacht, sondern dann eher einen, den man dann eher geistreich findet. Wobei es dann noch einen anderen Humor in der Musik gibt, der etwa auf Kontrasten beruht, etwas auf dem Kontrast eines sehr simplen Themas mit einer geistreichen Verarbeitung. Gegen die Bezeichnung von klassischer Musik als "ernster Musik" habe ich mich dagegen immer ein bißchen gewehrt, denn das Ernste ist nur ein Aspekt der Klassik und Verspieltheit, Heiterkeit und Leichtigkeit ist ein anderer, der in vieler klassischer Musik durchaus zu finden ist. Überhaupt hat ja klassische Musik sehr viel zu tun mit "Emotion" und so gibt es in der Musik sicherlich auch so etwas wie "heitere Stimmung", aber was hier heiter ist, ist nur die Emotion und nicht der Witz.

Gruß
Martin
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